Die verstoßene Tochter
Das Erlebnis im Zoo
Es war ein wundervoller Sommertag. Die Sonne strahlte von einem
wolkenlosen Himmel herab. Ein steter Wind wehte leise und machte es
nicht unerträglich heiß. Dennoch war das Wetter so angenehm warm, das
sie ihrer Tochter ein hübsches Sommerkleidchen angezogen hatte. Selbst
sie hatte sich, ganz entgegen ihrer Gewohnheit, dazu entschlossen,
etwas von ihrem Körper preiszugeben. Sie hatte einen kurzen Rock und
ein T-Shirt angezogen. Einzig auf eine Strumpfhose hatte sie nicht
verzichtet. Die trug sie Sommer wie Winter. So gekleidet, hatten sie
an diesem Tag wieder einmal den Zoo besucht. Das einzige, was sie sich
außer der Reihe leisen konnten, das waren die Jahreskarten für den
Zoo. Und von denen machen sie mehr als reichlich Gebrauch. Ihre
Tochter war schier verrückt nach dem Zoo. Besonders nach den
Elefanten. Und wäre dort kein Wassergraben, die Kleine wäre schon sehr
oft zu ihnen gelaufen, um sie zu streicheln.
Zu ihrem Glück war der Zoo an diesem Tag nicht sehr gut besucht.
Obwohl er einer der Artenreichhaltigsten Zoos im Lande war, nutzten
die Menschen heute den schönen Sommertag um ins Schwimmbad zu fahren
oder einen Einkaufsbummel zu machen. Für die wenigen Besucher waren
die Seelöwen, die Elefanten und die Eisbären wieder die Attraktion.
Dort standen sie dichtgedrängt und schauten sich die Tiere an. Bei den
Seelöwen waren die Fütterungen immer die Hauptattraktion des Tages.
Wie diese Tiere Kunststücke machten und auf Hupen drückten. Bei den
Elefanten war es das Fußballspiel oder ihre Sandbäder. Hin und wieder
gingen sie auch richtig baden. Und dies schienen die großen Tiere
sichtlich zu genießen. Und bei den Eisbären war es die große Rutsche,
die sich dort seit einer Woche befand. Die beiden Tiere schienen sie
sehr zu mögen. Denn, wie kleine Kinder, benutzten sie diese immer und
immer wieder, um dann mit einem großen „Platsch“ ins Bassin zu
plumpsen. Die Menschen lachten, wenn einer der Kolosse ins Wasser
platschte. Doch plötzlich schrieen sie angstvoll auf. Etwas war ins
Wasser gefallen. Ein kleines Kind. Ein Baby! Angstvoll starrten sie
schreiend nach unten. Aber nur solange, bis das sie sahen, daß es kein
Kind, sondern nur eine Puppe war, die in das Eisbärengehege gefallen
war und nun im Wasser schwamm. Die einzige, die jetzt noch heulte, das
war jenes kleines Mädchen, welches auf dem Arm ihrer Mutter ihrem
geliebten Püppchen nachsah und nun mit entsetzten zusehen mußte, wie
der große Eisbär ins Wasser sprang und zielstrebig auf ihr Kostbarstes
zu schwamm. Und der kam sehr schnell näher.
„Toni! Raus da!“, schrie plötzlich jemand neben den Beiden und zeigte
mit der Hand erst auf den Eisbären, und als dieser nach oben schaute,
auf einen Platz oberhalb des Wassers. Zuerst hatte sie sich
erschrocken. Doch dann sah die Mutter des Mädchens mit offenem Mund
zu, wie der Eisbär zu ihnen nach oben geschaut hatte und dann gehorsam
ans Ufer schwamm. Ungläubig starrte sie daraufhin den jungen Mann an.
Er blickte kurz zu ihr herüber. Doch dieser kurze Augenkontakt
genügte, um die Mutter völlig zu verwirren. Doch bevor sie sich fangen
konnte, ging dieser Mann am Gehege entlang und verschwand in einen
kleinen Raum, der an das Gehege grenzte. Es vergingen einige Sekunden,
da schrie die Menge erneut auf. Denn der junge Mann betrat durch eine
Seitentüre das Gehege, obwohl die Tiere noch in ihm waren. Doch ohne
sich an die oben liegende Bärin und dem am Wasser stehenden Bären zu
stören, ging er hinunter an das Becken und besah sich die Bescherung.
Und nachdem er sah, daß er so nicht an das Püppchen heran kam, ging er
wieder hoch. Am Anfang der Rutsche blieb er stehen und zog sich bis
auf die Unterhose, in diesem Fall eine Badehose, aus. Die Menschen
hielten erneut den Atem an, weil der Eisbär Toni unterdessen zu ihm
gekommen war. Alle schauten sie auf den Eisbären. Alle, bis auf eine.
Denn sie hatte nur Augen für den jungen Mann. Als der Mann sich auf
die Rutsche setzte kam der Eisbär zu ihm hin. Erneut hielt die Menge
den Atem an. Doch bevor er ihn erreicht hatte, da rutschte der Mann
bereits herunter. Sekunden später sprang der Eisbär ebenfalls auf die
Rutsche und rutscht hinterher. Erneut schrieen die Menschen am Gehege
angstvoll auf. Doch als die Beiden im Wasser nebeneinander wieder
auftauchten, machte der Bär keinerlei Versuche ihn anzugreifen.
Zielstrebig schwammen beide zum Objekt ihrer Begierde. Doch der Eisbär
gehorchte, als der Mann sagte:
„Toni! Weg da!“
Toni drehte ab und der Mann ergriff die Puppe. Dann schwamm er zurück
an das Ufer. Mit dem Püppchen in der Hand stieg er hoch zu seinen
Kleidern. Als er dann oben seine Kleidung aufnahm war auch der Bär aus
dem Wasser und kam zu ihm. Doch da passierte etwas, womit weder er,
noch die Menschen oben gerechnet hatten.
„Toni!“, schrie der Mann auf, als der nasse Eisbär neben ihm stand und
sich erst hier das Wasser aus seinem Pelz schüttelte und ihn so, von
oben bis unten naß spritzte. Doch der Bär sah ihn nur unschuldig an.
Doch irgendwie hatte man das Gefühl, das er es mit Absicht gemacht
hatte. Sein Gesicht sah richtig schadenfroh aus. Soweit man dies bei
einem Eisbären sagen konnte. Jedenfalls hatte der große zottelige
weiße Bär die Lacher der Zuschauer auf seiner Seite. Selbst die Mutter
des Mädchens mußte lachen. Kopfschüttelnd, aber ebenfalls lachend,
ging der Mann nach oben zu jener Türe, durch die er in das Gehege
hineingekommen war. Einige Minuten später öffnete sich dann auch die
Türe neben dem Gehege und der Mann stand angezogen und halbwegs
trocken, sah man von den nassen Flecken auf seinen Sachen und die noch
vom Wasser triefenden langen braunen Haare ab, vor der Mutter und dem
Mädchen. Die Kleine stand direkt vor ihm und hatte ihre Hände zu ihm
erhoben.
Der junge Mann war der Mutter gleich sympathisch gewesen. Obwohl sie
noch vom ersten Schrecken gezeichnet war, waren ihre Augen voller
Bewunderung, noch ehe er „Raus da“ gerufen hatte. Er war etwa ein
halben Kopf größer als sie. Und sein Gesicht, sie konnte es in diesem
Moment nur im Profil sehen, gefiel ihr sehr. Erst als er ihr einen
kurzen Blick zuwarf, sah sie seine braunen Augen. Dann war er ja auch
schon fort gewesen. Doch der Blick seiner Augen hatte sie schon
gefangengenommen. Eine Gänsehaut jagte ihr in diesem Moment über den
Rücken. Lange hatte sie ihm hinterher gesehen, als er um das Gehege
herumging. Sein braunes Haar wehte hinter ihm her, welches ihm
bestimmt bis auf seine Schultern reichte, wenn nicht noch länger, und
schien in seiner Fülle ihrer eigenen Haarpracht in nicht nachzustehen.
Seine Bewegungen verrieten ihr, daß er nicht hinter einem Schreibtisch
verkümmerte. Schlank war er, aber nicht dünn. Sein T-Shirt spannte
sich um seinen muskelösen Oberkörper. Und als er in seiner Badehose im
Gehege stand, da sah sie dort einen real gewordenen Adonis stehen.
Solch einem Mann wäre sie gerne früher begegnet, wünschte sie sich in
diesem Moment. 6 Jahre früher. Dann wäre alles nicht passiert.
Als er aus dem Gehege ging, setzte sie ihre Tochter ab, nahm sie an
die Hand und ging mit ihr zu jener Türe, durch die er gleich
herauskommen mußte. Ein, zwei Minuten später kam er auch dort heraus
und ihr Herz blieb stehen.
Als er herauskam stand sie vor ihm. Und vor ihr stand das kleine
Mädchen. Mit erhobenen Händen wartete sie darauf, daß er ihr das
Püppchen gab. Er ging in die Hocke und gab es ihr.
„Danke.“, heulte das kleine Mädchen und nahm es entgegen. Dann hob sie
einen Arm und schlang ihn um seinen Hals. Er erhob sich und das
Mädchen schlang ihre Beine um seine Taille, ließ seinen Hals nicht
los. Er faßte unter sie und hatte sie so auf seinem Arm.
„Du mußt aber aufpassen. Zum Glück konnte dein Püppchen schwimmen.“
Das Mädchen schaute ihn an und nickte. Dann klammerte sich erneut an
seinen Hals.
„Wieso läßt du es nicht zu Hause?“
„Dann sieht Helena doch die Tiere nicht.“
„Aber du kannst ihr abends alles erzählen. Dann stellt sie sich einen
Elefanten noch größer vor, als er in Wirklichkeit ist.“
Die Frau lächelte.
„5 für 13.“, plärrte es in diesem Moment aus dem kleinen Funkgerät,
welches an seinem Gürtel hing. Er nahm es in die Hand und sagte:
„13 hört.“
„Bei Ursula ist es soweit.“
„In Ordnung, ich komme.“
Dann hing er es sich wieder an den Gürtel.
„So Spatz ich muß zu den Zebras.“
„Darf ich mit?“, fragte ihn die Kleine bittend, noch bevor er
weiterreden konnte.
„Das kann ich nicht entscheiden.“, antwortete er und schaute zu der
Frau hin.
Die Kleine drehte sich zu ihr herum und sagte:
„Ja? Bitte.“
Die Frau lächelte und fragte:
„Geht das denn?“
„Natürlich geht das.“
Und als sie sich in Bewegung setzten, klammerte sich das Mädchen auch
weiterhin an ihn. Die Mutter an seiner Seite, so gingen sie langsam,
aber zielstrebig zum Zebragehege. Dort befand sich, an der Seite des
Geheges, ein hölzernes Gatter. Im Gehege stand schon ein Mädchen am
Gatter und wartete auf ihn. Es war eine der Tierpflegerinnen.
„Ich hab noch Besuch mitgebracht.“
Die Tierpflegerin lächelte und ließ sie herein. Sofort kamen einige
Zebras auf sie zu. Die Mutter hielt ihn am Arm fest.
„Ist das nicht gefährlich?“
„Nein. Ich würde sie“, und damit nickte sein Kopf auf das Mädchen auf
seinem Arm hin, „niemals in Gefahr bringen. Sie nicht und dich auch
nicht.“
„Ehrlich?“
Doch anstatt jetzt, wie sie es erwartet hatte, mit „ja“ oder „nein“ zu
antworten, sagte er:
„Ich werde euch auch niemals anlügen.“
Doch da kam auch schon das erste Zebra an sie heran und das Mädchen
streckte seine Hand aus. Unter den ängstlichen Augen ihrer Mutter
schnupperte das Tier an der Hand ihrer Tochter. Diese hob daraufhin
ihre Hand, und streichelte ohne jede Angst dem Zebra über die Nase.
„Das ist Erika.“, flüsterte er dem Mädchen zu. Und nach einigen
Sekunden flüsterte er: „Und das ist Herma.“
Ein weiteres Tier war zu ihnen gekommen und das Mädchen streichelte
auch dieses. Dann aber ging er weiter. Mit einigem Sicherheitsabstand
zu den Tieren, folgte die Mutter ihnen. Sie betraten eine Art Stall
und fanden sich, umgeben von drei weiteren Personen vor einer Box
wieder. Dort stand ein Zebra und leckte gerade sein Neugeborenes
trocken.
„Süß! Mama, schau mal. Ein Babyzebra!“, rief das Mädchen entzückt aus.
Er zuckte unmerklich zusammen. Dann aber sagte er:
„Scheint so, daß ich spät dran bin.“
„Ja. Zwei Minuten.“
„Und? Was ist es?“
„Keine Ahnung.“, antwortete der Angesprochene, welcher einen weißen
Arztkittel trug, „Ich geh doch nicht zu ihr rein. Ich liebe meine
Knochen als Ganzes.“
Ohne sich weiter um die Umstehenden zu kümmern, nahm er ein Stethoskop
aus der Tasche, welche auf der Brüstung der Box stand und ging mit dem
Mädchen auf seinem Arm in die Box. Die frischgebackene Zebramama hob
den Kopf und schaute zu ihnen hin. Dann leckte sie ihr Junges weiter
trocken. Unter den angstvollen Blicken ihrer Mutter setzte er das
Mädchen bei dem Neugeborenen ab und horchte es mit dem Stethoskop ab.
Das kleine Mädchen sah ihm dabei erstaunt zu. Da nahm er das
Stethoskop aus seinen Ohren und steckte es in die Ohren des Mädchens.
„Hörst du das kleine Herzchen?“
„Ja.“
„Und?“
„Das geht ja ganz schnell.“, flüsterte sie mit leuchtenden Augen.
Er hob eines der Beine des Fohlens hoch und ließ es Sekunden später
wieder herab. Dann gingen sie zurück zur Brüstung. Doch bevor er dort
ankam, blieb er ruckartig stehen und besah sich den Bauch der
Zebramutter. Dann hörte er ihn ab. Das kleine Mädchen schaute ihm auch
dabei interessiert zu. Dann durfte sie hören.
„Das ist die Mama.“, sagte er.
„Das ist viel langsamer als eben.“
„Und jetzt?“
Er versetzte das Stethoskop etwas.
„Das ist wieder schnell.“, flüsterte sie.
Er hob die Kleine hoch und setzte sie auf die Brüstung ab. Dann füllte
er ein Formular aus.
„Wie heißt du?“, fragte er sie.
„Rosi.“, erwiderte das Mädchen.
„Also heißt das Fohlen jetzt Rosi.“
Er schrieb den Namen in das Formular.
„Ein Stutenfohlen?“, fragte der Mann in dem weißen Kittel.
„Ja.“
„Na, dann sind wir ja hier fertig.“
„Ich ja.“, er schaute auf seine Uhr, „Ich hab jetzt Feierabend. Ihr
nicht.“
„Ich weiß. Aber es ist eh nichts mehr zu tun.“
„Doch, hier.“
„Ach ja? Und was? Sie haben das Geschlecht doch bestimmt und es auch
abgehört.“
„Bewegt sich der Bauch der Stute?“
Der angesprochene im weißen Kittel schaute auf den Bauch der Stute.
Einige Sekunden später weiteten sich seine Augen.
„Noch eins!?!“
„Jepp. Ich wünsch noch viel Spaß. Ich verzieh mich jetzt.“
Und zu der Mutter gewandt sagte er:
„Wenn ihr wollt, könnt ihr gerne hierbleiben und zusehen. Wenn ihr
geht, wird euch einer von ihnen rausbringen.“
Als er ging, hörte er noch, wie die Kleine bettelte.
„Hierbleiben. Baby sehen.“
Sie schaute ihre Tochter sehr lange an.
„Willst du wirklich?“
„Ja Mama. Bitte.“
Schließlich nickte sie. Doch als sie sich wieder zu ihm hindrehte, war
er bereits fort. Er war sehr leise gewesen, denn sonst hätte sie
gehört, wie er gegangen war. Sie war mehr als enttäuscht. Zu gerne
wäre sie noch mit ihm zusammengewesen. Sie brauchte einige Minuten um
sich zu überwinden, dann fragte sie einen der hier anwesenden, wer
jener Mann gewesen sei.
„Das war Ulrich. Dr. Ulrich Richter.“, sagte eine der Tierpflegerinnen
zu ihr.
„Dr.?“
„Ja. Er ist der Leiter unserer Tierklinik.“
„Der ist aber noch sehr jung. Oder?“
„Ja. Erich, wie alt ist Ulrich jetzt?“
„24?“
„Nein 23.“, warf eines der der Mädchen ein, „Er wird im Februar 24. Am
siebten.“
„Also 23.“, bekam sie nun zur Antwort.
23 dachte sie. Zwei Jahre älter als sie es war.
Es war fast 18 Uhr. Die Besucher des Zoos waren schon größtenteils
gegangen, da der Zoo um 18 Uhr schloß. Er war nach dem Besuch im
Zebragehege nachdenklich durch den Zoo gegangen und ging nun nach
Hause. Das Bild der Beiden schwebte ständig vor seinen Augen. Rosi war
so ein hübsches kleines Mädchen. Die schwarzen Augen mußte sie von
ihrer Mutter haben. Und auch das pechschwarze lange Haar. Erst hatte
er gedacht, daß sie Geschwister wären und er hatte sich Hoffnungen
gemacht. Doch dann hatte das Mädchen „Mama“ gesagt. Und damit waren
seine Hoffnungen mit einem Schlag zerstört worden. Schade, sagte er
sich. Das wäre ein Mädchen nach seinem Geschmack gewesen. Schlank,
schöne Figur, sehr üppige Brüste, schwarze Augen, langes schwarzes
Haar. Sie trug ein T-Shirt, was ihre Oberweite sehr hervorhob. Dazu
einen kurzen weiten Rock, der eine gute Handbreit über ihren Knien
geendete hatte und ihre Beine freigab. Schöne Beine. Sie war das, was
er sich schon oft in seinen Träumen vorgestellt hatte. Und seine
Hoffnung, sie näher kennenzulernen, war rapide angestiegen. Am
Eisbärengehege kam die Gelegenheit. Und alles lief zu seiner vollsten
Zufriedenheit. Bis Rosi im Gehege „Mama“ sagte, und mit diesem Wort
alles wieder zunichte gemacht hatte. Sie war verheiratet! Wie sehr war
er enttäuscht gewesen. Aber da konnte man nichts machen. Er würde
weitersuchen müssen. Aber ob er jemals wieder ein Mädchen wie sie
treffen würde? An so ein Glück glaubte er nicht. Daß er überhaupt
jemals ein solches Mädchen, wie eben, sehen durfte, das schien ihm
schon ein riesiger Glücksfall gewesen zu sein. Nur Schade, daß sie
schon besetzt war. Und so ging er nachdenklich nach Hause.
„Hallo!“, tönte es plötzlich in einiger Entfernung vor ihm. Und die
Stimme kannte er. Und als er hochblickte, kam Rosi auch schon auf ihn
zugerannt. Er fing sie mit beiden Händen auf und wirbelte sie
einigemal herum. Dann klammerte sie sich wieder an seinen Hals und er
hielt sie auf seinem Arm.
„Na mein Schatz, wie war es bei den Zebras. Hast du das zweite Fohlen
auch gesehen?“
„Ja.“, nickte sie mit leuchtenden Augen.
„Und? War es ein Junge?“
„Nein. Auch ein Mädchen.“
„Aha. Und? Hat es denn auch schon einen Namen?“
„Ja.“
„Wie heißt es denn?“
„So wie die Mama.“, sie deutete auf ihre Mutter, die nun auch bei
ihnen stand.
„Ach ja? Und wie heißt die Mama?“
„Anastasia.“
„Anastasia. Na, das ist ja fast so ein hübscher Name wie Rosi.“
Die Kleine wurde rot und verbarg ihr Gesichtchen an seiner Brust. Aber
nur kurz. Dann schaute sie ihm wieder in die Augen.
„Geht ihr jetzt nach Hause?“, fragte er Anastasia.
„Ja, wird auch Zeit.“
„Gehst du jetzt auch nach Hause?“
„Ja Schatz.“
„Wo wohnst du denn?“
„Rosi!“
„Da drüben.“
Er drehte sich mit ihr, damit sie das Haus sehen konnte.
„Boh! Das ist ja ein richtiges Schloß.“
Zwar war sein Zuhause kein Schloß, aber mit seinen beiden Türmchen
konnte es für ein kleines Mädchen doch schon zu einem Schloß werden.
„Gibt es da auch eine richtige Prinzessin?“
„Nur wenn du mich besuchen kommst.“
Erneut wurde sie rot und verbarg ihr Gesichtchen an seiner Brust. Doch
dann fragte sie:
„Wohnst du da ganz alleine?“
„Rosi.“, rief ihre Mutter erneut, da es ihr peinlich war, das ihre
Tochter ihn ausfragte. Doch er beachtete ihren Einwand nicht.
„Nur mit meinen Tieren.“
„Was hast du für Tiere?“
„In dem Turm da“, er deutete auf den linken, „da wohnt ein dicker
alter Uhu. Und in dem Turm, DA, siehst du sie.“
In dem Moment flog gerade ein Vogel in den Turm.
„Ja.“
„Das ist ein Wanderfalke. Das wohnt ein Pärchen. Sie brüten immer in
dem Turm. Und in dem Dach dazwischen wohnen Fledermäuse.“
Sie schaute ihn mit ihren großen Augen ungläubig an.
„Was hab ich euch gesagt? Das ich euch nie belügen werde?“
Sie nickte mit ihrem Köpfchen.
„In der Küche da drüben, da wohn eine kleine weiße Maus. Und dann hab
ich noch meine Miezekatze.“
„Eine Miezekatze?“
„Ja.“
„Kann ich die streicheln?“
„Bestimmt. Das ist eine richtige Schmusekatze.“
„Jetzt?“
„Ich glaub eher, daß die Mama nach Hause muß. Abendessen machen. Der
Papa wird bestimmt schimpfen, wenn er nach Hause kommt und kein Essen
hat.“
„Wie sind alleine. Nur die Mama und ich.“
Ohne es nach außen hin zu zeigen, hatte ihn diese Nachricht sehr
aufgeregt. Alleine! Ob es vielleicht doch möglich wäre?
„Dann mußt du die Mama fragen.“, sagte er voller Hoffnung.
Sie drehte sich zu ihrer Mutter hin und sah sie bittend an.
Er konnte sie bereits wanken sehen. Also half er noch ein wenig nach,
sie in die richtige Richtung zu bringen.
„Ich mach euch einen Vorschlag. Ich lad euch zum Abendessen ein. Dann
brauchst du zu Hause nicht zu kochen und ich sitz nicht wieder alleine
zu Hause rum.“
„Abends gibt es nichts Warmes. Nur Brote.“
„Na, Brot hab ich. Und was für drauf auch.“
„Mama.“
„Ja, Mama.“, fügte er lachend hinterher.
„Bitte.“
Sie wankte noch einige Sekunden.
Schon als Rosi ihn entdeckt hatte, schlug Anastasias Herz schneller.
Niemals hätte sie geglaubt, ihn heute noch einmal zu sehen. Und nun
kam er ihnen entgegen. Rosi wollte natürlich sofort zu ihm hin und sie
ließ sie. Lächelnd sah sie ihr hinterher, wie sie mit ausgebreiteten
Armen auf ihn zulief. Er fing sie auf, wirbelte sie einigemal herum
und nahm sie dann auf den Arm. Süß, wie sie sich gleich an seinen Hals
klammerte. Sie schien ihn sehr zu mögen. Und sie selbst schien auch
nicht abgeneigt zu sein. Schließlich schlug ihr Herz noch schneller,
als er sie nun ansah. Und als er sagte, das Anastasia fast so ein
schönen Name war wie Rosi, da wußte sie, das er beide Namen schön
fand. Denn dies verrieten ihr seine Augen, mit der er sie dabei
angesehen hatte. Als er Rosi sagte, daß er in jenem Haus wohne, wurden
sie schwach. Denn sie bewunderte dieses Haus schon lange. Und als er
dann auch noch Rosis Vater ins Spiel brachte, und Rosi ihm sagte, daß
sie alleine wären, da hoffte sie innständig, daß er sie absichtlich
danach ausfragte. Und dann machte er den Vorschlag bei ihm zu essen.
Es stimmte. Eigentlich wären sie jetzt nach Hause gegangen. Sie hätten
zu Abend gegessen und noch etwas gespielt. Dann wäre Rosi ins Bett
gegangen und sie hätte sich auf das Sofa gelegt und noch etwas
gelesen. Sie sträubte sich etwas. Innerlich allerdings hatte sie schon
längst „ja“ gesagt. Schließlich gab sie nach, bevor er es aufgab. Und
so ging sie mit ihm auf das Haus zu. Es schien nicht so, das Rosi sich
von ihm trennen wollte. Sie hatte ihre Ärmchen fest um seinen Hals
geschlungen. Und er schien sie mehr als nur auf seinem Arm zu haben,
denn er hielt seinen anderen Arm um sie herum. Das Haus kam immer
näher. Sie hatten es schon oft gesehen und sie hatte sich gefragt, wie
es wohl von innen aussehe, wie es wäre, in diesem verträumten Haus zu
wohnen. Rosi hatte es genau getroffen, als sie sagte es wäre ein
Schloß. Die roten Backsteine, die Türmchen. Es wirkte so verträumt, so
romantisch. Es mußte schön sein darin zu wohnen. Und nun würde sie es
von nahem sehen. Und mehr noch. Sie würde es gleich auch von innen
sehen.
Als sie fast vor dem kleinen Tor standen, kam ihnen ein Mädchen in der
Uniform der Tierpfleger entgegen und grüßte. Da stoppte er und rief
ihr nach.
„Barbara?“
„Ja.“
„Könntest du mir noch schnell einen Gefallen tun?“
„Ja, warum nicht.“, antwortete sie mit einem strahlen im Gesicht.
„Würdest du Renana holen und zu mir bringen?“
„Klar. Gerne. Kann aber was dauern.“, lachte sie.
„Ich weiß, die Schmusestunde. Hauptsache, du bringst sie mir.“
„Gemacht.“
Sie ging schnellen Schrittes weiter, während er das kleine Tor
öffnete.
