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Alena



 

In Comicbüchern und Serien liest man immer nur von Helden wie Superman oder Batman, die sehr stark sind und alles können. Jedoch liest man nie von einem Rollstuhlfahrer, der genau so stark und mutig ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1

 

Der Angriff

 

 

Es war gegen Mitternacht, als sie den Halt verlor und die Felswand herab in die Tiefe stürzte. Sie knallte auf einen Felsbrocken, auf dem sich noch weitere kleine spitze Steine befanden, die sich schmerzhaft in ihren Rücken bohrten. Doch der Aufprall beförderte sich noch auf einen weiteren Felsbrocken, und schließlich landete sie in einem Busch. Der Schock nahm ihr größtenteils den Schmerz, doch der Aufprall auf den Rücken machte ihr sehr zu schaffen. Sie drehte sich um und schaute, ob sie etwas erkennen konnte. Es war sehr dunkel und sie konnte auch nicht den kleinen Feldweg erkennen, wo sie sonst immer so oft spazieren gegangen war. So langsam nahm sie auch wieder den Schmerz in ihrem Gesicht wahr. Die ganzen Schnittwunden und das zu geschwollene Auge, dass sie ihr verpasst hatten, als sie mit Glasscherben ihr Gesicht entstellen wollten. Sie versuchte zu schreien, zu begreifen was da gerade geschah, doch sie konnte es nicht. Es war wie in einem Albtraum, in dem man erwartet jeden Moment auf zu wachen, doch leider war dies die beinharte Realität.

„Da unten ist sie! Ich sehe sie!“ Sie hörte ihre Stimmen und bekam es wieder mit der Angst zu tun. Sie hatten sie entdeckt und wollten offensichtlich die Felswand herab klettern, um es ihr nochmal so richtig heim zu zahlen. Sie nahm ihre Arme und versuchte vorwärts zu kriechen. Verdammt, sie konnte ihre Beine nicht mehr spüren, geschweige denn bewegen. Diese Mistkerle hatten ihr die Beine gebrochen und sie ahnte schon jetzt, dass sie wahrscheinlich nie wieder in der Lage sein würde richtig laufen zu können. Doch auch wenn ihre Lage ihr aussichtslos erschien, beschloss sie irgendwie vorwärts zu kommen. Ihr Überlebensinstinkt war anscheinend zu groß. Aber sie wusste, dass sie nicht vorhatten sie zu töten. Das hatten sie ihr oben auf dem Felsen gesagt. Sie hatten noch andere Dinge mit ihr vor und sie fing bei diesem Gedanken wieder an, am ganzen Körper zu zittern. Ihr Vater hatte zu ihr immer gesagt: „Es sind nicht die anderen die dich zerstören Alena. Du bist es selbst, weil du zulässt, DASS sie dich zerstören können. Und wenn du am Boden liegst, musst du erst recht aufstehen, weil du ansonsten nur verlieren kannst“.

Aber er meinte das mit Sicherheit bezogen auf andere Situationen. Wenn man Probleme mit dem Chef hatte oder etwas in der Beziehung nicht gut lief aber sicher nicht wenn man sich in einer lebensgefährlichen Situation befand, in der man mehreren Tätern hilflos ausgeliefert war. Und sie wusste auch bei Gott nicht, wie sie sich jetzt noch aus dieser Situation befreien sollte, wo sie nur mühsam vorwärts kriechen konnte. Bis dahin hätten sie sie schon längst eingeholt und könnten sie weiter foltern. Ihr wurde schlecht, das durfte einfach nicht passieren. Sie hörte das Rascheln und das Klacken von Steinen die sich von der Felswand lösten, als sie versuchten die Felswand herunter zu steigen.

Der Tag hatte doch so harmlos angefangen. Sie kam von der Uni nach Hause, aß und unterhielt sich mit ihren Eltern und ging anschließend zu ihrem Freund, mit dem sie einen gemütlichen Nachmittag verbracht hatte. Doch als sie sich auf ihren alt bekannten Heimweg gemacht hatte, bemerkte sie sehr schnell dass sich zwei junge Männer hinter ihr befanden. Sie dachte sich natürlich nichts dabei, da man ja im Regelfall nicht gleich an einen Überfall denkt, doch als sie sich so langsam dem Waldrand näherte und die jungen Herren immer noch hinter ihr waren, bemerkte sie leider zu spät, dass es eben nicht einfach nur zwei normale Männer waren, sondern Mistkerle, die nur auf die richtige Gelegenheit gewartet hatten und sie blitzschnell von hinten angriffen, sodass sie keine Chance mehr hatte irgendwie reagieren zu können.

