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Inschallah

 

„Du bist eine Schande für mich und unsere ganze Familie! Wie konnte mich Allah nur so hart bestrafen?“ Wutentbrannt schreit mein Vater mich an.

 

„Nicht nur dass du mir noch immer kein einziges Enkelkind geschenkt hast, so wie deine Geschwister, jetzt will sich dein Weib auch noch von dir scheiden lassen? Das kommt überhaupt nicht in Frage! Sieh zu, dass du diese leidige Angelegenheit regelst oder ich vergesse mich endgültig!“

 

Er holt noch einmal tief Luft. „Und glaube nur nicht, dass ich nicht weiß, dass du auf Männerärsche stehst! Nicht umsonst war ich gegen dein Studium in Deutschland! Ich kann nur ahnen, was du dort getrieben hast. Und so etwas Ekelhaftes und Widerwärtiges ist mein eigener Sohn!“

 

Weil ich ihn immer noch fassungslos anstarre und nicht antworte, dreht er sich erbost um und verlässt eilig sein Arbeitszimmer. Die Tür knallt laut hinter ihm zu.

 

Ich sehe meinem Vater minutenlang hinterher, dann setze ich mich verzweifelt auf den bequemen Ledersessel hinter seinen Schreibtisch.

 

Ich kann nicht mehr! Wann ist mein Leben nur so aus dem Ruder gelaufen, dass ich einfach nicht mehr weiterweiß?

 

Ich hatte eine sehr schöne Kindheit mit acht Geschwistern, fünf Brüder und drei Schwestern. Finanzielle Sorgen kannten wir nicht, mein Vater war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Im Gegensatz zu so vielen Paaren aus meiner zahlreichen Verwandtschaft liebten sich unsere Eltern wirklich. Meine Mutter stammte aus Deutschland und hatte meinen Vater dort während seiner Studienzeit kennengelernt. Nachdem er sein Wirtschaftsstudium beendet hatte, heirateten die beiden und Mama begleitete ihn nach Saudi-Arabien. Es muss eine große Umstellung für sie gewesen sein, plötzlich nur noch mit Schleier und in Begleitung das Haus verlassen zu dürfen, noch nicht einmal Autofahren zu dürfen. Aber sie hat sich nie beklagt, war immer fröhlich und liebevoll. Dank ihr sprachen wir Kinder fließend Deutsch, sie sorgte konsequent dafür, dass wir zweisprachig aufwuchsen.

 

Deshalb äußerte ich den Wunsch in Deutschland zu studieren, widerwillig stimmte mein Vater zu und bewilligte mir einen kleinen monatlichen Betrag um zu überleben. Er hoffte wohl, wenn er mich so knapp bei Kasse halten würde, käme ich schon nach einem Semester wieder zurück. Wahrscheinlich hatte es aber auch mit meiner Berufswahl zu tun. Ich wollte Architekt werden anstatt in seinen Betrieb mit einzusteigen. Aber in einer Beziehung irrte er sich gründlich, ich konnte nämlich auf Luxus sehr gut verzichten. Trotzdem machte er mir von Anfang an klar, dass er von mir erwartete, nach meinem Abschluss unverzüglich in meine Heimat zurückzukehren und meinen Platz in der Familie wieder einzunehmen. Mit allen den damit verbunden Pflichten. Meine Mutter nahm mir das Versprechen ab, zu gehorchen und schnell wieder bei ihr zu sein. Natürlich stimmte ich zu, ich kannte es nicht anders.

 

Bis gerade eben war ich der Auffassung, dass Papa nicht wusste, dass ich, sein zweitältester Sohn, schwul bin. In Saudi-Arabien steht auf dieses Vergehen die Todesstrafe und ein homosexuelles Leben ist nur unter größter Vorsicht und Sicherheitsvorkehrungen möglich. Ich habe mich nie vögeln lassen, schon aus Angst, dass bei einer zufälligen ärztlichen Untersuchung mein Geheimnis auffliegt. Aber wenn man nur im engsten Bekanntenkreis bleibt, ist es soweit kein Problem. Wir kannten uns alle, blieben unter uns. Ich hatte abwechselnd immer wieder die gleichen Sexpartner, Gefühle waren nie im Spiel. Die Kontakte dienten nur der reinen Triebbefriedigung. Das wurde erst anders, als ich nach Deutschland kam.

 

Meine ersten beiden Semester hatte ich bereits erfolgreich beendet, da bot mir mein Professor einen studienbegleitenden Job in seiner Architektur an. Erfreut stimmte ich zu. Mit einigen Sonderaufgaben konnte ich mir noch ein wenig Geld dazu verdienen. Ein kleines Extraeinkommen, das mir sehr gelegen kam.

