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Ein allerletztes Mal

 

Leise und unbemerkt habe ich mich aus dem Haus geschlichen. Damit meine Eltern und Geschwister nicht aufwachen. Sie werden noch früh genug merken, dass ich nicht mehr zurückkomme. Wahrscheinlich werden sie sogar froh sein, mich los zu sein. Mich, das schwarze Schaf der Familie. Aber eigentlich bin ich das Regenbogenschaf.

 

Nach einer halben Stunde Fußweg stehe ich nun an unserem geheimen Treffpunkt, der verborgen am Stadtrand in einem Waldgebiet liegt. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich hier auf ihn gewartet habe, voller Vorfreude, Sehnsucht und Erregung. Wie oft wir uns hier geliebt haben, im Schutze der Dunkelheit. So dunkel wie unsere Haut. Nur einander fühlen, weil wir kaum etwas sehen konnten, nur unsere Augen, die im Mondlicht hell geleuchtet haben. Gestohlene Momente des Glücks, dem Schicksal abgetrotzt.

 

Ich erinnere mich noch genau an jedes einzelne Mal, unsere Küsse, die Zärtlichkeiten und an den berauschenden Sex. An den Duft seiner Haut, wie sich sein Körper angefühlt hat unter meinen Händen. Sein leises Stöhnen, wenn er gekommen ist. Tief in mir versunken, oder ich in ihm.

 

Mittlerweile sitze ich auf dem Boden, weil meine Beine mich nicht mehr tragen können. Tränen tropfen darauf. Unaufhaltsam. Begleitet von meinem verzweifelten Schluchzen.

 

Er wird nie wieder hierher kommen, mich nie wieder in seine Arme schließen und mich für die wenigen Stunden unserer Zweisamkeit die grausame Realität vergessen lassen. Hier in Uganda, wo Homosexualität verboten ist und hart bestraft wird.

 

Vor drei Tagen haben sie ihn verhaftet, aus seinem Elternhaus gezerrt und unter Schimpf und Schande durchs Dorf getrieben. Er wurde dabei geschlagen und getreten, mit Steinen beworfen und danach ins Gefängnis gesteckt. Wäre ich dabei gewesen, wäre er nicht alleine dort gelandet.

 

Niemand hat ihm geholfen, nicht einmal seine Mutter. Ich hätte ihm geholfen, aber ich war nicht da. Musste meinen Vater in die benachbarte Stadt begleiten, um ihm beim monatlichen Großeinkauf zu helfen. Als wir zurückkamen, haben es mir meine Geschwister aufgeregt erzählt. Sie sind noch zu jung, um wirklich zu begreifen, was an diesem Tag geschehen ist. Was es bedeutet. Für ihn und für mich. Und sie wissen nicht, dass ich auch schwul bin. Niemand weiß es, noch nicht einmal meine Eltern. Niemand ahnt, dass aus den beiden befreundeten Nachbarjungs eines Tages ein Liebespaar wurde.

 

 

Als die Sonne langsam aufgeht, mache ich mich auf den langen Weg. Zur nächsten Großstadt, in der auch das Gefängnis ist, in das sie ihn eingesperrt haben. Meinen Freund, meine große Liebe, mein ein und alles. Vielleicht nimmt mich ein Autofahrer ein Stück mit und ich muss nicht nur laufen.

 

Ich bin erst 24 Jahre alt und mein Leben ist schon zu Ende.

 

 

Weil irgendwelche feisten, sexuell frustrierten Politiker hier in Afrika uns unsere Liebe nicht gönnen. Die teilweise mit Frauen verheiratet sind, denen die Geschlechtsteile abgeschnitten wurden und deshalb verständlicherweise keinen Bock auf Sex haben. Wie sollten sie auch, ohne Lust und nur mit Schmerzen dabei?

