Rose, Rose, Rose ... verdammt, wie komme ich aus dieser vollkommen beschissenen Situation wieder heraus, oder besser, wie bin ich überhaupt hineingeraten. Es gibt Millionen von süßen Kerlen und ich muss mich ausgerechnet in meinen heterosexuellen besten Freund verlieben. Er ist natürlich nicht irgendein durchschnittlicher Mann von nebenan, nein. Jan ist der geilste Kerl unter der Sonne und das weiß er selbstverständlich auch. Ich kenne Jan schon seit einer halben Ewigkeit, ich würde sagen, seit ich denken kann. Jan hat mir schon im Sandkasten die Schaufel auf den Kopf geschlagen und ich hab ihm zur Belohnung einen neuen Sandkuchen gebacken. Ich bin schwul und das wusste man schon im zarten Kindesalter. Ich verkörpere den klischeehaften Vorzeigeschwulen. Adrett, leicht tuntig, äußerst kreativ, verständnisvoll etc. etc.
Jan hatte nie ein Problem mit mir und meiner sexuellen Ausrichtung und ich nicht mit seiner. In unserer Sturm-und-Drang-Phase waren wir beide keine Kostverächter und erzählten uns gegenseitig von unseren sexuellen Abenteuern. Jan fühlte sich nie unwohl in meiner Gegenwart, auch nicht, wenn ich in meinen mentalen Depriphasen zum Ankuscheln vorbeikam. Die Fronten zwischen uns waren klar. Wir waren die allerbesten Freunde und würden es auf immer und ewig bleiben. Aber jetzt ist alles anders und ich hab keine Ahnung, was ich gegen dieses Kribbeln im Bauch tun soll. Jetzt wo Jan sich fest binden will, werde ich meinen besten Freund zwar nicht verlieren, aber ich kann ihn auch nicht mehr selbst haben.
Jaja, ich sagte die Fronten sind klar, beste Freunde und so ..., aber nichts ist klar, ich hab mich in meinen besten Freund verliebt und ich glaube, alle außer er haben das mittlerweile gecheckt. Ich mache mich vor Millionen Zuschauern zum Honk, denn Jan ist der neue Bachelor und ich sein Berater. Ich soll ihm eigentlich helfen die richtige Frau zu finden, stattdessen versuche ich sie ihm auszureden und die Kameras halten dabei voll drauf.
Wo fange ich an, vielleicht wieder in unserer Kindheit. Meine und Jans Eltern sind die besten Freunde, also unsere Väter sind die besten Freunde und unsere Mütter versuchen die besten Freundinnen zu sein. Die meiste Zeit verbringen sie allerdings damit zu wetteifern, wer die bessere Hausfrau, Mutter und Liebhaberin ist. Sie sind Hausfrauen, denn unsere Väter verdienen genug, um uns ein sorgenfreies, angenehmes Leben zu bieten. Ihre Aufgabe besteht nur darin, schön zu sein, das Haus schön zu machen, uns Kinder zu erziehen und das Geld unserer Väter beim Shopping zu verprassen. Die Mütter meiner Klassenkameraden, die Geld verdienen gingen, gefielen mir oft besser, weil ihr Fokus nicht darauf lag, immer und überall die Nase in meine Angelegenheiten zu stecken. Während unsere Väter Männerkram machten, wie Harley fahren, angeln gehen und Fußball gucken, waren unsere Mütter damit beschäftigt, wer den besten Kuchen backt, dabei am tollsten aussieht und ihrem Kind nebenbei noch das Buchstabieren beibringt. Sie liebten und sie hassten sich. Aber unsere Familien verbrachten jede freie Minute miteinander. Jan und ich wuchsen wie Brüder auf. Früh wurde klar, dass Jan die Sportskanone und ich der musisch veranlagte war. Dass ich auf Jungs stand und bisweilen eine sehr weibliche Seite zeigte, brachte meine Mutter und meinen Vater kurze Zeit aus der Fassung, aber Jan schaffte es, sowohl meinen als auch seinen Eltern diesen Zahn zu ziehen. Er ging völlig unbefangen damit um.
„Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Der Basti sieht doch immer toll aus, ob er wie ein Junge oder wie ein Mädchen angezogen ist.“ Erklärte er mit acht Jahren unseren Eltern, als ich mal wieder ein Kleid meiner Mutter und ihre Stöckelschuhe angezogen hatte und damit den Flur hoch und runter stolzierte, die noch nie geschnittenen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er verteidigte mich immer und ließ sich sogar mal einen Backenzahn für mich ausschlagen, weil er sich mit einem bulligen Kerl anlegte, der mich als Schwuchtel bezeichnet hatte. Wir waren eben Freunde, die durch dick und dünn gingen. Jetzt fragt ihr euch sicher, was ich für Jan getan
Ich war für ihn da, streichelte sein übersteigertes Ego und war sein glühendster Fan. Ich schrieb seine Aufsätze für ihn und machte seine Hausaufgaben. Ich räumte sein Zimmer auf, weil ich die Unordnung nicht ertrug und ich brachte ihm bei, sich vernünftig zu kleiden. Jan und ich sind die perfekten Freunde. Jan und ich waren die perfekten Freunde, bis jetzt. Denn alles ist jetzt anders, seit er bei diesem blöden TV-Format mitmachen musste. Jan streichelt damit sein Ego und seine Eitelkeit und er meint so die coolsten Frauen kennenzulernen. Das Format wurde etwas geändert. Und so kam ich ins Spiel, denn nun hat der Bachelor von Anfang an einen engen Vertrauten, der ihm bei der Auswahl der richtigen Frau zur Seite steht, den Frauen auf den Zahn fühlt und sie aushorcht. Jan hatte gebettelt und ich konnte ihm keinen Wunsch abschlagen. Nie hätte ich gedacht, dass er unter so viel Bewerbern angenommen wird, aber es war tatsächlich geschehen. Jan Müller-Diekert wurde der nächste Bachelor. Und ich ... ich sein engster Vertrauter und Frauenversteher.
Die Nachricht, dass er tatsächlich angenommen worden war, kam an einem Samstag. Jan platzte wie immer einfach in meine Wohnung, für die er einen Schlüssel besaß. Ich war gerade dabei, sauber zu machen. Teenager waren wir ja nicht mehr, sondern gingen langsam auf die dreißig zu. Aber einige Dinge änderten sich nie. Jan schmiss sich auf mein Sofa und legte die Füße auf den Tisch.
„Basti, was ich dir jetzt erzähle, glaubst du mir nieeeee!“, er zog das letzte Wort theatralisch in die Länge und strahlte mich an. Sein unwiderstehliches Jan-Strahlen wirkte nur bedingt bei mir. Im Moment ärgerte ich mich über die Füße auf der frisch polierten Glasfläche meines Tisches.
„Nimm die Füße runter!“, zischte ich nur und schubste seine Füße vom Tisch, die er, kaum dass ich mich umdrehte, einfach wieder drauf legte.
„Basti, willst du gar nicht wissen, was ich zu erzählen habe?“, Jan zappelte auf dem Sofa rum und ruinierte meine Ordnung. Jedes Kissen hatte seinen Platz und er warf jetzt eins nach mir. Ich drehte mich schwungvoll um und starrte ihn böse an.
„Nein!“ Das war gelogen, aber sollte er ruhig noch etwas schmoren. Ich allerdings ebenfalls.
„Okay, dann geh ich wieder ... Tschau Basti!“, Jan stand auf und trabte mit hängendem Kopf aus der Wohnzimmertür. Ich holte tief Luft und suchte meine Körpermitte. Meine Yoga-Lehrerin hatte mir gezeigt, wie ich mich in solchen Situationen mit Atmung wieder runter brachte. Es funktionierte diesmal nicht. Meine eigene Neugier brachte mich um und Jans hängender Kopf bereitete mir ein schlechtes Gewissen.
„Was ist es?“, fragte ich schroff und starrte auf seinen Rücken. Er drehte er sich um und strahlte wieder, wie tausend Honigkuchenpferde auf einmal. Ich hasste ihn dafür, dass er mich problemlos manipulierte, wie es ihm gefiel. Die Augen verdrehend forderte ich ihn mit einem Kopfnicken erneut dazu auf, endlich mit der Sprache herauszurücken. Kurz holte er Luft, ganz so als wollte er jetzt etwas sagen, schloss seine Lippen aber wieder und tat so, als überlege er noch einmal, ob er mir nun etwas zu sagen hatte oder nicht.