„Immer herein in Dornröschens Schloß.“
Er ließ sie vorbei und schloß hinter sich das Tor. Der kleine Gang,
kaum 5 Meter lang, lag parallel zum Zaun. An seinem Ende befand sich
ein weiteres Tor, sodaß alles wie ein „Z“ angelegt war. Dort öffnete
er das Tor und sie traten auf das Gelände. Die Beiden staunten. Von
draußen war es schon schön. Aber jetzt, kaum 10 Meter vor den Mauern,
war es wunderschön, traumhaft, romantisch. Der Efeu rankte sich schon
bis gut 5 Meter in die Höhe. Noch eine Weile und es würde ganz mit
Efeu überwachsen sein. Damit wäre es wirklich zu Dornröschens Schloß
geworden. Ohne Rosi vom Arm zu nehmen, führte er die Beiden die Stufen
zum Eingang hinauf. Die große zweiflügelige Türe stand weit offen und
sie konnten eine große Halle sehen. Links war eine Treppe, die nach
oben führte, von wo sie, von links nach recht, als Gang weiterlief.
Sie konnte auf dem Gang drei abgehende Öffnungen sehen, aber keine
Türen. Da führte er sie nach links.
Alexandra kam aus dem Staunen nicht heraus. Denn nun betraten sie ein
Wohnzimmer, welches fast schon so groß war wie ihre ganze Wohnung
daheim. Besonders der offene Kamin fiel ihr gleich ins Auge. Schon
immer träumte sie davon, im Kerzenlicht vor einem Kamin zu sitzen und
ein Glas Wein zu trinken. Dem Kamin gegenüber stand ein Sofa. Es ging
hinten über Eck. Davor stand ein massiver Holztisch und direkt am
Eingang, gegenüber dem kurzen Stück Sofa, ein Sessel, passend zum
Sofa. Neben dem Kamin, auf beiden Seiten, standen Schränke. Einzig
über dem Kaminsims war etwas, was sie nicht definieren konnte. Es war
eine dunkle Fläche, etwa 1.50 mal 80 groß, Vielleicht ein
Bilderrahmen, in dem das Bild noch fehlte? Gegenüber dem Eingang gab
es einen weiteren Durchgang. Da sie einen Kühlschrank erkennen konnte,
war ihr klar, daß dies die Küche sein mußte.
„Setz dich.“, sagte er zu ihr und deutete auf den Sessel. Anastasie
setzte sich und wäre fast in ihm versunken. So weich war er. Er setzte
Rosi neben ihr auf dem Sofa ab.
„Möchtet ihr etwas trinken?“
Beide nickten.
„Ich habe Sprudelwasser, Limo, Cola, Bier, Wein, Fruchtsäfte,
selbstgemachten Zitronensaft“
„Zitronensaft.“, fiel Rosi ein.
„Und du?“
„Eine Cola?“
„Kein Problem.“
Er ging zum Schrank und holte drei Gläser heraus, die er auf den Tisch
stellte. Dann eilte er in die Küche und kam mit einer Glaskanne und
einer kleinen Flasche Cola zurück. Letzeres öffnete er und goß ihr
etwas in ihr Glas. Dann nahm er Rosis und sein Glas und goß den
Zitronensaft ein. Er setzte sich neben Rosi auf das Sofa und sie
tranken.
„Hunger?“, fragte er.
Rosi schüttelte ihren Kopf.
„Also wenn ich ehrlich bin, ich auch noch nicht.“
„Dann warten wir mit dem Abendbrot noch etwas.
„Bin schon da.“, hörten sie da eine Stimme, die dem Mädchen von vorhin
gehörte. Anastasia drehte sich nicht herum. Doch Rosis Augen wurden
immer größer.
„Darf ich sie mit nach Hause nehmen?“, fragte jenes Mädchen.
„Du kennst doch meine Antwort.“
„Bitte.“
„Da brauchst du nicht zu betteln, du kennst die Antwort.“
Das ging noch einige Sätze weiter und Anastasia grinste.
Rosi schaute ihn an und er nickte ihr nur zu. Langsam stand sie auf
und ging zu dem Mädchen, welches gerade mit einer riesigen Katze
schmuste.
„O.K. Dann bin ich jetzt weg. Bis Montag. Schönen Abend noch.“
„Danke Barbara, dir auch.“
Erst jetzt schälte sich Anastasia aus dem Sessel hervor und drehte
sich herum um Rosi nachzusehen. Da erstarb ihr grinsen. Sie sah einen
Tiger auf dem Boden liegen und ihre Tochter gab ihm gerade einen Kuß
auf die Nase. Ihr Herz blieb stehen, als sie sah, wie die lange Zunge
des Tigers über das Gesicht ihrer Tochter leckte.
„Rosi! Komm her mein Schatz.“
„Miezekatze.“, antwortete sie mit leuchtenden Augen und kam zu ihrer
Mutter. Sie riß sie förmlich an sich.
„Aua Mama. Du tust mir weh.“
Sie schaute ihn an und zitterte.
„Bist du verrückt! Wie kannst du sie mit dem Tier zusammen lassen?“
„Du hast doch gesehen, daß sie sich mögen.“
„Als Abendessen vielleicht.“
Er sah, wie sie ihn vorwurfsvoll anblickte.
„Was hab ich dir vorhin gesagt?“, fragte er.
„Das du uns nie belügen würdest?“
„Nein, das andere. Das ich euch niemals in Gefahr bringen würde.“
„Ja.“
„Ich hätte euch niemals mitgenommen, wenn es für euch gefährlich
wäre.“
„Ich möchte gehen.“
„Mama.“
„Wie du möchtest.“
„Nein.“
„Sei ruhig!“
„He! In meinem Haus schrei nur ich.“
Rosi begann zu weinen und befreite sich aus der Umklammerung ihrer
Mutter und lief zu ihm hin. Er hob sie sofort hoch und sie schlang
ihre Arme und Beine um ihn. Heulend verbarg sie ihr Gesicht an seiner
Brust.
„Rosi!“
„Wieso schreist du dein Kind an. Nur weil du mir nicht vertraust? Ich
hab dir gesagt, daß es nicht gefährlich ist. Aber du glaubst mir
nicht. Schade. Komm, wir gehen.“
Er reichte ihr die Hand um ihr aus dem Sessel zu helfen, doch sie
ignorierte sie. Er ging vor, ließ aber Rosi kurz vor dem Eingang zum
Wohnzimmer herunter. So konnte sie Renana noch schnell streicheln.
„Rosi!“
Die Kleine ging weiter Richtung Ausgang. Voller Panik drückte sich
Anastasia an die Wand, während sie sich an der Katze vorbeidrückte.
Hatte sie nun gedacht, daß sie es geschafft hatte, so wurden ihre
Hoffnungen zunichte gemacht. Denn er rief das Untier und sie ging an
seiner Seite mit hinunter zum Ausgang. Und als er sie in den Gang
ließ, kam sie ebenfalls mit. Sofort riß sie Rosi an sich, die schon
ihr Ärmchen zu Renana hingestreckt hatte, und diese ihren Kopf an
ihrer kleinen Hand rieb. Endlich gab die äußere Türe nach und sie
schob Rosi vor sich hin hinaus. Draußen stürmte Rosi sofort wieder zu
ihm. Er nahm sie auch gleich hoch und ging zum Ausgang des Zoos.
„Willst du hierbleiben?“, fragte er sie, da Anastasia stocksteif
stehen blieb, da Renana um sie herum ging. Erst als er sie am Arm
packte erwachte sie aus ihrer Trance. Sie riß sich von seinem Arm los
und ging mit ihm Richtung Ausgang. Schweigend. Nur Rosis weinen war zu
hören. Erst als sie kurz vorm Ausgang waren sprach sie wieder.
„Wie konntest du nur?“
„Was.“
„Das ist eine Raubkatze!“
„Hat Renana Rosi gekratzt? Fehlt ihr auch nur ein Finger? Du hast doch
gesehen wie lieb sie ist. Barbara hat sie uns gebracht. Fehlte bei ihr
was?“
Sie wußte darauf keine Antwort. Dennoch glaubte sie ihm nicht. Ohne
ihm zu antworten gingen sie weiter. Am Tor ließ er Rosi herab und
schloß es auf. Anastasia zog Rosi mit sich. Erst als sie draußen waren
sagte er:
„Schade, daß du mir nicht vertraust. Schade, daß du mich in den Topf
zu den anderen schmeißt.“
Dann schloß er das Tor und ging. Nur Renana blieb am Tor. Rosi rannte
zu ihr. Aber das Plexiglas im Tor hinderte sie daran Renana zu
berühren.
Anastasia nahm Rosis Hand und zog sie mit sich. Schweigen gingen sie
nach Hause.
Schräg gegenüber dem Eingang trafen sie auf Barbara, die mit ihrem
Freund gerade aus einem Haus herauskamen.
„Schon zu Ende?“, fragte sie erstaunt.
Anastasia antwortete nicht. Nur Rosi weinte noch.
„Sie haben ihm nicht geglaubt das Renana lieb ist. Richtig?“
Anastasia blieb stehen.
„Er hat ihnen doch am Zebragehege gesagt, daß es sie beide niemals in
Gefahr bringen würde.“
Doch Anastasia reagierte nicht.
„Schade.“, sie nahm die Hand ihres Freundes, dann ließ sie die Beiden
stehen und ging.
Sie sprachen kein Wort. Und als sie zu Hause angekommen waren, sollte
Rosi sich gleich ausziehen, sie würde das Abendessen machen. Während
sie die Brote machte, ärgerte sie sich über ihn. Wie konnte er das nur
machen? Das war doch keine Katze. Das war eine Raubkatze. Ein
Raubtier, ein Fleischfresser. Kein Stubentiger, ein richtiger. Beinahe
hätte sie sich in die Hand geschnitten, so sehr zitterte sie noch vor
Aufregung. Als sie fertig war, rief sie Rosi. Doch sie kam nicht. Auch
auf ihren zweiten Ruf hin kam sie nicht. Daher ging sie in Rosis
Zimmer. Erstaunt sah sie, daß Rosi sich nicht nur ausgezogen hatte,
sondern auch schon in ihr Bett gegangen war und schlief. Ohne
Abendessen. Und auch ohne ihr Püppchen. Denn dies hatte Anastasia sich
in ihre Tasche gesteckt, als sie bei den Zebras waren. Und dort
steckte es noch immer. Das war noch nie vorgekommen. Normalerweise
schlief sie ohne ihr Püppchen nicht ein. Anastasia ging zu ihr und
wollte sie zudecken. Da sah sie den nassen Flecken auf dem Kopfkissen.
Da, wo sie mit ihrem Gesichtchen lag. Rosi hatte geweint. Und dem
Fleck nach zu urteilen, nicht gerade wenig. Und sie hatte es nicht
gehört. Sie zog das Kissen unter ihrem Kopf etwas hervor, damit sie
nicht im nassen lag. Dann ging sie hinaus, löschte das Licht und
schloß die Türe. Sie setzte sich auf das Sofa und starrte auf die
Brote. Jetzt hatte auch sie keinen Hunger mehr. Sie legte sich aufs
Sofa und schloß ihre Augen. Sie fühlte sich schuldig. Schuldig an den
Tränen ihrer Tochter. Aber sie hatte doch Angst um sie gehabt. Rosi
war doch das einzige, was ihr noch geblieben war. 9 Monate lang hatte
sie sie gehaßt. Doch als sie den ersten Schrei von ihr gehört hatte,
sie auf ihrer Brust gespürt hatte, da vergaß sie die Adoptionspapiere
und liebte sie. Sie unterschrieb sie nicht. Stattdessen behielt sie
Rosi, kümmerte sich so liebevoll um sie, daß sie sich nicht vorstellen
konnte, daß sie sie hatte fortgeben wollen. Sie wollte sie nicht
verlieren. Darum war das doch alles passiert. Dabei war sie doch so
glücklich gewesen, als sie ihn vorhin wiedergesehen hatte. Und dann
fing sie an zu weinen.
Er schlenderte sehr lange durch den Zoo. Seine Gedanken waren ständig
bei ihnen. Bei ihr und ihrer Mutter. Er vermißte den kleinen Engel
schon. Aber ihre Mutter auch. Schade das Anastasia ihm nicht
vertraute. Dabei hätte er doch alles für die Beiden getan. Na ja, fast
alles. Renana hätte er niemals fortgegeben. Sie war seine kleine
Tochter. Aber sonst hätte er wirklich alles für die Beiden gemacht. Er
setzte sich schließlich auf eine Bank und Renana setzte sich neben ihn
auf den Boden, legte ihren Kopf auf seine Beine. Sonst kam sie bei
solchen Gelegenheiten immer an ihm hoch und leckte ihn ab, wollte
schmusen. Aber heute nicht. Als er zu ihr herabsah, schaute sie ihn
traurig an. Es schien wirklich so zu sein. Sie trauerte. Er
streichelte ihren Kopf. Doch selbst das konnte sie nicht aufmuntern.
Sie schien die Maus auch zu vermissen.
„So spät noch hier?“, drang plötzlich eine Stimme an sein Ohr. Er
blickte hoch und staunte. Karl, der im Zoo mit noch drei anderen die
Nachtwächterfunktion inne hatte, stand dort drüben.
„Karl?“
„Wer sonst?“
„Wie spät ist es denn?“
„Zwanzig vor zwölf.“
„Was!?!“
„Sie haben wohl die Zeit vergessen?“
„Das kann man wohl sagen.“
Karl lachte und ging weiter. Er stand auf und ging mit Renana nach
Hause. In der Nacht kam sie zu ihm ins Bett. Das machte sie sehr oft.
Aber in dieser Nacht schmuste sie nicht mit ihm. Sie legte nur ihren
Kopf auf seine Brust und er streichelte sie.
Probleme
Die kommenden Wochen waren für alle Beteiligten die reinste Hölle. Und
alle vier gingen mit ihren Kummer auf ihre ganz spezielle eigene Art
und Weise um. Sie schmälerten ihn nicht, geschweige denn verbannten
ihn aus ihren Leben. Man lebte mit ihm. Obwohl für jeden von ihnen nur
ein Schritt ausgereicht hätte, um aus dem Dilemma herauszukommen,
niemand brachte den Mut auf, diesen entscheidenden Schritt zu tun. Und
so blieb der Kummer ihr bester Freund. Und das war nicht leicht. So
wie bei Ulrich.
Seit jenem verhängnisvollen Abend hielt Ulrich jeden Tag im Zoo nach
ihnen Ausschau. Doch so sehr er sich auch anstrengte, nirgends war
auch nur ein Zipfel von ihnen zu sehen. Täglich drückte er sich um die
Arbeiten im Krankenhaus und überließ sie den anderen vier Ärzten
seines Teams. Und die waren mehr als froh darüber. So hatten sie ein
festes Tagesprogramm. Und dies war in der Zeit sehr klein. Es gab kaum
Patienten im Revier. Und so übernahm er für sie die täglichen
Inspektionen und mußte sich so gut wie jedes Tier im Zoo ansehen und
bei eventuellen Notrufen schnell zum jeweiligen Gehege laufen um Erste
Hilfe zu leisten, bis das der diensthabende Arzt zu ihnen kam. Und so
kam er täglich überall im Zoo herum. Und er suchte nach ihnen. Aber
leider ohne jeden Erfolg. Und wenn er dennoch im Revier arbeiten
mußte, so konnte er sich bei den Untersuchungen nicht richtig
konzentrieren. Zwar machte er keine Fehler oder übersah etwas. Im
Gegenteil. Alle seine Patienten wurden wie immer mehr als gründlich
untersucht. Aber alles dauerte etwas länger als sonst. So lange, daß
seine Kollegen sich schon wunderten. Und da niemand von ihnen von
diesem verhängnisvollen Abend wußte, so konnte sich auch niemand einen
Reim darauf machen. Doch meistens war er draußen. Kreuz und quer lief
er im Zoo herum. Er schaute ins Restaurant rein, sah sich die Menschen
in den Schlangen an den Kassen an, doch er fand keine Spur von ihnen.
Zwar sagte er sich immer, daß sie sich in einem anderen Teil des Zoos
aufhielten als er. Aber innerlich wußte er genau, daß er sich damit
nur belog. Dennoch hoffte er jeden Tag aufs Neue, sie im Zoo
anzutreffen. Aber er wußte nur zu genau, daß sie unter der Woche
bestimmt nicht in den Zoo kommen würden. Denn wenn Anastasia arbeitete
und Rosi in der Zeit im Kindergarten war, dann würden sie bestimmt
nicht im Zoo sein können. Und wenn Anastasia bis 16 Uhr arbeitete,
dann wäre es doch schon zu spät, um dann noch in den Zoo zu gehen.
Vielleicht würde er ja wenigstens Rosi sehen, wenn ihr Kindergarten
einen Ausflug in den Zoo machte. Es kam öfters vor, das Schulen oder
Kindergärten einen Ausflug hierher machten. Aber in nächster Zeit
hatte sich weder eine Schule, noch ein Kindergarten angemeldet. Es
blieben ihm also nur noch die Wochenenden als kleiner
Hoffnungsschimmer. Und so ging er an den kommenden Wochenenden,
erwartungsvoll, mehr Kilometer durch den Zoo, als je zuvor. Dennoch
hatte er keinen Erfolg. Sie waren nicht da. Und so ging er jeden Abend
völlig entmutigt nach Hause. Dazu kam auch noch, daß er nachts
stundenlang wach lag und höchstens ein oder zwei Stunden schlief.
Reichlich wenig, doch er kam damit aus. Und ständig dachte er in den
Nächten an die Beiden, an den Tag, an den Abend. Er fragte sich, ob er
es mit Renana vielleicht zu schnell gemacht hatte. Aber eigentlich
hatte er sich so wie jeden Abend verhalten. Entweder holte er Renana
aus ihrem Gehege, oder eine der Pflegerinnen tat es, wenn er nach
Hause ging. Und die Tierpflegerinnen taten es sehr gerne. So gut wie
fast jeden Abend stand eine von ihnen, „rein zufällig“, in der Nähe
seines Hauses oder Renanas Gehege und bot sich an, sie für ihn zu
holen. Manchmal dachte er, daß sie sich dafür absprachen. Denn nie
stand dasselbe Mädchen zweimal hintereinander dort. Dennoch machte er
sich Vorwürfe. Das, was hier jeder im Zoo wußte, daß Renana keine
Raub, sondern eine liebe Schmusekatze war, das war den Besuchern
unbekannt. Und somit auch den Beiden. Einzig Rosi hatte ihm,
vielleicht auch aus ihrer kindlichen Naivität heraus, sofort geglaubt.
Sie hatte Barbara mit Renana in der Halle schmusen sehen und irgendwie
gespürt, daß sie dies auch machen konnte. Und so war sie auch sofort,
ohne auch nur die geringste Furcht zu zeigen, zu den Beiden
hingegangen und hatte sich sofort mit Renana angefreundet. Nur
Anastasia war damit sichtlich überfordert gewesen. Er war anfänglich
der Meinung gewesen, sie hätte überreagiert. Doch in ihren Augen hatte
er Panik gesehen. Erst viel später konnte er sich in sie
hineinversetzen. Dennoch. Wieso hatte sie ihm nicht geglaubt? Hatte er
ihr nicht gesagt, daß er sie niemals in Gefahr bringen würde? Sie und
die Kleine? Was war bloß in ihrem Leben passiert, das sie kein
Verstrauen zu ihm hatte?
Renana spürte seinen Kummer nur zu gut. Doch sie konnte ihn nicht
aufheitern. Sie schien selber traurig zu sein. Denn sie kam nicht zu
ihm um zu schmusen, fraß auch nicht so gierig wie sonst, und in den
Nächten lag sie nur mit ihrem Kopf auf seiner Brust ohne sich zu
rühren. Vorbei waren auch ihre kleinen Streiche in der Nacht, die sie
sehr gerne machte. Streiche in der Art, das er mitten in der Nacht
aufwachte, ohne seine Decke, während Renana ihn, eingemummelt, aus der
stibitzten Decke anschaute, als wenn nichts gewesen wäre. Auch keine
nächtlichen Abstürze mehr aus seinem Bett, wenn sie ihn nachts langsam
aber stetig zum Ende des Bettes hin drückte, sodaß er mitten in der
Nacht aus dem Bett fiel. Aber wenn sie es gemacht hätte, so hätte er
sowieso nicht mit ihr geschimpft. Das hatte er früher nicht gemacht
und würde er es jetzt auch nicht tun. Aber selbst dazu wäre er
momentan nicht fähig gewesen. Denn er spürte deutlich, daß sie traurig
war. Er wußte, daß Renana das kleine Mädchen vermißte. Schließlich
hatte Rosi sie ohne Scheu einfach umarmt und sie fest an sich
gedrückt.
Bei Anastasia und Rosi war es aber auch nicht anders. Eher gesagt war
es bei ihnen noch viel schlimmer. Seit jenem Abend war eine
unsichtbare Mauer zwischen Anastasia und Rosi errichtet worden. Und
Anastasia wußte, daß sie von Rosi errichtet worden war. Zwar versuchte
Anastasia ihr Bestes um diese Mauer zu überwinden oder einzureißen,
doch sie wußte nicht wie sie es anstellen sollte. Denn mit diesem
Problem war sie bisher noch nie konfrontiert gewesen. Bisher war ihre
gemeinsame Zeit überaus harmonisch gewesen. Sie hatte noch nie mit
Rosi schimpfen müssen. Und bisher hatte Rosi ihr auch noch nie einen
Anlaß dazu gegeben. Doch nun dies. Zwar mußte sie nicht mit ihr
schimpfen, aber sie drang nicht zu ihr durch. Täglich fragte sie Rosi,
wie es im Kindergarten gewesen war. Doch anstatt wie sonst immer,
fröhlich über ihren Tag zu reden, beschränkte sich Rosi nun nur auf
die nötigsten Antworten. Und selbst diese fielen mehr als spärlich
aus. Zuhause schien Rosi ihr aus dem Weg zu gehen. Aber sie tat es
nicht offensichtlich oder provokativ. Doch sie hielt sich mehr als
sonst in ihrem Zimmer auf. Für ein Mädchen in einer normalen Wohnung
wäre dies nichts Besonderes gewesen. Doch die Wohnung der Beiden
beinhaltete ein Bad, ein Wohnzimmer und Rosis Zimmer. Sonst nichts.
Und in Rosis Zimmer stand nur ihr Bett und der Kleiderschrank von
ihnen beiden. Mehr paßte in das kleine Zimmerchen nicht hinein. Außer
ihrem Püppchen, es lag neben ihrem Kopfkissen in ihrem Bett, lagen
ihre anderen Spielsachen, es waren nicht viele, im Wohnzimmer. Jenes
Zimmer, was tagsüber Küche, Eßzimmer, Wohn-und Spielzimmer in einem,
und nachts Anastasias Schlafzimmer war. Anastasie schlief nachts auf
dem engen Sofa. Und so hätte Rosi abends vor dem Abendessen bei ihr
sein müssen. Stattdessen aber ging sie wortlos in ihr Zimmer. Mehr als
einmal hatte Anastasia gesehen, wie Rosi in ihrem Zimmer auf dem
Boden, mit angezogenen Beinen und diese umfassend, den Kopf auf ihre
Knie gelehnt, saß und vor sich hin träumte. Auch ihre abendliche
Spielzeit nach dem Abendbrot ließ Rosi einfach ausfallen. Anstatt sich
auszuziehen und wieder ins Wohnzimmer zu kommen, um nach dem
Abendessen noch etwas mit Mama zu spielen, ging sie nach dem Abendbrot
wortlos ins Bett. Ohne Gute Nacht Kuß. Sogar ihr geliebtes Püppchen
blieb unangetastet am Kopfende ihres Bettes sitzen. Auch etwas, was
früher nie der Fall gewesen war. Ohne ihr Püppchen konnte Rosi nicht
einschlafen. Doch nun rührte sie es nicht an. Auch aß Rosi seit dem
Tag weniger. Anastasia hatte sie bisher noch nie zum Essen zwingen
müssen. Und da Rosi ja etwas aß, machte sie sich darum keine großen
Sorgen. Doch beim Abendbrot selbst spürte Anastasia, daß Rosi so
schnell wie möglich wieder alleine sein wollte. Denn das bißchen was
sie aß, das schlang sie förmlich hinunter. Was ihr aber dann Sorgen
bereitete, das war ein Gespräch mit der Leiterin des Kindergartens.
Denn eines Morgens hielt diese sie auf und sprach mit ihr über Rosis
eigenartiges Verhalten.
„Wir machen uns Sorgen um Rosi.“, sagte sie zu ihr.
„Wieso?“, fragte sie ängstlich.
„Rosi ist wie verwandelt.“
„Wie meinen sie das?“
„Nun, sie beteiligt sich an keinerlei spielerischen Aktivitäten mehr.
Sie sitzt immer nur alleine in einer Ecke und träumt vor sich hin. Sie
ist sehr verschlossen geworden. Wenn ich es nicht besser wüßte, dann
würde ich sagen, sie bringen uns seit neuesten ein anderes Mädchen.“
Anastasia war von dieser Nachricht sehr schockiert. Daß sich das
Verhalten ihre Tochter bis auf den Kindergarten ausweiten würde, das
hätte sie niemals gedacht. Und so erklärte sie ihr die Umstände. Sie
erzählte vom Besuch im Zoo und dem Vorfall mit Rosis Püppchen und dem
Eisbären. Die Zebrafohlen, die nun ihre Namen trugen. Auch erzählte
sie von dem Tierarzt, der sie zu den Zebras mitgenommen hatte. Nur das
Geschehen um und mit Renana, das verschwieg sie ihr wohlweißlich. Denn
sie hatte Angst. Angst, daß man ihr Rosi wegnehmen würde, wenn man
erführe, daß sie mit einer echten Raubkatze zusammengewesen war. Die
Kindergartenleiterin glaubte ihre Geschichte. Und so sagte sie ihr,
daß man sich von nun an verstärkt mit Rosi beschäftigen würde.