Er hielt ihr von hinten den Mund zu und umschlang sie mit der anderen Hand, während sein Kumpel ein Messer zog und sie damit bedrohte. Sie wehrte sich natürlich doch er versetzte ihr einen heftigen Stoß in den Bauch, sodass sie zu Boden fiel und vor Schmerz aufstöhnte.

Er sagte zu ihr, dass ihre Mutter eine Hure wäre, eine Schande für die gesamte Familie und dass das, was sie ihr jetzt antun würden gleichzeitig eine Nachricht an ihren Vater war. Sie sollte ihm ausrichten, dass er die Ehre besudelt hatte und dies noch schlimmere Folgen haben würde, falls er sich weigerte diese Ehe nicht zu beenden. Und dann begannen sie mit der Folter, die ihr gesamtes Leben für immer und ewig verändern würde.

 

Noch immer versuchte sie hilflos nach vorne zu kriechen, während die Täter ihr immer näher kamen. Sie hatten, sie dort oben gefoltert und sie bereits jetzt schon körperlich entstellt, doch als sie ihr einen weiteren Schlag versetzen wollten, verlor sie dabei den Halt und fiel die Felswand herunter.

Hörte sie denn niemand?? Einer von den Anwohnern musste doch ihre Schreie gehört haben aber es war niemand zu sehen außer den zwei Unbekannten, die die Felswand Schritt für Schritt herunter stiegen, um sie wieder ein zu fangen.

Da hörte sie die Sirenen. Sie blieb liegen und auch die Täter hielten auf einmal an, um dem Geräusch zu lauschen. Man konnte am Horizont durch die Bäume hindurch tatsächlich blaue kleine Lichter erkennen. Die Frage war nur, ob es wirklich die Polizei war oder nicht vielleicht doch ein Krankenwagen, der in die andere Richtung fuhr.

Die Täter schauten sich auf einmal verängstigt an und begannen miteinander zu tuscheln. Auch sie überlegten, ob es jetzt an der Zeit war ab zu hauen oder noch eine Weile zu warten.

Die blauen Lichter wurden jedoch immer größer und bewegten sich nun auch genau in ihre Richtung und zum ersten mal hatte sie einen Hoffnungsschimmer. Die Täter rannten nun blitzschnell die restlichen Felsbrocken herunter und rannten auf sie zu. Oh nein, was wäre wenn sie versuchen würden sie mit zu schleifen? Doch eigentlich machte das wenig Sinn, denn wenn es die Polizei war, konnten sie sich nicht so viel Zeit lassen, mit einem Mädchen über den Rücken durch den Wald zu irren und tatsächlich. Sie rannten an ihr vorbei und verschwanden dann im finsteren Wald.

Sie erkannte nun, dass es Polizeiwagen waren und sie hielten oben am Felsen an. Aber sie wussten wahrscheinlich nicht, dass sie die Felswand herunter gestürzt war. Ihr war schlecht und Stück für Stück nahm sie immer mehr Schmerzen wahr, die vorher noch durch den Schock gedämmt wurden. Sie merkte wie dieser Albtraum sie zerfraß und dass sie langsam das Bewusstsein verlor, doch sie durfte jetzt nicht aufgeben. Noch nicht.

Sie musste sich irgendwie bemerkbar machen, damit die Polizisten sie auch finden konnten. Wenigstens so lange musste sie noch bei klarem Verstand bleiben. Also wollte sie anfangen zu schreien, doch ihre Kehle war zu. Es war wahrscheinlich der Schock, der sie daran hinderte einen Laut hervor zu stoßen.

