Cover

Abenteuer Liebe - 1 Zelt für 2

 

 

Tschakk! Zischend glitt die scharfe Klinge tief in das Holz. Mit Kraft wurde die Axt erneut geschwungen und andersherum auf den dicken Holzblock geschlagen. Das Holzscheit zerbarst in zwei Hälften, die neben dem Holzblock in den Schnee fielen. Dieser Vorgang wiederholte sich zu Logans Zufriedenheit die nächste halbe Stunde noch einige hundert Mal. Beim Holzhacken konnte er seinen Frust hervorragend abbauen. Besonders befriedigte es Logan, die Bewegungsabläufe immer gleichmäßiger und geschmeidiger durchzuführen. Eins mit der Axt zu werden, war das Ziel. Die eiskalte Luft ließ seinen Atem zu kleinen Wolken werden, die aus Mund und Nase stoben. Der Schnee knirschte bei jedem Schritt unter seinen Füßen.

 

Logan hielt kurz inne, wischte sich über die Stirn und betrachtete den bereits geschlagenen Haufen Holz. Nun war es an der Zeit, mit dem Aufstapeln zu beginnen. Auch diese Tätigkeit beruhigte Logan, brachte ihn wieder auf den Boden zurück. Eine weitere Stunde später betrachtete Logan zufrieden sein Werk. Das Holz befand sich nun ordentlich gestapelt in einem Unterstand neben seinem Blockhaus. Trotz der Kälte fror er nicht. Die körperliche Arbeit hatte ihm ordentlich eingeheizt. Das schwarze Haar klebte verschwitzt an seiner Stirn und die Wollmütze begann zu kratzen. Logan nahm sie ab und stopfte sie in die Jackentasche seiner gefütterten Cordjacke. Auch der beige Wollschal wurde unwirsch geöffnet und baumelte nun an seinem Hals hinunter. Mr Jackle, sein Golden Retriever, hatte sich neben seinen Füßen, die in schweren Armeestiefeln steckten, in den Schnee gelegt und sah nun zu ihm auf.

 

Logan verkörperte den Inbegriff eines Mannes. Ein Meter neunzig groß, Muskeln am rechten Fleck, die er sich durch harte Arbeit an der freien Natur erarbeitet hatte. Ein markantes, männliches Gesicht, mit wachen, dunkelgrünen Augen, die von dichten Wimpern umrahmt waren. Die Lippen seines sinnlichen Mundes luden zum Küssen ein, wenn er sie nicht gerade zu schmalen Linien zusammenpresste. Dies geschah meist, wenn er auf Fremde traf. Er lebte nicht umsonst abseits tief in den Wäldern Kanadas. Hier hatte er seine Ruhe, fand er zu sich selbst und wurde nicht belästigt. Er brauchte keine Menschen um sich herum, keine Hektik, die ihn durcheinander brachte. Er hatte einen Hund und der genügte ihm voll und ganz als Gesellschaft. Einmal in der Woche ließ es sich nicht vermeiden, dass er sich mit dem Jeep in die nächste Ortschaft begab, um sich mit Lebensmitteln einzudecken und Diesel für die Generatoren zu besorgen. Genau dieser Umstand hatte ihm den Tag versaut und ihn zum Holzhacken gezwungen. Logan verdiente sein Geld als Autor, schrieb Bücher über Abenteuer, harte Männer und Natur. Davon leben konnte er nicht. Darum leitete er zur Aufbesserung seines Lebensunterhaltes ab und zu Abenteuertouren durch die Wildnis Kanadas. Mal waren es kleine Gruppen, manchmal auch einzelne Männer, die sich unter seiner sicheren Führung ein paar Tage eins mit der Natur fühlen wollten. Die Führungen wurden gut bezahlt, aber er hasste es, diese lauten und nervigen Großstädter durch diese ruhige, friedliche Landschaft führen zu müssen.

 

Logan war wie immer mit dem Jeep in die kleine Ortschaft gefahren. Die Liste mit den fehlenden Lebensmitteln in der Jackentasche, Mr Jackle neben sich auf dem Sitz fuhr er pfeifend auf der festgefahrenen Schneedecke die schmale Straße entlang. Der erste Teil der Strecke führte durch den Wald und war unbefestigt. Eine halbe Stunde und knapp fünfundzwanzig Kilometer später bog er dann auf die Hauptstraße ab. Noch einmal dreißig Minuten später dann erreichte er die kleine Ortschaft. Nach dem Betanken des Fahrzeugs und der Kanister führte ihn sein Weg zu dem kleinen Lebensmittelgeschäft. Seine Post wurde dorthin geschickt und er wurde meist per Funk von dem schon betagten Besitzer informiert, wenn sein Verlag ihm geschrieben hatte. Von dort bekam er auch die Aufträge für die Abenteuerführungen. Der Reiseveranstalter kommunizierte über den Ladenbesitzer Sam mit Logan. Sam und Logan erhielten Post und bereiteten die Ausflüge gemeinsam vor. Während Logan für die Tour bezahlt wurde, profitierte Sam davon, die Tour auszustatten. Sowohl mit Proviant als auch mit Zelten und der notwendigen Ausrüstung.

 

Nachdem er ein paar belanglose Floskeln mit dem alten Sam ausgetauscht hatte, reichte ihm dieser die Post, und während Logan diese durchsah, packte der alte Mann die geforderten Lebensmittel zusammen. Unterstützt wurde er von seinem fünfunddreißigjährigen Sohn Nash. Dieser würde den kleinen Laden bald weiterführen. Logan verzog sich in eine Ecke. Dort standen ein Stuhl und ein kleiner klappriger Tisch. Logan setze sich und sah den Haufen Briefe grob durch. Wie immer nichts Neues. Seine Bank schickte die Kontoauszüge, sein Verlag drängelte und mahnte wegen des Abgabetermins seines Buches und ein Brief seiner Mutter, die sich nach seinem Befinden erkundigte. Als Letztes öffnete er den Brief vom Touristik-Büro. Schon wieder eine Führung. Logan holte tief Luft und las die wenigen Zeilen, die ihm Auskunft über die Anzahl der Personen und die Art der Tour gaben. Diesmal handelte es sich um vier Personen. Zwei Männer und zwei Frauen. Gut, das waren nicht viele und Logan wollte sich gerade entspannen, als er erschrocken weiterlas. Eine dreiwöchige Tour, tief in die Wälder zu einem der zahlreichen Seen. Dort befand sich eine große Lodge, die man nur mit dem Hubschrauber erreichen konnte. Drei der vier würden den Rückweg mit dem Hubschrauber antreten, einer der Männer hatte vor, auf einer anderen Route den Rückweg per Hundeschlitten zurückzulegen. Eigentlich gehörte diese Art von Tour zu Logans Lieblings-Touren, aber so lange verließ er nur ungern sein Blockhaus, zumal er dringend sein neuestes Buch beenden musste. Der Verlag drängelte bereits. Außerdem würde er, obwohl die Gruppe recht klein war, diesmal Hilfe benötigen. Zu viel Proviant und eine sehr lange Strecke benötigten mehr als einen Führer. Meist übernahm Nash diese Aufgabe. Logan verstand sich an sich ganz gut mit dem Mann, aber bisweilen war dieser sehr geschwätzig und das kostete Logan Nerven, raubte ihm die Konzentration. Trotzdem war er mittlerweile zu einem guten Freund geworden, auf den sich Logan verlassen konnte. Irgendwie stieg in Logan ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken an diese Tour auf. Ein Kloß hatte sich in seinem Magen gebildet und um seine Brust wurde es eng. Schwer schluckte er sein Unbehagen nach unten und erhob sich.