„Wir werden uns vermehrt um sie kümmern und auch auffordern, mit den
anderen zu spielen. Vielleicht fängt die dich ja wieder.“
Doch Anastasia wußte das sie dies nicht schaffen würden. Und einige
Tage später gab es zu Hause ein weiteres Problem. Es waren Rosis
Nächte. Daß Rosi im Bett weinte, bis das sie eingeschlafen war, das
sah Anastasia abends am Kopfkissen, wenn sie nochmals zu ihr ging. Es
war immer naß. Aber nach einer weiteren Woche fing Rosi an, nachts im
Schlaf zu sprechen. Das machte Anastasia ängstlich. Denn dies hatte
sie noch nie getan. Sehr oft hörte sie, wie ihr Schatz in der Nacht
„Renana“ sagte. Anastasia zitterte. Sie sah die großen Zähne von
Renana vor sich. Doch anscheinend schien ihr Schatz von dieser
gefährlichen Katze zu träumen. Und so wie es aussah, schien sie diese
zu vermissen. Anastasia fing an sich zu fragen, ob sie vielleicht
falsch reagiert hatte. Renana hatte ihr doch eigentlich nichts getan.
Dennoch fürchtete sie sich vor diesem Ungetüm und seinen gewaltigen
Zähnen. Obwohl, Ulrich hatte ihnen doch gesagt, das er sie niemals in
Gefahr bringen würde. Sie und Rosi. Da fiel ihr etwas ein. Er hatte es
ihnen schon vorher gesagt. Bei den Zebras. Hatte er es ihnen wegen den
herannahenden Zebras gesagt? Oder hatte er vielleicht alles schon von
Anfang an so geplant? Was sollte sie davon nur halten?
Es vergingen weitere unruhige Nächte, in denen Rosi nach Renana rief.
Obwohl sie dann immer zu ihr ans Bett kam, sah sie, daß Rosi fest
schlief. Doch nach einiger Zeit schien es fast schon so, als daß Rosi
sich beruhigt hatte. Denn ihre Rufe nach Renana wurden seltener.
Schließlich hörten sie ganz auf. Anastasia atmete erleichter auf. Doch
da passierte es.
Sie lag eines Abends in ihrem Bett auf dem Sofa und hatte noch etwas
gelesen. Als sie schließlich das Licht löschte, kuschelte sie sich
unter die Decke. Sie war fast schon eingeschlafen, da hörte sie Rosi
wieder reden. Zunächst verstand sie ihr Mädchen nicht und glaubte, daß
Rosi Renana sagte. Doch da hörte sie plötzlich wie sie „Ulrich“ sagte.
Aber nur ein oder zweimal. Dennoch fuhr sie erschrocken hoch.
Anastasia starrte sehr lange durch die Dunkelheit zu Rosis Türe
hinüber. Aber Rosi war wieder still. Innerlich freute sie sich, daß
sie nun von Renana ab und nun von Ulrich träumte. Das war schon mehr
in ihrer Richtung. Denn auch sie träumte fast jede Nacht von ihm und
seinen wundervollen Augen. Und wenn sie aus ihren Träumen die Katze
erfolgreich verbannt hatte, so war jeder Traum mehr als wundervoll
gewesen. Dennoch wunderte sie sich, daß ihre Tochter Ulrich in der
kurzen Zeit so sehr in ihr Herz geschlossen hatte, daß sie nun von ihm
träumte und sogar nach ihm rief. Sie war eine erwachsene Frau. Sie
wußte was Liebe war. Aber Rosi? Sie konnte doch nicht in ihn verliebt
sein. In den folgenden nächsten Nächten paßte sie auf, aber Rosi
redete nicht. Schließlich beruhigte sich Anastasia wieder. Doch da
passierte es erneut. Aber etwas anderes ließ sie erzittern. Rosi war
nicht verliebt in Ulrich. Es war viel mehr. Denn nun sagte sie nicht
nur Ulrich, sondern sie sagte auch „Papa!“. Anastasia war erschüttert.
Sie hatten niemals über Rosis Erzeuger geredet. Und der einzige Mann,
den Rosi näher kannte, das war Ulrich. Sah man vom Filialleiter ab,
den sie hin und wieder mal gesehen hatte, wenn sie Rosi mit zur Arbeit
nehmen mußte. Dennoch hörte Anastasia deutlich wie Rosi im Schlaf
sprach, „Ulrich“ und „Papa“ sagte. Sie dachte daran, wie Rosi auf
seinem Arm gesessen hatte. In den Momenten war sie so glücklich
gewesen und hatte sich richtig an ihn festgeklammert. Genügte das
wirklich, um in ihrem Kopf den Wunsch zu entfachen, daß Ulrich ihr
Vater wäre? Sie selbst hätte nichts dagegen gehabt. Und erneut dachte
sie daran, wie schön es wäre, jetzt in seine Augen schauen zu können.
In jener Nacht machte sie kein Auge zu. Sie weinte nur. Sie drehte
sich zur Sofalehne hin und ließ ihrem Kummer freien Lauf.
Als sie an diesem Morgen zum Kindergarten gingen, sprach Rosi sie an.
Eigentlich hätte sie sich freuen müssen, daß Rosi endlich von sich aus
mit ihr sprach. Doch Rosi fragte sie, ob sie geweint hätte und warum.
Doch Anastasia schwieg. Sie konnte ihr nicht sagen weshalb sie in der
Nacht geweint hatte. Denn das hätte alles nur noch schlimmer gemacht.
Vielleicht nicht für Rosi. Aber für sie. Sie hätte erneut geweint.
Geweint, weil ihre Gefühle zu Ulrich mit denen von Rosi konform
gingen. Daß sie sich so sehr wünschte, daß der damalige Abend einen
vollkommen andern Verlauf genommen hätte. Daß sie sich näher gekommen
wären. Sehr viel näher. Und vielleicht auch.
Sie brachte Rosi in den Kindergarten, ohne auf ihre Frage einzugehen.
Und Rosi fragte nicht erneut nach, was sie mit Erleichterung zur
Kenntnis nahm. Dann ging sie zur Arbeit. Auf dem Weg dorthin verbarg
sie ihr Gesicht tief in ihren Mantel. Aber nicht weil es ihr kalt war.
Sie wollte nicht, daß man sie weinen sah. Denn als sie Rosi
abgeliefert hatte, dachte sie wieder an die vergangene Nacht. Und
damit auch wieder an Ulrich. An der Arbeit blieb sie einige Minuten
lang draußen stehen, bis das sie sich wieder gefangen hatte. Und so
kam sie das erstemal in all den Jahren zu spät. Doch der Filialleiter
sagte nichts. Schließlich war Anastasia seine zuverlässigste und mit
Abstand auch seine beste Arbeitskraft.
Es vergingen drei weitere Nächte, in denen sie Rosi „Papa“ sagen
hörte. Und jede Nacht weinte sie sich ebenfalls in den Schlaf.
Schließlich rang sie sich zu einem Entschluß durch. Am Wochenende
wollte sie Rosi eine Freude machen. Und eigentlich wollte sie sich
selbst damit auch eine Freude machen. Denn sie hoffte. Sie fragte
Rosi, ob sie am Sonntag nicht mal wieder in den Zoo gehen sollten.
Doch Rosi sagte nur: „Warum“. Anastasia war wie vor den Kopf
geschlagen. In diesem Moment mußte sie sich wirklich setzen. Das faßte
sie nicht. Das war noch nie vorgekommen. Rosi war doch geradezu
verrückt nach dem Zoo und seinen Tieren. Besonders die großen
Elefanten hatten es ihr doch immer angetan. Zu oft und zu lange hatten
sie vor diesen Riesen gestanden und Rosis Augen hatten dabei immer
richtig geleuchtet. Und sie hatte die Pflegerinnen immer ausgefragt.
Nach allem Möglichen. Und auch sonst war es doch immer Rosi gewesen,
die ihre Mutter nervte, sie sollten doch mal wieder in den Zoo gehen.
Auch wenn sie erst am Tag vorher schon dagewesen waren. Und jetzt
hätte sie ja auch noch einen Grund mehr dafür gehabt. Ulrich! Darum
wollte sie ihr doch damit eine Freude machen. Und sie hoffte ja auch
darauf, daß sie Ulrich wiedersah. Doch Rosi sagte nur „warum“.
Anastasia verstand ihren Engel nichtmehr. Rosis Begeisterung für ihren
heißgeliebten Zoo war zerstört worden. Sie wollte nicht hin. Anastasia
konnte sich denken warum Rosi nicht in den Zoo wollte. Schließlich
hätte sie es ihr niemals erlaubt, erneut mit dieser gefährlichen
Raubkatze zusammenzukommen. Mit Ulrich schon. Aber doch nicht mit
Renana. Einzig in ihren Gedanken und Träumen war Rosi dort mit den
Beiden zusammen. Und wo sie da war, das konnte sich Anastasia sehr
genau denken. Im Haus. Mit der Katze zusammen in der Halle spielen.
Sie schauderte bei dem Gedanken. Doch in Bezug zu Ulrich konnte sie
ihre Tochter verstehen. Denn sie war in ihren Gedanken ja auch ständig
bei ihm. Allerdings ohne Katze. Denn Ulrich ging ihr ja auch nichtmehr
aus dem Kopf. Sie hatte sich doch schon am Eisbärengehege in ihn
verliebt. Liebe auf den ersten Blick? Ja, das war es gewesen. Und seit
dem Moment waren ihre Gefühle zu ihm immer stärker geworden. Selbst
das Vorkommnis mit Renana hatten ihre Gefühle zu ihm nicht schmäleren
können. Auch wenn sie es ihm übelnahm, Renana mit ins Spiel gebracht
zu haben. Dennoch wünschte sie sich insgeheim ihn wiederzusehen. Mit
ihm zusammenzukommen. Doch sie wußte nicht was sie machen mußte. Wie
sie es anstellen sollte. Denn darin hatte sie doch keinerlei
Erfahrung. Das einzige Mal in ihrem Leben hatte keine 5 Stunden
gedauert. Und Liebe war damals auch nicht im Spiel gewesen. Die meiste
Zeit über hatten sie nur getanzt und getrunken. Getrunken, bis sie
nichtmehr wußte wer sie war, oder wo sie sich befand. Nicht wußte, was
er da unten mit ihr machte. Zumal sie damals auch noch nicht wußte,
was man damit machen konnte. Niemand hatte ihr gesagt, was passieren
könnte. Kurz danach, er hatte sie noch zu ihrem Platz gebracht, da war
er auch schon wieder aus ihrem Leben verschwunden und hatte ihr etwas
hinterlassen. Etwas, wovon sie in diesem Moment noch nichts wußte.
Anfangs hatte sie diese Hinterlassenschaft mehr gehaßt als geliebt.
Aber als sie Rosi geboren hatte, seitdem liebte sie seine
Hinterlassenschaft. Und nun hatte dieser kleine Engel Kummer. Und sie,
weil sie Angst um sie hatte. Rosi hatte bisher doch noch nie geweint,
unruhig geschlafen oder gar im Schlaf geredet. Selbst dann nicht, als
sie krank gewesen war. Und nun das. Sie wollte daß es aufhörte. Sie
hätte alles dafür gegeben, daß ihr Engel wieder ein normales Leben
führte. Aber Rosi blockierte ihre Bemühungen. Sie hätte sie zwingen
können, mit ihr in den Zoo zu gehen. Aber das hätte sie vielleicht nur
bockig gemacht. Hätte alles verschlimmert.
Die Razzia
Sieben Wochen waren seit jenem Schicksalstag im Zoo vergangen. Rosi
sprach mittlerweile öfter mit ihr, beschränkte sich aber immer noch
nur auf das wesentliche. Auch gab es mittlerweile die Spielstunde
wieder. Anastasia hatte lange daran arbeiten müssen, bis das sie Rosi
dazu bewegen konnte. Aber Rosis lachen war verstummt. Wenn sie früher
ihre Mutter beim „Mensch ärgere dich nicht“ rausgeschmissen hatte,
dann lachte sie aus vollem Herzen. Jetzt tat sie es wortlos, ohne eine
Regung zu zeigen. Es schnitt Anastasia ins Herz. Rosis Lachen erfreute
sie immer wieder. Doch es war verschwunden. In den Zoo waren sie
bisher auch nie wieder gewesen. Obwohl Anastasia ihre Tochter mehrmals
gefragt hatte, ob sie hingehen sollten. Doch jedesmal sträubte sich
Rosi dagegen. Fast schien es so, als ob sie Angst vor dem Zoo hätte.
Anastasia wußte nicht was sie tun sollte. Zwingen wollte sie sie auch
nicht. Aber sie drang in dieser Beziehung einfach nicht zu ihrer
Tochter durch. In den Nächten war schließlich auch wieder Ruhe
eingekehrt. Zwar weinte sich Rosi nach wie vor in den Schlaf, doch sie
redete nichtmehr. Das jedenfalls dachte Anastasia, da sie in den
Nächten nichts von ihr hörte. Bis zu der Nacht, als sie mitten in der
Nacht vom weinen ihres Engel geweckt wurde. Sofort sprang sie auf und
lief zu ihr. Rosi saß im Dunkeln in ihrem Bett und weinte. Sie sprach
nahm sie in die Arme und sprach sie an. Doch sie mußte feststellen,
daß Rosi schlief. Und da hörte sie wieder das eine Wort. „Papa“. Zwar
gelang es ihr, Rosi wider hinzulegen, aber sie konnte sie nicht
trösten. Erst als sie wieder tiefer und fester schlief, hörte auch ihr
weinen auf. Völlig aufgelöst saß sie am Bett ihrer Tochter und wußte
sich keinen Rat.
Und so saß sie am nächsten Tag, wie an jedem Tag, in ihrer
Mittagspause einsam im Aufenthaltsraum der Aldi-Filiale, in der sie
als Kassiererin angestellt war, träumend am Fenster. Darum nahm sie
ihre Mittagspause auch immer als letzte. Denn dann war sie ungestört
und konnte ihren Gedanken freien Lauf lassen. Und diese Gedanken
kreisten ständig um Rosi und Ulrich. Meistens jedoch nur um Ulrich.
Sein Gesicht tauchte immer vor ihr auf. Seine Augen, sein Blick, mit
dem er sie bereits am Eisbärengehege gefangengenommen hatte. Sie
konnte an nichts anderes denken als an ihn. Und sie wollte auch an
nichts anderes denken. Denn dafür war es zu schön.
Direkt gegenüber dem Aufenthaltsraum, auf der anderen Straßenseite,
lag eine Toreinfahrt. Gleich rechts davon war der zur Einfahrt
gehörige Hauseingang. Es war ein Mietshaus, vom Aussehen nicht viel
anders als jenes Haus, in denen sie auch wohnten. Vier Etagen, alt und
heruntergekommen. Hier hatten sie schon oft finstere Gestalten ein und
aus gehen sehen. Aber man hatte sich mittlerweile daran gewöhnt. Und
in den Laden waren sie bisher noch nie gekommen. Gedankenverloren
schaute sie hinüber. Plötzlich verschwand Ulrichs Bild vor ihren
Augen. Etwas hatte sein Gesicht verscheucht. Da wurde sie stutzig.
Denn sie sah Rechts und Links des Hauses mehrere Männer in den
Hauseingängen der Nachbarhäuser stehen. Die allerdings sahen nicht so
aus wie jene Typen, welche im Haus ein und ausgingen. Zumal es auch so
aussah, als ob sie Sprechfunkgeräte bei sich trugen. Anastasia schaute
die Straße rauf und runter, da sah sie direkt drüben am Haus zwei
Wagen parken. In ihnen saßen Männer. Dunkel gekleidet und mit
Motorradhelmen. Motorradhelme im Auto? Das war ihr mehr als suspekt.
Ängstlich wollte sie schon nach dem Telefon greifen um die Polizei zu
rufen, da fuhr plötzlich ein Transporter vor. Er stoppte, fuhr
rückwärts an die Einfahrt und dann passierte alles rasend schnell. Die
Türen des Transporters sprangen auf. Mehrere schwerbewaffnete Männer
stürmten in die Einfahrt. Die Türen der beiden Wagen öffneten sich und
die Motorradmänner sprangen aus dem Wagen. Sie trugen
Maschinenpistolen und Schutzwesten, auf denen auf dem Rücken in weißer
Schrift stand: Polizei. Diese liefen zum Hauseingang und stürmten
hinein. Die Männer, welche in den Hauseingängen rechts und links davon
gestanden hatten, rannten mit gezogenen Pistolen hinterher. Ein, zwei
Minuten lang war es still. Dann fielen Schüsse. Anastasia ging
ängstlich in die Hocke. Die Schießerei dauerte für sie unendlich
lange. Dann fielen nur noch vereinzelt Schüsse, dann war Ruhe.
Ängstlich erhob sie sich. Die Straße hatte sich völlig verändert. 6
oder 7 Streifenwagen waren angekommen. Beamte mit Hunden waren
darunter. Und mehr und mehr Beamte gingen in das Haus. Da klirrte es
plötzlich. Ein Mann war Parterre durch das Fenster gesprungen. Er
landete mit einer Rolle auf dem Boden und sprang auf. Dann rannte er
los. Eine Polizistin mit einem Altdeutschen Schäferhund löste dessen
Leine und der Hund jagte ihm sofort hinterher. Gerade als dieser den
Mann ansprang, drehte er sich herum und schoß. Anastasia stockte der
Atem. Der Hund verfehlte den Mann und fiel auf die Straße. Da krachten
zwei Schüsse und streckten den Mann zu Boden. Sekunden später waren
mehrere Beamte über ihn. Die Polizistin rannte zu ihrem Hund. Sie
schrie etwas, was Anastasia nicht verstehen konnte. Scheinbar hatte
der Flüchtige den Hund getroffen. Sofort wünschte sie sich, daß Ulrich
jetzt hier wäre und dem verletzten Tier helfen würde. Einige Beamte
sprachen in ihre Funkgeräte, andere legten eine Decke über den Mann.
Anastasia schaute vom Fenster aus zu wie die Polizisten alles
absperrten. Aber immer wieder schaute sie zu der Beamtin, die nun bei
ihrem Hund kniete und streichelnd auf in einsprach. Aus seinem Maul
kam Blut. Anastasia hoffte, daß es nicht so schlimm war. Aber sie
hatte trotzdem Angst um den schönen Hund. Es dauerte einige Minuten,
da raste plötzlich ein dunkelblauer BMW mit Blaulicht und Martinshorn
die Straße hoch. Er wendete und kam mit quietschenden Reifen an der
Einfahrt zum stehen. Und als der Fahrer aus dem Wagen sprang, gaben
beinahe ihre Beine nach. Ulrich! In grüner OP-Kleidung und mit einer
OP-Haube auf dem Kopf sprang er aus dem Wagen und rannte zum
Kofferraum. Anastasias Herz schlug bis zum Hals. Ihr Held, der Retter
der Tiere, war da. Während er den Kofferraum öffnete kam ein Beamter
zu ihm und redete auf ihn ein. Ulrich nickte nur. Dann rannte er zu
dem Hund hin. Anastasia konnte nicht sehen was er dort machte. Zum
einen kniete Ulrich genau mit dem Rücken zu ihr vor dem Hund, zum
anderen standen einige Beamte um ihn herum. Aber nun war sie beruhigt.
Sie wußte, daß der Hund jetzt in guten Händen war. Sie sah wie eine
Polizistin und ein Polizist die Hundeführerin zu der Bank vor ihrem
Fenster führten. Die Hundeführerin schien kaum älter als sie zu sein.
Und sie war einem Nervenzusammenbruch nahe. Anastasia tat das, was sie
in diesem Moment für das Richtige hielt. Sie griff sich einen der
Becher vom Regal des Aufenthaltsraumes und rannte in den Laden. Dort
nahm sie eine Cognacflasche aus dem Regal und rannte hinaus zur Bank.
Und während sie durch die eine Türe hinauslief, kam der Beamte, der
mitgeholfen hatte die Hundeführerin zur Bank zu bringen, zur anderen
hinein.
„Ich brauche was Starkes.“, sagte der Beamte hastig zum Filialleiter,
der sich vom Laden aus das ganze Spektakel auf der Straße angesehen
hatte.
„Ist schon unterwegs.“, antwortete er dem Polizisten und deutete damit
auf Anastasia, die sich in dem Moment auf die Bank setzte und der
Hundeführerin einen großen Cognac eingoß.
„Karin, beruhig dich mal. Der Tierarzt ist doch bei Rex. Er ist in
guten Händen.“
„Ich hab doch nur noch ihn. Was soll ich denn machen, wenn ich ihn
auch noch verliere?“
Mit zittrigen Händen führte sie den Becher zum Mund und nahm einen
großen Schluck.
„Du verlierst ihn schon nicht.“
Sie drückte sie an sich und versuchte sie, so gut es ging, zu
beruhigen. Da stand plötzlich Ulrich vor ihnen. Das Mädchen sprang
auf.
„Doktor. Was ist mit ihm?“
„Er ist ein harter Bursche. Wir bringen ihn zu uns in die Klinik. Da
sehen wir dann weiter. So wie ich das sehe, ist das Projektil hier
ein“, und damit tippte er der Beamtin auf eine Stelle unterhalb der
Schulter, „und hier“, er tippte auf eine Stelle auf ihrem Rücken,
„wieder ausgetreten. Was es verletzt hat weiß ich noch nicht. Aber das
Herz bestimmt nicht. Er wird schon wieder. Nur sein schönes Fell wird
zwei kahle Stellen aufweisen, wenn ich mit ihm fertig bin. Aber das
wächst ja wieder nach. Er wird gerade in den Transporter geladen. Fahr
mit ihm mit.“
Sie nickte und stand auf. Doch ihre Beine versagten. Mit Hilfe der
anderen Beamtin gelang es Ulrich sie auf die Beine zu stellen. Als er
sie um die Taille faßte, schaute er Anastasia, welche hinter ihr
stand, direkt in die Augen. Ein Schauer lief ihr wieder über ihren
Rücken hinab. Wie damals am Eisbärengehege. Wie im Stall. Und wie
damals, als sie ihn wiedersah. Als sie nach Hause gehen wollten und
Rosi ihn fand. Und es war wieder ein sehr schönes Gefühl. Er half die
Hundeführerin zum Transporter zu bringen. Hier stieg sie ein. Die
Türen schlossen sich und Ulrich ging zum BMW. Dort stellte er die
Tasche hinein und schloß den Kofferraumdeckel. Dann stieg er eilig ein
und ließ den Wagen an. Anastasia war ihnen gefolgt. Und als er
losfahren wollte sprach sie ihn durch das offene Fenster an.
„Dr. Richter.“
„Was kann ich für dich tun?“
„Ich möchte mich entschuldigen. Für damals.“
Er nickte.
„Können wir noch einmal von vorne anfangen?“
„Nun, ich werde mich wärmer anziehen müssen, wenn dein Engel ihr
Püppchen ins Eisbärengehege schmeißt. Und mit Zebrafohlen kann ich
leider auch nicht dienen.“
„Nein, später, danach.“
„Du weißt, daß Renana auch dabei sein wird.“
Bei der Erwähnung des Namens zuckte sie sichtlich zusammen und
schüttelte unbewußt leicht den Kopf. Er legte den Gang ein.
„Du vertraust mir noch immer nicht?“
Sie blickte zu Boden. Er hatte es erkannt.
„So wird das nichts. Solange du kein Vertrauen hast.“
„Hab ich doch.“, sagte sie als letzten Ausweg, auch wenn sie es nicht
so meinte. Sie belog ihn. Als letzten Ausweg.
„Nein. Du vertraust mir nicht.“
„Doch! Das hab ich doch gerade gesagt.“
„Gesagt, ja. Aber es soll nicht von da“, und damit tippte er an seine
Stirn, „ sondern von da“, er tippte auf seine Brust, wo in etwa sein
Herz lag, „kommen. So bringt das nichts. Schade.“
Er löste die Handbremse und fuhr los. 10 Meter weiter schaltete er das
Blaulicht und das Martinshorn ein. Sie sah ihm noch lange nach, obwohl
er schon längst nichtmehr zu sehen war.
Er fuhr sehr schnell. Nur sein Herz war noch schneller. Es war ein
Notruf gewesen und hatte sich zu einem Wiedersehen entwickelt. Zu
einem sehr schönen Wiedersehen. Anfänglich. Sie wollte es nochmal
versuchen. Und er war der Letzte, der „nein“ gesagt hätte. Dafür
vermißte er sie doch zu sehr. Sie und Rosi. Doch dann hörte er
Anastasias Stimme in seinem Kopf. „Hab ich doch“ hatte sie gesagt. Hab
ich doch. Nein! Hatte sie nicht. Er hatte es sofort gemerkt, daß es
ihr nicht ernst damit war. Daß sie ihn belog. Aber er konnte sich auch
denken, wieso sie dies getan hatte. Und Verständnis hatte er auch für
ihr Verhalten. Nur daß sie es ihm nicht gesagt hatte, das ärgerte ihn
ein wenig. Dabei hatte er sich doch so gefreut sie wiederzusehen. Wenn
es die Situation erlaubt hätte, dann wäre er ihr am liebsten um den
Hals gefallen, als er sie auf der Bank hatte sitzen sehen. Doch dann
das. Aber er wußte auch, daß er einen Fehler gemacht hatte. Er hätte
nicht von Renana anfangen sollen. Aber sie gehört doch zu ihm. Sollte
er sie verleugnen? Das würde er niemals tun. Und leider erforderte es
die Situation auch, daß er so schnell wie möglich in die Klinik kam.
Denn es stand wesentlich schlechter um den Hund, als er es der
Hundeführerin gesagt hatte. Denn sonst hätte er sich mit Sicherheit
mit Anastasia länger unterhalten. Und vielleicht hätte sie ihm dann
auch den wahren Grund für ihr Verhalten gesagt.
Schon auf halber Strecke hatte er den Transporter und die zwei
Streifenwagen die ihn begleiteten und die Straße freiräumten,
eingeholt. Er überholte sie und bereitete in der Klinik alles vor. Er
wußte, daß es bei weitem schlimmer war, als er es eben gesagt hatte.
Die Kugel schien die Lunge verletzt zu haben. Und da zählte jede
Minute. Über Funk berichtete er seinen Kollegen in der Zooklinik von
seiner Annahme und ließ alles vorbereiten. Wenig später traf er dort
ein und redete mit ihnen persönlich. Sie waren seiner Meinung. Nur
eine sofortige OP könnte den Hund noch retten. Dann trafen auch schon
die Beamten mit dem Patienten ein. Während die Kollegen den Hund
vorbereiteten, setzte er die Beamtin in sein Büro. Er beruhigte sie,
dann ging er in den OP.
