Wir kennen das ja aus all den Büchern und Filmen, Rosamunde Pilcher ist prädestiniert für ihre Happy-Ends im ZDF, doch diese finden in Cornwall statt und nur dort. Überall an allen anderen Orten sind die Klippen nicht so rau, die Wiesen nicht so saftig grün und der Held reicht der Heldin kein Spitzentüchlein. Nicht mal ein Papiertaschentuch trägt der Held bei sich und die Heldin ist gezwungen, ihm das Seidenhemd, das Kapuzen-T-Shirt oder den Rollkragenpullover zu verrotzen. Mensch Rosmunde, wie unauthentisch bis bist du denn unterwegs??? Weißt du denn nicht, wie die Realität aussieht? Du hast es gut, beim Kuss wird bei dir ausgeblendet, wärst du einmal realistisch, dann würdest du nach der Kuss-Szene weiterschreiben und nicht einfach den Film beenden. Tja halt Film, vielleicht solltest du MICH einmal nach dem Reality fragen, ich könnte dir einige Hilfestellungen leisten.
Für meine „Schwester“ mit der ich die Welt verändere. Auf die Vergangenheit, auf die Gegenwart, auf die Zukunft. Auf Abu-Dhabi, Louis Vuitton und auf Bettys Karten.
PROLOG
„...und wenn wir groß sind, dann werde ich dich heiraten.“ Der Satz kam von Uwe im Sandkasten. Ich war gerade einmal vier Jahre alt, hatte mehr Sommersprossen als Sterne am Himmel sind und einen verkrutzten Pony, von Muttern geschnitten und windschief, weil ich nicht still halten konnte. Trotzdem war ich für den Uwe die Sandkastenliebe. Uwe hatte mich damals nicht angelogen und sein Antrag war mit das Ehrlichste, was ich jemals gehört hatte. Vielleicht liegt es daran, dass ich mit meinen 168 cm niemals richtig groß wurde, nun ja, ich bin irgendwie ein Konzentrat. Doch auch wenn man NICHT groß wird, so wird man doch irgendwann erwachsen. Und erwachsen werden ist verdammt schwer. Wir lernen und das tut weh. Manche wollen nicht lernen und verharren einfach, auch gut. Andere sind neugierig. Erwachsen werden heißt aber auch, dass man all das Vertrauen, all den Glauben, den man damals im Sandkasten zutage legte, ablegen muss. Sie müssen Platz machen für Zweifel und Missgunst. Und irgendwann tritt man über die Schwelle zum Erwachsensein und belächelt dies, was damals im Sandkasten so wichtig war, was im Sandkasten der reinen und unschuldigen Wahrheit entsprach.
40 Jahre später
Ich habe viel gelernt und musste einige Lektionen wiederholen, quasi Nachsitzen. Frauen sind nicht doof, Frauen sind nicht zickig von Anfang an. Frauen scheinen doof und zickig, weil sie sich oft in einer Metamorphose befinden. Sie ändern sich, müssen sich der Außenwelt anpassen und das so schnell, dass die Männer gar nicht mithalten können. Eigentlich haben Frauen keine Migräne, sie haben Schwindelanfälle, wegen der schnellen Anpassung. Manche Dinge muss man objektiv sehen, sonst zerbricht man daran.
Da gibt es die Legende von einem Vogel, der in seinem Leben nur ein einziges Mal singt, doch singt er süßer als jedes andere Geschöpf auf dem Erdengrund. Von dem Augenblick an, da er sein Nest verlässt, sucht er nach einem Dornenbaum und ruht nicht, ehe er ihn nicht gefunden hat. Und wenn er im Gezweig zu singen beginnt, dann lässt er sich so darauf nieder, dass ihn der größte und schärfste Dorn durchbohrt. Doch während er stirbt, erhebt er sich über die Todesqual, und sein Gesang klingt herrlicher als das Jubeln der Lerche oder das Flöten der Nachtigall. Ein unvergleichliches Lied, bezahlt mit dem eigenen Leben. Aber die ganze Welt hält inne, um zu lauschen, und Gott im Himmel lächelt. Denn das Beste ist nur zu erreichen unter großen Opfern... So jedenfalls heißt es in der Legende.