 

"Sam? Hast du schon den Brief vom Büro geöffnet und gelesen? Ich werde Nash benötigen, die Tour ist lang und außerdem wird Mr Jackle bei dir bleiben müssen. Die Rückroute werde ich mit dem Hundeschlitten bewältigen. Da kann ich den Guten nicht mitnehmen." Logan fuhr sich unwirsch mit der Hand durchs Haar und presste die Lippen fest aufeinander. Mr Jackle kam schwanzwedelnd angerannt, als er seinen Namen gehört hatte und leckte an den Fingern seines Herrchens. Logan mochte gar nicht an die traurigen Augen seines Hundes denken, wenn er ihn bei Sam zurücklassen würde. Sam sorgte hervorragend für den Vierbeiner, aber trotzdem ließ er seinen haarigen Freund nur ungern zurück.

 

"Sicher, hab ich, hab ich. Und sicher, Nash wird dich begleiten und mit dem Hubschrauber zurückkommen und sicher, sicher werde ich Mr Jackle für dich pflegen." Der alte Mann brummte sich in seinen Bart und lachte. Seine von Kälte gegerbte Haut warf tiefe Falten um die Augen. Nash, der gut aussehende Mann in Logans Alter, betrat polternd den kleinen Laden.

 

"Hallo, Logan. Ich habe dir bereits alles auf deinen Wagen geladen und verzurrt. Hast du schon die Details der Tour mit Vater besprochen? Hast du noch Zeit?", fragend sah er sein Gegenüber an. Die nächsten zwanzig Minuten besprachen die Männer die notwendigen Details, wie Route, Ausstattung und Proviant. Routiniert gingen sie im Kopf die Liste durch, wie schon etliche Male vorher. Schließlich verabschiedete sich Logan mit Handschlag und machte sich auf den Rückweg. Die Autofahrt vermochte es nicht, ihn wieder zu beruhigen. Drei Wochen mit fremden Leuten, eine verdammt lange Zeit, aber das Geld für diese Tour würde ihn wieder eine Weile absichern. Schreiben war sein Beruf, und das Geld dieser Tour würde ihm ermöglichen, diesem Beruf in Ruhe nachzugehen. Immer noch aufgewühlt zu Hause angekommen, verhalf ihm erst das Holzhacken wieder zur Ruhe zu kommen. Die Dämmerung legte sich langsam über das Land und Logan erinnerte sich an seine Lebensmittelvorräte, die sich immer noch auf seinem Wagen befanden. Dort konnten sie unmöglich bleiben, denn Bären, kleine wie große, würden jede Gelegenheit nutzen, leicht zu Futter zu kommen. Logan raffte sich auf und begab sich zum Wagen, dicht gefolgt von Mr Jackle. Eine weitere halbe Stunde später war der Wagen entladen und alles sicher verstaut und der Diesel brandsicher untergebracht.

 

Mit einem Arm voller Feuerholz betrat Logan schließlich sein behagliches Haus. Der Ofen wurde neu befeuert und bald leckten die Flammen munter an den frisch geschlagenen Scheiten. Logan kniete vor der Öffnung, schloss die gläserne Klappe und lauschte dem Knistern des Feuers. Die Jeans spannte über seinen kräftigen Oberschenkeln. Dem großen Mann wurde heiß und er zog schnell die schon geöffnete Jacke aus und hängte sie ordentlich an die kleine Garderobe. Sein Blockhaus war nicht besonders groß, zwei Räume unten und zwei oben. Ein kleines Bad oben und unten eine offene Küche. In den unteren Räumen wohnte er, oben schlief er. Der Generator sorgte für Strom. Aber es gab sowieso nur wenige elektronische Geräte, die welchen benötigten. Neben dem lebenswichtigen Funkgerät und dem Laptop verbrauchten nur noch die Lichtquellen und der Kühlschrank durchweg Strom. Diesen inspizierte Logan erst einmal. Der Hunger hatte von ihm Besitz ergriffen. Auch Mr Jackle schien einer Mahlzeit nicht abgeneigt und steckte seinen dicken Kopf zwischen Logans Beine. Die Vorräte waren frisch aufgefüllt und so fiel Logans Wahl auf eine einfache, schnelle Mahlzeit, Rührei mit Schinken. Mr Jackles Schüssel wurde auch gefüllt und wenig später waren die beiden männlichen Bewohner des Hauses mit genussvollem Essen beschäftigt.

Die Dunkelheit legte sich draußen über den Wald und die Mehrzahl der Menschen würde sich so weit weg von Zivilisation, mitten in der Wildnis ganz allein, sehr verloren vorkommen. Nicht so Logan. Er liebte die Einsamkeit, vermisste nichts, war zufrieden mit sich und der Stille um sich herum. Andere Männer in seinem Alter hatten längst Frau und Kinder. Er hatte nie einen Gedanken daran verschwendet. Sicher, ein gesunder Mann seines Alters vermisste den Sex schon das eine oder andere Mal. Nicht immer genügte es, selbst Hand an sich zu legen. Ab und an fuhr er in die nächst größere Stadt und gönnte sich körperliche Freuden. Die Damen rissen sich um ihn und lange brauchte er nie um ihre Gunst zu buhlen. Fairer Weise machte er immer sofort klar, dass es kein zweites Mal geben würde. Die Frauen störte es nicht. Ihnen genügte es, diesen aufregenden Mann einmal besessen zu haben.

 

Logan überlegte, sich nach dem Essen noch einmal an sein Manuskript zu setzen, aber der Tag und seine Ereignisse hatten ihm die Motivation genommen. Er beschloss schlafen zu gehen. Mr Jackle rollte sich zufrieden vor dem Ofen zusammen und Logan begab sich über die knarrende, hölzerne Treppe in das obere Geschoss.

Bei der Abendtoilette maß er seinem Spiegelbild genauso wenig Aufmerksamkeit bei wie morgens oder überhaupt. Er wusste, dass er gut aussah, aber hier draußen spielte Aussehen überhaupt keine Rolle. Daran, dass ihm das schwarze Haar beim Zähneputzen in die Augen fiel, merkte er, dass ein Besuch beim Friseur nicht schaden könnte.

Nach der Tour, dachte er bei sich und ärgerte sich, wieder an das Unvermeidbare gedacht zu haben. Es dauerte noch lange, bis er endlich in einen unruhigen Schlaf fiel, so sehr wehrte er sich gegen diesen ungeliebten Nebenjob.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vier Stadtmenschen sind vier zu viel!

