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Das Erlebnis im Zoo

 

Die verstoßene Tochter

 

Das Erlebnis im Zoo

 

Es war ein wundervoller Sommertag. Die Sonne strahlte von einem

wolkenlosen Himmel herab. Ein steter Wind wehte leise und machte es

nicht unerträglich heiß. Dennoch war das Wetter so angenehm warm, das

sie ihrer Tochter ein hübsches Sommerkleidchen angezogen hatte. Selbst

sie hatte sich, ganz entgegen ihrer Gewohnheit, dazu entschlossen,

etwas von ihrem Körper preiszugeben. Sie hatte einen kurzen Rock und

ein T-Shirt angezogen. Einzig auf eine Strumpfhose hatte sie nicht

verzichtet. Die trug sie Sommer wie Winter. So gekleidet, hatten sie

an diesem Tag wieder einmal den Zoo besucht. Das einzige, was sie sich

außer der Reihe leisen konnten, das waren die Jahreskarten für den

Zoo. Und von denen machen sie mehr als reichlich Gebrauch. Ihre

Tochter war schier verrückt nach dem Zoo. Besonders nach den

Elefanten. Und wäre dort kein Wassergraben, die Kleine wäre schon sehr

oft zu ihnen gelaufen, um sie zu streicheln.

Zu ihrem Glück war der Zoo an diesem Tag nicht sehr gut besucht.

Obwohl er einer der Artenreichhaltigsten Zoos im Lande war, nutzten

die Menschen heute den schönen Sommertag um ins Schwimmbad zu fahren

oder einen Einkaufsbummel zu machen. Für die wenigen Besucher waren

die Seelöwen, die Elefanten und die Eisbären wieder die Attraktion.

Dort standen sie dichtgedrängt und schauten sich die Tiere an. Bei den

Seelöwen waren die Fütterungen immer die Hauptattraktion des Tages.

Wie diese Tiere Kunststücke machten und auf Hupen drückten. Bei den

Elefanten war es das Fußballspiel oder ihre Sandbäder. Hin und wieder

gingen sie auch richtig baden. Und dies schienen die großen Tiere

sichtlich zu genießen. Und bei den Eisbären war es die große Rutsche,

die sich dort seit einer Woche befand. Die beiden Tiere schienen sie

sehr zu mögen. Denn, wie kleine Kinder, benutzten sie diese immer und

immer wieder, um dann mit einem großen „Platsch“ ins Bassin zu

plumpsen. Die Menschen lachten, wenn einer der Kolosse ins Wasser

platschte. Doch plötzlich schrieen sie angstvoll auf. Etwas war ins

Wasser gefallen. Ein kleines Kind. Ein Baby! Angstvoll starrten sie

schreiend nach unten. Aber nur solange, bis das sie sahen, daß es kein

Kind, sondern nur eine Puppe war, die in das Eisbärengehege gefallen

war und nun im Wasser schwamm. Die einzige, die jetzt noch heulte, das

war jenes kleines Mädchen, welches auf dem Arm ihrer Mutter ihrem

geliebten Püppchen nachsah und nun mit entsetzten zusehen mußte, wie

der große Eisbär ins Wasser sprang und zielstrebig auf ihr Kostbarstes

zu schwamm. Und der kam sehr schnell näher.

„Toni! Raus da!“, schrie plötzlich jemand neben den Beiden und zeigte

mit der Hand erst auf den Eisbären, und als dieser nach oben schaute,

auf einen Platz oberhalb des Wassers. Zuerst hatte sie sich

erschrocken. Doch dann sah die Mutter des Mädchens mit offenem Mund

zu, wie der Eisbär zu ihnen nach oben geschaut hatte und dann gehorsam

ans Ufer schwamm. Ungläubig starrte sie daraufhin den jungen Mann an.

Er blickte kurz zu ihr herüber. Doch dieser kurze Augenkontakt

genügte, um die Mutter völlig zu verwirren. Doch bevor sie sich fangen

konnte, ging dieser Mann am Gehege entlang und verschwand in einen

kleinen Raum, der an das Gehege grenzte. Es vergingen einige Sekunden,

da schrie die Menge erneut auf. Denn der junge Mann betrat durch eine

Seitentüre das Gehege, obwohl die Tiere noch in ihm waren. Doch ohne

sich an die oben liegende Bärin und dem am Wasser stehenden Bären zu

stören, ging er hinunter an das Becken und besah sich die Bescherung.

Und nachdem er sah, daß er so nicht an das Püppchen heran kam, ging er

wieder hoch. Am Anfang der Rutsche blieb er stehen und zog sich bis

auf die Unterhose, in diesem Fall eine Badehose, aus. Die Menschen

hielten erneut den Atem an, weil der Eisbär Toni unterdessen zu ihm

gekommen war. Alle schauten sie auf den Eisbären. Alle, bis auf eine.

Denn sie hatte nur Augen für den jungen Mann. Als der Mann sich auf

die Rutsche setzte kam der Eisbär zu ihm hin. Erneut hielt die Menge

den Atem an. Doch bevor er ihn erreicht hatte, da rutschte der Mann

bereits herunter. Sekunden später sprang der Eisbär ebenfalls auf die

Rutsche und rutscht hinterher. Erneut schrieen die Menschen am Gehege

angstvoll auf. Doch als die Beiden im Wasser nebeneinander wieder

auftauchten, machte der Bär keinerlei Versuche ihn anzugreifen.

Zielstrebig schwammen beide zum Objekt ihrer Begierde. Doch der Eisbär

gehorchte, als der Mann sagte:

„Toni! Weg da!“

Toni drehte ab und der Mann ergriff die Puppe. Dann schwamm er zurück

an das Ufer. Mit dem Püppchen in der Hand stieg er hoch zu seinen

Kleidern. Als er dann oben seine Kleidung aufnahm war auch der Bär aus

dem Wasser und kam zu ihm. Doch da passierte etwas, womit weder er,

noch die Menschen oben gerechnet hatten.

„Toni!“, schrie der Mann auf, als der nasse Eisbär neben ihm stand und

sich erst hier das Wasser aus seinem Pelz schüttelte und ihn so, von

oben bis unten naß spritzte. Doch der Bär sah ihn nur unschuldig an.

Doch irgendwie hatte man das Gefühl, das er es mit Absicht gemacht

hatte. Sein Gesicht sah richtig schadenfroh aus. Soweit man dies bei

einem Eisbären sagen konnte. Jedenfalls hatte der große zottelige

weiße Bär die Lacher der Zuschauer auf seiner Seite. Selbst die Mutter

des Mädchens mußte lachen. Kopfschüttelnd, aber ebenfalls lachend,

ging der Mann nach oben zu jener Türe, durch die er in das Gehege

hineingekommen war. Einige Minuten später öffnete sich dann auch die

Türe neben dem Gehege und der Mann stand angezogen und halbwegs

trocken, sah man von den nassen Flecken auf seinen Sachen und die noch

vom Wasser triefenden langen braunen Haare ab, vor der Mutter und dem

Mädchen. Die Kleine stand direkt vor ihm und hatte ihre Hände zu ihm

erhoben.

Der junge Mann war der Mutter gleich sympathisch gewesen. Obwohl sie

noch vom ersten Schrecken gezeichnet war, waren ihre Augen voller

Bewunderung, noch ehe er „Raus da“ gerufen hatte. Er war etwa ein

halben Kopf größer als sie. Und sein Gesicht, sie konnte es in diesem

Moment nur im Profil sehen, gefiel ihr sehr. Erst als er ihr einen

kurzen Blick zuwarf, sah sie seine braunen Augen. Dann war er ja auch

schon fort gewesen. Doch der Blick seiner Augen hatte sie schon

gefangengenommen. Eine Gänsehaut jagte ihr in diesem Moment über den

Rücken. Lange hatte sie ihm hinterher gesehen, als er um das Gehege

herumging. Sein braunes Haar wehte hinter ihm her, welches ihm

bestimmt bis auf seine Schultern reichte, wenn nicht noch länger, und

schien in seiner Fülle ihrer eigenen Haarpracht in nicht nachzustehen.

Seine Bewegungen verrieten ihr, daß er nicht hinter einem Schreibtisch

verkümmerte. Schlank war er, aber nicht dünn. Sein T-Shirt spannte

sich um seinen muskelösen Oberkörper. Und als er in seiner Badehose im

Gehege stand, da sah sie dort einen real gewordenen Adonis stehen.

Solch einem Mann wäre sie gerne früher begegnet, wünschte sie sich in

diesem Moment. 6 Jahre früher. Dann wäre alles nicht passiert.

Als er aus dem Gehege ging, setzte sie ihre Tochter ab, nahm sie an

die Hand und ging mit ihr zu jener Türe, durch die er gleich

herauskommen mußte. Ein, zwei Minuten später kam er auch dort heraus

und ihr Herz blieb stehen.

Als er herauskam stand sie vor ihm. Und vor ihr stand das kleine

Mädchen. Mit erhobenen Händen wartete sie darauf, daß er ihr das

Püppchen gab. Er ging in die Hocke und gab es ihr.

„Danke.“, heulte das kleine Mädchen und nahm es entgegen. Dann hob sie

einen Arm und schlang ihn um seinen Hals. Er erhob sich und das

Mädchen schlang ihre Beine um seine Taille, ließ seinen Hals nicht

los. Er faßte unter sie und hatte sie so auf seinem Arm.

„Du mußt aber aufpassen. Zum Glück konnte dein Püppchen schwimmen.“

Das Mädchen schaute ihn an und nickte. Dann klammerte sich erneut an

seinen Hals.

„Wieso läßt du es nicht zu Hause?“

„Dann sieht Helena doch die Tiere nicht.“

„Aber du kannst ihr abends alles erzählen. Dann stellt sie sich einen

Elefanten noch größer vor, als er in Wirklichkeit ist.“

Die Frau lächelte.

„5 für 13.“, plärrte es in diesem Moment aus dem kleinen Funkgerät,

welches an seinem Gürtel hing. Er nahm es in die Hand und sagte:

„13 hört.“

„Bei Ursula ist es soweit.“

„In Ordnung, ich komme.“

Dann hing er es sich wieder an den Gürtel.

„So Spatz ich muß zu den Zebras.“

„Darf ich mit?“, fragte ihn die Kleine bittend, noch bevor er

weiterreden konnte.

„Das kann ich nicht entscheiden.“, antwortete er und schaute zu der

Frau hin.

Die Kleine drehte sich zu ihr herum und sagte:

„Ja? Bitte.“

Die Frau lächelte und fragte:

„Geht das denn?“

„Natürlich geht das.“

Und als sie sich in Bewegung setzten, klammerte sich das Mädchen auch

weiterhin an ihn. Die Mutter an seiner Seite, so gingen sie langsam,

aber zielstrebig zum Zebragehege. Dort befand sich, an der Seite des

Geheges, ein hölzernes Gatter. Im Gehege stand schon ein Mädchen am

Gatter und wartete auf ihn. Es war eine der Tierpflegerinnen.

„Ich hab noch Besuch mitgebracht.“

Die Tierpflegerin lächelte und ließ sie herein. Sofort kamen einige

Zebras auf sie zu. Die Mutter hielt ihn am Arm fest.

„Ist das nicht gefährlich?“

„Nein. Ich würde sie“, und damit nickte sein Kopf auf das Mädchen auf

seinem Arm hin, „niemals in Gefahr bringen. Sie nicht und dich auch

nicht.“

„Ehrlich?“

Doch anstatt jetzt, wie sie es erwartet hatte, mit „ja“ oder „nein“ zu

antworten, sagte er:

„Ich werde euch auch niemals anlügen.“

Doch da kam auch schon das erste Zebra an sie heran und das Mädchen

streckte seine Hand aus. Unter den ängstlichen Augen ihrer Mutter

schnupperte das Tier an der Hand ihrer Tochter. Diese hob daraufhin

ihre Hand, und streichelte ohne jede Angst dem Zebra über die Nase.

„Das ist Erika.“, flüsterte er dem Mädchen zu. Und nach einigen

Sekunden flüsterte er: „Und das ist Herma.“

Ein weiteres Tier war zu ihnen gekommen und das Mädchen streichelte

auch dieses. Dann aber ging er weiter. Mit einigem Sicherheitsabstand

zu den Tieren, folgte die Mutter ihnen. Sie betraten eine Art Stall

und fanden sich, umgeben von drei weiteren Personen vor einer Box

wieder. Dort stand ein Zebra und leckte gerade sein Neugeborenes

trocken.

„Süß! Mama, schau mal. Ein Babyzebra!“, rief das Mädchen entzückt aus.

Er zuckte unmerklich zusammen. Dann aber sagte er:

„Scheint so, daß ich spät dran bin.“

„Ja. Zwei Minuten.“

„Und? Was ist es?“

„Keine Ahnung.“, antwortete der Angesprochene, welcher einen weißen

Arztkittel trug, „Ich geh doch nicht zu ihr rein. Ich liebe meine

Knochen als Ganzes.“

Ohne sich weiter um die Umstehenden zu kümmern, nahm er ein Stethoskop

aus der Tasche, welche auf der Brüstung der Box stand und ging mit dem

Mädchen auf seinem Arm in die Box. Die frischgebackene Zebramama hob

den Kopf und schaute zu ihnen hin. Dann leckte sie ihr Junges weiter

trocken. Unter den angstvollen Blicken ihrer Mutter setzte er das

Mädchen bei dem Neugeborenen ab und horchte es mit dem Stethoskop ab.

Das kleine Mädchen sah ihm dabei erstaunt zu. Da nahm er das

Stethoskop aus seinen Ohren und steckte es in die Ohren des Mädchens.

„Hörst du das kleine Herzchen?“

„Ja.“

„Und?“

„Das geht ja ganz schnell.“, flüsterte sie mit leuchtenden Augen.

Er hob eines der Beine des Fohlens hoch und ließ es Sekunden später

wieder herab. Dann gingen sie zurück zur Brüstung. Doch bevor er dort

ankam, blieb er ruckartig stehen und besah sich den Bauch der

Zebramutter. Dann hörte er ihn ab. Das kleine Mädchen schaute ihm auch

dabei interessiert zu. Dann durfte sie hören.

„Das ist die Mama.“, sagte er.

„Das ist viel langsamer als eben.“

„Und jetzt?“

Er versetzte das Stethoskop etwas.

„Das ist wieder schnell.“, flüsterte sie.

Er hob die Kleine hoch und setzte sie auf die Brüstung ab. Dann füllte

er ein Formular aus.

„Wie heißt du?“, fragte er sie.

„Rosi.“, erwiderte das Mädchen.

„Also heißt das Fohlen jetzt Rosi.“

Er schrieb den Namen in das Formular.

„Ein Stutenfohlen?“, fragte der Mann in dem weißen Kittel.

„Ja.“

„Na, dann sind wir ja hier fertig.“

„Ich ja.“, er schaute auf seine Uhr, „Ich hab jetzt Feierabend. Ihr

nicht.“

„Ich weiß. Aber es ist eh nichts mehr zu tun.“

„Doch, hier.“

„Ach ja? Und was? Sie haben das Geschlecht doch bestimmt und es auch

abgehört.“

„Bewegt sich der Bauch der Stute?“

Der angesprochene im weißen Kittel schaute auf den Bauch der Stute.

Einige Sekunden später weiteten sich seine Augen.

„Noch eins!?!“

„Jepp. Ich wünsch noch viel Spaß. Ich verzieh mich jetzt.“

Und zu der Mutter gewandt sagte er:

„Wenn ihr wollt, könnt ihr gerne hierbleiben und zusehen. Wenn ihr

geht, wird euch einer von ihnen rausbringen.“

Als er ging, hörte er noch, wie die Kleine bettelte.

„Hierbleiben. Baby sehen.“

Sie schaute ihre Tochter sehr lange an.

„Willst du wirklich?“

„Ja Mama. Bitte.“

Schließlich nickte sie. Doch als sie sich wieder zu ihm hindrehte, war

er bereits fort. Er war sehr leise gewesen, denn sonst hätte sie

gehört, wie er gegangen war. Sie war mehr als enttäuscht. Zu gerne

wäre sie noch mit ihm zusammengewesen. Sie brauchte einige Minuten um

sich zu überwinden, dann fragte sie einen der hier anwesenden, wer

jener Mann gewesen sei.

„Das war Ulrich. Dr. Ulrich Richter.“, sagte eine der Tierpflegerinnen

zu ihr.

„Dr.?“

„Ja. Er ist der Leiter unserer Tierklinik.“

„Der ist aber noch sehr jung. Oder?“

„Ja. Erich, wie alt ist Ulrich jetzt?“

„24?“

„Nein 23.“, warf eines der der Mädchen ein, „Er wird im Februar 24. Am

siebten.“

„Also 23.“, bekam sie nun zur Antwort.

23 dachte sie. Zwei Jahre älter als sie es war.

 

Es war fast 18 Uhr. Die Besucher des Zoos waren schon größtenteils

gegangen, da der Zoo um 18 Uhr schloß. Er war nach dem Besuch im

Zebragehege nachdenklich durch den Zoo gegangen und ging nun nach

Hause. Das Bild der Beiden schwebte ständig vor seinen Augen. Rosi war

so ein hübsches kleines Mädchen. Die schwarzen Augen mußte sie von

ihrer Mutter haben. Und auch das pechschwarze lange Haar. Erst hatte

er gedacht, daß sie Geschwister wären und er hatte sich Hoffnungen

gemacht. Doch dann hatte das Mädchen „Mama“ gesagt. Und damit waren

seine Hoffnungen mit einem Schlag zerstört worden. Schade, sagte er

sich. Das wäre ein Mädchen nach seinem Geschmack gewesen. Schlank,

schöne Figur, sehr üppige Brüste, schwarze Augen, langes schwarzes

Haar. Sie trug ein T-Shirt, was ihre Oberweite sehr hervorhob. Dazu

einen kurzen weiten Rock, der eine gute Handbreit über ihren Knien

geendete hatte und ihre Beine freigab. Schöne Beine. Sie war das, was

er sich schon oft in seinen Träumen vorgestellt hatte. Und seine

Hoffnung, sie näher kennenzulernen, war rapide angestiegen. Am

Eisbärengehege kam die Gelegenheit. Und alles lief zu seiner vollsten

Zufriedenheit. Bis Rosi im Gehege „Mama“ sagte, und mit diesem Wort

alles wieder zunichte gemacht hatte. Sie war verheiratet! Wie sehr war

er enttäuscht gewesen. Aber da konnte man nichts machen. Er würde

weitersuchen müssen. Aber ob er jemals wieder ein Mädchen wie sie

treffen würde? An so ein Glück glaubte er nicht. Daß er überhaupt

jemals ein solches Mädchen, wie eben, sehen durfte, das schien ihm

schon ein riesiger Glücksfall gewesen zu sein. Nur Schade, daß sie

schon besetzt war. Und so ging er nachdenklich nach Hause.

„Hallo!“, tönte es plötzlich in einiger Entfernung vor ihm. Und die

Stimme kannte er. Und als er hochblickte, kam Rosi auch schon auf ihn

zugerannt. Er fing sie mit beiden Händen auf und wirbelte sie

einigemal herum. Dann klammerte sie sich wieder an seinen Hals und er

hielt sie auf seinem Arm.

„Na mein Schatz, wie war es bei den Zebras. Hast du das zweite Fohlen

auch gesehen?“

„Ja.“, nickte sie mit leuchtenden Augen.

„Und? War es ein Junge?“

„Nein. Auch ein Mädchen.“

„Aha. Und? Hat es denn auch schon einen Namen?“

„Ja.“

„Wie heißt es denn?“

„So wie die Mama.“, sie deutete auf ihre Mutter, die nun auch bei

ihnen stand.

„Ach ja? Und wie heißt die Mama?“

„Anastasia.“

„Anastasia. Na, das ist ja fast so ein hübscher Name wie Rosi.“

Die Kleine wurde rot und verbarg ihr Gesichtchen an seiner Brust. Aber

nur kurz. Dann schaute sie ihm wieder in die Augen.

„Geht ihr jetzt nach Hause?“, fragte er Anastasia.

„Ja, wird auch Zeit.“

„Gehst du jetzt auch nach Hause?“

„Ja Schatz.“

„Wo wohnst du denn?“

„Rosi!“

„Da drüben.“

Er drehte sich mit ihr, damit sie das Haus sehen konnte.

„Boh! Das ist ja ein richtiges Schloß.“

Zwar war sein Zuhause kein Schloß, aber mit seinen beiden Türmchen

konnte es für ein kleines Mädchen doch schon zu einem Schloß werden.

„Gibt es da auch eine richtige Prinzessin?“

„Nur wenn du mich besuchen kommst.“

Erneut wurde sie rot und verbarg ihr Gesichtchen an seiner Brust. Doch

dann fragte sie:

„Wohnst du da ganz alleine?“

„Rosi.“, rief ihre Mutter erneut, da es ihr peinlich war, das ihre

Tochter ihn ausfragte. Doch er beachtete ihren Einwand nicht.

„Nur mit meinen Tieren.“

„Was hast du für Tiere?“

„In dem Turm da“, er deutete auf den linken, „da wohnt ein dicker

alter Uhu. Und in dem Turm, DA, siehst du sie.“

In dem Moment flog gerade ein Vogel in den Turm.

„Ja.“

„Das ist ein Wanderfalke. Das wohnt ein Pärchen. Sie brüten immer in

dem Turm. Und in dem Dach dazwischen wohnen Fledermäuse.“

Sie schaute ihn mit ihren großen Augen ungläubig an.

„Was hab ich euch gesagt? Das ich euch nie belügen werde?“

Sie nickte mit ihrem Köpfchen.

„In der Küche da drüben, da wohn eine kleine weiße Maus. Und dann hab

ich noch meine Miezekatze.“

„Eine Miezekatze?“

„Ja.“

„Kann ich die streicheln?“

„Bestimmt. Das ist eine richtige Schmusekatze.“

„Jetzt?“

„Ich glaub eher, daß die Mama nach Hause muß. Abendessen machen. Der

Papa wird bestimmt schimpfen, wenn er nach Hause kommt und kein Essen

hat.“

„Wie sind alleine. Nur die Mama und ich.“

Ohne es nach außen hin zu zeigen, hatte ihn diese Nachricht sehr

aufgeregt. Alleine! Ob es vielleicht doch möglich wäre?

„Dann mußt du die Mama fragen.“, sagte er voller Hoffnung.

Sie drehte sich zu ihrer Mutter hin und sah sie bittend an.

Er konnte sie bereits wanken sehen. Also half er noch ein wenig nach,

sie in die richtige Richtung zu bringen.

„Ich mach euch einen Vorschlag. Ich lad euch zum Abendessen ein. Dann

brauchst du zu Hause nicht zu kochen und ich sitz nicht wieder alleine

zu Hause rum.“

„Abends gibt es nichts Warmes. Nur Brote.“

„Na, Brot hab ich. Und was für drauf auch.“

„Mama.“

„Ja, Mama.“, fügte er lachend hinterher.

„Bitte.“

Sie wankte noch einige Sekunden.

Schon als Rosi ihn entdeckt hatte, schlug Anastasias Herz schneller.

Niemals hätte sie geglaubt, ihn heute noch einmal zu sehen. Und nun

kam er ihnen entgegen. Rosi wollte natürlich sofort zu ihm hin und sie

ließ sie. Lächelnd sah sie ihr hinterher, wie sie mit ausgebreiteten

Armen auf ihn zulief. Er fing sie auf, wirbelte sie einigemal herum

und nahm sie dann auf den Arm. Süß, wie sie sich gleich an seinen Hals

klammerte. Sie schien ihn sehr zu mögen. Und sie selbst schien auch

nicht abgeneigt zu sein. Schließlich schlug ihr Herz noch schneller,

als er sie nun ansah. Und als er sagte, das Anastasia fast so ein

schönen Name war wie Rosi, da wußte sie, das er beide Namen schön

fand. Denn dies verrieten ihr seine Augen, mit der er sie dabei

angesehen hatte. Als er Rosi sagte, daß er in jenem Haus wohne, wurden

sie schwach. Denn sie bewunderte dieses Haus schon lange. Und als er

dann auch noch Rosis Vater ins Spiel brachte, und Rosi ihm sagte, daß

sie alleine wären, da hoffte sie innständig, daß er sie absichtlich

danach ausfragte. Und dann machte er den Vorschlag bei ihm zu essen.

Es stimmte. Eigentlich wären sie jetzt nach Hause gegangen. Sie hätten

zu Abend gegessen und noch etwas gespielt. Dann wäre Rosi ins Bett

gegangen und sie hätte sich auf das Sofa gelegt und noch etwas

gelesen. Sie sträubte sich etwas. Innerlich allerdings hatte sie schon

längst „ja“ gesagt. Schließlich gab sie nach, bevor er es aufgab. Und

so ging sie mit ihm auf das Haus zu. Es schien nicht so, das Rosi sich

von ihm trennen wollte. Sie hatte ihre Ärmchen fest um seinen Hals

geschlungen. Und er schien sie mehr als nur auf seinem Arm zu haben,

denn er hielt seinen anderen Arm um sie herum. Das Haus kam immer

näher. Sie hatten es schon oft gesehen und sie hatte sich gefragt, wie

es wohl von innen aussehe, wie es wäre, in diesem verträumten Haus zu

wohnen. Rosi hatte es genau getroffen, als sie sagte es wäre ein

Schloß. Die roten Backsteine, die Türmchen. Es wirkte so verträumt, so

romantisch. Es mußte schön sein darin zu wohnen. Und nun würde sie es

von nahem sehen. Und mehr noch. Sie würde es gleich auch von innen

sehen.

Als sie fast vor dem kleinen Tor standen, kam ihnen ein Mädchen in der

Uniform der Tierpfleger entgegen und grüßte. Da stoppte er und rief

ihr nach.

„Barbara?“

„Ja.“

„Könntest du mir noch schnell einen Gefallen tun?“

„Ja, warum nicht.“, antwortete sie mit einem strahlen im Gesicht.

„Würdest du Renana holen und zu mir bringen?“

„Klar. Gerne. Kann aber was dauern.“, lachte sie.

„Ich weiß, die Schmusestunde. Hauptsache, du bringst sie mir.“

„Gemacht.“

Sie ging schnellen Schrittes weiter, während er das kleine Tor

öffnete.