Ich habe eine Dornen-Vögel-Beziehung. Ja richtig. Natürlich kennen wir alle den Film mit Meggie Cleary und Pater Ralph de Bricassart. Meine „Beziehung“ ist kein Priester, auch ist er nicht verheiratet, oder hat eine andere Partnerin. Natürlich nicht. Und doch ist es eine geheime Beziehung. Eine, von der niemand etwas wissen darf und soll. Es wäre einfacher, denn im Geheimen kann keine Rose blühen. Eine Dornenvögel-Beziehung ist alles andere als einfach, denn man ist immer und immer wieder an der Stelle, an der man alles anzweifelt. An der Stelle, an der man sich alles schön redet, oder schön reden lässt. Diese Beziehung wäre perfekt. Aber Konjunktive haben im richtigen Leben nichts zu suchen. Und die Opfer, die man bei so einer Beziehung einbringen muss, sind oft größer, als man es selber ahnt.
Ich selber sitze gerade am See und denke über mich und die Dornenvögel nach, wie es angefangen hat, wie es weiterging, wie perfekt es schien und wie kaputt ich doch letztendlich geworden bin. Es ist Sonntagvormittag. Ich wurde heute Morgen aus seiner Wohnung komplimentiert, mit den Worten: „Wir gehen jetzt wieder getrennte Wege, gleich kommt mein Sohn.“ Klar, wir sind ja Singles und ich hab einiges hinter mir, schließlich sind es immerhin schon genau zwölf Stunden her, wo ich einen Heiratsantrag von ihm bekam. Aber das hat nichts zu bedeuten. Ich bin es gewohnt, dass er mir Dinge verspricht, die er niemals einhalten kann. Freunde? Nein, natürlich nicht. Feinde? Nein natürlich auch nicht. Er erzählte mir in der letzten Nacht, dass er mich heiraten möchte, weil ich einzigartig und was Besonderes bin und ich mir einen Ring aussuchen könnte. Und was mach ich jetzt hier? Es regnet! Ich starre aufs Wasser. Was hat er mir schon alles versprochen und nicht gehalten? Was hat er schon alles gesagt, was doch gar keine Bedeutung hat? Was soll ich mir noch anhören? Da war die Anbauschrankwand ganz am Anfang unseres Kennenlernens, mit der sollte ich bei ihm einziehen. Diese Aussage hatte er sofort revidiert. Vielleicht bin ich wirklich manchmal stressig und man kann sich mich rein nervlich nicht leisten, aber sollte man mich dann so behandeln? Sollte man mir immer und immer wieder Dinge versprechen, an die ich glaube? Nun gut, ich glaube ihm schon längst nicht mehr. Eine Erfahrung, die sehr, sehr weh getan hat und die ich so oft wiederholen musste, bis ich sie endlich kapiert hatte. Er schob es auf alles Mögliche und ich hatte immer das Gefühl, dass ich Zweitwahl war. Er hatte eine Wahnsinnsangst, dass „unsere Beziehung“ raus kommen würde. Heute sitze ich hier an diesem Wasser und frage mich: Warum eigentlich? Diese Frage ist nicht so wichtig, viel wichtiger ist die Frage: Wie vielen erzählt er noch das Gleiche, wie mir? Wie viele sind der Meinung, sie dürften sich irgendwann einen Ring heraussuchen? Er besuchte weiterhin sein Single-Treffen. Wir nannten es „die Anonyme Selbsthilfegruppe“. Über jeden und jede hatte er dort was auszusetzen. Und ich fragte mich immer, warum man mit Menschen seine Zeit verbringt, die man nicht mag. Menschen, die oberflächlich sind. Aber sein Ego verlangte von ihm, dass er sich um die Damen dort kümmerte. Selbstredend durfte ich dort nicht mit. Ich war ja streng geheim vor Freunden und Familien. Wahrscheinlich würden sie ihn vor der Stadt vierteilen oder so. Viel schlimmer wäre es, wenn „seine Freunde“ wüssten, was er alles über sie erzählt, was er von ihnen hält und am allerschlimmsten für mich war immer die Frage, was erzählt er „seinen Freunden“ von mir?