 

 

Bis zum Start der Tour blieben gerade einmal zehn Tage, die Logan aber nicht mit gemütlichen Stunden am Laptop verbringen konnte, sondern intensiv mit der Planung der Tour zu tun hatte. Um die Lodge zu erreichen, würde man mehrere Stationen anlaufen. An jeder konnte man seine Wasservorräte auffüllen oder fand Verbandszeug vor, um Wunden zu versorgen. Batterien für die Funkgeräte und andere nützliche Utensilien. Um diese Stationen zu erreichen, gab es auch mehrere Möglichkeiten oder besser gesagt "Schwierigkeitsgrade". Logan würde herausfinden, wie belastbar seine Kunden waren. Meist überschätzten sich diese und brachten sich damit selbst in Gefahr. Logan plante mehrere Routen, die sich in der Schwierigkeit steigerten. Nash überließ ihm diese Aufgabe und kümmerte sich um die Lebensmittel und die Ausrüstung. Er buchte die Hundeschlitten und auch die Schneemobile für den ersten Teil der Strecke. Sein Vater Sam holte die Wettervorhersagen ein. Das Wetter war dennoch ein Unsicherheitsfaktor und unberechenbar. Logan mochte diesen Teil des Jobs. Planen, ausarbeiten, denken, das waren Dinge, die ihm gefielen. Die Durchführung wäre ohne die Teilnahme der meist versnobten Kunden auch so das reinste Vergnügen. Diese Art Urlaub kostete eine Menge Geld, und darum behandelten ihn viele seiner gut betuchten Kunden gern von oben herab. Logan ließ sich das nicht bieten. Die Wildnis holte die verwöhnten Stadtbewohner sehr schnell auf den Boden zurück. Ohne Logans Führung wären sie hoffnungslos verloren. Und dieses Wissen machte sie sehr schnell handzahm.

 

"Hmmm ... Mr und Mrs Sandler und außerdem Mr und Mrs Graham. Na, ist ja wieder klasse. Zwei Pärchen, die sich wieder streiten und mir den letzten Nerv rauben!", grunzte Logan in seinen Dreitagebart. Er hielt die Unterlagen des Reiseveranstalters in der Hand und schüttelte den Kopf. Der große Mann versuchte sich nicht schon wieder aufzuregen. Eigentlich gehörte er zu der Sorte Mensch, die gerade für ihre Ruhe und Ausgeglichenheit bekannt waren. Er beschloss, eine Runde mit Mr Jackle spazieren zu gehen. Wann immer er sich draußen in der schneebedeckten Landschaft befand, seine Lungen sich mit der kalten, klaren Luft füllten, fühlte er sich wie neu, fühlte er sich lebendig und sein Kopf wurde frei. Diese unbändige Natur war der Grund für tiefe Zufriedenheit, erfüllte ihn mit Freude. Logan warf den Brief auf den Schreibtisch, erhob sich und schnappte sich Jacke, Schal, Mütze und Handschuh. Mr Jackle kläffte und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Der gutmütige Hund zeigte seine offensichtliche Freude über den Ausflug wie immer sehr deutlich. Genau das liebte Logan an seinem vierbeinigen Gefährten. Hunde zeigten ihre Gefühle immer offen und einmal Freundschaft geschlossen, waren es Freunde, die bedingungslose Liebe zeigten. Die nächsten zwei Stunden lief Logan sich frei. Sein Weg führte ihn tief in den Wald, den er kannte wie seine Westentasche. Mal gefolgt von seinem Hund und manchmal überholte ihn dieser auch. Schnüffelnd erkundete der Hund seine Umgebung und hob hier und da das Bein, um sein Revier zu kennzeichnen. Diese friedliche Stille, die nur gelegentlich durch knackende Äste durchbrochen wurde, beruhigte Logan. Wieder zu Hause angekommen fühlte er sich frisch und der kommenden Aufgabe gewappnet. Dieses Hoch hielt noch ein paar Tage.

Als er früh morgens am Tag des Aufbruchs seinen Rucksack schulterte, den Karton mit Mr Jackles Decke, Spielzeug und seinen Fressnäpfen auf die Ladefläche seines Jeeps lud, wurde ihm wieder eng um die Brust. Sein letzter Blick galt seinem gemütlichen Zuhause. Im Rückspiegel wurde es immer kleiner, bis es gar nicht mehr zu sehen war. Mr Jackle saß neben ihm auf dem Sitz und ahnte, dass etwas Unangenehmes passieren würde. Er legte seinen Kopf auf die Oberschenkel seines Herrchens und sein trauriger Hundeblick brach Logan beinah das Herz.

 

"Lass das, Mr Jackle, schau mich nicht so an, bitte ...!", flehte Logan seinen besten Freund an. Er strich mit der Hand über das weiche Fell und kraulte den Hund hinterm Ohr. Bald würden sich beide drei Wochen nicht sehen. Logan versuchte seine trüben Gedanken beiseitezuschieben. Es gelang ihm genau so lange, bis er mit seinem Wagen auf den Innenhof von Sams Lebensmittelladen fuhr. Dort herrschte geschäftiges Treiben. Die Kunden waren bereits eingetroffen und so würde Logan nicht mal die Zeit bleiben, sich in Ruhe von Mr Jackle zu verabschieden. Er holte tief Luft, parkte das Auto platzsparend in einer Ecke des Hofes und sprang dann leichtfüßig aus dem Wagen, dicht gefolgt von Mr Jackle.

 

"Alles klar, Logan?" Nash hob die Hand zum Gruß, während er die Schlitten mit dem Gepäck belud. Sam unterhielt sich mit den Großstädtern und versuchte sie bei Laune zu halten, bis sein Sohn die Vorbereitungen abgeschlossen hatte. Logan schnappte sich den Karton von der Ladefläche und verschwand schnell durch den Hintereingang, bevor jemand Notiz von ihm nahm. Logan legte die Decke seines Hundes hinter den Tresen. Immer wenn der Hund bei Sam blieb, verbrachte er den Tag mit ihm zusammen im Laden. Auch die Fressnäpfe platzierte er dort. Mr Jackle wusste, was nun folgte und als Logan mit der Hand auf die Decke klopfte, schlich er mit hängendem Kopf zu seinem Herrchen, rollte sich auf der Decke zusammen und sah traurig zu seinem Herrn auf.

 

"Hey, Kumpel, ich komme wieder, versprochen. Benimm dich, ok, mach mir keinen Ärger!"

Schnell stand Logan auf und mit langen Schritten schritt er auf den Hinterausgang zu. Nicht mehr umdrehen, sonst würde es ihm noch schwerer fallen, seinen Hund zurückzulassen. Als er hinaustrat in die kühle Morgenluft, legte er seine Traurigkeit ab und setzte seinen geschäftsmäßigen Blick auf. Keine Schwäche zeigen und sofort klarmachen, wer Chef dieser kleinen Gesellschaft war. Da standen sie, die Großstädter. Logan warf einen ersten Blick auf die vier, die sich angeregt mit Sam und Nash unterhielten. Als sich Logan langsam näherte, dröhnten die Stimmen schon in seinem Kopf. Vier Großstädter waren vier zu viel. Die Tour würde die Hölle werden.