„Entweder sagst du es jetzt oder ich bringe dich eigenhändig um, verdammt. Hör auf mit dem Mist, wenn du nicht meinen nächsten Asthma-Anfall verschulden willst.“ Ich war jetzt wirklich genervt und Jan wusste, dass er nun aufhören musste. Er kannte mich genau. Ganz klein beigeben konnte er nicht und darum warf er sich zurück auf mein Sofa, schnappte sich ein Kissen, um es auf seinem Schoß zusammenzuknüllen. Mein Pulsschlag beschleunigte sich und ich spürte die kleine Ader an meiner rechten Schläfe pochen.
„Ich hab Post bekommen, vom Fernsehen. RTL will mich als nächsten Bachelor und dich als meinen persönlichen Berater. Wir kommen ins Fernsehen, Alter ... schau nicht so, hast du mich verstanden?“ Jan sah mich aufgeregt und abwartend an. Er erwartete eine Begeisterung, die seiner glich, aber leider war er auf dem Holzweg. Ich hatte nur ihm zuliebe bei dem Casting mitgemacht und nicht damit gerechnet, auch wirklich eine Chance zu haben. Meine Hand rutschte in meine Hosentasche, umklammerte das Asthmaspray.
„Das ist nicht dein Ernst, oder? Das kannst du allein machen, Jan, oder dir einen anderen besten Freund suchen ... und das meine ich ernst, Jan, absolut ernst!“ Ich drehte mich um und verzog mich schnellen Schrittes ins angrenzende Bad. Vorsorglich drehte ich den Schlüssel in der Tür. Ein vollkommen indiskutables Benehmen, welches einem Kleinkind glich und in welches ich gelegentlich zurückfiel. Wenn ich unsere Unterhaltung reflektierte, glichen wir immer noch unreifen Teenagern statt erwachsenen Männern. Ich brauchte nicht lange zu warten und Jan klopfe an die Tür und versuchte gut Wetter zu machen, um mich umzustimmen.
Seine Argumentation war gut und schlüssig, ein Zeichen, dass sein angefangenes und abgebrochenes Jurastudium nicht ganz unfruchtbar gewesen war.
Ich hätte nicht zum Casting gehen sollen, wenn ich gar nicht mitmachen wollte.
Ich könne ihn doch jetzt nicht hängen lassen, wo er es geschafft hätte.
Er könne sich keinen anderen besten Freund aus dem Hut zaubern.
Ich sollte die Chance, berühmt zu werden, nicht einfach wegschmeißen.
Das wäre die einmalige Gelegenheit. meine eigene Schmuck- und Mode-Kollektion einem Millionenpublikum vorzustellen.
Damit hatte er mich bei den Eiern. So weit hatte ich die Sache noch nicht gesponnen, aber wenn ich es recht bedachte, könnte das meinen Durchbruch bedeuten. Ich schloss die Tür wieder auf und streckte meinen Kopf hinaus.
„Wann geht's los?“, grinste ich und holte mein Asthmaspray aus der Tasche und nahm einen großen Hieb daraus.
„In vier Wochen, Sebastian, in vier Wochen werden wir berühmt!“
„Die Haare müssen ab, ein ganzes Stück, so geht das nicht. Mit Verlaub, Sebastian, Sie dürfen gern der schwule Freund von unserem Bachelor sein, aber man könnte Sie von hinten mit ihren langen Haaren selbst für eine Frau halten.“ Der Stylist benahm sich wie ein arrogantes Arschloch und ich stand ihm in nichts nach.
„Die Haare bleiben dran!“ Im Kopf stampfte ich wie ein verzogenes Kind mit dem Fuß auf, in echt ließ ich meine Stimme nur fest und bestimmt klingen. Meine honigblonden Haare gingen mir bis auf die Schultern und wellten sich leicht. Ich klemmte sie mir gern hinters Ohr. Kein TV-Format würde mir vorschreiben, sie abzuschneiden.
„Aber ... Herr Hattenbach, ich will es mal deutlicher sagen. Sie sind zu weibisch. Womöglich denken die Zuschauer noch, unser Bachelor wäre schwul.“ Der Stylist verbesserte seine Situation mit dieser Aussage kein Stück. Ganz im Gegenteil.
„Ist mir schnurz, was die Zuschauer denken. Jan ist nicht schwul und meine Haare bleiben dran, genauso wie sie sind. Meine Kleidung bleibt so wie sie ist, ich bleibe wie ich bin. Oder ist das Ganze hier eine riesen Verarsche an den Zuschauern?“, mein Tonfall war extrem meiner Stimmung angepasst. Schneidig und scharf. Was glaubte der eigentlich, wer er war, ist oder … ach, egal! Ich sprang auf und baute mich vor meinem Gegenüber auf.