Weihnachten musste ich immer alleine verbringen. Das Fest der Familie. Ich hatte Glück, wenn wir uns zwischen den Jahren sahen, denn Silvesterfeier war dann selbstverständlich mit der „anonymen Selbsthilfegruppe“.
Wie oft bin ich im Morgengrauen nach Hause gefahren, dass mich nur niemand sieht. Die Nachbarn, die Stadtbewohner, die Männer von der Müllabfuhr, oder der Postmann. Ich sollte hier noch einmal klar stellen, dass jetzt so manche Leserin und so mancher Leser den Eindruck bekommt, ich wäre ein hässliches Etwas, welches nicht tageslichttauglich ist und sichtbare Fehler aufweist. Ich selber bin nicht hässlich. Ich bin eher ein Mittelmaß und mit meiner Intelligenz kann ich locker an allen Gesprächen teilnehmen. Ich glaube nicht, dass ich hier erwähnen muss, dass ich diesen Menschen einmal geliebt habe. Ich glaube schon, dass jeder spätestens jetzt weiß, dass ich doch schon ein ganz cleveres Kerlchen war, bis dato. Also nehme ich in Kauf, nach so mancher Nacht die Autoscheiben frei zu kratzen und bei Sonnenaufgang die Heimreise anzutreten. Es war ein unbeschreiblich billiges Gefühl, mit jemanden Sex zu haben, der für einen selber in der Öffentlichkeit fremd ist.
An seinem Geburtstag wurde ich niemals eingeladen. Wir waren ja offiziell völlig unbekannt. Einmal habe ich mich „eingeschlichen“ ihm praktisch sein Geschenk vorbei gebracht und bin einfach nicht mehr gegangen. Hätte er mich nicht einladen sollen. Ich habe schon noch meine lichten Momente und dieses Geburtstagsessen habe ich dann ausgesessen. Seine Einladung nahm ich für bare Münze. Natürlich hat er sich danach nicht geändert. Manche Menschen haben einfach kein Rückgrat. All die versprochenen gemeinsamen Konzertbesuche fanden niemals statt. Kein Theater, kein Kino, kein Weinfest. Wir trafen uns zufällig dort und gingen dann gemeinsam nach Hause. Ostern war ich ihm dann glatt zu eng. Ostern war das erste Mal, dass ich den Weg beenden wollte. Ich schrieb ihm einen Brief, weil ich so viel Zorn hatte. Zorn auf ihn und Zorn auf mich. Mittlerweile liegen meine Abschiedsbriefe schon an der Tagesordnung. Wir vergessen vor lauter Verabschiedung das Weggehen. Doch dieser Abschied ist mir noch sehr gut in Erinnerung. Ich fuhr hin und warf den Brief ein. Sein Fahrrad parkte direkt vor seiner Haustür und ich hatte so eine Wut, so einen Zorn, dass ich dagegen trat und es krachend auf die Seite fiel. Die Nachbarn kamen raus um nachzusehen, was passiert war. Egal, ich heulte vor Wut und fuhr an die Tankstelle und kaufte mir mein erstes Päckchen Zigaretten. Ich habe das gebraucht und bin seit diesem Tag wieder Raucher.
