Mitten im Zauberwald erhebt sich ein weißer Berg, davor befindet sich eine große Lichtung, die vom Frühjahr bis zum Spätherbst voll schöner Blumen steht. Das ist das Reich der Blumenelfen. Blumenelfen kümmern sich um das Wohl der Pflanzen und haben deshalb ständig zu tun. Die Blumenelfen leben vom Nektar der Blüten, sind mit Blättern und Blüten gekleidet und haben Flügel wie Schmetterlinge, je nach Geschmack in weiß, blau, orange oder ganz bunt. Weil es im Winter keine Blumen gibt, halten die Elfen dann Winterschlaf in einem Eichhörnchenkobel. Doch wenn die Sonne im Frühjahr wieder hoch am Himmel steht und in den Kobel scheint, kitzelt sie mit ihren Strahlen die Blumenelfen wach - und mit dem Erwachen der Elfen erscheinen die Frühjahrsblumen auf der Lichtung.
Vor langer Zeit, als die Blumenelfenkönigin Rosa Grandiflora noch eine Prinzessin war, die Rosa genannt wurde, bewarben sich viele Prinzen aus verschiedenen Elfengeschlechtern um sie zu freien. Auch der Zwergenkönig Schlagstark der Zweite, der im weißen Berg lebte, war darunter. Aber den wollte Prinzessin Rosa nicht, weil er ein grobes Benehmen hatte und tief im Berg lebte, wo kein Strahl Sonne hingelangte. Dort zu leben war für Rosa eine schreckliche Vorstellung und deshalb wies sie die Werbung des Zwergenkönigs schroff zurück.
Rosa entschied sich für den jungen Baumelfenkönig Zilpzalp, der ein braunes Gefiederkleid trug und kleine Vogelflügel auf dem Rücken hatte. Zilpzalps Reich waren die Bäumen, die die Blumenlichtung bis zum weißen Berg umringten. Durch die Hochzeit wurde Prinzessin Rosa zur Königin der Lichtung und bekam den Beinamen Grandiflora.
Weil mit der Hochzeit zwei Elfengeschlechter miteinander verwandt wurden, sollte sie besonders ausgiebig gefeiert werden. Doch bei dem Fest fielen große weiße Steine vom weißen Berg auf die Lichtung und zerstörten Blumen und Pflanzen und einige Blumenelfen waren nicht mehr zu finden. Viele waren überzeugt, dass sie von Schlagstark gefangen gehalten wurden, weil er über die Ablehnung seiner Brautwerbung empört war.
Schnell hörte man Stimmen die sagten: "Wir Blumenelfen sind das Gute und Schöne. Nur Gute sollten im Zauberwald leben. Zwerge sind böse."
Der Große Elfenrat beschloss, Prinz Tormentill, ein Bruder der Königin, den alle nur Tormi nannten, als Kundschafter auszusenden um die verschwundenen Elfen zu suchen.
Voller Sorge verabschiedete sich die Blumenelfenkönigin von ihrem geliebten Bruder. Er riss sich ein sechsfingriges grünes Blatt und eine vierblättrige gelbe Blüte aus seiner Brust, genau von der Stelle, an der sich sein Herz befand und steckte es seiner Schwester in das schöne Elfenhaar.
"Falls ich nicht wiederkomme, schenk das Blatt deinem ersten Kind zum 13. Geburtstag und behalte die Blüte." bat er sie.
"Es lässt uns in Verbindung bleiben, weil die Macht der Liebe unendlich ist und man nur der Erinnerung bedarf um sie zu spüren.".
Dann flog Prinz Tormentill hoch in die Luft und war schon bald nicht mehr zu sehen. Tage vergingen, aber Prinz Tormentill kehrte nicht wieder. Weil aber keine neuen Steine mehr vom weißen Berg herunterfielen, zog wieder das normale Leben im Elfenreich ein, aber Königin Rosa blieb traurig.