 

Tag 1

 

 

Logan saß auf dem führenden Schneemobil und ließ die letzte halbe Stunde Revue passieren. Das Dröhnen des Motors ertrug Logan allemal besser, als das Geräusch von nicht verstummenden Stimmen. Speziell die hohen Frauenstimmen schmerzten in seinen Ohren. Tiffany Sandler gehörte zu der Sorte Frau, die nie die Klappe hielt. Was sie überhaupt auf einer solchen Tour zu suchen hatte, wusste Logan beim besten Willen nicht.

Diese Dame wirkte deplatziert mit ihrem schrillen Outfit und den grell lackierten Fingernägeln. Ihr Mann Chris schien ebenfalls genervt von seiner Angetrauten und unterhielt sich lieber mit Nash. Chris passte optisch nicht zu seiner jungen Frau. Er war leicht untersetzt mit schütterem Haar. Neben seiner Frau, die Logan auf gerade einmal Ende zwanzig schätzte, wirkte er erheblich älter als gerade einmal neununddreißig und man konnte ihn fast für ihren Vater halten. Tiffany hatte sich dann dem anderen weiblichen Mitglied der Gruppe zugewandt. Lydia Graham, die Logan schon besser gefiel. Sie wirkte sportlich elegant und war um die dreißig. In ihrem Gesicht waren, wenn überhaupt, nur Spuren von Make-up zu finden. Ihre braunen Locken waren zu einem Pferdeschwanz gebändigt. Zweckmäßige Kleidung, bedacht auf Wärme, schienen ihr wichtiger, als modisch "up to date" zu sein.

 

Dann war da noch Travor Graham, Lydias Mann. Da er die Geburtsdaten der Männer den Buchungsunterlagen entnehmen konnte, wusste er, dass der große, breitschultrige Mann mit den braunen Locken, die in Farbe und Beschaffenheit denen seiner Frau sehr ähnelten, 35 Jahre alt war, also nur zwei Jahre älter als er selbst. Ein stiller Mann, der ihm auf Anhieb sympathisch war. Warum konnte Logan nicht sagen. Travor sah sich um. Mit wachen, braunen Augen versuchte er ohne nervige Fragerei, bestehende Fragen erst einmal selbst zu beantworten. Er war auch der Erste gewesen, der Logan bemerkt hatte. Neugierig hatte Travor ihn gemustert und interessiert gelauscht, als Logan sich vorstellte. Jedem wurde die Hand geschüttelt und ein paar höfliche Floskeln ausgetauscht. Logan erklärte der kleinen Truppe, was die nächsten Tage geplant war und mahnte alle, stets aufmerksam zu sein. Unaufmerksamkeit konnte in der Wildnis fatale Folgen haben. Stürze konnten mit Brüchen enden, und tief im Wald, weit entfernt der Zivilisation, kam oftmals jede Hilfe zu spät. Tiffany hatte ihn ängstlich gemustert und am liebsten wäre sie gar nicht erst mitgefahren. Travors Augen leuchteten, als Logan mit kurzen, aber begeisterten Sätzen ihr erstes Etappenziel beschrieb. Eine Blockhütte auf einem kleinen Plateau. Von dort hatte man einen fantastischen Ausblick über die endlose Weite des Waldgebietes. Bei guter Witterung konnte man den See erkennen, den die Gruppe nach eineinhalb Wochen erreichen würde. Nash wies die Gruppe in die korrekte Bedienung der Schneemobile ein, während Logan mit Sam besprach, wann er sich per Funk melden würde. Die ersten Tage befand sich die Gruppe noch in Funkreichweite, um sich mit Sam in Verbindung setzen zu können, falls ein Mitglied der Gruppe überfordert wäre und lieber abbrechen wollte.

 

"Los geht's! Alles auf die Schlitten und Abstand halten nicht vergessen." Logans warme, tiefe Stimme mahnte zum Aufbruch. Die insgesamt vier Schlitten setzen sich lautstark in Bewegung. Logan, als Führer der Gruppe vorweg. Auf seinem Schlitten befanden sich Nashs, sein eigener Rucksack und das Zelt. Der Schlitten der Grahams folgte, dann der der Sandlers und zum Schluss der von Nash, der auf seinem Schlitten die Lebensmittel verstaut hatte. Sie schlugen dieselbe Richtung ein, in der Logans Haus lag, bogen aber vorher in einen schmalen Weg ein. War der Weg bis jetzt breit und an den Rändern befestigt, befanden sie sich nun auf einem schmalen unbefestigten Pfad. Oft mussten die Fahrer überhängenden kleinen Ästen ausweichen, die ihnen sonst ins Gesicht geschlagen wären. Manchmal hatte der Wind hohe Schneewehen halb über den Weg aufgetürmt. Die Fahrer mussten geschickt ausweichen und dabei aufpassen, dass das Gepäck sich nicht verschob. Nach eineinhalb Stunden legte Logan die erste Pause ein. Er wusste, wie anstrengend es war, mit dem Schneemobil zu fahren, wenn man keine Übung besaß. Dankbar wurde die kleine Verschnaufpause angenommen. Die Beine wurden sich vertreten und die Sandlers sowie Nash nutzen die Pause, um eine Zigarette zu rauchen. Logan streckte sich und lockerte seine verspannten Schultern. Meist war er zu Fuß unterwegs, und so spürte auch er leichte Verspannungen aufgrund der ungewohnten Anstrengungen. Logan hielt sich abseits der anderen. Er wollte sich nicht unterhalten. Travor machte ein paar Kniebeugen und Lydia verschwand hinter die Büsche, um sich zu erleichtern. Tiffany folgte ihr und man hörte sie fluchen, weil sie sich aus der dicken Kleidung pellen musste. Travor verzog die Lippen zu einem Schmunzeln. Logan hatte es registriert. Travor hatte gerade ein paar Pluspunkte bei ihm gemacht. Die beiden Männer musterten sich. Logan lächelte kurz, bevor er sich umdrehte.

 

Er wusste, dass er sich unhöflich benahm, aber da er belanglose Konversation hasste, bevorzugte er es als unnahbar zu gelten. Wer sich die Mühe machte, ihn trotzdem in ein Gespräch zu verwickeln, hatte es geschafft, sein Interesse zu wecken. Ein Blick gen Himmel und dann auf die Uhr mahnte zum Aufbruch. Logan rief die Gruppe zusammen und bald waren die vier Schlitten wieder unterwegs. Die erste Nacht wollte Logan der Gruppe noch die Gemütlichkeit einer Hütte gönnen. Wenn sie sich nicht beeilten, würden sie diese nicht mehr erreichen, bevor es dunkel wurde. Ein oder zwei Pausen wären noch nötig, um die Anfänger nicht zu überfordern. Die Fahrt führte sie immer tiefer in die Wälder. Endlose Baumreihen in Grün und Weiß reihten sich hintereinander. Ab und zu wechselte aufgescheuchtes Wild den Weg. Logan wusste, wie beeindruckend so etwas war. In den kurzen Pausen hörte er erfreut, dass auch alle anderen der Gruppe es genauso empfanden. Selbst Tiffanys Augen leuchteten. Die Dämmerung legte sich langsam über das Land und Logan fuhr jetzt lieber mit Licht. Wenn er die Strecke richtig in Erinnerung hatte, würde es nur noch eine knappe halbe Stunde dauern, bis sie die Hütte erreicht hätten. Es galt die letzten Kräfte zu mobilisieren und noch mal volle Konzentration walten zu lassen. Gerade kurz vor dem Ziel passierten die meisten Unfälle. Der Weg führte jetzt steil bergan und die Schlitten verlangsamten dadurch ihr Tempo. Die Bäume nahmen ab und plötzlich tat sich eine kleine Lichtung auf. Logan drosselte die Geschwindigkeit noch einmal und fuhr auf die kleine Hütte am Rand der Lichtung zu. Weit genug weg von dem Abgrund, denn sie erreichten ihr Etappenziel. Der Berg befand sich ca. 700m über Null. Sicher nicht hoch, aber für diese Gegend schon, zumal es steil bergab ging, wenn man an den Rand der Lichtung trat.