Irgendwann fiel ihm ein, dass ihm etwas fehlte. ICH. Ich fehlte ihm. Wir hatten mehr Gemeinsamkeiten, wie wir dachten. Uns verband mehr, als wir eigentlich wussten, oder wissen wollten. Irgendwann kam dann diese heimliche Geschichte doch heraus. Er zog sich vollkommen zurück, behauptete lieber steif und fest vor allen und jedem, dass da niemals etwas war. Das war praktisch für ihn, so konnte er seine Opferrolle behalten. Da saß ich dann als einmalige Besonderheit und mir ging es total finster und keiner war da, um mich zu trösten, oder bei mir zu sein. Ich musste da einfach raus. Fluchtziel Griechenland. Mit meiner Freundin verreiste ich in der nächsten Woche Richtung Samos. Ich wäre am liebsten dort geblieben. Doch ich musste ja zurück und zu Hause wartete er. Ich brachte ihm eine Flasche Uozo mit. Jammas. Da er nach diesem Urlaub so sehr pienste, beschlossen wir, den nächsten Urlaub gemeinsam zu verbringen. Einfach mal weg fahren. Klingt doch sehr gut, oder? Klingt doch sehr einfach, oder? Doch noch waren wir beide zu Hause und genossen die warmen Sommertage am See. Oft fuhren wir nachts, wenn wir nicht gesehen wurden zum Baden. Im Juli war die erste Urlaubsplanung dann grob abgeschlossen und ich trug meinen Urlaub in der Firma ein, organisierte eine Urlaubsvertretung und freute mich über diesen Fortschritt. Wie sagt der Volksmund? – alles wird gut. Eine Woche vor dem Urlaub erklärt er mir, dass er nicht mit mir fährt, er fährt mit Bekannten nach Berlin und ich bleib hübsch daheim. Das war der Moment, in dem ich spürte, dass ich nicht mehr die war, die ich einmal war. In mir ist etwas kaputt gegangen, das wahrscheinlich unreparabel ist für alle Zeit. Ich wusste von früher, wie es sich anspürte, wenn der Mageninhalt durch die Nase läuft. Gastritis diagnostizierte mein Doktor. Gut, 5 Tage Urlaub in Kranschreiben umgewandelt. Ich brauchte Tabletten zum Einschlafen und zum Konzentrieren. Und!!! Ich gewann Abstand. Noch nicht so viel wie später, aber immerhin so viel, dass es mir etwas besser ging. Ich wollte mit diesem Menschen nichts mehr zu tun haben. Wollte ihn nicht mehr sehen. Irgendwann würde ich daran zu Grunde gehen und er wird dabei stehen und behaupten, er wäre es nicht gewesen. Er könne dafür nix. Ich hatte Rachegedanken im Kopf. Dieser Mensch hatte mir so weh getan. Er hatte mir so viel versprochen, das er in keinster Weise gehalten hat. Er hatte mich belogen und vielleicht sogar betrogen. Doch ich bin ein eigenständiger Mensch und jedem Menschen wird nur so viel getan, wie er es selber zulässt.
Die Beerdigung seines Vaters kurze Zeit später ließ uns auf der Trauerfeier wieder zusammentreffen. Ich gab ihm die Hand und wusste nicht, ob er mich überhaupt wahr genommen hatte. Es war der Monat, in dem ich nachts nicht schlief, in dem ich alles in Frage stellte und so oft wie betäubt war. Oft dachte ich, ich wäre tot, aber wie im Vormonat dachte ich nicht mehr so verzweifelt daran, wie feige ich doch bin, einfach vom 10. Stock zu springen. Es machte mir nichts aus, dass er einen Tag vor meinem Geburtstag kam und mir um 12 Uhr gratulierte. Es machte mir nichts aus, dass ich kein Geschenk bekam. Andere bekamen Konzertkarten geschenkt. Das wusste ich von einer aus dem Single-Club. Sie schrieb mich sogar an, dass er sich nicht um sie kümmere. Tja, mir hat er das ja erzählt, dass sie was von ihm will, aber leider hat sie katastrophale Zähne und das geht ja schon garnicht. Meine Zähne sind nicht wie Perlen, jedoch sind sie gepflegt und ziemlich gerade, aber dafür kriege ich nix am Geburtstag. Das wusste ich aber schon vorher. Was hätte er mir auch schenken sollen? Einen BH? Eine Unterhose? Ich habe gelernt: Man kann mich nicht mehr enttäuschen.
Irgendwann wendete sich das Blatt ein wenig. Es waren die lichten Momente im unserer „Beziehung“. Momente, die sämtliche Fragen in den Hintergrund schoben. Momente, die alles einfach perfekt scheinen lassen. Ich genoss diese Momente, in denen wir zusammen kochten, zusammen wanderten und zusammen philosophierten. Er hatte sich eine Kamera gekauft. Ein ganz teures Objektiv dazu und ich entdeckte meine große Leidenschaft von damals wieder. Das Fotografieren. Ich habe ein Talent dazu, vieles aufs Bild zu verbannen. Sehe vieles im richtigen Augenblick und Momente, die ich festhielt, die es wert waren. Ich selber wurde auch fotografiert. Hey, ich sehe ja richtig gut aus und das liegt nicht nur an dem teuren Objektiv. Dem Wandel traute ich trotzdem nicht so ganz, auch wenn ganz liebe Nachrichten von ihm kamen und wir sehr viel Zeit miteinander verbrachten. Gemeinsame Mahlzeiten, das Gläschen Wein am Abend, Fahrradtouren und ganz viel Lachen.
„Haben wir eine Beziehung?“ fragte er mich doch eines Tages allen Ernstes. Was sollte ich darauf antworten? Haben wir eine? OK, einen Dornenvögel-Beziehung haben wir. Geheim vor der Außenwelt, perfekt in unserer Welt, bis die Haustür geschlossen wird. Er hatte Angst vor einer Beziehung, sagte er mir. Das verstand ich zwar nicht, denn ich sah längst nicht nur schwarz weiß. Eine Beziehung bedeutet doch nicht zwangsläufig, 24 Stunden miteinander zu verbringen. Aber in einer Beziehung weiß ich doch auch immer, dass da jemand steht, der für mich da ist, der mir Halt gibt. Und wenn er auch nur am Horizont steht und aufpasst, dass ich nicht runterfalle. Aber an meinem Horizont steht niemand und das macht mich traurig. Manchmal, wenn es mir schlecht ging am Wochenende kochte er ganz lecker für mich, dann saßen wir stundenlang an seinem Tisch und trinken Whiskey. Also „spielten“ wir Beziehung, teils so richtig mit Schlafanzug am Frühstückstisch, Kaffee am Bett, Sonntage im Bademantel mit dem Hintergedanken, dass bloß niemand vorbei kam. Doch ich WILL nicht geheim gehalten werden. Ich kam mir immer schlecht vor, wenn ich heimlich aus seinem Haus schlich, das hat was verruchtes, was nuttiges und war so gar nicht meins. Würde er sagen, OK, wir sind befreundet, wäre das vollkommen okay für mich, aber es ist ja DER GUTE OHNE FEHL UND TADEL. Er ist das weiße Schaf. Wie sagte schon Herbert Grönemeyer: „Ich will nicht deine Liebe, ich will nur dein Wort…“
Irgendwann sagte er mir, er würde mich mit zu seiner Mutter nehmen und ich wäre fast versucht gewesen, daran zu glauben, genau wie an die Einladung zu seinem Geburtstag. Noch während er sprach, wusste ich, dass er dies nicht ernst meinte. Und wenn er gar keinen Ausweg mehr sah, wenn ich ihn in die Enge trieb, dann kamen Äußerungen von ihm, wie dass ich mit ihm spiele. Er fragte mich doch tatsächlich, ob ich mit noch mehreren Männer so verkehre, wie mit ihm. Dabei bin ich längst an einem Punkt, dass ich niemals wieder etwas Nähe an mich heran lassen kann.
Kurz vor Weihnachten wird dann immer alles sehr chaotisch. Da steht ja die ganze Welt Kopf und wir mittendrin. Es ist die Zeit, in der er wegläuft. Wovor auch immer, er ist auf der Flucht. Während ich mit meinen Freundinnen die Weihnachtsmärkte besuchte, kümmerte er sich um seine Single-Gruppe. Da gab es genug, denen es in der Vorweihnachtszeit die Suizid-Gedanken ins Hirn trieb und um die musste er sich kümmern. Unsere Dates wurden verschoben und abgesagt, weil er ganz spontan am Glühweinstand Bekannte traf.