„Sind wir nun fertig mit der Diskussion? Schminken Sie mich und stylen Sie meine Haare, so wie Sie es für richtig halten, aber an der Länge wird sich nichts ändern.“ Ich setzte mich wieder und hielt den Blickkontakt. Meinem liebevollen Elternhaus und der Akzeptanz, die mir entgegengebracht wurde, hatte ich mein starkes Selbstbewusstsein zu verdanken. Die Tür ging auf und der Stylist und ich drehten unsere Köpfe in die Richtung. Jan betrat das Zimmer. Er trug nicht das, was ich mir gewünscht hatte, kein Sakko von meiner Kollektion, sondern eins von „Boss“. War nicht anders zu erwarten. Dem Bachelor konnten sie meinetwegen ihren Einheitsbrei anziehen, ich zog es vor, mich nicht von der Bande Möchtegernstylisten in eine Form pressen zu lassen.
„Jan, Juan hier möchte gern meine Haare abschneiden, um mich gesellschaftsfähig zu machen. Er meint, ich sähe schwul und wie ‘ne Frau aus!“ Meine Stimme klang immer noch gnadenlos spitz und ungehalten und ich funkelte Jan giftig an. Juan natürlich noch mehr. An Jans Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass er jedes Wort auf eine Waage legen würde, denn er wusste, dass das Pulverfass kurz vorm Explodieren war.
„Du siehst nicht aus wie eine Frau. Sondern wie ein hübscher Mann, androgyn eben. Juan, wehe, du schneidest auch nur ein Stück dieser Haare ab. Ich kenne Basti mein Leben lang und niemand wagt es, eine Schere ungefragt daran zu legen. Und wenn Basti nein sagt, dann meint er nein.“ Jan strich mir mit den Fingern eine Haarsträhne hinters Ohr und berührte die pochende Ader an meiner Schläfe.
„Sieh her, Juan, wenn die hier pocht, sagst du besser nichts mehr. Ein sicheres Zeichen, dass Basti gleich explodiert.“ Jan lächelte mich an, klopfte mir auf die Schulter und stellte sich, wie zum Schutz, hinter mich. Juan sah zwischen uns beiden hin und her und seine Stirn legte sich in Falten. Während Jan mit allen per „du“ war, zog ich das unpersönliche „Sie“ vor. So konnte ich mich besser gegen Übergriffe in meine Privatsphäre wehren. Jan ließ alles mit sich machen. Jan war leicht zu lenken und wenn er genügend Komplimente bekam, spurte er und ich musste ihn ab und zu daran erinnern, dass er sich nicht allzu sehr verbiegen ließ.
Bis jetzt waren es nur Fotoshootings gewesen, für die sich meistens Jan, aber ein paar Mal auch ich, uns zur Verfügung stellen mussten. Ein paar kleine Trailer wurden gedreht, die unser Leben und unsere Verbindung zueinander beleuchteten. Sowohl für Jan als auch für mich stellte es beruflich kein Problem dar, an dem TV-Projekt teilzunehmen, wir waren hauptberuflich Sohn. Jan studierte seit über zehn Jahren, ohne sich wirklich sicher zu sein, wohin der Weg ihn führen würde. Zurzeit absolvierte er ein BWL Studium, um später in die Firma seines Vaters einsteigen zu können, was aber nur die allerletzte Option in seiner Lebensplanung, sollte es überhaupt eine geben, darstellte. Er modelte, um den Anschein zu erwecken Geld zu verdienen. Ob für sich oder für seine Eltern, weiß ich nicht genau. Ab und zu jobbte er hier und da, machte Promoting oder eröffnete als Model eine „Hollister“ Filiale. Er lebte relativ sorglos in den Tag hinein. Ich eigentlich auch, wobei ich ein wenig zielstrebiger war. Einer Schneiderlehre folgte ein Designstudium und nun versuchte ich mich als Designer von Männermode und Schmuck. Bis jetzt leider noch sehr erfolglos und darum konnte der Auftritt im Fernsehen mir enorm weiterhelfen. In den vier Wochen vor unseren Fotoshootings und Trailerdrehs hatte ich ununterbrochen im Atelier gesessen und geschneidert. Jetzt waren die Koffer gepackt, denn die Staffel wurde in Deutschland gedreht. Jan und ich hatten den Abend vorher bei unseren Familien verbracht, um uns zu verabschieden. Unsere Väter klopften uns auf die Schultern und wünschten uns viel Spaß. Die Mütter heulten wie erwartet eine Runde.