„Immer herein in Dornröschens Schloß.“

Er ließ sie vorbei und schloß hinter sich das Tor. Der kleine Gang,

kaum 5 Meter lang, lag parallel zum Zaun. An seinem Ende befand sich

ein weiteres Tor, sodaß alles wie ein „Z“ angelegt war. Dort öffnete

er das Tor und sie traten auf das Gelände. Die Beiden staunten. Von

draußen war es schon schön. Aber jetzt, kaum 10 Meter vor den Mauern,

war es wunderschön, traumhaft, romantisch. Der Efeu rankte sich schon

bis gut 5 Meter in die Höhe. Noch eine Weile und es würde ganz mit

Efeu überwachsen sein. Damit wäre es wirklich zu Dornröschens Schloß

geworden. Ohne Rosi vom Arm zu nehmen, führte er die Beiden die Stufen

zum Eingang hinauf. Die große zweiflügelige Türe stand weit offen und

sie konnten eine große Halle sehen. Links war eine Treppe, die nach

oben führte, von wo sie, von links nach recht, als Gang weiterlief.

Sie konnte auf dem Gang drei abgehende Öffnungen sehen, aber keine

Türen. Da führte er sie nach links.

Alexandra kam aus dem Staunen nicht heraus. Denn nun betraten sie ein

Wohnzimmer, welches fast schon so groß war wie ihre ganze Wohnung

daheim. Besonders der offene Kamin fiel ihr gleich ins Auge. Schon

immer träumte sie davon, im Kerzenlicht vor einem Kamin zu sitzen und

ein Glas Wein zu trinken. Dem Kamin gegenüber stand ein Sofa. Es ging

hinten über Eck. Davor stand ein massiver Holztisch und direkt am

Eingang, gegenüber dem kurzen Stück Sofa, ein Sessel, passend zum

Sofa. Neben dem Kamin, auf beiden Seiten, standen Schränke. Einzig

über dem Kaminsims war etwas, was sie nicht definieren konnte. Es war

eine dunkle Fläche, etwa 1.50 mal 80 groß, Vielleicht ein

Bilderrahmen, in dem das Bild noch fehlte? Gegenüber dem Eingang gab

es einen weiteren Durchgang. Da sie einen Kühlschrank erkennen konnte,

war ihr klar, daß dies die Küche sein mußte.

„Setz dich.“, sagte er zu ihr und deutete auf den Sessel. Anastasie

setzte sich und wäre fast in ihm versunken. So weich war er. Er setzte

Rosi neben ihr auf dem Sofa ab.

„Möchtet ihr etwas trinken?“

Beide nickten.

„Ich habe Sprudelwasser, Limo, Cola, Bier, Wein, Fruchtsäfte,

selbstgemachten Zitronensaft“

„Zitronensaft.“, fiel Rosi ein.

„Und du?“

„Eine Cola?“

„Kein Problem.“

Er ging zum Schrank und holte drei Gläser heraus, die er auf den Tisch

stellte. Dann eilte er in die Küche und kam mit einer Glaskanne und

einer kleinen Flasche Cola zurück. Letzeres öffnete er und goß ihr

etwas in ihr Glas. Dann nahm er Rosis und sein Glas und goß den

Zitronensaft ein. Er setzte sich neben Rosi auf das Sofa und sie

tranken.

„Hunger?“, fragte er.

Rosi schüttelte ihren Kopf.

„Also wenn ich ehrlich bin, ich auch noch nicht.“

„Dann warten wir mit dem Abendbrot noch etwas.

„Bin schon da.“, hörten sie da eine Stimme, die dem Mädchen von vorhin

gehörte. Anastasia drehte sich nicht herum. Doch Rosis Augen wurden

immer größer.

„Darf ich sie mit nach Hause nehmen?“, fragte jenes Mädchen.

„Du kennst doch meine Antwort.“

„Bitte.“

„Da brauchst du nicht zu betteln, du kennst die Antwort.“

Das ging noch einige Sätze weiter und Anastasia grinste.

Rosi schaute ihn an und er nickte ihr nur zu. Langsam stand sie auf

und ging zu dem Mädchen, welches gerade mit einer riesigen Katze

schmuste.

„O.K. Dann bin ich jetzt weg. Bis Montag. Schönen Abend noch.“

„Danke Barbara, dir auch.“

Erst jetzt schälte sich Anastasia aus dem Sessel hervor und drehte

sich herum um Rosi nachzusehen. Da erstarb ihr grinsen. Sie sah einen

Tiger auf dem Boden liegen und ihre Tochter gab ihm gerade einen Kuß

auf die Nase. Ihr Herz blieb stehen, als sie sah, wie die lange Zunge

des Tigers über das Gesicht ihrer Tochter leckte.

„Rosi! Komm her mein Schatz.“

„Miezekatze.“, antwortete sie mit leuchtenden Augen und kam zu ihrer

Mutter. Sie riß sie förmlich an sich.

„Aua Mama. Du tust mir weh.“

Sie schaute ihn an und zitterte.

„Bist du verrückt! Wie kannst du sie mit dem Tier zusammen lassen?“

„Du hast doch gesehen, daß sie sich mögen.“

„Als Abendessen vielleicht.“

Er sah, wie sie ihn vorwurfsvoll anblickte.

„Was hab ich dir vorhin gesagt?“, fragte er.

„Das du uns nie belügen würdest?“

„Nein, das andere. Das ich euch niemals in Gefahr bringen würde.“

„Ja.“

„Ich hätte euch niemals mitgenommen, wenn es für euch gefährlich

wäre.“

„Ich möchte gehen.“

„Mama.“

„Wie du möchtest.“

„Nein.“

„Sei ruhig!“

„He! In meinem Haus schrei nur ich.“

Rosi begann zu weinen und befreite sich aus der Umklammerung ihrer

Mutter und lief zu ihm hin. Er hob sie sofort hoch und sie schlang

ihre Arme und Beine um ihn. Heulend verbarg sie ihr Gesicht an seiner

Brust.

„Rosi!“

„Wieso schreist du dein Kind an. Nur weil du mir nicht vertraust? Ich

hab dir gesagt, daß es nicht gefährlich ist. Aber du glaubst mir

nicht. Schade. Komm, wir gehen.“

Er reichte ihr die Hand um ihr aus dem Sessel zu helfen, doch sie

ignorierte sie. Er ging vor, ließ aber Rosi kurz vor dem Eingang zum

Wohnzimmer herunter. So konnte sie Renana noch schnell streicheln.

„Rosi!“

Die Kleine ging weiter Richtung Ausgang. Voller Panik drückte sich

Anastasia an die Wand, während sie sich an der Katze vorbeidrückte.

Hatte sie nun gedacht, daß sie es geschafft hatte, so wurden ihre

Hoffnungen zunichte gemacht. Denn er rief das Untier und sie ging an

seiner Seite mit hinunter zum Ausgang. Und als er sie in den Gang

ließ, kam sie ebenfalls mit. Sofort riß sie Rosi an sich, die schon

ihr Ärmchen zu Renana hingestreckt hatte, und diese ihren Kopf an

ihrer kleinen Hand rieb. Endlich gab die äußere Türe nach und sie

schob Rosi vor sich hin hinaus. Draußen stürmte Rosi sofort wieder zu

ihm. Er nahm sie auch gleich hoch und ging zum Ausgang des Zoos.

„Willst du hierbleiben?“, fragte er sie, da Anastasia stocksteif

stehen blieb, da Renana um sie herum ging. Erst als er sie am Arm

packte erwachte sie aus ihrer Trance. Sie riß sich von seinem Arm los

und ging mit ihm Richtung Ausgang. Schweigend. Nur Rosis weinen war zu

hören. Erst als sie kurz vorm Ausgang waren sprach sie wieder.

„Wie konntest du nur?“

„Was.“

„Das ist eine Raubkatze!“

„Hat Renana Rosi gekratzt? Fehlt ihr auch nur ein Finger? Du hast doch

gesehen wie lieb sie ist. Barbara hat sie uns gebracht. Fehlte bei ihr

was?“

Sie wußte darauf keine Antwort. Dennoch glaubte sie ihm nicht. Ohne

ihm zu antworten gingen sie weiter. Am Tor ließ er Rosi herab und

schloß es auf. Anastasia zog Rosi mit sich. Erst als sie draußen waren

sagte er:

„Schade, daß du mir nicht vertraust. Schade, daß du mich in den Topf

zu den anderen schmeißt.“

Dann schloß er das Tor und ging. Nur Renana blieb am Tor. Rosi rannte

zu ihr. Aber das Plexiglas im Tor hinderte sie daran Renana zu

berühren.

Anastasia nahm Rosis Hand und zog sie mit sich. Schweigen gingen sie

nach Hause.

Schräg gegenüber dem Eingang trafen sie auf Barbara, die mit ihrem

Freund gerade aus einem Haus herauskamen.

„Schon zu Ende?“, fragte sie erstaunt.

Anastasia antwortete nicht. Nur Rosi weinte noch.

„Sie haben ihm nicht geglaubt das Renana lieb ist. Richtig?“

Anastasia blieb stehen.

„Er hat ihnen doch am Zebragehege gesagt, daß es sie beide niemals in

Gefahr bringen würde.“

Doch Anastasia reagierte nicht.

„Schade.“, sie nahm die Hand ihres Freundes, dann ließ sie die Beiden

stehen und ging.

Sie sprachen kein Wort. Und als sie zu Hause angekommen waren, sollte

Rosi sich gleich ausziehen, sie würde das Abendessen machen. Während

sie die Brote machte, ärgerte sie sich über ihn. Wie konnte er das nur

machen? Das war doch keine Katze. Das war eine Raubkatze. Ein

Raubtier, ein Fleischfresser. Kein Stubentiger, ein richtiger. Beinahe

hätte sie sich in die Hand geschnitten, so sehr zitterte sie noch vor

Aufregung. Als sie fertig war, rief sie Rosi. Doch sie kam nicht. Auch

auf ihren zweiten Ruf hin kam sie nicht. Daher ging sie in Rosis

Zimmer. Erstaunt sah sie, daß Rosi sich nicht nur ausgezogen hatte,

sondern auch schon in ihr Bett gegangen war und schlief. Ohne

Abendessen. Und auch ohne ihr Püppchen. Denn dies hatte Anastasia sich

in ihre Tasche gesteckt, als sie bei den Zebras waren. Und dort

steckte es noch immer. Das war noch nie vorgekommen. Normalerweise

schlief sie ohne ihr Püppchen nicht ein. Anastasia ging zu ihr und

wollte sie zudecken. Da sah sie den nassen Flecken auf dem Kopfkissen.

Da, wo sie mit ihrem Gesichtchen lag. Rosi hatte geweint. Und dem

Fleck nach zu urteilen, nicht gerade wenig. Und sie hatte es nicht

gehört. Sie zog das Kissen unter ihrem Kopf etwas hervor, damit sie

nicht im nassen lag. Dann ging sie hinaus, löschte das Licht und

schloß die Türe. Sie setzte sich auf das Sofa und starrte auf die

Brote. Jetzt hatte auch sie keinen Hunger mehr. Sie legte sich aufs

Sofa und schloß ihre Augen. Sie fühlte sich schuldig. Schuldig an den

Tränen ihrer Tochter. Aber sie hatte doch Angst um sie gehabt. Rosi

war doch das einzige, was ihr noch geblieben war. 9 Monate lang hatte

sie sie gehaßt. Doch als sie den ersten Schrei von ihr gehört hatte,

sie auf ihrer Brust gespürt hatte, da vergaß sie die Adoptionspapiere

und liebte sie. Sie unterschrieb sie nicht. Stattdessen behielt sie

Rosi, kümmerte sich so liebevoll um sie, daß sie sich nicht vorstellen

konnte, daß sie sie hatte fortgeben wollen. Sie wollte sie nicht

verlieren. Darum war das doch alles passiert. Dabei war sie doch so

glücklich gewesen, als sie ihn vorhin wiedergesehen hatte. Und dann

fing sie an zu weinen.

Er schlenderte sehr lange durch den Zoo. Seine Gedanken waren ständig

bei ihnen. Bei ihr und ihrer Mutter. Er vermißte den kleinen Engel

schon. Aber ihre Mutter auch. Schade das Anastasia ihm nicht

vertraute. Dabei hätte er doch alles für die Beiden getan. Na ja, fast

alles. Renana hätte er niemals fortgegeben. Sie war seine kleine

Tochter. Aber sonst hätte er wirklich alles für die Beiden gemacht. Er

setzte sich schließlich auf eine Bank und Renana setzte sich neben ihn

auf den Boden, legte ihren Kopf auf seine Beine. Sonst kam sie bei

solchen Gelegenheiten immer an ihm hoch und leckte ihn ab, wollte

schmusen. Aber heute nicht. Als er zu ihr herabsah, schaute sie ihn

traurig an. Es schien wirklich so zu sein. Sie trauerte. Er

streichelte ihren Kopf. Doch selbst das konnte sie nicht aufmuntern.

Sie schien die Maus auch zu vermissen.

„So spät noch hier?“, drang plötzlich eine Stimme an sein Ohr. Er

blickte hoch und staunte. Karl, der im Zoo mit noch drei anderen die

Nachtwächterfunktion inne hatte, stand dort drüben.

„Karl?“

„Wer sonst?“

„Wie spät ist es denn?“

„Zwanzig vor zwölf.“

„Was!?!“

„Sie haben wohl die Zeit vergessen?“

„Das kann man wohl sagen.“

Karl lachte und ging weiter. Er stand auf und ging mit Renana nach

Hause. In der Nacht kam sie zu ihm ins Bett. Das machte sie sehr oft.

Aber in dieser Nacht schmuste sie nicht mit ihm. Sie legte nur ihren

Kopf auf seine Brust und er streichelte sie.

 

Probleme

Die kommenden Wochen waren für alle Beteiligten die reinste Hölle. Und

alle vier gingen mit ihren Kummer auf ihre ganz spezielle eigene Art

und Weise um. Sie schmälerten ihn nicht, geschweige denn verbannten

ihn aus ihren Leben. Man lebte mit ihm. Obwohl für jeden von ihnen nur

ein Schritt ausgereicht hätte, um aus dem Dilemma herauszukommen,

niemand brachte den Mut auf, diesen entscheidenden Schritt zu tun. Und

so blieb der Kummer ihr bester Freund. Und das war nicht leicht. So

wie bei Ulrich.

Seit jenem verhängnisvollen Abend hielt Ulrich jeden Tag im Zoo nach

ihnen Ausschau. Doch so sehr er sich auch anstrengte, nirgends war

auch nur ein Zipfel von ihnen zu sehen. Täglich drückte er sich um die

Arbeiten im Krankenhaus und überließ sie den anderen vier Ärzten

seines Teams. Und die waren mehr als froh darüber. So hatten sie ein

festes Tagesprogramm. Und dies war in der Zeit sehr klein. Es gab kaum

Patienten im Revier. Und so übernahm er für sie die täglichen

Inspektionen und mußte sich so gut wie jedes Tier im Zoo ansehen und

bei eventuellen Notrufen schnell zum jeweiligen Gehege laufen um Erste

Hilfe zu leisten, bis das der diensthabende Arzt zu ihnen kam. Und so

kam er täglich überall im Zoo herum. Und er suchte nach ihnen. Aber

leider ohne jeden Erfolg. Und wenn er dennoch im Revier arbeiten

mußte, so konnte er sich bei den Untersuchungen nicht richtig

konzentrieren. Zwar machte er keine Fehler oder übersah etwas. Im

Gegenteil. Alle seine Patienten wurden wie immer mehr als gründlich

untersucht. Aber alles dauerte etwas länger als sonst. So lange, daß

seine Kollegen sich schon wunderten. Und da niemand von ihnen von

diesem verhängnisvollen Abend wußte, so konnte sich auch niemand einen

Reim darauf machen. Doch meistens war er draußen. Kreuz und quer lief

er im Zoo herum. Er schaute ins Restaurant rein, sah sich die Menschen

in den Schlangen an den Kassen an, doch er fand keine Spur von ihnen.

Zwar sagte er sich immer, daß sie sich in einem anderen Teil des Zoos

aufhielten als er. Aber innerlich wußte er genau, daß er sich damit

nur belog. Dennoch hoffte er jeden Tag aufs Neue, sie im Zoo

anzutreffen. Aber er wußte nur zu genau, daß sie unter der Woche

bestimmt nicht in den Zoo kommen würden. Denn wenn Anastasia arbeitete

und Rosi in der Zeit im Kindergarten war, dann würden sie bestimmt

nicht im Zoo sein können. Und wenn Anastasia bis 16 Uhr arbeitete,

dann wäre es doch schon zu spät, um dann noch in den Zoo zu gehen.

Vielleicht würde er ja wenigstens Rosi sehen, wenn ihr Kindergarten

einen Ausflug in den Zoo machte. Es kam öfters vor, das Schulen oder

Kindergärten einen Ausflug hierher machten. Aber in nächster Zeit

hatte sich weder eine Schule, noch ein Kindergarten angemeldet. Es

blieben ihm also nur noch die Wochenenden als kleiner

Hoffnungsschimmer. Und so ging er an den kommenden Wochenenden,

erwartungsvoll, mehr Kilometer durch den Zoo, als je zuvor. Dennoch

hatte er keinen Erfolg. Sie waren nicht da. Und so ging er jeden Abend

völlig entmutigt nach Hause. Dazu kam auch noch, daß er nachts

stundenlang wach lag und höchstens ein oder zwei Stunden schlief.

Reichlich wenig, doch er kam damit aus. Und ständig dachte er in den

Nächten an die Beiden, an den Tag, an den Abend. Er fragte sich, ob er

es mit Renana vielleicht zu schnell gemacht hatte. Aber eigentlich

hatte er sich so wie jeden Abend verhalten. Entweder holte er Renana

aus ihrem Gehege, oder eine der Pflegerinnen tat es, wenn er nach

Hause ging. Und die Tierpflegerinnen taten es sehr gerne. So gut wie

fast jeden Abend stand eine von ihnen, „rein zufällig“, in der Nähe

seines Hauses oder Renanas Gehege und bot sich an, sie für ihn zu

holen. Manchmal dachte er, daß sie sich dafür absprachen. Denn nie

stand dasselbe Mädchen zweimal hintereinander dort. Dennoch machte er

sich Vorwürfe. Das, was hier jeder im Zoo wußte, daß Renana keine

Raub, sondern eine liebe Schmusekatze war, das war den Besuchern

unbekannt. Und somit auch den Beiden. Einzig Rosi hatte ihm,

vielleicht auch aus ihrer kindlichen Naivität heraus, sofort geglaubt.

Sie hatte Barbara mit Renana in der Halle schmusen sehen und irgendwie

gespürt, daß sie dies auch machen konnte. Und so war sie auch sofort,

ohne auch nur die geringste Furcht zu zeigen, zu den Beiden

hingegangen und hatte sich sofort mit Renana angefreundet. Nur

Anastasia war damit sichtlich überfordert gewesen. Er war anfänglich

der Meinung gewesen, sie hätte überreagiert. Doch in ihren Augen hatte

er Panik gesehen. Erst viel später konnte er sich in sie

hineinversetzen. Dennoch. Wieso hatte sie ihm nicht geglaubt? Hatte er

ihr nicht gesagt, daß er sie niemals in Gefahr bringen würde? Sie und

die Kleine? Was war bloß in ihrem Leben passiert, das sie kein

Verstrauen zu ihm hatte?

Renana spürte seinen Kummer nur zu gut. Doch sie konnte ihn nicht

aufheitern. Sie schien selber traurig zu sein. Denn sie kam nicht zu

ihm um zu schmusen, fraß auch nicht so gierig wie sonst, und in den

Nächten lag sie nur mit ihrem Kopf auf seiner Brust ohne sich zu

rühren. Vorbei waren auch ihre kleinen Streiche in der Nacht, die sie

sehr gerne machte. Streiche in der Art, das er mitten in der Nacht

aufwachte, ohne seine Decke, während Renana ihn, eingemummelt, aus der

stibitzten Decke anschaute, als wenn nichts gewesen wäre. Auch keine

nächtlichen Abstürze mehr aus seinem Bett, wenn sie ihn nachts langsam

aber stetig zum Ende des Bettes hin drückte, sodaß er mitten in der

Nacht aus dem Bett fiel. Aber wenn sie es gemacht hätte, so hätte er

sowieso nicht mit ihr geschimpft. Das hatte er früher nicht gemacht

und würde er es jetzt auch nicht tun. Aber selbst dazu wäre er

momentan nicht fähig gewesen. Denn er spürte deutlich, daß sie traurig

war. Er wußte, daß Renana das kleine Mädchen vermißte. Schließlich

hatte Rosi sie ohne Scheu einfach umarmt und sie fest an sich

gedrückt.

Bei Anastasia und Rosi war es aber auch nicht anders. Eher gesagt war

es bei ihnen noch viel schlimmer. Seit jenem Abend war eine

unsichtbare Mauer zwischen Anastasia und Rosi errichtet worden. Und

Anastasia wußte, daß sie von Rosi errichtet worden war. Zwar versuchte

Anastasia ihr Bestes um diese Mauer zu überwinden oder einzureißen,

doch sie wußte nicht wie sie es anstellen sollte. Denn mit diesem

Problem war sie bisher noch nie konfrontiert gewesen. Bisher war ihre

gemeinsame Zeit überaus harmonisch gewesen. Sie hatte noch nie mit

Rosi schimpfen müssen. Und bisher hatte Rosi ihr auch noch nie einen

Anlaß dazu gegeben. Doch nun dies. Zwar mußte sie nicht mit ihr

schimpfen, aber sie drang nicht zu ihr durch. Täglich fragte sie Rosi,

wie es im Kindergarten gewesen war. Doch anstatt wie sonst immer,

fröhlich über ihren Tag zu reden, beschränkte sich Rosi nun nur auf

die nötigsten Antworten. Und selbst diese fielen mehr als spärlich

aus. Zuhause schien Rosi ihr aus dem Weg zu gehen. Aber sie tat es

nicht offensichtlich oder provokativ. Doch sie hielt sich mehr als

sonst in ihrem Zimmer auf. Für ein Mädchen in einer normalen Wohnung

wäre dies nichts Besonderes gewesen. Doch die Wohnung der Beiden

beinhaltete ein Bad, ein Wohnzimmer und Rosis Zimmer. Sonst nichts.

Und in Rosis Zimmer stand nur ihr Bett und der Kleiderschrank von

ihnen beiden. Mehr paßte in das kleine Zimmerchen nicht hinein. Außer

ihrem Püppchen, es lag neben ihrem Kopfkissen in ihrem Bett, lagen

ihre anderen Spielsachen, es waren nicht viele, im Wohnzimmer. Jenes

Zimmer, was tagsüber Küche, Eßzimmer, Wohn-und Spielzimmer in einem,

und nachts Anastasias Schlafzimmer war. Anastasie schlief nachts auf

dem engen Sofa. Und so hätte Rosi abends vor dem Abendessen bei ihr

sein müssen. Stattdessen aber ging sie wortlos in ihr Zimmer. Mehr als

einmal hatte Anastasia gesehen, wie Rosi in ihrem Zimmer auf dem

Boden, mit angezogenen Beinen und diese umfassend, den Kopf auf ihre

Knie gelehnt, saß und vor sich hin träumte. Auch ihre abendliche

Spielzeit nach dem Abendbrot ließ Rosi einfach ausfallen. Anstatt sich

auszuziehen und wieder ins Wohnzimmer zu kommen, um nach dem

Abendessen noch etwas mit Mama zu spielen, ging sie nach dem Abendbrot

wortlos ins Bett. Ohne Gute Nacht Kuß. Sogar ihr geliebtes Püppchen

blieb unangetastet am Kopfende ihres Bettes sitzen. Auch etwas, was

früher nie der Fall gewesen war. Ohne ihr Püppchen konnte Rosi nicht

einschlafen. Doch nun rührte sie es nicht an. Auch aß Rosi seit dem

Tag weniger. Anastasia hatte sie bisher noch nie zum Essen zwingen

müssen. Und da Rosi ja etwas aß, machte sie sich darum keine großen

Sorgen. Doch beim Abendbrot selbst spürte Anastasia, daß Rosi so

schnell wie möglich wieder alleine sein wollte. Denn das bißchen was

sie aß, das schlang sie förmlich hinunter. Was ihr aber dann Sorgen

bereitete, das war ein Gespräch mit der Leiterin des Kindergartens.

Denn eines Morgens hielt diese sie auf und sprach mit ihr über Rosis

eigenartiges Verhalten.

„Wir machen uns Sorgen um Rosi.“, sagte sie zu ihr.

„Wieso?“, fragte sie ängstlich.

„Rosi ist wie verwandelt.“

„Wie meinen sie das?“

„Nun, sie beteiligt sich an keinerlei spielerischen Aktivitäten mehr.

Sie sitzt immer nur alleine in einer Ecke und träumt vor sich hin. Sie

ist sehr verschlossen geworden. Wenn ich es nicht besser wüßte, dann

würde ich sagen, sie bringen uns seit neuesten ein anderes Mädchen.“

Anastasia war von dieser Nachricht sehr schockiert. Daß sich das

Verhalten ihre Tochter bis auf den Kindergarten ausweiten würde, das

hätte sie niemals gedacht. Und so erklärte sie ihr die Umstände. Sie

erzählte vom Besuch im Zoo und dem Vorfall mit Rosis Püppchen und dem

Eisbären. Die Zebrafohlen, die nun ihre Namen trugen. Auch erzählte

sie von dem Tierarzt, der sie zu den Zebras mitgenommen hatte. Nur das

Geschehen um und mit Renana, das verschwieg sie ihr wohlweißlich. Denn

sie hatte Angst. Angst, daß man ihr Rosi wegnehmen würde, wenn man

erführe, daß sie mit einer echten Raubkatze zusammengewesen war. Die

Kindergartenleiterin glaubte ihre Geschichte. Und so sagte sie ihr,

daß man sich von nun an verstärkt mit Rosi beschäftigen würde.

