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Kapitel 1


Eigentlich ist es nichts Besonderes, gerade in Rom zu sein. Aber es ist sehr wohl etwas Besonderes wenn man sich gerade in der Römischen Kaiserzeit befindet, so um 117 nach Christus. Wie ich hierhergekommen bin? Durch eine Zeitmaschine, wie denn sonst?
Neben mir liegt ein Mann, der auf derselben Mission ist wie ich: die Welt retten. Wir sind beide nackt und liegen auf einem antiken Bett. Es ist erstaunlich gemütlich, aber mir ist nicht zum Schlafen zumute.
Aber eines nach dem anderen. Einige werden sich sicher fragen, inwiefern wir die Welt retten, indem wir in der Zeit zurück nach Rom reisen. Am besten fange ich ganz von vorne an:

Mein schriller Klingelton riss mich aus dem Schlaf. Josh brummte neben mir etwas Unverständliches und drehte sich weg. Verschlafen suchte ich mein Handy und schaute auf das Display. Helen, meine Zwillingsschwester rief mich an. Es war ewig her, dass ich mit ihr geredet hatte, so etwa zwei Jahre haben wir uns nicht mehr gesehen. Vor zwei Jahren war ich auch das letzte Mal in London gewesen. Mich zog es schon immer ins Ausland, zuhause bleiben konnte ich mir nie vorstellen. Als Pianistin war ich ja auch viel unterwegs, und wenn ich gerade keine Auftritte hatte, mietete ich mir irgendwo eine Wohnung, oder suchte mir einen netten, und natürlich gutaussehenden Mann, der mich aufnahm. Ich hatte zwar eine kleine Wohnung in London, aber dort war ich schon ewig nicht mehr. Dort waren alle meine Sachen, die ich unterwegs nicht brauchte, und etwas Gewand. Zurzeit war ich in Australien, in Sydney, um genauer zu sein. Josh war meine derzeitige Liebschaft, nichts Festes. Das wussten wir beide und wir beide konnten gut damit umgehen.
Ich war sehr verwundert über Helens Anruf, aber trotzdem hob ich ab. „Hallo?“, meldete ich mich.
Eine Stimme voller Tränen antwortete mir. „Lacey, du musst unbedingt herkommen, bitte, ich brauche dich.“
Ich war fassungslos. Meine Schwester und ich waren grundverschieden. Wir sahen zwar gleich aus, aber unser Charakter unterschied sich komplett. Während Helen gut in der Schule war und wusste, was sie in ihrem Leben machen wollte, konnte ich lediglich gut Klavier spielen und Männer aufreißen. Sie hatte mich noch nie ernsthaft gebraucht. Warum jetzt?
Anstatt nachzufragen, wich ich alles aus. „Ich kann nicht.“ Schließlich bin ich doch auch am anderen Ende der Welt.
„Bitte, es ist dringend, ich muss mit dir reden. Ich zahl dir auch das Flugticket nur bitte komm her.“ Sie wirkte ernsthaft verzweifelt.