Doch zur Trauer kam auch wieder Freude in ihr Leben, denn mitten im Sommer, als das Gänsefingerkraut blühte, kam ihr Sohn zur Welt. Weil er nach der Mutter kam und ein Blumenelf war, erhielt er den Namen Potentill, doch alle Elfen riefen ihn nur Poti. Prinz Poti entschied sich für Flügel, die in der Sonne gelb leuchteten. Liebevoll behütet wuchs er auf der Lichtung auf, lernte was ein Blumenelf alles wissen muss und lernte auch viel von dem, was ein Baumelf wissen muss. An seinen Händen waren je sechs grüne Fingerchen, mit denen er wunderschön die Flöte spielen konnte und oft schwebten seine Melodien über die Lichtung durch den Zauberwald und erfreuten alle, die sie hörten.
Prinz Poti war fröhlich und wissbegierig und hätte eigentlich glücklich sein müssen, wäre da nicht sein Gefühl gewesen, dass es noch etwas gab das man ihm vorenthalten hatte.
An seinem 13. Geburtstag trat seine Mutter mit ernstem Gesicht vor ihn hin. In den Händen hielt sie ein hübsches grünes Hütchen mit einem grünen Blatt an der Seite. Das war das Geburtstagsgeschenk für Poti und unter Tränen erzählten ihm die Eltern von Prinz Tormentill, der auszog das Elfenreich zu retten und nicht wiederkehrte.
Poti sprach: "Ich muss herausbekommen, was mit Onkel Tormi geschehen ist" und setzte sein neues Hütchen auf.
Da hörte er, wie ein Vogel auf der Fichte ein Lied sang:
Nimm Abschied Prinz, verlasse die Lichtung
folge dem Blatt, es zeigt dir die Richtung
öffne die Augen und öffne dein Herz
so lernst du schätzen Freude und Schmerz
die das Leben uns allen bereitet
und wirst am Ende zum Onkel geleitet
Such als Erstes die Morgenröte
das fällt dir nicht schwer, spielt du die Flöte
bedenke auch alles, was du erlebst
damit du dich nicht über andre erhebst
suche dein Vorbild, doch sperr es nicht ein
wenn es nicht mehr gehalten will sein.
Der Prinz verabschiedete sich von seinen Eltern, griff das Blatt vom Hütchen und hielt es in den Wind. Langsam flog das Blatt in den Zauberwald. Dem Elfenprinz schien es, als ob das Blatt manchmal auf ihn warten und erst weiterfliegen würde, wenn er herangekommen war.
An einem See senkte sich das Blatt und der Elf landete auf einem Baumstamm. Da hörte er ein fröhliches Kichern. Er sah sich um und bemerkte auf einer gelben Seerose eine andere Elfe, die sich durch Libellenflügel von den Elfen seines Tales unterschied.
"Hallo Prinz Potentill, was führt dich in mein Uferreich, möchtest du deine Verwandten besuchen?"
Der Elf freute sich, endlich seine Tante Seerose, die Königin des Seeufers kennen zu lernen. Bald war er von vielen Uferelfen umringt, die alle auf ihn einredeten und sich nach Elfen von der Blumenlichtung erkundigten. Der Elfenprinz musste viel erzählen und als er alle Fragen beantwortet hatte, dachten die Uferelfen darüber nach, wie sie ihm bei seiner Suche helfen könnten. Königin Seerose erinnerte sich:
"Mir hat einmal eine Taube erzählt, dass hinter dem Zauberwald eine besondere Zwergin im letzten Haus des Dorfes wohnt. Jeden Morgen soll sie die Morgensonne mit einem wunderschönen Lied begrüßen bevor sie ins Bett geht, obwohl Zwerge das Sonnenlicht sonst meiden. Deshalb finden die Zwerge in ihrem Dorf sie auch komisch und rufen sie Morgenröte. Aber ich meine, wenn sie es liebt, morgens der Sonne zuzusehen, wie sie aufgeht, dann ist das so wie bei uns, wenn wir Elfen uns am Anblick des aufgehenden Mondes erfreuen, bevor wir dann schlafen gehen."
"Ich glaub", sagte der Elfenprinz, "das ist die Morgenröte, von der der Vogel gesungen hat. Da muss ich hin!"
Ein bunter Erpel, der in der Nähe war und alles mit angehört hatte, kam angeschwommen und sprach: "Setz dich auf meinen Rücken Prinz Potentill, ich bringe dich hinüber. Die Sonne wird bald aufgehen, das schaffst du mit deinen kleinen Flügeln nicht."