„Wir werden uns vermehrt um sie kümmern und auch auffordern, mit den

anderen zu spielen. Vielleicht fängt die dich ja wieder.“

Doch Anastasia wußte das sie dies nicht schaffen würden. Und einige

Tage später gab es zu Hause ein weiteres Problem. Es waren Rosis

Nächte. Daß Rosi im Bett weinte, bis das sie eingeschlafen war, das

sah Anastasia abends am Kopfkissen, wenn sie nochmals zu ihr ging. Es

war immer naß. Aber nach einer weiteren Woche fing Rosi an, nachts im

Schlaf zu sprechen. Das machte Anastasia ängstlich. Denn dies hatte

sie noch nie getan. Sehr oft hörte sie, wie ihr Schatz in der Nacht

„Renana“ sagte. Anastasia zitterte. Sie sah die großen Zähne von

Renana vor sich. Doch anscheinend schien ihr Schatz von dieser

gefährlichen Katze zu träumen. Und so wie es aussah, schien sie diese

zu vermissen. Anastasia fing an sich zu fragen, ob sie vielleicht

falsch reagiert hatte. Renana hatte ihr doch eigentlich nichts getan.

Dennoch fürchtete sie sich vor diesem Ungetüm und seinen gewaltigen

Zähnen. Obwohl, Ulrich hatte ihnen doch gesagt, das er sie niemals in

Gefahr bringen würde. Sie und Rosi. Da fiel ihr etwas ein. Er hatte es

ihnen schon vorher gesagt. Bei den Zebras. Hatte er es ihnen wegen den

herannahenden Zebras gesagt? Oder hatte er vielleicht alles schon von

Anfang an so geplant? Was sollte sie davon nur halten?

Es vergingen weitere unruhige Nächte, in denen Rosi nach Renana rief.

Obwohl sie dann immer zu ihr ans Bett kam, sah sie, daß Rosi fest

schlief. Doch nach einiger Zeit schien es fast schon so, als daß Rosi

sich beruhigt hatte. Denn ihre Rufe nach Renana wurden seltener.

Schließlich hörten sie ganz auf. Anastasia atmete erleichter auf. Doch

da passierte es.

Sie lag eines Abends in ihrem Bett auf dem Sofa und hatte noch etwas

gelesen. Als sie schließlich das Licht löschte, kuschelte sie sich

unter die Decke. Sie war fast schon eingeschlafen, da hörte sie Rosi

wieder reden. Zunächst verstand sie ihr Mädchen nicht und glaubte, daß

Rosi Renana sagte. Doch da hörte sie plötzlich wie sie „Ulrich“ sagte.

Aber nur ein oder zweimal. Dennoch fuhr sie erschrocken hoch.

Anastasia starrte sehr lange durch die Dunkelheit zu Rosis Türe

hinüber. Aber Rosi war wieder still. Innerlich freute sie sich, daß

sie nun von Renana ab und nun von Ulrich träumte. Das war schon mehr

in ihrer Richtung. Denn auch sie träumte fast jede Nacht von ihm und

seinen wundervollen Augen. Und wenn sie aus ihren Träumen die Katze

erfolgreich verbannt hatte, so war jeder Traum mehr als wundervoll

gewesen. Dennoch wunderte sie sich, daß ihre Tochter Ulrich in der

kurzen Zeit so sehr in ihr Herz geschlossen hatte, daß sie nun von ihm

träumte und sogar nach ihm rief. Sie war eine erwachsene Frau. Sie

wußte was Liebe war. Aber Rosi? Sie konnte doch nicht in ihn verliebt

sein. In den folgenden nächsten Nächten paßte sie auf, aber Rosi

redete nicht. Schließlich beruhigte sich Anastasia wieder. Doch da

passierte es erneut. Aber etwas anderes ließ sie erzittern. Rosi war

nicht verliebt in Ulrich. Es war viel mehr. Denn nun sagte sie nicht

nur Ulrich, sondern sie sagte auch „Papa!“. Anastasia war erschüttert.

Sie hatten niemals über Rosis Erzeuger geredet. Und der einzige Mann,

den Rosi näher kannte, das war Ulrich. Sah man vom Filialleiter ab,

den sie hin und wieder mal gesehen hatte, wenn sie Rosi mit zur Arbeit

nehmen mußte. Dennoch hörte Anastasia deutlich wie Rosi im Schlaf

sprach, „Ulrich“ und „Papa“ sagte. Sie dachte daran, wie Rosi auf

seinem Arm gesessen hatte. In den Momenten war sie so glücklich

gewesen und hatte sich richtig an ihn festgeklammert. Genügte das

wirklich, um in ihrem Kopf den Wunsch zu entfachen, daß Ulrich ihr

Vater wäre? Sie selbst hätte nichts dagegen gehabt. Und erneut dachte

sie daran, wie schön es wäre, jetzt in seine Augen schauen zu können.

In jener Nacht machte sie kein Auge zu. Sie weinte nur. Sie drehte

sich zur Sofalehne hin und ließ ihrem Kummer freien Lauf.

Als sie an diesem Morgen zum Kindergarten gingen, sprach Rosi sie an.

Eigentlich hätte sie sich freuen müssen, daß Rosi endlich von sich aus

mit ihr sprach. Doch Rosi fragte sie, ob sie geweint hätte und warum.

Doch Anastasia schwieg. Sie konnte ihr nicht sagen weshalb sie in der

Nacht geweint hatte. Denn das hätte alles nur noch schlimmer gemacht.

Vielleicht nicht für Rosi. Aber für sie. Sie hätte erneut geweint.

Geweint, weil ihre Gefühle zu Ulrich mit denen von Rosi konform

gingen. Daß sie sich so sehr wünschte, daß der damalige Abend einen

vollkommen andern Verlauf genommen hätte. Daß sie sich näher gekommen

wären. Sehr viel näher. Und vielleicht auch.

Sie brachte Rosi in den Kindergarten, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Und Rosi fragte nicht erneut nach, was sie mit Erleichterung zur

Kenntnis nahm. Dann ging sie zur Arbeit. Auf dem Weg dorthin verbarg

sie ihr Gesicht tief in ihren Mantel. Aber nicht weil es ihr kalt war.

Sie wollte nicht, daß man sie weinen sah. Denn als sie Rosi

abgeliefert hatte, dachte sie wieder an die vergangene Nacht. Und

damit auch wieder an Ulrich. An der Arbeit blieb sie einige Minuten

lang draußen stehen, bis das sie sich wieder gefangen hatte. Und so

kam sie das erstemal in all den Jahren zu spät. Doch der Filialleiter

sagte nichts. Schließlich war Anastasia seine zuverlässigste und mit

Abstand auch seine beste Arbeitskraft.

Es vergingen drei weitere Nächte, in denen sie Rosi „Papa“ sagen

hörte. Und jede Nacht weinte sie sich ebenfalls in den Schlaf.

Schließlich rang sie sich zu einem Entschluß durch. Am Wochenende

wollte sie Rosi eine Freude machen. Und eigentlich wollte sie sich

selbst damit auch eine Freude machen. Denn sie hoffte. Sie fragte

Rosi, ob sie am Sonntag nicht mal wieder in den Zoo gehen sollten.

Doch Rosi sagte nur: „Warum“. Anastasia war wie vor den Kopf

geschlagen. In diesem Moment mußte sie sich wirklich setzen. Das faßte

sie nicht. Das war noch nie vorgekommen. Rosi war doch geradezu

verrückt nach dem Zoo und seinen Tieren. Besonders die großen

Elefanten hatten es ihr doch immer angetan. Zu oft und zu lange hatten

sie vor diesen Riesen gestanden und Rosis Augen hatten dabei immer

richtig geleuchtet. Und sie hatte die Pflegerinnen immer ausgefragt.

Nach allem Möglichen. Und auch sonst war es doch immer Rosi gewesen,

die ihre Mutter nervte, sie sollten doch mal wieder in den Zoo gehen.

Auch wenn sie erst am Tag vorher schon dagewesen waren. Und jetzt

hätte sie ja auch noch einen Grund mehr dafür gehabt. Ulrich! Darum

wollte sie ihr doch damit eine Freude machen. Und sie hoffte ja auch

darauf, daß sie Ulrich wiedersah. Doch Rosi sagte nur „warum“.

Anastasia verstand ihren Engel nichtmehr. Rosis Begeisterung für ihren

heißgeliebten Zoo war zerstört worden. Sie wollte nicht hin. Anastasia

konnte sich denken warum Rosi nicht in den Zoo wollte. Schließlich

hätte sie es ihr niemals erlaubt, erneut mit dieser gefährlichen

Raubkatze zusammenzukommen. Mit Ulrich schon. Aber doch nicht mit

Renana. Einzig in ihren Gedanken und Träumen war Rosi dort mit den

Beiden zusammen. Und wo sie da war, das konnte sich Anastasia sehr

genau denken. Im Haus. Mit der Katze zusammen in der Halle spielen.

Sie schauderte bei dem Gedanken. Doch in Bezug zu Ulrich konnte sie

ihre Tochter verstehen. Denn sie war in ihren Gedanken ja auch ständig

bei ihm. Allerdings ohne Katze. Denn Ulrich ging ihr ja auch nichtmehr

aus dem Kopf. Sie hatte sich doch schon am Eisbärengehege in ihn

verliebt. Liebe auf den ersten Blick? Ja, das war es gewesen. Und seit

dem Moment waren ihre Gefühle zu ihm immer stärker geworden. Selbst

das Vorkommnis mit Renana hatten ihre Gefühle zu ihm nicht schmäleren

können. Auch wenn sie es ihm übelnahm, Renana mit ins Spiel gebracht

zu haben. Dennoch wünschte sie sich insgeheim ihn wiederzusehen. Mit

ihm zusammenzukommen. Doch sie wußte nicht was sie machen mußte. Wie

sie es anstellen sollte. Denn darin hatte sie doch keinerlei

Erfahrung. Das einzige Mal in ihrem Leben hatte keine 5 Stunden

gedauert. Und Liebe war damals auch nicht im Spiel gewesen. Die meiste

Zeit über hatten sie nur getanzt und getrunken. Getrunken, bis sie

nichtmehr wußte wer sie war, oder wo sie sich befand. Nicht wußte, was

er da unten mit ihr machte. Zumal sie damals auch noch nicht wußte,

was man damit machen konnte. Niemand hatte ihr gesagt, was passieren

könnte. Kurz danach, er hatte sie noch zu ihrem Platz gebracht, da war

er auch schon wieder aus ihrem Leben verschwunden und hatte ihr etwas

hinterlassen. Etwas, wovon sie in diesem Moment noch nichts wußte.

Anfangs hatte sie diese Hinterlassenschaft mehr gehaßt als geliebt.

Aber als sie Rosi geboren hatte, seitdem liebte sie seine

Hinterlassenschaft. Und nun hatte dieser kleine Engel Kummer. Und sie,

weil sie Angst um sie hatte. Rosi hatte bisher doch noch nie geweint,

unruhig geschlafen oder gar im Schlaf geredet. Selbst dann nicht, als

sie krank gewesen war. Und nun das. Sie wollte daß es aufhörte. Sie

hätte alles dafür gegeben, daß ihr Engel wieder ein normales Leben

führte. Aber Rosi blockierte ihre Bemühungen. Sie hätte sie zwingen

können, mit ihr in den Zoo zu gehen. Aber das hätte sie vielleicht nur

bockig gemacht. Hätte alles verschlimmert.

 

Die Razzia

Sieben Wochen waren seit jenem Schicksalstag im Zoo vergangen. Rosi

sprach mittlerweile öfter mit ihr, beschränkte sich aber immer noch

nur auf das wesentliche. Auch gab es mittlerweile die Spielstunde

wieder. Anastasia hatte lange daran arbeiten müssen, bis das sie Rosi

dazu bewegen konnte. Aber Rosis lachen war verstummt. Wenn sie früher

ihre Mutter beim „Mensch ärgere dich nicht“ rausgeschmissen hatte,

dann lachte sie aus vollem Herzen. Jetzt tat sie es wortlos, ohne eine

Regung zu zeigen. Es schnitt Anastasia ins Herz. Rosis Lachen erfreute

sie immer wieder. Doch es war verschwunden. In den Zoo waren sie

bisher auch nie wieder gewesen. Obwohl Anastasia ihre Tochter mehrmals

gefragt hatte, ob sie hingehen sollten. Doch jedesmal sträubte sich

Rosi dagegen. Fast schien es so, als ob sie Angst vor dem Zoo hätte.

Anastasia wußte nicht was sie tun sollte. Zwingen wollte sie sie auch

nicht. Aber sie drang in dieser Beziehung einfach nicht zu ihrer

Tochter durch. In den Nächten war schließlich auch wieder Ruhe

eingekehrt. Zwar weinte sich Rosi nach wie vor in den Schlaf, doch sie

redete nichtmehr. Das jedenfalls dachte Anastasia, da sie in den

Nächten nichts von ihr hörte. Bis zu der Nacht, als sie mitten in der

Nacht vom weinen ihres Engel geweckt wurde. Sofort sprang sie auf und

lief zu ihr. Rosi saß im Dunkeln in ihrem Bett und weinte. Sie sprach

nahm sie in die Arme und sprach sie an. Doch sie mußte feststellen,

daß Rosi schlief. Und da hörte sie wieder das eine Wort. „Papa“. Zwar

gelang es ihr, Rosi wider hinzulegen, aber sie konnte sie nicht

trösten. Erst als sie wieder tiefer und fester schlief, hörte auch ihr

weinen auf. Völlig aufgelöst saß sie am Bett ihrer Tochter und wußte

sich keinen Rat.

Und so saß sie am nächsten Tag, wie an jedem Tag, in ihrer

Mittagspause einsam im Aufenthaltsraum der Aldi-Filiale, in der sie

als Kassiererin angestellt war, träumend am Fenster. Darum nahm sie

ihre Mittagspause auch immer als letzte. Denn dann war sie ungestört

und konnte ihren Gedanken freien Lauf lassen. Und diese Gedanken

kreisten ständig um Rosi und Ulrich. Meistens jedoch nur um Ulrich.

Sein Gesicht tauchte immer vor ihr auf. Seine Augen, sein Blick, mit

dem er sie bereits am Eisbärengehege gefangengenommen hatte. Sie

konnte an nichts anderes denken als an ihn. Und sie wollte auch an

nichts anderes denken. Denn dafür war es zu schön.

Direkt gegenüber dem Aufenthaltsraum, auf der anderen Straßenseite,

lag eine Toreinfahrt. Gleich rechts davon war der zur Einfahrt

gehörige Hauseingang. Es war ein Mietshaus, vom Aussehen nicht viel

anders als jenes Haus, in denen sie auch wohnten. Vier Etagen, alt und

heruntergekommen. Hier hatten sie schon oft finstere Gestalten ein und

aus gehen sehen. Aber man hatte sich mittlerweile daran gewöhnt. Und

in den Laden waren sie bisher noch nie gekommen. Gedankenverloren

schaute sie hinüber. Plötzlich verschwand Ulrichs Bild vor ihren

Augen. Etwas hatte sein Gesicht verscheucht. Da wurde sie stutzig.

Denn sie sah Rechts und Links des Hauses mehrere Männer in den

Hauseingängen der Nachbarhäuser stehen. Die allerdings sahen nicht so

aus wie jene Typen, welche im Haus ein und ausgingen. Zumal es auch so

aussah, als ob sie Sprechfunkgeräte bei sich trugen. Anastasia schaute

die Straße rauf und runter, da sah sie direkt drüben am Haus zwei

Wagen parken. In ihnen saßen Männer. Dunkel gekleidet und mit

Motorradhelmen. Motorradhelme im Auto? Das war ihr mehr als suspekt.

Ängstlich wollte sie schon nach dem Telefon greifen um die Polizei zu

rufen, da fuhr plötzlich ein Transporter vor. Er stoppte, fuhr

rückwärts an die Einfahrt und dann passierte alles rasend schnell. Die

Türen des Transporters sprangen auf. Mehrere schwerbewaffnete Männer

stürmten in die Einfahrt. Die Türen der beiden Wagen öffneten sich und

die Motorradmänner sprangen aus dem Wagen. Sie trugen

Maschinenpistolen und Schutzwesten, auf denen auf dem Rücken in weißer

Schrift stand: Polizei. Diese liefen zum Hauseingang und stürmten

hinein. Die Männer, welche in den Hauseingängen rechts und links davon

gestanden hatten, rannten mit gezogenen Pistolen hinterher. Ein, zwei

Minuten lang war es still. Dann fielen Schüsse. Anastasia ging

ängstlich in die Hocke. Die Schießerei dauerte für sie unendlich

lange. Dann fielen nur noch vereinzelt Schüsse, dann war Ruhe.

Ängstlich erhob sie sich. Die Straße hatte sich völlig verändert. 6

oder 7 Streifenwagen waren angekommen. Beamte mit Hunden waren

darunter. Und mehr und mehr Beamte gingen in das Haus. Da klirrte es

plötzlich. Ein Mann war Parterre durch das Fenster gesprungen. Er

landete mit einer Rolle auf dem Boden und sprang auf. Dann rannte er

los. Eine Polizistin mit einem Altdeutschen Schäferhund löste dessen

Leine und der Hund jagte ihm sofort hinterher. Gerade als dieser den

Mann ansprang, drehte er sich herum und schoß. Anastasia stockte der

Atem. Der Hund verfehlte den Mann und fiel auf die Straße. Da krachten

zwei Schüsse und streckten den Mann zu Boden. Sekunden später waren

mehrere Beamte über ihn. Die Polizistin rannte zu ihrem Hund. Sie

schrie etwas, was Anastasia nicht verstehen konnte. Scheinbar hatte

der Flüchtige den Hund getroffen. Sofort wünschte sie sich, daß Ulrich

jetzt hier wäre und dem verletzten Tier helfen würde. Einige Beamte

sprachen in ihre Funkgeräte, andere legten eine Decke über den Mann.

Anastasia schaute vom Fenster aus zu wie die Polizisten alles

absperrten. Aber immer wieder schaute sie zu der Beamtin, die nun bei

ihrem Hund kniete und streichelnd auf in einsprach. Aus seinem Maul

kam Blut. Anastasia hoffte, daß es nicht so schlimm war. Aber sie

hatte trotzdem Angst um den schönen Hund. Es dauerte einige Minuten,

da raste plötzlich ein dunkelblauer BMW mit Blaulicht und Martinshorn

die Straße hoch. Er wendete und kam mit quietschenden Reifen an der

Einfahrt zum stehen. Und als der Fahrer aus dem Wagen sprang, gaben

beinahe ihre Beine nach. Ulrich! In grüner OP-Kleidung und mit einer

OP-Haube auf dem Kopf sprang er aus dem Wagen und rannte zum

Kofferraum. Anastasias Herz schlug bis zum Hals. Ihr Held, der Retter

der Tiere, war da. Während er den Kofferraum öffnete kam ein Beamter

zu ihm und redete auf ihn ein. Ulrich nickte nur. Dann rannte er zu

dem Hund hin. Anastasia konnte nicht sehen was er dort machte. Zum

einen kniete Ulrich genau mit dem Rücken zu ihr vor dem Hund, zum

anderen standen einige Beamte um ihn herum. Aber nun war sie beruhigt.

Sie wußte, daß der Hund jetzt in guten Händen war. Sie sah wie eine

Polizistin und ein Polizist die Hundeführerin zu der Bank vor ihrem

Fenster führten. Die Hundeführerin schien kaum älter als sie zu sein.

Und sie war einem Nervenzusammenbruch nahe. Anastasia tat das, was sie

in diesem Moment für das Richtige hielt. Sie griff sich einen der

Becher vom Regal des Aufenthaltsraumes und rannte in den Laden. Dort

nahm sie eine Cognacflasche aus dem Regal und rannte hinaus zur Bank.

Und während sie durch die eine Türe hinauslief, kam der Beamte, der

mitgeholfen hatte die Hundeführerin zur Bank zu bringen, zur anderen

hinein.

„Ich brauche was Starkes.“, sagte der Beamte hastig zum Filialleiter,

der sich vom Laden aus das ganze Spektakel auf der Straße angesehen

hatte.

„Ist schon unterwegs.“, antwortete er dem Polizisten und deutete damit

auf Anastasia, die sich in dem Moment auf die Bank setzte und der

Hundeführerin einen großen Cognac eingoß.

„Karin, beruhig dich mal. Der Tierarzt ist doch bei Rex. Er ist in

guten Händen.“

„Ich hab doch nur noch ihn. Was soll ich denn machen, wenn ich ihn

auch noch verliere?“

Mit zittrigen Händen führte sie den Becher zum Mund und nahm einen

großen Schluck.

„Du verlierst ihn schon nicht.“

Sie drückte sie an sich und versuchte sie, so gut es ging, zu

beruhigen. Da stand plötzlich Ulrich vor ihnen. Das Mädchen sprang

auf.

„Doktor. Was ist mit ihm?“

„Er ist ein harter Bursche. Wir bringen ihn zu uns in die Klinik. Da

sehen wir dann weiter. So wie ich das sehe, ist das Projektil hier

ein“, und damit tippte er der Beamtin auf eine Stelle unterhalb der

Schulter, „und hier“, er tippte auf eine Stelle auf ihrem Rücken,

„wieder ausgetreten. Was es verletzt hat weiß ich noch nicht. Aber das

Herz bestimmt nicht. Er wird schon wieder. Nur sein schönes Fell wird

zwei kahle Stellen aufweisen, wenn ich mit ihm fertig bin. Aber das

wächst ja wieder nach. Er wird gerade in den Transporter geladen. Fahr

mit ihm mit.“

Sie nickte und stand auf. Doch ihre Beine versagten. Mit Hilfe der

anderen Beamtin gelang es Ulrich sie auf die Beine zu stellen. Als er

sie um die Taille faßte, schaute er Anastasia, welche hinter ihr

stand, direkt in die Augen. Ein Schauer lief ihr wieder über ihren

Rücken hinab. Wie damals am Eisbärengehege. Wie im Stall. Und wie

damals, als sie ihn wiedersah. Als sie nach Hause gehen wollten und

Rosi ihn fand. Und es war wieder ein sehr schönes Gefühl. Er half die

Hundeführerin zum Transporter zu bringen. Hier stieg sie ein. Die

Türen schlossen sich und Ulrich ging zum BMW. Dort stellte er die

Tasche hinein und schloß den Kofferraumdeckel. Dann stieg er eilig ein

und ließ den Wagen an. Anastasia war ihnen gefolgt. Und als er

losfahren wollte sprach sie ihn durch das offene Fenster an.

„Dr. Richter.“

„Was kann ich für dich tun?“

„Ich möchte mich entschuldigen. Für damals.“

Er nickte.

„Können wir noch einmal von vorne anfangen?“

„Nun, ich werde mich wärmer anziehen müssen, wenn dein Engel ihr

Püppchen ins Eisbärengehege schmeißt. Und mit Zebrafohlen kann ich

leider auch nicht dienen.“

„Nein, später, danach.“

„Du weißt, daß Renana auch dabei sein wird.“

Bei der Erwähnung des Namens zuckte sie sichtlich zusammen und

schüttelte unbewußt leicht den Kopf. Er legte den Gang ein.

„Du vertraust mir noch immer nicht?“

Sie blickte zu Boden. Er hatte es erkannt.

„So wird das nichts. Solange du kein Vertrauen hast.“

„Hab ich doch.“, sagte sie als letzten Ausweg, auch wenn sie es nicht

so meinte. Sie belog ihn. Als letzten Ausweg.

„Nein. Du vertraust mir nicht.“

„Doch! Das hab ich doch gerade gesagt.“

„Gesagt, ja. Aber es soll nicht von da“, und damit tippte er an seine

Stirn, „ sondern von da“, er tippte auf seine Brust, wo in etwa sein

Herz lag, „kommen. So bringt das nichts. Schade.“

Er löste die Handbremse und fuhr los. 10 Meter weiter schaltete er das

Blaulicht und das Martinshorn ein. Sie sah ihm noch lange nach, obwohl

er schon längst nichtmehr zu sehen war.

Er fuhr sehr schnell. Nur sein Herz war noch schneller. Es war ein

Notruf gewesen und hatte sich zu einem Wiedersehen entwickelt. Zu

einem sehr schönen Wiedersehen. Anfänglich. Sie wollte es nochmal

versuchen. Und er war der Letzte, der „nein“ gesagt hätte. Dafür

vermißte er sie doch zu sehr. Sie und Rosi. Doch dann hörte er

Anastasias Stimme in seinem Kopf. „Hab ich doch“ hatte sie gesagt. Hab

ich doch. Nein! Hatte sie nicht. Er hatte es sofort gemerkt, daß es

ihr nicht ernst damit war. Daß sie ihn belog. Aber er konnte sich auch

denken, wieso sie dies getan hatte. Und Verständnis hatte er auch für

ihr Verhalten. Nur daß sie es ihm nicht gesagt hatte, das ärgerte ihn

ein wenig. Dabei hatte er sich doch so gefreut sie wiederzusehen. Wenn

es die Situation erlaubt hätte, dann wäre er ihr am liebsten um den

Hals gefallen, als er sie auf der Bank hatte sitzen sehen. Doch dann

das. Aber er wußte auch, daß er einen Fehler gemacht hatte. Er hätte

nicht von Renana anfangen sollen. Aber sie gehört doch zu ihm. Sollte

er sie verleugnen? Das würde er niemals tun. Und leider erforderte es

die Situation auch, daß er so schnell wie möglich in die Klinik kam.

Denn es stand wesentlich schlechter um den Hund, als er es der

Hundeführerin gesagt hatte. Denn sonst hätte er sich mit Sicherheit

mit Anastasia länger unterhalten. Und vielleicht hätte sie ihm dann

auch den wahren Grund für ihr Verhalten gesagt.

Schon auf halber Strecke hatte er den Transporter und die zwei

Streifenwagen die ihn begleiteten und die Straße freiräumten,

eingeholt. Er überholte sie und bereitete in der Klinik alles vor. Er

wußte, daß es bei weitem schlimmer war, als er es eben gesagt hatte.

Die Kugel schien die Lunge verletzt zu haben. Und da zählte jede

Minute. Über Funk berichtete er seinen Kollegen in der Zooklinik von

seiner Annahme und ließ alles vorbereiten. Wenig später traf er dort

ein und redete mit ihnen persönlich. Sie waren seiner Meinung. Nur

eine sofortige OP könnte den Hund noch retten. Dann trafen auch schon

die Beamten mit dem Patienten ein. Während die Kollegen den Hund

vorbereiteten, setzte er die Beamtin in sein Büro. Er beruhigte sie,

dann ging er in den OP.