Und irgendwann, als der erste Schnee fiel und wir hinter seinem Fenster diesem Naturschauspiel zuschauten, eine heiße Tasse Glühwein in der Hand, da fragte er mich doch tatsächlich, ob ich ihn heiraten will. Ich hätte fast die Tischdecke besudelt. „Nun ja“ begann er „ist ja rein wegen den Steuervorteilen und meiner Rente“. Klar, die Sache musste ja wohl einen Haken haben. Steuervorteile also. Das würde heimliche Heirat in Las-Vegas bedeuten und beide behalten ihre Namen. Komisch, ich habe mir immer vorgestellt, wie ich auf einen Heiratsantrag reagiere und an was ich da denke. Aus Filmen und Büchern ist ja bekannt, dass der erste Gedanke der Braut in spe dem Hochzeitskleid gilt. Was werde ich tragen? Wen werde ich einladen? Wo werden wir feiern? Vor meinem inneren Auge sah ich den Personalchef, der mich fragte, warum ich denn nun Steuerklasse 5 hätte. Tja, manche Dinge sind halt nicht erklärbar.
Natürlich war es ein Muss für ihn, den 24. Dezember alleine zu verbringen. Ich war im letzten Jahr alleine und beschloss, dieses Weihnachtsfest mit meinen Freunden zu verbringen. Es war wunderbar, bis seine Nachricht kam, wo ich denn stecke, schließlich hätte er gekocht und es wäre Heiliger Abend. Natürlich haben wir uns Weihnachten nix geschenkt. Klar. Keine Beziehung, kein Weihnachtsbaum, keine Geschenke.
Unsere nächste Urlaubsplanung war genau so katastrophal. Nach dem wir die Kanaren ohne Rücktrittsversicherung gebucht hatten und ich mich schon selig und moralisch nach der Sonne sehnte, storniert er den Urlaub aus Angst, dass es rauskommt, dass wir beide verreist sind.
EPILOG
Es regnet immer noch. Der See sieht aus, als wäre er aufgewühlt. Ich sehe aus, als hätte ich unter einer Brücke geschlafen. Ich bin klatschnass und fühle mich so mies, wie schon lange nicht mehr. Ich stehe auf, denke nach, was ich gelernt habe, wo ich bin und was mein Sinn ist. Zum ersten Mal merke ich, dass meine Augen brennen und dass das Wasser auf meinem Gesicht nicht nur Regen ist. Es sind Tränen, sie schmecken salzig und ich will NIE wieder weinen. PUNKT. Ich habe hier am See meine Lektion beendet und sollte dankbar dafür sein. Ich habe gelernt, dass Sex nix mit Liebe und tiefen Gefühlen zu tun hat. Ich wurde kälter und härter. Innerlich und Äußerlich. Ich verbiege mich nicht mehr und weiß, dass ich wahrscheinlich nie wieder einem Menschen trauen werde. Ich glaube nicht mehr. An niemanden mehr und besonders nicht an Worte. Und ich weiß, was ich will. Ich will mich niemals wieder verleugnen und verleumden lassen. Ich will keine Zweitwahl mehr sein. Ich will mich nicht mehr belügen lassen. Das ist immer, wie angeschossen werden. Mein Leben ist viel zu kurz, um mich zu verstecken, um es auf der Ersatzbank zu verbringen. Ich will Weihnachten etwas schenken und etwas geschenkt bekommen. Ich will meine Urlaube planen und sie auch antreten. Mich darauf freuen und packen. Ich will mir nicht sagen lassen, dass „ich“ zu eng bin. Es ändert sich nichts. Er ändert sich nicht. Ich muss etwas ändern und ich muss es jetzt tun. Ich stehe immer wieder auf, doch irgendwann wird der Zeitpunkt da sein, wo ich nicht mehr aufstehen kann, wenn ich so weiter mache. Ich habe die Märchenstunden mit meiner Oma geliebt. Damals vor 40 Jahren, als ich ein Kind war und genau wusste, dass die bösen Schwestern von Aschenputtel die Augen ausgepickt bekamen und das Aschenputtel mit dem Prinzen glücklich wurde. Doch es war damals. Heute will ich keine Märchen mehr hören. Ich kann meinem Leben nicht mehr Zeit geben, aber ich muss meiner Zeit mehr Leben geben. Ehrliches Leben Ich habe viele Rückschüsse erlebt und mir wurde so oft von ihm weh getan. Aber dieser Satz von heute Morgen: „Wir gehen jetzt wieder getrennte Wege, mein Sohn kommt gleich“, dieser einzige Satz an dem hatte ich am schwersten zu knabbern. Der tat mehr weh als alles andere. Ich erwarte nicht mehr viel an meine Außenwelt, denn ich weiß, dass alles was ich erwarte, mir selber erfüllen werde. OK OK, das Pandora-Armband, das kauf ich mir nicht selber.
