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Höchststrafe für die Liebe!

Ich habe schreckliche Angst und zittere am ganzen Körper. Dazu kommt das Gefühl, mich übergeben zu müssen, obwohl mein Magen leer ist. Heute ist der Tag, vor dem ich mich am meisten fürchte. Obwohl ich schon lange weiß, dass er kommen würde. Denn heute werde ich sterben. Und das nur, weil ich einen Mann liebe. Karim.

 

 

Sie haben mich am Morgen aus der Zelle gezerrt und in einen langen Gang geführt. Zusammen mit Karim. Im ersten Moment war ich vor Entsetzen wie gelähmt, als ich ihn nach all den langen Monaten endlich wieder sah. Abgemagert und am Ende seiner Kräfte. Bis mir einfiel, dass ich wohl auch nicht besser aussehe, nach dem langen Aufenthalt im Gefängnis. Ich habe kaum etwas zu Essen bekommen, wurde misshandelt und mehrmals missbraucht. Er vermutlich auch. Und das nur, weil wir schwul sind. Aber schwul nennt uns hier niemand. Perverse, Sodomiten, Arschficker, das sind noch die harmlosesten Bezeichnungen für Männer wie uns. Karim starrt mich an, mit Augen, in denen ich die gleiche Angst erkenne, wie ich sie fühle. Und doch ist darin auch so viel Gefühl, so viel Liebe, die nur mir gilt. Ich erwidere seinen Blick und auf einmal habe ich keine Angst mehr, denn ich werde nicht allein sein bei meinem letzten Gang. Leise sage ich zu ihm, dass ich ihn liebe und sofort ist da wieder dieses Strahlen auf seinem Gesicht. Wie immer, wenn ich ihm das gestehe. Ich würde ihn jetzt so gerne küssen, doch stattdessen erhalte ich einen heftigen Schlag von einem der Aufseher, der mich in die Knie gehen lässt. Ich höre, wie Karim erschrocken aufschreit, dann werde ich auch schon auf die Beine gezerrt und vorwärts gestoßen.

 

Am Ende des Ganges wird nun eine Tür geöffnet und wir ins Freie auf einen Hof geführt. In der Mitte wurde der Galgen aufgebaut und rundherum tummeln sich viele Schaulustige. Ich sehe mich um, kann aber kein bekanntes Gesicht erkennen. Niemand von meiner Familie ist anwesend. Für sie bin ich nur noch eine Schande, weniger wert als der Dreck unter ihren Füßen.

 

 

 

***

 

 

Ich kann mich noch ganz genau an den Tag erinnern, an dem ich Karim zum ersten Mal sah. Er kam als neuer Schüler in meine Klasse, da er erst vor wenigen Tagen mit seiner Familie umgezogen war. In eine andere Stadt, hierher nach Teheran. Der Lehrer wies ihn an, sich neben mich zu setzen, da rechts von mir noch ein Stuhl frei war. Er sah mich aus seinen wunderschönen, dunklen Augen an und es war um mich geschehen. So etwas nennt man wohl Liebe auf den ersten Blick. Er hat mir später gestanden, dass es ihm genau so ergangen war. Damals waren wir erst 15 Jahre alt.

 

In den nächsten Jahren wurden wir zuerst beste Freunde und dann ein Liebespaar. Das war nicht so einfach, denn wir mussten unsere Beziehung zueinander verbergen. Im Iran werden homosexuelle Handlungen mit Peitschenhieben und Analsex mit dem Tod durch Erhängen bestraft. Die einzige Möglichkeit, der Strafe zu entgehen, ist eine Operation. Denn Transsexualität gilt als heilbar, wer sich zu einer Frau umoperieren lässt darf sogar heiraten. Aber weder Karim, noch ich wollten uns verstümmeln lassen. Wir sind keine Frauen, die im falschen Körper geboren wurden, wir sind schwule Männer. Ich weiß, dass viele von uns diesen Ausweg wählen. Nicht umsonst ist der Iran eines der Länder, in denen es am meisten geschlechtsverändernde Operationen gibt. Von der Höhe der Selbstmordrate danach spricht niemand.

 

 

Soweit ging für uns alles gut, wir studierten mittlerweile an der Universität und wohnten noch bei unseren Eltern. Das ist bei Unverheirateten durchaus üblich. Eine eigene Wohnung oder auch nur eine winzig kleine Studentenbude war für uns finanziell unerschwinglich. Eine WG kam auch nicht in Frage, zu groß war die Gefahr aufzufliegen. Dann kam der Moment, an dem ich einmal unvorsichtig war...