Da gab sie sich einen Ruck und fing an um Hilfe zu schreien. Die Polizisten schauten nun nach unten und als sie sie entdeckten, kletterten sie ebenfalls blitzschnell die Felswand herab. Sie war wieder in Sicherheit. Wenn auch zu spät. Dann merkte sie, wie sie die Kraft verließ und sie in Ohnmacht fiel.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2

 

Das Leben danach

 

Als sie im Krankenhaus aufwachte, dachte sie zuerst man hätte sie aus einem bösen Albtraum aufgeweckt, doch als sie erkannte, dass sie nicht in ihrem eigenem Bett lag, sondern in einem Krankenhaus, kehrte der Albtraum wieder zurück. Ihre Mutter saß fassungslos auf einem Stuhl und schaute zur Wand, genauso wie ihr Bruder der auf den Boden starrte. Nur ihr Vater war am weinen und konnte gar nicht mehr aufhören. Er war emotional, emotionaler als ihre Mutter, doch sie hatte ihn noch nie in ihrem Leben weinen gesehen.

„Daad!“ Stieß sie hervor und als sie sahen dass sie bei Bewusstsein war, rannten sie sofort zu ihr und nahmen sie in den Arm. Tränen liefen nun beiden übers Gesicht und ihre Mutter schluchzte „Endlich bist du wieder wach!“. Erst jetzt erinnerte sie sich wieder Stück für Stück an jene Nacht, die ihr gesamtes Leben verändern würde und sie schaute auf ihre Beine herab. Ihr Auge war noch immer zugeschwollen und sie konnte die hässlichen Wunden in ihrem Gesicht fühlen, doch was war mit ihren Beinen?? „Mom, Dad, was ist mit meinen Beinen?“ Ihre Eltern schauten sich verzweifelt an.

Wie sollten sie ihrer Tochter erklären, dass sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hatten? Ihre Mutter war selbst Ärztin und kannte sich gut genug mit den Verletzungen aus, um selbst zu erkennen, dass die Geschichte wahrscheinlich kein Happy End finden würde.

„Schatz, ich...ich weiß nicht wie ich das sagen soll. Dein rechtes Bein wird nie wieder bewegungsfähig sein und dein linkes Bein..na ja einzelne Muskelfasern sind noch aktiv und können eventuell von deinem Gehirn aus gesteuert werden..“ Sie wollte eigentlich noch einen tröstenden Satz hin zu fügen, dass sie zumindest in der Lage sein würde, das linke Bein als Standbein zu verwenden, doch sie sah, dass sich der Blick ihrer Tochter blitzartig veränderte. Sie schaute herab auf ihre Beine und versuchte sie zu bewegen, doch sie spürte lediglich ein ganz leichtes Ziehen im linken Bein, während das rechte Bein vollkommen taub war. Dann breitete sie die Hände über ihr Gesicht aus und fing an zu weinen. Ihre Mutter stützte sich fürsorglich über sie, ihr Bruder sah fassungslos auf sie herab, doch plötzlich war es ihr Vater, der sich beschämt abwendete und zur Wand sah. „Es war meine Familie. Stimmts?“ Fragte er. Sie sah zu ihm und erzählte ihm, was ihr Angreifer gesagt hatte. Dass er sich von seiner Frau trennen sollte, weil sie ihre Ehre zerstören würde und das ansonsten etwas noch Schlimmeres passieren würde. Bei dieser Aussage wurde ihre Mutter auf einmal ganz blass. Sie erkannte anscheinend die Gefahr der Lage und war auf einmal sprachlos. Ihr Vater hingegen nahm nun die Faust und schlug gegen den Nachttisch. „Es ist meine Schuld! Ich habe mir keine Gedanken über den Ernst der Lage gemacht! Ich hatte geglaubt, dass ich diesem ganzen Wahnsinn entgehen könnte, wenn ich zumindest nach Deutschland auswandere aber wie kann er mir das nur antun!“ Er schluchzte nun noch lauter und sie erkannte, dass sich ihr Leben von nun an um 180 Grad drehen würde.

 

Ihr Vater war in den achtziger Jahren mit ihrer Mutter damals aus dem Iran abgehauen und nach Deutschland gezogen, da er diesen jämmerlichen Golfkrieg nicht mehr aushielt.

