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Das Kürbismassaker

Rein – raus – rein – raus

 

Stellungswechsel

 

Rein – raus – rein – raus

 

Stellungswechsel

 

 

Erneut setze ich das scharfe Küchenmesser an und stoße es tief in den dicken Kürbis vor mir. Bis zum Anschlag.

 

 

Nimm dies! Und das! Und das! Und das!

 

 

Immer und immer wieder steche ich mit aller Kraft zu, lasse meine ganze aufgestaute Wut und Verzweiflung an dem wehrlosen Kürbis aus.

 

 

Verdammte Scheiße, was mache ich hier eigentlich?

 

Eigentlich will ich doch nur das aufgemalte Grinsen und die dreieckigen Augen ausschneiden. Wie jedes Jahr zu Halloween. So, wie meine Schwester und mein kleiner Neffe es von mir erwarten. Doch stattdessen habe ich das unschuldige Gemüse da vor mir mittlerweile regelrecht massakriert.

 

Und das alles nur wegen Oliver, diesem Riesenarschloch!

 

Bis vor drei Wochen habe ich noch geglaubt, in einer glücklichen Beziehung zu sein. Treue inklusive. Und was macht mein Lover? Geht alleine mit seinem besten Freund in einen Club, nur weil ich für eine wichtige Klausur büffeln muss. So ein Wichser! Von wegen bester Freund! Dass ich nicht lache! Dann sieht der auch noch tatenlos zu, wie sich mein Freund volllaufen lässt. Nur um zum krönenden Abschluss mit einem Wildfremden im Darkroom zu verschwinden und sich von dem durchvögeln zu lassen. Ohne Kondom!

 

 

Wieder und wieder trifft das Messer das grinsende Kürbisgesicht. Stücke der Schale fliegen durch die Gegend, als ich es mit Schwung wieder rausziehe. Für Halloween ist der orange Ball nicht mehr zu gebrauchen, allenfalls noch zum Pürieren für eine Suppe. Werde ich wohl nachher im Supermarkt Ersatz besorgen müssen. Obwohl ich nicht garantieren kann, dass der dann meinen Angriff überlebt.

 

 

Ich bin so wütend auf Oliver, dass ich schreien könnte. Und verletzt. Und enttäuscht. Seit seinem Betrug und dem bösen Erwachen am nächsten Morgen in der Notaufnahme im Krankenhaus, kotzt er sich jetzt schon die Seele aus dem Leib. Die Medikamente, die der Arzt ihm verordnet hat, um einer HIV-Infektion zu entgehen, verträgt er sehr schlecht. Ich muss zugeben, am Anfang habe ich noch gedacht, geschieht ihm recht. Was betrügt er mich auch, obwohl er genau weiß, wie sehr ich ihn liebe?

 

Vorgestern habe ich zufällig seinen „besten Freund“ Michael auf der Straße getroffen. Den hab ich vielleicht verbal zusammengefaltet! Er kann von Glück sagen, dass ich ihm keine reingehauen hab’. Hat nicht viel dazu gefehlt. Nachdem ich all meinen Frust abgelassen habe, hat er mich einfach am Arm gepackt, mit sich mitgezogen und auf eine Bank im nahen Park gesetzt. Dann hat er mir erzählt, wie schlecht es Oliver mittlerweile geht und welche großen Vorwürfe er sich selbst macht. Seitdem kann ich endgültig an nichts anderes mehr denken.

 

 

Seufzend betrachte ich die Kürbispampe vor mir, dann wasche ich mir gründlich die Hände. Anschließend ziehe ich Schuhe an und schnappe mir meine Jacke vom Haken.

 

Eine halbe Stunde später stehe ich vor Olivers Wohnungstür und drücke auf den Klingelknopf. Niemand öffnet. Besorgt ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und rufe Michael an. Er meldet sich sofort und antwortet auf meine Nachfrage, dass Oliver bei ihm wäre. Es ginge ihm so schlecht, dass er ihn mit zu sich nach Hause genommen hat. Mir geht es jetzt auch schlecht. Mir ist kotzübel vor Sorge um dieses untreue Miststück.

 

Da ich Michaels Adresse kenne, es ist nicht weit von hier entfernt, stehe ich zehn Minuten später vor seiner Tür. Er öffnet mir sofort und lässt mich herein. Stumm deutet er auf die Tür zum Wohnzimmer.

 

Oliver liegt auf der Couch und schläft. Und obwohl die Jalousien nahezu ganz heruntergelassen wurden kann ich erkennen, wie krank und elend er aussieht. Kreidebleich, tiefe Ringe unter den Augen, eingefallene Wangen. Fast wie ein Zombie. Er muss ein paar Kilo verloren haben, wirkt irgendwie zerbrechlich. Mein Herz zieht sich bei dem Anblick vor Schreck zusammen.

 

Als ich mich vorsichtig neben ihn auf die Couch hocke, wacht er auf und sieht mich entsetzt an.

 

„Lars, ich... es tut mir leid...“

 

Weiter lasse ich ihn nicht kommen, halte ihm einfach die Hand vor den Mund.

 

„Nein, jetzt rede ich und du hörst mir einfach nur zu. Sorry, dass ich erst jetzt komme, aber ich war einfach zu wütend auf dich. Ich dachte immer, das mit uns wäre etwas ganz Besonderes. Dass wir uns lieben und einander treu sind. Nicht hinter dem Rücken des anderen rumhuren.“

 

Ich sehe Oliver in die Augen. Er weint. Der Anblick dreht mir den Magen um. Ihn so zu sehen, ertrage ich kaum.

 

„Was mich betrifft, ich liebe dich noch immer, du Vollidiot. Und es ist mir egal, ob du positiv oder negativ bist. Du bist und bleibst mein Traummann und ich will mit dir alt werden. Egal, wie das Testergebnis ausfällt, wir werden einen Weg finden, wenn du das auch willst. Allerdings, über eines solltest du dir absolut im Klaren sein: Betrügst du mich noch einmal, dann war’s das mit uns. Endgültig!“

 

Mein Partner nickt schluchzend und fällt mir um den Hals. Als ich ihn fest in die Arme nehme, merke ich erst, wie dünn er in den wenigen Wochen geworden ist. Auf seinen Rippen kann man Klavier spielen. Unsere Lippen finden sich zu einem zärtlich Kuss. Ein Kuss mit dem Versprechen auf eine glückliche Zukunft, egal ob positiv oder negativ. Wir zwei zusammen, in guten wie in schlechten Zeiten.

 

 

 

 

Ende

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Tag der Veröffentlichung: 07.10.2014

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