Da verabschiedete sich der Blumenelf von den Uferelfen, kletterte auf den Entenrücken und wurde über den Zauberwald bis zu dem Zwergendorf geflogen. Beim letzten Haus setzte der Erpel zur Landung an.
"Jetzt pass auf", flüsterte er, "gleich geht die Sonne auf."
Der Elfenprinz blickte über den See und sah, wie ein heller Schein sich über dem Wasser erhob und langsam die rote Sonne am Himmel aufstieg. Es war nicht zu sagen, was schöner war, der Anblick der Sonne oder die helle Stimme, die plötzlich zu hören war. Schnell begriff der Elf die Melodiefolge, nahm seine Flöte und begleitete die Stimme. Als gelber Sonnenschein über dem Wasser stand, endete der Gesang.
"Vielen Dank, dein Flötenspiel war sehr schön." Prinz Potentill drehte sich um und sah eine Zwergin mit blonden Zöpfen. Auf dem Kopf trug sie eine rote Mütze und über ihrem blauen Kleid eine weiße Schürze. Sie hatte runde rote Wangen, eine Stupsnase und in ihren Augen glitzerte es lustig. Der Elf stellte sich vor und erzählte ihr die Geschichte von seinem verschwundenen Onkel, wie er sie kannte.
"Ich glaube dir, was euch Blumenelfen geschehen ist", sprach Morgenröte. "Aber ich glaube nicht, dass der Zwergenkönig so hinterhältig ist. Da muss etwas anderes dahinter stecken. Deshalb komme ich mit dir, Prinz Potentill, die Ehre des Zwergenvolkes zu retten."
Der Elf war schon von seiner Geschichte überzeugt, sah aber ein, dass es keinen Sinn hatte, jetzt mit der Zwergin zu streiten.
Morgenröte umarmte den Erpel und dankte ihm, dass er den Elfenprinzen zu ihr gebracht hatte.
Sie sagte: "Mein Lieber, jetzt musst du aber schnell zu deinem See zurückfliegen, ich rufe gleich den Reinecke, er ist das klügste Tier des Waldes, aber es wäre dumm, dich mit ihm bekannt zu machen. Dafür liebt er den Entenbraten zu sehr."
Aufgeregt schnatternd verabschiedete sich der Erpel und flog davon. Die Zwergin legte zwei Finger an die Lippen, stieß einen grellen Pfiff aus und nach kurzer Zeit kam der Fuchs angesprungen. Sie besprach sich mit dem Fuchs und der überlegte:
"Ich glaube, die Bärin kann uns etwas darüber erzählen, wir müssen sie nur bei Laune halten."
Er streckte seinen schönen roten Schwanz aus und sagte: "Setzt euch und los geht es."
Zwergin und Elf machten es sich auf dem prächtigen Schwanz bequem und ehe sie es versahen, standen sie vor einem alten Lindenbaum, in dem ein großes Bienenvolk lebte.
"Wir müssen der Frau Petz ein Geschenk mitbringen", sagte der Fuchs "und was ist für einen Bären schöner als Honig? Morgenröte, Du singt und lenkst die Bienen ab und du Elf, holst eine große Honigwabe aus dem Nest. Wir treffen uns dann hinten bei den drei Tannen."
Während der Blumenelf hoch in die Luft flog um nach dem Bienennest Ausschau zu halten rief der Fuchs die Bienen.
"Hallo ihr fleißigen Summer, macht eine kleine Pause und erfreut euch an dem Gesang der großen Künstlerin Morgenröte. Sie ist extra zu euch gekommen, um euch für die fleißigen Blütenbesuche zu danken, die eine gute Ernte ergeben werden."
"Das finden wir schön", summte es im Lindenbaum, "endlich wird unsere Arbeit anerkannt, alle anderen wollen nur unseren Honig."
Morgenröte wurde vor Scham ganz rot, es tat ihr leid, dass die Bienen beschwindelt wurden, deshalb begann sie gleich, ihr schönstes und längstes Lied zu singen. In der Zwischenzeit flog der Elf in das Bienennest und suchte nach einer großen Honigwabe. Mitten im Nest sah er eine riesiggroße Biene, das war die Bienenkönigin Imme Regina. Der Blumenelf dachte: Jetzt hat mein letztes Stündlein geschlagen.