Die OP dauerte sehr lange. Und es war so, wie er es sich gedacht

hatte. Doch als er das verletzte Stück Lunge abklemmte, zum Glück war

es nur ein Zipfel gewesen, da hörte die Blutung schlagartig auf.

„Der Druck steigt.“, waren schließlich die erlösende Worte.

Er vernähte das verletzte Stück und löste die Klammer. Die Blutung war

gestoppt, der Druck blieb stabil. Die Kugel hatte sonst keine

wichtigen Teile verletzt. Während die Kollegen den Hund in eine Box

brachten, ging er in sein Büro zurück. Auf dem Flur warteten schon

drei uniformierte Beamte. Er nickte ihnen nur zuversichtlich zu.

Erleichtert nahmen sie seine Geste auf. Im Büro saßen zwei weiter bei

der Hundeführerin. Und als die Hundeführerin ihn sah sprang sie sofort

auf.

„Setzten. Noch pennt er.“

„Soll das heißen?“

„Alles in Ordnung.“

Erleichterung machte sich im Raume breit. Die Kollegen meinten, daß

sie bei ihrem Hund bleiben sollte. Sie würden in der Zentrale schon

Bescheid sagen. Dann gingen sie. Er setzte sich neben sie und sie

schaute ihn fragend an.

„War es schlimm Herr Doktor?“

Jetzt konnte er ihr endlich die ganze Wahrheit sagen.

„Ja, sehr schlimm. Die Kugel hatte die Lunge getroffen. Darum hatte er

beim Atmen auch blutigen Schaum im Maul. Zum Glück aber nur eine

kleine Ecke der Lunge. Einen Zipfel. Den haben wir dann vernäht. Er

war nicht groß. Etwa wie ein Fünfmarkstück. Ohne das Stück Lunge geht

es ihm genausogut, wie vorher. Er hat sehr viel Glück gehabt. Ein

Zentimeter weiter zur Mitte hin, und die Kugel hätte sein Rückgrat

zerfetzt. Allerdings hab ich mit dem Fell gelogen. Er hat jetzt zwei

kleine kahle Stellen doch am Bauch ist er jetzt ganz kahl. Aber ich

sagte dir ja schon, das wächst nach. In spätestens zwei Wochen jagt er

wieder Kaninchen.“

„Das macht er nicht. Das hat er noch nie gemacht.“, flüsterte sie

weinend.

Und dann erzählte sie ihm von ihrem Hund Rex. Wie sie ihn als Welpen

bekommen hatte. Wie sie ihn großgezogen hatte. Mit ihm die Prüfungen

spielend gemeistert hatte. Und daß er dabei immer als einer der Besten

daraus hervorgegangen war. Aber dann erfuhr er auch, daß sie ihren

Mann und ihren kleinen Sohn vor einem knappen halben Jahr bei einem

Autounfall verloren hatte. Nur ihr Rex hatte ihr damals noch Halt

gegeben. Sie wüßte nicht was sie getan hätte, wenn er nichtmehr bei

ihr war. Aber er wußte es nur zu gut. Zu oft hatte er in der

Vergangenheit miterleben müssen, wie Menschen am Tod eines geliebten

Tieres zerbrachen. Ihnen gefolgt waren.

„Wir haben ihn in eine große Box gebracht. Du willst doch bestimmt zu

ihm.“

„Ja.“

„Dann komm.“

Er führte sie durch die Räumlichkeiten, vermied aber den direkten Weg

durch den blutigen OP. Vor der Box hielt er an und öffnete die Türe.

Sie schaute ihn an. Er nickte.

„Gehr ruhig rein zu ihm. Er schläft noch.“

Zögernd trat sie ein und setzte sich sofort zu ihrem Hund und

streichelte ihn vorsichtig den Kopf. Zu einem seiner Kollegen sagte

er:

„Erich, bringst du ihr noch ein paar Decken? So wie es aussieht haben

wir einen zusätzlichen Gast. Sie wird bestimmt bei ihm bleiben

wollen.“

Obwohl er schon längst nichtmehr zu sehen war, schaute sie dennoch

hinter ihm her. Erst als sie das Martinshorn nichtmehr hörte, erwachte

sie langsam aus ihrer Trance. Mit Entsetzten begriff sie, was sie

gemacht hatte. Denn erst jetzt begriff sie, was sie angerichtet hatte.

Das war schon ihre zweite Chance gewesen. Und schon wieder hatte sie

es versaut. Und ob es eine dritte geben würde, das stand in den

Sternen. Und nun war sie innerlich wahnsinnig wütend auf sich selbst.

Am liebsten hätte sie sich jetzt selbst verprügelt. Denn mittlerweile

wußte sie, daß sie ganz alleine daran schuld war, daß es an jenem

Abend zwischen ihnen nicht so gefunkt hatte, wie sie es sich erhofft

hatte. Darum wollte sie es vorhin ja auch erneut versuchen. Sie hatte

so große Hoffnung gehabt, denn sie hatte doch in seinen Augen deutlich

gesehen, wie sehr er sich freute sie wiederzusehen. Und ihr war es

doch nicht anders gegangen. Schon als er aus dem Wagen gestiegen war,

raste ihr Herz wie wild. Und dann ihre Frage, ob sie nochmal von vorne

anfangen könnten. Er wollte! Sie wäre ihm in diesem Moment am liebsten

um den Hals gefallen, so glücklich war sie in dem Augenblick. Doch

dann kam die Katze wieder dazu. Warum hatte er sie auch wieder zur

Sprache gebracht? Und warum konnte sie ihm nicht sagen, daß sie ihm

zwar gerne glauben würde, daß aber die Angst um ihren Engel dazwischen

stand. Sie konnte sich denken, daß er es verstehen würde. Noch

schlimmer. Er schien es sogar schon zu wissen. Bestimmt erwartete er

von ihr, daß sie es zugab. Doch dazu war sie vorhin zu feige gewesen.

Und so hatte sie ihn belogen. Etwas, was selbst in ihren Augen

furchtbar gewesen war. Sie hätte ihn niemals belügen dürfen. Das wußte

sie. Und dennoch hatte sie es getan. Und dafür schämte sie sich sehr.

Er hatte es sofort gemerkt. Natürlich hatte er das. Und er hatte auch

recht mit dem, was er danach gesagt hatte. Es hätte von Herzen kommen

müssen, nicht aus Überlegung. Als Versuch, ihn umzustimmen. Er hatte

es genau gewußt. Doch jetzt war er wieder fort. Fort, und sie wußte

nicht, ob sie ihn jemals wiedersehen würde. Sehr langsam ging sie in

den Laden zurück. Der Filialleiter dachte, daß sie von den Ereignissen

so mitgenommen war. Darum ließ er sie nach Hause gehen. Dankbar nahm

sie sein Angebot an. Sie ging zum Kindergarten und wußte nicht, ob sie

Rosi von der Begegnung erzählen sollte. Aber dies hätte Rosi nur

falsche Hoffnungen gemacht. Hoffnungen, die sie mit den Worten: „Hab

ich doch“ zerstört hatte. Natürlich merkte Rosi, daß ihre Mama geweint

hatte. Doch Rosi fragte nicht nach. Sie hatte auf diese Frage schon

einmal keine Antwort von ihrer Mutter bekommen. Das hatte sie sich

gemerkt. Also frug sie nicht. Der Tag verlief schweigend. Doch nun war

Anastasia es, von der das Schweigen ausging. Sie war froh, als ihr

Engel im Bett war. Am liebsten hätte sie jetzt die leeren Teller des

Abendbrotes durch das Zimmer geworfen. So wütend war sie auf sich.

Doch das hätte nur Rosi geweckt. Also räumte sie unter Tränen den

Tisch ab und zog sich mühsam aus. Sie wollte nur so schnell wie

möglich ins Bett. Zu ihrem Glück schlief sie nackt, außer wenn sie

ihre Tage hatte. So brauchte sie sich nicht auch noch Nachthemd

anziehen. Aber sie hatte ja eh keine. Sie hätten ein Loch in die

schmale Kasse gerissen. Also legte sie sich unter die Decke und

zitterte. Aber nicht vor Kälte. Sie zitterte aus einer Mischung von

Wut, Trauer und Verzweiflung heraus. Und in dieser Nacht verbrauchte

sie sehr viele Taschentücher.

 

 

 

Verpaßt

Zwei Wochen später, an einem Freitag, Anfang November, machte sie

blau. Sie brachte Rosi zum Kindergarten und hatte auf der Arbeit

Bescheid gesagt, daß sie zum Arzt müsse, am Samstag aber kommen würde.

Da sie bisher noch nie gefehlt hatte, akzeptierte ihr Chef dies ohne

zu murren. Doch anstatt zum Arzt zu gehen, ging sie zum Zoo. Sie

wollte endlich alles klären. Zu lange schon war das Verhältnis zu

ihrer Tochter gestört. Anastasia wußte genau woran es lag. Rosi

vermißte nicht nur Renana. Zu oft hatte sie im Schlaf von Ulrich

gesprochen. Und das Wort „Papa“ war auch oft genug dabeigewesen. An

sich hätte Anastasia nichts dagegen gehabt, wenn Ulrich Rosis Papa

werden würde. Aber insgeheim machte sie sich nur etwas vor. Schob Rosi

vor. Denn im Grunde genommen war sie es doch, die ihn suchte. Ihn

brauchte. Seit der Razzia weinte sie sich jede Nacht in den Schlaf. Zu

oft dachte sie an seine Augen, mit denen er sie verzaubert hatte. Zu

oft wünschte sie sich in der Nacht in seinen Armen zu liegen und von

ihm festgehalten zu werden. Zu oft stellte sie sich vor, von ihm

geküßt zu werden. Ob dies jemals der Fall sein würde? Denn sie hörte

auch immer wieder ihre Stimme, wie sie zu ihm sagte: „Hab ich doch“

und damit all ihre Hoffnungen zerstört hatte. Zweimal hatte sie ihn

vor den Kopf gestoßen. Sie wußte ja woran es lag. Und daß er ihr die

Angst vor der Katze nicht von jetzt auf gleich nehmen konnte, das

wußte sie auch. Sie würde ihm ja so gerne glauben, aber sie schaffte

es nicht. Immer wenn sie daran dachte, da sah sie diese riesigen Zähne

der Katze vor sich. Aber etwas anderes lag ihr noch mehr auf dem

Herzen. Sie hatte ihn belogen. Das hätte niemals passieren dürfen.

Eine Liebe kann nicht halten, wenn sie auf einer Lüge aufgebaut ist.

Das hatte sie schon so oft gehört. Früher hatte sie darüber gelacht.

Doch jetzt war sie davon überzeugt, daß es so war. Darum hatte sie

heute blau gemacht. Darum ging sie zum Zoo. Voller Hoffnung, voller

Zuversicht. Ob er überhaupt mit ihr sprechen würde? Seine Augen würden

bestimmt wieder leuchten und ihr ein stummes „ja“ zuschreien. Und sein

Herz? Würde es dasselbe sagen? Würde er ihr verzeihen?

Als sie um neun am Zoo ankam, öffnete er gerade. Zielstrebig ging sie

zu seinem Haus. Doch dort war alles dunkel. Ob er schon arbeitete?

Bestimmt. Obwohl. Sie wußte ja nicht, wann er morgens anfing. Und wo,

das wußte sie doch auch nicht? Der Zoo war sehr groß. Er hätte überall

sein können. Allerdings kannte sie auch einige Mitarbeiter des Zoos

vom sehen her. Aber besonders die Tierpflegerinnen bei den Elefanten

kannte sie gut. Zu oft hatte Rosi ihnen Löcher in den Bauch gefragt.

Doch sie lächelten nur und gaben ihr immer bereitwillig Auskunft. Sie

wußte auch wann die Fütterung war und schlenderte zu den Dickhäutern

hin. 10 Uhr würden sie gefüttert werden. Das war immer ein Heidenspaß

für Rosi gewesen. Um halb zehn kamen sie meistens schon zu ihnen. Also

setzte sie sich auf eine der Bänke, gegenüber dem Elefantengehege, und

wartete die halbe Stunde. Im Geiste legte sie sich alles erneut

zurecht. Was sie ihm alles sagen würde und wie sie es ihm sagen würde.

Vor allem aber mußte sie sich entschuldigte für ihre Lüge. Ihm

erklären, wieso und warum sie ihn angelogen hatte. Darüber hatte sie

Nächtelang unter Tränen nachgedacht. Und auch in den Pausen auf der

Arbeit. Da tauchte plötzlich eine der Pflegerinnen auf. Fast eine

Viertelstunde zu früh. Sie schaute gerade zu ihr hin. Anastasia winkte

zu ihr hin und sie kam zu ihr. Als sie sich neben ihr setzte, schaute

sie sich um.

„Wie? Heute mal ohne Kind?“

„Muß auch mal sein. So kann ich mir die Tiere auch mal in Ruhe

ansehen.“

„Sie haben wirklich ein süßes kleines Mädchen. Und sie scheint keine

Angst vor den Elefanten zu haben.“

„Wie meinen sie das?“

„Sie hat mich gefragt, ob sie die Elefanten auch mal füttern darf.“

„Das ist aber doch gefährlich.“

„Nicht unbedingt. Man muß nur wissen wie sie drauf sind.“

Sie redeten über die Elefanten. Lange. Sehr lange. Als die Pflegerin

aufstand, riß sich Anastasia endlich zusammen und fragte:

„Wo ist eigentlich der Tierarzt? Den hab ich ja schon lange nicht mehr

gesehen.“

„Welcher? Wir haben vier.“

„Der große, den mit den braunen Haaren. Dr. Rechtner oder Richtner.“

„Dr. Richter.“

„Ja, Dr. Richter.“

„Der war vorhin noch bei uns im Aufenthaltsraum.“

Ihr Kollege kam zu ihnen.

„Dieter, ist Dr. Richter noch bei uns?“

„Ja, der ist noch da.“

„Ich müßte ihm was Wichtiges sagen.“

„Dann kommen sie schnell mit, bevor er weg ist.“

„Weg?“

„Ja. Er hat ab heute Urlaub. Drei Wochen Mauritius. Ich beneide ihn.

Der hat es jetzt schön warm.“

Sie gingen eiligen Schrittes zu einer Türe am Rande des

Giraffengeheges. Als sie eintraten sahen sie einige Personen am

Fenster winken.

„Ist Dr. Richter noch da?“, fragte die Pflegerin in den Raum.

„Da fährt er.“

Anastasia sah am Arm des Mannes entlang und sah den dunkelblauen BMW

um die Ecke biegen. Am liebsten hätte sie jetzt geschrien. Geschrien,

das er anhalten, umkehren solle.

„Da kann man nichts machen. Da müssen sie warten bis er wiederkommt.“

„Wann ist das?“, fragte sie innerlich zitternd.

„In drei Wochen. Am ersten Adventswochenende. An dem Freitag. Da

übernimmt er den Dienst.“

„Was? Er kommt aus dem Flieger und macht gleich Dienst?“, fragte

daraufhin eine der Pflegerinnen.

„Ja. Wir wissen nur nicht wann er landet. Er hat was von mittags

gesagt.“

„Sie hören es ja. Sie werden bis dahin warten müssen.“

„Ja, danke sehr.“

Alexandra ging hinaus, ohne daß man ihr ansah was mit ihr los war. Sie

war den Tränen nahe. Sie hatte kein Interesse mehr an den Tieren. Sie

wollte nur noch nach Hause. Und als sie dort ankam, schmiß sie die

Wohnungstüre hinter sich zu und feuerte vor Wut ihre Handtasche quer

durchs Wohnzimmer. Sie prallte an die Wand hinter dem Sofa und ging

auf. Der Inhalt ergoß sich über das Sofa und den Boden. Aber das war

ihr egal. Sie war schon längst zusammengesunken und saß mitten im Raum

auf dem Boden. Heulend. Wissend, daß sie vorhin zu lange gewartet

hatte. Sich zu lange mit der Pflegerin über die scheiß Elefanten

unterhalten hatte, anstatt sie direkt zu fragen. Wütend gestand sie

sich ein, daß sie sich zu lange nicht getraut hatte nach ihm zu

fragen. Und damit hatte sie ihre Gelegenheit vertan. Hatte sie heute

ihre dritte Chance vertan? Würde sie noch eine bekommen? Würde sie es

überhaupt jemals schaffen? Doch so wie es aussah, war der Weg zu ihm

versperrt. Ständig kam etwas dazwischen. Doch das schlimmste daran

war, das sie der eigentliche Grund dafür war, das sie keinen Erfolg

hatte. Sie ganz alleine.

 

 

Letzte Chance

Drei Wochen waren seitdem vergangen. Rosis Verhalten hatte sich

mittlerweile ein wenig verbessert. Denn hin und wieder lachte sie auch

wieder. Aber ihre Nächte hatten sich nicht verändert. Sie rief noch

immer nach ihm. Mittlerweile viel öfter als am Anfang nach Renana. Und

viel öfter auch nach Papa. Schließlich faßte Anastasia einen

Entschluß. Von da an hatte sie sich jeden Abend darauf vorbereitet,

was sie zu ihm sagen würde. Hatte sich mit ihm im Geiste im Zoo, bei

ihr im Geschäft, bei ihm zu Hause, auf der Straße, ja sogar hier bei

ihr in der Wohnung getroffen. Und immer wußte sie was sie ihm sagen

würde. Sie sagte es dann auch und übernahm auch seinen Part. Und so

ging es immer gut für sie aus. Sie wurde mutiger. Und dies mußte sie

auch sein. Zu lange hatte sie schon gewartet. Zulange sich nicht

getraut ihm die Wahrheit zu sagen. Zu lange? War es am Ende vielleicht

schon zu spät? Hatte er vielleicht im Urlaub? Nein! Sie wollte darüber

nicht nachdenken. Das machte ihr schweres Herz nur noch schwerer. Da

sie ja wußte wann er zurückkam, plante sie alles bis ins kleinste

hinein.

Am besagten Freitag nahm sie sich schon um 12 Uhr frei. Zwar mußte sie

am folgenden Samstag arbeiten, aber erst ab 13 Uhr. Dafür aber bis um

18 Uhr. Aber sie würde Rosi mit zur Arbeit nehmen. Das hatte sie schon

öfter gemacht. Und da Rosi immer brav im Aufenthaltsraum spielte,

durfte sie das auch. Und so fieberte sie dem ersten Adventswochenende

entgegen. Dann war es soweit. Als sie Rosi zum Kindergarten brachte,

sagte sie ihr, daß sie heute schon um zwölf Feierabend habe. Rosi

freute sich. Und als sie um halb eins mit ihr den Kindergarten

verließ, schlug sie den Weg zum Zoo ein. Rosi kannte den Weg. Dennoch

war sie nicht sehr begeistert davon. Schließlich hatte sie ihr ja mit

einem gleichgültigen „warum“ geantwortet. Weshalb sollten sie dann

noch in den Zoo gehen? Für ihre Tochter gab es da keine glücklichen

Erinnerungen mehr, seit sie Rosi brutal von Renana gerissen hatte.

Anastasia spürte das Rosi nur wiederwillig an ihrer Hand mitging. Im

Zoo steuerte Anastasia gleich die Elefanten an. Rosi mochte diese

gewaltigen Kolosse doch so sehr. Und Rosis Augen leuchteten wieder.

Nach so langer Zeit. Anastasia war glücklich. Wenigstens das war ihr

geglückt. In einem Unbeobachteten Augenblick fragte Anastasia einen

der Tierpfleger, ob Dr. Richter schon zurück wäre.

„Bis jetzt noch nicht. Aber vor halb drei erwarten wir ihn auch nicht

zurück. Dr. Grams sitzt auch schon drüben im Cafe. Der wartet auf ihn.

Sie wollten sich dort treffen. Dr. Richter übernimmt ja den Dienst von

ihm.“

„Dr. Grams?“

„Ja.“

Und mit geschickten Fragen bekam sie heraus, wie dieser Dr. Grams

aussah. Mit diesem Wissen ging sie dann mit Rosi zum Cafe. Rosi bekam

von ihr ein Malbuch von Zoo und Buntstifte zum ausmalen. Anastasia

half ihr anfangs dabei, behielt aber unterdessen Dr. Grams, am Tisch

schräg vor ihnen, ständig im Auge. Ulrich mußte hierher kommen.

Zumindest aber sich irgendwie mit ihm treffen. Darum bezahlte sie in

alle Getränke und den Kuchen immer gleich, damit sie notfalls sofort

aufspringen und gehen konnten, wenn Dr. Grams auch ging. Mehrmals

kamen Pfleger und Pflegerinnen ins Cafe. Darunter schließlich auch

jene, die für die Elefanten zuständig war und die mit ihr zum

Aufenthaltsraum gegangen war. Als sie Anastasia und Rosi sah, kam sie

auch gleich zu ihnen. Anastasia bot ihr einen Platz an und sie setzte

sich. Rosi erkannte sie sofort und hatte wieder tausend Fragen. Zum

Glück. Denn so wurde es halb fünf, ohne das es Rosi langweilig

geworden war. Kurz nach fünf, sie saßen seit einiger Zeit bereits

wieder alleine am Tisch, da schlug Anastasias Herz wie wild. Sie hatte

Ulrich gesehen, wie er auf das Cafe zuging. Als er sich an den Tisch

zu Dr. Grams setzte, hatte er sie auch gesehen. Sofort lächelte er.

Rosi wollte gleich zu ihm. Doch Anastasia hielt sie fest.

„Noch nicht, Schatz. Er muß erst mit dem Mann da reden. Dann kannst du

zu ihm.“

Rosi war wie ausgewechselt. Sie griff nach der Hand ihrer Mutter und

Anastasia konnte spüren, wie aufgeregt sie war. Zappelnd saß sie auf

ihrem Stuhl. Ein weiterer Mann kam schließlich zu den Beiden drüben an

den Tisch.

Dr. Grams lachte, als er zu ihm kam. Aber seine Augen hatte schon

längst etwas anderes gesehen. Anastasia und - Rosi. Und sie schauten

ihn an. Die Augen der Beiden leuchteten so hell, das man ohne weiteres

das Licht im Cafe löschen konnte, ohne im Dunkeln zu sitzen. Das

Gespräch mit seinem Kollegen drehte sich erst nur um seinen Urlaub.

Doch es schlug sehr schnell in die eigentliche Übergabe um. Doch er

hörte nicht richtig zu. Ständig sah er zu den Beiden hinüber.

„Geben sie mir den Funk.“

Ulrich zuckte zusammen. Erstaunt sah er Dr. Horn an. Er saß bei ihnen

am Tisch, doch er hatte nicht bemerkt wie er sich zu ihnen gesetzt

hatte. Zu sehr war er von den beiden Mädchen abgelenkt gewesen.

„Aber das geht doch nicht. Sie haben doch bestimmt was anderes vor.

Außerdem ist das doch mein Dienst.“

„Das geht schon. Und so kann ich ihnen wenigstens mal was zurückgeben.

Schließlich haben sie mir schon so oft geholfen.“

Er bezog sich darauf daß er, frisch verlobt, an einem Wochenende

Besuch von seinen zukünftigen Schwiegereltern bekam und Dienst hatte.

Ulrich hatte ihm daraufhin kurzerhand den Funk abgenommen, um so ein

häusliches Drama zu verhindern. Grams gab Horn den Funk und

verabschiedete sich von ihnen.

„Und so wie ich das sehe“, Dr. Horn deutete mit seinem Kopf auf

Anastasia und Rosi, „sind sie mit ihren Gedanken ja eh ganz woanders.“

Lachend stand er auf und ging. Ulrich stand auf und wollte zu ihnen

hin, da gab Anastasia Rosi einen Stoß und das kleine Mädchen schoß auf

ihn zu. Sekunden später hing sie an seinem Hals und gab ihn einen

dicken Kuß. Dann heulte sie vor Glück. Doch auch ihm rannen ein paar

Tränen aus den Augen. Als Rosi sie an ihrem Gesicht spürte, sah sie

ihn an und wischte sie aus seinem Gesicht. Doch Anastasia hatte sie

auch gesehen. Sie war erschüttert, das Ulrich weinte. Alles hätte sie

geglaubt. Aber das nicht. Schließlich kamen sie zu ihr.

„Schön daß ihr hier seid. Ihr ward ja lange nichtmehr hier.“

Anastasia antwortete nicht. Alles was sie sich zurechtgelegt hatte war

aus ihrem Kopf verschwunden. Als die Bedienung kam, bestellte er eine

Cola für sich und eine heiße Schokolade für Rosi.

„Kaffee?“, fragte er sie.

Anastasia nickte.

„Und einen Kaffee.“

Die Bedienung ging und Ulrich schaute Anastasia schweigend an. Rosi

drückte sich an ihn und schien ihn nie wieder loslassen zu wollen.

Anastasia sog dieses Bild in sich ein, bis das sie von der Bedienung

mit ihrem Kaffee wieder in die Realität geholt wurde. Ulrich setzte

Rosi auf ihren Stuhl, vor ihrer Schokolade.

„Und?“, fragte Ulrich leise.

Anastasia schluckte. Ihr Kopf war leer. Alles fort. Alle Sätze, alle

Gespräche, die sie in ihren Nächten mit ihm geführt hatte, alles war

fort. Doch sie wußte. Dies war ihre letzte Chance. Denn alle guten

Dinge sind nur drei. Und das hier war die Vierte. Wenn sie jetzt

nichts sagte, dann wäre es zu Ende, bevor es jemals begonnen hatte.

Zögernd fing sie an.

„Ich“

Sie senkte ihren Kopf. Sie konnte ihn nicht ansehen. Seine Augen

verwirrten sie. Sie strahlten sie an.

„Ich“

Erneut stockte sie. Doch dann raffte sie sich auf.

„Können wir nochmal von vorne beginnen?“, flüsterte sie.

„Schwer.“

Sie zuckte zusammen. War jetzt alles vorbei? Hatte er jemanden im

Urlaub kennengelernt? Hatte sie ihre Chancen vertan?

„Es ist zu kalt, um im Eisbärengehege ein Püppchen zu retten. Und mit

Zebrababys kann ich doch auch nicht dienen.“

„Danach.“, flüsterte sie leise.