Auf meinem Weg zum Erwachsenwerden habe ich viele Umwege und Irrwege genommen. Ich begegnete Menschen, die ich verfluche, denen ich das Schlimmste wünsche, was es auf der Welt gibt und ich bin dankbar, dass ich Menschen kennen lernen durfte, die mir geschickt wurden um mir zu zeigen, dass es sich lohnt zu leben, dass der nächste Baum, das nächste 10. Stockwerk nicht meines ist. Danke. Danke dem Menschen, der mir gezeigt hat, was Liebe ist. Wie es ist und wie es sein könnte. Danke und seis auch nur für eine Illusion. Ich dachte, die Liebe kommt mit einem Knall, man hat Schmetterlinge im Bauch und Hummeln im Hintern, alles ist rosarot und daran erkennt man sie, die allumschriebene, viel besungene Liebe. Ich weiß es besser, denn ich wurde älter. Liebe ist nicht spannend und immer neu, sie ist nicht suchend und fordernd, sie kommt dann, wenn man sie niemals erwartet und sie ist nur eines: VERTRAUT. Liebe wächst, sie fühlt man. Liebe ist ganz tief in einem, dort, wo man am meisten verletzt werden kann. All die Verletzungen sind der Preis, den wir zahlen müssen um das zu fühlen, was es ausmacht, bedingungslos zu Hause zu sein. Für diese Erfahrung bin ich am meisten dankbar. Und sollte ich irgendwann einmal im größten Sturm und in größter Not einen Menschen mit ins Boot nehmen, so müsste ich überlegen wen ich bei mir einsteigen ließe. Und deshalb richte ich meine letzten großen Worte an meine Sandkastenliebe:
Lieber Uwe,
vielen Dank für deinen Antrag, er war so verdammt ernst gemeint und so ehrlich, ohne Hintergedanken. Ich hätte niemals geglaubt, dass wenn wir groß sind, es nie wieder so große Worte gibt, Worte, die so gemeint sind, wie sie gesagt wurden. Leider sind wir alle erwachsen geworden mittlerweile. Konnten es ja kaum abwarten in die große weite Welt zu gehen. Zigaretten zu rauchen und Tenessee Whiskey zu trinken, anstatt uns mit Lutschern und Limo abzugeben. Wir dachten immer, das Schlimmste, was uns passieren kann, der größte Schmerz, den wir erleiden können ist der, wenn wir hinfallen, uns die Knie blutig schlagen und doch sind diese Situationen fast vergessen, wo wir richtig heulen durften, bemitleidet von all den anderen Freunden und getröstet, während das Blut übers Schienbein lief. Ich wünsche dir (sicherlich würden wir uns nicht mehr erkennen), dass du keine Sekunde zögerst bei der Frage, wen du in den größten Wirren in deinem Boot haben willst.
Ich bin erwachsen!
Iris W. Boltinger
Tag der Veröffentlichung: 26.02.2011
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