Ich seufzte. „Schon gut, das Ticket kann ich auch selbst bezahlen.“ Ich ging aus dem Schlafzimmer, damit Josh in Ruhe weiterschlafen konnte. „Was ist los, Helen?“, fragte ich nun doch in einen beruhigenden Ton, während ich meinen Laptop hochfuhr.
Anstatt auf meine Frage einzugehen, fragte sie mich: „Wann bist du hier? Noch heute Abend?“
Ich versuchte auszurechnen, wie spät es jetzt in London ist. Hier war es halb eins. In London musste es also so um 15 Uhr sein. Mein Laptop war endlich hochgefahren und ich suchte im Internet nach einem Flugticket nach London. Tatsächlich flog so um 6 Uhr das nächste Flugzeug, es gab sogar noch freie Plätze.
„Eher morgen früh“, antwortete ich ihr.
„Wo bist du denn überhaupt?“, fragte sie überrascht.
„Sydney.“, antwortete ich schlicht.
Am anderen Ende der Leitung war es still. Es dauerte einige Sekunden, bis sie sich wieder gefasst hatte. „Habe ich dich aufgeweckt?“
Ich buchte das Ticket und ging zurück ins Schlafzimmer. Josh war tatsächlich wieder eingeschlafen. Leise begann ich ein paar Sachen zu packen. Ich wollte nicht viel mitnehmen, weil ich damit rechnete, ohnehin bald wieder hier zu sein.
„Ja.“
„Tut mir leid.“
„Schon in Ordnung. Was ist denn passiert, dass du gerade mich anrufst?“ Meine kleine Reisetasche füllte sich zusehends mit meinem Gewand und die anderen Dinge eben.
„Ich weiß nicht, mit wem ich sonst über das reden kann. Da bist nur du.“
Ich fühlte mich geschmeichelt. Natürlich liebte ich meine Schwester über alles, aber mich störte es nur immer wieder, dass ich mit ihr verglichen wurde. „Warum nicht mit Mom oder Dad?“
„Nein! Du verstehst mich besser. Mom und Dad würden mich nicht verstehen.“
Jetzt weißt du, wie ich mich fühle. „Sag endlich mal, was los ist und warum ich so dringend nach London kommen soll.“
Helen seufzte. „Du sollst herkommen, weil ich dich brauche. Ich wollte dich fragen, ob du mich zu meinen ersten Ultraschall-Termin begleitest, ich will da nicht alleine hin.“
„Ultraschall-Termin? Soll das heißen du bist schwanger?!“
„Ja.“
„Ich bin so schnell wie möglich bei dir. Bye.“
„Danke, Lacey. Bis bald.“
„Bis bald.“ Ich legte auf und schmiss das Handy in meine Handtasche. Das waren ja mal brisante Neuigkeiten … Meine Schwester, die Vorzeigetochter unverheiratet schwanger, wie konnte das nur geschehen?
Bevor ich die Wohnung verließ, schaute ich noch kurz zu Josh hinein. Vorsichtig weckte ich ihn.
„Was ist?“
„Ich muss kurz nach London, bitte verkauf meine Sachen nicht, während ich weg bin.“ Das wäre echt doof, wenn mir das schon wieder passieren würde.
„Mhm.“
Josh schloss wieder die Augen, um weiter zu schlafen.
Ich machte mich auf den Weg zum Flughafen und checkte dort ein. Kurz später flog das Flugzeug, mit mir als davon.

