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Ansammlung

Zwei mal Zwie

Ich nahm den Block aus meiner Tasche, sah mein Gegenüber noch einmal genau an und stellte ihm die erste Frage. Der Junge sah mich mit scharfem Blick an, analysierte mich und sagte dann ohne jeden Zusammenhang: „Haben sie schon mal Steven King gelesen?“  Ich legte den Block weg, rückte meine Brille zurecht und schüttelte dann langsam den Kopf. Der Junge schenkte mir keine weitere Beachtung. Ich wartete, trank einen Schluck Tee und sah ihn weiter an. Er drehte sich weg. Nach einigen Minuten erhob ich mich und begab mich zur Tür. Beim Hinausgehen rief der Junge mir spöttisch hinterher, dass ich ihn interviewen dürfte, würde ich im Schach gegen ihn gewinnen. Ein leichtes Lächeln huschte über mein Gesicht. Ohne Abschied verließ ich das große, alte Haus. Ich ging die menschenleere Straße entlang, warf meinen Block in eine der Mülltonnen und dachte nach. Daraufhin nahm ich mein Handy und rief im Büro an. Ich erklärte, dass ich nie wieder kommen würde und mein Chef sagte, dass ich das auch nicht brauche, weil er mich nicht benötige. Wir schwiegen. Dann fragte er, ob ich wenigstens noch den Artikel über das Schachwunderkind schreiben würde. Ohne eine Antwort beendete ich das Gespräch. Ich stieg in eine Straßenbahn, nahm einen Platz am Fenster ein und ließ meine Gedanken laufen. Dachte über den Jungen nach, diesen kleinen, arroganten Pisser. Ob ich auch so sein würde, wenn ich dermaßen intelligent wäre? Mir kam ein interessanter Gedanke. Mechanisch griff ich nach meiner Tasche, doch bevor ich sie öffnete, wusste ich bereits, was ich vorfinden würde. Nichts. Mein Block lag derweilen in einer schmutzigen Tonne inmitten von einer schmutzigen Stadt. Ich konnte meinen Gedanken nicht notieren. „Verdammt“, raunte ich. Wohl etwas lauter, denn die ältere Dame, welche auf dem Platz neben mir langsam eingedöst war, erschrak und schaute sich hektisch nach allen Seiten um. Ich überlegte, ob ich ihr meine Situation erklären sollte, doch ich vermutete, dass ein unrasierter, ungepflegter Mitte Zwanzig-Typ nicht das Sinnbild von Ruhe und Ordnung in den Köpfen älterer Frauen darstellte. Ich drehte mich wieder zum Fenster und wollte den Gedanken wieder aufgreifen, doch er war entschwunden. „Scheiße“, knurrte ich. Die Dame neben mir stand abrupt auf. Sie bevorzuge es lieber zu stehen, sagte sie noch und quatschte sich in die Masse der anderen mitfahrenden Menschen. Verwirrt schauten sich diese um, ein Geschäftsmann mittleren Alters nahm den soeben freigewordenen Platz in Anspruch. Ich schleppte mich nach Hause, öffnete ohne Motivation meine Haustür. Aus dem Spiegel im Flur schauten mich müde Augen an. Schlafen? Unnötig. Ich ging in die Küche, um etwas zu trinken.


Herr der Zahlen

So sagte es der alte Mann. Dafür, dass er alt war, konnte er nichts - es war die Laune des Autors. Er stand vor der Klasse und tüftelte Zahlen zusammen, die wieder Terme darboten. Zusammen standen sie abermals als Aufgabe da, welche letztendlich kombiniert zu einer Zahl führten. Das Spiel mit Unbekannten, verkündete er. Die Klasse war wissbegierig, sollte er später noch sagen und selbstverständlich waren sie bereit, jede Unbekannte kennenzulernen - besonders die Jungen. So zogen sich manche Mathestunden dahin. Manchmal sagte er etwas. So sprach er einmal, dass er sagen wolle, wie gern er zur Klasse sprach, obwohl diese nicht gerade still war. Er sagte nicht, dass dies Sarkasmus sei. Kommentar des Autors: „Mir wurde es auch net gesagt.“ So kam es auch, dass die Klasse den Mann mochte und dieser mochte seine Klasse. Die Aufgaben, die er stellte, waren gut durchdacht, immer gab es ein Hindernis.  Doch es gab auch eine Hilfe - beides war in einer kurzen Geschichte versteckt. Er liebte Witze, Knobelaufgaben, Poesie und alle anderen Textarten, die schöne Informationen auf wenig Platz boten. So traf auch der Fall ein, dass ihn eine Schülerin herausforderte und ihm ein Rätsel stellte, ein Rätsel, das ihn für immer verändern würde. Später sollte er sagen, dass es das Schlimmste war, was er jemals erlebt habe. Kommentar des Autors: „Seine Frau ausgeschlossen.“ Sie wurde Chrischi gerufen, mehr wusste er auch nicht, schließlich war es schon lange her, dass er das letzte Mal vor einer Klasse gestanden hatte. Er seufzte und drehte sich zum Fenster, um mit den Wolken zu reden. Der Psychologe stand auf und verließ das Zimmer.

vergessenes Abendrot

Ich pumpe vor Anstrengung. Müde ziehe ich meinen Rollstuhl voran. Die verzierte Tür ziehe ich ruckartig auf und werde von Licht überhäuft. Augenblicklich eilt mir ein Jungspund zur Hilfe, ich lasse mir nicht helfen. Stolz, so habe ich gelernt, für Stolz muss man kämpfen. Der Doktor dreht sich zu mir um, schaut mich an und fragt mir betont langsamer Aussprache: „Wie geht es Ihnen heute?“ Ich schaue in sein perfekt gebräuntes Gesicht und entgegne: „Ihre Aussprache braucht nicht so zu schleichen, hören kann ich noch.“ Dann stoppt unsere Unterhaltung, weil ich einen längeren Hustenanfall erleide.  Der Jüngling springt auf und eilt zu mir, reicht mir ein Glas Wasser, klopft meinen Rücken. Der Doktor bemerkt, dass unser Gespräch ein jähes Ende gefunden hat. Ich drehe mich um und fahre zurück in mein Zimmer.  Tag ein Tag aus. Immer dasselbe Spiel. Gott, wie mich die Jugend nervt.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.03.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Um der Welt ein Stück Feuerball zuschenken. Überarbeitet von gedichteengel

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