Das Geständnis by ManuelaYasmina© Auf dem Umschlag stand in großen Lettern meine Adresse, darunter der Zusatz: „Nicht vor dem 14. Mai öffnen!“. Da ich an eine Überraschung meiner Frau dachte, hielt ich mich an diesen Passus. Ich legte den Umschlag in meine Schreibtischschublade, stand auf und ging zum Garderobenständer. Dort nahm ich mir meine schwarze Robe, zog sie an und machte mich auf in den Gerichtssaal. Seit 28 Jahren war ich Richter am Schwurgericht. Zuständig für die großen Fälle. Mord Totschlag, Raub und Erpressung, das war bei mir an der Tagesordnung. Heute war es eine Erpressung. 3 Wochen später, es war jener 14 Mai, suchte ich in meiner Schreibtischschublade einen Anspitzer. Da fiel mir der Umschlag in die Hände. Den hatte ich völlig vergessen. Nachdenklich hielt ich ihn in Händen und überlegte. Von meiner Frau konnte er nicht sein. Sie hatte diesbezüglich nichts erwähnt. Aber von wem war er? Der Absender sagte mir nichts. Ich legte ihn auf den Schreibtisch. Jetzt konnte ich mich nicht mehr mit ihm befassen. Die Akte hatte Vorrang, dann noch die Verhandlung. Wenn es schnell ging, dann vielleicht danach. Um halb 5 kam ich zurück ins Büro. Die Verhandlung hatte länger gedauert. Aber anstatt der vier angesetzten Verhandlungstagen, hatte ich einen gebraucht und war zufrieden. 8 Jahre ohne Bewehrung! Wieder ein krimineller weniger auf der Straße! Da fiel mein Blick auf den Umschlag. Paula war bei unserer Tochter in L.A. Ich hatte also keinen Grund jetzt nach Hause zu fahren. Ich nahm diesen Umschlag, legte ihn auf den Tisch am Sofa, zog meine Robe aus und goß mir einen Cognac ein. Dazu noch eine Zigarre, dann setzte ich mich aufs Sofa, legte sie Beine hoch, trank einen Schluck und stellte das Glas zurück auf den Tisch. Dann nahm ich den Umschlag. Schwer war er nicht. Bestimmt nur ein paar Seiten Papier. Ich öffnete ihn und heraus flog ein kleiner Zettel. Er fiel zu Boden und ich bückte mich danach. Als ich ihn las, bekam mich ein ungutes Gefühl. „Sehr geehrter Richter Maier, bitte lesen sie die Seiten alleine. Sie sind nur für ihre Augen bestimmt. Ändern können sie eh nichts mehr.“ Dieses ungute Gefühl steigerte sich sofort immens. Ich griff in den Umschlag und holte einige Blätter aus dem Umschlag. Außer den drei Blättern, die ich nun in der Hand hielt, und diesen Zettel enthielt er nichts weiter. Die Blätter waren, mit einer gestochen scharfen Handschrift geschrieben. Sie kam mir sogar irgendwie bekannt vor. Aber mir wollte nicht einfallen woher. Dann begann ich zu lesen. Geständnis: Hiermit gestehe ich einen Mord. Mein Name ist Mein Gott! Der Name sprang mich förmlich an. Dieses Schwein? Vergewaltigung und Mord, Widerstand gegen die Staatsgewalt. Verteidigung 10 Jahre, Staatsanwaltschaft Todesstrafe. Letzteres hatte er dann auch bekommen. Der sollte doch schon längst hingerichtet sein. Er hatte keine einzige Frage beantwortet. Außer die zu seiner Person. Na, die Staatsanwaltschaft hatte genug Beweise gegen ihn vorgelegt. Die Geschworenen konnten gar nicht anders, als ihn schuldig zu sprechen. Eine harte Nuß. Aber wir hatten sie geknackt. Der tat niemanden mehr was. Und jetzt endlich wollte er also gestehen. Na, da wird sein Verteidiger morgen was von mir hören. Innerlich freute ich mich schon darauf. Also las ich weiter. Am besten fang ich mit dem Anfang an. Das erste Mal habe ich Erika im Kindergarten gesehen. Sie war 4, ich schon im Hort und 8. Meinen ersten Kontakt mit ihr war im Sandkasten. Sie machte gerade Sandkuchen, da kamen andere Jungen zu ihr hin und stampften sie platt. Und als sie deshalb weinte, da zogen die Jungen an ihren langen schwarzen Haaren und stießen sie in den Sand. Das störte mich irgendwie und so legte ich mich mit ihnen an. Und als ich mit ihnen fertig war, da kümmerte ich mich um Erika. Sie weinte noch und ich nahm sie in meine Arme. Schließlich aber hörte sie auf zu weinen und flüsterte: „Danke, das war lieb von dir.