Es war an einem Samstagnachmittag. Da ich noch immer nicht dazu gekommen war Weihnachtsgeschenke zu besorgen, bummelte ich langsam über den Weihnachtsmarkt. In der Hoffnung die ein oder andere Idee dabei zu bekommen. Es schneite schon fast den ganzen Tag und war ziemlich kalt. Ich blieb immer wieder stehen und bestaunte die Angebote. Problemlos fand ich einige Geschenke für Familienangehörige und auch einige Kleinigkeiten für meine Kollegen. Wir haben in der Firma nämlich den Brauch uns gegenseitig zu bewichteln. Für mich selbst kaufte ich einige Duftkerzen und Räucherstäbchen. Ich mag es, wenn die Wohnung dann so angenehm danach riecht. An einem Stand fand ich noch einige Duftöle. Die Weihnachtsmischungen rochen herrlich nach Zimt und anderen Gewürzen. Ich konnte einfach nicht widerstehen und suchte mir drei der Fläschchen aus. Die wollte ich in den nächsten Tagen gleich mal ausprobieren. Dazu kaufte ich gleich noch ein neues Stövchen. Mein altes war vor drei Tagen leider heruntergefallen und zerbrochen. Zwei Stände weiter wurde handgefertigter Schmuck angeboten. An den Ohrringen mit kleinen Tannenbäumchen konnte ich einfach nicht vorbeigehen. Total kitschig, aber mir gefielen sie. Deshalb wanderten sie gleich nach dem Bezahlen in meine Handtasche. Schließlich wollte ich nicht riskieren sie in den großen Tüten zu verlieren.
Vom Kinderkarussell tönte weihnachtliche Musik herüber. Rolf Zuckowski sang vom Plätzchenbacken. Wollte ich eigentlich auch schon längst gemacht haben, aber mir fehlte mal wieder die Zeit dazu. Apropos Plätzchen. So langsam bekam ich Hunger und etwas zu trinken wäre auch nicht übel. Und obwohl ich warm angezogen war bekam ich allmählich kalte Füße und begann zu frieren. Ich hatte zwar einige Glühweinstände gesehen, wollte aber lieber im Warmen sitzen als im eisigen Wind an einem der kleinen Stehtische zu bibbern. Es musste auch nicht unbedingt etwas alkoholisches sein. Eigentlich war mir viel mehr nach einer Tasse Kaffee zumute. Also verließ ich den Weihnachtsmarkt, bepackt mit etlichen Tüten und entdeckte zufällig ein kleines, etwas abseits gelegenes Café. Neugierig öffnete ich die Tür und trat ein. Es war leider ziemlich voll, schließlich war ich nicht die Einzige, die auf die Idee gekommen war, sich hier aufzuwärmen. Doch zum Glück war noch ein Tisch frei, ganz hinten in einer gemütlichen Ecke. Ich stellte meine Einkaufstüten ab, zog meinen dicken Mantel aus, setzte mich auf die Bank an der Wand und streckte die Beine aus. Tat das gut! Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst wie weh mir die Füße taten. Ich hätte wohl besser nicht die neuen Stiefel anziehen sollen. Aber hinterher ist man bekanntlich immer schlauer.
Vor mir auf dem Tisch lag ein kleines Weihnachtsgesteck mit einer brennenden Kerze. Im Hintergrund erklang gerade „Last Christmas“. Ich sah mich um. Die Einrichtung gefiel mir, hatte etwas Urgemütliches. Ich fühlte mich gleich wesentlich besser und nun wurde mir auch schnell wieder warm. Auf dem Tischchen vor mir stand in einem kleinen Metallständer die Speisekarte. Ich zog sie heraus und studierte das Angebot. Doch bevor ich mich entscheiden konnte wurde ich angesprochen. „Hallo! Ist hier zufällig noch frei?“ Die Stimme hatte einen schönen, warmen Klang und ich sah auf. Direkt in zwei schokoladenbraune Augen, die mich fragend ansahen.
Vor mir stand eine wirklich hübsche Frau, die mich lächelnd ansah. Sofort fielen mir die langen, lockigen roten Haare auf, die zu einem Zopf geflochten waren. Wunderschön! Wie auch der Rest meines Gegenübers. Ich starrte sie wohl einen Moment zu lange an, denn sie fragte mich nun: „Darf ich mich setzen oder hast du etwas dagegen?“ „Nein, natürlich nicht!“ Endlich hatte ich mich wieder so weit im Griff um zu antworten. Was sie dann auch prompt tat. Allerdings zog sie sich zuerst die warme Jacke aus. Darunter trug sie einen grünen Pullover, der ihre Haare geradezu leuchten ließ. Ich kam mir dagegen wie eine graue Maus vor.
