Vorstellung des Autors:
Am besten kann sich dieser Autor selbst beschreiben:
„Mein Name ist Mehmet Akyazi, ich bin 17 Jahre alt und immer noch gesetzlicher Doppelbürger. Geboren wurde ich in Duisburg, jedoch kommen meine Eltern aus der Stadt Ordu in der Türkei. Deswegen leide ich an Persönlichkeitsstörungen, die andere Leute für Satire halten. Mein ganzes Leben wurde nur dadurch bestimmt, dass ich am falschen Ort geboren wurde. Trotz allem glaube ich aber immer noch an die Menschheit. Für mich ist es nicht wichtig, wo du herkommst, sondern wie viel Scheiße du im Kopf hast (Ich hab ganz viel davon!). Außerdem mag ich Tomatensuppe.“
BookRix25 mit Mehmet Akyazi
Hallo!
1. Hört sich nicht an, als seist du hier glücklich. Was meinst du mit "sehr viel Scheiße in meinem Kopf"?
Eigentlich bin ich ein sehr glücklicher Mensch. Die Scheiße in meinem Kopf ist eher ironisch gemeint. Wenn ich geschrieben hätte, meine Geschichten wären von göttlichen Händen kreiert worden, dann hätte sie keiner mehr gelesen, weil mich jeder für zu hochnäsig gehalten hätte. Um etwas zu beweisen, muss man halt immer das Gegenteil darstellen.
2. Wie willst du damit umgehen?
Aus der Scheiße in meinem Kopf werden entweder neue Kurzgeschichten oder meine Hausaufgaben.
3. Was kannst du aus deinem Leben machen?
Ich kann aus meinem Leben nichts machen, das Leben macht mich. Das Leben wird nämlich zum Großteil angetrieben durch irgendwelche Zufälle. Deshalb mache ich mir auch keinen Kopf darum was ich genau aus meinem Leben machen werde, sondern lasse einfach alles auf mich zukommen.
4. Hast du eine Berufsvorstellung und die entsprechenden Vorbedingungen?
Wo du geboren bist ist nicht wichtig, sondern du musst wissen, wo dein Leben zum Wohle deiner Mitmenschen stattfinden soll! Ich wünsche dir, die richtige Entscheidung zu treffen!
Eine konkrete Berufsvorstellung hab ich immer noch nicht. Erst einmal möchte ich mein Abi in der Hand halten, um dann für eine gewisse Zeit endlich Ruhe zu haben. Diesem ganzen Druck konnte ich nicht immer Stand halten. Vielleicht will ich aber später etwas in Richtung Gesellschaftswissenschaften studieren, aber das nur, weil es mich wirklich sehr interessiert. Ich finde die Handlungen und Denkweisen der Menschen einfach faszinierend. Des Öfteren finde ich sie auch lustig. Zum Beispiel provoziere ich gerne Leute, um zu gucken, wie sie darauf reagieren. Die gleiche Eigenschaft hat auch mein Vater, der aber zurzeit Stahlarbeiter ist. Vielleicht werde ich dann später auch einer. Und wo mein Leben zum Wohle meiner Mitmenschen dienen soll, weiß niemand, denn der Begriff „Wohl“ ist nicht eindeutig definiert. Wenn meine Mitmenschen es gut finden über Rot zu gehen, dann ist das in der Situation ihr Wohl. Wenn ich aber dann sage: „Normalerweise geht man über Grün“, dann empfinden sie meine Aussage als Unwohl. Es muss also nicht unbedingt richtig sein, was meine Mitmenschen für ihr Wohl halten. Daher ist diese Aussage auch leicht faschistisch und überhaupt nicht richtig. Deshalb wünsche ich dir, von dieser Einstellung wegzukommen!
5. Fühlst Du Dich häufig eigentlich verstanden von Deinen Lesern?
Definitiv nicht. Ein Paradebeispiel dafür ist „Der Doppelbürger“. Viele gaben mir ein Feedback, dass ich das Leben der Türken und Deutschen haargenau so beschrieben hätte wie es in der Wirklichkeit ist. Aber das stimmt nicht. Ich hab einfach ein paar dumme (sogar ausgedachte) Vorurteile genommen und ironisch verschiedene Situationen beschrieben. Satire funktioniert in meinen Augen so: Man beschreibt ironisch etwas als richtig, was eigentlich im Kern falsch ist. Aber wenn die Leute die Ironie nicht erkennen, sondern autobiographische Züge darin erkennen, dann kann ich denen auch nicht mehr weiter helfen. Natürlich gibt es auch durchaus Kurzgeschichten, wo ein paar autobiographische Züge mit drin sind, aber da war es nicht mein Ziel, die Wirklichkeit so zu zeigen, wie sie ist, sondern wie sie nicht sein soll.