 

Die Schlitten wurden neben der Hütte geparkt und zumindest die Lebensmittel in die Hütte geschafft. Nash fegte die schon länger unbenutzte Räumlichkeit aus. Die Butangaslampe wurde angezündet, um den Raum auszuleuchten. Der Höflichkeit halber durften die Frauen als erste ihren Schlafplatz aussuchen. Nash war in den Wald aufgebrochen, um etwas Holz für ein Lagerfeuer zu suchen. Logan legte die Batterien in das Funkgerät und versuchte Kontakt zu Sam zu bekommen.Tatsächlich erreichte er den alten Mann, der sehr erfreut über den planmäßigen Ablauf der Tour war. Auch in Logan machte sich Erleichterung breit. Mit einem so reibungslosen Tag hatte er nicht gerechnet. Sogar die Frauen hatten sich tapfer geschlagen. Jetzt hörte er ihr entspanntes Kichern aus der Hütte, wo sich die beiden häuslich einrichteten. Chris war Nash gefolgt, um ihn beim Holz holen zu unterstützen. Travor stand etwas verloren nahe der Hütte, die Hände in die Hüften gestemmt und sah sich um. Logan wühlte in seinem Rucksack und förderte ein Fernglas zu Tage. Mit einer Handbewegung forderte er Travor auf näher zu kommen. Ein freundliches Lächeln zeichnete sich auf dessen Gesicht ab, was Logan beinah dazu brachte, sich schnell wieder umzudrehen. Die Freundlichkeit des anderen Mannes verunsicherte ihn. Warum konnte er nicht sagen. Travor setzte sich in Bewegung und folgte Logan, der an den Rand des Plateaus getreten war.

 

"Dort hinten am Horizont liegt sie, die Lodge und damit das Ziel unserer Tour." Mit dem ausgestreckten Arm zeigte Logan die Richtung an. Wenn man sich ganz große Mühe gab, konnte man in der immer stärker werdenden Dämmerung einen See erkennen. Travor war nah an ihn herangetreten und folgte seinem Blick. Mit schwindendem Licht nahm auch die Kälte zu und der Atem der beiden Männer bildete kleine Wolken vor ihren Mündern.

 

"Darf ich?" Travors Blick richtete sich nun auf das Fernglas in Logans Hand und der nickte nur und reichte es dem anderen. Er legte es sofort an die Augen und der Restlichtverstärker erlaubte ihm, erheblich mehr zu erkennen als mit bloßem Auge. Logan beobachtete den breitschultrigen Mann, der dicht neben ihm stand. Konzentriert sah dieser durch das Glas, kaute dabei auf der Unterlippe herum. Kein Wort verließ seine Lippen, störte diesen Moment mit bedeutungslosen Belanglosigkeiten. Dieser Travor gefiel Logan. Vielleicht würde die Tour doch besser als erwartet. Obwohl er den Mann neben sich nicht kannte, fühlte er sich in seiner Gegenwart wohl. Ein schönes, aber auch ungewohntes Gefühl.

 

"Danke, eine wundervolle Aussicht." Travor lächelte wieder. Nur ganz sachte hoben sich seine Mundwinkel. Er blickte seinem Gegenüber direkt in die Augen. Logan senkte die Lider, konnte diesem Blick nicht Stand halten. So sehr verunsicherte ihn dieser Blick, dieses Lächeln. Es leuchtete auch in den Augen, war ehrlich und löste in Logan ein komisches Gefühl aus. Er griff nach dem Fernglas und nickte nur. Sofort fliehen, dachte er, aber das hätte albern ausgesehen und so widerstand er seinem ersten Reflex, sich dieser Situation schnell zu entziehen. Die Tour würde noch viel schlimmer werden als erwartet, dessen war sich Logan in diesem Augenblick bewusst.

Travors Grund für die Tour durch die Wildnis

 

 

Das Feuer knisterte und immer wieder stoben Funken gen Himmel. Travor saß neben Lydia und hatte den Arm um ihre Schultern gelegt. Abwesend starrte er in die Flammen, die an den Holzscheiten und an den begrenzenden Steinen leckten. Wie hatte er überhaupt einen Gedanken daran verschwenden können, diesen Vorschlag abzulehnen? Schon immer wollte er genau das hier erleben, hatte aber seine Arbeit vorgeschoben, um es dann doch nicht in die Tat umzusetzen. Arbeit, Arbeit, sein Leben bestand nur aus Arbeit. Irgendwann hatte sein Körper den andauernden Stress nicht mehr aushalten können. Ein Zusammenbruch folgte und der Arzt diagnostizierte "Burn Out". Travor erholte sich zum Glück recht schnell, musste seiner Schwester Lydia aber versprechen, kürzer zu treten. Es gab jedoch nur eine Möglichkeit, dem andauernden Stress, der Verantwortung und dem Druck dauerhaft zu entgehen. Travor wusste, er würde nie lockerlassen, immer wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen, also dachte er darüber nach, sein Unternehmen zu verkaufen. Der Erlös würde ihm ein sorgenfreies Leben ermöglichen, mit mehr Geld, als er jemals ausgeben konnte. Dieser Urlaub diente dazu, seinen Entschluss noch einmal genauestens zu überdenken.

 

Seit dem Tod der Eltern waren er und seine Schwester noch enger zusammengerückt. Sie war seine engste Vertraute und darum beherzigte er ihre Ratschläge. Lydia hatte keinen festen Partner an ihrer Seite. Nach einer gescheiterten Beziehung blieb sie lieber allein. Ihr Einsatz als Innenarchitektin ermöglichte ihr ein bequemes Leben. Travor lebte ebenfalls allein, wenn auch aus anderen Gründen. Die Arbeit hatte ihn fest im Griff und in seinem Job lernte man nicht so einfach jemanden kennen, wenn man noch dazu dem eigenen Geschlecht zugetan war. Er hatte gelegentliche Affären, aber nie etwas Ernstes, nichts von Bestand. Als Lydia ihm die Unterlagen für die Reise auf den Tisch legte, schüttelte er den Kopf.