Die Bienenkönigin fragte: "Blumenelf, was suchst du in meinem Stock?"
Er erzählte seine Geschichte und die Königin Imme Regina summte. Da kamen aus dem hinteren Teil des Nestes einige Arbeitsbienen mit einer großen Honigwabe angeflogen.
"Wo sollen wir das hinbringen?", fragten die Arbeitsbienen ihre Königin.
Die Königin erklärte dem Blumenelf: "Es ist auch in unserem Interesse, denjenigen zu fangen der die Blumen zerstört und die Elfen entführt hat, denn wir Bienen brauchen die Blühpflanzen der Lichtung zum überleben."
Sie gab dem Elf auch noch einen goldenen Bienenstachel und sprach: "Wenn die Zeit gekommen ist wird er eine Hilfe für dich sein. Jetzt aber geh wieder, denn ich möchte noch von dem schönen Gesang noch etwas hören."
Froh flog der Elf in Begleitung der Arbeitsbienen zu den drei Tannen. Dabei achtete er sehr darauf, dass sie keinen Honig verloren.
Als Morgenröte alle ihre Lieder gesungen hatte, klatschten die Bienen mit ihren Flügeln Beifall, riefen Bravo und bewarfen sie mit Blütenpollen.
Der Fuchs streckte seinen Schwanz aus und eh sie es sich versah, waren sie bei den drei Tannen angelangt, wo der Elf und seine Begleiter schon auf sie wartete.
"Das ist ja ein überraschender Verlauf unseres Vorhabens", sagte der Fuchs. "Du musst eine sehr starke Magie in dir haben."
"Ja", summten die Bienen, "er hat die magische Kraft des reinen Herzens."
"Ja, das stimmt", erwiderte Morgenröte erleichtert.
"Gut, gut", maulte der Fuchs, "ich bin ja eigentlich auch lieber ehrlich, das mit meinen Schwindeleien wird viel zu übertrieben."
Morgenröte kicherte und sagte: "Hör lieber auf, Fuchs, das glaubt dir ohnehin keiner. Du bist trotzdem mein guter Freund."
Da war der Fuchs zufrieden und begann, den anderen seine Strategie zu erklären. Der Fuchs lief mit der Zwergin auf dem Schweif voran und der Elf in Begleitung der Bienen flog hinterher, bis sie vor einem grauen Fels standen, in dem eine Höhle war.
Die Bienen flogen vor den Höhleneingang und ließen einen großen Tropfen Honig auf die Erde fallen. Es dauerte nicht lange und eine große braune Bärin erschien im Höhleneingang.
"Hmm, lecker Honig", brummte sie und begann den Tropfen aufzulecken.
Reinecke Fuchs stellte sich vor sie: "Bärbel-Bärchen, du kannst noch mehr Honig bekommen, wenn du mir die Frage beantwortet, was dich vor 13 Jahren aus der Höhle im weißen Berg vertrieben hat."
Die Bärin erwiderte: "Das ist sehr traurig für mich und ich mag deshalb nicht darüber reden. Aber meine Jungen sollten auch von dem gutem Honig bekommen und irgendwann muss ich ihnen die Geschichte ja erzählen."
Sie rief ihre zwei Jungen herbei und alle setzen sich in einen Kreis. Die Bienen verteilten den Honig und setzen sich danach Prinz Potentill auf die Schultern, damit das Summen ihrer Flügel die ernste Stimmung nicht störte.