Er und sein Bruder wuchsen als Kinder in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Die Mutter tief gläubig und der Vater bereits verstorben. Das Land lebte in einem langzeitigem Konflikt mit dem Irak und es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen mit dem Feindstaat. Alena wusste bisher nicht so viel von der Beziehung zwischen ihrem Vater und ihrem Onkel. Sie wusste nur, dass der Onkel bei ihrem Vater verhasst war und jetzt wo sie selbst im Krankenhaus lag und sich der Tatsache bewusst wurde, dass sie nie mehr wieder richtig laufen würde und für immer an einen Rollstuhl oder Krücken gefesselt war, konnte auch sie diesen Hass nach voll ziehen und wurde wieder wütend. Ihr Vater hatte ihr erzählt, dass sein Bruder schon immer radikal war und dass durch die Tatsache, dass die Familie arm war und er eh keine Ausbildung oder irgendeinen Schulabschluss hatte, ein leichtes Opfer für radikal-islamische Terrororganisationen war, die ständig auf der Suche nach neuen Jugendlichen und jungen Männern waren, die kein Lebensziel hatten und somit dort zum ersten Mal Anerkennung erfuhren und somit auch leicht zu beeinflussen waren. Ihr Vater sah nun wieder traurig aus. Er hasste es dies laut aus zu sprechen aber manchmal glaubte er, dass es auch die Schuld seiner Mutter war. Seine Mutter war anscheinend sehr religiös und auf Grund des andauernden Krieges zwischen dem Irak und Iran, erklärte sie Ihren Söhnen sehr häufig, dass der Irak ungläubig und zu dem auch noch an allem Schuld war. Anfangs schienen sich der Irak und der Iran noch sehr einig zu sein. Sie gründeten 1937 den Saadabadvertrag, in dem die genauen Grenzverläufe festgelegt wurden, sodass es keine Schwierigkeiten zwischen den beiden Ländern gab und ein moderner Iran entstehen konnte. Als jedoch Abd al-Kraim Qasim 1959 die Herrschaft über den Irak übernahm, war der Ärger bereits vorprogrammiert.

Die Iraker wollten sich davon keinesfalls unterkriegen lassen und so kam eines Tages ein neuer Präsident namens Saddam Hussein an die Macht und würde den Iran für diesen Angriff zur Rechenschaft ziehen. Wie so oft, kamen auch die Weltmächte dabei ins Spiel, denn schließlich ging es nicht nur um Macht und Ehre, sondern auch um Öl.

 

So kamen schließlich Weltmächte wie USA und Deutschland hinzu und unterstützten Saddam Hussein mit Waffen, damit die iranische Republik geschwächt werden konnte und ein lang andauernder Krieg entstand. Dass man dabei den falschen Mann mit Waffen unterstützte, da man ihn dadurch viel zu viel Macht gab, sollte den Amerikanern erst sehr viel später klar werden, als sich Saddam auf einmal selbst gegen die Weltmächte stellte und seine Machtposition ausnutzte.

 

Ihr Vater lebte damals mit seinem Bruder und seiner Mutter auf dem Land und da sie eh nicht viel besaßen, beteten sie dreimal am Tag und lasen fleißig den Koran, denn ihre Mutter brachte ihnen bei, dass nur Gott sie aus dieser misslichen Lage befreien konnte, wenn sie nur artig genug waren und an alles glaubten, was der Koran ihnen lehrte.

Wie sein Bruder war auch ihr Vater damals sehr gläubig und glaubte an die guten Seiten des Islams. Einfach alles, was in diesem Buch stand, schien einen Sinn zu ergeben. Und so machte es auch Sinn, dass ihre Mutter ihnen erklärte, dass der Irak böse und ungläubig war. „Saddam Hussein wird von den USA unterstützt und die sind ungläubig. Sie kommen hierher und zerstören unser Land, nur damit sie an Öl kommen und ihre Macht wieder stärken können. Saddam Hussein ist ein schlechter Mann und wird dafür in die Hölle kommen!“ Sagte ihre Mutter immer zu ihnen und dann wagte ihr Vater es, eine Frage zu stellen.