 

Ich begann schon in den Semesterferien mit der Arbeit und die ersten Wochen gingen ziemlich ereignislos vorbei. Das änderte sich schlagartig, als sich zu Beginn des neuen Semesters ein neuer Kollege vorstellte. Er hieß Frederick Hansen und sein Anblick haute mich um. Braune Haare und Augen, die mir direkt in die Seele blickten. Dazu ein zierlicher, schlanker Körper. Kurz gesagt, er war mein Ideal eines Mannes und ich wollte ihn unbedingt ins Bett bekommen.

 

Da gab es nur ein unvorhergesehenes Problem. Nicht, dass er mit mir keinen Sex wollte, den hatten wir schon in der ersten Woche. Und zwar megaheißen Sex. Nein, es war etwas anderes. Denn so sehr ich auch dagegen ankämpfte, ich war vom ersten Augenblick an in Ricky verliebt. Ein Gefühl, das ich nicht kannte und nicht haben durfte. Ich kämpfte auf verlorenem Posten, denn er verliebte sich auch in mich. Und im Gegensatz zu mir, der wusste, dass diese Liebe nie eine Zukunft haben würde, verheimlichte er seine Gefühle für mich nicht, tat alles um mir zu beweisen, dass wir zusammen sein konnten. Irgendwann gab ich mit wehenden Fahnen auf, ließ mich auf eine Beziehung mit ihm ein. Doch eines sagte ich ihm nie, nämlich wie sehr ich ihn mittlerweile liebte. Ricky war alles was ich mir jemals gewünscht hatte. Liebevoll, zärtlich, ein Mann mit dem ich alt werden wollte. Oft sprach er von unserem gemeinsamen Leben, doch ich verbot mir jeden Gedanken daran. Ich weiß, ich hab ihm oft sehr wehgetan, weil ich ihm nie sagte, was ich wirklich für ihn empfand, wie sehr ich ihn liebte. Dass ich es überhaupt tat. Immer hielt ich ihn auf Abstand, im Bewusstsein, dass es nur eine Liebe auf Zeit war. Nie durfte er erfahren, was er mir wirklich bedeutete.

 

Frederick, Ricky nannte ich ihn nur in Gedanken, machte es mir schon so viel zu schwer. Als mein Vater mich dann direkt nach meinem Abschluss zurückbeorderte, übrigens mit der Ankündigung, dass meine Hochzeit mit einem mir unbekannten Mädchen unmittelbar bevorstünde, machte ich Knall auf Fall mit Ricky Schluss. Dabei machte ich den großen Fehler, meine Gefühle für ihn haushoch zu unterschätzen. Meine Trennung von ihm was das Allerschlimmste, das ich je tun musste, mein persönlicher Albtraum.

 

Denn womit ich nicht rechnete, war seine Reaktion auf meine auswendig gelernte Ansage. Ja, ich hatte sie vor dem Spiegel geübt, so lange bis ich dabei nicht mehr losgeheult habe. Diese Testläufe hatte mein Geliebter nicht. Seine Verzweiflung und sein fassungsloses Weinen haben sich für immer in mein Herz gebrannt. Ich wollte ihn so gerne in die Arme nehmen, küssen und versichern, dass ich es nicht so gemeint habe und ihn über alles lieben würde. Dass er der allerwichtigste Mensch in meinem Leben war. Ich tat es nicht. Stattdessen drehte ich mich um und lief stundenlang weinend durch die Straßen. Mein Handy schaltete ich nach seinem ersten Anrufsversuch aus, ließ bis zum Abflug nach Riad meinen Laptop aus. Erst in der Luft checkte ich meine Mails und wäre am liebsten mit einem Fallschirm abgesprungen. Hätte ich es doch nur getan! Stattdessen löschte ich alle seine Nachrichten, seine flehentlichen Bitten bei ihm zu bleiben und auch sein „Ich liebe dich!“. Ich flog zurück, doch mein Herz blieb für immer in Deutschland bei Ricky. Und auch meine Gefühle. Sie waren nicht mehr da, als das Flugzeug Stunden später auf der Landebahn aufsetzte. Von da an war mir alles egal.

 

 

 

***

 

 

 

Die nächsten drei Jahre wurden die Hölle auf Erden für mich. Ich lebte wie im goldenen Käfig, unter völliger Kontrolle meines Vaters. Widerspruchslos fügte ich mich seinem Willen, ganz so wie es der Prophet Mohammed gefordert hat. Und das, obwohl ich vor Sehnsucht nach Ricky fast wahnsinnig wurde, ihn nie vergessen habe. Ich heiratete einen Monat nach meiner Ankunft das Mädchen, das für mich bestimmt war. Laila war gerade mal siebzehn Jahre alt, völlig unerfahren und unsere Hochzeitsnacht war eine einzige Katastrophe. Nur mit Hilfe von Viagra schaffte ich es überhaupt, sie zu entjungfern. Ich hab ihr wohl ziemlich wehgetan, doch sie wehrte sich nicht. Die ganze Zeit musste ich nur an Ricky denken. Kaum war ich fertig, rannte ich ins Bad, um mich zu übergeben.