Er schaute auf die Uhr. 17.46.

„Geht ihr gleich nach Hause? Abendessen kochen?“

Rosi zuckte erschrocken zusammen. Doch Anastasia wußte sofort

Bescheid. Er wiederholte den Abend.

„Abends essen wir nicht warm. Nur Brote.“, flüsterte sie.

„Nun Brot hab ich auch.“

„Wieso? Du bist doch gerade erst zurückgekommen.“

„Ich war vorhin noch einkaufen. Ich hab es in der Klinik abgestellt.

Wenn ihr mit mir eßt, dann mußt du mir tragen helfen.“

Freudig lächelnd nickte sie. Doch da kam er auf den Punkt.

„Du weißt aber auch, wer noch da sein wird?“

Sie nickte. Aber sie war darauf gefaßt gewesen. Und so zuckte sie

diesmal nicht zusammen.

„Und?“

Anastasia schluckte. Sie wußte genau, daß sie nun alles bekennen

mußte. Ein falsches Wort, eine noch so kleine Lüge, nur eine kleine

Verschweigung, und all ihre Träume und Hoffnungen wären zerstört. Für

immer.

„Ich habe Angst.“, flüsterte sie kaum hörbar.

Mir sehr sanfter Stimme sagte er:

„Ich habe dir doch gesagt, daß sie ihr nichts tun wird. Ihr nicht und

dir auch nicht. Sie ist sehr traurig, seit ihr gegangen seid.“

„Ich glaub dir nicht.“, flüsterte sie, „Ich würde dir ja gerne

glauben, aber es geht doch nicht. Ich habe Angst. Rosi ist mein Kind.

Ich hab doch nur sie auf der Welt. Ich hab Angst sie zu verlieren.

Immer hab ich gehört, wie gefährlich Tiger sind. Mordlüsterne Bestien,

die aus reiner Lust töten. Und dann kommst du und sagst, daß sie lieb

ist. Das ist so, als wenn du mir sagst, „die Welt ist ein Würfel“.“

Sein Gesicht kam nah zu ihrem und sie dachte schon, daß er sie küssen

würde. Doch da schaute er sie mit riesigen Augen an und flüsterte:

„He, die Welt ist ein Würfel.“

Sie lächelte.

„Ich hab dir aber auch gesagt, das“

„Das du uns nie belügen würdest? Hättest du gesagt, daß du einen

Führerschein hast, das hätte ich dir das sofort geglaubt. Aber ein

Tiger?“

„Du glaubst mir immer noch nicht?“

„Versteh mich doch. Ich würde dir ja so gerne glauben. Aber das ist

so, so, so“

Sie fing an lautlos zu weinen.

„So unglaubwürdig?“

„Ja.“

Es folgten einige Sekunden totale Stille.

„Es tut mir so leid. Ich will ja glauben. Aber meine Angst um Rosi ist

größer.“

Da Anastasia ihren Kopf gesenkt hatte, sah Ulrich erst jetzt, daß sie

weinte.

„Das hast du bei unserem ersten Zusammentreffen nicht gesagt.“

Sie schüttelte leicht ihren Kopf.

„Und damals am Auto hast du mir auch nicht die Wahrheit gesagt.“

„Ich weiß. Dafür möchte ich dich um Verzeihung bitten. Ich schäm mich

so dafür.“

„Aber heute“

Sie zuckte zusammen.

„Heute hast du endlich gesagt, warum du mir nicht glaubst. Das ist

doch schon mal ein Anfang.“

Sie schaute ihn erstaunt an. Er reichte ihr seine Hand über den Tisch

und sie ergriff sie.

„Wollen wir es nochmal versuchen? Mit Katze?“

Unsicher nickte sie. Aber diesmal zuckte sie nicht wieder erschrocken

zusammen.

„Das ist schon mal ein guter Anfang.“

Nun lächelte sie. Zwar schauderte es sie bei dem Gedanken, heute noch

mit Renana zusammenzukommen, aber sie mußte sich zusammennehmen. Sonst

wäre alles zu Ende. Als sie alle ausgetrunken hatten gingen sie zur

Klinik. Alexandra nahm dort eine der beiden Tragetaschen, Ulrich die

andere. Rosi mußte das kleine Brot tragen. So gingen sie langsam in

Richtung Haus. Doch je näher sie kamen, umso unsicherer wurde

Anastasia. Dann blieb sie plötzlich stehen.

„Was ist?“

„Ehrlich?“

„Ja.“

„Hast du eine Waschmachine?“

Ja.“, antwortete er erstaunt, „Wieso?“

„Kann sein, daß ich nachher meine Strumpfhose und mein Höschen waschen

muß.“

„Wieso?“

„Ich habe Angst. Ich habe schreckliche Angst. Und ich weiß, daß ich

damit alles kaputtmache. Aber ich habe Angst. Ich kann doch nichts

dafür. Es tut mir so leid.“

Sie weinte sehr und er nahm sie in seine Arme, tröstete sie wortlos,

während ihre Tränen an seinem Hals entlang in seinen Pullover rannen.

„Ich kann mir denken wie du dich fühlst. Das war bei den Pflegerinnen

am Anfang auch so gewesen. Und jetzt haben sie sich fast darum

geprügelt, Renana während meines Urlaubs zu versorgen.“

Sie sah ihn an und lächelte.

„Komm weiter. Es ist kalt.“

Zögernd folgte sie ihm. Doch nach wenigen Schritten war sie neben ihm.

„Bist du mir Böse?“

„Nein.“

Sie kamen am Haus an. Erleichtert sah Alexandra, daß er die erste Türe

aufschloß. Keine Pflegerin, die diese Bestie aus ihrem Käfig holte.

Und als sie im Gang standen dachte sie, alles wäre in Ordnung. Doch

als er die innere Türe öffnete, schrie Rosi „Renana!“. Sie drückte

Ulrich das Brot in die Hand und rannte aufs Haus zu.

„Ulrich! Bitte.“

„Schau hin! Schau hin und du wirst es sehen. Bitte.“

Sie wollte nicht sehen wie ihre Tochter zerfleischt wurde. Dennoch

konnte sie ihren Blick nicht abwenden. Rosi rannte aufs Haus zu und

die Katze sprang mit einem Satz über die große Treppe hinweg hinunter

und rannte auf Rosi zu. Doch da stoppte sie schon und Rosi umklammerte

ihren Hals. Die Katze fiel um und Rosi landete auf sie, wuselte durch

ihr Fell, bekam ihre Zunge über ihr Gesicht geleckt und Rosi gab ihr

einen Kuß auf die Nase.

„Glaubst du es jetzt?“, fragte er, als Rosi aufstand und mit Renana an

ihrer Seite zu ihnen kam. Anastasia antwortete nicht.

„He. Trägst du Jeans?“

„Wie, was?“, antwortete sie, die näherkommend Katze nicht aus den

Augen lassend.

„Ob du auch Jeans trägst.“

„Ja, ja.“

Sie wich an die Wand des Ganges zurück.

„Rosi, gehst du mit ihr rein?“, sagte er zu Rosi.

„Mach ich. Komm Renana.“

Folgsam wie ein Schoßhündchen, machte sie kehrt und folgte Rosi ins

Haus.

„Du Miststück.“

„Und? Hast du jetzt gesehen wie sie sich gefreut hat?“

„Rosi hat die ganze Zeit über an sie gedacht.“

„Ich meinte Renana.“

„Ja.“

„Dann komm.“

Sie gingen los, da fragte Anastasia, was er mit der Jeans gemeint hat.

„Ohne Strumpfhose und Höschen kannst du hier nicht rumlaufen. Denke

mal, daß dir eine Jeans von mir passen wird. Zur Not geh ich rüber und

hol dir eine OP-Hose.“

„Brauchst du nicht. Aber viel gefehlt hat da nicht.“, lächelte sie.

Doch als sie Rosi mit Renana in der Halle toben sah, da wurde ihr doch

Angst und Bange. Ulrich stellte Tasche und Brot ab, dann nahm er ihr

die Tüte ab. Anastasias Blick wankte nicht von den Beiden. Erst als er

ihr den Mantel aufknöpfte und sie daraus schälte erwachte sie aus der

Starre. Er hing ihren Mantel auf, dann sagte er:

„Rosi. Dein Mantel.“

Rosi kam zu ihm, während Renana ihr hinterher blickte. Er zog ihr den

Mantel aus und hängte ihn ebenfalls auf. Sofort rannte sie wieder zu

Renana. Erst dann schälte er sich aus seiner Jacke.

„Anastasia?“

Sie starrte noch immer auf Renana und zuckte erst erwachend zusammen,

als er ihrem Namen zum zweitenmal rief.

„Ja?“

„Laß die Beiden spielen. Wir bringen die Sachen in die Küche.“

„Ungern.“

Aber dennoch half sie ihm bei den Sachen. Als sie in die Küche kam,

war sie sprachlos. Sie war so groß. Und er hatte drei Kühlschränke!

Sie konnte sich die Frage nicht verkneifen, ob er verfressen sei. Doch

er öffnete lachend den ersten Kühlschrank und sagte: „Getränke“. Als

er den Zweiten öffnete sagte er „Essen“. Doch als er den dritten

öffnete flüsterte er „Futter“. Sie sah, daß der dritte große

Fleischstücke enthielt. Sie konnte sich denken, für wen die waren.

„Wieso flüsterst du?“

„Willst du das wirklich wissen?“

„Ja.“

„Futter.“, sagte er im normalen Tonfall. Kaum waren seine Worte

verhallt, da stand Renana schon neben ihm und schaute ihn an.

„Darum.“

Rosi kam in die Küche gerannt und wollte wissen, wieso ihre Miezekatze

so plötzlich abgehauen war. Anastasia sah Renana, aber noch etwas sah

sie. Die dunklen Stellen an Rosis Strumpfhose. An ihren Knien.

„Schatz, zieh die Strumpfhose besser aus, bevor sie ganz schwarz

geworden ist.“

Lachend verschwand Rosi ins Wohnzimmer. Einige Sekunden später rief

sie „Renana“. Renana machte kehrt und verschwand ins Wohnzimmer.

Während er im Wohnzimmer die Heizung herab drehte und den Kamin

entzündete, sowie Kerzen auf den Tisch stellte und das Licht löschte,

bereitete sie schon das Abendbrot vor, was aus zwei Gründen etwas

schmäler ausfallen mußte. Zum einen hatte er ein kleines Brot gekauft

und davon auch nur die Hälfte. Zum anderen hatte er es schneiden

lassen. Sehr dick schneiden lassen. Und so waren aus dem Brot nur 6

Scheiben geworden. Und auf seine Bemerkung hin, daß es doch sehr wenig

Brot sei, antwortete Anastasie:

„Rosi hat seit damals wenig gegessen. Nicht zu wenig, aber weniger als

sonst. Wir werden schon hinkommen.“

Sie nickte und belegte eine weitere Scheibe mit Salami. Als sie fertig

waren, er hatte noch Kakao für Rosi gemacht, trugen sie alles ins

Wohnzimmer. Anastasia war im Himmel. Sie hatte den brennenden Kamin

sofort gesehen. So oft hatte sie sich gewünscht, wieder an einem Kamin

zu sitzen und einfach nur so in die Flammen zu schauen. Aber sie

dachte in dem Moment auch daran, das, obwohl er solch eine riesige

Wohnung hatte, sie nun, ganz wie bei ihnen zu Hause, im Wohnzimmer

essen würden. Sie hätten in der Küche Platz genug gehabt. Und einen

Tisch und drei Stühle waren dort auch vorhanden. Doch er hatte bereits

die Becher ins Wohnzimmer gebracht. Sie setzte sich wieder in den

weichen Sessel und Rosi kam zu ihm auf das Sofa.

„Wo ist dein Kleid?“

„Da.“

Rosi zeigte auf das Ende des Sofas, wo die Strumpfhose und ihr Kleid

lagen.

„Warum hast du das Kleid ausgezogen?“

„Mir ist so warm.“

Anastasia sah ihn fragend an. Doch er nickte nur. Dann setzte er sich

neben Rosi. Ulrich fragte sie, was sie wolle und Rosi sagte:

„Fleischwurst“. Er schob ihr die größte Brotscheibe mit Fleischwurst

auf den Teller und Anastasia sah erstaunt zu, wie ihr kleiner Spatz

diese in Windeseile verputz hatte. Doch noch begeisterter war sie, als

Rosi noch eine Scheibe Brot haben wollte. Ulrich gab ihr die größte

noch übriggebliebene Scheibe und Rosi fiel über sie her. Als Rosi dann

noch um das Endstück bettelte, da wußte Anastasia, das ihre Maus

wieder die Alte war. Rosi hatte ihre drei Stücke verputzt, da saß sie

gerade an ihrem zweiten.

„Darf ich spielen gehen?“, fragte Rosi.

Ganz erstaunt sah Anastasia, das sie mit der Frage nicht gemeint war.

Rosi hatte Ulrich angesehen.

„Aber ja Schatz.“, antwortete er.

Rosi schlang ihre Ärmchen um seinen Hals, gab ihm einen Kuß, dann war

sie auch schon in die Halle gerannt.

„He! Wieso wird ich nicht gefragt!“, rief sie ihr hinterher.

Rosi kam zurück und schaute sie fragend an.

„Na hau schon ab.“

Ein flüchtiger Kuß und weg war sie. Anastasia sah ihr verzweifelt

hinterher.

„Ich glaube, ich muß dir mal die Geschichte dieser Katze erzählen und

wieso sie so lieb ist.“

„Wieso? Was ist an ihr so besonderes?

„Die Rasse.“

„Die Rasse?“

„Ja. Die Rasse ist sehr alt. Nachgewiesen schon seit über 1500 Jahre.

So um 500 n Chr. kam ein Radscha aus den Bergen des Himalajas nach

Indien. Er ließ sich in einer sehr fruchtbaren Gegend nieder und

erbaute dort seinen Palast. In seiner Begleitung waren seine Frau und

sein damals erst ein Jahr alter Sohn. Neben seiner Leibwache und den

Dienerinnen, männliche Bedienstete gab es nicht, wurden sie auch von

eine Tigerin begleitet. Rasura. Sie hatte schwarze und weiße Stellen

im Fell, wie jede andere Tigerin auch. Jedoch waren die vielen gelben

Stellen im ihrem Fell eher golden statt gelb.“

„Genau wie bei Renana!“

„Ja. Die Aufgabe der Tigerin bestand aus drei Teilen. Zum ersten mußte

sie den Maharadscha beschützen. Zum zweiten die Maharani, und zum

dritten den Thronfolgen und seine Geschwister. Und diese Aufgabe

erfüllte sie stets. Auch unter Einsatz ihres Lebens. Als der Palast

fertig war, gebar sie drei Tiger. Allesamt Katzen, also Mädchen. Diese

erfüllten die Aufgabe Rasura mit der gleichen Hingabe und Treue. Auch

war ihr Fell genau so golden wie das von Rasura. Nur ein einziges Mal

in ihrem Leben geht eine Tigerin alleine aus dem Palast. Um sich mit

einem Tiger im Dschungel zu paaren. Dann kommt sie wieder und gebiert

ihre Jungen. Und immer sind es Katzen. Also Mädchen. Sollte es jedoch

einmal vorkommen, daß auch ein männlicher Tiger, also ein Kater,

geboren wird, so geht die Mutter mit ihm in den Dschungel und zieht

ihn dort groß. Wenn er auf eigenen Füßen stehen kann, kommt sie wieder

in den Palast zurück. Alleine. Ebenso ist es, wenn vier Katzen in

einem Wurf sind. Meistens sind es zwei. Es kommt aber auch oft vor,

daß es drei sind. Aber bei vieren bleibt das Letztgeborene zwar im

Palast, aber wenn es alt genug ist, dann geht es in den Dschungel.“

„Und was hat das mit Renana zu tun? Und wieso soll sie so zutraulich

sein?“

„Vor anderthalb Jahren war ich in Indien. Mit einer Ärztin durfte ich

in den Palast und konnte die Tiere mit eigenen Augen sehen.“

„Tiere? Leben denn da noch mehr?“

„Vor anderthalb Jahren waren es 53.“

„53!“

„Ja.“

Und die laufen da einfach so rum?“

„Ja. Aber nur im Palast. Jedenfalls sollte die Ärztin die Tiger

impfen. 4 hatte sie geschafft, da mußte sie woanders hin. Und dabei

hat sie sich dann das Bein gebrochen. Also bin ich an ihrer statt in

den Palast gegangen und wollte ihre Arbeit fortführen. Denn das Serum

hatte ja nur eine begrenzte Haltbarkeit. Allerdings lachte der

Maharadscha mich nur aus. Ich würde nicht an sie herankommen. Er

erzählte mir, daß nur Frauen und Mädchen diese Tiere anfassen könnten.

Ohne Gefahr. Vor Männern würden sie fortlaufen. Es sei denn, es wäre

ein Einbrecher oder ein Attentäter. Diese würden sie stellen. Doch

nachdem was ich bei der Ärztin gesehen hatte, war ich wie du.“

„Wie ich?“

„Ja. Ich hab ihm nicht geglaubt.“

„Ist ja schon gut.“

„Allerdings kommt jetzt was, was mir nicht passieren wird.“

„Wie? Was denn?“

„Der Maharadscha irrte sich.“

„Wie das?“

„4 Tage hab ich im Zimmer der Katzen auf dem Boden gesessen. Und

täglich kamen sie näher. Und am fünften Tag kam Baris zu mir und ließ

sich impfen. Und dann sind sie alle gekommen. Sogar die Mütter

brachten die Neugeborenen zu mir.“

„Und sie haben dir nichts getan?“

„Zuerst nicht. Aber als ich sie alle geimpft hatte, da fielen sie über

mich her.“

„WAS!?!“

„Ja. Bestimmt den halben Tag kam ich aus dem Streicheln und Kraulen

nicht heraus. Und von allen Seiten bin ich abgeleckt worden. Mich hat

es gewundert, das ich abend noch meine Finger gebrauchen konnte. Ich

war doch vom Maharadscha zum Abendessen eingeladen worden. Quasi als

„Trostpflaster“ für meine vergebliche Liebesmühe. Er wußte ja noch

nicht, daß ich es doch geschafft hatte. Doch während des Abendessens

kam Baris in den Saal. In ihrem Maul hatte sie eines ihrer Jungen. Das

Vierte. Der Maharadscha dachte, sie würde es ihm bringen. Doch dann

staunte er nicht schlecht, als sie es mir in den Schoß legte. Baris

leckte noch ein paarmal über das Kleine rüber, dann ging sie.“

„Sie hat es bei dir gelassen?“

„Ja. Und der Maharadscha sagte, daß dies sehr selten vorgekommen wäre.

Viermal in der Geschichte ihrer Familie. Und das sind immerhin schon

1500 Jahre.“

„Und dann?“

„Seit dem Tag hab ich mich um das kleine Kätzchen gekümmert.“

„Wie alt was es da?“

„Eine Woche war es alt. Sie hatte noch die Äugelchen zu.“

„Süß. Das hätte ich gerne gesehen.“

„Kannst du. Moment.“

Er stand auf und holte ein Fotoalbum aus dem Schrank. Mit ihm kam er

wieder zurück aufs Sofa und setzte sich auf den Platz, wo vorhin Rosi

gesessen hatte. Sie lehnte sich auf die Armlehne des Sessels und

schaute sich mit wachsender Begeisterung die Bilder von einem süßen

kleinen Kätzchen an. Gerademal zwei Hände voll Fell mit vier riesigen

Pfoten. Und die Augen waren noch geschlossen.

„Wann machte sie die Augen auf?“

„6 Tage später. Und das erste was sie in ihrem Leben sah, das war ich.

Seit ich sie von Baris bekommen hatte, bin ich immer für sie

dagewesen. Und wenn mal ich nicht da bin, dann ist es jemand, den sie

kennt und vertraut. Verstehst du jetzt, daß ich sie immer bei mir

habe? Du hast Angst um dein Kind. Ich habe Angst um mein Kind. Wer

mich will, muß sie auch nehmen. Genauso wie bei dir. Wer dich will,

muß auch den kleinen Engel nehmen.

 

Traumzeit

Was Renana in dieser Nacht träumte, das hätte nur sie uns sagen

können. Auf jeden Fall mußte es ein sehr schöner Traum gewesen sein.

Denn ständig scheuerte sie sich mit ihrem Rücken oder dem Kopf an

Rosi.

Rosis Traum war dagegen Gewaltiger. Viel gewaltiger! Sie war in ihrem

Traum eine Prinzessin. Eine richtige Kriegerprinzessin! Und mit Renana

an ihrer Seite bestand sie in dieser Nacht sehr viele Abenteuer.

Logisch, daß sie dabei immer als strahlende Siegerin hervortrat.

Ulrich hatte dagegen in seinem Traum sehr schwer zu kämpfen. Bisher

hatte er in seinen Träumen alles machen können. Wirklich alles. Und

unteranderem konnte er damals jedes Mädchen aus seinen Klassen, oder

jetzt hier aus der Arbeit, in seinen Träumen beliebig an, um, und auch

ausziehen. Ja er konnte sogar mit ihnen schlafen. Das dann sein Bett

am Morgen feuchte Stellen aufwies, das kam nur davon, daß er es in

seinem Traum richtig mit ihnen getrieben hatte. Es richtig gespürt

hatte. Aber jetzt steckte er fest. In seinem Traum war wieder auf

Mauritius. In der kleinen einsamen Bucht. Aber nicht alleine. Vor ihm

stand Anastasia. Und in der einen Hand hatte sie ihre Handtasche, in

der anderen hielt sie entweder einen Bikini oder einen Badeanzug. So

genau konnte er es nicht sehen. Und für eines der beiden

Kleidungsstücke hatte er sich auch noch nicht entschieden. Doch so

sehr er sich auch jetzt in seinem Traum anstrengte, er konnte

Anastasia nicht dazu bewegen, ihre Badesachen anzuziehen. Nicht mal

die Strumpfhose oder ihr Winterkleid auszuziehen, was sie heute

getragen hatte. Nicht mal die Schuhe konnte er von ihren Füßen

träumen. Denn er hörte von ihr nur: Ich kann das nicht. Ich habe

Angst.

Anastasia blieb sehr lange auf dem Stuhl sitzen. Schließlich aber

überwand sie sich endlich. Sie zog sich die Schuhe aus. Doch erneut

wartete sie, dann stand sie auf und zog sich das warme Kleid aus. Es

folgte die Strumpfhose. Sie griff sich hinten unter ihr kurzes Top und

öffnete ihren BH. Seine Träger schob sie gänzlich von den Armen herab

und griff sich dann vorne unter das Top. Sekunden später kam die Hand

mit ihrem BH heraus. Fertig war sie nun. Denn das Top und ihr Höschen

würde sie diese Nacht anlassen. Doch nun folgte das schwerste. Sie

ging langsam zum Bett, Renana nicht aus den Augen lassend. Am Bett

angekommen setzte sie sich erst vorsichtig darauf. Es dauerte etwas,

dann stieg sie hinein und deckte sich zu. Die Decke war kühl. Sie lag

sehr lange still im Bett, erst dann löschte sie das Licht. Sie lag mit

dem Rücken zu ihnen. Und das war auch gut so. Denn so konnte sie

wenigstens ohne den Anblick schlafen. Doch als sie sich unbewußt

umdrehte und so in Richtung der Beiden sah, da sah sie zwei glühende

Punkte. Angstvoll starrte sie diese Punkte an. Doch sie verschwanden

nicht. Sie wußte, daß Renana sie anschaute. Schon begann sie vor Angst

zu zittern, da stieg sie hastig aus dem Bett und ging eilig hinüber zu

Ulrich. Und an dessen Bett sagte sie: Ich kann das nicht. Ich habe

Angst.

Ulrich öffnete die Augen und richtete sich auf. Da sah er Anastasia

vor seinem Bett stehen. Und nun wußte er, daß er Anastasias Worte

nicht geträumt hatte. Denn sie wiederholte sie.

„Ich kann das nicht. Ich habe Angst.“

„So schlimm?“

„Ihre Augen. Sie glühen richtig.“

„Ich weiß. Darum heißen die Dinger an den Fahrräder ja auch

Katzenaugen.“

„Da hab ich Angst bekommen.“

„Und nun?“

„Darf ich bei dir schlafen?“

Er hob die Decke auf der anderen Bettseite an und leise flüsternd

sagte er: „Dann komm“.

„Danke.“

Sie stieg ins Bett, legte sich hin und zog sich die Decke bis über die

Nase. Doch da richtete sie sich blitzartig wieder auf und zog die

Beine an.

„Kalt!“, sagte sie fast schon vorwurfsvoll.

„Das wußtest du doch.“

„Aber das ist eiskalt.“

„Armes Mädchen. Es dauert etwas bis das es warm wird. Doch dann ist es

wirklich schön warm.“

„Bis dahin bin ich erfroren.“

Sie blickte traurig zu ihm hin. Er lächelte nur. Dann aber sagte er:

„Du weißt aber auch, daß ich nichts anhabe?“

„Ja.“

„Es macht dir nichts aus?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Dann komm.“

Er hob die Decke etwas hoch und sie kam zu ihm. Da er sich mit seinem

anderen Arm abstützte, lag sie plötzlich in seinem Arm. Er ließ die

Decke herab und sie drückte sich an ihn.

„Du glühst ja richtig.“, sagte sie und schaute ihn erstaunt an.

„Darum ist mir auch niemals kalt.“

„Und ich werde schnell warm.“, kicherte sie.

Sie drückte sich fest an ihn und er spürte eine ihrer festen Brüste in

seiner Seite. Er umfaßte sie mit dem Arm auf dem sie lag und spürte

die Kälte auf ihrem Rücken durch das Top hindurch. Aber die Stelle

wurde schnell warm. Anastasia wurde sehr schnell warm und schlief auch

sehr schnell ein. Er brauchte etwas länger. Zu sehr gefiel ihm

Anastasias Körper an seiner Seite und ihr Rücken unter seiner Hand.

Obwohl sie nun neben ihm lag, er ihren Rücken unter seiner Hand und

ihre Brust an seiner Seite spürte, kam er in seinem Traum nicht

weiter. Noch immer stand sie im Winterkleid vor ihm und wollte sich

nicht partout nicht umziehen. Sie schüttelte immer nur ihren Kopf.