“ Von dem Tag an waren wir Freunde. Und während ich vormittags in der Schule war, wartete sie schon auf mich im Kindergarten. Durch sie lernte ich irgendwie schneller und lieber. Hatte ich früher mit Unwillen, nach dem Essen im Hort, mit den anderen die Schulaufgaben gemacht und war mit ihnen immer einer der Letzten, der fertig war, so beeilte ich mich diese schon in den Schulpausen zu erledigen. Und so hatte ich Zeit mit ihr zu spielen. Dies änderte sich auch nicht, als ich nicht mehr in den Hort ging. Wieso das damals so kam, weiß ich nicht. Vielleicht was es meinen Eltern zu teuer geworden. Kann sein. Und so sahen wir und nur durch den Maschendrahtzaun. Aber nur bis vier. Dann holte ihre Mutter sie ab. Aber um halb fünf war ich bei ihr und wir spielten in ihrem Zimmer. Am Wochenende sahen uns auf der Straße und spielten auf dem naheliegenden Spielplatz miteinander. Als sie in die Schule kam freuten wir uns. Sie ging in die gleiche Schule wie ich. Wir machten die Schulkaufgaben zusammen und ich konnte ihr sehr oft helfen. Auch später, als wir beide auf dem College waren. Sie war in der Zeit zu einem sehr hübschen Mädchen geworden, und ich empfand für sie viel mehr, als nur Freundschaft. Aber ich traute mich nicht ihr meine Zuneigung zu gestehen. Ich hatte Angst, daß ich sie dann verlieren würde. Also liebte ich sie heimlich. Wir machten so gut wie alles zusammen und ich begleitete sie überall hin, wie sie es bei mir auch tat. Am schönsten war es, wenn ich ihr beim Cheerleadertraining zuschauen konnte. Die war das schönste Mädchen von allen. Viele Jungs waren hinter ihr her. Aber sie ließ sie alle abblitzen. Warum wußte ich damals noch nicht. Bis zu dem Nachmittag, als Greg zu hartnäckig war. Sie kam, wie immer, nach dem Training über die Wiese zu mir. Und als sie bei mir war, da stellte sie mich Greg vor. „Das ist mein Freund.“ Greg zog wortlos von dannen und Erika lächelte mich zufrieden an. „Was wäre denn, wenn ich wirklich dein Freund wäre? Erika lachte. Vier Wochen später wurde sie 16. Wir feierten mit vielen anderen bei ihr zu Hause. Natürlich wurde sie da von etlichen Jungs umlagert. Dennoch konnte ich mit ihr alleine in der Küche reden. Sie war sehr ausgelassen und umarmte mich, drückte mich fest an sich. Dann aber trennten wir uns wieder, und sie fragte ob mit die Party gefiel. Ich nickte nur uns sah sie nur an. Irgendwie spürte sie, das ich ihr etwas sagen wollte. Und so schwieg sie. Ich aber auch. Innerlich bekämpfte ich meinen Schweinehund und irgendwann siegte ich. Und das einzige, was ich herausbrachte, was das, was wohl jedes Mädchen gerne hört. Denn ich flüsterte: „Ich liebe dich.“ Wieso ich es ihr erst da sagte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls gestand ich ihr meine Liebe zu ihr. Seit wann ich dieses Gefühl für sie hatte. Und was tat sie? Sie schimpfte mich aus. Sie würde schon so lange darauf warten, daß ich das zu ihr sagen würde. „Ich kann mir doch denken, daß du nicht nur wegen den Hausaufgaben zu mir gekommen bist.“ An diesem Abend haben wir uns das erste Mal geküßt. Es war für uns beide sogar der erste Kuß den wir bekamen oder gaben. An diesem Abend veränderte sich unser Leben schlagartig. Unser Verhältnis zueinander wurde noch enger. Von dem Tag an saßen wir ständig zusammen, gingen gemeinsam auf Partys, ins Kino, tanzen. Wir machten alles gemeinsam. War sie irgendwo eingeladen, so nahm sie mich mit. Wurde ich eingeladen, nahm ich sie mit. Sie war für mich der Inbegriff der Liebe. Und ich für sie auch. Wir waren so zärtlich zueinander. Nein. Wir haben nicht miteinander geschlafen. Auch wenn sie es mir jetzt nicht glauben, das taten wir nicht. Selbst Petting war für uns nicht drin. Wir waren so vorsichtig miteinander, wir glaubten, daß ein laut ausgesprochenes Wort den anderen erschrecken könne. 