 

Es war ein langer, anstrengender Uni-Tag gewesen, wir hatten zwei Klausuren geschrieben. Dadurch waren wir später dran als üblich. Außerdem hatten wir uns fast eine ganze Woche lang nicht treffen können. Aber heute waren meine Eltern nicht zuhause und meine Geschwister noch in der Koranschule. Eine Gelegenheit, die wir nutzen wollten.

 

Kaum war die Wohnungstür zugefallen, fielen wir regelrecht übereinander her. Voller Sehnsucht stolperten wir küssend in mein Zimmer. Dabei machte ich einen entscheidenden Fehler, ich vergaß, meine Zimmertür abzuschließen. Karims Duft in der Nase, seine erhitzte Haut unter meinen streichelnden Händen, zu dem Zeitpunkt war mein Gehirn schon out of order. Und mein Blut in meiner Körpermitte.

 

Die Klamotten fielen in Windeseile zu Boden und wir beide in mein Bett. Gierig und ausgehungert nacheinander küssten wir uns leidenschaftlich und liebten uns danach abwechselnd. Völlig erschöpft schliefen wir danach nackt aufeinander ein.

 

Als ich wieder aufwachte, lag ich auf dem Boden und fühlte einen heftigen Schmerz. Meine Eltern waren früher als erwartet zurückgekehrt und mein Vater hatte uns zufällig entdeckt. Wie von Sinnen schlug er auf mich und Karim ein. Im Hintergrund hörte ich meine Mutter schreien. Irgendwann verlor ich vor Schmerz die Besinnung.

 

 

Wenig später standen wir dann vor Gericht, mein eigener Vater hatte uns angezeigt. Er war schon immer ein religiöser Fanatiker gewesen und der Koran war ihm wichtiger, als ich, sein eigener Sohn. Ich weiß bis heute nicht, wie er es geschafft hat, noch drei andere Männer dazu zu bringen, gegen uns auszusagen, aber ich vermute, dass sie ihm einen Gefallen schuldig waren. Jedenfalls behaupteten diese Lügner dreist, uns ebenfalls erwischt zu haben. Meine Mutter hatte nichts zu sagen, sie gehorchte meinem Vater blind und wagte keinen Widerspruch.

 

Das Gerichtsverfahren erlebte ich wie in einem Albtraum. Immer wieder benutzte der Ankläger Worte wie Sodomie, widerwärtige Handlungen, pervers, Ekel erregender Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann. Schimpfworte, die ich nie zuvor gehört hatte, schleuderte er uns entgegen. Aber nie nannte er den wirklichen Grund für unser Beisammensein – die Liebe!

 

Es war keine Überraschung, als wenig später das Urteil verkündet wurde – die Todesstrafe durch Erhängen! Für uns beide.

 

Die Urteilsbegründung hörte ich nur wie durch einen Nebel. Karim saß neben mir und ich durfte noch nicht einmal seine Hand halten. Irgendwann verstand ich einige der Worte, wir hätten uns mit unserem kriminellen Verhalten den Weg ins Paradies verbaut.

 

Als wenn mir das nicht scheißegal wäre! Da will ich doch gar nicht hin! Was soll ich denn da mit all den Jungfrauen zum Vögeln? Ich will nur einen Mann im Bett, meinen Mann, Karim. Jetzt und in der Ewigkeit.

 

Es ist so furchtbar ungerecht. Nur weil wir Iraner sind, dürfen wir nicht miteinander glücklich sein. Müssen sterben, weil wir uns lieben. Ich weiß aus dem Internet, dass es Länder gibt, in denen Männer wie wir sogar heiraten dürfen. Miteinander glücklich sein. Warum nicht wir? Warum nicht auch hier? Warum weisen sie uns nicht einfach aus? Warum bringen sie uns um im Namen eines Gottes, an den ich nicht mehr glauben kann?

 

 

 

***

 

 

 

Zusammen mit Karim muss ich nun die wenigen Holzstufen hinaufsteigen. Oben angekommen nimmt uns der Henker in Empfang. Er fesselt uns die Hände auf den Rücken und stülpt uns einen kleinen Sack über den Kopf. Anschließend legt er uns die Schlinge um den Hals. Der Strick ist rau und scheuert auf meiner Haut. Ich höre über das Gegröle der Anwesenden und ihre Verwünschungen kaum Karims Stimme.

 

„Ich liebe dich, Darian. Für immer!“

 

„Ich liebe dich auch, Karim!“

 

 

 

Im selben Moment verliere ich den Boden unter meinen Füßen und falle. Das letzte, was ich höre ist ein lautes Knacken, dann wird alles schwarz.

 

 

 

 

Ende

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Tag der Veröffentlichung: 12.07.2014

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