„Aber sind die Menschen im Irak nicht auch Moslems?“. Seine Mutter schaute ihn daraufhin verpönt an. „Nein, Yusuf! Das sind die falschen Moslems! Sie denken, dass sie die richtige Religion haben aber sie missbrauchen unseren Glauben, denn sie machen gemeinsame Geschäfte mit den Ungläubigen und zerstören unser Land!“ Dass der Iran 1959 zuvor ebenfalls die Herrschaft über den Irak übernommen hatte, erzählte sie ihnen damals natürlich nicht, denn der Hass sollte ja nur auf einen Sündenbock gelenkt werden und bloß nicht auf das eigene Land.

Und so waren Yusuf und sein kleiner Bruder Amir natürlich überzeugt davon, dass der Irak an allem Schuld war. Trotz der schlechten Wirtschaftslage und den ständigen Anschlägen, schaffte es Yusuf, sich einen Job als Wachmann zu verschaffen. Er arbeitete bei mehreren Geschäften in seiner Heimatstadt und hatte meistens Nachtdienst. Es war nicht viel Geld aber zumindest reichte es aus, um davon zu leben. Sein Bruder Amir jedoch hatte keine Perspektiven. Er hatte frühzeitig die Schule abgebrochen und langweilte sich auf der Straße. Obwohl er sich später selbst in eine Terrormiliz flüchtete, war er anfangs sogar eher skeptisch und konnte nicht verstehen, wie Allah ihm so etwas antun konnte. Er war immer so artig gewesen und hatte sogar dreimal am Tag gebetet. Er hatte all das getan, was in dem Koran stand und trotzdem lebte er in Armut. Er unterhielt sich oft mit seinem Bruder. Yusuf hingegen sah immer nur das Gute im Islam und so hatten sie trotz ihrer tiefgläubigen Mutter immer genügend Zeit, sich über ihren Glauben zu unterhalten und sogar Sachen in Frage zu stellen.

Yusuf erklärte ihm immer, dass es nicht nur hilft, dass man betet, sondern auch etwas für seine Bildung tun musste, um einen festen Job und somit auch Geld zu verdienen aber Amir sah das anders. „Ich glaube, dass Allah einen nur dann erhört, wenn man sich voll und ganz seinem Glauben widmet, nur dann wird man belohnt. Bildung ist doch nur nebensächlich.“, hatte er gesagt und erklärte ihm dann aber trotzdem auf der anderen Seite, dass er verbittert darüber war, dass ihn Allah einfach nicht erhörte und ihm das gab, was ihm zustand.

Er machte außerdem den Irak für alles verantwortlich. Die sogenannten falschen Moslems griffen ihr Land an und er musste dafür unter dieser Armut leiden.

Ihre Mutter hatte ihnen als Kinder viel verschwiegen, da sie immer nur den Irak für alles die Schuld gab. Doch als ihre beiden Söhne älter wurden, konnte sie ihnen natürlich nicht mehr alles verschweigen.

Die beiden jungen Männer erfuhren durch Radio und Fernseher sehr viel von ihrer Umwelt und es wurde ihnen schnell klar, dass eben nicht nur der Irak der einzige Angreifer in diesem Konflikt war. Jedoch hatten die Brüder sehr unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema. Während sein Bruder engstirnig weiterhin den Irak für alles beschuldigte, ebenso wie seine Mutter, glaubte Yusuf fest daran, dass Allah das Ganze so nicht gewollt hatte.

 

Er hatte mit Sicherheit nicht die Absicht, dass sich zwei Staaten mit der selben Religion gegenseitig bekriegen. Das machte einfach keinen Sinn. Im Koran war von einem Zusammenhalt der Moslems die Rede, jedoch nicht davon, dass sie sich gegenseitig bekriegen.

Seiner Meinung nach hatten dies beide Staaten falsch verstanden und trotzdem ging dieser Krieg unerbittlich weiter.

So diskutierte er sehr viel mit seinem Bruder darüber und es fiel ihm sehr schwer, seinen Bruder von seiner Meinung ab zu bringen.