 

"Lydia, ich kann hier nicht weg, ich werde gebraucht, dass weißt du doch." Er hatte keinen zweiten Blick darauf geworfen und sich wieder seinem mit Arbeit überladenen Schreibtisch zugewandt. Lydia schüttelte den Kopf und hatte wortlos sein Büro verlassen. Erst da wurde Travor bewusst, dass er schon wieder mittendrin steckte, auf dem besten Weg, erneut zusammenzubrechen. Kurzerhand, ohne es sich noch einmal anders überlegen zu können, hatte er den Trip gebucht. Seine Schwester informierte er am Abend bei einem gepflegten Dinner.

 

"Das war die beste Entscheidung, die du seit langem getroffen hast, Travor!" Lydia schloss ihren fünf Jahre älteren Bruder in die Arme und presste ihn fest an sich.

 

"Ich will dich noch eine Weile behalten und nicht an deinem Grab stehen ...", ihre Stimme klang belegt und Travor wusste, dass sie recht hatte. Wenn er wie bisher weitermachte, schaufelte er sich sein eigenes Grab. Gebucht hatte er unter dem Namen Mr und Mrs Graham, denn seine Schwester hatte nach der Scheidung wieder ihren Mädchennamen angenommen. Sollte doch jeder denken, sie wären ein Ehepaar, er wollte die Wildnis genießen und niemanden aufreißen. So jedenfalls hatte er gedacht, bevor ihm Logan Moreau begegnet war. Dieser Mann faszinierte ihn vom ersten Augenblick. Seine Größe, sein markantes, aber hübsches Gesicht, seine Figur, sportlich muskulös, einfach alles an ihm stach Travor ins Auge und gefiel ihm ausgesprochen gut. Am interessantesten aber war Logans Unnahbarkeit. Sofort weckte diese Eigenschaft Travors Jagdinstinkt. Er wollte diesen Mann und er würde ihn auch bekommen. Verstohlen sah er zu dem groß gewachsenen Kerl, der geistesabwesend auf einem der großen Baumstämme saß. Etwas abseits von allen anderen, wie schon den ganzen Tag. Sollte er zu ihm rüber gehen?

Die erste Nacht ...

 

 

Logan parkte die Schneemobile hinter der Blockhütte. Dort würden sie bleiben, weil die Gruppe ab hier zu Fuß weitergehen würde. Sam schickte später ein paar Jugendliche aus dem Ort vorbei, die sich ein wenig ihr Taschengeld aufbessern wollten, um sie zu holen. Logan war froh, seine Ruhe zu haben und vor allem der Nähe dieses Mannes zu entfliehen. Travor Graham sollte sich in Zukunft bloß fern von ihm halten. Dieses komische Gefühl gefiel ihm nicht und er wollte es am besten auch gar nicht analysieren. Noch nie hatte ein Mann ihn so angesehen, so tief. Logan wusste nicht, wie er den Blick für sich beschreiben sollte, er wusste nur, dass der Blick sowohl angenehm, als auch unangenehm zugleich war. Logan wollte fliehen, aber auch bleiben. Als Nash um seine Hilfe bat, war Logan heilfroh, aus Travors Nähe verschwinden zu können. Die Nacht würde er vorziehen, im Zelt zu schlafen, als in der engen Hütte vielleicht wieder in Bedrängnis zu geraten. Nash zündete ein Feuer an und die Damen wärmten dankbar ihre klammen Finger. Sam hatte für die Gruppe ein wahres Festmahl eingepackt, das letzte für die nächsten Tage, denn dann würden alle mit Dosenfutter vorliebnehmen müssen. Kaltes Hühnchen, belegte Brote mit Lachs, Käse und sogar etwas Kaviar. Der kam aus der Dose, aber das störte niemanden. Nach einem anstrengenden Tag an der frischen Luft schmeckte eigentlich alles und zwar doppelt so gut wie normal.

 

Logan hatte sich etwas abseits der Gruppe gesetzt. Er wusste, dass er sich selber ausgrenzte, aber er brauchte gerade unbedingt seine Ruhe. Ab und an warf er einen kurzen Blick auf die kleine Runde, die fröhlich schwatzend dicht am Feuer die heiß ersehnte Mahlzeit zu sich nahm. Travor hatte den Arm um seine Frau gelegt. Die beiden wirkten unglaublich vertraut und sehr harmonisch. Ein hübsches Paar, dachte Logan bei sich. Die braunen Locken der beiden glänzten im Schein der Flammen. Optisch glichen sie sich, was das Pärchen noch perfekter wirken ließ. Logan wusste nicht, was ihn an dieser Harmonie störte, oder ob ihn daran überhaupt etwas störte, aber der Anblick ließ ihn beklommen zurück. Einmal begegnete ihm Travors Blick und schnell drehte er dem anderen den Rücken zu, hatte aber das Gefühl, spüren zu können, wie der ihn weiterhin ansah. Ein paar Minuten hielt er dem stand, dann zog er es vor, sein Zelt für die Nacht herzurichten. Das Popup baute sich selbstständig auf, so musste er nur noch die Isomatte und den Schlafsack ausrollen. Kurz legte er sich in sein Nachtquartier, verschränkte die Arme hinterm Kopf und starrte an den Zelthimmel. Nashs Lachen drang an sein Ohr und das von Tiffany. Egal was Nash von sich gab, Tiffany lachte als Erste und am lautesten darüber. Logan beschlich der Eindruck, dass sie mit ihm flirtete. Chris schien das nicht weiter zu stören. Er unterhielt sich stattdessen mit Lydia und Travor.

 

Logan ärgerte sich über sich selbst. Wenn er doch der Unterhaltung lauschte, hätte er sich auch nicht ins Zelt zurückzuziehen brauchen. Schon am ersten Tag dieser Tour sehnte Logan das Ende herbei. Eigentlich wollte er den Akku seines iPods sparen, aber er brauchte Ruhe und solange er die Unterhaltung weithin verfolgte, würde er keine bekommen. Logan kickte die Stiefel von den Füßen, schloss das Zelt, ohne sich bei Nash und den anderen zu verabschieden, und kroch in seinen Schlafsack. Mit den Ohrstöpseln des iPods und langsamer klassischer Musik im Ohr, fand er endlich zur Ruhe und schlief schnell ein. Seltsame Träume verfolgten ihn die Nacht, Träume, die ihn erregten und am Morgen atemlos erwachen ließen. Was genau er geträumt hatte, wusste er nicht, nur, dass braune Augen und glänzende braune Locken darin eine Rolle gespielt hatten. Zwischen seinen Beinen pochte eine steinharte Erektion. Automatisch wanderte seine Hand dorthin, legte sich seine Faust fest darum und sorgte schnell für Erfüllung. Er ließ keine Gedanken dabei zu, konzentrierte sich nur auf die Reibung, auf das starke Ziehen. Er verbot sich, über den Traum nachzudenken. Erleichtert spürte er, wie es in ihm hochstieg. Sein Körper spannte sich und keuchend verteilte sich sein Sperma über seiner Hand. Mit der freien Hand angelte er nach einem Taschentuch, um sich zu reinigen. Als er wenig später gut gelaunt den Kopf aus dem Zelt streckte, verflog die gute Laune sofort. Das Erste, was Logan an diesem Morgen erblickte, waren braune Locken und der dazugehörende große Mann. Travor Graham!