 

Politiker, die das Blaue vom Himmel herunter lügen, genau wie die ach so frommen Pfaffen. Die uns alle für Tiere halten, uns unsere Menschenrechte absprechen. Die der unwissenden Bevölkerung einreden, wir würden Kinder ficken, alleine für HIV verantwortlich sein und damit den Hass auf uns weiter schüren. Tag für Tag aufs Neue. Pfaffen, die in Saus und Braus leben, während hier in manchen Gegenden die kleinen Kinder verhungern. Scheinheiliges Pack! Ich finde keine Worte dafür, wie sehr ich sie verachte. Ich glaube schon lange nicht mehr an einen gerechten Gott, aber falls er doch existiert, hoffe ich er steckt sie bei der nächsten Wiedergeburt in einen schwulen oder lesbischen Körper. Obwohl wenn ich mir es so recht überlege, wahrscheinlich stecken sie schon längst darin. Wenn man andere dem Pöbel zum Fraß vorwirft, kann man doch prima von sich selbst ablenken. Und darin sind sie Meister. Wer macht sich denn ständig Gedanken darüber, wie es zwei Männer miteinander treiben, wenn er nicht selbst irgendwie darauf steht? Heteros ficken lieber ihre Frauen und denken nicht über gleichgeschlechtlichen Sex nach. Allenfalls geilen sie sich an der Vorstellung auf, wie sich zwei Frauen berühren.

 

Hab erst neulich durch Zufall davon gehört, dass man einen von uns lebendig verbrannt hat. Mitten auf der Straße, vor anwesenden Kindern. Bestien, die vor nichts Halt machen in ihrem verblendeten Hass. Wenn sie so könnten wie sie wollten, würden schon längst die Scheiterhaufen brennen. So wie damals im Mittelalter. Wir sind die neuen Hexen und werden auch genauso verfolgt. Unschuldige Menschen, verdammt dafür, dass sie gleichgeschlechtlich lieben.

 

Oder der Fall, der dank Amnesty International bekannt wurde. Der junge Mann, der sterben musste, weil er demjenigen, in den er sich verliebt hatte, eine SMS geschrieben hatte. Der erst ins Gefängnis kam und dort wie auch immer einen Leistenbruch erlitten hat. An dem er elendig verreckt ist, weil ihm noch nicht einmal jemand aus seiner Familie geholfen hat. Die Todesstrafe für eine SMS.

 

Ich hoffe so sehr, dass mein Geliebter noch lebt. Und ich habe furchtbare Angst davor, dass sie ihn auch gefoltert haben.

 

Wir wissen dank dem Internet, dass es Länder gibt, in denen Männer wie wir sogar heiraten dürfen. Wie oft haben wir uns gewünscht, dort zu leben. Da, wo unsere Liebe nichts Schlechtes ist. In denen wir nicht wie der letzte Dreck behandelt werden. Haben gespart dafür, eines Tages in Dänemark oder anderswo in Europa Asyl zu beantragen und ein Ehepaar zu werden. Ich habe mich so oft mit ihm in die Zukunft geträumt. In eine bessere Zukunft, in der ich ihm einen Heiratsantrag gemacht und einen Ring an den Finger gesteckt habe. Eine Zukunft, in der wir miteinander glücklich sein würden.

 

Ich habe davon gehört, dass es ausländische Regierungen gibt, die dagegen protestieren, was mit uns hier geschieht. Die Druck ausüben und Entwicklungshilfe aussetzen. Menschen, die für unsere Rechte eintreten und uns helfen wollen. Doch selbst wenn es irgendwann nützt, ich fürchte für die Meisten von uns ist es dann schon viel zu spät. Wer hier erst einmal im Gefängnis landet, ist so gut wie tot.

 

 

Nach meinem langen Weg, komme ich endlich in der Stadt an. Meine Füße tun schrecklich weh und ich bin total erschöpft. Aber noch viel mehr schmerzt mein Herz.

 

Mein letzter Tag in Freiheit.

 

Denn ich weiß genau, ich werde das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen dürfen. Keiner von uns, denn auf Homosexualität gibt es seit Kurzem lebenslängliche Haft. Und das ist hier wesentlich weniger Zeit, als die meisten Menschen vielleicht denken. Misshandlungen stehen auf der Tagesordnung, schlechte Ernährung, wenn nicht gar verhungern und verdursten. Das verkürzt die Zeitspanne der Haftstrafe drastisch. Sie werden mich auch verhaften, wenn sie merken, was mit mir los ist. Vielleicht schlagen sie mich auch gleich tot, denn ich werde mich wehren.

 

Es ist mir egal, denn ich habe keinen Grund mehr, weiterzuleben. Ohne ihn. Ich will ihn nur noch einmal sehen, einmal in die Arme schließen und noch einmal seine Lippen küssen. Spätestens dann werden sie uns trennen und ich werde ihn nie wieder sehen.

 

Aber das alles ist es mir wert, um ihn noch einmal zu spüren, die Liebe zu ihm zu fühlen. Und seine Liebe zu mir.

 

 

Ein allerletztes Mal.

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.07.2014

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