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Die zwei Leben!
 
Ich schreibe hier meine Gedanken auf, die Gedanken einer Mutter, die sich plötzlich zurück versetzt fühlt. Sie ist wieder zurück in ihrer Kindheit. Aber nicht in dem schönen Teil.
Dem Teil, wo das Jahr nur aus warten auf Ferien, Geburtstag, Ostern, Nikolaus und Weihnachten bestand. Dem Teil, wo Süßigkeiten das Tollste waren, oder Eis.
Dem Teil wo Schneeballschlachten so lange ausgefochten wurden, bis man steif gefroren war, oder man stundenlang auf Bäume kletterte und über Bäche sprang.
Ich könnte noch unzählige Dinge aufzählen, aber im Moment sind alle schönen Erinnerungen weggewischt. Sie sind überschattet von anderen Gefühlen und Erinnerungen.
Ich hatte immer gehofft, dass das, was ich erlebt hatte, meinen Kindern erspart bleiben würde. Leider stellt sich aber heraus, dass ich alles noch ein zweites Mal erleben muss.
 
Ich bin das, was man eine Mulattin nennt. Ein Mischmasch, eine Promenadenmischung aus deutscher Mutter und afrikanischem Vater.
Ich bin ein ungewolltes Kind, welches man zur Adoption freigab. Der liebe Gott meinte es gut mit mir und bescherte mir wundervolle Adoptiveltern. Eine Mutter, die mich liebte und mir Sicherheit  gab.
Eine, der die Hautfarbe ihres Kindes egal war. Eine, die ein Kind großziehen wollte, die ihre Liebe einem kleinen Wesen geben wollte, es aufwachsen sehen wollte und ihm Flügel geben wollte, wenn es flügge wird. Ich wuchs auf unter weißen Menschen, mit einer Schwester, die blond gelockt war. Ich war mir nicht bewusst, dass ich anders war. Das war meine Familie, ich war ein Teil von ihr. Also war ich nicht anders.
 
Dass ich anders war, wusste ich in dem Moment, als ein kleines Kind in einem Geschäft mit dem Finger auf mich zeigte. Sie blieb stehen und rief laut, für alle hörbar:
"Guck mal Mama, ein Neger!" 
Dieses Wort fuhr mir in die Glieder, in den Magen und bereitete mir Unbehagen. Ich schämte mich irgendwie. Das war kein positives Wort, dass merkte ich sofort. 
Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass ich dieses Wort hörte. Dieses, und noch viel schlimmere.
"Nigger" war immer die Krönung.
Egal wie meine Mutter mich unterstützte, mir zu helfen versuchte. Gegen diese Machtlosigkeit die mich überfiel, wenn jemand mich demütigte mit diesen Worten, kam kein Trösten an.
 
Unbedacht fielen Sätze, wie: "Ich bin doch nicht dein Ben!"....oder:
"Ich bin doch nicht dein Neger!" 
Ich bezog sie auf mich, oder fragte mich, warum man sie in meiner Gegenwart benutzte. 
Diese Gefühle, die einen überfallen, sind für niemanden nachvollziehbar, der nicht ähnliches mitgemacht hat.
Wenn ich mit Kindern in Streit geriet, dann war es klar, wie er endete. Schimpfte ich:
"Du blödes Arschloch oder Schlampe!" bekam ich ein
"Neger oder Nigger" zurück. Der wunde Punkt war schnell getroffen, man wusste, womit ich aus der Reserve zu locken war. Man gab sich erst zufrieden, wenn ich weinend weg lief. 
Ich hasste meine Hautfarbe, konnte ich sie doch nicht abwaschen, hatte sie keiner in meiner Familie, nur ich.
Ich fühlte mich schlecht, weil ich einen Teil von mir verleugnen wollte und doch nicht konnte. Ich hasste meine starken Locken, wollte lieber langes, glattes Haar. Ich wollte so sein wie die anderen Kinder.
In der Pubertät brauchte ich gar nicht damit rechnen, einen Freund zu bekommen. Man zeigte sich nicht mit so einer. Man küsste sie, schaute, ob das anders war, als mit weißen Mädchen, aber man zeigte sie nicht Zuhause.
Es tat weh. Ich weinte mir die Augen aus dem Kopf. Aber das half nicht. Meine Erfahrung mit Skins musste ich auch machen. Das Messer an der Kehle, als wertloses Stück Dreck beschimpft zu werden, das vergast gehört. Alles nur, weil man eine andere Farbe hat. 
Dennoch habe ich gelernt, damit umzugehen. Mein Mann zeigte von Anfang an keine Berührungsängste. Er hat mich nie, auch nur ansatzweise spüren lassen, dass ich anders war als andere. 
Durch ihn habe ich gelernt, mich so anzunehmen wie ich bin. Ja, mittlerweile weiß ich, dass genau das, was ich Jahre lang an mir hasste, meine Vorzüge sind. Ich bin groß, das ganze Jahr über braun. Ich sehe sehr europäisch aus, was es mir in diesen Breitengraden einfach macht. Ich habe Glück gehabt, dass ich so aussehe wie ich aussehe.
Aber allein, dass ich diese Äußerung machen muss, ist schon diskriminierend. Denn was wäre, wenn ich ein gröberes Gesicht hätte, wulstigere Lippen und eine breite Nase?
Wäre ich dann hässlich, hätte man dann ein Recht mich zu hänseln, nur weil ich dann dem Schönheitsideal dieses Landes nicht entspreche. 
Als ich schwanger wurde, freute ich mich, wollte ich schon immer so ein kleines Wesen in mir wachsen spüren. Aber mit dem Bauch, der wuchs und den ich stolz vor mir hertrug, kamen auch die Alpträume. 
Träume von pechschwarzen Kindern, mit Schrumpfköpfen. Zwischendurch auch mal von schneeweißen, blonden. Ich wünschte mir, dass die Kinder nicht viel von mir bekommen sollten. Sie sollten es nicht so schwer haben wie ich.
 
