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Dem Dritten das Brot

DEM DRITTEN DAS BROT

Ich bin da zu Hause, wo man miegen und spiekern sagt, und mors kleien, aber auch fromme Dinge wie harijassassnee, verdori und Düvelschiet un Donnerschlach, denn der Himmel ist unseren Leuten von je her so nah gewesen wie die feuchte Erde und die graue See, weil es keine Berge gab, um ihn fernzuhalten, sodass er mit seinen diesigen Schleiern immer viel zu nah über allen Köpfen hing. Selbst die Bäume duckten sich, was wohl auch am Seewind gelegen hat, der uns jahrzehntelang immer auf dieselbe Backe schlug, ohne je zu sagen, wofür, sodass alles und jeder in dieselbe Richtung wuchs.

Niemand hat je verstanden, warum es Leute gibt, die sich in der Wüste ansiedeln, oder im ewigen Eis, oder in Ostfriesland, und wer dieses Land so genannt hat, obwohl es so sehr im Nordwesten unseres Landes liegt, dass nichts westlicheres mehr daneben passt, muss allen außer den Ostfriesen immer ein Geheimnis bleiben.

Obwohl sie nie größer war als ein grüner Qualster auf der Landkarte wurden die Römer von dieser Landschaft ebenso verschluckt, wie Napoleons und Hitlers Horden von den russischen Weiten, denn nach der Art wie sich hier Meer, Land und Wolken vermischten konnte es nur das Tor zum Hades sein.

Wenn ich für meine Mutter zum Bäcker ging, um Brot zu kaufen, dachte ich, was für ein Glück, denn wir hatten im Heimatkundeunterricht über die Besiedlung unserer Landschaft gelernt: Dem ersten der Tod, dem zweiten die Not, dem dritten das Brot, was nicht nur bedeutete, dass ausgerechnet wir die waren, die das Brot hatten, sondern auch dass wir nicht sterben mussten.

Die Bäckersfrau stand oft in der Tür, rieb ihre bloßen Arme, und sagte es ist früsch heute, womit sie nicht das Brot meinte, sondern das Wetter, und sie sagte früsch, und nicht friersch, weil sie eine Zugereiste war. Sie sagte das immer, weil es bei uns immer frisch war, außer vielleicht manchmal im August, und wenn das Brot frisch war, gab sie uns eins von gestern, damit wir keine Blähungen kriegten:

Dies isn büschen früsch, komm, ich geb dich eins von gestern.

Es ging das Gerücht im Dorf, ihr Mann habe offene Beine, und stünde von morgens bis abends mit den bloßen Füßen in der Teigwanne, um den Teig zu stampfen, aber meine Mutter glaubte nicht daran, und sagte, wir sollten froh sein, dass wir das Brot hatten, es könnte viel schlimmer sein. 

Tatsächlich galt der Spruch über den Tod, die Not und das Brot eher für die Torfbauern auf dem Festland, denn bei uns auf der Insel gab es weder Torf noch Sumpf, sondern nur Sand und Schlick, und die Feriengäste hielten sich nie lange da drüben auf, sondern kamen direkt zu uns, um uns ihr Geld zu bringen, von dem wir dann das Brot kaufen konnten, während Tod und Not denen auf der anderen Seite des traurigen Wattenmeers blieben, was aber nicht unsere Schuld war.

Und schon sagen Sie, ach wie schön, auf den Inseln, ich war auch mal auf Sylt, da wo Gunther Sachs sein Sommerhaus hat. So ist es halt, niemand weiß wirklich, wo wir eigentlich zu finden sind, es lohnt sich vielleicht auch nicht, und die Gäste, die zu uns kamen, hatten sich wahrscheinlich nur verlaufen und wollten eigentlich nach Sylt, wo Gunther Sachs sein Sommerhaus hat.

Und jetzt höre ich Sie sagen, bis hierher, ja, haben Sie denn ihr Mutterland nicht wenigstens ein bisschen lieb?

Können Sie nicht erzählen, wie es sich gehört, wie der Sturm um das kleine Fischerhus heult, während drinnen Trientje am Herd steht und Grünkohl mit Pinkel kocht, der Kluntje in der Tasse knackt, das Kleine am Boden hockt und mit Heringsgräten spielt und der Alte mit sin Schippermütz op durchs Fenster aufs Meer hinaussieht und höchstens mal sagt: 'tis all Schiet und Strunt?

Öden sie mich nicht an. Von wegen Tee trinken. Je dunkler die Welt ist, desto mehr wird gesoffen, und nicht nur am Polarkreis.

Ich seh noch wie die Tür vom Döörfkrooch aufgeht, Jan Harms im Bogen herausgeflogen kommt, im Schnee liegen bleibt und noch kurz den Kopf hebt, um zu sagen: Ok dat noch, ik har son Brand, vanmiddach um een Ühr anfangn.