"Damals war ich noch ein kleines Bärenkind und lebte mit meinen Eltern in einer schönen Höhle im weißen Berg am Rande der Blumenlichtung. Meine Eltern waren mit dem Zwergenkönig Schlagstark befreundet und wir wurden manchmal von ihm besucht. Er brachte mir dann immer etwas mit, eine große Wurzel zum knabbern oder einen runden Stein zum spielen. Doch eines Tages erschien ein Eisdrache vor unserem Berg. Der Drache schlug mit seinem eisigen Schweif gegen den Berg, da brachen große Brocken des weißen Quarzes ab und flogen hoch durch die Luft. Von der anderen Seite des Berges kamen Blumenelfen herüber um sich zu beschweren. Aber das störte den Drachen nicht, er tippte die kleinen Elfen mit einer Kralle an und sie wurden bewegungsunfähig. Meine Eltern versuchten mit Hilfe der Zwerge unsere Höhle mit Steinen, Ästen und Holz zu verschließen, aber bevor sie fertig wurden, schlug der Eisdrache mit seinem starken Schwanz um sich und zerstörte das Bollwerk. Da blieb meinen Eltern nichts weiter übrig, als sich dem Kampf mit dem Eisdrachen zu stellen, damit Schlagstark der II. mich tief im Höhleninneren in Sicherheit bringen und die Zwerge die Höhle nochmals verschließen konnten. Mit seinem eisigen Atem hauchte der Eisdrache meine Eltern an und sie erstarrten zu Eis. Dann schlug er mit dem Schweif gegen die zu Eis Erstarrten und sie zersprangen in tausend Stücke. Alles schien verloren, da tauchte ein Blumenelfenprinz mit Namen Tormentill auf und beriet sich mit dem Zwergenkönig. Die Zwerge des Berges hämmerten und schliffen dann nach seinen Anweisungen an einem durchsichtigen Quarzstück, bis es eine flache, gebogene Form hatte und der Elfenprinz musste in der Zeit viele Steine fliegend durch die Höhlen transportieren, die eine Stunde nach links, die andere Stunde nach rechts. Das nannten sie Training. Die Ameisen servierten ihm den süßesten Honig am Abend, damit er schön zu Kräften käme. Ich habe das alles gar nicht verstanden, aber als der große Quarz fertig war, nahm Prinz Tormentill ihn in die Hände und flog hoch in die Luft. Prinz Tormentill flog höher und höher der Sonne entgegen und hielt sein Quarzstück so, dass die Sonnenstrahlen gebündelt auf den Eisdrachen trafen. Nach einiger Zeit war dem Drachen ein großes Loch in den Schwanz getaut und er wollte vor den Strahlen fliehen. Prinz Tormentill verfolgte ihn jedoch und je höher die Sonne am Himmel stand, desto schneller schmolz der Drache unter den gebündelten Sonnenstrahlen. Als es Nachmittag war, war vom ihm nur ein kleiner Bach mitten im Zauberwald übrig geblieben. Der Zwergenkönig rief, dass Tormentill herunter kommen solle, damit ihn die Sonne nicht verbrenne, aber der Elfenprinz antwortete, er müsse erst die Bären und die Elfen erwecken. Er hielt den Quarz über die zerborstenen Eisstücken, die mal meine Eltern waren und aus den Eissplittern meines Vaters wurde ein Erdhummelvolk und aus den Eisstücken meiner Mutter ein Volk von Steinhummeln. Beide Hummelfamilien umschwirrten mich und verabschiedeten sich von mir, dann flogen sie auf und davon. Der Zwergenkönig rief Prinz Tormentill, er solle herunterkommen, zuviel Sonne sei tödlich, aber der Prinz antwortete, dass er erst die Elfen erlösen muss. Es war nun schon später Nachmittag und die Sonne brannte nicht mehr mit voller Kraft. Der Prinz hielt den Lichtstrahl auf die zu Eis erstarrten Blumenelfen und nach und nach, begannen sie sich zu regen. Aber etwas war ganz erstaunlich, als wieder Leben in ihnen war, waren sie Eidechsen und Salamander, die schnell ins Gras huschten. Als die Sonne unterging, fiel Prinz Tormentill mit der Quarzscheibe vom Himmel herab, genau in den Drachenbach. Schnell liefen die Zwerge hinzu um ihn zu retten, aber sooft sie auch ins Wasser griffen, sie konnten ihn nicht fassen, weil er von den heißen Sonnenstrahlen körperlos geworden ist. Sie schöpften mit dem Quarz das Abbild des Prinzen aus dem Bach und setzen eine andere Quarzscheibe fest darauf und brachten ihn in den Berg. Manchmal sah man den Prinzen, manchmal aber nur ein buntes Leuchten, wenn die Mondstrahlen auf den Quarz schienen. In solchen Nächten hörte man eine feine traurige Melodie und der Zwergenkönig saß vor dem Quarz und weinte um seinen Freund und Retter, von dem ihm nur ein Abbild blieb. Mir wurde das alles viel zu traurig und ich machte mich auf die Suche nach einem neuen Platz zum Leben, den ich hier bei den drei Tannen gefunden habe. Ab und an bekomme ich Besuch von einer Hummel, das freut mich dann sehr."