Die OP dauerte sehr lange. Und es war so, wie er es sich gedacht
hatte. Doch als er das verletzte Stück Lunge abklemmte, zum Glück war
es nur ein Zipfel gewesen, da hörte die Blutung schlagartig auf.
„Der Druck steigt.“, waren schließlich die erlösende Worte.
Er vernähte das verletzte Stück und löste die Klammer. Die Blutung war
gestoppt, der Druck blieb stabil. Die Kugel hatte sonst keine
wichtigen Teile verletzt. Während die Kollegen den Hund in eine Box
brachten, ging er in sein Büro zurück. Auf dem Flur warteten schon
drei uniformierte Beamte. Er nickte ihnen nur zuversichtlich zu.
Erleichtert nahmen sie seine Geste auf. Im Büro saßen zwei weiter bei
der Hundeführerin. Und als die Hundeführerin ihn sah sprang sie sofort
auf.
„Setzten. Noch pennt er.“
„Soll das heißen?“
„Alles in Ordnung.“
Erleichterung machte sich im Raume breit. Die Kollegen meinten, daß
sie bei ihrem Hund bleiben sollte. Sie würden in der Zentrale schon
Bescheid sagen. Dann gingen sie. Er setzte sich neben sie und sie
schaute ihn fragend an.
„War es schlimm Herr Doktor?“
Jetzt konnte er ihr endlich die ganze Wahrheit sagen.
„Ja, sehr schlimm. Die Kugel hatte die Lunge getroffen. Darum hatte er
beim Atmen auch blutigen Schaum im Maul. Zum Glück aber nur eine
kleine Ecke der Lunge. Einen Zipfel. Den haben wir dann vernäht. Er
war nicht groß. Etwa wie ein Fünfmarkstück. Ohne das Stück Lunge geht
es ihm genausogut, wie vorher. Er hat sehr viel Glück gehabt. Ein
Zentimeter weiter zur Mitte hin, und die Kugel hätte sein Rückgrat
zerfetzt. Allerdings hab ich mit dem Fell gelogen. Er hat jetzt zwei
kleine kahle Stellen doch am Bauch ist er jetzt ganz kahl. Aber ich
sagte dir ja schon, das wächst nach. In spätestens zwei Wochen jagt er
wieder Kaninchen.“
„Das macht er nicht. Das hat er noch nie gemacht.“, flüsterte sie
weinend.
Und dann erzählte sie ihm von ihrem Hund Rex. Wie sie ihn als Welpen
bekommen hatte. Wie sie ihn großgezogen hatte. Mit ihm die Prüfungen
spielend gemeistert hatte. Und daß er dabei immer als einer der Besten
daraus hervorgegangen war. Aber dann erfuhr er auch, daß sie ihren
Mann und ihren kleinen Sohn vor einem knappen halben Jahr bei einem
Autounfall verloren hatte. Nur ihr Rex hatte ihr damals noch Halt
gegeben. Sie wüßte nicht was sie getan hätte, wenn er nichtmehr bei
ihr war. Aber er wußte es nur zu gut. Zu oft hatte er in der
Vergangenheit miterleben müssen, wie Menschen am Tod eines geliebten
Tieres zerbrachen. Ihnen gefolgt waren.
„Wir haben ihn in eine große Box gebracht. Du willst doch bestimmt zu
ihm.“
„Ja.“
„Dann komm.“
Er führte sie durch die Räumlichkeiten, vermied aber den direkten Weg
durch den blutigen OP. Vor der Box hielt er an und öffnete die Türe.
Sie schaute ihn an. Er nickte.
„Gehr ruhig rein zu ihm. Er schläft noch.“
Zögernd trat sie ein und setzte sich sofort zu ihrem Hund und
streichelte ihn vorsichtig den Kopf. Zu einem seiner Kollegen sagte
er:
„Erich, bringst du ihr noch ein paar Decken? So wie es aussieht haben
wir einen zusätzlichen Gast. Sie wird bestimmt bei ihm bleiben
wollen.“
Obwohl er schon längst nichtmehr zu sehen war, schaute sie dennoch
hinter ihm her. Erst als sie das Martinshorn nichtmehr hörte, erwachte
sie langsam aus ihrer Trance. Mit Entsetzten begriff sie, was sie
gemacht hatte. Denn erst jetzt begriff sie, was sie angerichtet hatte.
Das war schon ihre zweite Chance gewesen. Und schon wieder hatte sie
es versaut. Und ob es eine dritte geben würde, das stand in den
Sternen. Und nun war sie innerlich wahnsinnig wütend auf sich selbst.
Am liebsten hätte sie sich jetzt selbst verprügelt. Denn mittlerweile
wußte sie, daß sie ganz alleine daran schuld war, daß es an jenem
Abend zwischen ihnen nicht so gefunkt hatte, wie sie es sich erhofft
hatte. Darum wollte sie es vorhin ja auch erneut versuchen. Sie hatte
so große Hoffnung gehabt, denn sie hatte doch in seinen Augen deutlich
gesehen, wie sehr er sich freute sie wiederzusehen. Und ihr war es
doch nicht anders gegangen. Schon als er aus dem Wagen gestiegen war,
raste ihr Herz wie wild. Und dann ihre Frage, ob sie nochmal von vorne
anfangen könnten. Er wollte! Sie wäre ihm in diesem Moment am liebsten
um den Hals gefallen, so glücklich war sie in dem Augenblick. Doch
dann kam die Katze wieder dazu. Warum hatte er sie auch wieder zur
Sprache gebracht? Und warum konnte sie ihm nicht sagen, daß sie ihm
zwar gerne glauben würde, daß aber die Angst um ihren Engel dazwischen
stand. Sie konnte sich denken, daß er es verstehen würde. Noch
schlimmer. Er schien es sogar schon zu wissen. Bestimmt erwartete er
von ihr, daß sie es zugab. Doch dazu war sie vorhin zu feige gewesen.
Und so hatte sie ihn belogen. Etwas, was selbst in ihren Augen
furchtbar gewesen war. Sie hätte ihn niemals belügen dürfen. Das wußte
sie. Und dennoch hatte sie es getan. Und dafür schämte sie sich sehr.
Er hatte es sofort gemerkt. Natürlich hatte er das. Und er hatte auch
recht mit dem, was er danach gesagt hatte. Es hätte von Herzen kommen
müssen, nicht aus Überlegung. Als Versuch, ihn umzustimmen. Er hatte
es genau gewußt. Doch jetzt war er wieder fort. Fort, und sie wußte
nicht, ob sie ihn jemals wiedersehen würde. Sehr langsam ging sie in
den Laden zurück. Der Filialleiter dachte, daß sie von den Ereignissen
so mitgenommen war. Darum ließ er sie nach Hause gehen. Dankbar nahm
sie sein Angebot an. Sie ging zum Kindergarten und wußte nicht, ob sie
Rosi von der Begegnung erzählen sollte. Aber dies hätte Rosi nur
falsche Hoffnungen gemacht. Hoffnungen, die sie mit den Worten: „Hab
ich doch“ zerstört hatte. Natürlich merkte Rosi, daß ihre Mama geweint
hatte. Doch Rosi fragte nicht nach. Sie hatte auf diese Frage schon
einmal keine Antwort von ihrer Mutter bekommen. Das hatte sie sich
gemerkt. Also frug sie nicht. Der Tag verlief schweigend. Doch nun war
Anastasia es, von der das Schweigen ausging. Sie war froh, als ihr
Engel im Bett war. Am liebsten hätte sie jetzt die leeren Teller des
Abendbrotes durch das Zimmer geworfen. So wütend war sie auf sich.
Doch das hätte nur Rosi geweckt. Also räumte sie unter Tränen den
Tisch ab und zog sich mühsam aus. Sie wollte nur so schnell wie
möglich ins Bett. Zu ihrem Glück schlief sie nackt, außer wenn sie
ihre Tage hatte. So brauchte sie sich nicht auch noch Nachthemd
anziehen. Aber sie hatte ja eh keine. Sie hätten ein Loch in die
schmale Kasse gerissen. Also legte sie sich unter die Decke und
zitterte. Aber nicht vor Kälte. Sie zitterte aus einer Mischung von
Wut, Trauer und Verzweiflung heraus. Und in dieser Nacht verbrauchte
sie sehr viele Taschentücher.
Verpaßt
Zwei Wochen später, an einem Freitag, Anfang November, machte sie
blau. Sie brachte Rosi zum Kindergarten und hatte auf der Arbeit
Bescheid gesagt, daß sie zum Arzt müsse, am Samstag aber kommen würde.
Da sie bisher noch nie gefehlt hatte, akzeptierte ihr Chef dies ohne
zu murren. Doch anstatt zum Arzt zu gehen, ging sie zum Zoo. Sie
wollte endlich alles klären. Zu lange schon war das Verhältnis zu
ihrer Tochter gestört. Anastasia wußte genau woran es lag. Rosi
vermißte nicht nur Renana. Zu oft hatte sie im Schlaf von Ulrich
gesprochen. Und das Wort „Papa“ war auch oft genug dabeigewesen. An
sich hätte Anastasia nichts dagegen gehabt, wenn Ulrich Rosis Papa
werden würde. Aber insgeheim machte sie sich nur etwas vor. Schob Rosi
vor. Denn im Grunde genommen war sie es doch, die ihn suchte. Ihn
brauchte. Seit der Razzia weinte sie sich jede Nacht in den Schlaf. Zu
oft dachte sie an seine Augen, mit denen er sie verzaubert hatte. Zu
oft wünschte sie sich in der Nacht in seinen Armen zu liegen und von
ihm festgehalten zu werden. Zu oft stellte sie sich vor, von ihm
geküßt zu werden. Ob dies jemals der Fall sein würde? Denn sie hörte
auch immer wieder ihre Stimme, wie sie zu ihm sagte: „Hab ich doch“
und damit all ihre Hoffnungen zerstört hatte. Zweimal hatte sie ihn
vor den Kopf gestoßen. Sie wußte ja woran es lag. Und daß er ihr die
Angst vor der Katze nicht von jetzt auf gleich nehmen konnte, das
wußte sie auch. Sie würde ihm ja so gerne glauben, aber sie schaffte
es nicht. Immer wenn sie daran dachte, da sah sie diese riesigen Zähne
der Katze vor sich. Aber etwas anderes lag ihr noch mehr auf dem
Herzen. Sie hatte ihn belogen. Das hätte niemals passieren dürfen.
Eine Liebe kann nicht halten, wenn sie auf einer Lüge aufgebaut ist.
Das hatte sie schon so oft gehört. Früher hatte sie darüber gelacht.
Doch jetzt war sie davon überzeugt, daß es so war. Darum hatte sie
heute blau gemacht. Darum ging sie zum Zoo. Voller Hoffnung, voller
Zuversicht. Ob er überhaupt mit ihr sprechen würde? Seine Augen würden
bestimmt wieder leuchten und ihr ein stummes „ja“ zuschreien. Und sein
Herz? Würde es dasselbe sagen? Würde er ihr verzeihen?
Als sie um neun am Zoo ankam, öffnete er gerade. Zielstrebig ging sie
zu seinem Haus. Doch dort war alles dunkel. Ob er schon arbeitete?
Bestimmt. Obwohl. Sie wußte ja nicht, wann er morgens anfing. Und wo,
das wußte sie doch auch nicht? Der Zoo war sehr groß. Er hätte überall
sein können. Allerdings kannte sie auch einige Mitarbeiter des Zoos
vom sehen her. Aber besonders die Tierpflegerinnen bei den Elefanten
kannte sie gut. Zu oft hatte Rosi ihnen Löcher in den Bauch gefragt.
Doch sie lächelten nur und gaben ihr immer bereitwillig Auskunft. Sie
wußte auch wann die Fütterung war und schlenderte zu den Dickhäutern
hin. 10 Uhr würden sie gefüttert werden. Das war immer ein Heidenspaß
für Rosi gewesen. Um halb zehn kamen sie meistens schon zu ihnen. Also
setzte sie sich auf eine der Bänke, gegenüber dem Elefantengehege, und
wartete die halbe Stunde. Im Geiste legte sie sich alles erneut
zurecht. Was sie ihm alles sagen würde und wie sie es ihm sagen würde.
Vor allem aber mußte sie sich entschuldigte für ihre Lüge. Ihm
erklären, wieso und warum sie ihn angelogen hatte. Darüber hatte sie
Nächtelang unter Tränen nachgedacht. Und auch in den Pausen auf der
Arbeit. Da tauchte plötzlich eine der Pflegerinnen auf. Fast eine
Viertelstunde zu früh. Sie schaute gerade zu ihr hin. Anastasia winkte
zu ihr hin und sie kam zu ihr. Als sie sich neben ihr setzte, schaute
sie sich um.
„Wie? Heute mal ohne Kind?“
„Muß auch mal sein. So kann ich mir die Tiere auch mal in Ruhe
ansehen.“
„Sie haben wirklich ein süßes kleines Mädchen. Und sie scheint keine
Angst vor den Elefanten zu haben.“
„Wie meinen sie das?“
„Sie hat mich gefragt, ob sie die Elefanten auch mal füttern darf.“
„Das ist aber doch gefährlich.“
„Nicht unbedingt. Man muß nur wissen wie sie drauf sind.“
Sie redeten über die Elefanten. Lange. Sehr lange. Als die Pflegerin
aufstand, riß sich Anastasia endlich zusammen und fragte:
„Wo ist eigentlich der Tierarzt? Den hab ich ja schon lange nicht mehr
gesehen.“
„Welcher? Wir haben vier.“
„Der große, den mit den braunen Haaren. Dr. Rechtner oder Richtner.“
„Dr. Richter.“
„Ja, Dr. Richter.“
„Der war vorhin noch bei uns im Aufenthaltsraum.“
Ihr Kollege kam zu ihnen.
„Dieter, ist Dr. Richter noch bei uns?“
„Ja, der ist noch da.“
„Ich müßte ihm was Wichtiges sagen.“
„Dann kommen sie schnell mit, bevor er weg ist.“
„Weg?“
„Ja. Er hat ab heute Urlaub. Drei Wochen Mauritius. Ich beneide ihn.
Der hat es jetzt schön warm.“
Sie gingen eiligen Schrittes zu einer Türe am Rande des
Giraffengeheges. Als sie eintraten sahen sie einige Personen am
Fenster winken.
„Ist Dr. Richter noch da?“, fragte die Pflegerin in den Raum.
„Da fährt er.“
Anastasia sah am Arm des Mannes entlang und sah den dunkelblauen BMW
um die Ecke biegen. Am liebsten hätte sie jetzt geschrien. Geschrien,
das er anhalten, umkehren solle.
„Da kann man nichts machen. Da müssen sie warten bis er wiederkommt.“
„Wann ist das?“, fragte sie innerlich zitternd.
„In drei Wochen. Am ersten Adventswochenende. An dem Freitag. Da
übernimmt er den Dienst.“
„Was? Er kommt aus dem Flieger und macht gleich Dienst?“, fragte
daraufhin eine der Pflegerinnen.
„Ja. Wir wissen nur nicht wann er landet. Er hat was von mittags
gesagt.“
„Sie hören es ja. Sie werden bis dahin warten müssen.“
„Ja, danke sehr.“
Alexandra ging hinaus, ohne daß man ihr ansah was mit ihr los war. Sie
war den Tränen nahe. Sie hatte kein Interesse mehr an den Tieren. Sie
wollte nur noch nach Hause. Und als sie dort ankam, schmiß sie die
Wohnungstüre hinter sich zu und feuerte vor Wut ihre Handtasche quer
durchs Wohnzimmer. Sie prallte an die Wand hinter dem Sofa und ging
auf. Der Inhalt ergoß sich über das Sofa und den Boden. Aber das war
ihr egal. Sie war schon längst zusammengesunken und saß mitten im Raum
auf dem Boden. Heulend. Wissend, daß sie vorhin zu lange gewartet
hatte. Sich zu lange mit der Pflegerin über die scheiß Elefanten
unterhalten hatte, anstatt sie direkt zu fragen. Wütend gestand sie
sich ein, daß sie sich zu lange nicht getraut hatte nach ihm zu
fragen. Und damit hatte sie ihre Gelegenheit vertan. Hatte sie heute
ihre dritte Chance vertan? Würde sie noch eine bekommen? Würde sie es
überhaupt jemals schaffen? Doch so wie es aussah, war der Weg zu ihm
versperrt. Ständig kam etwas dazwischen. Doch das schlimmste daran
war, das sie der eigentliche Grund dafür war, das sie keinen Erfolg
hatte. Sie ganz alleine.
Letzte Chance
Drei Wochen waren seitdem vergangen. Rosis Verhalten hatte sich
mittlerweile ein wenig verbessert. Denn hin und wieder lachte sie auch
wieder. Aber ihre Nächte hatten sich nicht verändert. Sie rief noch
immer nach ihm. Mittlerweile viel öfter als am Anfang nach Renana. Und
viel öfter auch nach Papa. Schließlich faßte Anastasia einen
Entschluß. Von da an hatte sie sich jeden Abend darauf vorbereitet,
was sie zu ihm sagen würde. Hatte sich mit ihm im Geiste im Zoo, bei
ihr im Geschäft, bei ihm zu Hause, auf der Straße, ja sogar hier bei
ihr in der Wohnung getroffen. Und immer wußte sie was sie ihm sagen
würde. Sie sagte es dann auch und übernahm auch seinen Part. Und so
ging es immer gut für sie aus. Sie wurde mutiger. Und dies mußte sie
auch sein. Zu lange hatte sie schon gewartet. Zulange sich nicht
getraut ihm die Wahrheit zu sagen. Zu lange? War es am Ende vielleicht
schon zu spät? Hatte er vielleicht im Urlaub? Nein! Sie wollte darüber
nicht nachdenken. Das machte ihr schweres Herz nur noch schwerer. Da
sie ja wußte wann er zurückkam, plante sie alles bis ins kleinste
hinein.
Am besagten Freitag nahm sie sich schon um 12 Uhr frei. Zwar mußte sie
am folgenden Samstag arbeiten, aber erst ab 13 Uhr. Dafür aber bis um
18 Uhr. Aber sie würde Rosi mit zur Arbeit nehmen. Das hatte sie schon
öfter gemacht. Und da Rosi immer brav im Aufenthaltsraum spielte,
durfte sie das auch. Und so fieberte sie dem ersten Adventswochenende
entgegen. Dann war es soweit. Als sie Rosi zum Kindergarten brachte,
sagte sie ihr, daß sie heute schon um zwölf Feierabend habe. Rosi
freute sich. Und als sie um halb eins mit ihr den Kindergarten
verließ, schlug sie den Weg zum Zoo ein. Rosi kannte den Weg. Dennoch
war sie nicht sehr begeistert davon. Schließlich hatte sie ihr ja mit
einem gleichgültigen „warum“ geantwortet. Weshalb sollten sie dann
noch in den Zoo gehen? Für ihre Tochter gab es da keine glücklichen
Erinnerungen mehr, seit sie Rosi brutal von Renana gerissen hatte.
Anastasia spürte das Rosi nur wiederwillig an ihrer Hand mitging. Im
Zoo steuerte Anastasia gleich die Elefanten an. Rosi mochte diese
gewaltigen Kolosse doch so sehr. Und Rosis Augen leuchteten wieder.
Nach so langer Zeit. Anastasia war glücklich. Wenigstens das war ihr
geglückt. In einem Unbeobachteten Augenblick fragte Anastasia einen
der Tierpfleger, ob Dr. Richter schon zurück wäre.
„Bis jetzt noch nicht. Aber vor halb drei erwarten wir ihn auch nicht
zurück. Dr. Grams sitzt auch schon drüben im Cafe. Der wartet auf ihn.
Sie wollten sich dort treffen. Dr. Richter übernimmt ja den Dienst von
ihm.“
„Dr. Grams?“
„Ja.“
Und mit geschickten Fragen bekam sie heraus, wie dieser Dr. Grams
aussah. Mit diesem Wissen ging sie dann mit Rosi zum Cafe. Rosi bekam
von ihr ein Malbuch von Zoo und Buntstifte zum ausmalen. Anastasia
half ihr anfangs dabei, behielt aber unterdessen Dr. Grams, am Tisch
schräg vor ihnen, ständig im Auge. Ulrich mußte hierher kommen.
Zumindest aber sich irgendwie mit ihm treffen. Darum bezahlte sie in
alle Getränke und den Kuchen immer gleich, damit sie notfalls sofort
aufspringen und gehen konnten, wenn Dr. Grams auch ging. Mehrmals
kamen Pfleger und Pflegerinnen ins Cafe. Darunter schließlich auch
jene, die für die Elefanten zuständig war und die mit ihr zum
Aufenthaltsraum gegangen war. Als sie Anastasia und Rosi sah, kam sie
auch gleich zu ihnen. Anastasia bot ihr einen Platz an und sie setzte
sich. Rosi erkannte sie sofort und hatte wieder tausend Fragen. Zum
Glück. Denn so wurde es halb fünf, ohne das es Rosi langweilig
geworden war. Kurz nach fünf, sie saßen seit einiger Zeit bereits
wieder alleine am Tisch, da schlug Anastasias Herz wie wild. Sie hatte
Ulrich gesehen, wie er auf das Cafe zuging. Als er sich an den Tisch
zu Dr. Grams setzte, hatte er sie auch gesehen. Sofort lächelte er.
Rosi wollte gleich zu ihm. Doch Anastasia hielt sie fest.
„Noch nicht, Schatz. Er muß erst mit dem Mann da reden. Dann kannst du
zu ihm.“
Rosi war wie ausgewechselt. Sie griff nach der Hand ihrer Mutter und
Anastasia konnte spüren, wie aufgeregt sie war. Zappelnd saß sie auf
ihrem Stuhl. Ein weiterer Mann kam schließlich zu den Beiden drüben an
den Tisch.
Dr. Grams lachte, als er zu ihm kam. Aber seine Augen hatte schon
längst etwas anderes gesehen. Anastasia und - Rosi. Und sie schauten
ihn an. Die Augen der Beiden leuchteten so hell, das man ohne weiteres
das Licht im Cafe löschen konnte, ohne im Dunkeln zu sitzen. Das
Gespräch mit seinem Kollegen drehte sich erst nur um seinen Urlaub.
Doch es schlug sehr schnell in die eigentliche Übergabe um. Doch er
hörte nicht richtig zu. Ständig sah er zu den Beiden hinüber.
„Geben sie mir den Funk.“
Ulrich zuckte zusammen. Erstaunt sah er Dr. Horn an. Er saß bei ihnen
am Tisch, doch er hatte nicht bemerkt wie er sich zu ihnen gesetzt
hatte. Zu sehr war er von den beiden Mädchen abgelenkt gewesen.
„Aber das geht doch nicht. Sie haben doch bestimmt was anderes vor.
Außerdem ist das doch mein Dienst.“
„Das geht schon. Und so kann ich ihnen wenigstens mal was zurückgeben.
Schließlich haben sie mir schon so oft geholfen.“
Er bezog sich darauf daß er, frisch verlobt, an einem Wochenende
Besuch von seinen zukünftigen Schwiegereltern bekam und Dienst hatte.
Ulrich hatte ihm daraufhin kurzerhand den Funk abgenommen, um so ein
häusliches Drama zu verhindern. Grams gab Horn den Funk und
verabschiedete sich von ihnen.
„Und so wie ich das sehe“, Dr. Horn deutete mit seinem Kopf auf
Anastasia und Rosi, „sind sie mit ihren Gedanken ja eh ganz woanders.“
Lachend stand er auf und ging. Ulrich stand auf und wollte zu ihnen
hin, da gab Anastasia Rosi einen Stoß und das kleine Mädchen schoß auf
ihn zu. Sekunden später hing sie an seinem Hals und gab ihn einen
dicken Kuß. Dann heulte sie vor Glück. Doch auch ihm rannen ein paar
Tränen aus den Augen. Als Rosi sie an ihrem Gesicht spürte, sah sie
ihn an und wischte sie aus seinem Gesicht. Doch Anastasia hatte sie
auch gesehen. Sie war erschüttert, das Ulrich weinte. Alles hätte sie
geglaubt. Aber das nicht. Schließlich kamen sie zu ihr.
„Schön daß ihr hier seid. Ihr ward ja lange nichtmehr hier.“
Anastasia antwortete nicht. Alles was sie sich zurechtgelegt hatte war
aus ihrem Kopf verschwunden. Als die Bedienung kam, bestellte er eine
Cola für sich und eine heiße Schokolade für Rosi.
„Kaffee?“, fragte er sie.
Anastasia nickte.
„Und einen Kaffee.“
Die Bedienung ging und Ulrich schaute Anastasia schweigend an. Rosi
drückte sich an ihn und schien ihn nie wieder loslassen zu wollen.
Anastasia sog dieses Bild in sich ein, bis das sie von der Bedienung
mit ihrem Kaffee wieder in die Realität geholt wurde. Ulrich setzte
Rosi auf ihren Stuhl, vor ihrer Schokolade.
„Und?“, fragte Ulrich leise.
Anastasia schluckte. Ihr Kopf war leer. Alles fort. Alle Sätze, alle
Gespräche, die sie in ihren Nächten mit ihm geführt hatte, alles war
fort. Doch sie wußte. Dies war ihre letzte Chance. Denn alle guten
Dinge sind nur drei. Und das hier war die Vierte. Wenn sie jetzt
nichts sagte, dann wäre es zu Ende, bevor es jemals begonnen hatte.
Zögernd fing sie an.
„Ich“
Sie senkte ihren Kopf. Sie konnte ihn nicht ansehen. Seine Augen
verwirrten sie. Sie strahlten sie an.
„Ich“
Erneut stockte sie. Doch dann raffte sie sich auf.
„Können wir nochmal von vorne beginnen?“, flüsterte sie.
„Schwer.“
Sie zuckte zusammen. War jetzt alles vorbei? Hatte er jemanden im
Urlaub kennengelernt? Hatte sie ihre Chancen vertan?
„Es ist zu kalt, um im Eisbärengehege ein Püppchen zu retten. Und mit
Zebrababys kann ich doch auch nicht dienen.“
„Danach.“, flüsterte sie leise.