Aber wenigstens sagte sie jetzt nichtmehr, daß sie es nicht könne, und

das sie Angst habe.

Anastasia Traum hingegen war schon wesentlich weiter. In ihrem Traum

standen sie nackt auf einer Wiese und küßten sich. Er streichelte

ihren Rücken und es war ein wahnsinnig schönes Gefühl. So schön, daß

es in ihrem Schritt schon juckte. Und davon erwachte sie. Sofort

spürte sie, daß sie dort wirklich völlig naß geworden war. Aber noch

etwas spürte sie. Er war fort.

„Mama?“

Hm. Das Wort paßte so gar nicht in seinen Traum. Also öffnete er seine

Augen. Da hörte er das Wort erneut. Vorsichtig, ohne Anastasia zu

wecken, stand er auf. Da er seine Unterhose nicht gleich fand, zog er

seine Jeans an. Dann ging er zu Rosi. Sie saß im Bett und sah ihn.

„Was ist Schatz?“

„Wo ist die Mama?“

„Bei mir. Sie schläft.“

„Wo?“

Er nahm sie auf den Arm und ging mit ihr in sein Zimmer.

„Da ist die Mama. Willst du zu uns ins Bett?“

Hektisch schüttelte sie ihr Köpfchen.

„Was ist denn?“

„Pipi.“

„Dann komm.“

Er ging mit ihr auf dem Arm zum Klo. Als sie fertig war putzte er sie

noch ab, dann brachte er sie wieder zu Renana ins Bett. Sofort drückte

sie sich wieder fest an ihre Freundin. Er deckte sie noch zu und gab

ihr einen Kuß. Dann ging er zurück.

„Wo warst du?“, flüsterte Anastasia, als er wieder ins Bett kam.

„Die Maus mußte mal. Und ich wollte dich nicht wecken. Du hast so

schön geschlafen.“

„Woher wußtest du, daß sie mal mußte?“

„Sie hat gerufen.“

„Was?

„Ja.“

„Wieso hab ich das nicht gehört? Ich hör doch sonst jeden Ton von

ihr.“

„Du hast zu tief geschlafen.“

„Zu gut geschlafen.“

„Ja?“

„Ja.“, flüsterte sie, „Du bist so schön warm.“

„Dann komm.“

Er hielt ihr den Arm hin und sie legte sich hinein.

„Hast du sie auch abgeputzt?“

„Aber ja doch.“

„Danke.“

Sie streckte sich und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Dann lächelte

sie in sein Gesicht, da er sich erstaunt zu ihr hin gedreht hatte.

Doch nun lächelte er auch. Es vergingen einige Sekunden, dann schloß

sie langsam ihre Augen und kam näher. Er wußte was nun kam. Als seine

Lippen ihre berührten, schloß auch er seine Augen. Doch er wußte nicht

weiter. Sie spürte es sofort. Also übernahm sie die Initiative und

drang mit ihrer Zunge in seinen Mund ein. Und er lernte von ihr. Sie

zog ihn dabei auf die Seite, sodaß er ihr genau gegenüber lag. Doch

als er erneut nicht weiterwußte, da nahm sie seine Hand und führte sie

zu ihrer Brust. Allerdings wußte er genau was er mit ihr machen mußte.

Die Küsse wurden zärtlicher und seine Hand ebenfalls. So zärtlich war

seine Hand, daß sich ihre Brüste schon unangenehm spannten. Schon

während ihres Traumes hatte sie ein nasses Höschen bekommen. Und nun

schien sie richtig auszulaufen. Natürlich wußte sie genau, was dies

bedeutete. Und wenn sie ehrlich war, sie wollte es. Er wußte nicht,

daß sie ihr nasses Höschen bereits ausgezogen hatte, als sie sah, daß

er fort war. Zu unangenehm war ihr diese Nässe gewesen. Und nun beugte

sie sich zu ihm hin.

„Das habe ich noch zu keinem gesagt.“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

„Was denn.“

„Ich möchte mit dir schlafen.“

„Bist du dir da sicher? Wir kennen uns doch erst seit ein paar

Stunden.“

Sie legte ihren Finger auf seinen Mund und nickte nur. Dann schob sie

ihn auf den Rücken und setzte sich auf seinen Bauch. Sie zog ihr Top

aus und führte seine Hände an ihre Brüste. Er streichelte sie so gut,

daß sie erregt ihre Augen schloß und hinter sich griff. Und das, was

sie dort fühlte, machte ihr noch mehr Lust. Sie erhob sich etwas und

führte ihn in sich ein. Sofort durchfuhr sie ein nie gekanntes

Wohlgefühl. Als sie sich herab ließ, glaubte sie, das er nicht ganz in

sie hineinpassen würde. Doch als sie fest auf ihm saß wußte sie es

besser. Sie beugte sich zu ihm herab und spürte, wie er ganz langsam

in sie ein und ausfuhr. Zögernd fuhr er über ihren Rücken, streichelte

ihren Po, küßte sie. Aber gerade dieses langsame Stoßen ließ sie sehr

schnell zum Höhepunkt kommen. Er schaute sie fragend an.

„Weiter?“

„Du mußt auch kommen.“, flüsterte sie.

Er nickte, dann machte er weiter. Aber immer noch sehr langsam. So

langsam, das dieser Akt über eine Stunde dauerte. Und so kam sie in

der Nacht noch dreimal. Dann aber spürte sie, wie sein Penis in ihr

zuckte. Und dann kam es aus ihm herausgeschossen. Doch er stieß weiter

sehr langsam zu, bis das nichts mehr kam. Erst dann hörte er auf zu

stoßen.

„Das war schön.“, flüsterte sie und legte ihr Gesicht an seinen Hals,

„Du bist so zärtlich.“

„Danke, das du mir gezeigt hast, was ich bisher verpaßt habe.“

„War es so schön?“

„Ja. Mit dir, ja.“

Sie küßten sich erneut, dann schmiegte sie sich fest an ihn. Er

streichelte weiter über ihren Rücken und ließ sie glücklich ins Land

der Träume hinübergleiten.

Es war noch dunkel. Sie hatte einen wunderbaren Traum gehabt. Sie

hatten auf der Wiese miteinander geschlafen. Zum ersten Mal hatte sie

mit jemand geschlafen und es voll und ganz gespürt. Und genossen. Sie

war auf ihm liegengeblieben. Sehr lange. Erst als sie wacher wurde,

spürte sie, daß sie wirklich auf ihm lag. Nackt! Und sie wußte, es war

kein Traum gewesen. Und er steckte noch in ihr. Zwar war er nichtmehr

so steif wie in der Nacht, aber ihr genügte es. Sie bewegte ihren

Unterleib und spürte mit Genugtuung, wie sich sein Glied wieder

versteifte. Als es wieder voll erblüht war, schob sie ihren Unterleib

hoch und runter. Davon erwachte er. Er sah sie lächelnd an, da

flüsterte er:

„So kannst du mich jeden Morgen wecken.“

„Wenn ich darf.“

„Du ja.“

„Mal sehen.“

Er fing erneut an zu stoßen. Doch sie stieg von ihm herab und zog ihn

mit sich, bis das er auf ihr lag. Sie hatte ihre Beine sehr weit

gespreizt und er wußte sofort wie sie es nun haben wollte. Er legte

sich auf sie und sie führte ihn sich erneut ein. Dachte sie nun daß er

nun richtig rammeln würde, da wußte sie Sekunden später, daß sie auf

dem Holzweg war. Zwar konnte er nun die volle Länge seines Schwanzes

benutzen, doch die ließ er nun ebenso langsam wie vorhin, in sie ein

und ausfahren. Sie wußte daß er nicht klein gebaut war. Und diese

Länge ließ sie erzittern. Einen Orgasmus hatte sie schon bekommen, da

flüsterte sie schließlich „schneller“. Und er wurde schneller. Das sie

aber davon so erregt wurde, das hatte sie sich nicht gedacht. Durch

seine schnellen und kraftvollen Stöße, schwamm sie von einem Orgasmus

zum nächsten. Endlich entlud er sich in ihr. Und es schien nicht

weniger als vorhin gewesen zu sein. Allerdings mußte er schon bald von

ihr herunter. Er war um einiges schwerer als sie. Als sein Penis aus

ihrer Scheide glitt, überflutete diese das Laken. Sie drehte sich zu

ihm hin und spürte sofort, wie es noch immer aus ihr heraus und nun

über ihr Bein aufs Laken floß.

„Vergiß meine Strumpfhose und mein Höschen.“, kicherte sie.

„Was?“, antwortete er verwirrt.

„Vergiß mein Höschen und die Strumpfhose. Wir müssen was anderes

waschen. Soviel konnte ich nicht in mir halten.“

Sie lachten. Dann aber fragte sie ihn, wie spät es sei. Er drehte

seinen Kopf zu seinem Nachttisch und sagte dann: Halb acht.

„Dann haben wir noch Zeit.“

Erneut küßte sie ihn.

„Nochmal?“, fragte er erstaunt.

Sie schüttelte den Kopf.

„Schmusen.“, flüsterte sie.

Und dies taten sie, bis das jemand am Bett stand.

 

 

 

In guten und in schlechten Tagen

Rosi war wachgeworden und spürte das warme weiche Fell an ihrem

Gesicht. Als Renana spürte, daß Rosi wach war, drehte sie ihren Kopf

zu ihr herum und gab ihr einen nassen Kuß. Rosi drückte sie dafür ganz

feste. Dann stand sie auf. Renana kam sofort mit ihr, da sie aus dem

Zimmer ging. Auf dem Gang überholte sie Rosi und versperrte ihr den

Weg nach unten. Doch sie wollte nicht nach unten, sie wollte zur Mama.

Und zu ihm. Daher ging sie hinüber ins das Zimmer, in dem Ulrich ihr

die schlafende Mama gezeigt hatte und hoffte, ihn dort auch zu finden.

Als sie ans Bett trat, sah sie die Beiden, wie sie sich gerade küßten.

„Morgen Schatz.“, sagte er, als er Rosi am Bett sah. Erschrocken

drehte sich Anastasia herum und hielt sich die Decke vor ihre nackten

Brüste.

„Darf ich zu euch ins Bett?“

„Aber sicher doch.“

Sie stieg aufs Bett und legte sich zwischen sie. So bekam sie von

beiden Seiten einen Morgenkuß. Sie kuschelten zu dritt. Und als

Anastasia später erneut fragte, wie spät es sei, da sagte er: viertel

nach neun.

„Dann wird es Zeit aufzustehen. Ich muß um eins im Laden sein.“

„Bis wann?“, fragte er.

„Bis um sechs.“

„Und Rosi?“

„Sie kann mitkommen. Der Filialleiter hat nichts dagegen, weil sie

immer so lieb ist.“

Die Mädchen standen auf und Ulrich sagte ihnen, daß sie sein Bad

benutzen sollten. Da wäre alles drin. Erst als sie im Bad waren, holte

er sich seinen Morgenmantel aus dem Schrank und ging nach unten. Eine

halbe Stunde später stand Rosi, frisch gewaschen und gekämmt unten im

Wohnzimmer. Er hatte noch tiefgefrorene Brötchen im Eisschrank gehabt.

Und die bekam Rosi von ihm vorgesetzt. Natürlich aufgetaut und warm.

Mit Salami und Fleischwurst. Dazu noch einen Kakao. Und Rosi aß mit

großem Appetit. Ulrich sah ihr dabei nachdenklich zu. Er wußte, daß er

sich Anastasia erklären mußte, sonst würde diese Nacht vielleicht auch

ihre letzte gewesen sein. Darum ging er hoch ins Bad. Anastasia stand

noch unter der Dusche. Er zog seinen Morgenmantel aus und kam zu ihr.

„He! Ich bin noch dran.“, sagte sie lachend, als er hinter ihr stand.

„Ich weiß, darum bin ich ja hier.“

„Ah, mein persönlicher Rückenwascher.“

„Nein.“

Sie drehte sich zu ihm herum und schaute ihn fragend an.

„Ich hab euch schon vorher gesehen.“

„Wie? Was meinst du?“

„An dem Tag. Ich hab euch schon bei den Elefanten gesehen.“

„Ja?“

„Ja. Und du hast mir da schon gefallen.“

Ihr Lachen erstarb.

„Ich wußte nur nicht, wie ich dich auf mich aufmerksam machen konnte.

Darin hatte ich doch keine Erfahrung. Und da kam mir Rosis Püppchen

gerade richtig.“

„Und warum bist du dann bei den Zebras so sang und klanglos

verschwunden?“

„Weil du verheiratet warst.“

„Wer? Ich? Wie kommst du darauf?“

„Weil Rosi „Mama“ zu dir gesagt hat.“

„Ach, und da hast du gedacht, ich wäre verheiratet?“

„Ja. Da dachte ich, daß es zwischen uns nicht gehen würde.“

„Und was denkst du jetzt?“

„Ich würde gerne mit dir zusammen sein.“

Anastasia schluckte. Das war es doch, was sie wollte. Nur wußte sie

nicht, wie man den Anfang macht. Aber nun schien er ihn zu tun. Sie

nickte.

„Willst du mit mir gehen? Ich weiß nicht ob das der richtige Spruch

ist. Aber in meiner Jugend sagte man das, wenn man mit einem Mädchen

zusammen sein wollte.“

Sie strich über sein Gesicht.

„Das sagt man auch noch heute und: ja“

Dann küßte sie ihn. Sehr lange. Schließlich aber wusch er ihr

tatsächlich ihren Rücken. Das machte sie anschließend bei ihm auch.

Nach dem Bad trockneten sie sich gegenseitig ab. Sie ließ ihn nicht

nur ihren Rücken abtrocknen. Doch da lächelte sie plötzlich.

„Was ist?“

„Du weißt, daß du die Maus auch nehmen mußt.“

Er nickte.

„Und du meinen Schatz.“

Sie nickte ebenfalls.

„Und?“

„Ich werd mich schon an sie gewöhnen.“

„Das glaub ich auch.“

Und dies geschah schneller als sie dachte. Denn als sie in sein Zimmer

kam, fand sie ihr Höschen nicht. Eigentlich mußte es noch im Bett

liegen, oder am Rand, falls es herausgefallen war. Doch sie fand es

nicht. Als sie ihn fragte, ob er es gesehen hätte, schaute er nur auf

ein Bild an der Wand. Auf ihn war Renana abgebildet. Anastasia folgte

seinem Blick, doch dann sah sie ihn erstaunt an.

„Nein, das glaub ich ja nicht. Sie klaut?“

„Auch.“

„Was denn noch.“

„Du wirst bestimmt noch oft über sie lachen.“

„Wenn du das sagst. Aber jetzt brauch ich mein Höschen. Ohne kann ich

nicht raus.“

„Hm. Wäre aber reizvoll.“

„Ach ja?“

„Ja.“

„Aber nicht, wenn ich noch arbeiten muß.“

„Stimmt. Könnte peinlich werden.“

„Und jetzt? Ich brauch ein Höschen.“

„Geh zu ihr und frag sie. Wenn sie sich vor dir auf den Rücken legt,

dann fühlt sie sich ertappt. Dann sag ihr sie soll dir zeigen wo dein

Höschen ist. Sie wird dich dann zu deinem Höschen führen und gibt es

dir. Mach schon. Keine Angst.“

Anastasia war nicht wohl zumute alleine mit der Katze zu sein. Aber er

hatte gesagt, daß sie es so machen solle. Also ging sie zu Renana und

fragte sie, ob sie ihr Höschen verschleppt habe. Als sich Renana da

vor ihr auf den Rücken legte, faßte sie Mut. Und wenig später hatte

sie auch ihr Höschen zurück. Während sie es anzog strich Renana an

ihren Beinen entlang. Da faßte sie all ihren Mut zusammen und ließ

ihre Hand herab. Und so fuhr diese kurz durch Renanas Rückenfell. Dann

aber ging sie nach unten.

„Und wo war es?“

„Was war wo?“, fragte Rosi.

„Renana hat der Mama ihr Höschen geklaut.“

„Ja?“, lachte sie.

„Ja.“

„Und? Wo war es?“

„Im letzten Zimmer. Unter dem Schrank.“

„Fertig?“

„Ja, mehr hat sie nicht geklaut.“

Sie lachten und Anastasia setzte sich neben Rosi aufs Sofa. Ulrich

brachte ihr Kaffee und die Brötchen. Sie war begeistert. Damit hatte

sie nicht gerechnet. Er krempelte in wenigen Stunden ihr Leben völlig

um. Abendessen, was sie zusammen gemacht hatten. Der Wein. Und jetzt

brauchte sie kein Frühstück zu machen, sie bekam es vorgesetzt. Das

war einfach nur lieb von ihm. Vielleicht wäre er dann doch das, was

sie sich gewünscht hatte.

Als es viertel vor zwölf war, mußte sie aufbrechen. Doch er sagte, daß

er sie fahren würde. Und so konnten sie noch einen Spaziergang durch

den Zoo machen. Zum Leidwesen von Rosi aber ohne Renana. Um halb eins

fuhren sie Anastasia dann zur Arbeit.

„Sehen wir uns heute abend?“, fragte er während der Fahrt plötzlich.

„Ja Mama.“, bettelte Rosi von Rücksitz aus.

„Wir brauchen aber was Frisches zum anziehen.“

„Das können wir doch mitnehmen.“

„Wir müssen die Blumen versorgen.“

„Das dauert doch nicht so lange.“

Er spürte, wie sie sich sträubte. Aber nicht richtig. Sie wollte

schon, aber nicht gleich alles. Und so kamen sie überein, daß sie nach

der Arbeit nach Hause gehen würden, und wenn sie fertig wären, dann

würden sie zu ihm in den Zoo kommen. Doch als sie an der Arbeit

ankamen, da fragte Rosi, ob sie bei ihm bleiben dürfe. Anastasia

nickte. Sie wußte doch von ihren Gefühlen zu Ulrich. Rosi fiel ihr um

den Hals und sie bekam einen dicken Kuß. Dann stieg sie aus und

verschwand durch den Personaleingang.

Ulrich fuhr los. Zunächst ziellos. Er wußte was er suchte, aber er

wußte nicht, wo er es finden konnte. In einer Straße sah er dann einen

Streifenwagen am Straßenrand stehen. Er hielt vor ihm, stieg aus und

ging zu den Beamten. Minuten später hatte er die gewünschte Auskunft.

Und mit ihr fuhr er eine halbe Stunde später auf den Hof eines

Autozubehörgeschäftes. Knapp eine Stunde später und gut 800 Mark ärmer

fuhr er wieder fort. Rosi saß stolz in ihrem Kindersitz, so, als wenn

sie das Auto steuern würde. Und jetzt konnte sie auch aus dem Fenster

sehen, ohne sich auf den Sitz zu knien.

Und jetzt?“, fragte sie ihn.

„Wir müssen noch einkaufen.“

„Was denn?“

„Alles. Ich hab doch nichts im Kühlschrank.“

„Bei Mama?“

„Hm. Ich geh lieber frische Sachen holen. Beim Bäcker oder Metzger.“

Mit Rosi im Sitz des hochbeladenen Einkaufswagens kam er eine Stunde

später aus dem Großmarkt. Sie fuhren zum Zoo und durften sogar bis ans

Haus fahren. Hier luden sie alles aus und brachten es in die Küche.

Während Rosi in der Halle mit Renana spielte, verstaute er alles in

den Kühlschrank und bereitete sogar schon das Abendessen vor. Die

Timer an Ofen und Mikrowelle kamen ihm dabei sehr zu gute. Und da er

sich schon sehr lange selbst verköstigte, kam er mit den Geräten auch

bestens zurecht. Da er mit Rosi unterwegs gesündigt hatte und mit ihr

in einem Burger King eingekehrt war, hatte Rosi keinen Hunger. Sie

sagte ihm aber auch, daß er es nicht Mama sagen dürfe. Besonders, weil

sie ihm etwas Cola geklaut hatte.

Um halb sechs fuhren sie zurück zum Geschäft. 5 vor sechs standen sie,

jeder einen Strauß Blumen in der Hand, vor dem Seitenausgang und

warteten auf Anastasia.

Als sie gegen 10 nach sechs aus dem Laden kam, stand Ulrich mit Rosi

vor ihr. Sie freute sich sehr, daß er sie abholte. Über Tage war es

noch kälter geworden und es hatte auch sehr heftig geschneit. Was sie

aber besonders freute, das waren die Blumen, die sie nun von Beiden

bekam. Und dafür bekamen beide auch einen dicken Kuß von ihr.

Allerdings fiel der an Ulrich anders aus als der, den sie ihrer

Tochter gegeben hatte. Als sie sich in den Wagen setzte und sich nach

hinten umdrehte, staunte sie. Er setzte Rosi gerade in einen

Kindersitz und schnallte sie an.

„Wo hast du den denn her?“

„Wir waren einkaufen.“

„Du bist verrückt.“

Als er schließlich neben ihr saß gab sie ihm einen Kuß.

„Danke.“

„Wofür?“

„Das du so fürsorglich bist.“

„Ist doch besser für sie.“

„Schon, aber du mußt nicht Geld für uns ausgeben.“

„Es ist doch sicherer für sie.“

Da der Verkehr sehr dicht war, kamen sie nur langsam voran.

„Kommt ihr zu mir?“, fragte er plötzlich.

„Das weißt du doch.“

„Bleibst du auch über Nacht?“

„Möchtest du das denn?“

„Ja.“

„Hm. Ich glaube, das läßt sich machen.“

„Und morgen?“

„Was ist mit Morgen?“

„Wie lange bleibt ihr?“

„Wie lange sollte ich denn bleiben?“

„Viel länger.“

„Bist du dir da sicher?“

„Ich weiß nicht?“

Sie sah ihn erstaunt an.

„Wie meinst du das?“

„Ich würde gerne jede Sekunde mit euch zusammen sein. Aber ich habe

das Gefühl, das ich dich damit einenge.“

„Einenge?“

„Ja. Du hast dann kein eigenes Leben mehr.“

„Willst du mit mir zusammen sein?“, fragte sie mit einem irritierenden

Unterton in ihrer Stimme.

„Ja.“

„Für wie lange?“

„Wenn es nach mir geht, für immer.“

„Ich möchte nicht noch ein uneheliches Kind.“

„Das kann man verhindern.“

„Ich bin keine 40. Ich möchte schon noch ein Kind haben.“

„Das meine ich nicht.“

„Ah, du meinst du würdest mich“

„Heiraten? Ja.“

„Dann mußt du mich aber erst fragen.“

„Würde ich ja. Aber ist das nicht zu früh?“

„Nun, zwischen der Frage und der Hochzeit liegen bestimmt mehr als 4

Stunden.“

Lachend sagte er: „Ja, das denke ich auch. Aber dennoch. Wäre das

nicht zu früh? Wir sind keinen Tag zusammen.“

„War es bei dir Liebe auf den ersten Blick?“

„Ja.“

„Bei mir auch. Was hindert dich dann?“

„Die Angst dich zu bedrängen. Du hättest kein eigenes Leben mehr.“

„Und wenn ich das möchte?

„Wie?“

„Wenn ich mit jemanden zusammen sein möchte, dann will ich mit ihm

zusammen sein und nicht nur hin und wieder. Wie heißt es bei der

Hochzeit? In guten und schlechten Tagen? Wenn es im Jahr nicht gut

läuft, wieso sollte ich alleine in Urlaub fahren? Wenn es tagsüber

klappt, wieso sollte ich dann nachts alleine schlafen? Es ist doch

viel schöner abgeholt zu werden, als erst noch eine halbe Stunde

laufen zu müssen, bevor ich dich endlich sehe.“

Das leuchtete im irgendwie ein. Obwohl sie es ihm mit irrwitzigen

Ideen erklärt hatte. Sie wußte nicht, wie sie es ihm erklären konnte.

Scheinbar wollte er sie und sie wollte ihn. Was stand, sah man von der

veränderten Situation und dem Sprung ins Ungewisse ab, dazwischen?

Jedenfalls wußten nun beide, daß der Andere ihn wollte. Und seit

diesem Moment wartete sie sehr ungeduldig auf seinen Antrag.

 

Weihnachten

Seit jenem Samstag waren die Tage kürzer und die Nächte länger

geworden. Sie hatten seit dem Samstag keine Nacht mehr zu Hause

geschlafen. Bereits am Sonntag hatte sie die Blumen zu ihm gebracht.

Ebenso das meiste von ihrer und Rosis Kleidung. Und die Spiele. Und so

spielte Rosi mit Renana bis zum Abendessen und spielte nach dem Essen

mit ihnen. Nun kam er ebenfalls in den Genuß von Rosis Lachen, wenn

sie ihn oder ihre Mutter beim „Mensch ärgere dich nicht“ herausschmiß.

Und er freute sich über ihr Lachen ebenso wie Anastasia. Jeden Tag

fuhr er sie zur Arbeit und holte sie auch ab. Rosi brachte er zum

Kindergarten. Und entweder holte er sie ab und sie fuhren danach zu

Anastasias Arbeit, oder erst zu Anastasia und dann zum Kindergarten.

Nachts schliefen sie miteinander. Bis auf die Woche vor Weihnachten,

da Anastasia ihre Tage hatte. Anfänglich hatte sie Angst, daß Renana

ihr Blut roch und sie doch noch verspeisen würde. Aber dem war nicht

so, da sie nach ihrer Periode noch lebte. Die Beziehung zu Renana

wurde deutlich besser. Besonders seit jener Nacht, als Rosi mitten in

der Nacht zu ihnen ins Bett kam. Morgens wachten sie frierend auf. Nur

Renana und Rosi nicht. Denn die lagen unter der Decke. Jeder von ihnen

wußte, wer ihnen in der Nacht die Decke geklaut hatte. Und Anastasia

schimpfte sogar mit Renana, lachte aber dann auch. Schließlich kam

Renana auch zu ihr und eines Morgens blickte sie statt in Ulrichs

Gesicht in Renanas Augen. Eine nasse Zunge über ihr Gesicht besiegelte

ihre Freundschaft. Seit dem Tag hatte sie keine Angst mehr. Und so

wurden sie eine große Familie, ohne Trauschein. Allerdings wartete sie

jeden Tag darauf, daß er es ändern würde. Und sie wußte: der Tag würde

kommen.