„Der Irak setzt mittlerweile sogar chemische Waffen ein, was willst du denn noch alles für Beweise? Sie greifen uns aus der Luft und dem Meer an und haben erst neulich ein Passagierflugzeug abgeschossen. Welches Recht haben die dazu??“, hatte Amir geschrien, doch Yusuf antwortete wieder daraufhin: „aber der Iran hat doch auch schon oft genug den Irak angegriffen. Er hat sogar kleine Kinder als Minenräumer eingesetzt. Und außerdem darfst du nicht vergessen, dass der Iran 1959 die Herrschaft über den Irak übernommen hat. Ebenso hatte uns Saddam 1982 bereits den Waffenstillstand angeboten und es war der Iran, der dieses Friedensangebot abgelehnt hat!“ .

„Aber auch nur, weil der Irak viel mehr Verwüstung angerichtet hatte und der Iran sich verteidigen wollte!“.

 

Yusuf fuhr sich durch die Haare. Er hatte manchmal wirklich das Gefühl, dass sein Bruder wie ein kleines trotziges Kind war, das immer nur das hörte, was es hören wollte.

„Der Iran hat den Vertrag nicht nur wegen der Ehre abgelehnt, sondern auch deswegen, weil sie die Exportrevolution und die Eroberung des Iraks zugleich für sich beanspruchen wollten. Du sagst, es sind immer nur die bösen Amerikaner und der Irak, denen es um Öl geht aber glaubst du denn der Iran ist besser?? Denen geht es doch genauso ums Öl. Es geht immer nur ums Öl und Geld, anstatt die wahren Inhalte des Islams richtig zu erkennen. Das ist der wahre Missbrauch des Islams.

Allah will dass es eine Gemeinschaft gibt und nicht, dass wir uns wegen einem Land oder Geld die Köpfe einschlagen!“, sagte Yusuf aufgebracht aber sein Bruder war davon trotzdem nicht überzeugt. Seiner Meinung nach gab es mehr Verwüstung auf der Seite Irans und die Tatsache, dass sich sein Feind auch noch mit anderen westlichen Weltmächten zusammentat, war für ihn sowieso ein eindeutiger Beweis, dass einzig und allein der Iran Recht hatte.

Yusuf merkte schon sehr bald, dass sein Bruder sich in eine andere Richtung entwickelte. Früher war er noch bereit, mit ihm über alles zu diskutieren. Mittlerweile war er jedoch nicht mehr von seiner Meinung ab zu bringen und hatte mittlerweile auch neue Freunde kennen gelernt. Diese Freunde jedoch waren sehr radikal und brachten ihm immer wieder bei, dass er jeden Tag die Moschee mehrmals aufsuchen sollte. Doch es war nicht nur die Religion. Er war auch fest davon überzeugt, dass sie ihm das Töten beibrachten. Er trug seit Neustem immer eine Waffe und als er ihn daraufhin fragte, warum er immer eine Waffe bei sich hatte, sagte er nur, dass er dies aus reinem Selbstschutz tat. Man konnte in diesen schweren Zeiten schließlich nie wissen, wann der irakische Feind auf der anderen Seite lauerte. Yusuf kam ins Grübeln. Er hatte Angst um seinen Bruder, denn er hatte bereits jetzt schon eine leise Vorahnung wo das Ganze hinführen würde. Doch er wollte sich damit nicht mehr beschäftigen. Es war die Entscheidung seines Bruders und wenn er unbedingt mit Kleinkriminellen abhängen wollte, anstatt sein Leben endlich mal in den Griff zu bekommen, dann hatte er ihn dort nichts mehr hinein zu reden. Er hatte ihn schließlich schon häufig genug versucht, von seiner radikalen Meinung ab zu bringen aber ohne Erfolg.

So entfernte er sich immer mehr von Amir. Er hatte mit ihm nicht mehr all zu viel zu tun. Nur als seine Mutter krank wurde und man später diagnostizierte, dass sie Brustkrebs hatte, kamen er und Amir wieder zusammen. Sie saßen beide im Krankenhaus und hatten gerade erfahren, dass ihre Mutter wahrscheinlich nicht mehr länger als drei Monate leben würde. So teilten sie sich ein, wann sie sich um ihre Mutter kümmern würden. Da Amir immer noch arbeitslos war, hatte er mehr Zeit, sich um seine Mutter zu kümmern, während Yusuf dann nach Dienstende wieder bei ihr war. Ihre Mutter hatte sich anscheinend mit ihrem Schicksal bereits abgefunden. Es war, als hätte sie die ganze Zeit vorher schon gewusst oder war sich zumindest sicher, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte aber hatte nichts darüber gesagt. So saß sie gefasst in ihrer Wohnung, während sie sich mit ihren Söhnen unterhielt. Wie immer überzeugte sie Amir davon, dass er nach ihrem Tod genauso weiter machen sollte wie zuvor auch. Dass er weiterhin ein guter Moslem sein sollte und die richtige Frau heiraten sollte.