6. Wie bist Du zur Literatur gekommen?
Früher beschwerte sich mein Vater immer, dass ich kaum etwas lese. Ich hatte bis zu meinem 13. Lebensjahr nicht ein Buch ohne Zwang gelesen. Selbst solche Kinderbücher oder Märchen wurden mir als kleiner Bengel nie vorgelesen, da meine Eltern nicht so gut Deutsch konnten. Jedoch lieh sich mein Vater eines Tages mal ein Buch aus der Stadtbibliothek für mich aus. Es war eine deutsch-türkische Satire von Osman Engin. Er wollte damit mein Interesse wecken, was er auch durchaus geschafft hat. Immer mehr Bücher habe ich von Osman Engin gelesen. Ich konnte seiner ironischen Art und Weise einfach nicht widerstehen. Ein türkischer Vater erzählte immer von seinen Erlebnissen und den Problemen in seinem Leben. Dort gab es einen missratenen Sohn, der ebenfalls Mehmet hieß. Dieser Charakter gefiel mir am meisten, jedoch kam er nicht immer vor. Und da Osman Engin aus der Perspektive eines türkischen Vaters schrieb, wollte ich es mal aus der Sicht eines türkischen Sohnes versuchen. Die Idee blieb mir zwar lange in meinem Kopf, aber mir war nicht bewusst, wie ich es umsetzen sollte. Die ersten Geschichten habe ich dann als Hausaufgabe in der Schule vorgelesen, mit mäßigem Erfolg. Dies reichte mir aber nicht aus und ich wollte mehr Leser erreichen. Deshalb stellte ich sie in das Internet rein und den Rest kennt ihr ja. Nun ähneln sich meine Geschichten kaum noch denen von Osman Engin, da die Entwicklung etwas in eine radikalere Richtung ging.
7. Was glaubst Du, wie alt ist Deine Leserschaft?
Ich hoffe, zwischen 16 und 19 (weiblich). Ich denke, zwischen 20 und 90 (beides). Über das Alter mach ich mir wirklich keine Gedanken, weil es überhaupt nicht wichtig ist. Wenn ich aber irgendwann mal Lesungen geben sollte, dann würde ich mich natürlich mehr über jüngere und attraktivere Frauen freuen.
8. Möchtest Du mit Deiner Literatur die Welt verändern? Ja, das ist jetzt vielleicht hoch gegriffen, aber Du weißt sicher was ich damit ausdrücken will.
Auf jeden Fall! Und ich finde die Frage überhaupt nicht hoch gegriffen. Ich will etwas verändern in dieser Welt und sei es mit Büchern. Die Menschen sollen endlich die Ungerechtigkeit erkennen. Niemand ist mehr oder weniger wert als der Andere. Es gibt zu viele sinnlose Sachen, die uns trennen. Zu viele Sachen, die uns von den echten Problemen ablenken. Mit meinen Büchern will ich diese Sachen kritisieren, in dem ich mich über sie lustig mache. Der Erfolg ist nicht so wichtig, Hauptsache ich habe etwas getan!
9. Im Satirebereich nimmt man ja gerne recht krasse Positionen ein oder lässt seine Helden drastische Meinungen haben. Bist Du dabei schon mal Deiner Meinung nach zu weit gegangen?
Ja und des Öfteren wurde ich sogar darauf hingewiesen. Zum Beispiel hielt es Jemand mal für übertrieben, dass das lyrische Ich in meinen Geschichten seinen eigenen Vater als Kanaken bezeichnete. Aber eigentlich ist das doch gar nicht so schlimm, denn schließlich darf doch ein Kanake einen Kanaken als Kanaken bezeichnen. Aber manchmal schrieb ich auch selber Sachen, wo ich mir dann dachte: „Das sollten die Leser lieber nicht lesen.“ Manchmal war es zu klischeehaft gegenüber anderen Ethnien oder die Interpretation ging einfach in die falsche Richtung.