„Und tu nichts, für das wir uns nachher schämen müssen, Jan. Hast du verstanden? Sebastian, pass gut auf ihn auf, ich bitte dich ...!“ Jans Mutter sah ehrlich verzweifelt aus. Sie kannte ihren Sohn gut genug, um zu wissen, dass der nichts anbrennen ließ. Das Problematische an dem verjüngten Format war, dass es live gesendet wurde. Big Brother is watching you! Um dem Bachelor und den Frauen Authentizität zu verleihen und zu bestätigen, dass es sich um kein abgemachtes Spiel handelt, wurden wir rund um die Uhr mit Kameras überwacht. Eine riesige alte Villa mit großzügiger Parkanlage war monatelang verkabelt worden. Jan und mir stand ein Flügel der Villa zur Verfügung und die Damen erhielten ihre Zimmer im anderen.
Jans Eltern und auch ich kannten seinen Hang zu unüberlegten Aktionen, die er gern kurz darauf bereute. Hoffentlich leistete er sich kein dummes Ding. Nie wäre ich darauf gekommen, dass ich es sein würde, der sich einen Klopfer nach dem anderen erlaubte und sich komplett zum Deppen machte.
Obwohl Jan und ich wirklich sehr komfortabel lebten, waren wir beim Einzug in die Villa ehrlich beeindruckt. Die Schönheit des Anwesens war wirklich außergewöhnlich. Ein ganzes Gärtner-Bataillon musste damit beschäftigt gewesen sein, diesen Park so herzurichten. Alles war eine Mischung aus arrangierten Pflanzen, die die Natur so nie zusammenwürfeln würde, und cleaner Rasenfläche, die mit der Nagelschere geschnitten war. Die weitläufige Anlage besaß einen Pool und einen Badesee, der von fast mannshohem Schilf umgeben war. Eine natürliche Blickbegrenzung. Immer noch wuselten hier und da kleine „Heinzelmännchen“ umher und pflanzten Blumen oder verlegten Rollrasen, unter denen die Kabel von den Kameras versteckt wurden.
Ähnlich geschäftig ging es im Haus zu. Die riesige Eingangshalle erschlug einen fast, oder eher der Kronleuchter, der fast die gesamte Decke einnahm, eine geschwungene breite Treppe führte in die oberen Räume. Unten waren rechts und links neben dem Aufstieg Türen, die einmal ins Wohnzimmer und in die Küche führten. Beide Räume hatten eine Front aus Glas. Man schaute auf den Pool und den parkähnlichen Garten. Eine Terrasse lud zum Verweilen ein, auf der eine moderne Sitzlandschaft aufgestellt war. Drinnen herrschte ein stilvoller Mix aus modernen und alten Möbeln. Die Kameras waren möglichst unauffällig angebracht und ich fragte mich schon jetzt, wie viele es sein mochten und wie viele ich erst durch die Übertragung im Fernsehen finden würde.
„Wow, Basti, das hat Klasse, oder?“, Jan strahlte mich an, legte mir die Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. Ich lächelte zurück und stellte meinen Koffer neben mir ab. Jan hatte seinen den Angestellten des Bachelor-Teams überlassen. Ich zog es vor, diesen nicht aus der Hand zu geben. Alles, woran ich die letzten Wochen gearbeitet hatte, war sorgfältig zusammengelegt in diesem Gepäckstück. In einer weiteren Tasche, die ich geschultert trug, hatte ich mein Überlebenspaket untergebracht. Desinfektionsmittel und Medikamente. Mein Psychiater hatte mir hypochondrische Veranlagung diagnostiziert. Aber das wusste ich auch ohne sein Fachwissen. Keine Türklinke, die nicht mit einem Tuch abgeputzt wurde, von Klobrillen ganz zu schweigen. Jan, der in einem ständigen Chaos lebte, stellte mich jeden Tag aufs Neue vor eine Herausforderung, trotzdem war er der Einzige, dem ich die Hand schüttelte, ohne mich danach steril zu machen. Von meinen Phobien gegenüber Viren und Bazillen wusste kaum einer, denn ich verstand es, keinem das Gefühl zu geben, eine wandelnde Pestbeule zu sein. Eine kleine Flasche Desinfektionsmittel befand sich in meiner Hosentasche und ich spielte damit herum. Wieso oder warum sich diese Angst bei mir eingenistet hatte, konnte ich nicht mal genau sagen. Ich glaube, ich habe mich anstecken lassen von einer Kommilitonin, die immer und überall alles desinfizierte. Irgendwann war es zu einer Manie geworden, aus der ich mich nicht mehr befreien konnte.
„Ja, nicht schlecht, sauber ist es hier auf jeden Fall. Wenigstens so lange, bis der Haufen gackernder Hühner hier aufschlägt“, bemerkte ich mit einem Schulterzucken.
„Du nun wieder, du magst sie sicher nur nicht, weil sie schönere Kleider haben als du und den Gang auf Stöckelschuhen besser beherrschen.“ Jan kicherte und zerzauste mit einer schnellen Handbewegung mein sorgsam frisiertes Haar. Ich schlug nach ihm, aber aufgrund des Gepäcks, über das ich beinahe gestolpert wäre, erwischte ich ihn nicht.
„Wer sagt, dass ich sie nicht mag. Ich mag Frauen. Sie sind nur auf einem Haufen etwas anstrengend. Bei dir ist das vielleicht anders. Da die Möglichkeit auf Sex mit einer oder allen zweiundzwanzig besteht, erträgst du es sicher gern“, witzelte ich und Jan lachte hell auf. Sex war seit dem Ausbruch meiner Viren- und Bakterien-Phobie ein Thema, was sich schwierig gestaltete. Seit drei Jahren beherrschte mich diese Angst und seitdem hielt ich mich beim Sex eher an mich selbst. Mit siebenundzwanzig Jahren stand ich voll im Saft und verpasste die besten Jahre meines Lebens, um lieber an mir selbst rumzuspielen. Nur selten empfand ich jemanden als sexuell so attraktiv, dass sich meine Angst angesichts meiner geschwollenen Eier in Luft auflöste. Jan dagegen genoss sein Leben. Was Festes war bis jetzt aber nicht bei seinen Liebschaften herausgekommen. Länger als ein halbes Jahr hielt er es mit keiner aus, oder aber keine der Frauen mit ihm. Häufigster Trennungsgrund war seine enge Freundschaft zu mir, worauf ich mich versuchte, von ihm fernzuhalten, wenn er wieder verbandelt war. Ich ertrug es mit viel Ablenkung, aber Jan kam früher oder später immer wieder vorbei, um Männerdinge mit mir zu unternehmen. Ich lachte dann immer nur, denn der typische Mann war ich ja nun wirklich nicht. Männerdinge waren in diesem Falle „Shopping Queen“ schauen oder „Germany‘s next Topmodel“. Ausgedehnte Shoppingtouren und Besuche in der Wellnessfarm. Das Männlichste waren dann wohl der Besuch im Fitnessstudio und das Joggingtraining. Ich war insgeheim froh, meinen besten Freund nicht an eine Frau zu verlieren, aber Jan kam jetzt langsam in ein Alter, wo die meisten Männer und natürlich Frauen an eine Familie dachten. Meine eigene Sehnsucht nach einem Partner verdrängte ich erfolgreich mit der Arbeit an meiner Männerkollektion. Jans Freundschaft gab mir alles, was ich brauchte, bis auf Sex. Obwohl ich Jan ziemlich attraktiv fand, waren wir eben fast Brüder, so eng waren wir miteinander aufgewachsen. Selbst wenn ich bei Liebeskummer zum Kuscheln vorbeikam, blieb Jan Jan und die streichelnden Hände auf meinem Rücken wirkten tröstend und machten mich nicht heiß. Jetzt standen wir hier in der Villa, in der sich Jan neben zweiundzwanzigfacher Bewunderung auch die Frau fürs Leben suchen wollte. Ich würde zumindest seine Wahl beeinflussen können.
„Jan, Herr Hattenbach ... Ich würde Sie gern zu Ihren Zimmern begleiten.“ Das war der Aufnahmeleiter, der den Kamerateams und mir jede Menge Anweisungen gab. Unsere persönlichen Betreuer waren leider wegen einer Autopanne im Stau stecken geblieben, sodass der Aufnahmeleiter nun kurz deren Aufgabe übernahm. Jan und ich hatten es vorgezogen, mit dem eigenen Auto hierherzufahren.