Ich weiß bis heute nicht genau was es war. Aber irgendetwas faszinierte mich an ihr vom ersten Augenblick an. Ihre ganze Art, die Ausstrahlung, ich fühlte mich in ihrer Gegenwart einfach wohl. Als sie dann ihre eigenen Tüten abstellte lächelte sie wieder auf ihre unnachahmliche Weise. „Du hast wohl auch den halben Weihnachtsmarkt leer gekauft?“ Ich lachte: „Ja, und ich hab noch nicht einmal alles gesehen.“ „Geht mir auch so.“ Wir blieben beim Du, es fühlte sich einfach richtig an. Schnell kamen wir ins Gespräch, als würden wir uns schon ewig kennen. Dabei war ich doch sonst eigentlich ziemlich reserviert im Umgang mit Fremden. Aber bei ihr hatte ich überhaupt nicht das Gefühl mit einer Unbekannten am Tisch zu sitzen, viel eher mit einer guten Freundin. Ihr Name war Larissa, wie sie mir verriet. Und ich sagte ihr dass ich Rebecca heiße.
Ihr Blick fiel dann auf die Speisekarte in meiner Hand. „Hast du schon bestellt?“ „Nein, ich bin ehrlich gesagt noch total unentschlossen.“ „Darf ich dir einen Tipp geben?“ Ich nickte. „Gerne.“ „Also du musst unbedingt die heißen Zimtwaffeln mit Vanilleeis probieren. Die schmecken hier einfach himmlisch.“ „Danke, dann werde ich mal eine bestellen. Bist du öfter hier?“ „Ja, ist mein Stammcafé, wie man so schön sagt. Aber die Zimtwaffeln gibt es nur um diese Jahreszeit und die lasse ich mir dann auf keinen Fall entgehen.“
Wir wurden unterbrochen als die Kellnerin an unseren Tisch trat. Larissa bat um ein Kännchen Kaffee und natürlich eine Zimtwaffel mit Vanilleeis und ich bestellte mir das Gleiche. Während wir darauf warteten unterhielten wir uns angeregt. Fasziniert lauschte ich ihrer Stimme, hing geradezu an ihren Lippen. Sie erzählte mir dass sie in der Nähe in einem Reisebüro arbeitete, weshalb sie hier öfters einen Kaffee trinken würde.
Als dann die Bedienung unsere Bestellung brachte war ich begeistert. Die frischgebackene Waffel duftete himmlisch und schmeckte einfach köstlich. Ich muss wohl ziemlich verträumt gegessen haben, denn Larissa lächelte verstehend. „Genauso wie du muss ich ausgesehen haben als ich zum ersten Mal davon probiert hab.“ Ich wurde rot. „Das muss dir nicht peinlich sein“, sagte sie und griff nach meiner Hand. Sofort fühlte ich ein Kribbeln, das durch meinen ganzen Körper ging. Was war denn nur mit mir los? Ich spürte die leichte Berührung bis in meinen Haarwurzeln. Doch zu meinem Bedauern ließ sie meine Hand gleich wieder los und der Moment war vorbei.
Als wir uns dann über unsere Weihnachtseinkäufe unterhielten erwähnte ich auch die Ohrringe. Sofort bat sie mich sie ihr zu zeigen. Ich nahm sie aus der Tasche und hielt sie ihr hin. Sie war genauso begeistert wie ich davon. „Die sind ja wirklich kunstvoll gearbeitet. Soll ich sie dir vielleicht dranmachen?“ Erfreut nickte ich. Sie rutschte näher und nahm den Schmuck aus seiner Verpackung. Dann strich sie mir vorsichtig die Haare hinter die Ohren. Ich traute mich kaum zu atmen, mein Herz klopfte rasend schnell. Längst hatte ich eine Gänsehaut bekommen. Als sie dann vorsichtig die Stecker durch meine Ohrlöcher schob hatte ich Angst sie könnte meinen lauten Herzschlag hören. Ich hätte ewig so nah neben ihr sitzen können und die sanften Berührungen genießen. Aber leider dauerte es nicht lange bis die Ohrringe geschlossen waren. „Die stehen dir wirklich toll“, dabei sah sie mir tief in die Augen. Gerade noch rechzeitig fiel mir ein dass es wohl an der Zeit war weiterzuatmen. Bevor ich noch blau anlaufen würde. Larissa weckte Gefühle in mir, die ich so nicht kannte. Ich war völlig verwirrt.