Er schaute auf die Uhr. 17.46.
„Geht ihr gleich nach Hause? Abendessen kochen?“
Rosi zuckte erschrocken zusammen. Doch Anastasia wußte sofort
Bescheid. Er wiederholte den Abend.
„Abends essen wir nicht warm. Nur Brote.“, flüsterte sie.
„Nun Brot hab ich auch.“
„Wieso? Du bist doch gerade erst zurückgekommen.“
„Ich war vorhin noch einkaufen. Ich hab es in der Klinik abgestellt.
Wenn ihr mit mir eßt, dann mußt du mir tragen helfen.“
Freudig lächelnd nickte sie. Doch da kam er auf den Punkt.
„Du weißt aber auch, wer noch da sein wird?“
Sie nickte. Aber sie war darauf gefaßt gewesen. Und so zuckte sie
diesmal nicht zusammen.
„Und?“
Anastasia schluckte. Sie wußte genau, daß sie nun alles bekennen
mußte. Ein falsches Wort, eine noch so kleine Lüge, nur eine kleine
Verschweigung, und all ihre Träume und Hoffnungen wären zerstört. Für
immer.
„Ich habe Angst.“, flüsterte sie kaum hörbar.
Mir sehr sanfter Stimme sagte er:
„Ich habe dir doch gesagt, daß sie ihr nichts tun wird. Ihr nicht und
dir auch nicht. Sie ist sehr traurig, seit ihr gegangen seid.“
„Ich glaub dir nicht.“, flüsterte sie, „Ich würde dir ja gerne
glauben, aber es geht doch nicht. Ich habe Angst. Rosi ist mein Kind.
Ich hab doch nur sie auf der Welt. Ich hab Angst sie zu verlieren.
Immer hab ich gehört, wie gefährlich Tiger sind. Mordlüsterne Bestien,
die aus reiner Lust töten. Und dann kommst du und sagst, daß sie lieb
ist. Das ist so, als wenn du mir sagst, „die Welt ist ein Würfel“.“
Sein Gesicht kam nah zu ihrem und sie dachte schon, daß er sie küssen
würde. Doch da schaute er sie mit riesigen Augen an und flüsterte:
„He, die Welt ist ein Würfel.“
Sie lächelte.
„Ich hab dir aber auch gesagt, das“
„Das du uns nie belügen würdest? Hättest du gesagt, daß du einen
Führerschein hast, das hätte ich dir das sofort geglaubt. Aber ein
Tiger?“
„Du glaubst mir immer noch nicht?“
„Versteh mich doch. Ich würde dir ja so gerne glauben. Aber das ist
so, so, so“
Sie fing an lautlos zu weinen.
„So unglaubwürdig?“
„Ja.“
Es folgten einige Sekunden totale Stille.
„Es tut mir so leid. Ich will ja glauben. Aber meine Angst um Rosi ist
größer.“
Da Anastasia ihren Kopf gesenkt hatte, sah Ulrich erst jetzt, daß sie
weinte.
„Das hast du bei unserem ersten Zusammentreffen nicht gesagt.“
Sie schüttelte leicht ihren Kopf.
„Und damals am Auto hast du mir auch nicht die Wahrheit gesagt.“
„Ich weiß. Dafür möchte ich dich um Verzeihung bitten. Ich schäm mich
so dafür.“
„Aber heute“
Sie zuckte zusammen.
„Heute hast du endlich gesagt, warum du mir nicht glaubst. Das ist
doch schon mal ein Anfang.“
Sie schaute ihn erstaunt an. Er reichte ihr seine Hand über den Tisch
und sie ergriff sie.
„Wollen wir es nochmal versuchen? Mit Katze?“
Unsicher nickte sie. Aber diesmal zuckte sie nicht wieder erschrocken
zusammen.
„Das ist schon mal ein guter Anfang.“
Nun lächelte sie. Zwar schauderte es sie bei dem Gedanken, heute noch
mit Renana zusammenzukommen, aber sie mußte sich zusammennehmen. Sonst
wäre alles zu Ende. Als sie alle ausgetrunken hatten gingen sie zur
Klinik. Alexandra nahm dort eine der beiden Tragetaschen, Ulrich die
andere. Rosi mußte das kleine Brot tragen. So gingen sie langsam in
Richtung Haus. Doch je näher sie kamen, umso unsicherer wurde
Anastasia. Dann blieb sie plötzlich stehen.
„Was ist?“
„Ehrlich?“
„Ja.“
„Hast du eine Waschmachine?“
Ja.“, antwortete er erstaunt, „Wieso?“
„Kann sein, daß ich nachher meine Strumpfhose und mein Höschen waschen
muß.“
„Wieso?“
„Ich habe Angst. Ich habe schreckliche Angst. Und ich weiß, daß ich
damit alles kaputtmache. Aber ich habe Angst. Ich kann doch nichts
dafür. Es tut mir so leid.“
Sie weinte sehr und er nahm sie in seine Arme, tröstete sie wortlos,
während ihre Tränen an seinem Hals entlang in seinen Pullover rannen.
„Ich kann mir denken wie du dich fühlst. Das war bei den Pflegerinnen
am Anfang auch so gewesen. Und jetzt haben sie sich fast darum
geprügelt, Renana während meines Urlaubs zu versorgen.“
Sie sah ihn an und lächelte.
„Komm weiter. Es ist kalt.“
Zögernd folgte sie ihm. Doch nach wenigen Schritten war sie neben ihm.
„Bist du mir Böse?“
„Nein.“
Sie kamen am Haus an. Erleichtert sah Alexandra, daß er die erste Türe
aufschloß. Keine Pflegerin, die diese Bestie aus ihrem Käfig holte.
Und als sie im Gang standen dachte sie, alles wäre in Ordnung. Doch
als er die innere Türe öffnete, schrie Rosi „Renana!“. Sie drückte
Ulrich das Brot in die Hand und rannte aufs Haus zu.
„Ulrich! Bitte.“
„Schau hin! Schau hin und du wirst es sehen. Bitte.“
Sie wollte nicht sehen wie ihre Tochter zerfleischt wurde. Dennoch
konnte sie ihren Blick nicht abwenden. Rosi rannte aufs Haus zu und
die Katze sprang mit einem Satz über die große Treppe hinweg hinunter
und rannte auf Rosi zu. Doch da stoppte sie schon und Rosi umklammerte
ihren Hals. Die Katze fiel um und Rosi landete auf sie, wuselte durch
ihr Fell, bekam ihre Zunge über ihr Gesicht geleckt und Rosi gab ihr
einen Kuß auf die Nase.
„Glaubst du es jetzt?“, fragte er, als Rosi aufstand und mit Renana an
ihrer Seite zu ihnen kam. Anastasia antwortete nicht.
„He. Trägst du Jeans?“
„Wie, was?“, antwortete sie, die näherkommend Katze nicht aus den
Augen lassend.
„Ob du auch Jeans trägst.“
„Ja, ja.“
Sie wich an die Wand des Ganges zurück.
„Rosi, gehst du mit ihr rein?“, sagte er zu Rosi.
„Mach ich. Komm Renana.“
Folgsam wie ein Schoßhündchen, machte sie kehrt und folgte Rosi ins
Haus.
„Du Miststück.“
„Und? Hast du jetzt gesehen wie sie sich gefreut hat?“
„Rosi hat die ganze Zeit über an sie gedacht.“
„Ich meinte Renana.“
„Ja.“
„Dann komm.“
Sie gingen los, da fragte Anastasia, was er mit der Jeans gemeint hat.
„Ohne Strumpfhose und Höschen kannst du hier nicht rumlaufen. Denke
mal, daß dir eine Jeans von mir passen wird. Zur Not geh ich rüber und
hol dir eine OP-Hose.“
„Brauchst du nicht. Aber viel gefehlt hat da nicht.“, lächelte sie.
Doch als sie Rosi mit Renana in der Halle toben sah, da wurde ihr doch
Angst und Bange. Ulrich stellte Tasche und Brot ab, dann nahm er ihr
die Tüte ab. Anastasias Blick wankte nicht von den Beiden. Erst als er
ihr den Mantel aufknöpfte und sie daraus schälte erwachte sie aus der
Starre. Er hing ihren Mantel auf, dann sagte er:
„Rosi. Dein Mantel.“
Rosi kam zu ihm, während Renana ihr hinterher blickte. Er zog ihr den
Mantel aus und hängte ihn ebenfalls auf. Sofort rannte sie wieder zu
Renana. Erst dann schälte er sich aus seiner Jacke.
„Anastasia?“
Sie starrte noch immer auf Renana und zuckte erst erwachend zusammen,
als er ihrem Namen zum zweitenmal rief.
„Ja?“
„Laß die Beiden spielen. Wir bringen die Sachen in die Küche.“
„Ungern.“
Aber dennoch half sie ihm bei den Sachen. Als sie in die Küche kam,
war sie sprachlos. Sie war so groß. Und er hatte drei Kühlschränke!
Sie konnte sich die Frage nicht verkneifen, ob er verfressen sei. Doch
er öffnete lachend den ersten Kühlschrank und sagte: „Getränke“. Als
er den Zweiten öffnete sagte er „Essen“. Doch als er den dritten
öffnete flüsterte er „Futter“. Sie sah, daß der dritte große
Fleischstücke enthielt. Sie konnte sich denken, für wen die waren.
„Wieso flüsterst du?“
„Willst du das wirklich wissen?“
„Ja.“
„Futter.“, sagte er im normalen Tonfall. Kaum waren seine Worte
verhallt, da stand Renana schon neben ihm und schaute ihn an.
„Darum.“
Rosi kam in die Küche gerannt und wollte wissen, wieso ihre Miezekatze
so plötzlich abgehauen war. Anastasia sah Renana, aber noch etwas sah
sie. Die dunklen Stellen an Rosis Strumpfhose. An ihren Knien.
„Schatz, zieh die Strumpfhose besser aus, bevor sie ganz schwarz
geworden ist.“
Lachend verschwand Rosi ins Wohnzimmer. Einige Sekunden später rief
sie „Renana“. Renana machte kehrt und verschwand ins Wohnzimmer.
Während er im Wohnzimmer die Heizung herab drehte und den Kamin
entzündete, sowie Kerzen auf den Tisch stellte und das Licht löschte,
bereitete sie schon das Abendbrot vor, was aus zwei Gründen etwas
schmäler ausfallen mußte. Zum einen hatte er ein kleines Brot gekauft
und davon auch nur die Hälfte. Zum anderen hatte er es schneiden
lassen. Sehr dick schneiden lassen. Und so waren aus dem Brot nur 6
Scheiben geworden. Und auf seine Bemerkung hin, daß es doch sehr wenig
Brot sei, antwortete Anastasie:
„Rosi hat seit damals wenig gegessen. Nicht zu wenig, aber weniger als
sonst. Wir werden schon hinkommen.“
Sie nickte und belegte eine weitere Scheibe mit Salami. Als sie fertig
waren, er hatte noch Kakao für Rosi gemacht, trugen sie alles ins
Wohnzimmer. Anastasia war im Himmel. Sie hatte den brennenden Kamin
sofort gesehen. So oft hatte sie sich gewünscht, wieder an einem Kamin
zu sitzen und einfach nur so in die Flammen zu schauen. Aber sie
dachte in dem Moment auch daran, das, obwohl er solch eine riesige
Wohnung hatte, sie nun, ganz wie bei ihnen zu Hause, im Wohnzimmer
essen würden. Sie hätten in der Küche Platz genug gehabt. Und einen
Tisch und drei Stühle waren dort auch vorhanden. Doch er hatte bereits
die Becher ins Wohnzimmer gebracht. Sie setzte sich wieder in den
weichen Sessel und Rosi kam zu ihm auf das Sofa.
„Wo ist dein Kleid?“
„Da.“
Rosi zeigte auf das Ende des Sofas, wo die Strumpfhose und ihr Kleid
lagen.
„Warum hast du das Kleid ausgezogen?“
„Mir ist so warm.“
Anastasia sah ihn fragend an. Doch er nickte nur. Dann setzte er sich
neben Rosi. Ulrich fragte sie, was sie wolle und Rosi sagte:
„Fleischwurst“. Er schob ihr die größte Brotscheibe mit Fleischwurst
auf den Teller und Anastasia sah erstaunt zu, wie ihr kleiner Spatz
diese in Windeseile verputz hatte. Doch noch begeisterter war sie, als
Rosi noch eine Scheibe Brot haben wollte. Ulrich gab ihr die größte
noch übriggebliebene Scheibe und Rosi fiel über sie her. Als Rosi dann
noch um das Endstück bettelte, da wußte Anastasia, das ihre Maus
wieder die Alte war. Rosi hatte ihre drei Stücke verputzt, da saß sie
gerade an ihrem zweiten.
„Darf ich spielen gehen?“, fragte Rosi.
Ganz erstaunt sah Anastasia, das sie mit der Frage nicht gemeint war.
Rosi hatte Ulrich angesehen.
„Aber ja Schatz.“, antwortete er.
Rosi schlang ihre Ärmchen um seinen Hals, gab ihm einen Kuß, dann war
sie auch schon in die Halle gerannt.
„He! Wieso wird ich nicht gefragt!“, rief sie ihr hinterher.
Rosi kam zurück und schaute sie fragend an.
„Na hau schon ab.“
Ein flüchtiger Kuß und weg war sie. Anastasia sah ihr verzweifelt
hinterher.
„Ich glaube, ich muß dir mal die Geschichte dieser Katze erzählen und
wieso sie so lieb ist.“
„Wieso? Was ist an ihr so besonderes?
„Die Rasse.“
„Die Rasse?“
„Ja. Die Rasse ist sehr alt. Nachgewiesen schon seit über 1500 Jahre.
So um 500 n Chr. kam ein Radscha aus den Bergen des Himalajas nach
Indien. Er ließ sich in einer sehr fruchtbaren Gegend nieder und
erbaute dort seinen Palast. In seiner Begleitung waren seine Frau und
sein damals erst ein Jahr alter Sohn. Neben seiner Leibwache und den
Dienerinnen, männliche Bedienstete gab es nicht, wurden sie auch von
eine Tigerin begleitet. Rasura. Sie hatte schwarze und weiße Stellen
im Fell, wie jede andere Tigerin auch. Jedoch waren die vielen gelben
Stellen im ihrem Fell eher golden statt gelb.“
„Genau wie bei Renana!“
„Ja. Die Aufgabe der Tigerin bestand aus drei Teilen. Zum ersten mußte
sie den Maharadscha beschützen. Zum zweiten die Maharani, und zum
dritten den Thronfolgen und seine Geschwister. Und diese Aufgabe
erfüllte sie stets. Auch unter Einsatz ihres Lebens. Als der Palast
fertig war, gebar sie drei Tiger. Allesamt Katzen, also Mädchen. Diese
erfüllten die Aufgabe Rasura mit der gleichen Hingabe und Treue. Auch
war ihr Fell genau so golden wie das von Rasura. Nur ein einziges Mal
in ihrem Leben geht eine Tigerin alleine aus dem Palast. Um sich mit
einem Tiger im Dschungel zu paaren. Dann kommt sie wieder und gebiert
ihre Jungen. Und immer sind es Katzen. Also Mädchen. Sollte es jedoch
einmal vorkommen, daß auch ein männlicher Tiger, also ein Kater,
geboren wird, so geht die Mutter mit ihm in den Dschungel und zieht
ihn dort groß. Wenn er auf eigenen Füßen stehen kann, kommt sie wieder
in den Palast zurück. Alleine. Ebenso ist es, wenn vier Katzen in
einem Wurf sind. Meistens sind es zwei. Es kommt aber auch oft vor,
daß es drei sind. Aber bei vieren bleibt das Letztgeborene zwar im
Palast, aber wenn es alt genug ist, dann geht es in den Dschungel.“
„Und was hat das mit Renana zu tun? Und wieso soll sie so zutraulich
sein?“
„Vor anderthalb Jahren war ich in Indien. Mit einer Ärztin durfte ich
in den Palast und konnte die Tiere mit eigenen Augen sehen.“
„Tiere? Leben denn da noch mehr?“
„Vor anderthalb Jahren waren es 53.“
„53!“
„Ja.“
Und die laufen da einfach so rum?“
„Ja. Aber nur im Palast. Jedenfalls sollte die Ärztin die Tiger
impfen. 4 hatte sie geschafft, da mußte sie woanders hin. Und dabei
hat sie sich dann das Bein gebrochen. Also bin ich an ihrer statt in
den Palast gegangen und wollte ihre Arbeit fortführen. Denn das Serum
hatte ja nur eine begrenzte Haltbarkeit. Allerdings lachte der
Maharadscha mich nur aus. Ich würde nicht an sie herankommen. Er
erzählte mir, daß nur Frauen und Mädchen diese Tiere anfassen könnten.
Ohne Gefahr. Vor Männern würden sie fortlaufen. Es sei denn, es wäre
ein Einbrecher oder ein Attentäter. Diese würden sie stellen. Doch
nachdem was ich bei der Ärztin gesehen hatte, war ich wie du.“
„Wie ich?“
„Ja. Ich hab ihm nicht geglaubt.“
„Ist ja schon gut.“
„Allerdings kommt jetzt was, was mir nicht passieren wird.“
„Wie? Was denn?“
„Der Maharadscha irrte sich.“
„Wie das?“
„4 Tage hab ich im Zimmer der Katzen auf dem Boden gesessen. Und
täglich kamen sie näher. Und am fünften Tag kam Baris zu mir und ließ
sich impfen. Und dann sind sie alle gekommen. Sogar die Mütter
brachten die Neugeborenen zu mir.“
„Und sie haben dir nichts getan?“
„Zuerst nicht. Aber als ich sie alle geimpft hatte, da fielen sie über
mich her.“
„WAS!?!“
„Ja. Bestimmt den halben Tag kam ich aus dem Streicheln und Kraulen
nicht heraus. Und von allen Seiten bin ich abgeleckt worden. Mich hat
es gewundert, das ich abend noch meine Finger gebrauchen konnte. Ich
war doch vom Maharadscha zum Abendessen eingeladen worden. Quasi als
„Trostpflaster“ für meine vergebliche Liebesmühe. Er wußte ja noch
nicht, daß ich es doch geschafft hatte. Doch während des Abendessens
kam Baris in den Saal. In ihrem Maul hatte sie eines ihrer Jungen. Das
Vierte. Der Maharadscha dachte, sie würde es ihm bringen. Doch dann
staunte er nicht schlecht, als sie es mir in den Schoß legte. Baris
leckte noch ein paarmal über das Kleine rüber, dann ging sie.“
„Sie hat es bei dir gelassen?“
„Ja. Und der Maharadscha sagte, daß dies sehr selten vorgekommen wäre.
Viermal in der Geschichte ihrer Familie. Und das sind immerhin schon
1500 Jahre.“
„Und dann?“
„Seit dem Tag hab ich mich um das kleine Kätzchen gekümmert.“
„Wie alt was es da?“
„Eine Woche war es alt. Sie hatte noch die Äugelchen zu.“
„Süß. Das hätte ich gerne gesehen.“
„Kannst du. Moment.“
Er stand auf und holte ein Fotoalbum aus dem Schrank. Mit ihm kam er
wieder zurück aufs Sofa und setzte sich auf den Platz, wo vorhin Rosi
gesessen hatte. Sie lehnte sich auf die Armlehne des Sessels und
schaute sich mit wachsender Begeisterung die Bilder von einem süßen
kleinen Kätzchen an. Gerademal zwei Hände voll Fell mit vier riesigen
Pfoten. Und die Augen waren noch geschlossen.
„Wann machte sie die Augen auf?“
„6 Tage später. Und das erste was sie in ihrem Leben sah, das war ich.
Seit ich sie von Baris bekommen hatte, bin ich immer für sie
dagewesen. Und wenn mal ich nicht da bin, dann ist es jemand, den sie
kennt und vertraut. Verstehst du jetzt, daß ich sie immer bei mir
habe? Du hast Angst um dein Kind. Ich habe Angst um mein Kind. Wer
mich will, muß sie auch nehmen. Genauso wie bei dir. Wer dich will,
muß auch den kleinen Engel nehmen.
Traumzeit
Was Renana in dieser Nacht träumte, das hätte nur sie uns sagen
können. Auf jeden Fall mußte es ein sehr schöner Traum gewesen sein.
Denn ständig scheuerte sie sich mit ihrem Rücken oder dem Kopf an
Rosi.
Rosis Traum war dagegen Gewaltiger. Viel gewaltiger! Sie war in ihrem
Traum eine Prinzessin. Eine richtige Kriegerprinzessin! Und mit Renana
an ihrer Seite bestand sie in dieser Nacht sehr viele Abenteuer.
Logisch, daß sie dabei immer als strahlende Siegerin hervortrat.
Ulrich hatte dagegen in seinem Traum sehr schwer zu kämpfen. Bisher
hatte er in seinen Träumen alles machen können. Wirklich alles. Und
unteranderem konnte er damals jedes Mädchen aus seinen Klassen, oder
jetzt hier aus der Arbeit, in seinen Träumen beliebig an, um, und auch
ausziehen. Ja er konnte sogar mit ihnen schlafen. Das dann sein Bett
am Morgen feuchte Stellen aufwies, das kam nur davon, daß er es in
seinem Traum richtig mit ihnen getrieben hatte. Es richtig gespürt
hatte. Aber jetzt steckte er fest. In seinem Traum war wieder auf
Mauritius. In der kleinen einsamen Bucht. Aber nicht alleine. Vor ihm
stand Anastasia. Und in der einen Hand hatte sie ihre Handtasche, in
der anderen hielt sie entweder einen Bikini oder einen Badeanzug. So
genau konnte er es nicht sehen. Und für eines der beiden
Kleidungsstücke hatte er sich auch noch nicht entschieden. Doch so
sehr er sich auch jetzt in seinem Traum anstrengte, er konnte
Anastasia nicht dazu bewegen, ihre Badesachen anzuziehen. Nicht mal
die Strumpfhose oder ihr Winterkleid auszuziehen, was sie heute
getragen hatte. Nicht mal die Schuhe konnte er von ihren Füßen
träumen. Denn er hörte von ihr nur: Ich kann das nicht. Ich habe
Angst.
Anastasia blieb sehr lange auf dem Stuhl sitzen. Schließlich aber
überwand sie sich endlich. Sie zog sich die Schuhe aus. Doch erneut
wartete sie, dann stand sie auf und zog sich das warme Kleid aus. Es
folgte die Strumpfhose. Sie griff sich hinten unter ihr kurzes Top und
öffnete ihren BH. Seine Träger schob sie gänzlich von den Armen herab
und griff sich dann vorne unter das Top. Sekunden später kam die Hand
mit ihrem BH heraus. Fertig war sie nun. Denn das Top und ihr Höschen
würde sie diese Nacht anlassen. Doch nun folgte das schwerste. Sie
ging langsam zum Bett, Renana nicht aus den Augen lassend. Am Bett
angekommen setzte sie sich erst vorsichtig darauf. Es dauerte etwas,
dann stieg sie hinein und deckte sich zu. Die Decke war kühl. Sie lag
sehr lange still im Bett, erst dann löschte sie das Licht. Sie lag mit
dem Rücken zu ihnen. Und das war auch gut so. Denn so konnte sie
wenigstens ohne den Anblick schlafen. Doch als sie sich unbewußt
umdrehte und so in Richtung der Beiden sah, da sah sie zwei glühende
Punkte. Angstvoll starrte sie diese Punkte an. Doch sie verschwanden
nicht. Sie wußte, daß Renana sie anschaute. Schon begann sie vor Angst
zu zittern, da stieg sie hastig aus dem Bett und ging eilig hinüber zu
Ulrich. Und an dessen Bett sagte sie: Ich kann das nicht. Ich habe
Angst.
Ulrich öffnete die Augen und richtete sich auf. Da sah er Anastasia
vor seinem Bett stehen. Und nun wußte er, daß er Anastasias Worte
nicht geträumt hatte. Denn sie wiederholte sie.
„Ich kann das nicht. Ich habe Angst.“
„So schlimm?“
„Ihre Augen. Sie glühen richtig.“
„Ich weiß. Darum heißen die Dinger an den Fahrräder ja auch
Katzenaugen.“
„Da hab ich Angst bekommen.“
„Und nun?“
„Darf ich bei dir schlafen?“
Er hob die Decke auf der anderen Bettseite an und leise flüsternd
sagte er: „Dann komm“.
„Danke.“
Sie stieg ins Bett, legte sich hin und zog sich die Decke bis über die
Nase. Doch da richtete sie sich blitzartig wieder auf und zog die
Beine an.
„Kalt!“, sagte sie fast schon vorwurfsvoll.
„Das wußtest du doch.“
„Aber das ist eiskalt.“
„Armes Mädchen. Es dauert etwas bis das es warm wird. Doch dann ist es
wirklich schön warm.“
„Bis dahin bin ich erfroren.“
Sie blickte traurig zu ihm hin. Er lächelte nur. Dann aber sagte er:
„Du weißt aber auch, daß ich nichts anhabe?“
„Ja.“
„Es macht dir nichts aus?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Dann komm.“
Er hob die Decke etwas hoch und sie kam zu ihm. Da er sich mit seinem
anderen Arm abstützte, lag sie plötzlich in seinem Arm. Er ließ die
Decke herab und sie drückte sich an ihn.
„Du glühst ja richtig.“, sagte sie und schaute ihn erstaunt an.
„Darum ist mir auch niemals kalt.“
„Und ich werde schnell warm.“, kicherte sie.
Sie drückte sich fest an ihn und er spürte eine ihrer festen Brüste in
seiner Seite. Er umfaßte sie mit dem Arm auf dem sie lag und spürte
die Kälte auf ihrem Rücken durch das Top hindurch. Aber die Stelle
wurde schnell warm. Anastasia wurde sehr schnell warm und schlief auch
sehr schnell ein. Er brauchte etwas länger. Zu sehr gefiel ihm
Anastasias Körper an seiner Seite und ihr Rücken unter seiner Hand.
Obwohl sie nun neben ihm lag, er ihren Rücken unter seiner Hand und
ihre Brust an seiner Seite spürte, kam er in seinem Traum nicht
weiter. Noch immer stand sie im Winterkleid vor ihm und wollte sich
nicht partout nicht umziehen. Sie schüttelte immer nur ihren Kopf.