Eine Woche vor Weihnachten wurde die Weihnachtsfeier im Zoo

abgehalten. Es war der letzte Freitag vor den Festtagen. Anastasia

sträubte sich anfangs mit Rosi ebenfalls daran teilzunehmen. Sie

gehöre doch nicht dazu. Erst als er ihr sagte, daß alle ihre Familien

mitbrachten, und dazu zählten auch Partner und Verlobte, sowie auch

die Kinder, erst da stimmte sie zu. Die Feier wurde in der großen

Kantine abgehalten. Dort hatte man einen großen Weihnachtsbaum

hineingestellt und ihn festlich geschmückt. Darunter lagen haufenweise

Pakete für die Kinder. Die gab es aber erst nach dem Essen. Als sie im

Arm von Ulrich eingehakt und Rosi auf ihrem Arm habend eintraf, wurde

sie vom Zoodirektor begrüßt, als wenn sie zum Personal gehören würde.

Das hatte Anastasia nicht erwartet. Jedenfalls nicht hier in

Deutschland. Sie war sehr glücklich darüber. Sogar Rosi begrüßte er.

Nach und nach lernte sie die einzelnen Personen kennen. Und sie

wunderte sich, daß Ulrich alle mit Namen kannte.

„Du weißt doch, einmal gelesen und ich hab den Stoff behalten. Und so

geht es mir auch mit Menschen.“

Aber am meisten freute sie sich, als er ihr Dr. Menarchos samt Familie

vorstellte. Durch ihn konnte sie nach so langer Zeit wieder griechisch

reden. Zwar tat sie dies mit Rosi auch oft, aber es war noch nicht so

fließend, wie mit ihm. Und auch mit seiner Frau und den beiden Mädchen

konnte sie sich unterhalten. Sie waren 12 und 15. Und sie waren, wie

Rosi auch, zweisprachig aufgewachsen. Anastasia fühlte sich wie im

Himmel. Wenn Ulrich sich nur nicht so lange mit der einen Frau

unterhalten hätte. Es schien ihr, als das ihr Gesprächsthema ein

anderes wurde, als sie dazu kam. „Ernst“ hieß die Frau und war etwa 50

Jahre alt. Sie konnte sich nicht vorstellen, das zwischen ihnen was

laufen würde. Sie könnte ja seine Mutter sein. Dennoch verstummte ihr

Gespräch, als sie in der Nähe war. Fragen wollte sie ihn nicht. Sie

hätte sich mit Sicherheit blamiert. Und da es nach einer halben Stunde

auch vorbei war, dachte sie, daß es sich um etwas Zoointernes

gehandelt haben müsse. Schließlich setzen sie sich an den langen Tisch

und aßen. Es war sehr lecker. Sogar Rosi mußte den Nachtisch in sich

hineinstopfen, weil sie vorher so viel gegessen hatte. Aber schlecht

wurde ihr nicht. Nach dem Essen wurden Weihnachtslieder gesungen.

Danach gab es die Geschenke für die Kinder. Rosi bekam einen kleinen

Plüschelefanten. Und darüber freute sie sich sehr. Dann wußte der

Weihnachtsmann ja doch, wie sehr sie die Elefanten liebte. Woher nur?

Es war schon dunkel als sie den Heimweg antraten. Rosi war auf seinem

Arm und Anastasia hatte sich in den anderen eingehangen. So stiefelten

sie durch den verschneiten Zoo. Vorbei am Eisbärengehege, wo Anastasia

ihm einen leisen Stoß gab, gingen sie nach Hause. Renana wartete schon

sehnsüchtig auf die drei. Als Anastasia die innere Türe öffnete, stand

sie bereits da. Und als Ulrich mit Rosi auf dem Arm eintrat, sprang

Renana an ihm Hoch und schlabberte Rosi ab. Anastasia lächelte nur.

Sie wußte mittlerweile nur zu gut, daß sich die Beiden bestens

verstanden und Renana sehr gut auf ihren Schatz aufpaßte. Ihre

anfängliche Angst verfluchte sie mittlerweile fast täglich. Sie

alleine war schuld daran, daß sie beinahe nicht zusammengekommen

wären. Zwar hatte sie gute Gründe dafür gehabt, aber heute lachte sie

nur noch darüber. Ulrich brachte Rosi nach oben und zog sie aus,

während Renana schon im Bett wartete. Anastasia hatte unterdessen in

der Küche eine Flasche Wein geöffnet. Nachdem sie Rosi noch einen Gute

Nacht Kuß gegeben hatte und Renana über den Kopf gestreichelt hatte,

nicht ohne ihr zu sagen, das sie gut auf sie aufpassen solle, ging sie

in ihr Schlafzimmer. Sein Schlaf und Arbeitszimmer war nun auch ihr

Schlafzimmer geworden. Sie genoß die Größe seines Bettes, obwohl sie

ihre Hälfte noch nie benutzt hatte. Jedenfalls nicht, um auf der

Hälfte zu schlafen. Denn sie lag jede Nacht in seinen Armen. Und

obwohl es so wieder enger wurde, würde sie darauf nicht verzichten

wollen. Sie zog sich aus und behielt nur Höschen und Top an. Wenn es

im Wohnzimmer zu kalt werden würde, dann wußte sie, daß sie gewärmt

werden würde. Ungefragt. Denn er spürte immer wenn sie fror. Und er

wärmte sie sehr gut. Und so ging sie hinunter ins Wohnzimmer. Er hatte

bereits den Kamin angezündet. Und als sie eintrat, verbreitete er

bereits eine angenehme Wärme. Doch sobald das Holz heruntergebrannt

war, da würde er sie wärmen. Und darauf freute sie sich mehr als über

das Feuer im Kamin. Und so wurde dieser abend wieder ein sehr

romantischer Abend.

Zwei Tage vor Weihnachten machte er die letzten Besorgungen. Rosi war

zu Hause geblieben und spielte mit Renana. Anastasie würde bis 16 Uhr

arbeiten müssen. Und so hatte er mit Rosi gegessen und war dann

losgefahren. Der Kofferraum war hoch voll. Die Geschenke stapelten

sich dort. Der Weihnachtsbaum würde morgen geliefert werden.

Ausgesucht hatte er ihn schon. Morgen würde er geschlagen werden und

gegen Nachmittag bei ihnen sein. Lichterketten und Kugeln hatte er

schon im Versteck. Ebenso die Naschereien für die Teller. Aber das

Wichtigste waren die Geschenke. Kleidung und Spiele für Rosi,

Kleidung, Parfüm und Schmuck für Anastasia. Darunter ein besonderes

Stück.

Sie hatte lange überlegt. Aber was sollte sie ihm schenken. Sie hatte

doch kein Geld. Nun, Geld hatte sie schon, weil sie seit drei Wochen

nichts ausgeben mußte. Und davon war das meiste für die Geschenke für

ihre Maus draufgegangen. Schließlich aber wußte sie was es werden

sollte. Und davon einige Variationen.

Rosi hatte es da einfacher. Sie hatte von Mama ihr Geschenk für ihn,

und von ihm ihr Geschenk für die Mama bekommen.

Renana war die einzige, die kein Geschenk hatte. Aber das war auch

abzusehen. Was sollte sie ihnen auch schenken können?

Heiligabend: Während einige Mitarbeiter bei ihm den Weihnachtsbaum

aufstellten und er ihn schmückte, plantschten die Mädchen in der

großen Wanne seines Bades. Er schaffte es, den Baum fertig zu

schmücken, noch bevor die Beiden fertig waren. Und da ihre Kleider auf

seinem Bett lagen, brauchte Rosi nicht zu sich hinüber um sich

anzuziehen. Er hatte gerade das letzte Geschenk unter dem Baum gelegt,

da riefen sie von oben herab, daß sie fertig wären. Er ging nach oben

und nahm Rosi auf den Arm. Anastasia mußte ihre Augen schließen und

ging, am Handlauf und in seinem Arm, die Treppe hinunter. Erst als sie

vor dem Baum standen, durften sie schauen. Und was sie da sahen,

verschlug ihnen die Sprache. Vor ihnen stand ein gut 5 Meter hoher und

sehr dichter Baum. Da das Licht aus war, strahlten seine Kerzen im

Raum. Die Freude über diesen Baum war ihnen anzusehen. Schließlich

ließ er Rosi herab und sie durfte die Geschenke verteilen. Zuerst

verteilte sie ihre Geschenke für Mama und Ulrich. Und ihre Aufgabe als

Weihnachtsmann schien ihr viel Freude zu machen. Als nächstes

verteilte sie die restlichen Geschenke Und da sie die meisten

Geschenke bekam, dauerte es bei ihr am längsten. Sie freute sich über

jedes Teil.

Woher hast du ihre Größe gewußt?“, fragte Anastasia, als Rosi das neue

Kleidchen anzog.

„Steht in ihrem Kleid drin.“

„Aha, dann weiß ich auch, woher du meine Größe wußtest.“

Lachend nickte er.

Rosi durfte an dem Abend sehr lange aufbleiben. Aber als es halb elf

war, wurde sie schließlich doch müde. Anastasia brachte sie hoch und

ins Bett. Dann ging sie wieder hinunter. Auf der Treppe begegneten sie

sich. Er ging hoch und wünschte der kleinen Maus noch eine gute Nacht.

Und Rosi gab ihm einen dicken Kuß. Als er wieder hinunter kam, stand

Anastasia im Eingang zum Wohnzimmer.

„Du bist verrückt.“, sagte sie mit Tränen im Gesicht und fiel ihm um

den Hals.

Sie hatte die Geschenke für sich auf dem Tisch gesehen. Geschenke, die

nicht unter dem Baum gelegen hatten. Es waren nur drei Päckchen. Aber

die Größe sagte ihr, daß es für ihn sehr wichtige Geschenke waren.

Aber eines hatte sie ja auch noch für ihn. Sie setzten sich im Schein

der Kerzen und des Kaminfeuers auf das Sofa. Er gab ihr ein Glas und

sie stießen an. Dann gab sie ihm eine Rolle. Als er sie auspackte, war

er sprachlos. Unten war zu lesen: In Liebe Anastasia Rosi und Renana.

Jeder hatte unterschrieben. Rosi in unbeholfener Schrift, und Renana

mit einem Pfotenabdruck. Es war ein Bild von den dreien in

Posterformat. Und er wußte sofort, daß er dafür einen sehr schönen

Rahmen besorgen würde. Dann gab er ihr das erste Päckchen. Es war

jenes, mit dem Parfüm. Chanel Nr.5. Sie kannte es nur vom Namen her.

Doch der Duft gefiel ihr sofort. Im nächsten war eine Halskette mit

einem herzförmigen Anhänger. Als sie ihn öffnete, schauten ihr Rosi

mit Renana auf der einen, und er mit Rosi auf der anderen Hälfte

entgegen. Erneut füllten sich ihre Augen mit Wasser. Und im letzten

Päckchen waren wunderschöne Ohrringe.

„Du sollst doch nicht so viel für mich ausgeben. Das bin ich doch

nicht wert.“

„Oh doch. Noch viel mehr.“

„Danke.“

Sie küßten sich sehr lange. Schließlich tranken sie einen Schluck und

er schlug sich gegen die Stirn.

„Was ist? Hast du was vergessen?“

„Ja. Ist aber nur eine Kleinigkeit.“

„Was denn?“

„Das hier.“

„Für die Maus?“

Er wühlte in der Hosentasche, dann in der anderen. Als er mit der Hand

herauskam, war da ein kleines Kästchen. Er hielt es ihr hin und

öffnete es.

„Nein, für dich. Willst du meine Frau werden?“

Als sie den Inhalt des kleinen Kästchens sah, schlug sie ihre Hände

vor den Mund. Dann sah sie ihn an.

„Ja.“, heulte sie. Dann fiel sie ihm um den Hals und überschüttete ihn

mit Küssen.

Als Rosi nach ihnen rief schauten sie sich erstaunt an. Ein Blick auf

die Uhr sage ihnen, daß sie die ganze Nacht über geredet und geschmust

hatten. Lachend gingen sie nach oben und Anastasia sah erneut, wie gut

Renana auf ihren Engel aufpaßte. Denn sie ließ sie nicht an die Treppe

heran, obwohl sie ihr schon entgegen kamen. Und oben streichelte

Anastasia Renana und dankte ihr, daß sie so gut auf ihr kleines

Mädchen aufpaßte.

Hatte sie am ersten Tag eine große und dicke Mauer zwischen Renana und

sich aufgebaut hatte, so war diese nun mehr als löchrig. Und Freunde

waren sie mittlerweile auch schon. Aber das sie vollends zu Staub

zerfiel, als wäre sie nie vorhanden gewesen, das hatte eine andere

Ursache. Und diese Ursache geschah am zweiten Weihnachtstag gegen halb

eins mittags. Sie wollten im Restaurant essen gehen. Rosi stand

draußen unten an der Treppe. Renana saß oben und schaute zu ihr

herunter. Anastasia und Ulrich neben ihr und knöpften gerade ihre

Mäntel zu. Da horten sie ein lautes Knacken. Ehe sie reagieren

konnten, sprang Renana mit einem Satz die Treppe hinunter und Rosi an.

Sie fiel mit Renana in den Schnee und rutschte mit ihr noch einen

Meter weiter. Bevor Anastasia reagieren konnte, krachte ein schwerer

Eiszapfen auf die Stelle, wo noch Sekunden zuvor ihre Tochter

gestanden hatte. Erst als sie sich gefangen hatte, rannte sie zu den

Beiden hin. Renana saß im Schnee und Rosi umarmte ihren Hals.

Anastasia griff sich Rosi und drückte sie an sich. Dann umarmte sie

Renana. Beide bekamen von ihr mehr Küsse als sonst. Und zu Renana

flüsterte sie immer wieder „Danke“. Als Ulrich bei ihr stand sagte

sie:

„Jetzt glaub ich dir.“

Ulrich wußte sofort, was sie damit meinte. Und als sie essen gehen

wollten, rannte Anastasia ins Haus zurück. Erstaunt sahen die Beiden

sie wenige Sekunden später mit Halsband und Leine wieder zu Renana

kommen. Sie streifte Renana das Halsband über, hakte die Leine ein und

schaute Ulrich an.

„Wenn meine große Tochter mit uns essen geht, dann kommt meine Kleine

auch mit.“

„Sicher?“

„Ja. Jetzt ja.“

Und so gingen sie zu viert essen.

 

Lebensgeschichten

Ulrich war während des letzten Satzes aufgestanden und räumte das

Geschirr zusammen. Anastasia schälte sich mühsam aus dem tiefen Sessel

und half ihn dabei. Sie brachten alles in die Küche und gingen wieder

ins Wohnzimmer. Anastasia setzt sich wieder in den Sessel und versank

sofort in ihm. Aber er war stehengeblieben.

„Ach ja, was ich dich fragen wollte.“

„Ja?“

„Anastasia ist doch eigentlich ein Name, der in Rußland vorkommt. Aber

du bist keine Russin.“

„Nein.“

„So wie du aussiehst, kommst du aus dem Mittelmeerraum. Griechenland?“

„Ja.“

„Na, als Griechin trinkst du doch bestimmt ein Glas Wein. Oder?“

„Nicht unbedingt. Die meisten sind, nun, wie soll ich sagen? Sie sind

mir zu sauer.“

„Dann magst du lieber süßen Wein?“

„Ja.“

„Da hab ich was für dich.“

Er drehte sich zum Schrank herum und entnahm ihm zwei wunderbare

Weingläser. Das eine stellte er vor sie hin, das andere ans andere

Ende des Tisches. Dann ging er in die Küche. Anastasia war mehr als

erstaunt über die Platzwahl der Gläser.

„Ist was?“, rief sie ihm nach.

„Wie meinst du das?“

„Na, es ist unmöglich, die Gläser noch weiter auseinanderzustellen. Es

sei denn ich geh in die Halle und du in die Küche.“

Lachend kam er aus der Küche, nahm ihr Weinglas und stellte es etwa 40

cm neben seines.

„Besser so?“

Sie lachte nur.

Und während er in der Küche den Wein öffnete, kletterte sie aus dem

Sessel und setzte sich vor ihr Glas.

„Augen zu.“, rief er plötzlich aus der Küche und sofort schloß sie

artig ihre Augen.

Er kam zum Sofa und füllte den Wein in die Gläser. Die Flasche stellte

er auf den Boden am Ende des Sofas. Dann setzte er sich neben sie.

Sie hörte den Wein in die Gläser laufen. Dann spürte sie einen

leichten Druck an ihrer Seite. Er hatte sich neben sie gesetzt. Er

bewegte sich noch etwas, dann flüsterte er: „Augen auf“. Sie blinzelte

noch etwas, dann sah sie das Weinglas vor sich. Sie nahm es aus seinen

Händen. Nachdem sie angestoßen hatten, führte sie das Glas an ihren

Mund. Doch dann stutzte sie. Den Geruch kannte sie. Erstaunt sah sie

ihn an.

„Maphne Daphne?“

„Of Patras.“

„Wie bist du daran gekommen? Ich hab schon so lange danach gesucht.“

„Dr. Menarchos bringt ihn mir mit. Er wohnt drüben auf der anderen

Rheinseite. Da gibt es einen griechischen Laden. Der hat den.“

Und während sie einen großen Schluck nahm und dabei ihre Augen schloß,

schaute er sie nur an. Es war für sie wie ein Stück Heimat. Sie

erinnerte sich an die winzigen Mengen, die ihr Vater ihr abgegeben.

Nein! Daran wollte sie nicht denken. Tränen rannen ihr über das

Gesicht.

„He, So schlimm?“

Er nahm einen Schluck und stellte fest, daß der Wein doch sehr süß

war.

„Er ist doch nicht sauer.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Was dann?“

„Das ist eine lange Geschichte.“

„Wir haben Zeit.“, flüsterte er.

Es dauerte dennoch eine Weile, bis das sie soweit war, ihm alles zu

erzählen. Doch dann begann sie.

Sie erzählte ihm, daß sie mit 14 zu ihrer Tante und deren Tochter nach

Deutschland gekommen war. Hier hatte sie dann eine Ausbildungsstelle

als Hotellfachangestellte begonnen. Anfangs war auch alles in Ordnung.

Da sie sehr gut Deutsch sprach, kam sie auch sehr gut mit. Dann aber,

sie war schon 15, fast 16, da ging sie mit ihrer Cousine zum Karneval.

Und Rosenmontag stürzten sie sich ins Getümmel. Natürlich gingen sie

auch in mehrere Diskotheken. Und in einer waren sie dann hängen

geblieben.

„Da war dann ein Typ. Er sah nicht schlecht aus, aber keiner um sich

zu verlieben. Aber er war nett, hörte mir zu wenn ich redete und er

konnte sehr gut tanzen. Zumal er mir auch immer etwas ausgab. Pina

Colada.“

„Hm, kenn ich. Mag ich auch sehr gerne.“

„Dann weißt du ja wie der reinhaut.“

„Oh ja!“

„Ich weiß nicht genau was dann passiert ist. Nur Bruchstückhaft. Ich

weiß noch, daß er mit mir in einem Gang gewesen ist. Da waren kleine

Schränkchen, auf denen allerlei Prospekte oder so lagen. Auf eines hat

er mich gesetzt und fing gleich an zu fummelt. Ich hab das gar nicht

so richtig mitbekommen. Auch nicht, als er mir die Strumpfhose im

Schritt zerrissen hat. Erst als er in mich eindrang hab ich einen

Schmerz gespürt. Aber ich war zu voll um mich zu wehren. Dann ging

alles sehr schnell. Er war fertig und hob mich wieder herunter. Dann

waren wir wieder im Lokal. Er setzte mich auf meinen Platz und seitdem

hab ich ihn nie wieder gesehen. Das einzige Andenken an ihn tobt da

draußen mit der Katze rum.“

Während ihrer Erzählung hatte sie wieder zu weinen begonnen. Ulrich

hatte deshalb seinen Arm um sie gelegt.

„Nun, bis auf das was in der Disko passiert ist, ist das kein Grund so

zu weinen.“

„Du weißt noch nicht alles.“

„Noch mehr?“

Sie nickte.

„Als ich wußte, daß ich schwanger war, hab ich natürlich Angst

bekommen. Aber ich wußte doch nicht, was ich machen sollte. Ich war

damals 15. Schließlich konnte ich es nichtmehr verheimlichen. Jeder

konnte es sehen. Ich habe Rosi gehaßt. Ich wollte sie zur Adoption

freigeben. Aber als ich ihre Stimme hörte, sie auf meiner Brust

spürte, da hab ich beschlossen sie zu behalten. Sie war so süß. Und

sie ist es noch immer. Ich liebe sie. Obwohl ich sie während der

Schwangerschaft gehaßt hatte. Aber seit ihrer Geburt liebe ich sie.

Verstehst du jetzt, wieso ich solche Angst habe, wenn sie mit Renana

spielt?“

Er nickte.

„Und wie ging es weiter?“

Er griff nach seinem Glas und Anastasia tat es auch.

„Oh, leer.“

„Warte.“

Er ging in die Küche und brachte eine neue Flasche mit und goß ihr

Glas voll. Dann tranken sie.

„In den ersten Jahren wohnten wir bei meiner Tante und meine Cousine.

Ich konnte meine Ausbildung beenden. Doch als ich eine Anstellung

suchte, mußte ich ja auch angeben, ob ich Kinder hätte. 17 Jahre und

ein Kind? Da wollte man mich nicht haben. Die Gefahr, wegen

Kinderkrankheiten zu oft zu fehlen, war den einen zu groß. Und die

Anderen wollten mich erst testen.“

„Wie gut du bist?“

„Ja, aber im Bett.“

„Was?“

„Ja. Einige haben mir sogar ins Gesicht gesagt, das ich mit ihnen

bumsen müsse, damit ich in die engere Auswahl komme. Da bin ich dann

gleich weg. Aber von irgendwas mußten wir ja leben. Drei Jahre ging es

einigermaßen. Ich hab überall gejobbt. Als Kellnerin, auf dem

Großmarkt. Meine Cousine war mittlerweile nach Paris gegangen und

meine Tante wollte wieder zurück nach Griechenland. Also hab ich alle

Stellenangebote durchsucht. Und so bin ich beim ALDI hängengeblieben.

Der Verdienst ist nicht gerade berauschend, aber wir kommen über die

Runden.“

„Konnten deine Eltern dir nicht helfen?

Jetzt heulte sie richtig los.

„Ich habe es versucht, als ich noch schwanger war. Kannst du dir

vorstellen, was das für meinen Vater bedeutete? Seine Tochter und ein

uneheliches Kind? Nicht verheiratet? Für ihn war ich eine Nutte. Darum

hat er mich verstoßen.“

„Verstoßen?“

„Ja. Ich habe keine Eltern mehr.“

Sie drückte sich fest an ihn und heulte auf sein Hemd. Doch plötzlich

richtete sie sich ruckartig auf. Ihr Blick war eiskalt und die Tränen

versiegten.

„Lassen wir das. Ich bin zufrieden mit dem was ich bin und was ich

habe. Aber jetzt hab ich eine Frage an dich.“

„Ja?“

„Ja. Ich hab damals im Zebrastall gehört, das du erst 23 bist.“

„Ja, das stimmt.“

„Kannst du mir mal sagen, wie du das geschafft hast?“

„Was? 23 zu werden?“

Sie lachte auf.

„Nein. Du bist 23 und Chef der Tierklinik. Und du bist Tierarzt. Wie

hast du das geschafft in der kurzen Zeit?“

„Ach kommt jetzt meine Lebensbeichte?“

„Ja.“

„Na gut. Zuhause aufgewachsen, dann Schule.“

„Warst du ein guter Schüler?“

„Leider.“

„Wieso leider?“

„Ich war so gut, daß ich die zweite Klasse übersprungen habe. Darum

bin ich schon mit neun ins Gymnasium gekommen. Und da hab ich dann

auch ein paar Klassen übersprungen. Jedenfalls kam ich mit 15 raus.“

„Mit Abitur?“

„Ja.“

„Wie hast du das geschafft?“

„Da muß ich wieder zurückgehen. Ich wußte schon in der Grundschule,

daß ich Tierarzt werden wollte. Mehr noch. Ich wollte hier in den Zoo

und ich wollte hier Boß werden. Und dafür hatte ich zwei

Möglichkeiten.“

„Und die waren?“

„Ich konnte schon immer sehr schnell lernen und auch begreifen.

Teilweise hab ich mir aus Büchern schon Dinge angeeignet, die erst

viel später durchgenommen wurden.“

„So hast du die Klassen überspringen können. Du bist Autodidakt.“

„So ist es.“

„Und die Möglichkeiten?“

„Nun, ich hatte die Möglichkeit zwischen Schule, Wein, Weib, Gesang

und Arbeit, oder Schule, Schule, Schule, Arbeit, Arbeit.“

„Wie meinst du das?“

„Ich hätte ganz normal leben können. Wie die meisten Jungen. Ich wäre

mit Mädchen ausgegangen oder hätte in einer Gruppe rumgehangen. Wäre

brav in die Uni gegangen und so mit 26 hätte ich meinen Abschluß

gemacht. Mit 30 vielleicht Oberarzt, mit 40 stellvertretende Leitung

und vielleicht mit 45 Chef.“

„Und der andere Weg?“

„Nichts davon. Nur Schule und Arbeit. Schon während dem Gymnasium hab

ich hier im Zoo geholfen. Schließlich bin ich dann mit Professor Rüter

zusammengekommen. Er hatte hier die Leitung der Tierklinik. Und mit

ihm bin ich dann oft im Zoo rumgegangen. Hab ihm zugesehen, wie er die

Tiere versorgt und gelernt, wie man was erkennt. Was ich nicht wußte,

hab ich mir angelesen. Er hat schnell gemerkt, daß ich mit Leib und

Seele dabei war. Und während meines Studiums hab ich jede freie Minute

hier verbracht. Das kam dann sogar soweit, daß ich mit dem

diensthabenden Arzt hier am Wochenende gearbeitet habe.“

„Und dann hast du dich hier beworben?“

„Ja. Als ich 18 war.“

„Aber da warst du doch noch nicht fertig.“

„Ja, aber nur der frühe Vogel fängt den Wurm. Jedenfalls hab ich jedes

halbe Jahr eine Bewerbung abgeschickt. Und immer eine Absage bekommen.