Bisher hatte ich nur zwei Freunde, aber irgendetwas hatte einfach nie gestimmt. Meine Schulfreundin Stefanie hatte mich mit ihnen verkuppelt, doch ich war nur mit ihnen zusammen weil es doch angeblich normal ist. Und auch wenn ich sie mochte, verliebt war ich in keinen von ihnen. Meine ersten Sexerlebnisse glichen auch eher Katastrophen als einem schönen Erlebnis. Ich schob das allerdings auf meinen Mangel an Erfahrung. Sollte doch angeblich mit der Zeit besser werden. Das wurde es aber nicht und so hielten beide Beziehungen nicht lange. Deshalb war ich die letzten Jahre Single geblieben.
Was mir wirklich gefiel und all die Jahre gefehlt hatte, merkte ich zwei Monate später. Larissa und ich hatten uns mehrmals miteinander verabredet weil wir uns so gut verstanden. Eines Abends gestand sie mir dann dass sie lesbisch wäre und sich in mich verliebt hätte. Nie werde ich unseren ersten Kuss vergessen. Ihre weichen Lippen, der Duft ihrer Haare und die Empfindungen, die sie tief in mir auslöste. Die mir schlagartig klarmachten, dass ich auch schon längst in sie verliebt war. Eigentlich schon vom ersten Moment an dem sie dort im Café an meinem Tisch stand.
Endlich begriff ich auch was in meinen bisherigen Beziehungen schief gelaufen war. Es konnte doch gar nicht funktionieren. Nicht mit einem Mann. Das mir das nicht eher aufgefallen war! Ich bin wohl so etwas wie ein Spätzünder. Musste erst 25 Jahre alt werden um zu begreifen dass ich auf Frauen stand.
Wie schön die Liebe und der Sex sein können lernte ich von Larissa. Niemals hätte ich geglaubt dass ich zu solchen Gefühlen fähig war. Ich hatte noch viel zu lernen und meine Freundin war mehr als fantasievoll wenn es darum ging Spaß im Bett zu haben. Ich war und bin verrückt nach ihr. Die Küsse, die Zärtlichkeiten, die mal sanften, mal leidenschaftlichen Berührungen möchte ich nie wieder missen.
Ein halbes Jahr später suchten wir uns eine gemeinsame Wohnung. Zufällig fanden wir schnell eine passende, im Nachbarhaus von „unserem“ kleinen Café, in dem unsere Liebe begann. Seitdem sind wir unzertrennlich. Auch mit meiner Familie hatte ich keine nennenswerten Probleme. Meine Eltern waren zwar zuerst ein wenig geschockt als ich ihnen Larissa vorstellte, aber sie mochten sie auch auf Anhieb. Meine Mutter sagte mir wenig später dass es ihnen egal sei ob ich hetero oder lesbisch wäre, Hauptsache ich sei glücklich. Und das bin ich!
***
Voller Vorfreude betrete ich nun das Café, in dem ich mit Larissa verabredet bin. Sofort fällt mein Blick auf meine Freundin. Vor ihr auf dem Tisch stehen schon zwei Kännchen Kaffee und zwei Kuchenteller mit Zimtwaffeln und Vanilleeis. Sie sitzt an „unserem“ Tisch, wir haben ihn extra reservieren lassen. Unser jährliches Ritual. Seit nunmehr fünf Jahren.
Ich habe ihr vor zehn Minuten eine SMS geschrieben in der ich ihr mitteilte dass ich gleich da bin, deshalb hat sie wohl schon bestellt. Langsam gehe ich auf sie zu. Sie bemerkt mich und auf ihrem Gesicht erscheint das Lächeln, das ich so sehr liebe. Wie einfach alles an ihr. Ich setze mich neben sie und unsere Lippen finden sich zu einem zärtlichen Kuss. Dann essen wir genüsslich unsere Waffeln und trinken dazu den Kaffee.
Wir reden nicht viel, das ist auch gar nicht nötig, verstehen uns auch ohne Worte. Wissen dass jede von uns an diesen besonderen Tag zurückdenkt. An dem wir uns hier zum ersten Mal begegnet sind. Sehen uns dabei nur immer wieder zärtlich an und da ist es wieder, dieses warme, wohlige Gefühl. Das ich nur bei ihr habe. Das mein Herz schneller schlagen lässt und dieses unglaubliche Kribbeln in mir auslöst. Das Gefühl angekommen zu sein.
Bei Larissa - meiner Lebenspartnerin, meiner Frau, meiner großen Liebe.
Tag der Veröffentlichung: 01.07.2014
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