 

Travors erste Nacht und ein einzigartiger Morgen ...

 

 

Gerade als sich Travor entschieden hatte, zu Logan hinüberzugehen, stand dieser einfach auf und verließ ohne ein Wort das Lagerfeuer. Travor sah ihm hinterher, wie er mit ausladenden Schritten in der Dunkelheit verschwand.

 

"Na, Bruderherz, da hast du aber eine harte Nuss zum Knacken gesucht." Lydia flüsterte ihrem Bruder ins Ohr und lächelte ihn schelmisch an. Der knuffte sie mit dem Ellenbogen in die Seite.

 

"Er ist irgendwie faszinierend. Ich will ihn, aber wahrscheinlich hast du recht. Er ist hetero und wird sich nicht so einfach knacken lassen." Travor küsste seine Schwester auf die Stirn. Wenn Logan nicht mehr hier war, hatte er auch keine Lust mehr, am Feuer sitzen zu bleiben. Wenn er morgen eine gute Figur machen wollte, dann sollte er besser schlafen gehen. Damit es nicht auffiel, dass sein Interesse dem knackigen Führer der Gruppe galt, blieb er noch ein Weilchen, lauschte der Unterhaltung und warf das eine oder andere ein.

Mit den Gedanken war er aber bei Logan. Einen so distanzierten Mann hatte er noch nie getroffen. Obwohl er tagtäglich mit Geschäftsmännern zu tun hatte, fand er immer eine kleine Ecke, an der er ansetzen konnte. Nicht so bei diesem Mann. Logan wirkte so selbstsicher, über alles erhaben. Obwohl Travor vorhin eine kleine Unsicherheit bemerkt hatte.

Logan konnte seinem Blick nicht standhalten, sah verunsichert aus. Wäre Nash nicht dazwischengekommen, vielleicht hätte er ihn noch mehr aus der Reserve locken können. Aber heute war erst der erste Tag ihrer Tour und spätestens, wenn er Logan auf dem Rückweg für sich allein hätte, würde er zum Angriff übergehen. Allein mit ihm könnte er nicht immer ausweichen oder weglaufen. Travor wollte alles auf sich zukommen lassen. Mit der Brechstange durfte er bei diesem Mann nicht vorgehen. Auf keinen Fall. Der kurze Blick in Logans Augen hatte ihm einen anderen Mann gezeigt, einen, der einen weichen Kern unter seiner harten Schale besaß. Als Travor später in dem eher harten Bett lag, den Schlafsack bis unter die Nasenspitze zugezogen, schweiften seine Gedanken noch weiter ab. Schon länger fehlten in Travors Leben Sex und Erotik, denn seit seinem Zusammenbruch hatte er keinen Gedanken daran verschwendet. Obwohl Logan in dicker Kleidung steckte, konnte er sich die darunter liegende Figur sehr gut vorstellen. Zu gern würde er Logans durchtrainierten Körper unter sich spüren, willig, nachdem er dessen Willen mit heißen Zärtlichkeiten gebrochen hatte. Stöhnend, wenn er sich in ihn schieben würde.

 

Seine Gedanken wurden kurz unterbrochen, als nach und nach die Anderen in die Hütte kamen, draußen war es zu kalt geworden. Warum mussten sie gerade jetzt kommen, jetzt, wo ihm seine Fantasie so erregende Gedanken schenkte. Er würde sicher der Erste sein, der Logan nehmen würde, der Erste, der sich in diese erregende Enge schob. Logan würde ihn ewig in Erinnerung behalten. Den Ersten vergaß man nie. Travor hatte sich so viele heiße Gedanken gemacht, dass sein Körper darauf reagierte und massig Blut in seinen Unterleib pumpte.

Verdammt dachte er bei sich, warum nur liege ich nun zusammen mit vier anderen in einer Hütte. Der Druck in seinen Lenden war kaum auszuhalten. Er musste schleunigst aufhören, an diesen hübschen Kerl zu denken. Mit äußerster Willenskraft schaffte Travor es, sich zu beruhigen. Trotzdem spannte die Hose noch eine Weile unangenehm zwischen seinen Beinen. Irgendwann fiel Travor in einen unruhigen Schlaf und erwachte ziemlich früh. Er schälte sich aus dem warmen Schlafsack und versuchte leise mit seiner Kulturtasche die Hütte zu verlassen. Draußen herrschte erfrischende Kälte, die ihn schlagartig hellwach machte. Gerade stieg die Sonne empor. Goldenes Licht legte sich über die weiße Schneedecke. Weit hinten am Horizont blitzte die Wasseroberfläche des "Lake Mishumie", das Ziel ihrer Tour. Travor legte die Hand über die Augen und genoss diesen einzigartigen Moment. Er fühlte sich eins mit der Natur. Genau so ein Augenblick war der Grund dieser Reise. Ein Moment, der ihm in Erinnerung bleiben würde. Travor war so gefangen von dem erwachenden Tag, dass er Logan nicht bemerkte. Erst als dieser direkt hinter ihm stand, er dessen warmen Atem im Nacken spürte, nahm er wahr, dass er dieses Schauspiel nicht allein beobachtete. Schweigend standen die beiden Männer am Rande des Abgrundes. Ihre Körper dampften in der kalten Luft. Worte waren überflüssig. Travor spürte die Nähe des anderen Mannes, empfand eine Verbundenheit, weil sie diesen Moment miteinander teilten. So lautlos wie er an ihn herangetreten war, wandte er sich jetzt wieder ab und ließ ihn allein. Dieser Mann gab ihm Rätsel auf. Warum verschwand er immer dann, wenn diese wahnsinnige Spannung zwischen ihnen herrschte?

 

 

Tag 2! Ab jetzt zu Fuß ...

 

 

Warum er das Zelt verlassen und sich Travor genähert hatte, wusste Logan selbst nicht.

Eigentlich wollte er die Nähe dieses Mannes meiden, aber als er sah, wie offensichtlich dem Städter dieses Naturschauspiel gefiel, hatte er das Bedürfnis verspürt, diesen Moment mit ihm zu teilen. Ein erwachender Morgen hier auf dem kleinen Plateau war etwas ganz Besonderes. An diesem Tag erlaubte es die Witterung, meilenweit zu sehen. Trotzdem lag ein feiner Nebel dicht über dem Wald. Der Himmel leuchtete golden, erwachte gerade und dieses weiche Licht tauchte alles in warme Pastellfarben. Friedlich wirkte die Landschaft. Wieder herrschte diese Einigkeit zwischen ihnen, den Moment nicht durch überflüssige Worte zu zerstören. Still genoss man, hing seinen eigenen Gedanken nach und fühlte sich dennoch verbunden. Es war schön, solch einen Moment einmal nicht allein zu erleben, sondern mit einem Menschen, der ihn genauso zu schätzen wusste.