 

Beruflich lief alles bestens, durch die zahlreichen Beziehungen meiner Familie wurde ich Junior-Partner in einer großen Architektur. Meine Begabung und mein großer Erfolg haben sogar meinen Vater mit meiner Berufswahl versöhnt.

 

Anders sieht das im Privatleben aus. Ich liebe meine Frau nicht, sie ist mir völlig gleichgültig. Anfangs schlief ich noch einmal wöchentlich mit ihr, aber mittlerweile wirkt noch nicht einmal die blaue Pille und ich bekomme in ihrer Gegenwart keinen mehr hoch. Kann man eigentlich Viagra-resistent werden? Keine Ahnung, jedenfalls ist meine angebliche Impotenz und ihre daraus resultierende Kinderlosigkeit der Grund, weshalb sie sich nun scheiden lassen will. Ich werde sie nicht davon abhalten, auch wenn mein Vater das von mir erwartet. Vielleicht findet sie ja bei einem anderen Mann das Glück, das sie sich wünscht.

 

 

 

***

 

 

 

Gedankenverloren nehme ich mein Handy aus meiner Hosentasche, öffne den geheimen Ordner mit den Fotos und klicke sie an. Sie verschwimmen vor meinen Augen, als die Tränen über meine Wangen laufen. Auf allen blickt mich Ricky an. Liebevoll, zärtlich und so vertraut. Sein Lachen, das nur mir gilt, bringt mich erst recht zum Weinen.

 

Vor einem Jahr habe ich zufällig von meinem Studienkollegen Farid erfahren, dass mein Freund direkt nach meiner Abreise versucht hat, sich umzubringen. Er hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten und nur dank seiner Schwester überlebt. Ich würde ihr dafür am liebsten die Füße küssen, wenn ich könnte. Ich war so entsetzt darüber, als ich von dem Suizidversuch erfuhr, dass ich am liebsten sofort nach Deutschland geflogen wäre. Aber wieder einmal war ich zu feige und blieb in Saudi-Arabien.

 

 

Zu feige, wie immer. Aber heute nicht! Nie mehr!

 

 

Langsam und vorsichtig öffne ich die linke Schublade des Schreibtisches meines Vaters. Sie ist nicht verschlossen. Darin liegt sein Revolver. Für Notfälle. Ich nehme ihn heraus und lege ihn vor mich auf die Schreibtischplatte.

 

Noch immer habe ich mein Handy in der Hand. Rickys Anblick tut so weh, dass ich schreien möchte. Alle die Gefühle für ihn, die ich mir jahrelang verboten habe, sind plötzlich wieder da. Ich bete zu Allah, dass er mir vergibt und mir im nächsten Leben die Chance gibt, meinen grausamen Fehler von damals wieder gutzumachen und Ricky zu sagen, wie sehr ich ihn liebe. Mehr als alles auf der Welt, auch mehr als mein Leben. Ich küsse sein Foto noch einmal auf den Mund, streiche sanft mit der Fingerspitze über das geliebte Gesicht. Anschließend lösche ich den gesamten Ordner und schalte das Hand aus.

 

Meine rechte Hand greift zu der Waffe vor mir, meine eiskalten Finger schließen sich darum. Dann entsichere ich sie.

 

Durch Zufall fällt mein Blick auf den Kalender. Es ist der 22. Dezember. In Deutschland feiert man in zwei Tagen Weihnachten. Ricky auch. Ich weiß genau, wie sehr er das Fest geliebt hat. Noch so ein Thema, bei dem ich mich nicht mit Ruhm bekleckert habe. Weil ich auch dabei das Megaarschloch gespielt habe. Um dafür zu sorgen, dass er sich nicht zu sehr an mich gebunden hat. Eine Fehlentscheidung, genauso wie ihn zu verlassen. Ich habe die letzten Jahre bitter bereut und dafür gebüßt. Jetzt habe ich keine Kraft mehr, bin am Ende.

 

 

Noch ein letztes Mal bete ich, auch dafür, dass Ricky jemanden findet, der ihn mindestens so sehr liebt wie ich. Der den Mut hat, zu ihm zu stehen und ihn glücklich zu machen.

 

 

Inschallah.

 

 

Dann setze ich den Lauf des Revolvers an meine Schläfe und drücke ab …

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Tag der Veröffentlichung: 02.07.2014

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