Die Bärin wischte sich die Tränen, die ihr beim Erzählen gekommen waren aus den Augen. Auch die Bärenkinder und der Elf weinten. Reinecke Fuchs, der so traurige Stimmungen überhaupt nicht mochte, erinnerte die jungen Bären an den Honig.
Noch nie hatten sie so etwas Leckeres gefressen und schon bald tollten sie übermütig herum, bis es für sie Schlafenszeit war.
Am Abend sang Morgenröte und der Elf begleitete sie auf seiner Flöte. Traurig war die Musik und schön. Plötzlich war allen, die da noch im Kreise saßen bewusst, dass es so gut war, wie es ist und die Trauer einen Platz im Leben haben muss, damit das Schöne erkannt werden kann.
Am nächsten Morgen entschuldigte sich der Elfenprinz bei Morgenröte dafür, dass er so schlecht von dem Zwergenkönig gedacht hatte und er würde alles dafür tun, dass Schlagstark der II. auch bei den Blumenelfen den guten Ruf erhält, den er verdient.
Die Zwergin umarmte den Elf und sagte: "Wir haben unterschiedliche Lebensweisen, aber das macht uns nicht besser oder schlechter, nur anders. Lass uns aufbrechen und schauen, was wir für deinen Onkel tun können."
Die Bärin sagte: "Ich begleitete euch zum Weißen Berg, das bin ich Prinz Tormentill und Schlagstark dem II. schuldig."
Der Fuchs streckte seinen Schwanz aus, der Elf mit den Bienen auf den Schultern und die Zwergin setzten sich und die Reise begann.
Nach einiger Zeit standen sie am Rande der Blumenlichtung und erfreuten sich an dem Anblick. Malve, Gänsefingerkraut, Blutwurz, Königskerze, Baldrian, Seifenkraut und Quendel standen noch in voller Blüte und ein würziger Duft lag über der Lichtung. Die Bienen konnten nicht mehr still sitzen bleiben und flogen von Blüte zu Blüte, die ihnen von Blumenelfen freudig entgegengehalten wurden. Bald fanden sich auch Blumenelfen ein, die Ankömmlinge zu begrüßen. Sie wurden feierlich zu einem Ebereschenbaum geleitet, in dem die Königin Rosa Grandiflora und König Zilpzalp sehnsüchtig warteten, ihren Sohn begrüßen und umarmen zu können.
Es wurde ein richtiges Willkommensfest, auf dem Prinz Potentill die Reisegefährten, die ihm zu Freunden wurden, vorstellte. Er berichtete von seinen Erlebnissen und den Dingen, die er über Prinz Tormentill in Erfahrung bringen konnte. Bei einer anschließenden Besprechung wurde entschieden, dass Königin Rosa Grandiflora mit einem kleinen Gefolge die Gruppe zum Besuch des Zwergenkönigs begleitete.
Gegen Abend machten sie sich auf den Weg zum Berg Weissfels. Dort angekommen, rief die Bärin nach ihm: "Lieber Schlagstark, ich bin es, Bärbel Petz. Ich habe noch Freunde mitgebracht die Dich auch besuchen wollen. Ich möchte Dir gern meine Kinder Björn und Barn vorstellen."
Plötzlich war ein Getrappel aus dem Berg zu hören und schon kamen viele Zwerge angelaufen, vornweg Schlagstark der II. Die Zwerge riefen durcheinander.
"Das ist doch nicht möglich, unsere Bärbel!"
"So eine großer Bärin ist sie geworden und hat schon selbst zwei so große Junge!"
"Was für hübsche Kinder! Nein, was für eine Freude."
So ging es die ganze Zeit durcheinander. Die Bärin legte sich ganz flach auf die Erde und der Zwergenkönig und nach ihm alle anderen Zwerge zausten an ihrem Fell.
"Ach Bärbel, ich habe so oft an dich gedacht", sagte Schlagstark "Von deinen Hummel-Eltern habe ich ja schon gehört, dass es dir gut geht. Sie haben dich ja ab und an besucht. Leer ist die Höhle im weißen Berg seit ihr fort seit."