3 Jahre waren wir zusammen. Ob sie mir jetzt glauben oder nicht interessiert mich nicht. Aber Tatsache ist, nach gut 3 Jahren zogen wir zusammen. Das war am 13 Februar. Einem Freitag. Nein, wir waren nicht abergläubig. Vielleicht doch. Aber für uns war Freitag der 13te eher ein Glückstag. Und am 18 Juli haben wir miteinander geschlafen. Mein Gott waren wir unwissend. Wir hatten doch noch keine Erfahrung. Sie war noch Jungfrau und ich ebenfalls. Und wie sehr sie sich geschämt hatte ohne Kleider, nackt. Als ich am Morgen das Haus verließ, habe ich sie noch zugedeckt, weil die Decke herab gerutscht war. Sie sah so glücklich aus. Ein Engel lag in unserem Bett. Ich wollte eigentlich wieder zu ihr, sie in meinem Arm halten, ihren Geruch einatmen, ihre Haare auf meiner Wange spüren. Vielleicht hätte ich sie geweckt. Und das wollte ich nicht. Also schlich ich mich wie jeden morgen aus dem Haus und lief meine Runde. Und bei jedem Schritt dachte an die vergangene Nacht. Als ich zurückkehrte standen die Cops vor unserem Haus. Die Nachbarn hatten ihre Orgasmusschreie in der Nacht wohl falsch interpretiert. Und als sie morgens erneut schrie, riefen sie die Cops. Sie wissen was folgte. Man nahm mich fest. Anfangs wartete ich darauf daß Erika kam. Das sich alles aufklärte. Aber sie kam nicht. Dann bekam ich Angst. Was war mit ihr? Dann zeigte man mir die Bilder meiner Liebe. Nackt, blutüberströmt, tot. Da starb auch ich. Ich wollte nicht mehr. In diesem Moment schloß ich mit meinem Leben ab. Und die einzige Möglichkeit für mich war, durch die Hand des Staates. Die Indizien sprachen gegen mich. Und ich wollte sie nicht entkräften. Also zog ich mich zurück und lies alles seinem Lauf. Bei den Vernehmungen sagte ich nichts und bei der Verhandlung ebenfalls nicht. Und so hoffte ich auf das, was sie mir gaben. Ein baldiges Ende. Wenn sie das lesen ist es vorbei und ich bin wieder mit ihr zusammen. Zusammen, an einem Ort, wo es nur uns gibt. Jetzt kann ich ihnen auch sagen, daß ich mit Claudia in der fraglichen Zeit gesprochen hatte. Claudia Millner. Sie wohnte mit ihren Eltern gut eine Meile von uns entfernt. Sie war richtig fertig mit den Nerven. Sie luden gerade das Gepäck ein, weil sie um neun nach Europa reisen würden, wo sie heiratete. Ich half ihrem Vater noch das Gepäck einzuladen und winkte ihnen noch nach. Millner? Millner? Claudia Millner? Ich stand auf und suchte die Akte der Verhandlung. Nach einer Viertelstunde ließ ich sie mir aus dem Archiv holen. Dann las ich sie durch. Ach ja, hier steht es. Einträge in ihrem Notizbuch. Ich ging die Liste durch, bis das ich auf Claudia Millner stieß. Fam. Millner nicht angetroffen, Europareise seit dem 19 Juli. Das ließ mir aber jetzt keine Ruhe. Ich war bekannt für meine Härte. Aber auch dafür, daß ich jeden Zweifel ausräumte. Ich rief die Eltern an. Nach dem vierten klingeln ertönte eine lachende, helle Frauenstimme am anderen Ende. Ich stellte mich vor und fragte nach Claudia Millner. „Teilweise am Apparat.“ „Teilweise?“ „Ja, Claudia stimmt, aber ich heiße jetzt MacGordon.“ „Aha. Ich habe da eine Frage.“ Ich fragte sie, ob sie sich an den fraglichen Tag erinnern könne. Ob sie ihn gesehen habe. „Natürlich. Er kam kurz nach sechs an unserem Haus vorbei. Ich weiß das, weil gerade die Nachrichten im Autoradio waren. Wir haben uns etwas unterhalten und ich hab ihm gesagt, daß wir nach Schottland fliegen, weil ich heirate. Er hat dann zusammen mit meinem Vater das Gepäck ins Auto geladen. Er hat mir zum Abschied noch alles liebe gewünscht. Ich hab ihm noch gesagt, daß ich hoffe, daß mein Mann auch nur halb so lieb zu mir ist, wie er zu Erika und das er sie lieb grüßen solle. Die beiden können Romeo und Julia wie nichts in die Tasche stecken. Nie ein böses Wort, nie auch nur den Hauch eines Streites. Schade, daß sie weggezogen sind. Ich hätte den beiden gerne meinen Mann vorgestellt. Wissen sie vielleicht, wohin sie gezogen sind? Und wieso fragen sie eigentlich?