Aber wenigstens sagte sie jetzt nichtmehr, daß sie es nicht könne, und
das sie Angst habe.
Anastasia Traum hingegen war schon wesentlich weiter. In ihrem Traum
standen sie nackt auf einer Wiese und küßten sich. Er streichelte
ihren Rücken und es war ein wahnsinnig schönes Gefühl. So schön, daß
es in ihrem Schritt schon juckte. Und davon erwachte sie. Sofort
spürte sie, daß sie dort wirklich völlig naß geworden war. Aber noch
etwas spürte sie. Er war fort.
„Mama?“
Hm. Das Wort paßte so gar nicht in seinen Traum. Also öffnete er seine
Augen. Da hörte er das Wort erneut. Vorsichtig, ohne Anastasia zu
wecken, stand er auf. Da er seine Unterhose nicht gleich fand, zog er
seine Jeans an. Dann ging er zu Rosi. Sie saß im Bett und sah ihn.
„Was ist Schatz?“
„Wo ist die Mama?“
„Bei mir. Sie schläft.“
„Wo?“
Er nahm sie auf den Arm und ging mit ihr in sein Zimmer.
„Da ist die Mama. Willst du zu uns ins Bett?“
Hektisch schüttelte sie ihr Köpfchen.
„Was ist denn?“
„Pipi.“
„Dann komm.“
Er ging mit ihr auf dem Arm zum Klo. Als sie fertig war putzte er sie
noch ab, dann brachte er sie wieder zu Renana ins Bett. Sofort drückte
sie sich wieder fest an ihre Freundin. Er deckte sie noch zu und gab
ihr einen Kuß. Dann ging er zurück.
„Wo warst du?“, flüsterte Anastasia, als er wieder ins Bett kam.
„Die Maus mußte mal. Und ich wollte dich nicht wecken. Du hast so
schön geschlafen.“
„Woher wußtest du, daß sie mal mußte?“
„Sie hat gerufen.“
„Was?
„Ja.“
„Wieso hab ich das nicht gehört? Ich hör doch sonst jeden Ton von
ihr.“
„Du hast zu tief geschlafen.“
„Zu gut geschlafen.“
„Ja?“
„Ja.“, flüsterte sie, „Du bist so schön warm.“
„Dann komm.“
Er hielt ihr den Arm hin und sie legte sich hinein.
„Hast du sie auch abgeputzt?“
„Aber ja doch.“
„Danke.“
Sie streckte sich und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Dann lächelte
sie in sein Gesicht, da er sich erstaunt zu ihr hin gedreht hatte.
Doch nun lächelte er auch. Es vergingen einige Sekunden, dann schloß
sie langsam ihre Augen und kam näher. Er wußte was nun kam. Als seine
Lippen ihre berührten, schloß auch er seine Augen. Doch er wußte nicht
weiter. Sie spürte es sofort. Also übernahm sie die Initiative und
drang mit ihrer Zunge in seinen Mund ein. Und er lernte von ihr. Sie
zog ihn dabei auf die Seite, sodaß er ihr genau gegenüber lag. Doch
als er erneut nicht weiterwußte, da nahm sie seine Hand und führte sie
zu ihrer Brust. Allerdings wußte er genau was er mit ihr machen mußte.
Die Küsse wurden zärtlicher und seine Hand ebenfalls. So zärtlich war
seine Hand, daß sich ihre Brüste schon unangenehm spannten. Schon
während ihres Traumes hatte sie ein nasses Höschen bekommen. Und nun
schien sie richtig auszulaufen. Natürlich wußte sie genau, was dies
bedeutete. Und wenn sie ehrlich war, sie wollte es. Er wußte nicht,
daß sie ihr nasses Höschen bereits ausgezogen hatte, als sie sah, daß
er fort war. Zu unangenehm war ihr diese Nässe gewesen. Und nun beugte
sie sich zu ihm hin.
„Das habe ich noch zu keinem gesagt.“, flüsterte sie ihm ins Ohr.
„Was denn.“
„Ich möchte mit dir schlafen.“
„Bist du dir da sicher? Wir kennen uns doch erst seit ein paar
Stunden.“
Sie legte ihren Finger auf seinen Mund und nickte nur. Dann schob sie
ihn auf den Rücken und setzte sich auf seinen Bauch. Sie zog ihr Top
aus und führte seine Hände an ihre Brüste. Er streichelte sie so gut,
daß sie erregt ihre Augen schloß und hinter sich griff. Und das, was
sie dort fühlte, machte ihr noch mehr Lust. Sie erhob sich etwas und
führte ihn in sich ein. Sofort durchfuhr sie ein nie gekanntes
Wohlgefühl. Als sie sich herab ließ, glaubte sie, das er nicht ganz in
sie hineinpassen würde. Doch als sie fest auf ihm saß wußte sie es
besser. Sie beugte sich zu ihm herab und spürte, wie er ganz langsam
in sie ein und ausfuhr. Zögernd fuhr er über ihren Rücken, streichelte
ihren Po, küßte sie. Aber gerade dieses langsame Stoßen ließ sie sehr
schnell zum Höhepunkt kommen. Er schaute sie fragend an.
„Weiter?“
„Du mußt auch kommen.“, flüsterte sie.
Er nickte, dann machte er weiter. Aber immer noch sehr langsam. So
langsam, das dieser Akt über eine Stunde dauerte. Und so kam sie in
der Nacht noch dreimal. Dann aber spürte sie, wie sein Penis in ihr
zuckte. Und dann kam es aus ihm herausgeschossen. Doch er stieß weiter
sehr langsam zu, bis das nichts mehr kam. Erst dann hörte er auf zu
stoßen.
„Das war schön.“, flüsterte sie und legte ihr Gesicht an seinen Hals,
„Du bist so zärtlich.“
„Danke, das du mir gezeigt hast, was ich bisher verpaßt habe.“
„War es so schön?“
„Ja. Mit dir, ja.“
Sie küßten sich erneut, dann schmiegte sie sich fest an ihn. Er
streichelte weiter über ihren Rücken und ließ sie glücklich ins Land
der Träume hinübergleiten.
Es war noch dunkel. Sie hatte einen wunderbaren Traum gehabt. Sie
hatten auf der Wiese miteinander geschlafen. Zum ersten Mal hatte sie
mit jemand geschlafen und es voll und ganz gespürt. Und genossen. Sie
war auf ihm liegengeblieben. Sehr lange. Erst als sie wacher wurde,
spürte sie, daß sie wirklich auf ihm lag. Nackt! Und sie wußte, es war
kein Traum gewesen. Und er steckte noch in ihr. Zwar war er nichtmehr
so steif wie in der Nacht, aber ihr genügte es. Sie bewegte ihren
Unterleib und spürte mit Genugtuung, wie sich sein Glied wieder
versteifte. Als es wieder voll erblüht war, schob sie ihren Unterleib
hoch und runter. Davon erwachte er. Er sah sie lächelnd an, da
flüsterte er:
„So kannst du mich jeden Morgen wecken.“
„Wenn ich darf.“
„Du ja.“
„Mal sehen.“
Er fing erneut an zu stoßen. Doch sie stieg von ihm herab und zog ihn
mit sich, bis das er auf ihr lag. Sie hatte ihre Beine sehr weit
gespreizt und er wußte sofort wie sie es nun haben wollte. Er legte
sich auf sie und sie führte ihn sich erneut ein. Dachte sie nun daß er
nun richtig rammeln würde, da wußte sie Sekunden später, daß sie auf
dem Holzweg war. Zwar konnte er nun die volle Länge seines Schwanzes
benutzen, doch die ließ er nun ebenso langsam wie vorhin, in sie ein
und ausfahren. Sie wußte daß er nicht klein gebaut war. Und diese
Länge ließ sie erzittern. Einen Orgasmus hatte sie schon bekommen, da
flüsterte sie schließlich „schneller“. Und er wurde schneller. Das sie
aber davon so erregt wurde, das hatte sie sich nicht gedacht. Durch
seine schnellen und kraftvollen Stöße, schwamm sie von einem Orgasmus
zum nächsten. Endlich entlud er sich in ihr. Und es schien nicht
weniger als vorhin gewesen zu sein. Allerdings mußte er schon bald von
ihr herunter. Er war um einiges schwerer als sie. Als sein Penis aus
ihrer Scheide glitt, überflutete diese das Laken. Sie drehte sich zu
ihm hin und spürte sofort, wie es noch immer aus ihr heraus und nun
über ihr Bein aufs Laken floß.
„Vergiß meine Strumpfhose und mein Höschen.“, kicherte sie.
„Was?“, antwortete er verwirrt.
„Vergiß mein Höschen und die Strumpfhose. Wir müssen was anderes
waschen. Soviel konnte ich nicht in mir halten.“
Sie lachten. Dann aber fragte sie ihn, wie spät es sei. Er drehte
seinen Kopf zu seinem Nachttisch und sagte dann: Halb acht.
„Dann haben wir noch Zeit.“
Erneut küßte sie ihn.
„Nochmal?“, fragte er erstaunt.
Sie schüttelte den Kopf.
„Schmusen.“, flüsterte sie.
Und dies taten sie, bis das jemand am Bett stand.
In guten und in schlechten Tagen
Rosi war wachgeworden und spürte das warme weiche Fell an ihrem
Gesicht. Als Renana spürte, daß Rosi wach war, drehte sie ihren Kopf
zu ihr herum und gab ihr einen nassen Kuß. Rosi drückte sie dafür ganz
feste. Dann stand sie auf. Renana kam sofort mit ihr, da sie aus dem
Zimmer ging. Auf dem Gang überholte sie Rosi und versperrte ihr den
Weg nach unten. Doch sie wollte nicht nach unten, sie wollte zur Mama.
Und zu ihm. Daher ging sie hinüber ins das Zimmer, in dem Ulrich ihr
die schlafende Mama gezeigt hatte und hoffte, ihn dort auch zu finden.
Als sie ans Bett trat, sah sie die Beiden, wie sie sich gerade küßten.
„Morgen Schatz.“, sagte er, als er Rosi am Bett sah. Erschrocken
drehte sich Anastasia herum und hielt sich die Decke vor ihre nackten
Brüste.
„Darf ich zu euch ins Bett?“
„Aber sicher doch.“
Sie stieg aufs Bett und legte sich zwischen sie. So bekam sie von
beiden Seiten einen Morgenkuß. Sie kuschelten zu dritt. Und als
Anastasia später erneut fragte, wie spät es sei, da sagte er: viertel
nach neun.
„Dann wird es Zeit aufzustehen. Ich muß um eins im Laden sein.“
„Bis wann?“, fragte er.
„Bis um sechs.“
„Und Rosi?“
„Sie kann mitkommen. Der Filialleiter hat nichts dagegen, weil sie
immer so lieb ist.“
Die Mädchen standen auf und Ulrich sagte ihnen, daß sie sein Bad
benutzen sollten. Da wäre alles drin. Erst als sie im Bad waren, holte
er sich seinen Morgenmantel aus dem Schrank und ging nach unten. Eine
halbe Stunde später stand Rosi, frisch gewaschen und gekämmt unten im
Wohnzimmer. Er hatte noch tiefgefrorene Brötchen im Eisschrank gehabt.
Und die bekam Rosi von ihm vorgesetzt. Natürlich aufgetaut und warm.
Mit Salami und Fleischwurst. Dazu noch einen Kakao. Und Rosi aß mit
großem Appetit. Ulrich sah ihr dabei nachdenklich zu. Er wußte, daß er
sich Anastasia erklären mußte, sonst würde diese Nacht vielleicht auch
ihre letzte gewesen sein. Darum ging er hoch ins Bad. Anastasia stand
noch unter der Dusche. Er zog seinen Morgenmantel aus und kam zu ihr.
„He! Ich bin noch dran.“, sagte sie lachend, als er hinter ihr stand.
„Ich weiß, darum bin ich ja hier.“
„Ah, mein persönlicher Rückenwascher.“
„Nein.“
Sie drehte sich zu ihm herum und schaute ihn fragend an.
„Ich hab euch schon vorher gesehen.“
„Wie? Was meinst du?“
„An dem Tag. Ich hab euch schon bei den Elefanten gesehen.“
„Ja?“
„Ja. Und du hast mir da schon gefallen.“
Ihr Lachen erstarb.
„Ich wußte nur nicht, wie ich dich auf mich aufmerksam machen konnte.
Darin hatte ich doch keine Erfahrung. Und da kam mir Rosis Püppchen
gerade richtig.“
„Und warum bist du dann bei den Zebras so sang und klanglos
verschwunden?“
„Weil du verheiratet warst.“
„Wer? Ich? Wie kommst du darauf?“
„Weil Rosi „Mama“ zu dir gesagt hat.“
„Ach, und da hast du gedacht, ich wäre verheiratet?“
„Ja. Da dachte ich, daß es zwischen uns nicht gehen würde.“
„Und was denkst du jetzt?“
„Ich würde gerne mit dir zusammen sein.“
Anastasia schluckte. Das war es doch, was sie wollte. Nur wußte sie
nicht, wie man den Anfang macht. Aber nun schien er ihn zu tun. Sie
nickte.
„Willst du mit mir gehen? Ich weiß nicht ob das der richtige Spruch
ist. Aber in meiner Jugend sagte man das, wenn man mit einem Mädchen
zusammen sein wollte.“
Sie strich über sein Gesicht.
„Das sagt man auch noch heute und: ja“
Dann küßte sie ihn. Sehr lange. Schließlich aber wusch er ihr
tatsächlich ihren Rücken. Das machte sie anschließend bei ihm auch.
Nach dem Bad trockneten sie sich gegenseitig ab. Sie ließ ihn nicht
nur ihren Rücken abtrocknen. Doch da lächelte sie plötzlich.
„Was ist?“
„Du weißt, daß du die Maus auch nehmen mußt.“
Er nickte.
„Und du meinen Schatz.“
Sie nickte ebenfalls.
„Und?“
„Ich werd mich schon an sie gewöhnen.“
„Das glaub ich auch.“
Und dies geschah schneller als sie dachte. Denn als sie in sein Zimmer
kam, fand sie ihr Höschen nicht. Eigentlich mußte es noch im Bett
liegen, oder am Rand, falls es herausgefallen war. Doch sie fand es
nicht. Als sie ihn fragte, ob er es gesehen hätte, schaute er nur auf
ein Bild an der Wand. Auf ihn war Renana abgebildet. Anastasia folgte
seinem Blick, doch dann sah sie ihn erstaunt an.
„Nein, das glaub ich ja nicht. Sie klaut?“
„Auch.“
„Was denn noch.“
„Du wirst bestimmt noch oft über sie lachen.“
„Wenn du das sagst. Aber jetzt brauch ich mein Höschen. Ohne kann ich
nicht raus.“
„Hm. Wäre aber reizvoll.“
„Ach ja?“
„Ja.“
„Aber nicht, wenn ich noch arbeiten muß.“
„Stimmt. Könnte peinlich werden.“
„Und jetzt? Ich brauch ein Höschen.“
„Geh zu ihr und frag sie. Wenn sie sich vor dir auf den Rücken legt,
dann fühlt sie sich ertappt. Dann sag ihr sie soll dir zeigen wo dein
Höschen ist. Sie wird dich dann zu deinem Höschen führen und gibt es
dir. Mach schon. Keine Angst.“
Anastasia war nicht wohl zumute alleine mit der Katze zu sein. Aber er
hatte gesagt, daß sie es so machen solle. Also ging sie zu Renana und
fragte sie, ob sie ihr Höschen verschleppt habe. Als sich Renana da
vor ihr auf den Rücken legte, faßte sie Mut. Und wenig später hatte
sie auch ihr Höschen zurück. Während sie es anzog strich Renana an
ihren Beinen entlang. Da faßte sie all ihren Mut zusammen und ließ
ihre Hand herab. Und so fuhr diese kurz durch Renanas Rückenfell. Dann
aber ging sie nach unten.
„Und wo war es?“
„Was war wo?“, fragte Rosi.
„Renana hat der Mama ihr Höschen geklaut.“
„Ja?“, lachte sie.
„Ja.“
„Und? Wo war es?“
„Im letzten Zimmer. Unter dem Schrank.“
„Fertig?“
„Ja, mehr hat sie nicht geklaut.“
Sie lachten und Anastasia setzte sich neben Rosi aufs Sofa. Ulrich
brachte ihr Kaffee und die Brötchen. Sie war begeistert. Damit hatte
sie nicht gerechnet. Er krempelte in wenigen Stunden ihr Leben völlig
um. Abendessen, was sie zusammen gemacht hatten. Der Wein. Und jetzt
brauchte sie kein Frühstück zu machen, sie bekam es vorgesetzt. Das
war einfach nur lieb von ihm. Vielleicht wäre er dann doch das, was
sie sich gewünscht hatte.
Als es viertel vor zwölf war, mußte sie aufbrechen. Doch er sagte, daß
er sie fahren würde. Und so konnten sie noch einen Spaziergang durch
den Zoo machen. Zum Leidwesen von Rosi aber ohne Renana. Um halb eins
fuhren sie Anastasia dann zur Arbeit.
„Sehen wir uns heute abend?“, fragte er während der Fahrt plötzlich.
„Ja Mama.“, bettelte Rosi von Rücksitz aus.
„Wir brauchen aber was Frisches zum anziehen.“
„Das können wir doch mitnehmen.“
„Wir müssen die Blumen versorgen.“
„Das dauert doch nicht so lange.“
Er spürte, wie sie sich sträubte. Aber nicht richtig. Sie wollte
schon, aber nicht gleich alles. Und so kamen sie überein, daß sie nach
der Arbeit nach Hause gehen würden, und wenn sie fertig wären, dann
würden sie zu ihm in den Zoo kommen. Doch als sie an der Arbeit
ankamen, da fragte Rosi, ob sie bei ihm bleiben dürfe. Anastasia
nickte. Sie wußte doch von ihren Gefühlen zu Ulrich. Rosi fiel ihr um
den Hals und sie bekam einen dicken Kuß. Dann stieg sie aus und
verschwand durch den Personaleingang.
Ulrich fuhr los. Zunächst ziellos. Er wußte was er suchte, aber er
wußte nicht, wo er es finden konnte. In einer Straße sah er dann einen
Streifenwagen am Straßenrand stehen. Er hielt vor ihm, stieg aus und
ging zu den Beamten. Minuten später hatte er die gewünschte Auskunft.
Und mit ihr fuhr er eine halbe Stunde später auf den Hof eines
Autozubehörgeschäftes. Knapp eine Stunde später und gut 800 Mark ärmer
fuhr er wieder fort. Rosi saß stolz in ihrem Kindersitz, so, als wenn
sie das Auto steuern würde. Und jetzt konnte sie auch aus dem Fenster
sehen, ohne sich auf den Sitz zu knien.
Und jetzt?“, fragte sie ihn.
„Wir müssen noch einkaufen.“
„Was denn?“
„Alles. Ich hab doch nichts im Kühlschrank.“
„Bei Mama?“
„Hm. Ich geh lieber frische Sachen holen. Beim Bäcker oder Metzger.“
Mit Rosi im Sitz des hochbeladenen Einkaufswagens kam er eine Stunde
später aus dem Großmarkt. Sie fuhren zum Zoo und durften sogar bis ans
Haus fahren. Hier luden sie alles aus und brachten es in die Küche.
Während Rosi in der Halle mit Renana spielte, verstaute er alles in
den Kühlschrank und bereitete sogar schon das Abendessen vor. Die
Timer an Ofen und Mikrowelle kamen ihm dabei sehr zu gute. Und da er
sich schon sehr lange selbst verköstigte, kam er mit den Geräten auch
bestens zurecht. Da er mit Rosi unterwegs gesündigt hatte und mit ihr
in einem Burger King eingekehrt war, hatte Rosi keinen Hunger. Sie
sagte ihm aber auch, daß er es nicht Mama sagen dürfe. Besonders, weil
sie ihm etwas Cola geklaut hatte.
Um halb sechs fuhren sie zurück zum Geschäft. 5 vor sechs standen sie,
jeder einen Strauß Blumen in der Hand, vor dem Seitenausgang und
warteten auf Anastasia.
Als sie gegen 10 nach sechs aus dem Laden kam, stand Ulrich mit Rosi
vor ihr. Sie freute sich sehr, daß er sie abholte. Über Tage war es
noch kälter geworden und es hatte auch sehr heftig geschneit. Was sie
aber besonders freute, das waren die Blumen, die sie nun von Beiden
bekam. Und dafür bekamen beide auch einen dicken Kuß von ihr.
Allerdings fiel der an Ulrich anders aus als der, den sie ihrer
Tochter gegeben hatte. Als sie sich in den Wagen setzte und sich nach
hinten umdrehte, staunte sie. Er setzte Rosi gerade in einen
Kindersitz und schnallte sie an.
„Wo hast du den denn her?“
„Wir waren einkaufen.“
„Du bist verrückt.“
Als er schließlich neben ihr saß gab sie ihm einen Kuß.
„Danke.“
„Wofür?“
„Das du so fürsorglich bist.“
„Ist doch besser für sie.“
„Schon, aber du mußt nicht Geld für uns ausgeben.“
„Es ist doch sicherer für sie.“
Da der Verkehr sehr dicht war, kamen sie nur langsam voran.
„Kommt ihr zu mir?“, fragte er plötzlich.
„Das weißt du doch.“
„Bleibst du auch über Nacht?“
„Möchtest du das denn?“
„Ja.“
„Hm. Ich glaube, das läßt sich machen.“
„Und morgen?“
„Was ist mit Morgen?“
„Wie lange bleibt ihr?“
„Wie lange sollte ich denn bleiben?“
„Viel länger.“
„Bist du dir da sicher?“
„Ich weiß nicht?“
Sie sah ihn erstaunt an.
„Wie meinst du das?“
„Ich würde gerne jede Sekunde mit euch zusammen sein. Aber ich habe
das Gefühl, das ich dich damit einenge.“
„Einenge?“
„Ja. Du hast dann kein eigenes Leben mehr.“
„Willst du mit mir zusammen sein?“, fragte sie mit einem irritierenden
Unterton in ihrer Stimme.
„Ja.“
„Für wie lange?“
„Wenn es nach mir geht, für immer.“
„Ich möchte nicht noch ein uneheliches Kind.“
„Das kann man verhindern.“
„Ich bin keine 40. Ich möchte schon noch ein Kind haben.“
„Das meine ich nicht.“
„Ah, du meinst du würdest mich“
„Heiraten? Ja.“
„Dann mußt du mich aber erst fragen.“
„Würde ich ja. Aber ist das nicht zu früh?“
„Nun, zwischen der Frage und der Hochzeit liegen bestimmt mehr als 4
Stunden.“
Lachend sagte er: „Ja, das denke ich auch. Aber dennoch. Wäre das
nicht zu früh? Wir sind keinen Tag zusammen.“
„War es bei dir Liebe auf den ersten Blick?“
„Ja.“
„Bei mir auch. Was hindert dich dann?“
„Die Angst dich zu bedrängen. Du hättest kein eigenes Leben mehr.“
„Und wenn ich das möchte?
„Wie?“
„Wenn ich mit jemanden zusammen sein möchte, dann will ich mit ihm
zusammen sein und nicht nur hin und wieder. Wie heißt es bei der
Hochzeit? In guten und schlechten Tagen? Wenn es im Jahr nicht gut
läuft, wieso sollte ich alleine in Urlaub fahren? Wenn es tagsüber
klappt, wieso sollte ich dann nachts alleine schlafen? Es ist doch
viel schöner abgeholt zu werden, als erst noch eine halbe Stunde
laufen zu müssen, bevor ich dich endlich sehe.“
Das leuchtete im irgendwie ein. Obwohl sie es ihm mit irrwitzigen
Ideen erklärt hatte. Sie wußte nicht, wie sie es ihm erklären konnte.
Scheinbar wollte er sie und sie wollte ihn. Was stand, sah man von der
veränderten Situation und dem Sprung ins Ungewisse ab, dazwischen?
Jedenfalls wußten nun beide, daß der Andere ihn wollte. Und seit
diesem Moment wartete sie sehr ungeduldig auf seinen Antrag.
Weihnachten
Seit jenem Samstag waren die Tage kürzer und die Nächte länger
geworden. Sie hatten seit dem Samstag keine Nacht mehr zu Hause
geschlafen. Bereits am Sonntag hatte sie die Blumen zu ihm gebracht.
Ebenso das meiste von ihrer und Rosis Kleidung. Und die Spiele. Und so
spielte Rosi mit Renana bis zum Abendessen und spielte nach dem Essen
mit ihnen. Nun kam er ebenfalls in den Genuß von Rosis Lachen, wenn
sie ihn oder ihre Mutter beim „Mensch ärgere dich nicht“ herausschmiß.
Und er freute sich über ihr Lachen ebenso wie Anastasia. Jeden Tag
fuhr er sie zur Arbeit und holte sie auch ab. Rosi brachte er zum
Kindergarten. Und entweder holte er sie ab und sie fuhren danach zu
Anastasias Arbeit, oder erst zu Anastasia und dann zum Kindergarten.
Nachts schliefen sie miteinander. Bis auf die Woche vor Weihnachten,
da Anastasia ihre Tage hatte. Anfänglich hatte sie Angst, daß Renana
ihr Blut roch und sie doch noch verspeisen würde. Aber dem war nicht
so, da sie nach ihrer Periode noch lebte. Die Beziehung zu Renana
wurde deutlich besser. Besonders seit jener Nacht, als Rosi mitten in
der Nacht zu ihnen ins Bett kam. Morgens wachten sie frierend auf. Nur
Renana und Rosi nicht. Denn die lagen unter der Decke. Jeder von ihnen
wußte, wer ihnen in der Nacht die Decke geklaut hatte. Und Anastasia
schimpfte sogar mit Renana, lachte aber dann auch. Schließlich kam
Renana auch zu ihr und eines Morgens blickte sie statt in Ulrichs
Gesicht in Renanas Augen. Eine nasse Zunge über ihr Gesicht besiegelte
ihre Freundschaft. Seit dem Tag hatte sie keine Angst mehr. Und so
wurden sie eine große Familie, ohne Trauschein. Allerdings wartete sie
jeden Tag darauf, daß er es ändern würde. Und sie wußte: der Tag würde
kommen.