Ich bekam Zwillinge. Zwei gesunde, bildhübsche, kleine Babys, die sehr hell waren. Ein Pärchen. Der Junge mit sehr gesunder, leicht gebräunter Hautfarbe, zum Verlieben süß. Das Mädchen eher blass, klein, wie ein Püppchen.
Ich war glücklich. Aber im Kindergarten hörte die Freude auf. Andere Mütter, die sich über den hohen Ausländeranteil in den Gruppen beschwerten. Freundinnen von mir. Unbedachte Aussagen, ich weiß, dennoch versetzten sie mir jedes Mal einen Stich. 
Alle die mich kennen, wissen, dass ich kein Ausländer bin, aber selbst wenn ich einer wäre, wäre ich der gleiche Mensch. 
Vier Jahre später war ich erneut schwanger. Mit zwei dreijährigen an der Hand und einem dicken Bauch, entsprach ich dem gängigen Klischee einer Ausländerin. Immer schwanger, viele Kinder. Es war mir sehr unangenehm, diesen Blicken ausgesetzt zu sein. 
Ich gebar einen gesunden Jungen. Einen weißen, blonden Jungen mit blauen Augen. Ich brauchte ein paar Tage, um mich mit ihm anzufreunden. Ihn als meinen Sohn zu sehen, diesen blonden Engel.
Wie die Natur es schaffte so etwas zu vollbringen, war mir schleierhaft. Drei gesunde, süße Kinder, die es aber genauso schwer haben wie ich.
Immer wurden meine Kinder aufgezogen. Sie konnten gar nicht verstehen, dass sie für Afrikaner gehalten wurden, kamen empört nach Hause und fragten mich, wie die anderen Kinder darauf kommen würden. Ich stellte mich mit ihnen vor den Spiegel und fragte sie, was sie sehen würden. Was sie glauben würden, warum ich so braun wäre, woher sie wohl ihre Farbe hätten. 
Da wussten sie nicht, was sie sagen sollten. Alle in der Familie sind weiß, nur ich nicht. Sie haben nie gefragt, warum ich braun bin. Es war ihnen egal, weil sie ihre Mutter lieben, man liebt seine Mutter ob sie dick, dünn, braun, gelb oder weiß ist. Man fragt nicht danach, wo die Farbe herkommt, es ist egal. Mein Sohn ist jetzt auf einer weiterführenden Schule.
Er kommt oft nach Hause und weint. Er weint, weil er all das erleiden muss, wie ich es schon kenne. Die gleichen Sprüche, die mir wieder die Tränen in die Augen treiben.
Ich bin hilflos. Kann ihm nur sagen, dass es vorbei geht, wenn er sich nicht provozieren lässt. 
Aber er ist erst elf, kann nicht verstehen warum seine angeblichen Freunde ihm das antun. Ich schau in seine Augen und sehe, wie er seine Farbe hasst, wie er vielleicht auch mich hasst, weil ich sie ihm vererbt habe. Ich kann ihm nicht helfen, kann ihn nur trösten.
Ich kann nicht die Welt ändern, in denen Eltern ihren Kindern immer noch nicht beibringen, dass es auch andere Ausdrücke gibt, außer Neger.
Eltern sollten ihren Kindern Toleranz gegenüber Andersartigkeit beibringen. Sei es Religion, Kleidung, Herkunft, Behinderung oder sexuelle Ausrichtung. 
Man muss nicht alles gut finden, aber man darf nicht vorschnell handeln, oder reden, bevor man denkt. Kinder nehmen die Denkweise ihrer Eltern an. Ich bin weiß denkend aufgewachsen, aber ich habe am eigenen Leib zu spüren bekommen, das es fremde Leute nicht  interessiert,  woher du kommst, wer deine Familie ist, was du arbeitest, oder ob du einfach nur ein netter Zeitgenosse bist. Mit der Hautfarbe bekommst du einen Stempel aufgedrückt. Und der sagt, dass du ein Mensch zweiter Klasse bist.
 
 
 
 

Impressum

Texte: Vielen Dank.....Gaby......du machst immer alles möglich egal zu welcher Sfunde des Tages......:-)
Bildmaterialien: Private Quellen und Googlebilder
Tag der Veröffentlichung: 05.05.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch meinem kleinen Sohn. Der es hoffentlich lernt die Hänseleien von sich abprallen zu lassen...... Dieses Buch befand sich im Forum, in einer Diskussion, in der ich mich gegen Vorwürfe erwehren wollte, die unhaltbar waren. Zu diesem Zweck hatte ich die Herz und Kommentarfuntion abgestellt. Hiermit (15.08.2012) Hebe ich das wieder auf. „Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu.“

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