Als wir die große Treppe in das obere Stockwerk hinaufgingen, war ich schon ziemlich aufgeregt, welche Räume man für uns vorgesehen hatte. Die Wirklichkeit übertraf bei Weitem meine Vorstellung.
Sowohl Jan als auch ich bekamen im Obergeschoss gegenüberliegende kleine Suiten. Einen Raum füllte ein großes Himmelbett, eine kleine Sitzgruppe und ein Schreibtisch. Als hätten sie es geahnt, war mein Zimmer in hellen luftigen, während Jans in dunklen männlichen Tönen gehalten war. Ein Ankleidezimmer grenzte an den jeweiligen Schlafraum. Begeistert klatschte ich in die Hände und öffnete sofort meinen Koffer, um die Kleidungsstücke schnell aus ihrem zu engen Gefängnis zu befreien. Jan schmiss sich auf das kleine weiße Ledersofa, welches in einer Ecke des Zimmers frei stand, und sah mir dabei zu, wie ich alles in den Schrank räumte. Ich war so von den großzügigen Schränken angetan, dass ich glatt vergaß vorher alles steril zu machen. Selbst meine Schuhe fanden Platz in einem eigens dafür vorgesehenen integrierten Schuhschrank. Ich beachtete Jan nicht weiter, spürte aber seine Blicke, die mich bei jedem Schritt verfolgten.
„Was ist?“, fragte ich tonlos“, „Warum starrst du mich an?“ Geschäftig lief ich zwischen Koffer und Schrank hin und her und wartete auf eine Antwort von meinem Kumpel.
„Ich seh dir gern zu, vor allem, wenn du so begeistert bist wie jetzt. Kommt nicht oft vor, aber ich mag es, wenn du so vor Eifer sprühst.“ Jan hatte die Arme im Nacken verschränkt und die Beine hochgelegt. Ich vernahm ein leises Surren und drehte meinen Kopf in die Richtung des Geräusches. Oben in der Ecke sah ich eine Kamera und erschrak. Natürlich wusste ich, dass uns Kameras folgten, nur dass es jetzt schon so weit war, das wusste ich nicht und es hatte uns auch keiner was davon erzählt. Jan folgte meinem Blick und auch er schien überrascht.
„Okay, dann wollen wir uns mal ab jetzt benehmen und nicht mehr mit dem Finger in der Nase bohren“, witzelte er und setzte sich etwas gerader auf das Sofa.
„Du bist dir im Klaren darüber, dass man deine Stimme auch hört, also erzähl besser nichts vom ‚Nasebohren‘„, „könnte sonst peinlich werden.“ Ich grinste ihn an und verschwand im Schlafzimmer. Mein Wecker musste auf den Nachtisch und meine Hygiene-Artikel ins angrenzende Bad. Auch hier staunte ich nicht schlecht. Obwohl es nicht groß war, hatten es die Innenarchitekten äußerst feudal ausgestattet. Freistehende Badewanne und Dusche waren mehr, als ich erwartet hatte. Jan war mir gefolgt und die Kameras ebenfalls. Er sah mir zu, wie ich die Kulturtasche auspackte.
„Was du alles brauchst, da werden selbst die Mädchen neidisch. Bei mir gestaltet sich das sehr übersichtlich. Zahnbürste und gut!“, provozierte Jan mich. Er griff nach einer Packung Wattebäusche, die ich verwendete, um die Wimperntusche zu entfernen, die ich gelegentlich gern mal benutzte.
„Heititei, Wattebäusche, Basti ..., ich schmeiß mich weg. Du erfüllst aber auch jedes schwule Klischee.“ Er kicherte, zog einen aus der Plastikverpackung und warf damit nach mir. Wenn ich etwas hasste, dann wenn man mein Zeug umherwarf und es unsteril machte. Ich sah ihn warnend an und Jan legte die Packung lieber wieder auf die Ablage.
„Geh am besten dein Zimmer begutachten, ich komme gleich nach.“ Jan sollte mein Zimmer verlassen, weil ich noch etwas in mein Bett legen musste, was er nicht unbedingt sehen sollte. Seit frühster Kindheit begleitete mich mein Schmusebär auf jede Reise und auch hier würde ich ohne das Kuscheltier nicht in
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Bonnyb. Bendix
Bildmaterialien: Pixabay
Lektorat: Brigitte Melchers, Bernd Frielingsdorf
Tag der Veröffentlichung: 27.04.2015
ISBN: 978-3-7368-9197-5
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