10. Schreibst Du auch außerhalb des „Migrationsgenre“?
Ja, aber nicht bei Bookrix. Bei BookRix sollen die User nur einen Memo im Kopf haben. Es spielt immer der gleiche Charakter, mit seiner etwas quergehenden Denkweise. Wenn ich nun Geschichten aus einem anderen Genre reinstellen würde, dann wäre die Einheit meiner Kurzgeschichten weg. Die ähneln sich ja alle, wie bei einem richtigen Buch.
11. Woher beziehst Du Deine Inspiration? Wirklich aus dem erfahrenen Leben oder eher das, was andere annehmen, dass ein türkischstämmiger Jugendlicher wohl so als Alltag erlebt?
Beides eigentlich. Wenn man mit zwei Kulturen aufwächst, dann kann man die Unterschiede leichter heraus erkennen. Aber das was die Leute schon selber bemerken, darf natürlich auch nicht fehlen. Es ist also eher ein sinnloser Misch von beidem.
12. Meinst Du, dass Migrationsliteratur DAS neue Genre ist mit Boom und allem drum und dran? Von wegen, „Heimatroman“ war gestern, ab heute heißt es „Neue Heimat“?
Ich hoffe nicht, sonst verliere ich nämlich den Spaß daran. Sobald es zu einem Boom wird, versucht dann jeder Depp etwas darüber zu schreiben. Aber den meisten wird es dann nicht mehr um das Ziel gehen, sondern eher um den Erfolg. Wer wirklich von etwas überzeugt ist, der fängt schon an, bevor es ein Thema wird.
13. Du bist recht jung und hast wahrscheinlich noch viel vor, gehört da eigentlich schreiben überhaupt dazu?
Mit Schreiben mache ich mir jetzt nicht allzu viele Hoffnungen. Ich kann einfach nicht darauf meine Zukunft aufbauen, da es mir keine echte Sicherheit anbietet. Ich möchte schon auf meinen eigenen Beinen stehen. Irgendwas mit Familie und so.
14. Welche Stellung nimmt Bildung Deiner Meinung nach ein? Ist sie überhaupt für etwas gut, nur ein Statussymbol oder aber das höchste Gut überhaupt?
Bildung ist das höchste Gut überhaupt, jedoch werden wir in der heutigen Zeit nicht wirklich richtig gebildet. Es wird zum Beispiel viel zu viel Wert auf Naturwissenschaften gelegt. Ganz viele meiner Schulkollegen haben überhaupt keine Ahnung vom richtigen Weltgeschehen. Die Sprache steht mittlerweile auch eher im Hintergrund. Man bringt den Schülern nur noch das bei, was später der Wirtschaft vom großen Nutzen sein wird. Man lernt, wie bestimmte Maschinen von innen aussehen oder wie der Gewinn eines Unternehmens errechnet wird. Bisher spielte in meiner Schullaufbahn die Statistik ständig eine ganz wichtige Rolle. Aber was hat das noch mit Bildung zu tun? Die Schüler werden zu gefühllosen Bestien erzogen, die nur wissen sollen, wie man die Produktivität im Land steigert. Die meisten Schüler wollen selbst nach eigener Aussage nur eine gute Qualifikation ergattern, um später einen besseren Beruf anzustreben. Jedoch geht mir allein da schon der Sinn von Bildung verloren. Man lernt doch nicht, um einen Job zu kriegen, man lernt für sich. Die meisten haben es nicht.
15. Was ist für Dich große Literatur?
Literatur, die das Leben vieler Menschen verändert. Wenn Millionen von Menschen nur von ein paar Schriftstücken in ihrem Denken und Handeln bewegt werden, dann hat die Literatur ihren Sinn erfüllt. Solch eine Literatur vergisst man auch nicht so schnell, im Gegensatz zu den heutigen Kommerz-Büchern, deren Sinn die Autoren selbst noch nicht herausgefunden haben.
16. Gibt es ein Buch für Dich, welches Deiner Meinung nach jeder gelesen haben sollte? Und wenn ja, wieso?
Man kann nicht sagen, jeder sollte ein bestimmtes Buch gelesen haben. Was mir gefällt, gefällt anderen nicht, vor allem das was mir gefällt! Wenn ich ein bestimmtes Buch empfehlen würde, dann würde der Anschein entstehen, dass ich die Denkweise der Menschen in eine bestimmte Richtung lenken will. Sowas mach ich nicht, jeder sollte das lesen, was er will und nicht das, was andere wollen. Trotzdem sollte mal jeder ein Blick auf die Bücher seiner eigenen Religion geworfen haben, denn dann wäre man 1. informiert und 2. nicht mehr gläubig.