Als ich dann fertig war, kam die Zusage.“

„Wie alt warst du da?“

„22. Doch ein halbes Jahr später wurde er krank und knapp ein halbes

Jahr später schied er aus.“

„Und wie bist du hier Chef geworden?“

„Das hab ich ihm und meinen Kollegen zu verdanken.“

„Wie das denn?“

„Er hat eine Konferenz einberufen, ohne mich. Und da hat er sie

gefragt, wer von ihnen seine Nachfolge antreten möchte. Da ist Dr.

Grams aufgestanden und hat gesagt, daß wohl jeder von ihnen das gerne

machen würde. Er auch. Aber er würde mich lieber auf dem Posten sehen.

Ich hätte ein Händchen für die Tiere. Die anderen waren seiner Meinung

und so wurde ich sein Stellvertreter und während seiner Krankheit dann

kommissarischer Leiter. Und als er Ausschied bekam er seine

Ehrenurkunde. Und dann sagte er, daß er einen würdevollen Nachfolger

gefunden hätte. Dann hat er mich nach vorne gezerrt und ich habe meine

Anstellung als Leiter der Tierklinik bekommen.“

„Und was war mit „Wein, Weib und Gesang?“

„Nichts davon.“

„Wie meinst du das?“

„Wenn du küssen und Händchen halten mit einbeziehst, dann bin ich in

jeder Beziehung noch Jungfrau.“

„Was?“

„Ja.“

„Aber.“

„Was aber? Hätte ich den anderen Weg eingeschlagen, dann wäre ich

wahrscheinlich mit 30 verheiratet. Und wenn ich hier Chef werden

wollte, dann hätte ich Dienste machen müssen bis zur Vergasung. Und

das hält keine Ehe aus. Also wäre ich mit 40 bestimmt schon

geschieden. Jetzt bin ich 23. Ich habe alles erreicht was ich mir

vorgenommen hatte. Jetzt kann ich leben. Ich kann in Urlaub fahren.“

„Wann warst du eigentlich das letztemal im Urlaub gewesen?“

„Jetzt gerade.“

„Nein.“, lachte sie, „Davor.“

„Das war ich, hm, 12? 12 oder 13. Mit meinen Eltern zwei Wochen in

Bayern.“

„Was?“

„Ja. Entweder oder. Ich habe oder gewählt. Und ich weiß, daß es

richtig gewesen ist.“

Er schüttete ihr leeres Glas erneut voll und sie tranken. Sie

unterhielten sich noch sehr lange über ihre Lebensgeschichten. Hatten

zu dem ein und anderen noch Fragen. Plötzlich zuckte Anastasia

zusammen und schaute in die Diele.

„Was ist?“

„Ich hör sie nicht.“

„Kein Wunder. Rosi schläft schon seit anderthalb Stunden.“

„Was!?“

Ungläubig schaute sie ihn an.

„Wie spät ist es denn?“

„10 vor 12.“

„Was!“

„Ja.“

„Wir müssen nach Hause.“

„Also fahren kann ich euch leider nicht. Aber ich ruf euch ein Taxi.“

„Nein, das können wir uns nicht leisten.“

Bevor er etwas sagen konnte, wußte sie schon was er sagen würde.

„Ich will nicht, daß du das Taxi bezahlst. Wir können laufen.“

„Laufen? Bei dem Wetter?“

„Wie bei dem Wetter?“

„Da, schau hin.“

Er zeigte auf die kleinen Monitore, welche in der Ecke auf dem Schrank

standen. Sie hatte sie zwar schon gesehen, hatte aber die ganze Zeit

über nicht auf sie geschaut. Und im Schein der Lampen draußen sah sie

auf den Monitoren nur weiß.

„Was ist das?“

„Schnee.“

Das glaub ich nicht.“

„Anastasia sprang auf und fiel gleich wieder aufs Sofa zurück.

„Komm, ich helf dir.“

Er zog sie an der Hand hoch und ging mit ihr in die Küche. Als sie

dort aus dem Fenster sah, sah sie dicke Schneeflocken und ein weißes

dickes Lacken aus Schnee auf alles was draußen war.

„Da kannst du nicht durch. Jedenfalls nicht mit der Maus auf dem Arm.“

„Und jetzt?“

„Komm mit.“

Er ging in die Diele und sie sah Rosi auf Renana liegen, ihre Arme um

sie geschlungen. Als sie vor ihnen standen schaute Renana sie an. Da

ging er in die Hocke und nahm Rosi auf dem Arm. Anastasia glaubte, das

Rosi wußte wer sie da hochnahm. Denn sie drückte sich sofort an seine

Brust.

„Ja, du auch.“, sagte er zur Katze und sie stand auf.

Er ging die Treppe hoch und sagte Anastasia, sie solle mitkommen. Als

sie oben ankamen ging er zum zweiten Durchgang. Dort machte er Licht

und Anastasia schluckte. Das Zimmer war eindeutig ein Schlafzimmer.

Ein Schlafzimmer mit einem großen Doppelbett und Nachttischchen an

jeder Seite, einem großen Schrank, einem kleinen Tisch und zwei

Stühlen. Und es war riesig.

„Zieh die Decke runter.“

Wie in Trance kam sie seiner Aufforderung nach, da legte er Rosi schon

ins Bett. „Renana“, kam in diesem Moment aus Rosis Mund. Er sah zur

Katze hinunter und nickte.

„Na los.“

Renana sprang aufs Bett und legte sich mit dem Rücken dicht an Rosi.

Sofort schob sie einen Arm unter ihren Kopf und drückte sie an sich.

Ulrich deckte die Beiden zu.

„Und ich?“, flüsterte Anastasia.

„Hm, das Bett ist breit genug. Du kannst da“

„Du glaubst doch wohl nicht, daß ich hier schlafe. Soweit bin ich noch

nicht. Und ich wundere mich über mich selbst, das ich das da zulasse.“

„Dann komm.“

Er führte sie ans Ende des Ganges. Hier lag ein weiteres Schlafzimmer.

Größer als jenes in dem Rosi lag.

„Das Bett ist aber nicht bezogen. Du hast die Wahl. Entweder du

schläfst unten im Wohnzimmer auf dem Sofa, dann geb ich dir noch eine

kuschlige Decke, oder hier. Dann müssen wir nur das Bett noch

beziehen. Oder aber du schläfst bei Rosi.“

„Ich werd es versuchen. Aber so ganz wohl ist mir dabei nicht.“

Sie gingen wieder zurück.

Möchtest du ins Bett oder noch was trinken?“

„Ich glaube, ich geh schlafen. Wo schläfst du eigentlich?“

„Da.“

Er zeigte auf den ersten Durchgang.

„Komm, ich zeig es dir.“

Er ging hinein und schaltete das Licht ein. Als Anastasia eintrat

verschlug es ihr die Sprache. Das Zimmer war größer, als alle anderen

Zimmer bisher. Rechts vom Eingang stand ein sehr breites Doppelbett.

Vier Pfosten hielten einen Baldachin darüber. Es sah aus wie ein

mittelalterliches Bett. Es war wunderbar. Zwei Nachttischchen standen

rechts und links davon, mit jeweils einer kleinen Lampe darauf. Doch

links vom Eingang breitete sich ein riesiges Arbeitszimmer aus. Bis

zum Fenster, welchen über dem Küchenfenster liegen mußte, standen

rechts Regale mit Büchern. Auf der linken Seite stand nur ein

Schreibtisch. Aber der war länger, als das Sofa unten im Wohnzimmer.

„Links Arbeit, rechts Schlafen. Ach ja, schlafen. Ich kann dir leider

keinen Pyjama geben.“

„Nicht?“

„Nein.“

„Meinst du sie passen mir nicht?“

„Nein, aber ich habe keine.“

„Schläfst du im Nachthemd?“

„Nein. Nachts habe ich nichts an. Ich schlafe nackt. Schon seit ich 14

oder 15 bin schlafe ich nackt.“

„Auch jetzt? Bei der Kälte?“

Erst jetzt spürte sie, daß es im Zimmer kalt war. Und sie sah auch

warum. Das Fenster stand auf Kippe.

„Du hast das Fenster auf.“

„Hab ich immer. Ich mag es gerne kalt. Das ist so schön, wenn ins Bett

gehe und das Bett dann langsam warm wird.“

„Das wäre nichts für mich.“

„Also mit Nachtzeug kann ich dir leider nicht dienen.“

„Macht nichts. Es geht auch so. Ich geh dann mal schlafen. Ich bin

echt müde geworden.“

„Dann schlaf gut.“

„Du auch.“

„Danke.“

Sie ging ins Zimmer zu Rosi und er ging hinunter ins Wohnzimmer. Dort

räumte er kurz auf und nahm sich ein Glas Wein mit an sein Bett. Dort

zog er sich aus und huschte unter die Decke. Dann löschte er das Licht

und spürte wie die Wärme seines Körpers langsam das Bett erwärmte.

Anastasia saß sehr lange im Zimmer von Rosi und Renana auf dem Stuhl,

welcher sich vor dem Tisch befand. Sie wäre sehr gerne ins Bett

gegangen, denn sie wurde schläfrig. Doch da lag auch Renana. Und wenn

sie im Bett lag, dann hätte Renana sie bestimmt mit ihren Pfoten

berühren können.

 

Das Ende

Nachdem das Verhältnis zwischen ihnen geklärt war, wurde ihre

Beziehung tiefer. Sehr viel tiefer. Zwar war der Verkehr zwischen

ihnen niemals nur Sex gewesen, doch seit er ihr den Antrag gemacht

hatte, war es, als wenn ihre Beziehung in ein neues Stadium getreten

war. Erst jetzt erfuhr er Dinge von ihr, die sie ihm früher nie

anvertraut hätte. Das meiste davon über ihr Verhältnis zu ihren

Eltern. Und daß sie eine Schwester und einen Bruder hatte, die wenige

Jahre jünger als sie waren.

„Könnte es sein, das deine Schwester Helena heißt?“

„Ja, woher weißt du das?“

„Hm, wenn man an griechische Mädchen denkt, dann denkt man immer, daß

sie Helena heißen.“

„Etwas wage. Meinst du nicht?“

„Nun, da gibt es noch was.“

„Was denn?“

„Rosis Püppchen. Und wenn ich mich nicht ganz in deine Familie

täusche, das wissen deine Geschwister von Rosi. Zumindest deine

Schwester. Und ich glaube, sie weiß auch wie Rosi heute aussieht.“

Anastasias erstauntes Gesicht und ihre Reaktion darauf sagte ihm, das

er richtig lag.

„Schreibt ihr euch?“

„Helena. Wir schreiben uns. Dimitri liest mit und fügt seine Grüße mit

in ihren Briefen ein.“

„Was ist mit deiner Mutter?“

„Nichts. Auch nichts von Papa. Dabei fragt Rosi so oft, wann wir Oma

und Opa besuchen.“

„Also weiß sie von ihnen?“

„Ja. Wieso sollte ich ihr das verheimlichen?“

„Auch das andere?“

„Nein! Wenn ich vom meinen Eltern spreche, dann rede ich nur von den

schönen Zeiten. Sie möchte sie so gerne sehen. Aber das geht doch

nicht.“

Er erkannte ihr Dilemma. Sie wollte daß Rosi ihre Großeltern

kennenlernte, konnte aber selbst nicht zu ihnen.

„Würden sie zu unserer Hochzeit kommen?“

„Ich weiß nicht. Mama vielleicht. Aber sie richtet sich nach Papa. Und

der ist sehr stur. Für ihn bin ich nicht vorhanden.“

Vier Tage später machte er ihr den Vorschlag, gemeinsam nach

Griechenland zu fahren und zumindest ihre Geschwister zu besuchen.

Anastasia war wie ausgewechselt. Sie selbst hätte niemals das Geld für

die Reise aufbringen können. Doch er tat so, als wenn sie nur mal kurz

ins Schwimmbad fahren würden. Die Aussicht ihre Geschwister

wiederzusehen, steigerte ihre Freude ins unermeßliche. Aber sie wußte

nicht, ob sie Urlaub bekommen würde. Und so fragte er sie nach ihrer

Ausbildung. Er hatte ihre Ausbildung, grob gesagt, als Büro oder

Buchhaltung abgetan. Doch nun kam da viel mehr zum Vorschein. Da er

wußte wie es um das Personal im Zoo bestand, faßte er einen

ungewöhnlichen Entschluß. An einem Donnerstag, Anastasia hatte bis 14

Uhr Schicht, gingen sie nicht nach Hause, sondern in die Verwaltung.

Frau Ernst hatte er schnell gefunden. Anastasia erkannte in ihr sofort

jene Frau, mit der er sich auf der Weihnachtsfeier so geheimnisvoll

unterhalten hatte. Er stellte sie gegenseitig vor und dann kam er zum

Kern. Was Anastasia gelernt hatte, wo sie jetzt arbeitete und ob die

Stelle bei ihr noch frei wäre. Letzteres brauchte er eigentlich nicht

zu fragen. Schließlich hing die Stellenausschreibung noch immer am

Schwarzen Brett. Und auf der Weihnachtsfeier hatte er ja schon

vorgefühlt. Zwei Stunden später, in denen er mit Rosi im Zoo

spazierenging, hatte Anastasia einen neuen Job. Nein, keinen Job. Eine

richtige Arbeit. Eine Arbeit mit einem Gehalt, welches mehr als

doppelt so hoch war wie das beim ALDI. Mit Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld

und 30 Tage Urlaub. Und die zählten nicht wie beim ALDI, von Montag

bis Samstag, sondern nur bis Freitag. Es waren ganze 6 Wochen! Und die

Arbeitszeit war auch besser. Sie fing um 8 an und endete um 16 Uhr.

Eine Stunde Mittagspause. Als sie mit ihrem Vertrag aus dem Büro kam,

war sie wie versteinert. Sie konnte es noch nicht fassen. Die Beiden

fanden sie später heulend im Wohnzimmer. Rosi bekam Angst. Doch sie

begriff schnell, daß die Mami vor Freude weinte. Sie fuhren zum ALDI

und dort kündigte sie. Da der Vertrag in Zoo auf nächsten Monat

datiert war, Ulrich hatte es so mit Frau Ernst besprochen, so konnten

sie bereits in der nächsten Woche Richtung Griechenland starten. Die

übliche „Prügelei“ unter den Pflegerinnen begann, weil sie alle Renana

versorgen wollten. Anastasia sah diesem Treiben äußerst belustigt zu.

Die Fahrt dauerte vier Tage. Er raste nicht und sie machten sehr oft

Pausen. Sie waren quer durch Italien gefahren und dann mit dem Schiff

nach Patras. Nach zwei Stunden fuhren sie in den kleinen Ort ein. Das

Haus ihrer Eltern lag höher am Berg. Doch ihre Geschwister arbeiteten

unten in der Ortsmitte. Dimitri arbeitete in einer Autowerkstatt,

Helena in einer Boutique. Beides fanden sie sofort. Doch als sie einen

Parkplatz an der Boutique suchten, wurde Anastasie ganz aufgeregt.

„Was ist?“

„Da! Da ist sie!“

Er schaute die Straße hinauf und sie zeigte ihm ein Mädchen, welches

sich langsamen Schrittes von der Boutique entfernte.

„Sie hat bestimmt schon Feierabend.“

Er fuhr los, überholte sie und parkte am Straßenrand, gut 50 Meter vor

ihr. Dann stieg er aus und wartete auf sie.

„Entschuldigung!“

Die angesprochene stutzte und schaute ihn fragend an. Als sie ihn in

Griechisch antwortete, wehrte er es mit den Händen ab.

„Ich kann kein Griechisch.“

Also antwortete sie ihm in Deutsch:

„Was kann ich für sie tun?“

„Nichts, aber du kannst was für deine Nichte tun. Wie wäre es mit

einer Umarmung, oder einem Kuß?“

Damit öffnete er die hintere Wagentüre und sie sah ein kleines Mädchen

dort sitzen, das ihre Ärmchen nach ihr ausstreckte.

„Rosi?“

„Tante Helena?“

Da kam Anastasias Gesicht neben dem kleinen Mädchen zum Vorschein.

Helena war nicht zu halten. Sie stürmte an die offene Wagentüre und

umarmte gleich beide auf einmal. Die folgende Begrüßung war so

stürmisch und intensiv, das Rosi plötzlich sagte:

„Mama. Was sagt ihr?“

Die Beiden hatten sich in Griechisch begrüßt, was er nicht verstand

und Rosi, weil sie sehr schnell sprachen, auch nicht. Zwar hatte

Anastasia mit Rosi auch griechisch gesprochen, aber sie konnte es

nicht so gut, als das sie einem derart schnellen und emotionellen

Gespräch folgen konnte. Aber einige Worte hatte sie verstanden. Doch

bei weitem nicht genug, um einen Sinn in der Unterhaltung erkennen zu

können. Schließlich nahm Helena auf dem Beifahrersitz Platz und sie

fuhren los. Unterwegs sprachen sie wieder Griechisch. Und so konnte er

nicht verstehen, wie Helena ihre Schwester fragte, wer er sei. Und

Anastasia erzählte in Kurzform von ihm und das sie bald Heiraten

würden. Und das konnte Rosi verstehen. Denn sie sagte ihrer Tante, in

ihrer Muttersprache, daß er dann ihr Papa werden würde.

Anastasia und er waren überein gekommen, daß sie einige Tage bei Frau

Constantinos bleiben würden. Diese Frau hatte Anastasia und ihren

Geschwistern als „Briefkasten“ gedient. An sie hatte Anastasia

geschrieben, wenn sie ihren Geschwistern schrieb. Sie hatte sehr lange

im Dienste ihrer Eltern gestanden. Doch schon lange bevor Anastasia

nach Deutschland fuhr, hatte sie bereits aufgehört bei ihnen zu

arbeiten und sich in ihr kleines Häuschen am Stadtrand zurückgezogen.

Und als Kinder waren die Drei fast jeden Tag bei ihr gewesen. Sie war

auch die einzige im Ort, die von Anastasias „Fehltritt“ wußte. Und da

Helena und Dimitri ihr ebenfalls die Bilder von Mutter und Tochter

gezeigt hatten, so wußte sie sofort, wer da vor ihrem einsamen

Häuschen aus dem Wagen stieg. Und so fiel diese Begrüßung nicht

weniger herzhaft aus als vorhin die von Anastasia und Helena. Leider

konnte Frau Constantinos kaum Deutsch. Und so verstand er nichts und

Rosi kaum etwas. Doch sie sah, daß Mama und Helena sich freuten. Also

freute sie sich mit ihnen. Schließlich nahmen sie im Garten an einem

Tisch Platz. Helena lief schnell zum Bäcker und Ulrich bekam eine

Nachricht für Dimitri, damit er zu ihnen kommen würde. Mit der fuhr er

dann zur Werkstatt.

Er hatte gegenüber der Werkstatt gehalten und Dimitri gleich

ausgemacht. Er überquerte die Straße und sprach ihn an.

„Dimitri? Bist du Dimitri?“

Er nickte.

„Ich habe hier etwas für dich.“

Damit gab er ihm den Zettel. Dimitri laß ihn und sein Gesicht

strahlte. Doch dann erschrak er.

„Sind sie bei ihr?“

„Ja.“

„Mama war vorhin hier. Sie wollte auch zu Frau Constantinos.“

„Was!“

„Ja, wir müssen uns beeilen.“

Er rief etwas in die Werkstatt und sie rannten zum Wagen.

Doch sie kamen zu spät.

Anastasias Mutter kam in den Garten. Sie wunderte sich über das kleine

Mädchen, welches im Garten mit den Katzen von Frau Constantinos

spielte. Aber da Frau Constantinos hin und wieder Urlauber

beherbergte, um ihre Rente aufzubessern, dachte sie nicht weiter

darüber nach. Die Frauen begrüßten sich, während Anastasia ängstlich

aus dem Fenster schaute und zusah.

Auf halber Strecke sahen sie Helena vom Bäcker kommen. Schnell luden

sie sie ein und Dimitri erklärte ihr, daß Mama auf dem Weg war. Und

obwohl er nicht gerade langsam fuhr, kamen sie zu spät. Doch als sie

ankamen sahen sie Rosi bei den Frauen stehen und diese miteinander

reden.

Als Rosi Ulrich sah, kam sie ihm entgegengelaufen und rief: Papa! Die

Frauen lächelten, als sie sahen, wie sehr dieses hübsche liebe Mädchen

ihren Papa vermißt hatte. Helena und Dimitri waren ebenfalls

ausgestiegen, liefen aber hoch zu Anastasia. Dort begrüßten sich

Anastasia und Dimitri sehr herzlich. Um das Geschehen von Rosi

abzulenken, schlug Helena vor, daß sie mit Dimitri in den Garten gehen

würden. Ihre Mutter wußte ja, daß die Beiden Frau Constantinos öfter

besuchten. Also würde es nicht weiter auffallen. Und so machten sie es

auch.

Ihre Mutter war natürlich überrascht, daß die Beiden plötzlich bei

ihnen im Garten standen, verband dies aber nicht mit dem Mann und

seiner Tochter. Die vier unterhielten sich, während Ulrich mit Rosi

nach oben ging. Anastasia stand weinend am Fenster. Und als sie Ulrich

mit Rosi sah, flüsterte sie leise: „Mama“.

Aus Anastasias Erzählungen wußte er, daß ihre Mutter nur widerwillig

zugesehen hatte, wie ihr Mann Anastasia verstieß. Demzufolge faßte er

einen wagemutigen Plan. Mutterliebe ist stärker als der Tod, hieß es

doch immer. Und darauf baute er. Anastasia sträubte sich sehr. Doch

ihre Liebe zu ihm, Rosis Fragen nach ihren Großeltern und nicht

zuletzt die Sehnsucht ihre Mutter wiederzusehen ließ ihre Gegenwehr

erlahmen. Und so ging sie mit Rosi auf dem Arm und an seiner Hand

hinunter in den Garten. Noch sah ihre Mutter sie nicht, da sie mit dem

Rücken zu ihr saß. Als sie hinter ihr stand hob sie Rosi hoch und

setzte sie ihrer erschrockenen Mutter auf den Schoß. Rosi wußte wer

die Frau war. Denn Mama hatte es ihr gesagt. Und so sagte sie: „Oma“,

als sie auf dem Schoß der Frau saß.

„Das ist Rosi. Deine Enkeltochter.“, flüsterte Anastasia ihr ins Ohr.

Erschrocken drehte sie sich herum und blickte in das Gesicht ihrer

verlorenen Tochter. Da riß sie Anastasia an sich. Die

Wiedersehensfreude war nicht zu beschreiben. Vor allem, weil weder

Rosi noch er verstand, was die Beiden sagten. Jedenfalls endete es

damit, daß Rosi auf dem Schoß ihrer Großmutter saß und sich sehr wohl

zu fühlen schien. Leider redeten sie nun alle griechisch. Rosi störte

das nicht, weil sie ja nun langsam sprachen. Und Ulrich bekam hin und

wieder von den drei Geschwistern eine kurze Erklärung.

Es war schon spät, da mußte ihre Mutter nach Hause. Der Vater würde

bestimmt schon ungeduldig warten. Er wußte nicht, daß sie bereits

einen Plan ausgeheckt hatten, um ihren Mann mit Rosi zu konfrontieren.

Und so sah er erstaunt zu, wie ihre Mutter mit Helena, Dimitri und

Rosi auf ihrem Arm gingen.

„Mach dir keine Sorgen. Ihr passiert nichts. Mama paßt auf sie auf.

Und Dimitri ist ja auch dabei. Und Helena.“

Dennoch warteten sie ungeduldig auf eine Nachricht von zu Hause.

Als er seine Frau sah, wollte er schon aufspringen und schimpfen. Doch

etwas hielt ihn davon ab. Sie hatte ein kleines Mädchen auf dem Arm.

Es drückte sich an sie. Als sie vor ihm stand schaute das Mädchen ihn

an. Dann streckte es seine Ärmchen nach ihm aus und flüsterte: „Opa“.

Es dauerte fast anderthalb Stunden. Da hörten sie einen Wagen vor dem

Haus anhalten. Rosi kam zu ihnen in den Garten gelaufen, an ihrer Hand

ihr Opa. Anastasia sprang auf, da schloß ihr Vater schon seine Arme um

sie.

Gegen halb zwei fuhr Dimitri sie nach Hause. Anastasia und Rosi

blieben mit Ulrich bei Frau Constantinos. Doch nur bis zum Morgen.

Dann verabschiedeten sie sich und fuhren zu Anastasias Eltern. Erneut

war die Begrüßung sehr herzlich. Mittags gingen sie in den Ort. Sie

würden ins Restaurant gehen und dort zu Mittag essen. Stolz ging ihr

Vater mit Rosi auf seinem Arm voran. Er wurde von vielen angesprochen.

Und stolz sagte er, daß dies seine Enkelin wäre.

Sie verbrachten zwei herrliche Wochen. Rosi war fast immer mit

Anastasia und ihrem Großvater unterwegs. Sie hatten sich sehr viel zu

erzählen. Anastasia machte ihm Vorwürfe, daß er sie alleingelassen

hatte. Und er sah ein, daß er ihr unrecht getan hatte. Ein 14-jähriges

Mädchen alleine in einem fremden Land, da war das Unheil

vorprogrammiert gewesen. Doch am Ende der Ferien waren sie wieder eine

Familie. Eine Familie, zu der nun bald auch Ulrich gehören würde. Man

hatte ihm auch erzählt, daß sie heiraten würden. Und da ihnen Ulrich

gefiel, zumal er Rosi wie seine eigene Tochter liebte, war er herzlich

in der Familie willkommen.

Und so kam es, daß sie ein Vierteljahr später erneut in Griechenland

waren. Stotz brachte ihr Vater sie zum Altar. Und noch bevor die

Zeremonie begann, flüsterte er:

„Σε αγαπώ.“

Anastasia sah ihn erstaunt an, dann erwiderte sie:

„Σ 'αγαπώ πολύ.“

„Μέχρι την ημέρα θανάτου μου.“

Anastasia lächelte und flüsterte:

„Σίγουρος.“

Er nickte, und sie war glücklich.

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.03.2014

Alle Rechte vorbehalten

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