Eine kurze Ewigkeit später landete ich in London. Das Wetter war regnerisch, nicht so schön wie in Sydney. Ich verfluchte mich, weil ich eine kurze Hot-Pants und Flip-Flops angezogen hatte. Ich hatte einfach nicht mitgedacht, wie schon so oft.
Mit zitternden Beinen rief ich ein Taxi. Im Auto war es schon um einiges wärmer.
„Kommen Sie gerade von der Südhalbkugel?“, fragte der Taxi-Fahrer lächelnd.
„Australien.“, antwortete ich ebenso desinteressiert lächelnd.
„Sie glauben gar nicht, wie viele Leute denselben Fehler machen wie Sie. Wo wollen Sie denn hin?“
Ich sagte ihm die Adresse meiner Schwester.
„Schönes Viertel. Sie kommen aus London, oder?“
„Ja. Aber ich besuche nur meine Schwester hier.“ Ich lehnte mich gegen das Fenster und begutachtete die Stadt. Wie wenig sich hier doch verändert hatte.
Der Taxi-Fahrer verstummte daraufhin. Fast eine Stunde später stand ich schon vor der Wohnungstür meiner Schwester. Ich klingelte Sturm.
Kurz später öffnete Helen im Pyjama die Tür. Sobald sie mich sah, fiel sie mir weinend um den Hals. „Danke, dass du wirklich hergekommen bist.“
„Keine Ursache.“ Ich habe ohnehin nur einen 22-Stunden-Flug hinter mir.
„Komm rein.“ Sie zog mich ins Wohnzimmer, dort setzte ich mich auf die Couch.
Helen ließ sich auf den Sessel gegenüber sinken. „Willst du einen Kaffee oder so?“
Ich schüttelte den Kopf, bevor ich mich in der Wohnung etwas umsah. An einer Wand hingen ein paar Fotos von ein paar Leuten, die ich nicht kannte, ansonsten waren überall Blumen oder sonstiges Gebüsch. Die Einrichtung war nicht gerade billig gewesen, aber auch nicht extravagant. Genau das, was zu Helen passte.
„Willst du mich also begleiten?“, fragte Helen noch einmal.
Mein Blick richtete sich wieder zu ihr. „Ja natürlich oder denkst du ich bin habe nur zum Spaß zweiundzwanzig Stunden ein schreiendes Baby ertragen? Warum gehst du eigentlich nicht mit dem Vater des Kindes dorthin?“
Helen ließ die Schultern hängen. „Ich hab‘ ihn noch nichts gesagt. Ich weiß ja nicht einmal, ob ich überhaupt…“ Sie ließ den Satz unvollendet.
„Ich verstehe schon. Wann ist der Ultraschall?“
„Morgen um 10. Willst du hier schlafen oder in deiner Wohnung?“
„Hier“, antwortete ich entschieden. „Wenn es dir nichts ausmacht.“
„Nein. Warte, ich zieh dir die Couch aus.“ Helen stand auf, aber ich blieb sitzen.
„Schon gut, ich kann auch so schlafen. Du solltest dich am besten ausruhen.“ Ich streifte mir die Schuhe ab und machte es mir auf der Couch gemütlich.
Helen ging wieder in ihr Zimmer, kurz darauf kam sie mit ein paar Decken und einen Polster zurück. „Hast du alles? Brauchst du noch etwas?“
„Ja. Ich komm schon zurecht. Gute Nacht.“
„Gute Nacht. Wenn du etwas brauchst, weißt du ja, wo ich bin.“
„Nein. Wo denn?“, fragte ich sarkastisch. „Geh schlafen!“
„Vergiss nicht, wer von uns die Ältere ist.“
„Um bescheuerte sieben Minuten.“ Wenigstens hab ich den besseren Namen abgegriffen, obwohl ich die ersten Tage noch gar keinen Namen hatte, da die Ärzte dachten, ich werde ein Junge. So blieb mir wenigstens der furchtbare Name Brian erspart.
Lachend ging Helen zurück in ihr Zimmer. Ich richtete mich auf der Couch zu Recht und dachte noch etwas nach.
Ich werde bald Tante, dachte ich mir. Wer wohl der Vater des Kindes ist? Hoffentlich sieht er gut aus, ich will keine hässliche Nichte oder hässlichen Neffen.
Obwohl ich müde war, konnte ich nicht wirklich einschlafen. Ich schaltete ein kleines Licht ein und ging zu den Fotos an der Wand. Das größte in der Mitte war ein Familienfoto. Helen und ich in der Mitte, Mom neben mir, Dad neben Helen. Auf diesem Foto unterschied sich nur unser Gewand. Es war schon etwas älter, da hatten wir noch dieselben langen hellbraunen Haare, aber in der Zwischenzeit hatte ich mir die Haare bis zum Kinn abschneiden lassen. Aber wir hatten dieselben, dunkelbraunen Augen, die sich kaum von der Pupille unterscheiden ließen. Nur an manchen Tagen und im richtigen Licht konnte man die satte, dunkelbraune Farbe erkennen. Ansonsten wirkten unsere Augen schwarz. Auf einem kleineren Foto daneben war unser Hund Baxter. Baxter war ein großer Dalmatiner mit vielen schwarzen kleinen Punkten. Auf einem anderen Bild waren nur Helen und ich, aber ein ganz anderes Bild erregte meine Aufmerksamkeit. Da waren Helen und viele andere Personen darauf zu sehen. Helen stand in der Mitte, zwei junge Männer, einer blond einer dunkelhaarig neben ihr. Neben den Dunkelhaarigen stand ein etwas älterer Mann, auf der anderen Seite ein Mann, den ich auf etwa Mitte 30 schätzte. Ganz am Rand standen noch eine Frau und zwei Männer, alle circa im selben Alter.
Arbeitskollegen, schätzte ich …
Müde schmiss ich mich auf die Couch. Meine Beine hingen zwar an der hinteren Lehne über, aber ich nun schlief nach kurzer Zeit ein.