Aus dem Wald war Brummen zu hören und zwei schwarze Wolken kamen auf den weißen Berg zugeflogen. Es waren Hummeln, die sich zu zwei Bärengestalten formierten.
Die Hummeln mit dem weißen Hinterteil wurden Vater Petz und die Hummeln mit dem roten Hinterteil wurden Mutter Petz. Die Bärenhummeln und die Bärenjungen konnten sich brummend miteinander auf das Schönste unterhalten. In der Zwischenzeit haben sich die Blumenelfen aufgestellt und Königin Rosa Grandiflora überreichte dem Zwergenkönig einen Teppich, gefertigt aus Spinnenweben und Blütenblättern, damit er in seinem Berg auch etwas von den Blumen hat. Der Zwergenkönig bedankte sich recht artig und Grandiflora bat, ihren Bruder im Quarz sehen zu dürfen.
"Das geht erst, wenn der Mond scheint", sagte Schlagstark.
"Dann werden wir solange Musik machen", antwortete Prinz Potentill.
"Zwergenkönig, ich möchte dir meine Freundin Morgenröte vorstellen."
Der König nickte der Zwergin mit ernstem Gesicht zu. Prinz Potentill holte sein Flöte hervor und spielte. Eine liebliche Melodie breitete sich aus und Morgenröte begann zu singen. Ihre Stimme füllte den Wald mit einem Gefühl von Zärtlichkeit und Schlagstark konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden. Morgenröte sang viele Lieder über den Wald, rauschende Wipfel, über Forellen im Bach und den Abendstern. Als sie endete stand der Mond schon hoch am Himmel. Schlagstark der II. klatschte in die Hände und ein großes zweiflügliges Tor öffnete sich im Berg, das den Blick auf eine große weiße Halle freigab. Mitten in dieser Halle stand die verschlossene Quarzscheibe und das Mondlicht reflektierte alle Farben des Regenbogens.
Langsam und ehrfurchtsvoll betraten die Elfen die Halle, gefolgt von den Zwergen und den Tieren. Die bunten Farben chargierten und es zeigte sich das Abbild von Tormentill, der eine Flöte in den Händen hielt, die er an den Mund führte. Eine Melodie ertönte, die bei allen Melancholie erzeugte. Rosa Grandiflora lief zu dem Quarz und umarmte ihn jammernd. Unter Tränen bat sie ihren Bruder, doch herauszukommen, damit sie ihn in die Arme schließen kann.
"Du kannst mich nicht mehr halten, liebe Schwester", sprach Tormentill, "denn ich bin nicht mehr was ich war. Die Sonne hat mich zum Luftgeist gemacht. Frei mit dem Wind zu fliegen ist nun mein Ziel. Ich bitte Dich, bringe mein Werk zu Ende und schaffe Versöhnung zwischen den Elfen und Zwergen, dass der friedlose Zustand ein Ende hat."
Königin Grandiflora schritt mit ihren Blumenelfen auf den Zwergenkönig zu und verbeugte sich vor ihm. Sie bat ihn um Entschuldigung für die Vorurteile, die ihr Volk gegen die Zwerge gehegt hatte und die sie veranlasste, seine Werbung so schroff zurück zu weisen. Die Ereignisse haben sie beschämt und sie würde alles daran setzen wollen, dass sie in einem guten Miteinander im Zauberwald leben können.
König Schlagstark dankte ihr für ihre Worte. Er sprach: "Prinz Tormentill war dem Zwergenvolk ein so guter Freund, dass alle Beleidigungen vergessen wurden. Auch habe ich eingesehen, dass König Zilpzalp für eine Blumenelfenkönigin ein passenderer Mann ist, als ich es je hätte sein können. Ich benötige eine Frau, die, wie der Zwerge Art, nachts aktiv ist und lieber am Tage schläft. Aber mir hatte das Lachen und Singen so sehr gefallen, das machten meine Zwerge im Berg nicht so schön wie die Blumenelfen. Doch nun habe ich eine Zwergin gefunden, die schöner singen kann als alle Blumenelfen zusammen und so schön ist wie der runde Mond. Blumenelfenkönigin und du, Prinz Potentill, ich bitte euch für mich bei der Zwergin Morgenröte nachzufragen, ob sie meine Frau werden möchte."