“ Als ich ihr erklärte, was sich im Haus abgespielt habe, konnte ich sie weinen hören. „Das hat er niemals gemacht.“, hörte ich noch von ihr. Dann ein Gespräch mit anderen im Raum. Dann meldete sich die Mutter. „Hören sie! Wenn das ein schlechter Scherz sein soll, dann“ Ich schnitt ihr das Wort ab und sagte ihr, daß dies alles den Tatsachen entsprechen würde. Ob sie es denn nicht schon von den anderen Nachbarn gehört habe. „Nein, wir leben eigentlich sehr zurückgezogen. Die meisten Nachbarn hier sind Klatschbasen. Wir kümmern uns nicht um das Gerede der anderen. Außerdem sind wir erst seit 2 Wochen zurück. Mein Mann und ich haben uns im Anschluß die zweiten Flitterwochen gegönnt. Eine Weltreise mit allem drum und dran. Und danach haben wir uns in Genf aufgehalten. In unserem Haus. Und Claudia ist mit ihrem Mann erst seit gestern zurück.“ Sie konnte mir ebenfalls die Zeit bestätigen. Sie hatte ihn ebenfalls um sechs gesehen und konnte mir bestätigen, daß er bis kurz nach halb sieben bei ihnen war. Er sei dann weitergelaufen. Ich fragte sie, wie weit es von ihnen bis zu seinem Haus ist. „Eine gute Meile wird es schon sein.“ Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich legte den Hörer auf und mußte mich setzen. Wenn das stimmt. Wenn das wirklich stimmt! Mein Gott, dann war er ja unschuldig. Folgte seiner Liebe in den Tod. 5 Minuten saß ich so. Sein „Geständnis“ noch immer in meiner Hand haltend. Dann kam leben in mich. Mein erster Anruf galt seinem Anwalt. Seine Hinrichtung war für den, MEIN GOTT! Für den 13. angesetzt. Gestern! Deshalb sollte ich den Umschlag erst heute öffnen. Als der Anwalt am anderen Ende war, fragte ich sofort nach. „Nein, die Hinrichtung ist um 24 Stunden verschoben worden. Er wird in fünf Stunden hingerichtet.“ „Das müssen wir verhindern. So wie ich das sehe, gibt es eine Zeugin, wenn nicht sogar 2, die ihn in der fraglichen Zeit gesehen haben. Weit ab vom Tatort.“ „Mein Gott.“ „Setzten sie alle Hebel in Bewegung. Ich mache es von hier aus.“ Die nächsten vier Stunden taten wir alles, um ihn zu retten. Um 23:18 Uhr hatten wir es geschafft. Mir fiel ein Stein von der Brust. Richtig schlecht war mir. Aber es war geschafft. Gegen vier Uhr morgens stand er in meinem Amtszimmer. Ich hatte mir eine Standpauke für ihn zurechtgelegt. Wieso er sterben wolle, wieso er uns an er Nase herumgeführt habe, wieso er nichts von der Zeugin erzählt habe? Aber als er vor mir stand, konnte ich ihn nur auffordern sich zu setzen. Er war um Jahre gealtert. Um Jahrzehnte. Und das war nicht dem Aufenthalt in der Todeszelle zuzuschreiben. Dicke geschwollene rote Augen, ein Bart, abwesend, die Umwelt nicht wahrnehmend. „Warum haben sie das gemacht?“, war das einzige, was er sagte, als er ich mir gegenüber setzte. „Wieso? „Haben sie jemals geliebt? Haben sie jemals den tödlichen Stoß der Liebe auf den ersten Blick verspürt?“ Tränen rannen aus seinen Augen, seine Stimme wurde leise. „Wir haben sie erlebt. Schon im Kindergarten. Alles an ihr war so schön. Ihre schwarzen großen Augen, die langen Locken die ihr immer ins Gesicht fielen, ihre Stimme, die so weich, so zärtlich war.“ Da stand er langsam auf und ging zur Türe, drehte sich um und lächelte. Was mußte er gelitten haben, das er nun so aussah. Ich nahm mir vor ihm zur Seite zu stehen wenn er wieder ins Leben tritt. Dann rannte er auf das Fenster zu, sprang durch die Scheibe und stürzte 9 Stockwerke in die Tiefe. |
Tag der Veröffentlichung: 07.03.2014
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