„Bist du aufgeregt?“, fragte ich sie am nächstem morgen im Auto. Das teure Auto parkte gerade ein. Woher sie wohl das Geld hatte? Wenn ich ehrlich war, wusste ich nicht einmal, wo Helen arbeitete. Mich hatte es nie interessiert, genauso wenig wie es Helen interessierte, wo ich mich gerade aufhielt.
„Wie könnte ich es nicht sein?“
Ich stieg aus dem Auto aus, angeschnallt hatte ich mich ja nicht, im Gegensatz zu Helen, und ging zum Eingang.
Es war kalt. Ich hatte nur einen dünnen Pulli an. Wie gesagt, ich hatte meinen warmen Sachen in Australien gelassen. Helen trug einen Designer-Mantel, der dieses Jahr besonders modern war. Woher nahm sie denn nur das Geld?
Nervös sah sich Helen um, als ob sie jemand verfolgte.
Ich öffnete die Tür der Praxis und hielt sie ihr auf. In ihrem Gesicht bemerkte ich ihre Anspannung und Nervosität.
Der Warteraum war leer und es roch mir zu sehr nach Arzt. Ich hasste Ärzte, jede Art davon.
„Du schaffst das schon Helen“, sagte ich zu ihr, nachdem wir uns hingesetzt hatten.
Sie erwiderte nicht das Geringste, sie starrte lediglich das hässliche Bild an der Wand an.
Plötzlich kam der Arzt herein und rief sie auf.
Helen stand mit zitternden Beinen auf, ich folgte ihm schweigend.
Der Arzt gab sich freundlich. Mich wunderte es nur, warum niemand sonst in der Praxis war. Nur der Arzt war hier. Gab es in solchen Praxen keine Helferinnen oder so?
„Setzen sie sich bitte hierhin.“ Er deutete auf einen Stuhl neben den Stuhl für die Ultraschalls. „Und Sie, Miss Burton, bitte hier.“ Damit meinte er Helen und den Stuhl für die Ultraschalls. Hatte so ein Stuhl eigentlich einen richtigen Namen oder nennt ihn jeder Stuhl für die Ultraschalls?
Hm… Muss ich googlen.
„Wissen Sie, wie lange sie schon schwanger sind, Miss Burton?“
„Etwa 90 Tage.“
„Gut, dann schauen wir mal.“ Der Arzt schmierte Helens Bauch mit dieser Ultraschall-Paste ein und setzte dann dieses komische Gerät an ihren Bauch. Wenn man genauer hinsah, konnte man ihren Bauch sogar schon erkennen.
Er fuhr mit diesen Dings auf ihr herum, auf dem Bildschirm war das schwarzweiße Ultraschallbild zu sehen. Nebenher konnte man den unregelmäßigen Herzschlag des Ungeborenen hören. Ich hab Helen noch sie so gesehen. Wie gebannt starrte sie auf den Bildschirm, obwohl ich nichts erkennen konnte.
„Dem Kind geht es hervorragend. Keine Missbildungen. Und“ Der Arzt setzte ein Lächeln auf. „Herzlichen Glückwunsch, Sie werden Mutter eines kräftigen Jungen.“
Helen nickte kaum merklich. Der Arzt drückte ihr ein paar Ultraschall-Bilder in die Hand, die Helen, ohne sie auch nur anzusehen, in ihre Handtasche steckte. Danach sah sie mich traurig an. In ihren befanden sich Tränen, die nur darauf warteten aus ihren Augen zu schießen.
Die beiden besprachen noch andere Dinge, die die Schwangerschaft angingen. Ich hörte nicht wirklich mit, nur so mit einem Ohr. Sie redeten ohnehin nur Sachen, die für mich uninteressant waren.

Impressum

Bildmaterialien: http://booombubble.deviantart.com/art/Eine-Blume-im-Wind-347038447
Tag der Veröffentlichung: 30.12.2012

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