Eine Woche vor Weihnachten wurde die Weihnachtsfeier im Zoo
abgehalten. Es war der letzte Freitag vor den Festtagen. Anastasia
sträubte sich anfangs mit Rosi ebenfalls daran teilzunehmen. Sie
gehöre doch nicht dazu. Erst als er ihr sagte, daß alle ihre Familien
mitbrachten, und dazu zählten auch Partner und Verlobte, sowie auch
die Kinder, erst da stimmte sie zu. Die Feier wurde in der großen
Kantine abgehalten. Dort hatte man einen großen Weihnachtsbaum
hineingestellt und ihn festlich geschmückt. Darunter lagen haufenweise
Pakete für die Kinder. Die gab es aber erst nach dem Essen. Als sie im
Arm von Ulrich eingehakt und Rosi auf ihrem Arm habend eintraf, wurde
sie vom Zoodirektor begrüßt, als wenn sie zum Personal gehören würde.
Das hatte Anastasia nicht erwartet. Jedenfalls nicht hier in
Deutschland. Sie war sehr glücklich darüber. Sogar Rosi begrüßte er.
Nach und nach lernte sie die einzelnen Personen kennen. Und sie
wunderte sich, daß Ulrich alle mit Namen kannte.
„Du weißt doch, einmal gelesen und ich hab den Stoff behalten. Und so
geht es mir auch mit Menschen.“
Aber am meisten freute sie sich, als er ihr Dr. Menarchos samt Familie
vorstellte. Durch ihn konnte sie nach so langer Zeit wieder griechisch
reden. Zwar tat sie dies mit Rosi auch oft, aber es war noch nicht so
fließend, wie mit ihm. Und auch mit seiner Frau und den beiden Mädchen
konnte sie sich unterhalten. Sie waren 12 und 15. Und sie waren, wie
Rosi auch, zweisprachig aufgewachsen. Anastasia fühlte sich wie im
Himmel. Wenn Ulrich sich nur nicht so lange mit der einen Frau
unterhalten hätte. Es schien ihr, als das ihr Gesprächsthema ein
anderes wurde, als sie dazu kam. „Ernst“ hieß die Frau und war etwa 50
Jahre alt. Sie konnte sich nicht vorstellen, das zwischen ihnen was
laufen würde. Sie könnte ja seine Mutter sein. Dennoch verstummte ihr
Gespräch, als sie in der Nähe war. Fragen wollte sie ihn nicht. Sie
hätte sich mit Sicherheit blamiert. Und da es nach einer halben Stunde
auch vorbei war, dachte sie, daß es sich um etwas Zoointernes
gehandelt haben müsse. Schließlich setzen sie sich an den langen Tisch
und aßen. Es war sehr lecker. Sogar Rosi mußte den Nachtisch in sich
hineinstopfen, weil sie vorher so viel gegessen hatte. Aber schlecht
wurde ihr nicht. Nach dem Essen wurden Weihnachtslieder gesungen.
Danach gab es die Geschenke für die Kinder. Rosi bekam einen kleinen
Plüschelefanten. Und darüber freute sie sich sehr. Dann wußte der
Weihnachtsmann ja doch, wie sehr sie die Elefanten liebte. Woher nur?
Es war schon dunkel als sie den Heimweg antraten. Rosi war auf seinem
Arm und Anastasia hatte sich in den anderen eingehangen. So stiefelten
sie durch den verschneiten Zoo. Vorbei am Eisbärengehege, wo Anastasia
ihm einen leisen Stoß gab, gingen sie nach Hause. Renana wartete schon
sehnsüchtig auf die drei. Als Anastasia die innere Türe öffnete, stand
sie bereits da. Und als Ulrich mit Rosi auf dem Arm eintrat, sprang
Renana an ihm Hoch und schlabberte Rosi ab. Anastasia lächelte nur.
Sie wußte mittlerweile nur zu gut, daß sich die Beiden bestens
verstanden und Renana sehr gut auf ihren Schatz aufpaßte. Ihre
anfängliche Angst verfluchte sie mittlerweile fast täglich. Sie
alleine war schuld daran, daß sie beinahe nicht zusammengekommen
wären. Zwar hatte sie gute Gründe dafür gehabt, aber heute lachte sie
nur noch darüber. Ulrich brachte Rosi nach oben und zog sie aus,
während Renana schon im Bett wartete. Anastasia hatte unterdessen in
der Küche eine Flasche Wein geöffnet. Nachdem sie Rosi noch einen Gute
Nacht Kuß gegeben hatte und Renana über den Kopf gestreichelt hatte,
nicht ohne ihr zu sagen, das sie gut auf sie aufpassen solle, ging sie
in ihr Schlafzimmer. Sein Schlaf und Arbeitszimmer war nun auch ihr
Schlafzimmer geworden. Sie genoß die Größe seines Bettes, obwohl sie
ihre Hälfte noch nie benutzt hatte. Jedenfalls nicht, um auf der
Hälfte zu schlafen. Denn sie lag jede Nacht in seinen Armen. Und
obwohl es so wieder enger wurde, würde sie darauf nicht verzichten
wollen. Sie zog sich aus und behielt nur Höschen und Top an. Wenn es
im Wohnzimmer zu kalt werden würde, dann wußte sie, daß sie gewärmt
werden würde. Ungefragt. Denn er spürte immer wenn sie fror. Und er
wärmte sie sehr gut. Und so ging sie hinunter ins Wohnzimmer. Er hatte
bereits den Kamin angezündet. Und als sie eintrat, verbreitete er
bereits eine angenehme Wärme. Doch sobald das Holz heruntergebrannt
war, da würde er sie wärmen. Und darauf freute sie sich mehr als über
das Feuer im Kamin. Und so wurde dieser abend wieder ein sehr
romantischer Abend.
Zwei Tage vor Weihnachten machte er die letzten Besorgungen. Rosi war
zu Hause geblieben und spielte mit Renana. Anastasie würde bis 16 Uhr
arbeiten müssen. Und so hatte er mit Rosi gegessen und war dann
losgefahren. Der Kofferraum war hoch voll. Die Geschenke stapelten
sich dort. Der Weihnachtsbaum würde morgen geliefert werden.
Ausgesucht hatte er ihn schon. Morgen würde er geschlagen werden und
gegen Nachmittag bei ihnen sein. Lichterketten und Kugeln hatte er
schon im Versteck. Ebenso die Naschereien für die Teller. Aber das
Wichtigste waren die Geschenke. Kleidung und Spiele für Rosi,
Kleidung, Parfüm und Schmuck für Anastasia. Darunter ein besonderes
Stück.
Sie hatte lange überlegt. Aber was sollte sie ihm schenken. Sie hatte
doch kein Geld. Nun, Geld hatte sie schon, weil sie seit drei Wochen
nichts ausgeben mußte. Und davon war das meiste für die Geschenke für
ihre Maus draufgegangen. Schließlich aber wußte sie was es werden
sollte. Und davon einige Variationen.
Rosi hatte es da einfacher. Sie hatte von Mama ihr Geschenk für ihn,
und von ihm ihr Geschenk für die Mama bekommen.
Renana war die einzige, die kein Geschenk hatte. Aber das war auch
abzusehen. Was sollte sie ihnen auch schenken können?
Heiligabend: Während einige Mitarbeiter bei ihm den Weihnachtsbaum
aufstellten und er ihn schmückte, plantschten die Mädchen in der
großen Wanne seines Bades. Er schaffte es, den Baum fertig zu
schmücken, noch bevor die Beiden fertig waren. Und da ihre Kleider auf
seinem Bett lagen, brauchte Rosi nicht zu sich hinüber um sich
anzuziehen. Er hatte gerade das letzte Geschenk unter dem Baum gelegt,
da riefen sie von oben herab, daß sie fertig wären. Er ging nach oben
und nahm Rosi auf den Arm. Anastasia mußte ihre Augen schließen und
ging, am Handlauf und in seinem Arm, die Treppe hinunter. Erst als sie
vor dem Baum standen, durften sie schauen. Und was sie da sahen,
verschlug ihnen die Sprache. Vor ihnen stand ein gut 5 Meter hoher und
sehr dichter Baum. Da das Licht aus war, strahlten seine Kerzen im
Raum. Die Freude über diesen Baum war ihnen anzusehen. Schließlich
ließ er Rosi herab und sie durfte die Geschenke verteilen. Zuerst
verteilte sie ihre Geschenke für Mama und Ulrich. Und ihre Aufgabe als
Weihnachtsmann schien ihr viel Freude zu machen. Als nächstes
verteilte sie die restlichen Geschenke Und da sie die meisten
Geschenke bekam, dauerte es bei ihr am längsten. Sie freute sich über
jedes Teil.
Woher hast du ihre Größe gewußt?“, fragte Anastasia, als Rosi das neue
Kleidchen anzog.
„Steht in ihrem Kleid drin.“
„Aha, dann weiß ich auch, woher du meine Größe wußtest.“
Lachend nickte er.
Rosi durfte an dem Abend sehr lange aufbleiben. Aber als es halb elf
war, wurde sie schließlich doch müde. Anastasia brachte sie hoch und
ins Bett. Dann ging sie wieder hinunter. Auf der Treppe begegneten sie
sich. Er ging hoch und wünschte der kleinen Maus noch eine gute Nacht.
Und Rosi gab ihm einen dicken Kuß. Als er wieder hinunter kam, stand
Anastasia im Eingang zum Wohnzimmer.
„Du bist verrückt.“, sagte sie mit Tränen im Gesicht und fiel ihm um
den Hals.
Sie hatte die Geschenke für sich auf dem Tisch gesehen. Geschenke, die
nicht unter dem Baum gelegen hatten. Es waren nur drei Päckchen. Aber
die Größe sagte ihr, daß es für ihn sehr wichtige Geschenke waren.
Aber eines hatte sie ja auch noch für ihn. Sie setzten sich im Schein
der Kerzen und des Kaminfeuers auf das Sofa. Er gab ihr ein Glas und
sie stießen an. Dann gab sie ihm eine Rolle. Als er sie auspackte, war
er sprachlos. Unten war zu lesen: In Liebe Anastasia Rosi und Renana.
Jeder hatte unterschrieben. Rosi in unbeholfener Schrift, und Renana
mit einem Pfotenabdruck. Es war ein Bild von den dreien in
Posterformat. Und er wußte sofort, daß er dafür einen sehr schönen
Rahmen besorgen würde. Dann gab er ihr das erste Päckchen. Es war
jenes, mit dem Parfüm. Chanel Nr.5. Sie kannte es nur vom Namen her.
Doch der Duft gefiel ihr sofort. Im nächsten war eine Halskette mit
einem herzförmigen Anhänger. Als sie ihn öffnete, schauten ihr Rosi
mit Renana auf der einen, und er mit Rosi auf der anderen Hälfte
entgegen. Erneut füllten sich ihre Augen mit Wasser. Und im letzten
Päckchen waren wunderschöne Ohrringe.
„Du sollst doch nicht so viel für mich ausgeben. Das bin ich doch
nicht wert.“
„Oh doch. Noch viel mehr.“
„Danke.“
Sie küßten sich sehr lange. Schließlich tranken sie einen Schluck und
er schlug sich gegen die Stirn.
„Was ist? Hast du was vergessen?“
„Ja. Ist aber nur eine Kleinigkeit.“
„Was denn?“
„Das hier.“
„Für die Maus?“
Er wühlte in der Hosentasche, dann in der anderen. Als er mit der Hand
herauskam, war da ein kleines Kästchen. Er hielt es ihr hin und
öffnete es.
„Nein, für dich. Willst du meine Frau werden?“
Als sie den Inhalt des kleinen Kästchens sah, schlug sie ihre Hände
vor den Mund. Dann sah sie ihn an.
„Ja.“, heulte sie. Dann fiel sie ihm um den Hals und überschüttete ihn
mit Küssen.
Als Rosi nach ihnen rief schauten sie sich erstaunt an. Ein Blick auf
die Uhr sage ihnen, daß sie die ganze Nacht über geredet und geschmust
hatten. Lachend gingen sie nach oben und Anastasia sah erneut, wie gut
Renana auf ihren Engel aufpaßte. Denn sie ließ sie nicht an die Treppe
heran, obwohl sie ihr schon entgegen kamen. Und oben streichelte
Anastasia Renana und dankte ihr, daß sie so gut auf ihr kleines
Mädchen aufpaßte.
Hatte sie am ersten Tag eine große und dicke Mauer zwischen Renana und
sich aufgebaut hatte, so war diese nun mehr als löchrig. Und Freunde
waren sie mittlerweile auch schon. Aber das sie vollends zu Staub
zerfiel, als wäre sie nie vorhanden gewesen, das hatte eine andere
Ursache. Und diese Ursache geschah am zweiten Weihnachtstag gegen halb
eins mittags. Sie wollten im Restaurant essen gehen. Rosi stand
draußen unten an der Treppe. Renana saß oben und schaute zu ihr
herunter. Anastasia und Ulrich neben ihr und knöpften gerade ihre
Mäntel zu. Da horten sie ein lautes Knacken. Ehe sie reagieren
konnten, sprang Renana mit einem Satz die Treppe hinunter und Rosi an.
Sie fiel mit Renana in den Schnee und rutschte mit ihr noch einen
Meter weiter. Bevor Anastasia reagieren konnte, krachte ein schwerer
Eiszapfen auf die Stelle, wo noch Sekunden zuvor ihre Tochter
gestanden hatte. Erst als sie sich gefangen hatte, rannte sie zu den
Beiden hin. Renana saß im Schnee und Rosi umarmte ihren Hals.
Anastasia griff sich Rosi und drückte sie an sich. Dann umarmte sie
Renana. Beide bekamen von ihr mehr Küsse als sonst. Und zu Renana
flüsterte sie immer wieder „Danke“. Als Ulrich bei ihr stand sagte
sie:
„Jetzt glaub ich dir.“
Ulrich wußte sofort, was sie damit meinte. Und als sie essen gehen
wollten, rannte Anastasia ins Haus zurück. Erstaunt sahen die Beiden
sie wenige Sekunden später mit Halsband und Leine wieder zu Renana
kommen. Sie streifte Renana das Halsband über, hakte die Leine ein und
schaute Ulrich an.
„Wenn meine große Tochter mit uns essen geht, dann kommt meine Kleine
auch mit.“
„Sicher?“
„Ja. Jetzt ja.“
Und so gingen sie zu viert essen.
Lebensgeschichten
Ulrich war während des letzten Satzes aufgestanden und räumte das
Geschirr zusammen. Anastasia schälte sich mühsam aus dem tiefen Sessel
und half ihn dabei. Sie brachten alles in die Küche und gingen wieder
ins Wohnzimmer. Anastasia setzt sich wieder in den Sessel und versank
sofort in ihm. Aber er war stehengeblieben.
„Ach ja, was ich dich fragen wollte.“
„Ja?“
„Anastasia ist doch eigentlich ein Name, der in Rußland vorkommt. Aber
du bist keine Russin.“
„Nein.“
„So wie du aussiehst, kommst du aus dem Mittelmeerraum. Griechenland?“
„Ja.“
„Na, als Griechin trinkst du doch bestimmt ein Glas Wein. Oder?“
„Nicht unbedingt. Die meisten sind, nun, wie soll ich sagen? Sie sind
mir zu sauer.“
„Dann magst du lieber süßen Wein?“
„Ja.“
„Da hab ich was für dich.“
Er drehte sich zum Schrank herum und entnahm ihm zwei wunderbare
Weingläser. Das eine stellte er vor sie hin, das andere ans andere
Ende des Tisches. Dann ging er in die Küche. Anastasia war mehr als
erstaunt über die Platzwahl der Gläser.
„Ist was?“, rief sie ihm nach.
„Wie meinst du das?“
„Na, es ist unmöglich, die Gläser noch weiter auseinanderzustellen. Es
sei denn ich geh in die Halle und du in die Küche.“
Lachend kam er aus der Küche, nahm ihr Weinglas und stellte es etwa 40
cm neben seines.
„Besser so?“
Sie lachte nur.
Und während er in der Küche den Wein öffnete, kletterte sie aus dem
Sessel und setzte sich vor ihr Glas.
„Augen zu.“, rief er plötzlich aus der Küche und sofort schloß sie
artig ihre Augen.
Er kam zum Sofa und füllte den Wein in die Gläser. Die Flasche stellte
er auf den Boden am Ende des Sofas. Dann setzte er sich neben sie.
Sie hörte den Wein in die Gläser laufen. Dann spürte sie einen
leichten Druck an ihrer Seite. Er hatte sich neben sie gesetzt. Er
bewegte sich noch etwas, dann flüsterte er: „Augen auf“. Sie blinzelte
noch etwas, dann sah sie das Weinglas vor sich. Sie nahm es aus seinen
Händen. Nachdem sie angestoßen hatten, führte sie das Glas an ihren
Mund. Doch dann stutzte sie. Den Geruch kannte sie. Erstaunt sah sie
ihn an.
„Maphne Daphne?“
„Of Patras.“
„Wie bist du daran gekommen? Ich hab schon so lange danach gesucht.“
„Dr. Menarchos bringt ihn mir mit. Er wohnt drüben auf der anderen
Rheinseite. Da gibt es einen griechischen Laden. Der hat den.“
Und während sie einen großen Schluck nahm und dabei ihre Augen schloß,
schaute er sie nur an. Es war für sie wie ein Stück Heimat. Sie
erinnerte sich an die winzigen Mengen, die ihr Vater ihr abgegeben.
Nein! Daran wollte sie nicht denken. Tränen rannen ihr über das
Gesicht.
„He, So schlimm?“
Er nahm einen Schluck und stellte fest, daß der Wein doch sehr süß
war.
„Er ist doch nicht sauer.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Was dann?“
„Das ist eine lange Geschichte.“
„Wir haben Zeit.“, flüsterte er.
Es dauerte dennoch eine Weile, bis das sie soweit war, ihm alles zu
erzählen. Doch dann begann sie.
Sie erzählte ihm, daß sie mit 14 zu ihrer Tante und deren Tochter nach
Deutschland gekommen war. Hier hatte sie dann eine Ausbildungsstelle
als Hotellfachangestellte begonnen. Anfangs war auch alles in Ordnung.
Da sie sehr gut Deutsch sprach, kam sie auch sehr gut mit. Dann aber,
sie war schon 15, fast 16, da ging sie mit ihrer Cousine zum Karneval.
Und Rosenmontag stürzten sie sich ins Getümmel. Natürlich gingen sie
auch in mehrere Diskotheken. Und in einer waren sie dann hängen
geblieben.
„Da war dann ein Typ. Er sah nicht schlecht aus, aber keiner um sich
zu verlieben. Aber er war nett, hörte mir zu wenn ich redete und er
konnte sehr gut tanzen. Zumal er mir auch immer etwas ausgab. Pina
Colada.“
„Hm, kenn ich. Mag ich auch sehr gerne.“
„Dann weißt du ja wie der reinhaut.“
„Oh ja!“
„Ich weiß nicht genau was dann passiert ist. Nur Bruchstückhaft. Ich
weiß noch, daß er mit mir in einem Gang gewesen ist. Da waren kleine
Schränkchen, auf denen allerlei Prospekte oder so lagen. Auf eines hat
er mich gesetzt und fing gleich an zu fummelt. Ich hab das gar nicht
so richtig mitbekommen. Auch nicht, als er mir die Strumpfhose im
Schritt zerrissen hat. Erst als er in mich eindrang hab ich einen
Schmerz gespürt. Aber ich war zu voll um mich zu wehren. Dann ging
alles sehr schnell. Er war fertig und hob mich wieder herunter. Dann
waren wir wieder im Lokal. Er setzte mich auf meinen Platz und seitdem
hab ich ihn nie wieder gesehen. Das einzige Andenken an ihn tobt da
draußen mit der Katze rum.“
Während ihrer Erzählung hatte sie wieder zu weinen begonnen. Ulrich
hatte deshalb seinen Arm um sie gelegt.
„Nun, bis auf das was in der Disko passiert ist, ist das kein Grund so
zu weinen.“
„Du weißt noch nicht alles.“
„Noch mehr?“
Sie nickte.
„Als ich wußte, daß ich schwanger war, hab ich natürlich Angst
bekommen. Aber ich wußte doch nicht, was ich machen sollte. Ich war
damals 15. Schließlich konnte ich es nichtmehr verheimlichen. Jeder
konnte es sehen. Ich habe Rosi gehaßt. Ich wollte sie zur Adoption
freigeben. Aber als ich ihre Stimme hörte, sie auf meiner Brust
spürte, da hab ich beschlossen sie zu behalten. Sie war so süß. Und
sie ist es noch immer. Ich liebe sie. Obwohl ich sie während der
Schwangerschaft gehaßt hatte. Aber seit ihrer Geburt liebe ich sie.
Verstehst du jetzt, wieso ich solche Angst habe, wenn sie mit Renana
spielt?“
Er nickte.
„Und wie ging es weiter?“
Er griff nach seinem Glas und Anastasia tat es auch.
„Oh, leer.“
„Warte.“
Er ging in die Küche und brachte eine neue Flasche mit und goß ihr
Glas voll. Dann tranken sie.
„In den ersten Jahren wohnten wir bei meiner Tante und meine Cousine.
Ich konnte meine Ausbildung beenden. Doch als ich eine Anstellung
suchte, mußte ich ja auch angeben, ob ich Kinder hätte. 17 Jahre und
ein Kind? Da wollte man mich nicht haben. Die Gefahr, wegen
Kinderkrankheiten zu oft zu fehlen, war den einen zu groß. Und die
Anderen wollten mich erst testen.“
„Wie gut du bist?“
„Ja, aber im Bett.“
„Was?“
„Ja. Einige haben mir sogar ins Gesicht gesagt, das ich mit ihnen
bumsen müsse, damit ich in die engere Auswahl komme. Da bin ich dann
gleich weg. Aber von irgendwas mußten wir ja leben. Drei Jahre ging es
einigermaßen. Ich hab überall gejobbt. Als Kellnerin, auf dem
Großmarkt. Meine Cousine war mittlerweile nach Paris gegangen und
meine Tante wollte wieder zurück nach Griechenland. Also hab ich alle
Stellenangebote durchsucht. Und so bin ich beim ALDI hängengeblieben.
Der Verdienst ist nicht gerade berauschend, aber wir kommen über die
Runden.“
„Konnten deine Eltern dir nicht helfen?
Jetzt heulte sie richtig los.
„Ich habe es versucht, als ich noch schwanger war. Kannst du dir
vorstellen, was das für meinen Vater bedeutete? Seine Tochter und ein
uneheliches Kind? Nicht verheiratet? Für ihn war ich eine Nutte. Darum
hat er mich verstoßen.“
„Verstoßen?“
„Ja. Ich habe keine Eltern mehr.“
Sie drückte sich fest an ihn und heulte auf sein Hemd. Doch plötzlich
richtete sie sich ruckartig auf. Ihr Blick war eiskalt und die Tränen
versiegten.
„Lassen wir das. Ich bin zufrieden mit dem was ich bin und was ich
habe. Aber jetzt hab ich eine Frage an dich.“
„Ja?“
„Ja. Ich hab damals im Zebrastall gehört, das du erst 23 bist.“
„Ja, das stimmt.“
„Kannst du mir mal sagen, wie du das geschafft hast?“
„Was? 23 zu werden?“
Sie lachte auf.
„Nein. Du bist 23 und Chef der Tierklinik. Und du bist Tierarzt. Wie
hast du das geschafft in der kurzen Zeit?“
„Ach kommt jetzt meine Lebensbeichte?“
„Ja.“
„Na gut. Zuhause aufgewachsen, dann Schule.“
„Warst du ein guter Schüler?“
„Leider.“
„Wieso leider?“
„Ich war so gut, daß ich die zweite Klasse übersprungen habe. Darum
bin ich schon mit neun ins Gymnasium gekommen. Und da hab ich dann
auch ein paar Klassen übersprungen. Jedenfalls kam ich mit 15 raus.“
„Mit Abitur?“
„Ja.“
„Wie hast du das geschafft?“
„Da muß ich wieder zurückgehen. Ich wußte schon in der Grundschule,
daß ich Tierarzt werden wollte. Mehr noch. Ich wollte hier in den Zoo
und ich wollte hier Boß werden. Und dafür hatte ich zwei
Möglichkeiten.“
„Und die waren?“
„Ich konnte schon immer sehr schnell lernen und auch begreifen.
Teilweise hab ich mir aus Büchern schon Dinge angeeignet, die erst
viel später durchgenommen wurden.“
„So hast du die Klassen überspringen können. Du bist Autodidakt.“
„So ist es.“
„Und die Möglichkeiten?“
„Nun, ich hatte die Möglichkeit zwischen Schule, Wein, Weib, Gesang
und Arbeit, oder Schule, Schule, Schule, Arbeit, Arbeit.“
„Wie meinst du das?“
„Ich hätte ganz normal leben können. Wie die meisten Jungen. Ich wäre
mit Mädchen ausgegangen oder hätte in einer Gruppe rumgehangen. Wäre
brav in die Uni gegangen und so mit 26 hätte ich meinen Abschluß
gemacht. Mit 30 vielleicht Oberarzt, mit 40 stellvertretende Leitung
und vielleicht mit 45 Chef.“
„Und der andere Weg?“
„Nichts davon. Nur Schule und Arbeit. Schon während dem Gymnasium hab
ich hier im Zoo geholfen. Schließlich bin ich dann mit Professor Rüter
zusammengekommen. Er hatte hier die Leitung der Tierklinik. Und mit
ihm bin ich dann oft im Zoo rumgegangen. Hab ihm zugesehen, wie er die
Tiere versorgt und gelernt, wie man was erkennt. Was ich nicht wußte,
hab ich mir angelesen. Er hat schnell gemerkt, daß ich mit Leib und
Seele dabei war. Und während meines Studiums hab ich jede freie Minute
hier verbracht. Das kam dann sogar soweit, daß ich mit dem
diensthabenden Arzt hier am Wochenende gearbeitet habe.“
„Und dann hast du dich hier beworben?“
„Ja. Als ich 18 war.“
„Aber da warst du doch noch nicht fertig.“
„Ja, aber nur der frühe Vogel fängt den Wurm. Jedenfalls hab ich jedes
halbe Jahr eine Bewerbung abgeschickt. Und immer eine Absage bekommen.
Als ich dann fertig war, kam die Zusage.“
„Wie alt warst du da?“
„22. Doch ein halbes Jahr später wurde er krank und knapp ein halbes
Jahr später schied er aus.“
„Und wie bist du hier Chef geworden?“
„Das hab ich ihm und meinen Kollegen zu verdanken.“
„Wie das denn?“
„Er hat eine Konferenz einberufen, ohne mich. Und da hat er sie
gefragt, wer von ihnen seine Nachfolge antreten möchte. Da ist Dr.
Grams aufgestanden und hat gesagt, daß wohl jeder von ihnen das gerne
machen würde. Er auch. Aber er würde mich lieber auf dem Posten sehen.
Ich hätte ein Händchen für die Tiere. Die anderen waren seiner Meinung
und so wurde ich sein Stellvertreter und während seiner Krankheit dann
kommissarischer Leiter. Und als er Ausschied bekam er seine
Ehrenurkunde. Und dann sagte er, daß er einen würdevollen Nachfolger
gefunden hätte. Dann hat er mich nach vorne gezerrt und ich habe meine
Anstellung als Leiter der Tierklinik bekommen.“
„Und was war mit „Wein, Weib und Gesang?“
„Nichts davon.“
„Wie meinst du das?“
„Wenn du küssen und Händchen halten mit einbeziehst, dann bin ich in
jeder Beziehung noch Jungfrau.“
„Was?“
„Ja.“
„Aber.“
„Was aber? Hätte ich den anderen Weg eingeschlagen, dann wäre ich
wahrscheinlich mit 30 verheiratet. Und wenn ich hier Chef werden
wollte, dann hätte ich Dienste machen müssen bis zur Vergasung. Und
das hält keine Ehe aus. Also wäre ich mit 40 bestimmt schon
geschieden. Jetzt bin ich 23. Ich habe alles erreicht was ich mir
vorgenommen hatte. Jetzt kann ich leben. Ich kann in Urlaub fahren.“
„Wann warst du eigentlich das letztemal im Urlaub gewesen?“
„Jetzt gerade.“
„Nein.“, lachte sie, „Davor.“
„Das war ich, hm, 12? 12 oder 13. Mit meinen Eltern zwei Wochen in
Bayern.“
„Was?“
„Ja. Entweder oder. Ich habe oder gewählt. Und ich weiß, daß es
richtig gewesen ist.“
Er schüttete ihr leeres Glas erneut voll und sie tranken. Sie
unterhielten sich noch sehr lange über ihre Lebensgeschichten. Hatten
zu dem ein und anderen noch Fragen. Plötzlich zuckte Anastasia
zusammen und schaute in die Diele.
„Was ist?“
„Ich hör sie nicht.“
„Kein Wunder. Rosi schläft schon seit anderthalb Stunden.“
„Was!?“
Ungläubig schaute sie ihn an.
„Wie spät ist es denn?“
„10 vor 12.“
„Was!“
„Ja.“
„Wir müssen nach Hause.“
„Also fahren kann ich euch leider nicht. Aber ich ruf euch ein Taxi.“
„Nein, das können wir uns nicht leisten.“
Bevor er etwas sagen konnte, wußte sie schon was er sagen würde.
„Ich will nicht, daß du das Taxi bezahlst. Wir können laufen.“
„Laufen? Bei dem Wetter?“
„Wie bei dem Wetter?“
„Da, schau hin.“
Er zeigte auf die kleinen Monitore, welche in der Ecke auf dem Schrank
standen. Sie hatte sie zwar schon gesehen, hatte aber die ganze Zeit
über nicht auf sie geschaut. Und im Schein der Lampen draußen sah sie
auf den Monitoren nur weiß.
„Was ist das?“
„Schnee.“
Das glaub ich nicht.“
„Anastasia sprang auf und fiel gleich wieder aufs Sofa zurück.
„Komm, ich helf dir.“
Er zog sie an der Hand hoch und ging mit ihr in die Küche. Als sie
dort aus dem Fenster sah, sah sie dicke Schneeflocken und ein weißes
dickes Lacken aus Schnee auf alles was draußen war.
„Da kannst du nicht durch. Jedenfalls nicht mit der Maus auf dem Arm.“
„Und jetzt?“
„Komm mit.“
Er ging in die Diele und sie sah Rosi auf Renana liegen, ihre Arme um
sie geschlungen. Als sie vor ihnen standen schaute Renana sie an. Da
ging er in die Hocke und nahm Rosi auf dem Arm. Anastasia glaubte, das
Rosi wußte wer sie da hochnahm. Denn sie drückte sich sofort an seine
Brust.
„Ja, du auch.“, sagte er zur Katze und sie stand auf.
Er ging die Treppe hoch und sagte Anastasia, sie solle mitkommen. Als
sie oben ankamen ging er zum zweiten Durchgang. Dort machte er Licht
und Anastasia schluckte. Das Zimmer war eindeutig ein Schlafzimmer.
Ein Schlafzimmer mit einem großen Doppelbett und Nachttischchen an
jeder Seite, einem großen Schrank, einem kleinen Tisch und zwei
Stühlen. Und es war riesig.
„Zieh die Decke runter.“
Wie in Trance kam sie seiner Aufforderung nach, da legte er Rosi schon
ins Bett. „Renana“, kam in diesem Moment aus Rosis Mund. Er sah zur
Katze hinunter und nickte.
„Na los.“
Renana sprang aufs Bett und legte sich mit dem Rücken dicht an Rosi.
Sofort schob sie einen Arm unter ihren Kopf und drückte sie an sich.
Ulrich deckte die Beiden zu.
„Und ich?“, flüsterte Anastasia.
„Hm, das Bett ist breit genug. Du kannst da“
„Du glaubst doch wohl nicht, daß ich hier schlafe. Soweit bin ich noch
nicht. Und ich wundere mich über mich selbst, das ich das da zulasse.“
„Dann komm.“
Er führte sie ans Ende des Ganges. Hier lag ein weiteres Schlafzimmer.
Größer als jenes in dem Rosi lag.
„Das Bett ist aber nicht bezogen. Du hast die Wahl. Entweder du
schläfst unten im Wohnzimmer auf dem Sofa, dann geb ich dir noch eine
kuschlige Decke, oder hier. Dann müssen wir nur das Bett noch
beziehen. Oder aber du schläfst bei Rosi.“
„Ich werd es versuchen. Aber so ganz wohl ist mir dabei nicht.“
Sie gingen wieder zurück.
Möchtest du ins Bett oder noch was trinken?“
„Ich glaube, ich geh schlafen. Wo schläfst du eigentlich?“
„Da.“
Er zeigte auf den ersten Durchgang.
„Komm, ich zeig es dir.“
Er ging hinein und schaltete das Licht ein. Als Anastasia eintrat
verschlug es ihr die Sprache. Das Zimmer war größer, als alle anderen
Zimmer bisher. Rechts vom Eingang stand ein sehr breites Doppelbett.
Vier Pfosten hielten einen Baldachin darüber. Es sah aus wie ein
mittelalterliches Bett. Es war wunderbar. Zwei Nachttischchen standen
rechts und links davon, mit jeweils einer kleinen Lampe darauf. Doch
links vom Eingang breitete sich ein riesiges Arbeitszimmer aus. Bis
zum Fenster, welchen über dem Küchenfenster liegen mußte, standen
rechts Regale mit Büchern. Auf der linken Seite stand nur ein
Schreibtisch. Aber der war länger, als das Sofa unten im Wohnzimmer.
„Links Arbeit, rechts Schlafen. Ach ja, schlafen. Ich kann dir leider
keinen Pyjama geben.“
„Nicht?“
„Nein.“
„Meinst du sie passen mir nicht?“
„Nein, aber ich habe keine.“
„Schläfst du im Nachthemd?“
„Nein. Nachts habe ich nichts an. Ich schlafe nackt. Schon seit ich 14
oder 15 bin schlafe ich nackt.“
„Auch jetzt? Bei der Kälte?“
Erst jetzt spürte sie, daß es im Zimmer kalt war. Und sie sah auch
warum. Das Fenster stand auf Kippe.
„Du hast das Fenster auf.“
„Hab ich immer. Ich mag es gerne kalt. Das ist so schön, wenn ins Bett
gehe und das Bett dann langsam warm wird.“
„Das wäre nichts für mich.“
„Also mit Nachtzeug kann ich dir leider nicht dienen.“
„Macht nichts. Es geht auch so. Ich geh dann mal schlafen. Ich bin
echt müde geworden.“
„Dann schlaf gut.“
„Du auch.“
„Danke.“
Sie ging ins Zimmer zu Rosi und er ging hinunter ins Wohnzimmer. Dort
räumte er kurz auf und nahm sich ein Glas Wein mit an sein Bett. Dort
zog er sich aus und huschte unter die Decke. Dann löschte er das Licht
und spürte wie die Wärme seines Körpers langsam das Bett erwärmte.
Anastasia saß sehr lange im Zimmer von Rosi und Renana auf dem Stuhl,
welcher sich vor dem Tisch befand. Sie wäre sehr gerne ins Bett
gegangen, denn sie wurde schläfrig. Doch da lag auch Renana. Und wenn
sie im Bett lag, dann hätte Renana sie bestimmt mit ihren Pfoten
berühren können.
Das Ende
Nachdem das Verhältnis zwischen ihnen geklärt war, wurde ihre
Beziehung tiefer. Sehr viel tiefer. Zwar war der Verkehr zwischen
ihnen niemals nur Sex gewesen, doch seit er ihr den Antrag gemacht
hatte, war es, als wenn ihre Beziehung in ein neues Stadium getreten
war. Erst jetzt erfuhr er Dinge von ihr, die sie ihm früher nie
anvertraut hätte. Das meiste davon über ihr Verhältnis zu ihren
Eltern. Und daß sie eine Schwester und einen Bruder hatte, die wenige
Jahre jünger als sie waren.
„Könnte es sein, das deine Schwester Helena heißt?“
„Ja, woher weißt du das?“
„Hm, wenn man an griechische Mädchen denkt, dann denkt man immer, daß
sie Helena heißen.“
„Etwas wage. Meinst du nicht?“
„Nun, da gibt es noch was.“
„Was denn?“
„Rosis Püppchen. Und wenn ich mich nicht ganz in deine Familie
täusche, das wissen deine Geschwister von Rosi. Zumindest deine
Schwester. Und ich glaube, sie weiß auch wie Rosi heute aussieht.“
Anastasias erstauntes Gesicht und ihre Reaktion darauf sagte ihm, das
er richtig lag.
„Schreibt ihr euch?“
„Helena. Wir schreiben uns. Dimitri liest mit und fügt seine Grüße mit
in ihren Briefen ein.“
„Was ist mit deiner Mutter?“
„Nichts. Auch nichts von Papa. Dabei fragt Rosi so oft, wann wir Oma
und Opa besuchen.“
„Also weiß sie von ihnen?“
„Ja. Wieso sollte ich ihr das verheimlichen?“
„Auch das andere?“
„Nein! Wenn ich vom meinen Eltern spreche, dann rede ich nur von den
schönen Zeiten. Sie möchte sie so gerne sehen. Aber das geht doch
nicht.“
Er erkannte ihr Dilemma. Sie wollte daß Rosi ihre Großeltern
kennenlernte, konnte aber selbst nicht zu ihnen.
„Würden sie zu unserer Hochzeit kommen?“
„Ich weiß nicht. Mama vielleicht. Aber sie richtet sich nach Papa. Und
der ist sehr stur. Für ihn bin ich nicht vorhanden.“
Vier Tage später machte er ihr den Vorschlag, gemeinsam nach
Griechenland zu fahren und zumindest ihre Geschwister zu besuchen.
Anastasia war wie ausgewechselt. Sie selbst hätte niemals das Geld für
die Reise aufbringen können. Doch er tat so, als wenn sie nur mal kurz
ins Schwimmbad fahren würden. Die Aussicht ihre Geschwister
wiederzusehen, steigerte ihre Freude ins unermeßliche. Aber sie wußte
nicht, ob sie Urlaub bekommen würde. Und so fragte er sie nach ihrer
Ausbildung. Er hatte ihre Ausbildung, grob gesagt, als Büro oder
Buchhaltung abgetan. Doch nun kam da viel mehr zum Vorschein. Da er
wußte wie es um das Personal im Zoo bestand, faßte er einen
ungewöhnlichen Entschluß. An einem Donnerstag, Anastasia hatte bis 14
Uhr Schicht, gingen sie nicht nach Hause, sondern in die Verwaltung.
Frau Ernst hatte er schnell gefunden. Anastasia erkannte in ihr sofort
jene Frau, mit der er sich auf der Weihnachtsfeier so geheimnisvoll
unterhalten hatte. Er stellte sie gegenseitig vor und dann kam er zum
Kern. Was Anastasia gelernt hatte, wo sie jetzt arbeitete und ob die
Stelle bei ihr noch frei wäre. Letzteres brauchte er eigentlich nicht
zu fragen. Schließlich hing die Stellenausschreibung noch immer am
Schwarzen Brett. Und auf der Weihnachtsfeier hatte er ja schon
vorgefühlt. Zwei Stunden später, in denen er mit Rosi im Zoo
spazierenging, hatte Anastasia einen neuen Job. Nein, keinen Job. Eine
richtige Arbeit. Eine Arbeit mit einem Gehalt, welches mehr als
doppelt so hoch war wie das beim ALDI. Mit Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld
und 30 Tage Urlaub. Und die zählten nicht wie beim ALDI, von Montag
bis Samstag, sondern nur bis Freitag. Es waren ganze 6 Wochen! Und die
Arbeitszeit war auch besser. Sie fing um 8 an und endete um 16 Uhr.
Eine Stunde Mittagspause. Als sie mit ihrem Vertrag aus dem Büro kam,
war sie wie versteinert. Sie konnte es noch nicht fassen. Die Beiden
fanden sie später heulend im Wohnzimmer. Rosi bekam Angst. Doch sie
begriff schnell, daß die Mami vor Freude weinte. Sie fuhren zum ALDI
und dort kündigte sie. Da der Vertrag in Zoo auf nächsten Monat
datiert war, Ulrich hatte es so mit Frau Ernst besprochen, so konnten
sie bereits in der nächsten Woche Richtung Griechenland starten. Die
übliche „Prügelei“ unter den Pflegerinnen begann, weil sie alle Renana
versorgen wollten. Anastasia sah diesem Treiben äußerst belustigt zu.
Die Fahrt dauerte vier Tage. Er raste nicht und sie machten sehr oft
Pausen. Sie waren quer durch Italien gefahren und dann mit dem Schiff
nach Patras. Nach zwei Stunden fuhren sie in den kleinen Ort ein. Das
Haus ihrer Eltern lag höher am Berg. Doch ihre Geschwister arbeiteten
unten in der Ortsmitte. Dimitri arbeitete in einer Autowerkstatt,
Helena in einer Boutique. Beides fanden sie sofort. Doch als sie einen
Parkplatz an der Boutique suchten, wurde Anastasie ganz aufgeregt.
„Was ist?“
„Da! Da ist sie!“
Er schaute die Straße hinauf und sie zeigte ihm ein Mädchen, welches
sich langsamen Schrittes von der Boutique entfernte.
„Sie hat bestimmt schon Feierabend.“
Er fuhr los, überholte sie und parkte am Straßenrand, gut 50 Meter vor
ihr. Dann stieg er aus und wartete auf sie.
„Entschuldigung!“
Die angesprochene stutzte und schaute ihn fragend an. Als sie ihn in
Griechisch antwortete, wehrte er es mit den Händen ab.
„Ich kann kein Griechisch.“
Also antwortete sie ihm in Deutsch:
„Was kann ich für sie tun?“
„Nichts, aber du kannst was für deine Nichte tun. Wie wäre es mit
einer Umarmung, oder einem Kuß?“
Damit öffnete er die hintere Wagentüre und sie sah ein kleines Mädchen
dort sitzen, das ihre Ärmchen nach ihr ausstreckte.
„Rosi?“
„Tante Helena?“
Da kam Anastasias Gesicht neben dem kleinen Mädchen zum Vorschein.
Helena war nicht zu halten. Sie stürmte an die offene Wagentüre und
umarmte gleich beide auf einmal. Die folgende Begrüßung war so
stürmisch und intensiv, das Rosi plötzlich sagte:
„Mama. Was sagt ihr?“
Die Beiden hatten sich in Griechisch begrüßt, was er nicht verstand
und Rosi, weil sie sehr schnell sprachen, auch nicht. Zwar hatte
Anastasia mit Rosi auch griechisch gesprochen, aber sie konnte es
nicht so gut, als das sie einem derart schnellen und emotionellen
Gespräch folgen konnte. Aber einige Worte hatte sie verstanden. Doch
bei weitem nicht genug, um einen Sinn in der Unterhaltung erkennen zu
können. Schließlich nahm Helena auf dem Beifahrersitz Platz und sie
fuhren los. Unterwegs sprachen sie wieder Griechisch. Und so konnte er
nicht verstehen, wie Helena ihre Schwester fragte, wer er sei. Und
Anastasia erzählte in Kurzform von ihm und das sie bald Heiraten
würden. Und das konnte Rosi verstehen. Denn sie sagte ihrer Tante, in
ihrer Muttersprache, daß er dann ihr Papa werden würde.
Anastasia und er waren überein gekommen, daß sie einige Tage bei Frau
Constantinos bleiben würden. Diese Frau hatte Anastasia und ihren
Geschwistern als „Briefkasten“ gedient. An sie hatte Anastasia
geschrieben, wenn sie ihren Geschwistern schrieb. Sie hatte sehr lange
im Dienste ihrer Eltern gestanden. Doch schon lange bevor Anastasia
nach Deutschland fuhr, hatte sie bereits aufgehört bei ihnen zu
arbeiten und sich in ihr kleines Häuschen am Stadtrand zurückgezogen.
Und als Kinder waren die Drei fast jeden Tag bei ihr gewesen. Sie war
auch die einzige im Ort, die von Anastasias „Fehltritt“ wußte. Und da
Helena und Dimitri ihr ebenfalls die Bilder von Mutter und Tochter
gezeigt hatten, so wußte sie sofort, wer da vor ihrem einsamen
Häuschen aus dem Wagen stieg. Und so fiel diese Begrüßung nicht
weniger herzhaft aus als vorhin die von Anastasia und Helena. Leider
konnte Frau Constantinos kaum Deutsch. Und so verstand er nichts und
Rosi kaum etwas. Doch sie sah, daß Mama und Helena sich freuten. Also
freute sie sich mit ihnen. Schließlich nahmen sie im Garten an einem
Tisch Platz. Helena lief schnell zum Bäcker und Ulrich bekam eine
Nachricht für Dimitri, damit er zu ihnen kommen würde. Mit der fuhr er
dann zur Werkstatt.
Er hatte gegenüber der Werkstatt gehalten und Dimitri gleich
ausgemacht. Er überquerte die Straße und sprach ihn an.
„Dimitri? Bist du Dimitri?“
Er nickte.
„Ich habe hier etwas für dich.“
Damit gab er ihm den Zettel. Dimitri laß ihn und sein Gesicht
strahlte. Doch dann erschrak er.
„Sind sie bei ihr?“
„Ja.“
„Mama war vorhin hier. Sie wollte auch zu Frau Constantinos.“
„Was!“
„Ja, wir müssen uns beeilen.“
Er rief etwas in die Werkstatt und sie rannten zum Wagen.
Doch sie kamen zu spät.
Anastasias Mutter kam in den Garten. Sie wunderte sich über das kleine
Mädchen, welches im Garten mit den Katzen von Frau Constantinos
spielte. Aber da Frau Constantinos hin und wieder Urlauber
beherbergte, um ihre Rente aufzubessern, dachte sie nicht weiter
darüber nach. Die Frauen begrüßten sich, während Anastasia ängstlich
aus dem Fenster schaute und zusah.
Auf halber Strecke sahen sie Helena vom Bäcker kommen. Schnell luden
sie sie ein und Dimitri erklärte ihr, daß Mama auf dem Weg war. Und
obwohl er nicht gerade langsam fuhr, kamen sie zu spät. Doch als sie
ankamen sahen sie Rosi bei den Frauen stehen und diese miteinander
reden.
Als Rosi Ulrich sah, kam sie ihm entgegengelaufen und rief: Papa! Die
Frauen lächelten, als sie sahen, wie sehr dieses hübsche liebe Mädchen
ihren Papa vermißt hatte. Helena und Dimitri waren ebenfalls
ausgestiegen, liefen aber hoch zu Anastasia. Dort begrüßten sich
Anastasia und Dimitri sehr herzlich. Um das Geschehen von Rosi
abzulenken, schlug Helena vor, daß sie mit Dimitri in den Garten gehen
würden. Ihre Mutter wußte ja, daß die Beiden Frau Constantinos öfter
besuchten. Also würde es nicht weiter auffallen. Und so machten sie es
auch.
Ihre Mutter war natürlich überrascht, daß die Beiden plötzlich bei
ihnen im Garten standen, verband dies aber nicht mit dem Mann und
seiner Tochter. Die vier unterhielten sich, während Ulrich mit Rosi
nach oben ging. Anastasia stand weinend am Fenster. Und als sie Ulrich
mit Rosi sah, flüsterte sie leise: „Mama“.
Aus Anastasias Erzählungen wußte er, daß ihre Mutter nur widerwillig
zugesehen hatte, wie ihr Mann Anastasia verstieß. Demzufolge faßte er
einen wagemutigen Plan. Mutterliebe ist stärker als der Tod, hieß es
doch immer. Und darauf baute er. Anastasia sträubte sich sehr. Doch
ihre Liebe zu ihm, Rosis Fragen nach ihren Großeltern und nicht
zuletzt die Sehnsucht ihre Mutter wiederzusehen ließ ihre Gegenwehr
erlahmen. Und so ging sie mit Rosi auf dem Arm und an seiner Hand
hinunter in den Garten. Noch sah ihre Mutter sie nicht, da sie mit dem
Rücken zu ihr saß. Als sie hinter ihr stand hob sie Rosi hoch und
setzte sie ihrer erschrockenen Mutter auf den Schoß. Rosi wußte wer
die Frau war. Denn Mama hatte es ihr gesagt. Und so sagte sie: „Oma“,
als sie auf dem Schoß der Frau saß.
„Das ist Rosi. Deine Enkeltochter.“, flüsterte Anastasia ihr ins Ohr.
Erschrocken drehte sie sich herum und blickte in das Gesicht ihrer
verlorenen Tochter. Da riß sie Anastasia an sich. Die
Wiedersehensfreude war nicht zu beschreiben. Vor allem, weil weder
Rosi noch er verstand, was die Beiden sagten. Jedenfalls endete es
damit, daß Rosi auf dem Schoß ihrer Großmutter saß und sich sehr wohl
zu fühlen schien. Leider redeten sie nun alle griechisch. Rosi störte
das nicht, weil sie ja nun langsam sprachen. Und Ulrich bekam hin und
wieder von den drei Geschwistern eine kurze Erklärung.
Es war schon spät, da mußte ihre Mutter nach Hause. Der Vater würde
bestimmt schon ungeduldig warten. Er wußte nicht, daß sie bereits
einen Plan ausgeheckt hatten, um ihren Mann mit Rosi zu konfrontieren.
Und so sah er erstaunt zu, wie ihre Mutter mit Helena, Dimitri und
Rosi auf ihrem Arm gingen.
„Mach dir keine Sorgen. Ihr passiert nichts. Mama paßt auf sie auf.
Und Dimitri ist ja auch dabei. Und Helena.“
Dennoch warteten sie ungeduldig auf eine Nachricht von zu Hause.
Als er seine Frau sah, wollte er schon aufspringen und schimpfen. Doch
etwas hielt ihn davon ab. Sie hatte ein kleines Mädchen auf dem Arm.
Es drückte sich an sie. Als sie vor ihm stand schaute das Mädchen ihn
an. Dann streckte es seine Ärmchen nach ihm aus und flüsterte: „Opa“.
Es dauerte fast anderthalb Stunden. Da hörten sie einen Wagen vor dem
Haus anhalten. Rosi kam zu ihnen in den Garten gelaufen, an ihrer Hand
ihr Opa. Anastasia sprang auf, da schloß ihr Vater schon seine Arme um
sie.
Gegen halb zwei fuhr Dimitri sie nach Hause. Anastasia und Rosi
blieben mit Ulrich bei Frau Constantinos. Doch nur bis zum Morgen.
Dann verabschiedeten sie sich und fuhren zu Anastasias Eltern. Erneut
war die Begrüßung sehr herzlich. Mittags gingen sie in den Ort. Sie
würden ins Restaurant gehen und dort zu Mittag essen. Stolz ging ihr
Vater mit Rosi auf seinem Arm voran. Er wurde von vielen angesprochen.
Und stolz sagte er, daß dies seine Enkelin wäre.
Sie verbrachten zwei herrliche Wochen. Rosi war fast immer mit
Anastasia und ihrem Großvater unterwegs. Sie hatten sich sehr viel zu
erzählen. Anastasia machte ihm Vorwürfe, daß er sie alleingelassen
hatte. Und er sah ein, daß er ihr unrecht getan hatte. Ein 14-jähriges
Mädchen alleine in einem fremden Land, da war das Unheil
vorprogrammiert gewesen. Doch am Ende der Ferien waren sie wieder eine
Familie. Eine Familie, zu der nun bald auch Ulrich gehören würde. Man
hatte ihm auch erzählt, daß sie heiraten würden. Und da ihnen Ulrich
gefiel, zumal er Rosi wie seine eigene Tochter liebte, war er herzlich
in der Familie willkommen.
Und so kam es, daß sie ein Vierteljahr später erneut in Griechenland
waren. Stotz brachte ihr Vater sie zum Altar. Und noch bevor die
Zeremonie begann, flüsterte er:
„Σε αγαπώ.“
Anastasia sah ihn erstaunt an, dann erwiderte sie:
„Σ 'αγαπώ πολύ.“
„Μέχρι την ημέρα θανάτου μου.“
Anastasia lächelte und flüsterte:
„Σίγουρος.“
Er nickte, und sie war glücklich.
Tag der Veröffentlichung: 14.03.2014
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