 

Logan wusste nicht, warum es gerade Travor war, dem er sich so verbunden fühlte. Schon oft hatte er Touristen hierher geführt und mit ihnen einen Tag erwachen sehen, aber noch nie war es so besonders gewesen. Eine seltsame Spannung herrschte zwischen ihm und dem Mann, den er eigentlich auf Abstand halten wollte. Jetzt stand er dicht hinter ihm, sah wie sich dessen feine Härchen im Nacken aufrichteten, als sein Atem die Stelle traf. Es wurde Zeit zu gehen, bevor, ja - bevor was? Leise drehte sich Logan um, das flaue Gefühl in seinem Magen ignorierend. Es gab genug zu tun. Holz für das Feuer musste her, Wasser für Kaffee und für die Morgentoilette erwärmt werden. Hier draußen konnte man sich die Zähne putzen und das Gesicht waschen. Heute würde er den Frauen noch einmal die Hütte bieten können, wo sie sich frisch machen konnten. In etwa drei Tagen würde die Gruppe an heißen Quellen vorbei kommen. Ein Bad mitten im eiskalten Winter in freier Natur gefiel den Städtern sicher gut. Nash streckte den Kopf aus der Hütte. Seine Haare standen wirr in alle Richtungen ab und auch sonst wirkte er sehr zerknautscht.

 

"Holst du Holz? Ich koche dann und du kannst das Gepäck aufteilen, ok?", krächzte der verschlafene Mann. Logan nickte und verschwand im Wald. Eine Dreiviertelstunde später herrschte rege Betriebsamkeit. Nash bereitete Frühstück. Es gab Rührei mit Schinken. Der Kaffee wurde ihm regelrecht aus der Hand gerissen. Die Laune der Gruppe war angesichts des tollen Wetters prächtig. Es wurde gelacht und gescherzt. Tiffanys schrille Stimme reizte Logans Trommelfell. Sie flirtete wieder intensiv mit Nash, der sich langsam nicht mehr zu wehren wusste. Logan war nicht entgangen, dass dieser viel lieber ein Wort mit Travors Frau Lydia gewechselt hätte. Ganz egal, beide Frauen waren verheiratet und somit tabu für den zweiten Führer der Gruppe. Um den weiteren Weg zu erklären, wartete Logan, bis alle satt und zufrieden auf den Baumstämmen nah beim Lagerfeuer saßen. Dann stand er auf und allein seine Größe und die Art, wie er da stand, ließ die Gruppe verstummen.

 

"Ich hoffe, Ihre Nacht war angenehm und erholsam, denn ab heute werden wir unsere ganze Kraft benötigen. Der Weg wird ab jetzt zu Fuß weitergeführt. Zu diesem Zweck habe ich Schneeschuhe mitgebracht, damit wir bequem auf dem Schnee laufen können und nicht bis zu den Knien einsacken. Jeder wird sein Gepäck auf dem Rücken mit sich tragen. Essen und Zelte werden auf zwei Schlitten von Nash und mir gezogen. Um dieses Plateau zu verlassen, werden wir uns von hier ca. 30 Meter abseilen. Keine Sorge, Nash und ich haben das schon hunderte Mal gemacht. Wenn Sie unsere Anweisungen befolgen, wird Ihnen nichts passieren. Ich wünsche Ihnen und mir einen aufregenden Tag und viel Spaß." Logan endete seinen kleinen Vortrag, dem alle andächtig gelauscht hatten. Tiffany stand der Mund offen. Ihre Sprachlosigkeit verflog rasch.

 

"Ich bin nicht schwindelfrei, ich werde mich auf keinen Fall in den Abgrund stürzen, nie und nimmer!", keifte sie laut. Warum nur hatte Logan mit genau dieser Reaktion bereits gerechnet. Die Dame war so vorhersehbar.

 

"Dann werden Sie wohl hier warten müssen, bis Nash Sie in einer Woche holen kommt. Wir werden da runter müssen und einen anderen Weg gibt es nicht!", Logans Stimme ließ Tiffany nach Luft schnappen. Sie lief rot an.

 

"Wir bezahlen nicht so viel Geld für diese Reise, um uns umbringen zu lassen!", schimpfte sie weiter. Chris drehte beschämt den Kopf weg, gebot seiner Frau dennoch keinen Einhalt. Travor und Lydia sahen sich an, überlegten ob sie etwas dazu sagen sollten, ließen es aber sein. Nash stand auf und folgte Logan, der sich einfach umgedreht hatte und Tiffany schimpfend zurückließ. Diskussionen wie diese erstickte Logan lieber sofort im Keim, vielmehr diskutierte er einfach nicht. Tiffany würde schon mitkommen, denn allein zurückbleiben wollte sie schließlich auch nicht. Einen Teil der Ausrüstung für den Abstieg hatten sie bis hierher mitgenommen. Aber einige Dinge, wie die Haltegurte, waren immer hier, sie wurden nach der Tour wieder hergebracht. Logan bereitete alles vor, während die Frauen sich frisch machten. Chris und Travor putzen sich die Zähne und wuschen sich notdürftig. Für eine Rasur fehlte allen die Lust. Am Ende dieser Tour schaute einem ein anderer Mann im Spiegel entgegen. Immer noch hörte er Tiffany vor sich hin schimpfen. Mit Chris wollte Logan um nichts in der Welt tauschen. Lieber wenig Geld als solch eine Frau am Hals. Überhaupt waren Männer und Frauen nicht dazu gemacht, dauerhaft zusammenzuleben. Ihre Körper passten perfekt zusammen, aber ansonsten waren sie einfach viel zu verschieden. Nein, mehr als ein paar schöne Stunden mit dem anderen Geschlecht brauchte er nicht, um glücklich zu sein. Eine Stunde später mahnte Logan zum Aufbruch. Tiffany, die sich zwischenzeitlich beruhigt hatte, begann wieder zu zetern.

 

"Das Gepäck ist zu schwer, damit kann ich keine zehn Meter gehen, unmöglich!", herausfordernd musterte sie Logan. Der atmete einmal tief ein, bevor er mit beherrschter Stimme antwortete: "Dann sollten Ssie vielleicht die drei Kilo Schminke wieder auspacken, dann wird er schon leichter. Niemand sieht Sie hier. Jedenfalls niemand, den es interessiert, ob Sie den neuesten Lippenstift tragen. Ein für alle Mal. Ich werde bezahlt, um die Gruppe zu führen, nicht um unnötige Diskussionen zu führen. Es ist Ihr Gepäck, tauschen Sie mit Ihrem Mann, vielleicht trägt er es für Sie, und nun möchte ich losgehen." Ein Raunen ging durch die Gruppe, aber Logan drehte sich um, zog den Schlitten mit der Ausrüstung und den Zelten hinter sich her und begab sich zur Abstiegsstelle.

 

 

Tag 2! Der Abstieg und weitere Probleme ...

 

 

Logan hatte die Nase voll, egal was die anderen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Bonnyb. Bendix
Bildmaterialien: Pixaybay
Lektorat: Brigitte Mellchers, Bernd Frielingsdorf
Tag der Veröffentlichung: 09.01.2015
ISBN: 978-3-7368-6966-0

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /