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1. Kuss, 2. Kuss, 3. Kuss, .... und weiter?

 

Die ersten beiden Stunden Sport würden die Hölle werden, dass wusste ich. Neuerdings mussten wir zuerst eine ¼ Stunde Dauerlauf machen und dann geht es weiter mit Fußball. Uns Mädchen wäre natürlich alles lieber gewesen als Fußball, aber leider stand das große Schultunier an.

Meine Turnschuhe waren etwas zu klein doch ich war noch nicht dazu gekommen mir neue zu kaufen. „Kommst du endlich?“, fragte Vicky mich. „Jaja, mach keinen Stress es sind noch 6 Minuten“ „Trotzdem.  Die Hälfte ist schon drinnen.“  Ich deutete ihr mit einem Blick, dass sie Ruhe geben soll. Nach einer weiteren Schleife machten wir uns auf den Weg in die Halle. Die Anderen saßen schon auf den Bänken. Sofort wanderte mein Blick zu Alex. Er redete mit Luis, doch kurz sah er auch zu mir rüber. Fr. Hecker  winkte uns herüber. „Okay, 15 Minuten Dauerlauf und dann werden die Bälle geholt und sich aufgewärmt. Los geht’s!“  Langsam trabten wir los. „Schneller und nicht so herum schluffen.“, wies sie uns an. Wir beschleunigten und plötzlich tauchte Lius neben mir auf. Oh Mist, ich hatte total vergessen, dass er sich noch rächen wollte, weil ich ihn und Vicky als süßes Pärchen bezeichnet habe, dachte ich. „Hey, wie geht’s?“, fragte er gespielt freundlich und ich wusste, dass nun seine Rache folgen würde. Doch dann lief er weiter und ich wusste, dass er mich den ganzen Tag lang zittern lassen würde. Nach 15 Minuten und ätzenden Seitenstechen, schickte Fr. Hecker mich und ein paar andere ein paar Bälle zu holen. Vor dem Schrank fanden sich dann Luis, der dumm grinste, Alex und ich wieder. „Der Schrank ist abgeschlossen.“, stellte ich fest. „Ich gehe den Schlüssel holen.“ Mit einem bedeutenden Blick sah ich Luis an. Ich hoffte, dass er Alex, aus Rache, keine dummen Sachen erzählte. Nach ein paar Minuten kam ich wieder und die beiden standen einfach nur da und ich konnte nicht erkennen, ob etwas passiert war. Als ich an den beider vorbei ging, trat Alex einen Schritt zurück um mir Platz zu machen doch Luis blieb stehen und flüsterte mir kurz etwas ins Ohr: „Keine Angst, ich hab nix gemacht.“  Dann trat auch er zurück und ich sah ihn kurz mit einem leicht unsicheren Blick an, um dann die Tür auf zu schließen. Luis nahm zwei Bälle heraus und ging dann. Alex und ich griffen uns ebenfalls zwei Bälle. Ich schloss die Tür wieder ab, während er auch wieder ging. Wie sehr hatte ich mir gewünscht, dass er da geblieben wäre und wir geredet hätten. Über irgendwas. Ich lehnte mich gegen die kühlen Schränke und dachte darüber nach, dass ich nun schon fast 2 Jahre in diesen Jungen verliebt war, dass er mal in meine beste Freundin verliebt gewesen war und er es nicht für nötig gehalten hatte, es mir zu sagen, sondern einfach weiter gemacht hatte mit diesem kleinen Flirt, der da zwischen uns war. Und dann hatte ich es schmerzhaft herausgefunden und war fast innerlich zerbrochen und nun war er nicht mehr in sie verliebt und wieder beobachtete er mich, machte mir Komplimente und verwirrte mich dadurch auf eine groteske Art und Weise. Plötzlich kam Alex wieder um die Ecke. Fr. Hecker musste mich wohl gesucht haben, wie lange hatte ich wohl hier gestanden? Doch er kam nur auf mich zu ohne etwas zu sagen. Hatte Luis jetzt doch etwas gesagt? Panik machte sich in mir breit. Ich war schon einmal von ihm abgewiesen worden und wollte nun auf keinen Fall wieder verletzt werden.  „Hör zu, ich weiß nicht, was mit mir los ist, aber die Tatsache ist…“ Während er nach Luft schnappte, hielt ich die Luft an und versuchte meinen steigenden Puls wieder herunter zu fahren. „Ich habe dich wirklich sehr gerne und ich habe Schuldgefühle wegen dem, was ich dir letzten Winter angetan habe und… und ich habe dich sehr sehr gerne.“ Ich sah ihn nur an und wusste nicht was ich tun sollte. Da standen wir nun, der Junge, den ich für meinen Traumprinzen hielt und ich und er hatte gerade gesagt, dass er mich sehr gerne mochte, doch leider war mein Gehirn in diesem Moment nicht in der Lage dies zu verarbeiten.  Ich starrte ihm in seine blauen Augen und er starrte zurück. Ich hatte das Gefühl, dass Stunden vergingen. Ich ließ die Bälle, die ich noch in der Hand hatte, fallen. Er nahm meine Hände und kam langsam auf mich zu. Ich schloss meine Augen und atmete tief ein. Langsam berührten sich unsere Lippen, ich ließ seine Hände los und legte sie um seinen Hals, während er sich mit seinen am Schrank abstützte. Es war ein magischer Moment und ich wollte nicht, dass es auf hörte.

 

Plötzlich hörten wir ein Räuspern. Wir fuhren herum. Es war Luis, der uns dumm angrinste. Er stand gerade vom Boden auf, anscheinend war er hingeflogen. Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und zupfte an meinem Top. Während sich Alex wieder am Schrank abstützte, wie zu dem Moment, als wir uns geküsst hatten. Er schlug kurz gegen den Schrank und ging dann in die Jungenumkleide. Ich sah zu Boden und schloss dann meine Augen. „Da müssen Vicky und ich dann ja wohl nichts mehr machen.“, bemerkte er und grinste mich herausfordernd an. „Dein erster Kuss?“, fragte er. Ich fing an zu grinsen. Er traf immer genau ins Schwarze. Mein Herz hämmerte in meiner Brust und ich biss mir auf die „frisch geküssten“ Lippen. Luis stand mit den Händen in den Hosentaschen da und grinste mich an. „Hör auf mich so blöd anzugrinsen.“, fuhr ich ihn an. Er zog eine Augenbraue hoch, weil er genau wusste, dass ich nicht sauer auf ihn war. Er hatte Recht, ich war zu glücklich um sauer zu sein. Doch ich fragte mich, warum er gegen den Schrank geschlagen hatte und nun ohne ein weiteres Wort verschwunden war. Ich zweifelte. War er nun in mich verliebt oder spielte er nur mit mir? Ich wollte meinen ersten Kuss nicht mit einem solchen Idioten gehabt haben! Etwas verwirrt sah ich mich um und hob die Bälle, die ich hatte fallen lassen, wieder auf. „Ähm… Könntest du vielleicht mal mit ihm reden? Weil ich mir nicht sicher bin, was das zu bedeuten hatte.“ „Mach ich, aber glaub mir, das wird schon!“ Ich nickte und ging zu Vicky und den anderen zurück, ich hatte keine Ahnung, wie lange ich weg gewesen war. Doch anscheinend hatte Frau Hecker nicht gemerkt, denn als ich ihr die Bälle und den Schlüssel gab, sagte sie nur „Danke“ und rief wieder alle in der Mitte zusammen. Langsam ging ich ihr hinterher und setzte mich hin. Ich spürte, dass Vicky mich beobachtete, doch ich wollte heute nicht mit ihr darüber diskutieren und ich wollte es ihr auch nicht erzählen. Normalerweise sprach ich mit Vicky über alles, doch weil ich wusste, wie sehr er mich verletzen konnte, schwieg ich lieber. Vorsichtig sah ich mich um. Alex und Luis fehlten. Ich hatte Angst, dass Alex es nicht ernst gemeint hatte. Bei dem Gedanken daran schürzte ich meine Lippen. „… Geht jetzt in dreier Gruppen zusammen.“ Mist ich hatte gar nicht zu gehört und wusste nicht, was wir machen sollten. Also musste ich mich auf Vicky und Lara verlassen. Wenn man dreier Gruppen bilden soll, dann gingen grundsätzlich wir zusammen. Also stand ich auf und ging zu den beiden hinüber. „Sorry, aber ich hab gerade nicht zugehört. Als was sollen wir machen?“ Vicky verdrehte die Augen: „Also wir sollen uns in einem Dreieck aufstellen und einfach hin und her passen.“ Ich nickte. Wir gingen in die rechte Ecke der Halle und fingen an. Zwar war immer noch mit den Gedanken völlig wo anders, nämlich bei Alex, doch irgendwie schaffte ich es den Ball zu treffen und erst als ich bemerkte, dass die beiden wieder in die Halle kamen und sich einen Ball nahmen, war ich so abgelenkt, dass ich den Ball in die völlig falsche Richtung, an Vicky vorbei gegen die Matte, spielte. Luis und Alex sahen beide nicht glücklich aus.

Kurz sah Luis zu mir herüber und dann wieder auf seinen Ball. Was hatte das jetzt zu bedeuten? Er hatte so einen nichtssagenden Gesichtsausdruck. „Jenny?!“, rief Vicky. „Hä? Ach so.“ Ich lief los und holte den Ball zurück. Alex würdigte mich keines Blickes. Ich bemerkte, dass er mit niemandem sprach, nicht mit Luis und auch nicht mit Christian oder Mike. Als ich mit dem Ball zurückkam, ging Vicky mir entgegen und nahm mir den Ball ab.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie, als wir während dem abschließenden Völkerballspiel nebeneinander standen. „Klar, warum?“ Luis, der hinter Vicky stand warf mir einen zweifelnden Blick zu, dann nahm er sich einen Ball und warf. Natürlich traf er. Ich zwang mich zu einem Lächeln, damit Vicky es mir auch abkaufte, als Vicky sich wieder entfernt hatte, seufzte ich und hörte auf zu Lächeln. Alex, der auf der anderen Seite des Spielfeldes stand, hatte einen Ball und warf. Der Ball kam sehr präzise und traf Mike, er prallte ab und bevor er den Boden berührte fing ich ihn auf. Mike bedankte sich bei mir. Den Ball warf ich Christian zu, der am Spielfeldrand der anderen Seite stand, weil er schon ausgeschieden war. Normalerweise hätte ich mich darüber gefreut, dass ich es geschafft habe den Ball zu fangen, doch dieses Mal nicht. Dann sah ich zu Alex, er sah nun noch wütender aus als er es eh schon tat. Ich merkte, dass er kurz zu Luis hinüber sah, der ihm einen mahnenden Blick zu warf. Was war in der Umkleide geschehen? Ich wollte es wissen, doch so, wie Alex mich angesehen hatte, schien es nichts guten gewesen zu sein. Deshalb hatte ich Angst und überlegte mir, dass es wohl doch besser war nicht weiter nachzufragen.

Mir war zum Heulen zu mute, ich hatte das Gefühl ich könnte nicht richtig atmen, so als würde mein Herz zusammen gedrückt. Doch nach Hause konnte ich nicht. Diese Ungewissheit machte mich krank, doch ich wusste, dass die Wahrheit nicht besser sein würde. Ich hatte mir geschworen, dass Alex mich nie wieder so verletzen würde und nun war das passiert. „Okay, die Stunde ist schon fast vorbei, geht euch jetzt schnell umziehen.“, rief Fr. Hecker. Ich lief zur Umkleide und zog mich so schnell ich konnte um, damit ich alleine gehen konnte und mit niemandem reden musste. Als Erste verließ ich die Turnhalle und ging durch das Tor in Richtung Hauptgebäude, welches 2 Straßen von der Halle entfernt war. „Jenny, warte!“, rief Luis mir hinterher. Er kannte mich. Er wusste, dass ich mich beeilt hatte. Doch er veranlasste mich nur dazu noch schneller zu gehen. Als er neben mir auftauchte, ignorierte ich ihn und ging stur gerad aus. „Es tut mir leid. Ich …“ Ich unterbrach ihn, denn ich wollte nicht wissen, was in der Umkleide passiert war. „Ist okay, du musst dich nicht entschuldigen.“, versuchte ich möglichst neutral zu sagen. Während wir weiter gingen, ich etwas schneller als er, damit uns niemand einholte, versuchte er trotzdem weiter, mir das zu erzählen was passiert war. Er verstand nicht, dass ich es nicht hören wollte. „Doch, ich habe…“ „Hör auf! Ich will das nicht hören!“ Ich drehte mich zu ihm um, so dass er fast in mich hinein rannte und sah ihn wütend an. Mein Atem ging schnell und mein Herz raste. Er sah mich nur verdutzt an. Dann lief ich weiter, während er stehen blieb. Ich hatte Tränen in den Augen.

 

Alleine kam ich auf dem Schulhof an. Die Pause hatte noch nicht angefangen. Ich sah auf meine Uhr. Es waren nur 5 Minuten vergangen, seit ich an der Halle losgegangen war. Ich ging zu unserer Klasse und öffnete meinen Spind, holte meine Physik Sachen heraus, obwohl ich genau wusste, das wir Betreuung hatten und dann sowieso jeder das machte, was er wollte, deshalb nahm ich auch die Kopfhörer für mein Handy heraus. Die meisten Betreuungslehrer halten es sowieso nicht für nötig nach uns zu gucken. Marvin war nicht da, weshalb ich alleine saß, was in meiner Situation gar nicht so schlimm war. Ich sah aus dem Fenster uns sah, dass Vicky und die anderen kamen. Schnell packte ich meine Tasche in den Spind, nahm mein Portemonnaie und machte mich auf den Weg zur Schul-Cafeteria. Ich hatte keine Lust mit jemandem zu reden. In der Mensa setzte ich mich allein an einen Tisch in der Ecke und sah aus dem Fenster hinunter auf die Straße. Nach ein paar Minuten tauchte Vicky auf. „Hey, ich habe dich gesucht. Läufst du vor mir weg?“ Ich sah ungerührt aus dem Fenster und versuchte sie zu ignorieren. „Jenny? Du hast doch was. Sonst erzählst du mir doch auch alles. Ist da was passiert, als ihr die Bälle holen gegangen seid? Ich habe Luis doch zu euch geschickt.“ Mist, sie war das? Ausnahmsweise war ich jetzt sauer auf Vicky, doch das durfte ich mir nicht anmerken lassen. Also benutzte ich meine Mutter als Notfall-Lüge. „Mich beschäftigt es, dass ich jetzt bei meinem Vater wohne.“ „Oh.“, sagte Vicky. Es schien, als würde sie mir glauben. „Naja, ich muss heute nochmal zu ihr um meine Sachen zu holen und davor haben ich Angst.“ „Ach ja, stimmt, das ist hart. Aber was ist denn jetzt in Sport passiert, vorher hast du noch nicht so still gewirkt? Hast du mit Alex geredet?“, hackte sie nach. Ich beschloss weiterhin zu lügen. „Nein, ich bin nochmal kurz auf Toilette gegangen und da habe ich eine SMS von meiner Oma bekommen. Sie hat gefragt, ob es stimmt, das ich jetzt bei meinem Vater lebe und aus welchem Grund. Ich habe damit quasi die ganzen Familie meiner Mutter verletzt.“ Und plötzlich hatte ich wirklich Angst davor, was mich heute Nachmittag bei meiner Mutter erwarten würde. „Das erklärt es natürlich. Aber du schaffst das schon. Und denk immer daran, dass du bei deiner Mutter nicht glücklich warst.“ Ich nickte. Naja, glücklich bin ich jetzt gerade auch nicht, aber sie hatte Recht. „Ich muss jetzt wieder zurück zu Lara, sie muss noch ins Sekretariat und ich habe versprochen, dass ich mitkomme.“ „Ist okay.“, antwortete ich. Als sie gegangen war, sah ich wieder auf die Straße. Ich sah das Luis und Alex jetzt auch da waren. Hatte Luis auf Alex gewartet und nochmal mit ihm geredet? Eigentlich hätte er doch kurz nach mir an der Schule ankommen müssen!? Als es klingelte und ich ging langsam zurück zur Klasse, damit ich nicht versehentlich auf dem Gang Alex bzw. Luis begegnete.

 

Es war laut in der Klasse und die Jungen warfen mit etwas, was ich für eine CD hielt, herum. Ich ignorierte es und ging zu meinem Platz, nahm meine Ohrstöpsel und mein Handy heraus. Ich öffnete meine Strickjacke und versteckte die Kopfhörer unter der Strickjacke, damit sie, nicht mehr zu sehen waren, es bestand ja immer die Gefahr, dass es doch ein Lehrer schaffte unsere Klasse zu betreten und je nachdem welcher Lehrer das sein würde, musste man vorsichtig sein. Als Luis, der gerade auch in die Klasse gekommen war, Anstalten machte sich auf dem freien Platz neben mir zu setzen, sah ich ihn mit einem warnenden Blick an und er ging wieder. Anscheinend, war er doch nicht zusammen mit Alex zur Klasse gegangen. Ich schaltete meine Lieblings-Playlist an und nahm meinen Collegeblock. Mein Collegeblock war voller Zeichnungen, die meist etwas mit Herzchen und Liebe zu tun hatten. Leider konnte ich Menschen nicht so gut malen, deshalb fanden sich vor dem Sonnenuntergang meist Strichmännchen wieder.

Wieder fing ich an einen Sonnenuntergang, einen Hügel und eine Picknickdecke zu malen. Zwar war es hobbylos und nicht gerade einfallsreich immer das gleiche zu malen, doch es war das einzige, was mir eigentlich immer ganz gut gelang. Vorsichtig hob ich meinen Kopf und sah zu Alex hinüber. Er starrte geistesabwesend auf sein Heft und ich fragte mich, ob ich auch so abwesend aussah, wenn ich hier saß und zeichnete. Die meisten Klassenkameraden von uns rannten noch herum und diskutierten so laut, dass es eigentlich jeder Lehrer hätte mit bekommen müssen der sich unserer Klasse auch nur näherte oder daran vorbei ging. Ich fragte mich, warum sie sich nicht einfach hinsetzen und normal quatschen konnten. Dann wäre die Gefahr, dass ein Lehrer uns bemerkt geringer und wir würden keine Aufgaben machen. Aber so etwas konnte man von meiner Klasse nicht erwarten. Die einzigen, die außer mir noch saßen waren Vicky, Lara, Denise, Christian, Mike, und Alex, wobei Luis an der Heizung bei Alex Platz lehnte. Wieder sah ich auf mein Blatt und fing an dumme unsinnige englische Sätze neben meine kleine Zeichnung zu schreiben, wie „The one and only“ und „Forever YOU“.

Wieder einmal traf es zu, dass ein Lied, das ich hörte genau meine Situation beschrieb. Dieses Mal war es „A thousand Years“ von Christina Perry. Ich drückte auf Wiederholung und hörte es die ganze Stunde lang. Zum Glück hatte wohl kein Lehrer Lust gehabt unsere Klasse zu betreuen, weshalb alle die ganze Zeit das taten, was sie wollten. Immer wenn ich zu Alex und Luis hinübersah, starrten die beiden ins Leere. Auch in den folgenden Stunden, in Geschichte und Englisch, wo ich normalerweise eine gute Schülerin war, sagte ich heute nichts, zwar bearbeitete ich die Aufgaben ordnungsgemäß doch ich meldete mich kein einziges Mal und wenn meine Freundinnen mich fragten, ob sich einer von ihnen neben mich auf den Platz setzen dürfte schüttelte ich den Kopf. Es war mir egal, was sie dachten, denn ich wollte jetzt auf keinen Fall mit irgendjemandem reden.

Als die Klingel das Ende der 6. Stunde verkündete, sprang ich auf, ging zu meinem Spind, riss meine Schultasche heraus, stopfte meine Englischsachen und mein Mäppchen hinein und verließ so schnell wie möglich den Klassenraum.

 

Ich wollte weg von der Schule, weg von all dem was heute geschehen war. Doch was würde mich erwarten, wenn ich bei meinem alten Zuhause ankam? Ich wollte nicht daran denken.

Mit meinem Vater hatte ich verabredet, dass er mich um 15 Uhr mit meinen restlichen Sachen abholt, das heißt,  ich hatte 1 ½ Stunden Zeit. Mein Zimmer war, abgesehen von meinen Möbeln fast ganz leer. Das einzige was noch übrig war, waren ein paar Schuhe, meine Winterklamotten und ein paar alte Kuscheltiere. Ich nahm mir einen der Umzugskartons aus der Ecke und packte zuerst die Schuhe hinein. Ich erschrak, als plötzlich das Telefon klingelte. Es war meine Mutter, die aus dem Büro anrief. Auch wenn sie wusste, dass ich jetzt hier war um meine Sachen abzuholen, wollte ich nicht mit ihr redet. Dieser Tag war schwer genug und ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde mit ihr zu reden ohne völlig den Verstand zu verlieren. Als ich ihr gesagt hatte, dass ich zu meinem Vater ziehen würde, hatte sie mir nicht glauben wollen, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon die Hälfte meiner Sachenbei meinem Vater waren. Deshalb ließ ich das Telefon klingeln und packte weiter. Die Wintersachen steckte ich zuerst in eine große blaue Tüte und dann legte ich diese in den Karton. Als ich fertig war, ging ich ins Wohnzimmer und ließ mich auf die Couch sinken, weil ich wusste, dass mein Vater nicht vor 15 Uhr hier sein konnte und jetzt war es erst 14:20 Uhr. Ich versuchte die Gedanken an Alex zu verdrängen und dachte statt dessen daran, was sich alles ändern würde, jetzt da ich bei meinem Vater lebte. Doch dies beschäftigte mich nur ein paar Minuten lang, dann  verlor ich mich wieder in der Erinnerung an den Kuss. Mein ganzer Körper hatte gekribbelt und es war, nach den ersten paar Sekunden, vollkommen normal gewesen. Ich hatte mich geborgen gefühlt und in dem Moment nicht geglaubt, dass er sich nicht „Wohl“ gefühlt hatte. Denn ER war es, der MICH geküsst hatte und nicht andersherum. Da klingelte plötzlich mein Handy und riss mich aus meinen Gedanken. In der Erwartung daran, dass mein Vater mir Bescheid geben wollte, dass er mich gleich abholen wollte, ging ich ohne einen weiteren Blick auf das Display ran. „Hallo?“, fragte ich und erschrak, als es nicht die Stimme meines Vaters war, die mir antwortete: „Hey, ich bin’s, Luis.“ Ich sprang von der Couch auf. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich es nicht wissen will!“, fuhr ich ihn an. „Aber ich habe gerade mit Alex geredet.“ „Schön für dich!“ „Nein, warte! Hör mir doch mal zu.“, protestierte er. „Nein, das werde ich nicht.“ Sofort legte ich auf, weil ich es nicht aushielt. Es war gelogen. Ich wollte wissen, was in der Umkleide passiert war und ich wollte auch wissen, was er eben noch mit Alex besprochen hatte. Aber die Angst davor, wieder verletzt zu werden, war zu groß. Ich war damals, im letzten Winter, nur schwer darüber hinweg gekommen und nun würde es noch schlimmer werden, weil die Erinnerung an diesen Kuss für immer bleiben würde. Ich konnte es nicht rückgängig machen.

Es war kurz vor drei, deshalb ging ich zu dem Karton und brachte ihn zur Wohnungstür, wo auch meine Schulsachen standen.  Noch einmal sah ich in den Schränken nach, ob ich auch nichts vergessen hatte. Dann klingelte es und ich öffnete meinem Vater die Tür. Als er die Treppen hoch kam, zwang ich mich zu einem Lächeln. „Hey.“ „Alles fertig?“, fragte er. Ich nickte und drückte ihm den Karton in die Hand. Meine Schultasche und den Sportbeutel nahm ich. Als ich die Tür abschloss, betrachtete ich den Schlüsselbund. 2 Wohnungsschlüssel und 2 Briefkastenschlüssel für 2 verschiedene Wohnungen.

Auf der Fahrt sprachen wir kein Wort.

 

In dem Zimmer bei meinem Vater hatten wir einiges umgeräumt. Die Sachen von meinem Vater waren nun im Schlafzimmer und so war der Schrank frei für meine Sachen. Sofort begann ich den Karton auszuräumen. Damit es lustiger wurde, hatte ich meinen IPod auf die Docking-Station meines CD-Players gestellt und meine Lieblingsmusik, die ausnahmsweise nicht traurig war, angeschaltet. Trotzdem fragte ich mich, warum Luis sich andauernd entschuldigte, machte er sich Vorwürfe, weil er uns „gestört“ hatte? Aber was wäre gewesen, wenn er nicht gekommen wäre? Hätte das etwas daran geändert, was Alex empfand und wie er sich nun verhielt? Wahrscheinlich nicht und deshalb traf Luis keine Schuld. Ich musste mit ihm reden, doch ich wollte immer noch nicht wissen, was in der Umkleide passiert war.

Als ich die Schuhe im Schrank verstaut hatte und den Karton zusammen gefaltet zu den anderen Kartons unter mein Bett geschoben hatte, holte ich meinen Laptop heraus und schrieb nicht Alex sondern Luis. „Du hast dich vorhin entschuldigt… Aber du brauchst dich nicht entschuldigen.“ Luis schrieb sofort zurück: „Doch, wenn ich nicht dazwischen geplatzt wäre…“ Ich erklärte ihm das, was ich mir selber vor ein paar Minuten erklärt hatte. „Dann hätten wir uns ein bisschen länger geküsst, doch es hätte nichts daran geändert, wie Alex für mich empfindet und wie er sich jetzt verhält.“ Ich hoffte, dass diese Tatsache Luis zur Vernunft brachte. „Das könnte sein. Darf ich dir denn jetzt erzählen, was Alex mir gesagt hat?“ Ich atmete tief ein. Er schien zuversichtlich zu sein. Doch nein, Alex soll es mir selber sagen. „Nein. Alex soll mir selber sagen, was los ist, denn selbst wenn du mir sagst, was er fühlt muss ich irgendwann mit ihm darüber reden. Es tut mir leid, ich will das nicht wissen.“ „Na gut. Darf ich denn mit ihm reden und ihn dazu bringen mit dir zu reden?“ „Von mir aus.“ Luis schrieb nicht mehr zurück, also klappte ich meinen Laptop wieder zu und stellte ihn auf meinen Schreibtisch. Es klopfte an meiner Zimmertür. Es war mein Vater. „Vicky ist am Telefon.“, sagte er und reichte es mir. Ich schluckte. „Hallo?“ „Hey, ich bin’s Vicky. Kann es sein, dass Luis und du mir etwas verschweigen?“, fragte sie. „Nein, warum?“, antwortete ich, wobei ich versuchte so sicher wie möglich zu klingen. „Weil Alex mich gerade auf Facebook angeschrieben hat.“ Bei diesen Worten bekam ich Panik. Was hatte er gemacht? „Ja und?“ „Er hat gefragt, ob du mir etwas erzählt hast und als ich gefragt habe, was du mir erzählt haben sollst, hat er abgelenkt. Also müsst ihr mir etwas verschweigen…“ „Äh…“ Ich zog schnell mein Handy heraus und schrieb nochmal Luis an: „Alex hat Vicky gefragt, ob ich ihr etwas erzählt hätte… Er hat uns verraten!“ „Hallo? Bist du noch da?“, fragte Vicky, der ich nicht mehr geantwortet hatte. „Ja, bin ich.“ „Gut, also was ist los?“ „Ist es in Ordnung, wenn ich es dir morgen erzähle?“ Ich konnte es Vicky nicht am Telefon erklären. „Aber warum nicht jetzt?“, hackte sie nach. „Das geht nicht und ich muss jetzt auflegen.“ „Aber…“ „Bis morgen“, ich legte ohne ein weiteres Wort auf.

Luis hatte geantwortet: „Mist, das ist doof. Ich schreibe ihm mal kurz was das soll, okay?“ „Ist in Ordnung“ Ich wartete ein paar Minuten auf eine Antwort. „Er schreibt nicht zurück. Wir müssen das morgen klären.“ „Okay.“ Das würde ein toller Tag werden.

 

Als ich abends im Bett lag, fragte ich mich, wie ich Vicky das alles erklären sollte. Außerdem war ich nicht sicher, ob Alex sich trauen würde mit mir darüber zu reden. Wenn nicht, dann würde wohl alles so bleiben, wie es jetzt war, denn ich würde ihn nicht darauf ansprechen.

Am nächsten Morgen fuhr ich ¼ Stunde früher zur Schule, damit ich genug Zeit hatte um mit Vicky zu reden. Sie war immer recht früh da, doch dieses Mal kam ich früher als sie, nachdem ich mein Fahrrad abgeschlossen hatte und musste noch ein paar Minuten am Tor auf sie warten. Sie kam mit Lara und weil es Lara nichts anging, was da passierte, bat ich sie, mir Vicky kurz auszuleihen. Ich wollte gerade anfangen es ihr zu erklären, als Fr. Hecker auf uns zukam. „Hallo, könntet ihr mir vielleicht einen Gefallen tun? Ich habe gestern meinen Schlüssel in der Sporthalle liegen lassen und wollte einen von euch bitten ihn mir zu holen und dann in den Raum R21 zu bringen.“ Vicky und ich sahen uns an und wollten entscheiden, wer da machen sollte, doch Fr. Hecker wählte mich aus. Ich sah Vicky entschuldigend an und ging dann los zur Turnhalle. In der ersten Stunde hatten wir Chemie, ich hoffte, dass Hr. Dr. Klever es verstehen würde, wenn ich ein bisschen zu spät kam. Außerdem war es mir recht ein bisschen zu verpassen, denn in Chemie saß ich genau gegenüber von Alex und wenn ich zur Tafel gucken wollte, dann musste ich ihn ansehen. Sonst machte mir das nichts aus. Oft zog er, wenn ich etwas erklären sollte, dumme Grimassen um mich aus der Fassung zu bringen. Ich war glücklich, wenn ich bemerkte, dass er mich im Unterricht ansah, doch was würde heute geschehen?

Als ich bei der Turnhalle ankam, stand dort Hr. Bach, der gerade die Tür für die 5. Klässler aufgeschlossen hatte. „Entschuldigen sie? Ich wurde von Fr. Hecker geschickt, sie hat gestern ihren Schlüssel hier liegen lassen, dürfte ich ihn vielleicht kurz holen?“ „Aber natürlich.“ Ich lief schnell in die Halle und nahm den Schlüssel von der Bank, dort wo er immer lag. Dann ging ich zurück. Zuerst zu Raum R21, wo ich Fr. Hecker den Schlüssel zurück gab und dann zum Chemie Raum. Ich musste klopfen, weil die Tür nur von innen zu öffnen war, es sein denn, man hatte einen Schlüssel. Lara öffnete mit einen Grinsen die Tür, anscheinend hatte Vicky ihr gesagt, wo ich war, denn sonst hätte sie bestimmt gefragt. „Entschuldigung, ich musste noch für Fr. Hecker ihren Schlüssel aus der Turnhalle holen.“ Hr. Dr. Klever nickte und ich ging zu meinem Platz, kurz sah ich zu Luis, der mich nachdenklich musterte und dann zu Alex er sah mich nicht an. Leise ließ ich mich auf meinen Platz nieder und holte mein Chemieheft und mein Buch heraus. „Ist ja nett, dass du Fr. Hecker hilfst.“, sagte Christian zu mir. Ich sah ihn irritiert an. „Hmm? Ach so, ja, sie hat mich darum gebeten.“ Wieder sah ich auf mein Heft und versuchte mich daran zu erinnern, was wir in der letzten Stunde besprochen hatten. Es war irgendwas mit Halogenen gewesen. Ich spürte, dass Alex mich nun wieder beobachtete, zögernd sah ich zu ihm. Unerwarteter Weise wich er meinem Blick nicht aus. Ich sah in seine Augen und wieder erinnerte ich mich an den Kuss und die Art, wie er mich angesehen hatte. Meine Hand fuhr zu meinen Lippen, kurz hatte ich das Gefühl gehabt wieder mit ihm zusammen an dem Schrank zu stehen. Ganz nah, meine Hände um seinen Hals geschlungen. Dann sah ich, wie sich seine rechte Hand zu einer Faust ballte und ich sah wieder weg. Warum war er denn so sauer? Ich verstand ihn nicht. Doch die Erinnerung hatte das Verlangen nach seiner Nähe in mir geweckt.

Nach der Chemie Stunde hasteten wir zurück zum Klassenraum, denn Fr. Winkelmann kam immer sehr pünktlich. Nur 2 Minuten nach uns kam sie in den Klassenraum. Ich mochte Englisch, wahrscheinlich weil ich immer nur zweien schrieb, auch wenn meine Freundinnen vier hatten. Die Stunde verging, im Gegensatz zu der gestrigen Doppelstunde, total schnell. Auch wenn ich mich nur einmal meldete. Als Fr. Winkelmann mich dran nahm und ich meine Hausaufgabe vorlas, spürte ich Alex stechenden Blick und ich wollte ihn ansehen und mit ihm reden, seine Hände nehmen und ihn küssen. Plötzlich konnte ich an nichts anderes mehr denken. Ich verhaspelte mich, während des Textes öfter als sonst. Ich war so abgelenkt, doch trotzdem bekam ich eine gute Beurteilung meiner Hausaufgaben von Fr. Winkelmann.  Mein Puls raste wieder. Ich beschloss ihn die nächsten Stunden nicht mehr anzusehen oder zu beobachten, sondern mal wieder dem Unterricht zu folgen, doch teilweise war dieser so langweilig, dass es schwer war. In der ersten großen Pause wollte ich eigentlich mit Vicky reden, doch ich konnte sie nirgends finden, deshalb wartete ich einfach, da wo wir sonst immer standen. Andauernd sah ich auf die Uhr und erst nach der Hälfte der Pause, sah ich Vicky auf mich zukommen, ich sagte ihr, dass ich noch auf Luis warten wollte, damit wir es quasi zusammen erzählen konnten. Luis, der nur wenig später kam, sah leicht gereizt aus, doch danach wollte ich jetzt nicht fragen. Keiner von uns wollte den Anfang machen. „Was ist denn jetzt los?“, fragte Vicky. Ich sah zu Luis hinüber, der dann begann es Vicky zu erklären. „Als wir gestern die Bälle holen gegangen waren, war der Schrank abgeschlossen, weshalb Jenny dann den Schlüssel holen gegangen war. In der Zeit habe ich Alex davon überzeugt Jenny die Wahrheit zu sagen…“ So erzählten wir Vicky die Geschichte, während sie zuhörte und auch ich erfuhr, was passiert war, als ich kurz weg gewesen war. Erst als wir zu der Stelle kamen, an der Alex und ich uns geküsst haben, wurde Vicky hellhörig. „Ihr habt was?“, entfuhr es ihr. Ich biss mir auf die Lippe. So etwas hatte ich erwartet. „Und du hast es gewusst?“, fragte sie Luis. „Als du mich wieder zurück geschickt hast, bin ich quasi hineingeplatzt und da hat Alex dann gegen den Schrank geschlagen und ist in der Umkleide verschwunden. Während Jenny wieder zurück zu euch gegangen ist, habe ich dort dann mit ihm geredet.“ Zögernd sah er zu mir herüber, doch ich sagte nichts und wartete darauf nun auch die ganze Geschichte zu hören. Er erzählte, dass Alex es für einen Fehler gehalten hatte und auch, dass er im Bus meinte, dass er zwar in mich verliebt sei, es sich aber trotzdem falsch angefühlt hätte. Ich lehnte mich gegen die Wand des Schulgebäudes, das durfte nicht wahr sein. Er war in mich verliebt und hielt es trotzdem für falsch. Auch Vicky schien etwas verwirrt. Und auch wenn es klingelte, blieben wir drei auf dem Schulhof stehen und schwiegen.

 

Kurz bevor die nächste Stunde anfing kam Christian zu mir. „Hey, wusstest du, dass Luis und Vicky zusammen sind.“ Ich sah ihn entgeistert an. „Wie kommst du darauf? Die sind nicht zusammen.“ „Doch, Alex hat es mir gesagt.“, protestierte er. Ich sah zu Alex hinüber, war das nun seine Rache an Luis, weil er dazwischen geplatzt war? „Dann hat Alex gelogen. Die beiden sind nicht zusammen.“, sagte ich wieder an Christian gewandt. Er zuckte mit den Schultern und ging. Sofort ging ich zu Vicky und Luis herüber. „Kann ich mal kurz mit euch reden?“, fragte ich und zog sie ein Stück von den anderen weg. „Nur mal eine dumme Frage: Ihr seid nicht zufälligerweise zusammen und ich weiß davon nichts?“ Sie sahen sich kurz an und ich rechnete schon mit dem schlimmsten. „Nein! Wie kommst du darauf?“, fragte Luis. „Naja, Christian kam gerade zu mir und hat gefragt ob ich wüsste das ihr zusammen seid und er weiß das angeblich von Alex und weil ich nicht weiß, ob das seine Rache an dir ist“, ich sah zu Luis, „oder ob nur etwas falsch verstanden hat, hab ich gedacht, dass ich lieber direkt euch frage.“  Vicky schwieg. „Da muss er etwas falsch verstanden haben.“, sagte Luis und Vicky nickte nur. „Wir sind auf keinen Fall zusammen!“ „Okay, ich dachte schon, dass ihr mir etwas verheimlicht.“ Sie schüttelten demonstrativ den Kopf. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass Alex uns beobachtete und sofort wurde ich wieder unruhig, weshalb ich so schnell wie möglich zu meinem Platz zurückkehrte.  Während der Mathestunde dachte ich darüber nach, warum Alex jetzt auch behauptete, dass die beiden zusammen wären. Vor ein paar Tagen, vor unserem Kuss, hatte er noch gesagt, dass er wüsste, wenn die beiden zusammen wären und dass er sich sicher sei, dass nicht. Irgendwas lief in den letzten Tagen total schief.

So gerne würde ich mit Alex reden wollen und diese ganze Sache klären, doch es ergab sich keine Möglichkeit und ich durfte ihm auf keinen Fall sagen, dass Luis mir erzählt hatte, dass er in mich verliebt war, denn dann wäre er bestimmt sauer auf Luis und das würde nur dazu führen, dass es noch mehr Probleme geben würde.

Als ich nach der Schule mit meinem Fahrrad an der Bushaltestelle vorbei fuhr, sah ich Alex und als ich an der nächsten Ampel hielt, drehte ich mich nochmal um, um ihn noch einmal anzusehen. Als er meinen Blick erwiderte, fragte ich mich unwillkürlich, was er machen würde, wenn ich jetzt einen Unfall hätte. Würde er zu mir laufen und mir helfen oder würde er wegsehen und so tun als ob er mich nicht kennen würde?   Die Ampel wurde grün und ich fuhr weiter. Ich spürte mein Herz in meiner Brust pochen. Ich wollte umdrehen und den ganzen Tag mit ihm verbringen oder ihn zumindest noch mal ansehen. Doch ich konnte nicht, wie dumm wäre das denn, also fuhr ich weiter gerade aus. Am Bahnhof vorbei, durch die Stadt und stelle mein Fahrrad bei meinem Vater in die Garage, schloss die Haustür auf und dann die Wohnungstür, stellte meine Schultasche ab und legte mich auf mein Bett. Noch waren weder mein Vater noch seine Freundin da. Ich war allein.

 

Erst als ich hörte wie mein Vater die Tür aufschloss, wurde ich wieder wach. Ich schreckte hoch. Anscheinend war ich eingeschlafen. Nun war es schon halb vier, das heißt, ich hatte 2 Stunden lang geschlafen. Mein Vater steckte seinen Kopf in mein Zimmer. „Hast du geschlafen?“ „Scheint so.“, sagte ich noch leicht schlaftrunken. „Ist ja nicht schlimm. Ich war gerade noch einkaufen und mache jetzt Mittagessen.“, sagte er zu mir. „Cool. Was gibt es denn?“ „Fisch mit Kartoffeln, Spinat und Salat.“ Weil ich noch nicht bereit war viel mehr zu sagen, nickte ich nur. Mein Vater verschwand in der Küche und für einen kurzen Augenblick hatte ich wirklich geglaubt, dass ich alles was in den letzten Tagen passiert war, nur geträumt hatte. Leider war dem nicht so und als mir das bewusst wurde, schloss ich kurz die Augen und atmete tief durch. Dann griff ich zu meinem Handy und sah mir meine Fotos an. Vor ein paar Wochen hatten wir in der Freistunde in der Mensa gesessen, Vicky, Luis, Alex und ich. Und aus Langeweile hatten Luis und ich angefangen Fotos zu machen. Später hatte Luis mir die Fotos, die er gemacht hatte geschickt, denn er hatte hauptsächlich Alex fotografiert. Es gab ein Foto, das ich stundenlang hatte anstarren können. Er beobachtete mich während ich gerade Vicky etwas erzählte und sein Blick hatte mir Hoffnung gegeben. Dann gab es noch ein Foto, das ich gemacht habe. Darauf waren Alex und Luis, es war das beste Foto, das ich von Alex hatte, wie er in die Kamera lächelte hatte mein Herz zum Aussetzten gebracht.

„Hattest du dich nicht eigentlich morgen mit Sara verabreden wollen?“, fragte mein Vater als wir beim Abendessen saßen. Sara war ein Mädchen, das ich bei der letzten Ferienveranstaltung von der Kirche kennengelernt hatte. Eigentlich verstanden wir uns super, auch wenn sie schon 18 Jahre alt war und ich erst 15, doch mir war jetzt überhaupt nicht danach zu Mute mich mit irgendjemandem zu verabreden und weil wir seit langem nicht mehr miteinander gesprochen hatten, ging ich davon aus, dass sie es sowieso vergessen hatte. „Nein, sie hat doch keine Zeit.“, sagte ich und zuckte mit den Schultern.

Ich beschloss ihn persönlich nach diesem Zettel zu fragen, damit er keine Chance hatte, mich zu ignorieren. Er ging zusammen mit Christian und Mike auf das Gebäude zu. Ich rannte ihm hinterher. „Kann ich kurz mit dir reden?“, fragte ich. Er blieb stehen und Christian und Mike sahen sich nur kurz zu uns um und gingen dann rein. Fragend sah mich Alex an. „Was ist denn?“ Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Du hast doch gesagt, dass du mit mir reden willst!?“ „Hä? Was willst du?“ Einen Moment lang dachte ich, ich hätte mich geirrt und jemand anders hätte den Zettel auf meinen Fahrradsattel geklebt, doch ich sah Furcht und Unsicherheit in seinen Augen. Der Zettel war von ihm gewesen. Ich wurde sauer, konnte er das denn nicht endlich klären? „Willst du mich verarschen!? Du hast gestern den Zettel auf meinen Sattel geklebt und jetzt tust du so als ob du von nichts wüsstest!“ Er schüttelte den Kopf. „Hör mal zu! Wenn du das was passiert ist nicht vergessen kannst, dann ist das dein Problem und du solltest versuchen irgendwie damit klar zu kommen, Jenny!“ „Vergessen?“, schrie ich ihn an. „Vergessen!? Du mieses Arschloch! Du wusstest ganz genau, dass ich noch etwas für dich empfinde und dann hast du das ausgenutzt. Du hast MICH geküsst und deshalb ist das verdammt nochmal auch dein Problem!“ Sein Gesicht erstarrte. Zum Glück waren wir an dem Hinterausgang, hier war nicht allzu viel los, sonst hätte es wahrscheinlich die gesamte Schule mitbekommen. Ich starrte ihn an, er erwiderte nichts und sah mich einfach nur an. Es fühlte sich an als würde mein Herz und mein ganzer Körper brennen. Mein Herz pochte. Plötzlich stellte ich mir die gleichen Fragen wie immer: Wollte er es vergessen? Hatte er Luis doch nicht die Wahrheit gesagt? Was soll ich jetzt tun?

Es fühlte sich an als würde uns ein Band verbinden und mich zu ihm hinüber ziehen. Ich wollte ihn berühren, seine Hand nehmen und ihn küssen. Wie oft hatte ich dieses Verlangen in den letzten Tagen gehabt. Immer noch sahen wir uns einfach nur an. Was dachte er jetzt. Seine ganze Schlagfertigkeit schien verflogen zu sein. Ich erschrak als er einen Schritt auf mich zu machte. Würde er mich jetzt wieder anbrüllen und mir sagen, dass ich es vergessen solle? Doch er sah mir ruhig in die Augen und machte einen weiteren Schritt auf mich zu, bis wir keine zehn Zentimeter mehr voneinander entfernt waren. Ich wusste, dass es falsch war, doch ich wollte und konnte mich nicht dagegen wehren. Er küsste mich und ich erwiderte seinen Kuss. Zuerst vorsichtig, weil ich Angst hatte, dass er doch wieder einen Rückzieher machen würde, doch dann ließ ich mich darauf ein. Mit der einen Hand, die nicht meine Tasche daran hinderte von meiner Schulter zu rutschen, hielt ich mich an seinem Shirt fest, während er leicht an meinen Haaren zog. Die Schulklingel ließ mich aufschrecken. Ich ließ sein Shirt los, machte einen Schritt nach hinten und sah mich panisch um. Alex räusperte sich und sagte dann: „Wir sollten dann wohl mal zum Unterricht gehen.“ Er wandte sich zum Gehen. Entgeistert sah ich ihn an. „Ist das dein Ernst? Du willst schon wieder gehen? Ohne auch nur ein kleines bisschen darüber zu reden?“ „Was sollen wir denn reden?“ Ich verdrehte die Augen. „Vielleicht darüber, warum du mich andauernd küsst, aber nicht mit mir zusammen sein oder mir die Wahrheit sagen willst!?“ „Ich…“ Doch Hr. Bach unterbrach uns: „Warum seid ihr noch nicht im Unterricht? Die Stunde hat längst angefangen.“  Ich sah auf meine Uhr. „Oh, Mist. Entschuldigung.“ Wir liefen die Treppen hinauf. Entweder lag es an dem Adrenalin, das durch den Kuss durch meinen Körper strömte, auf jeden Fall fühlte ich mich lebendiger als je zuvor. Vor der Klasse machten wir Stop, atmeten noch einmal tief durch. Dann öffnete Alex die Tür und wir gingen rein. „Warum kommt ihr so spät?“, fragte Fr. Perschel leicht gereizt. Alex wollte gerade antworten, aber ich kam ihm zuvor: „Eine Frau hat uns nach dem Weg zur Sparkasse gefragt und wir wollten nicht unhöflich sein.“ „Hmm..“ Unentschlossen musterte sie uns. Sie schien nicht zu wissen, ob sie uns glauben sollte oder nicht. „Setzt euch.“  Als ich zu meinem Platz ging und mich setzte, versuchte ich jeglichen Blickkontakt mit jedem zu vermeiden, denn fast die Hälfe der klasse wusste dass ich in Alex verliebt war und wenn wir dann beide zu spät zum Unterricht kamen, dann würden Fragen gestellt werden. Also tauchte ich erst mal in meiner Tasche ab und kramte nach meinen Mathe Sachen. Dann landete ein Zettel auf meinem Tisch. Ich sah mich um und begegnete Vicky Blick. Der Zettel war von ihr und sie deutete mir ihn sofort zu öffnen. „Was ist passiert? Habt ihr geredet?“ Ich wieder zu ihr herüber und auch Luis der neben ihr saß, sah mich gespannt an, doch ich schüttelte nur den Kopf, woraufhin beide die Augen verdrehten. Dann sah ich wieder auf mein Heft und versuchte irgendwie dem Unterricht zu folgen.

 

Alex sah mich die ganze Stunde kein einziges Mal an. Ich dachte darüber nach, was er geantwortet hätte und ob ich es wirklich hören wollte, denn auch wenn die ständige Ungewissheit mich um den Verstand brachte, war ich mir zu 75% sicher, dass mir die Antwort nicht gefallen würde und er nur mit mir spielte und so hatte ich vielleicht doch noch die Möglichkeit wenigstens etwas mehr „normale“ Zeit mit ihm zu verbringen. Also beschloss ich ihn nicht noch einmal zu fragen. Kaum hatte Fr. Perschel den Unterricht beendet, kam Vicky zu mir herüber gelaufen. „Nicht jetzt. Sonst denkt er, dass ich mit dir über ihn rede.“, sagte ich bevor sie mich etwas fragen konnte. Also umarmte sie mich nur und wünschte mir einen Guten Morgen.

Der Sportunterricht fand heute auf dem Sportplatz statt, der an das Schulgelände angrenzte. „Sport in der 6. Stunde. Wie kann man uns das nur antuen?“ Vicky seufzte. Doch ich beachtete sie nicht. Als sie mich in der Pause gefragt hat, ob da jetzt wieder etwas zwischen Alex und mir passiert war, log ich. Ich sagte, wir hätten uns nur unterhalten und er hätte mal wieder vom Thema abgelenkt. Ich dachte mir, dass es besser war, wenn ich es ihr erst mal nicht erzähle. Wahrscheinlich wäre das auch in Alex‘ Sinn. Als wir den Cooper-Test hinter uns hatten, waren wir alle sehr erschöpft und weil es extrem heiß war und die Sonne schien, legten wir uns auf die Wiese und fingen an uns zu Sonnen.

 

Plötzlich ging der Rasensprenger an und wir sprangen erschrocken auf. Die Jungen waren schon auf den Rasen gelaufen und sprangen unter dem Wasser herum. Vicky und ich sahen uns an und liefen ebenfalls unter dem Sprenger durch, zwar waren dadurch unsere Sachen nass, doch wir hatten ja nur die Sportsachen an und bestimmt würden unsere Haare durch die Sonne auch schnell wieder trocknen. Nach ungefähr zehn Minutenwaren wir alle so nass, dass wir beschlossen uns nun umzuziehen und nach Hause zu fahren. Meine nassen Haare hingen strähnenweise in meinem Gesicht. Ich spürte, wie meine Sportschuhe vor Wasser trieften und immer wenn ich auftrat, hörte ich, wie das Wasser aus der Sohle ausgequetscht und dann wieder eingesogen wurde, deshalb zog ich sie schnell aus, dann ging ich weiter zur Umkleide. Doch Alex lief mir hinterher, lächelte mich an und zog mich wieder auf den Rasen und unter den Rasensprenger. Da standen wir, er hielt meine Hand. Dieses Mal, das beschloss ich, würde nicht er mich küssen, sondern ich ihn. Ich lächelte ihn an, sah in seine Augen und küsste ihn.

Plötzlich rief Fr. Hecker: „Runter von der Wiese! Ihr müsst euch umziehen, die Stunde ist gleich vorbei!“ Erschrocken sah ich mich um. Ich hatte nur geträumt. Außer Vicky und mir waren schon alle in den Umkleiden verschwunden. Ich lief los, damit ich nicht all zu spät nach Hause kam. Auch wenn sich, abgesehen davon, dass Alex mich erneut geküsst hat, an der Situation nichts geändert hat, hatte ich trotzdem das Gefühl, dass es nun besser ist. Ich war verwirrt, denn ich wusste, dass es nicht besser war und trotzdem fühlte ich mich besser als in den letzten Tagen.

Zuhause angekommen grübelte ich darüber nach, was ich als nächstes machen sollte. Der Traum war so schön gewesen, dass ich ihn am liebsten verwirklichen würde, doch er war so unwirklich, dass es nur in einem Film passieren würde. Ich wusste nicht was ich machen sollte, sämtliche versuche mich abzulenken scheiterten. Ich beschloss Vicky anzurufen und ihr von dem Traum erzählen, doch den Kuss vor dem Unterricht verschwieg ich ihr noch immer. Als ich ihr von dem Traum erzählt hatte, erhielt ich eine Antwort, die ich nicht erwartet hätte: „Das hört sich zwar schön an, aber du weißt, dass das nie passieren wird.“ Ich schwieg. „Mir ist klar, dass du das nicht hören willst, aber du solltest endlich über ihn hinweg kommen. Was er letzten Winter getan hat und dass er dich jetzt auch noch küsst und dann einfach ignoriert. Jenny, er weiß, dass du in ihn verliebt bist und nutzt das aus.“ Ich schluckte, mir war klar, dass sie Recht hatte, doch das hatte ich nicht hören wollen. Ich war kurz davor ihr doch von dem Kuss zu erzählen, doch das würde nix ändern, denn er hatte nicht auf meine Fragen geantwortet und selbst wenn Hr. Bach uns nicht in den Unterricht geschickt hätte, dann hätte er sich wahrscheinlich irgendwie vor der Antwort gedrückt. „Jenny? Hallo.“ Ich war unfähig etwas zu sagen. „Ähh…“ „Ist was? Du warst plötzlich so still.“ Ich konnte ihr nicht sagen, dass sie mich in Ruhe lassen soll und dass ich das nicht hören wollte, denn ich hatte sie doch angerufen und es ihr erzählt. „‘Tschuldigung. Mein Vater kommt gleich nach Hause und ich muss noch aufräumen, deshalb muss ich jetzt leider wieder auflegen. Wir können ja morgen in der Schule weiterreden.“  „Okay, dann bis morgen.“ Sie legte auf. Eigentlich musste ich nicht aufräumen, aber ich wollte nicht weiter mit Vicky telefonieren. Anscheinend musste ich mir selber etwas einfallen lassen um das mit Alex zu klären. Ich wollte die Wahrheit hören, doch wenn die Wahrheit war, dass er nur mit mir spielte, so wie Vicky es gesagt hatte, dann würde ich es auf ewig bereuen. Die bessere Alternative wäre, es einfach so zu lassen, wie es vor dem Kuss war. Ich würde normal mit ihm reden, als wäre nichts passiert.

 

Am Abend schlief ich erst um ein Uhr ein, weil mich das ganze doch noch extrem beschäftigte und am nächsten Morgen wachte ich schon um fünf auf, weshalb ich in der Schule fast einschlief. Ab und zu sah ich zu Alex herüber, er schien abgelenkt zu sein und wieder fragte ich mich, ob er mich vielleicht doch nochmal ansprechen würde um die Fragen zu klären. Als ich mich selbst dabei ertappte, dass ich mir wieder Hoffnungen machte, von denen ich wusste, dass sie mich wieder ins Verderben stürzen würden, wurde ich hibbelig und fragte mich warum ich nicht einfach alles Geschehene aus meinem Hirn verbannen konnte. Es war komisch zu wissen, dass er mich zweimal geküsst hatte, obwohl ich diejenige war, die in ihn verliebt war. Ich wollte auch mal den ersten Schritt machen, doch ich wusste nicht wann. Allerdings war das abgesehen davon, dass es besser wäre wenn wir alleine wären, nicht so schwer, denn er hatte mich immerhin auch einfach so geküsst und das schon zwei Mal.

Als die Chemie Stunde vorbei war, packte ich schnell meine Sachen, auch wenn Alex einer der letzten war, weil er Ordnungsdienst hatte. Ich stellte, damit ich nicht nur dumm herum stand die Stühle an meinem Tisch hoch und kramte dann noch ein bisschen in meiner Tasche herum, damit es so aussah, dass ich etwas suchte. Nicole war extremst faul, weshalb sie einfach ging, nachdem sie die Tafel geputzt hatte. Mein Herz schlug schneller. Ich war nun mit Alex allein in einem Raum, doch weil Hr. Dr. Klever bald zurückkommen würde, beschloss ich, dass es doch nicht die beste Möglichkeit war. „Wo ist denn Nicola?“ „Gegangen.“, sagte Alex und sah kurz zu mir herüber. „Könntest du noch kurz beim aufkehren helfen, Jenny?“  Ich nickte. „Aber klar.“ Ein Grinsen konnte ich mir jedoch nicht verkneifen. „Ich muss jetzt ins Lehrerzimmer. Ihr bekommt das doch alleine hin?“ Er zwinkerte uns zu. Er war immer total locker drauf, obwohl er einen Doktortitel hatte. Jetzt hatte ich jedoch wirklich Panik, denn dieses Mal würde niemand wiederkommen und uns „stören“. Wir sprachen kein Wort. Als wir fertig waren lief ich ihm hinterher und bevor er gehen konnte, griff ich seinen Arm und zog ihn ein Stück zu mir zurück. Jetzt oder nie, dachte ich. Ich lächelte ihn kurz an, dann nahm ich seinen Kopf in meine Hände und küsste ihn. Zuerst hatte ich Angst, doch dann legte er seine Hände an meine Taille und zog mich ein Stück näher zu sich heran. Wir taumelten beide ein Stück nach hinten, bis er mit dem Rücken an der Wand stand. Dieses Mal kam es mir sogar noch besser vor, als beim letzten Mal. Vielleicht lag es daran, dass ich ihn geküsst hatte oder es war einfach so und dieses Gefühl verschwand erst, als sich unsere Lippen voneinander lösten, ich ihm in die Augen sah und mich wieder fragte, was nun passieren würde. Sollte ich einfach gehen? Aber dann wäre ich genau wie er beim letzten Mal. Ich wollte ihn nicht wieder loslassen. Wir blieben stehen. Noch immer ruhten seine Hände auf meiner Hüfte, meine Hände lagen nun auf seinen Schultern. Weil es langsam irgendwie komisch wurde, ihn die ganze Zeit nur anzusehen, schossen mir lauter Gedanken durch den Kopf: Sollte ich ihn nochmal küssen? Nein, das wäre komisch. Weggehen hatte ich auch schon ausgeschlossen. Doch Alex entschied für mich, er nahm meine Hände von seinen Schulter, hielt sie fest und flüsterte mir dann ins Ohr: „Ich glaube, es wäre wirklich besser, wenn wir mal reden.“ Er gab mir einen Kuss auf die Wange. „Die nächste Stunde fängt gleich an, weshalb jetzt leider keine Zeit mehr zum Reden bleibt, aber vielleicht heute Nachmittag?“ Die Art wie er das sagte, gab mir Mut und auf einmal schienen die Hoffnungen gar nicht mehr so falsch zu sein. „In Ordnung.“, sagte ich, nahm meine Tasche und verließ den Raum. Draußen hielt er mir die Tür auf. „Danke.“, sagte ich und sah dann auf meine Uhr. „Oh Nein! Wir haben nur noch eine Minute und es sieht vielleicht ein bisschen blöd aus, wenn wir wieder „zusammen“ zu spät kommen.“ „Stimmt, also los.“, sagte er und wir liefen los. Er war wesentlich schneller als ich, doch das spornte mich nur dazu an, noch schneller zu laufen. Ich sprang die Stufen zur Eingangstür des Schulgebäudes hinauf, die Alex schon vor wenigen Sekunden erreicht hatte. Als ich bemerkte, dass er ein Stück nach rechts sprang, kannte ich den Grund noch nicht, doch plötzlich sah ich, wie ein Stuhl die Treppen herunter auf mich zu gerollt kam. Ich hatte keine Zeit mehr auszuweichen. Der Stuhl schlug gegen meine Beine und ich geriet aus dem Gleichgewicht, meine Beine knickten ein und ich flog nach hinten. Die Treppe hinunter. Mein Rücken kam zuerst auf dem steinigen harten Boden auf. Dann schlug mein Kopf nach hinten und ich blieb regungslos liegen. In diesem Moment war ich nicht fähig meine Augen, die ich während dem Sturz aus Reflex geschlossen hatte, wieder zu öffnen. Ich hörte Schritte. Zuerst nur von einer Person. Ich vermutete, dass es Alex war. Dann von mehreren, wobei ich keine Ahnung hatte, wo diese Leute so plötzlich her gekommen waren. Ich hörte Alex‘ Stimme, doch ich konnte sie nicht verstehen. Es schien alles irgendwo in der Ferne zu passieren. Ich hatte das Gefühl Stunden auf dem Boden gelegen zu haben. Als ich endlich die Augen öffnete sah ich in die Augen von 2 Schülern, Frau Hecker und in die von Alex. Ich versuchte zu lächeln. Doch ich schaffte es nicht nur einen Finger zu rühren. Sie redeten auf mich ein, doch meine Gedanken drifteten immer wieder ab ins nichts. Ich spürte wie mein Herz in meiner Brust raste.  Ich spürte eine Hand in meinem Rücken, die meinen Oberkörper noch vorne schob, so dass ich aufrecht saß. Langsam sammelten sich meine Gedanken wieder und ich kehrte in die Realität zurück. Ich kam mir vor wie ein Goldfisch. Alle starrten mich an. Dann sah ich Fr. Hecker, die ein paar Oberstufenschülern zurief, dass sie dafür sorgen sollten, dass die ganzen Schüler nicht so gaffen sollten. Ich musste schmunzeln. Ich mochte Fr. Hecker, sie war immer so nett. Vorsichtig sah ich mich um. „Jenny?“ Fr. Hecker wandte sich wieder mir zu. „Ein Krankenwagen ist auf dem Weg. Kannst du mich hören?“ Ich nickte. Noch brachte ich kein Wort raus. Etwas verwirrt und Hilfe suchend, sah ich mich nach Alex um. Doch ich konnte ihn nicht entdecken. War er nicht eben noch da gewesen? Plötzlich hörte ich die ohrenbetäubende Sirene von einem Krankenwagen. Dann ging alles ganz schnell. Ich wurde auf eine Trage gelegt und in den Krankenwagen gebracht. Ich dachte zuerst, dass ich nun ganz alleine mit den Sanitätern ins Krankenhaus fahren würde, doch dann lief Fr. Hecker uns hinterher und setzte sich auf einen Platz neben der Trage. Ich starrte sie nur an. Nach ungefähr einer Minute versuchte ich etwas zu sagen, weil ich nicht sofort irgendwelches dummes Zeug stammeln wollte, versuchte ich es erstmal mit etwas einfachem: „Hallo.“, flüsterte ich und fragte mich zugleich, ob sie es überhaupt gehört hatte. „Hallo. Wie geht es dir?“ Ich überlegte. „Mein Kopf tut weh.“ Sie grinste. „Kann ich verstehen.“ Dann blieb der Wagen stehen, die Türen gingen auf und die Sanitäter zogen mich aus dem Wagen hinaus, klappten die Rollen aus und fuhren mich über den leicht steinigen und holprigen Weg durch einen langen Gang irgendwo hin. Weil es langsam aus irgendeinem Grund schwer wurde die Augen offen zu halten, ließ ich sie einfach zu fallen und versuchte nicht mehr den Gängen zu folgen, durch die sie mich durchschoben. Als die Trage zum Stehen kam, öffnete ich die Augen wieder. Dann baten mich die Sanitäter auf das Bett, neben dem die Trage nun stand zu klettern. Ich legte mich in das Bett. Die Sanitäter verließen das Zimmer. Nun waren die Sanitäter weg und nur noch eine Ärztin, Fr. Hecker und eine Schwester da. Fr. Hecker lächelte mir aufmunternd zu, die Ärztin füllte anscheinend noch ein paar Formulare aus, während die Schwester nur in der Ecke stand und zugegebenermaßen etwas gelangweilt aussah. Dann sah die Ärztin hoch und fing an mir die üblichen Fragen zu stellen. „Hallo, Jenny. Ich bin Fr. Dr. Neumann.“ Ich nickte. „Beschreib mir doch mal genau, was dir weh tut.“ Irgendwie kam ich mir in diesem Moment vor wie ein kleines Kind. „Mein Hinterkopf und mein Fuß.“, bemerkte ich. Bis jetzt war mir nicht aufgefallen, dass auch mein Fuß weh tat und den Schmerz am Hinterkopf hatte ich durch das ganze Durcheinander vergessen. Fr. Dr. Neumann ging zu dem Fuße meines Bettes. Ich stützte mich mit den Händen im Rücken ab, um etwas sehen zu können. Ich bemerkte, dass mir schwindelig wurde. Doch ich blieb sitzen. Fr. Neumann nahm meinen Fuß in die Hand und bewegte ihn. Zuerst spürte ich nichts, doch dann stach ein furchtbarer Schmerz durch meinen Fuß. Ich biss die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Es tat so verdammt weh. Etwas besorgt sah die Ärztin mich an. „Das tat weh, oder?“ Ich nickte. „Ziemlich.“ „Es ist wahrscheinlich eine Prellung oder Stauchung. Wir werden uns das später auf dem Röntgenbild einmal ansehen.“ Plötzlich verschwamm das Zimmer vor meinen Augen und das Schwindelgefühl wurde stärker, deshalb ließ ich mich wieder zurück in das weiche Kopfkissen fallen. „Wir haben deinen Vater angerufen. Er müsste gleich kommen.“ Wieder brachte ich nur ein Nicken zu Stande. Die Augen hatte ich wieder geöffnet und jetzt, da ich wieder lag, war auch das Schwindelgefühl weg. „Ist es okay, wenn ich hinaus ins Wartezimmer gehe und dort auf deinen Vater warte?“ „Jaja. Ist okay.“ Noch einmal lächelte Fr. Hecker mir aufmunternd zu, dann verließ sie den Raum und meine Ärztin setzte sich auf einen Stuhl neben mein Bett. „Kannst du mir jetzt mal erklären, was genau zu deinem Sturz geführt hat?“ Ich überlegte, holte tief Luft und fing dann an zu erzählen: „Ich war noch im Chemieraum gewesen und die nächste Stunde hatte schon angefangen, also bin ich losgelaufen.“ Es fiel mir schwer mich zu erinnern, das musste von dem Sturz kommen, dachte ich. „Als ich die Treppen zu unserem Schulgebäude hinauf lief, kam mir plötzlich dieser Stuhl entgegen und dann bin ich gefallen.“ „Wie viele Treppenstufen waren das ungefähr, die du hinunter gefallen bist?“ Ich schätzte: „Vier oder vielleicht fünf.“ Sie stand auf und kam zu mir hinüber. „Versuch doch mal bitte dich kurz aufzusetzen.“ Ich zog mich an dem Seiten meines Bettes nach vorne. „Blutet mein Kopf?“, fragte ich leicht panisch, weil ich mit dem Schlimmsten rechnete. „Nein, nein. Mach dir keine Sorgen. Du hast nur eine leichte Gehirnerschütterung, deshalb solltest du im Bett liegen bleiben und dich erst mal ausruhen.“   Ich traute mich nicht nach Alex zu fragen. Die Ärztin verließ den Raum und ich ließ mich zurück in mein Bett fallen.

Ich hörte ein Stimmengewirr, das sich meinem Zimmer näherte und erst als ich meinen Vater, Fr. Hecker und Fr. Dr. Neumann sah, wurde mir bewusst, dass ich schon wieder eingenickt war. Wie lange hatte ich wohl geschlafen. Kurz ließ ich meinen Blick durch das Zimmer wandern, doch eine Uhr konnte ich nirgends entdecken. „Hey, mein Schatz. Wie geht’s dir?“, fragte mein Vater. „Mein Kopf tut weh und ich bin hundemüde. Also den Umständen entsprechen.“ Ich lächelte schwach. Er nahm die Decke und zog sie über meine Füße. Anscheinend war sie verrutscht während ich geschlafen hatte, oder Fr. Dr. Neumann hatte vergessen sie wieder über meine Füße zu legen, bevor sie gegangen war. „Ich muss noch ein bisschen Papierkram erledigen, weil das mit der Versicherung, seit deinem Umzug noch nicht ganz klar ist, aber mach dir keine Sorgen.“ Bevor er wieder den Raum verließ, gab er ihr noch einen Kuss auf die Stirn. „Gleich wir dir eine Schwester dein Abendessen bringen. Brauchst du noch irgendwas?“ Nochmal sah ich mich im Raum um. „Haben sie vielleicht eine Uhr, die ich mir auf den kleinen Tisch stellen kann?“ Fr. Dr. Neumann lächelte mich an. „Aber klar. Komisch, dass hier keine Uhr im Zimmer ist.“ Mit diesen Worten verschwand sie. Würde Alex mich besuchen kommen? Ein bisschen traurig war sie ja schon… Sie hatte gehofft, dass er sich um sie kümmern würde und direkt zu ihr ins Krankenhaus kommen würde, wenn er Schule aus hatte. Nach ein paar Minuten kehrte Fr. Dr. Neumann mit einem kleinen Wecker zurück. „Hier, dann weißt du wie spät es ist und auch welcher Tag ist.“ Sie stellte den Wecker auf den Nachttisch. „So. Leider muss ich jetzt weiter zu meinen anderen Patienten. Guten Appetit.“ „Tschüss und danke.“, erwiderte ich. Ich hörte, wie sich ihre Schritte auf den Flur entfernten und gar nicht mehr zu hören waren. Eine Weile starrte ich vor mich hin und dachte einfach nur nach. Plötzlich hörte ich ein Klopfen an der Tür und ich hoffte, dass es Alex war. Doch dann sah ich die Schwester mit einem Tablett in der Hand. Ich setzte mich auf. Nachdem sie das Tablett auf meinen Beinen abgestellt hatte, stellte sie das Bett so ein, dass ich mich mit dem Rücken anlehnen und aufrecht sitzen konnte. „Lass es dir schmecken.“, sagte sie und verschwand dann wieder. Ich warf einen Blick auf den Teller. Eine Scheibe Brot, belegt mit Salami und ein paar Stücke Apfel. Es sah nicht gerade appetitlich aus, doch ich hatte solchen Hunger, dass ich es einfach hinunter schlang. Ich wartete darauf, dass die Schwester zurückkam um mir das Tablett abzunehmen und auch um das Bett wieder in seinen „normal-Zustand“ zurück zu versetzten. Doch sie kam und kam nicht. Irgendwann schlief ich dann ein. Im Sitzen, mit den Tablett auf dem Schoß.

 

Als ich wieder aufwachte, spürte ich, dass ich extrem starke Kopfschmerzen hatte. Ich sah auf den Wecker, der auf meinem Nachttisch stand. Es war 13:54 Uhr. Erschrocken fuhr ich hoch und sofort wurde ich mir wieder der Intensität meiner Kopfschmerzen bewusst und ich fragte mich zugleich, warum mich niemand geweckt hatte. Doch in diesem Moment kam auch schon eine Ärztin zusammen mit einer Schwester ins Zimmer. Ich setzte an um zu fragen, warum ich nicht geweckt worden war, doch sie unterbrach mich: „Zum Glück bist du endlich wach, Jenny. Es gibt ein kleines Problem und es tut mir wirklich sehr leid, dass ich dich jetzt so damit konfrontiere, aber du hast zwei Tage lang im Koma gelegen und wir haben festgestellt, dass der Grund dafür eine Hirnblutung ist.“ Ich bekam Panik. Wovon redete sie da nur und weshalb war ich überhaupt im Krankenhaus? „Deshalb müssen wir dich sofort operieren, damit du keine langfristigen Schäden davon trägst. Du wirst gleich für die Operation vorbereitet.“ Was war nur passiert? Ich konnte mich nicht erinnern. Hektisch sah ich mich im Zimmer um und entdeckte, dass jemand am anderen Ende des Raumes auf drei Stühlen lag und schlief. Die Ärztin ging zu der Person hin und weckte sie. Als sich die Person aufrichtete, erkannte ich, dass es Alex war. Was machte er denn hier? „Sie ist aufgewacht.“, sagte die Ärztin zu ihm und sofort sah er zu mir hinüber. Dann verließ die Ärztin den Raum und nur Alex und die Schwester blieben. Irgendwie fand ich es toll, dass Alex gekommen war. Vielleicht wollte er mir ja nun sagen, dass er doch in mich und nicht in Vicky verliebt war. Er kam zu mir ans Bett und setzte sich auf einen Stuhl. Leicht zögernd sah er zu der Schwester hinüber, die gerade eine Spritze aus dem Rollwagen nahm. Ich hasste Spritzen und wusste überhaupt nicht, wie ich auf die Situation reagieren sollte. Hatte ich wirklich im Koma gelegen? „Wie geht es dir?“, fragte Alex. Irritiert sah ich ihn an und antwortete dann leicht zögernd: „Naja, ich bin etwas überrumpelt. Was machst du hier?“ Er zuckte mit den Schultern. „Na, dich besuchen.“ Ich beobachtete die Schwester. Nun verließ auch sie den Raum und ich fühlte mich nicht wohl dabei, mit Alex in einem Raum zu sein. Zwar war ich noch in ihn verliebt, soweit ich das bei meinem geistigen Zustand beurteilen konnte, aber das war jetzt doch etwas viel. Ich sah ihn an und für ihn schien das ganz und gar nicht komisch zu sein. Plötzlich stand er auf und kam noch näher auf mein Bett zu. Ich setzte mich vorsichtig auf und stützte mich mit den Händen ab. Er sah sich um und dann beugte er sich zu mir hinüber und küsste mich. Ich wusste nicht ob ich mich wehren sollte oder nicht. Also ließ ich es einfach passieren. Doch dann schaltete mein Kopf um und ich rutschte nach hinten und entzog mich ihm. „Was soll das?“, fragte ich unsicher. Alex zog eine Augenbraue hoch. „Willst du nicht, dass ich dich küsse?“ Bei dem Wort ‚küssen‘, zuckte ich zusammen. „Nein!“, antwortete ich entrüstet. Wie kam er nur darauf mich einfach zu küssen. Er ließ sich zurück auf den Stuhl sinken und runzelte die Stirn, während ich ihn weiterhin Fassungslos ansah. Was war nur mit ihm los? Wieder kam eine Schwester rein. Ich kannte sie nicht, doch sie lächelte mich freundlich an. „Soll das ein Witz sein?“, fragte Alex vorsichtig. Ich schüttelte langsam den Kopf, weil ich mittlerweile wirklich etwas Angst bekam. „Gibt es ein Problem?“, fragte die Schwester. „Ich weiß nicht.“, antworteten Alex und ich gleichzeitig. „Was ist denn los?“, fragte sie weiter. „Ich weiß, dass sich das jetzt ziemlich blöd anhört, aber ich glaube, dass sie nicht mehr weiß, dass wir zusammen sind…“ Während er dies sagte, ließ er mich nicht aus den Augen. Nun war ich vollkommen aus der Fassung gebracht. Ohne ein weiteres Wort, verließ diese Schwester nun auch den Raum, kehrte aber sofort wieder mit der Ärztin zurück. „Hallo, Jenny. Weißt du noch warum du eingeliefert worden bist?“ Zögernd schüttelte ich den Kopf, während Alex Blick immer noch auf mich gerichtet war. „Welcher Tag ist heute?“ Ich überlegte. „Der 8. März?!“, sagte ich unsicher. „Nein, nein, nein.“, sagte Alex zuerst leise, doch dann wurde er lauter: „NEIN!“ „Beruhigen sie sich.“, sagte die Ärztin. „Aber heute ist nicht der 8. März! Heute ist der 19. April!“ Er sprang auf und fing an durch den Raum zu laufen. Völlig durcheinander, beobachtete ich ihn. Hatte er nun den Verstand verloren oder ich? „Okay. Du hast wahrscheinlich auf Grund der Hirnblutung einen Gedächtnisverlust erlitten, aber das wird sich mit der Operation hoffentlich wieder ändern. Deshalb ist es umso wichtiger, dass du so schnell wie möglich operiert wirst.“ Ich nickte stumm. Eine der Schwestern kam an mein Bett und erklärte mir, dass sie an einem Teil meines Kopfes die Haare abrasieren müssten. Bei diesen Worten erschrak ich. Ich mochte meine Haare. Ich sah, dass Alex zuerst zögerte, doch schließlich sagte er: „Es ist doch nur ein Teil, deine anderen Haare werden es verdecken und sonst kaufen wir dir halt eine Mütze oder Extentions.“ Er grinste mich an und auch ich musste lächeln. Ich konnte mich zwar immer noch nicht daran erinnern, dass wir angeblich zusammen waren, doch seine Anwesenheit war schön.

Nervös betrachtete ich den Rasierer, den die Schwester in der Hand hielt. Sie lächelte mir aufmunternd zu, doch mir war immer noch hatte ich ein mulmiges Gefühl bei der Sache. Immerhin würde mir der Kopf aufgeschnitten werden….

Sie schoben mich in meinem Bett durch die Gänge, nun hatte ich auch so ein komisches Krankenhaus Nachthemd an. Bei dem Gedanken an Alex Blick, als ich aufgestanden war um mir im Bad das Nachthemd anzuziehen und als ich wieder heraus kam, musste ich grinsen. Er lief neben meinem Bett her, doch als sie mich durch die große Tür schoben, durfte er nicht mehr mitkommen. Er gab mir einen kurzen Kuss. Und obwohl jede der anwesenden Schwestern wussten, dass wir zusammen waren und sie wahrscheinlich kein Problem damit hatten, dass er mich küsste, kam es mir doch etwas peinlich vor. Als wir im OP angekommen waren, musste ich mich auf einen Stuhl setzen. „Wir müssen dich leider festschnallen, damit du unter Narkose nicht vom Stuhl fällst.“, sagte eine Frau in blauen OP-Klamotten, die ich wegen dem Mundschutz nicht erkennen konnte. „Alles klar, Jenny?“, fragte mich die Ärztin. „Wo ist eigentlich mein Vater?“ „Weil wir dich so schnell wie möglich in den OP bringen mussten, konnten wir ihn noch nicht benachrichtigen. Aber wenn du wieder aus der Narkose aufwachst, wird er da sein. Versprochen.“ Ich nickte. Dann bekam ich die Anästhesie und „schlief“ ein.

Ich öffnete die Augen und hatte im ersten Moment Angst, dass die Narkose nicht richtig wirkte und ich jetzt mitten in der Operation, mit einem offenen Hinterkopf, aufwachen würde, doch ich sah meinen Vater und war sofort erleichtert. Doch als ich sah, dass er sich mit Alex unterhielt, wollte ich die Augen wieder schließen und einfach einschlafen, aber es war zu spät, sie hatten gesehen, dass ich die Augen geöffnet hatte. Sie kamen auf mich zu. „Da bist du ja wieder. Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht.“, sagte mein Vater. Etwas nervös lächelte ich ihn an und sah dann zwischen ihm und Alex hin und her. Worüber sie wohl geredet hatten. „Ich gehe mir mal einen Kaffee holen und lasse alleine.“ Ich hasste solche Momente, wenn Eltern sagen: „ich lasse euch mal alleine“. Das hört sich immer extrem doof an. „Heey.“, sagte ich zu Alex, doch er sah mich nur fragend an. Dann fragte er: „Kannst du dich wieder erinnern?“ „An was?“ „Na daran, dass wir quasi irgendwie zusammen sind!?“, erwiderte er. Ich musste lächeln. „Ja, ich erinnere mich.“ Er seufzte erleichtert. „Und ich erinnere mich auch noch daran, dass du mich angebrüllt hast, weil ich dachte, dass der 8. März wäre.“ Er biss sich auf die Lippe. „Tut mir echt leid, aber ich dachte echt, dass du für immer das Gedächtnis verloren hättest…“ Ich grinste ihn an. „Schon okay, war ja auch irgendwie süß, dass du dir Sorgen gemacht hast.“ Ich streckte dir Arme nach ihm aus. Er kam auf mich zu und ehe er sich wehren konnte, schlang ich meine Arme um seinen Hals und zog ihn zu mir hinunter. Ihn zu küssen tat so gut, dass ich vergaß, dass ich gerade operiert worden war und sich an meinem Hinterkopf vermutlich ein kahler Fleck befand. Als ich ihn endlich losgelassen hatte, bat ich ihn mir zu helfen zum Spiegel zu gehen und mir noch meinen kleinen Kosmetikspiegel zu geben, damit ich mir meinen Hinterkopf angucken konnte. Es war ein eckiger kleiner Fleck, doch er störte und zweifelnd betrachtete ich ihn im Spiegel. Nach einer Minute nahm Alex mir den Kosmetikspiegel ab und als ich protestieren wollte, sagte er: „Wir fahren, sobald du hier raus kommst, in die Stadt und kaufen dir eine schöne Mütze. So wie Monika aus der 9d sie hat, nur noch viel schöner.“ Ich überlegte. Monika hatte so eine rote gestrickte Mütze, die sie immer trug. Die war echt schön, also willigte ich ein.

Mein Vater hatte zum Glück kein Problem damit, dass ich einen Freund hatte und fuhr uns eine Woche später sogar ins Shopping-Center. Dort kauften wir mir eine schwarze Strickmütze mit pinker Blume. Als Alex sie aufzog, hab ich so angefangen zu lachen, dass ich mich auf den Boden setzen musste. Sofort war er panisch geworden, weil er dachte, dass ich wieder Probleme mit dem Kopf hätte und ich habe drei Minuten gebraucht um ihn wieder zu beruhigen.

In der Schule reagierten fast alle von unseren Freunden mit der gleichen Antwort, als wir zugaben, dass wir zusammen waren: „Na endlich!“ oder „Geht doch!“. Vicky fragte ich noch einmal, ob sie wirklich nicht mit Luis zusammen war, sie antwortete, dass sie sich einmal fast geküsst hätten, aber weil beide sich einig gewesen waren, dass sie nicht ineinander verliebt waren, hatten sie beschlossen es einfach zu vergessen. Ich war glücklich, dass ich Alex hatte und das mit meiner Mutter war auch so gut wie abgehackt. Sie hatte ihre Fehler zwar nicht eingesehen und war ausgeflippt, weil mein Vater ihr nicht gesagt hatte, dass ich im Krankenhaus gewesen war, doch wenigstens war sie einverstanden, dass ich jedes zweite Wochenende zu ihr kam und ich ansonsten bei meinem Vater lebte. Noch hatte ich ihr zwar nicht gesagt, dass ich mit Alex zusammen war, aber ich wollte nicht, dass sie deshalb wieder Theater machte. Außerdem war Alex mit meiner Entscheidung vollkommen einverstanden. An den Wochenenden, an denen ich bei meinem Vater war, kam er teilweise sogar nachmittags vorbei und aß mit uns. Er verstand sich gut mit meinem Vater. Nach ein paar Wochen, als das Thema ‚Krankenhaus‘ schon fast vergessen war, erinnerte ich mich daran, dass er erst da gewesen war, als ich aus dem Koma erwacht war. Also fragte ich ihn warum er nicht schon früher gekommen war. „Um ehrlich zu sein, hatte ich ein bisschen Angst, weil wir ja noch nicht wirklich zusammen waren und auch wusste ich nicht, wie ich zum Krankenhaus kommen sollte und als ich dann am Abend mit der U-Bahn zu dir gefahren bin, hast du geschlafen und als ich dich aufwecken wollte, hat die Schwester mir erzählt, dass du im Koma gelegen hast. Da hatte ich wirklich total Angst. Aber ich bin am nächsten Tag wiedergekommen und ich hab sogar in dem zweiten Bett, das in deinem Zimmer stand, geschlafen. Du kannst deinen Vater und Fr. Dr. Neumann fragen.“, beteuerte er. „Ich glaub es dir auch so.“, sagte ich und küsste ihn.Immer wenn wir nun an den Schränken in der Sporthalle vorbei kamen oder im Chemieraum waren, lächelten wir uns an und dachten an unsere ersten Küsse zurück.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.07.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Freundin Paula, die mich immer beim Schreiben unterstützt und mich dazu ermuntert weiter zu schreiben.

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