Es war kurz vor Mitternacht. Das heißt, er hatte Zeit gehabt für fünfzehn Halbe mit Korn, drei Bommerlunder, fünf Steinhäger, zwei Jägermeister und einen Asbach, und konnte seinen Deckel nicht bezahlen, und auch nicht den vom Vortag. Und hatte beim Knobeln verloren, wollte es aber nicht zugeben, oder vielmehr, seine Fähigkeit zur Einsicht war einem Brand zum Opfer gefallen, den man nur löschen konnte, indem man ihm immer neue Nahrung gab.

Wir luden ihn auf den Handwagen, der immer bei Wilms im Hof stand, und sein eines Bein hing raus und schlurte am linken Rad, als wir ihn nach Hause fuhren. Schließlich konnten wir ihn nicht im Schnee liegen lassen.

Leider wohnte er nicht in einem Fischerhus, sodass wir ihn bis in die Wohnstube hätten fahren können, sondern in einem dreistöckigen Mietshaus am Dorfrand, und ganz oben. Er sagte nichts mehr, grunzte nur ein paar Mal, aber als wir ihn schon zwei Treppen hochgeschleppt hatten, ließ er so hart einen gehen, dass wir ihn erschrocken fallen ließen, und er wie ein Sack Runkelrüben die ganze Treppe bis zum nächsten Absatz wieder runterrutschte, wobei sein Kopf mit einem hohlen Geräusch auf jede Stufe aufschlug, die er hinter sich brachte, und es sah aus, als ob er jedes Mal heftig nickte, um uns zu sagen, dass die Richtung stimmte. Wir sahen ihm gespannt zu, und waren dankbar, dass er nicht leiden musste, aber als er unten war, ging eine Wohnungstür auf, und Oma Oltmanns sah heraus, in einem altfriesischen Nachtrock, mit einem Haarnetz auf dem Kopf, und sah aus wie eine gut abgelagerte Käthe-Kruse-Puppe.

Sie sagte nur Kinners, watn Schkandal, und machte die Tür gleich wieder zu, als sie erkannte, was da herunterkam, bevor er bei ihr in der Wohnung landete. Wir beeilten uns, ihn wieder hoch zu schleppen, sobald er wieder nur nach dem roch, was er getrunken hatte, denn wenn er anfing zu kotzen bevor wir ihn in der Wohnung hatten würde der Schkandal noch größer werden.

Vor der Tür legten wir ihn ab, denn wir mussten in seinen Taschen nach dem Schlüssel suchen. Jetzt fing er an zu strampeln, er dachte wohl, wir wollten an seinen Geldbeutel, aber da war ja sowieso nichts mehr drin. Als er sich beruhigt hatte, öffneten wir die Tür, und als wir ihn auf Sofa legten, schnarchte er schon. Wir ließen das Licht an und gingen.


                                                                      *



Wir wussten, wie wichtig es für Jan Harms war, dass er seine Nachtruhe bekam, denn um sieben musste er schon wieder bei seinem Vater im Laden stehen und Haare schneiden, rasieren, pudern und einkremen, mit heißen Tüchern wedeln, und aus bauchigen Flakons soviel Duftwasser auf die Kundschaft versprühen, dass man nicht mehr wusste ob es war um die Fliegen anzulocken, oder um sie zu vertreiben.

Auf jeden Fall hieß das damals noch nicht Haar-Studio oder Fancy Clippers, sondern einfach Friseursalon Harms.

Aber der Laden lief gut, obwohl der alte Harms ein fieser Typ war, der oft mit zusammen gegekniffenen Augen in der Tür stand, mit der Schere klapperte, und zu den Kindern auf der Straße sagte Oordn afschniedn? und als ich noch kleiner war, lange bevor Jan anfing, im Geschäft zu helfen, hatte ich sogar geglaubt, dass er dazu imstande war.

Bei Harms konnte man wählen zwischen Rundschnitt, Kaiser-Willem hochrasiert, Ponyschnitt, Poposcheitel, Elvis mit Brilliantine und dem preiswerten Pisspottschnitt, aber es war nichts dabei, was sich in den heutigen Stylingboutiquen den Titel “Haarschnitt des Monats” geholt hätte. Wenn ich an der Kasse meine eine Mark dreißig bezahlt hatte, und wieder rauskam, sah ich immer gleich aus, egal was ich verlangt hatte: Vorne Pony, hinten Pisspott.

Einmal fragte ich den alten Harms, ob er mir einen Cäsarschnitt machen könne, weil bei uns an der Schule ein paar Halbstarke damit rumliefen, und als ich rauskam, sah ich aus wie immer, aber seit dem Tag nannte mich der Alte Kaiser Nero, und wenn er in der Tür

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Bodo Wontoschka
Bildmaterialien: Bodo Wontoschka
Tag der Veröffentlichung: 28.10.2012
ISBN: 978-3-7309-3658-0

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