17. Und, lebt Deine Großmutter noch (zumindest eine)? Und was war an ihr besonders?
Beide Großmütter leben zurzeit noch in der Türkei. Da ich sie nur alle zwei Jahre zu Gesicht bekomme sind beide etwas ganz Besonderes ;)
18. Was hältst Du vom Begriff der Reife? Innerhalb des Internets begegnet man ja durchaus Menschen außerhalb seines eigenen Alters und muss diese gezwungenermaßen einschätzen.
Das Internet sagt gar Nichts über einen Menschen aus. Viele schreiben nämlich anders, als sie in Wirklichkeit sind. Deshalb kann man auch Reife nicht im Internet erkennen. Wer hierbei aber noch Unterschiede zwischen Alter oder Geschlecht herauspickt, der sollte mal über seine Denkweise nachdenken. Zu mindestens im Internet sind nämlich alle gleich.
19. Was schätzt Du an Dir überhaupt nicht?
Manchmal handel ich sehr ungestüm. Dies liegt wahrscheinlich an meinen türkischen Genen. Wir handeln einfach ohne nachzudenken. Sowas trägt immer Konsequenzen mit sich und in den meisten Fällen versuche ich mich auch noch zu rechtfertigen. Sturheit ist nämlich ebenfalls mit drin.
20. Was ist Deiner Meinung nach Deine beste Eigenschaft?
Mein Durchsetzungsvermögen, getrieben durch die Sturheit eben. Wenn ich etwas wirklich will, dann kämpfe ich so lange dafür, bis ich es kriege. Wenn ich es nicht kriege, wird es ein endloser Kampf.
21. Was bist Du sonst noch? Gibt es noch eine Nebentätigkeit zum migrationshintergründigen Jungschriftsteller?
Nebenbei bin ich auch noch ein charismatischer Nachhilfelehrer für hilfsbedürftige Schülerinnen. Für 8 Euro die Stunde kann man mich mieten. Mein Job mache ich zwar scheiße, jedoch bin ich auf das Geld angewiesen.
22. Wenn du die Möglichkeit hättest einen Menschen deiner Wahl zu treffen (egal ob lebend oder nicht, wahrscheinlich prominent), wer wäre das und warum?
Ich hätte gerne einmal Rosa Luxemburg getroffen. Einfach weil ihre Taten und Werke mich sehr beeindruckten. Viele ihre Vorhersagen haben sich erfüllt, da sie die Entwicklung der politischen Geschehnisse sehr gut einschätzen konnte. Obwohl sie selber relativ pazifistisch eingeschätzt war, wurde immer brutal mit ihr umgegangen. Am Ende wurde sie dann von ihren Feinden auf eine scheußliche Art und Weise hingerichtet. Manche Gegensätze in ihren Werken werden bis heute noch diskutiert, was auch gewisse Fragen offen stellt, die sie mir bei einem Treffen beantworten könnte. Sie bleibt jedoch ein Herzstück der Arbeiterbewegung und ist für mich deshalb einer der bedeutendsten Frauen in Deutschland gewesen.
23. Wie sieht ein perfekter Tag für dich aus?
Mein perfekter Tag sieht so aus: Ich liege mit 6 russischen Frauen voll berauscht im Bett, während im Fernsehen eine Dokumentation über Giraffen läuft. Aber wenn ich solch einen Tag erleben würde, dann wären all die anderen Tage für mich sinnlos.
24. Welche Frage wünschst Du Dir mal beantworten zu können? (Vielleicht willst Du ja die Gelegenheit beim Schopfe packen und es jetzt versuchen?)
Warum können die Menschen nicht einfach friedlich miteinander leben?
(Meine Antwort: Weil es immer noch Affen unter uns gibt!)
Danke für das tolle Interview!
Das Interview wurde von Ai.Hua geführt.
Neben den Dank an Memo, gilt unser Dank vor allem den Usern, die mit ihren Fragen das Interview möglich gemacht haben.
Memo52's Profil:
http://www.bookrix.de/-memo52
Tag der Veröffentlichung: 27.04.2010
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