Der Elf im Quarz spielte die ganze Zeit seine Flöte und es war, als wäre seine Musik leicht wie das Säuseln eines Baches geworden. Gern übernahmen die beiden Elfen die Aufgabe der Brautwerber.
Ausgestattet mit goldenen Ketten und Citrin, Rauchquarz, Amethyst und Bergkristall setzten sie sich auf Reineckes Schwanz und ließen sich zu Morgenröte bringen, die bei den Bären stand und sich mit großen Augen die Halle ansah. Als Potentill den Wunsch des Zwergenkönigs überbrachte und die Geschenke übergab, wurde Morgenröte so rot im Gesicht, dass ihr Name eine ganz eigene Berechtigung hatte. Vor Verlegenheit konnte sie erst gar nicht antworten, aber dann nahm sie das Angebot sehr gern an, denn Schlagstark hat ihr mit seiner ruhigen bestimmten Art sehr gefallen und sie musste ihn immer ansehen, wegen seiner athletischen Figur, seiner grauen Augen und dem rotblonde Haar.
Als sie die Werbung des Königs annahm, brachen alle in Jubel aus und auch der Quarz schillerte in allen Farben. Schlagstark trat vor seine Braut, küsste sie und nahm ihr die rote Mütze vom Kopf. Der Spinnwebteppich den die Elfen als Geschenk für Schlagstark mitbrachten, wurde zum Brautschleier und es wurde eine prächtiges Hochzeitsfest gefeiert.
Das Fest hatte den Höhepunkt erreicht, da bat Prinz Potentill die Zwergin Morgenröte hell und hoch zu singen, damit der Kristall zerspringen kann und sein Onkel die Freiheit bekommt, die er sich wünscht. Der König der Zwerge und die Königin der Blumenelfen fassten sich bei den Händen, so konnten sie den endgültigen Abschied von Freund und Bruder besser ertragen und Morgenröte sang, sang. Sang so hoch wie noch nie in ihrem Leben, aber der Kristall zersprang nicht. Da flüsterten die Bienen Potentill ins Ohr, dass er den goldenen Stachel einsetzen solle. Der Elf setzte den goldenen Stachel der Bienenkönigin an den Quarz und gab einen Schlag darauf, während Morgenröte sang und der Kristall zersprang in viele Splitter. Ein bunter Nebel bereitete sich in der Halle aus und bildete den Umriss des Elfenprinzen Tormentill. Er verabschiedete sich von allen und sagte: "Weint nicht, ich bin immer da, in euren Herzen. Und wenn ihr einen warmen Wind verspürt, der euch um das Gesicht weht, dann bin ich das vielleicht. Aber jetzt will ich mich in die Luft erheben und das Gefühl der Freiheit genießen."
Man sah, wie er zu einem bunten Wirbel wurde und sich auflöste.
Der Fuchs murmelte: "Was für ein schöner Abgang." Und alle, die es hörten nickten bestätigend.
Das Hochzeitsfest wurde noch die ganze Nacht und den nächsten Tag gefeiert. Es tanzten Zwerge und Elfen gemeinsam und niemand konnte mehr verstehen, warum man sich früher nicht vertragen konnte.
"So ist in allem Schlechten auch der Kern zu etwas Guten enthalten!", sagte der Fuchs und wieder mussten ihm alle zustimmen.
Als das Fest zu Ende war, bat die Blumenelfenkönigin die Bienen, die Potentill begleitet hatten, doch auf ihrer Lichtung zu bleiben und im Ebereschenbaum einen neuen Bienenstaat zu gründen. Auch dem Fuchs wurde angeboten, auf der Lichtung zu bleiben, aber er musste versprechen, keine Eidechsen und Salamander zu fressen.
Die Zwerge baten die Bärin, doch wieder in die Höhle im weißen Berg zu ziehen, da ihre Jungen jetzt so groß sind, dass sie eigene Wege gehen und sie dann einsam wäre.
Bärin, Fuchs und Bienen nahmen die Angebote mit Freude an.
Die Bären Björn und Barn zogen bald in die Welt hinaus um eigene Abenteuer zu erleben und dieses Märchen ist nun aus.
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Tag der Veröffentlichung: 11.12.2011
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