Dass er sich vielleicht auch mal um einen Job kümmern sollte, erwähnte sie mal wieder nicht, denn er lebte ja schon nach den Regeln des Korans. Und somit machte er ihrer Meinung nach schon alles richtig. Um ihn hingegen machte sie sich mehr Sorgen. Sie wusste, dass er nicht zu einer radikalen Glaubensüberzeugung des Islams zu bewegen war, deswegen bat sie Amir darum, seinen Bruder von den Lehren Allahs stets zu überzeugen. Und genau dies würde Amir eines Tages sogar in eine schreckliche Tat um setzen, von der er jetzt natürlich noch nichts ahnte. Die Mutter starb erst nach vier Monaten und vererbte ihr Haus den beiden Brüdern. Da er bereits eine eigene Wohnung hatte, überließ er das Haus der Mutter seinem Bruder. Nachdem die Mutter gestorben war, gingen sie wieder getrennte Wege. Er ging weiterhin seinem Berufsalltag nach, während Amir immer noch auf der Straße herumhing und sich wieder mit seinen kriminellen Freunden abgab. Es war ihm inzwischen vollkommen egal, was Amir tat. Auch wenn Amir nach wie vor den Kontakt zu ihm suchte, um ihn auch über die Lehren des Koran zu unterrichten, versuchte er sich von ihm ab zu wenden. Er wollte mit dieser Ideologie einfach nichts zu tun haben. Er war zwar selbst ein gläubiger Moslem, doch er wusste auch, dass diese Art von Hingabe gefährlich werden konnte, wenn man sich nur noch mit den Schattenseiten des Koran befasste und vor allem alles und jeden ausgrenzte, der eine andere Überzeugung hatte. Er machte sein eigenes Ding und gab sich nicht mehr mit Amir ab.

Stattdessen würde er bald die Liebe seines Lebens kennen lernen, die daraufhin auch sein restliches Leben auf den Kopf stellen würde.

Es begann mit seiner letzten Nachtschicht, als er ein Krankenhaus bewachen sollte. Dort arbeiten auch viele Ausländer. Eine deutsche Hilfsorganisation namens „Ärzte ohne Grenzen“ war dort ebenfalls tätig. Sie waren täglich damit beschäftigt, Kriegsverletzte zu versorgen, sowie regelmäßige Krankheitstests durch zu führen.

Und dort fiel sie ihm zum ersten Mal auf. Es war eine große blonde Frau Ende zwanzig. Sie kam gerade mit einem Kind auf dem Krankenbett an und half den anderen Ärzten, dass Bett die Treppen hoch zu heben. Er hatte noch nie eine solche Frau gesehen. Nicht nur durch ihre hellen blonden Haare und den grünen funkelnden Augen fiel sie ihm auf. Sondern vor allem deswegen, weil sie anders als die meisten Frauen, die er in seiner Kultur und in seinem Land kannte, selbstbewusst und stark war. Sie war voller Energie und es machte ihr offensichtlich Spaß, Menschenleben zu retten. Schnell hielt er ihr die Tür auf, damit sie und die andern Ärzte das Krankenhaus betreten konnten und in diesem Moment schenkte sie ihm ein dankendes Lächeln.

Auch wenn viele Männer den Koran zu ihren Gunsten auslegten, in dem sie ihre Frauen verhüllten und sie in ein bestimmtes Rollenbild zwangen, war er fest davon überzeugt, dass Allah dies nicht so gemeint hatte. Auch wenn die meisten Menschen, insbesondere die Moslems selbst nicht davon wussten oder einige es vielleicht auch abstreiten wollten, war es zur Zeit Mohammeds üblich, dass auch die Frauen manchmal hart anpacken mussten und ebenfalls „Männertätigkeiten“ erledigten. Dass dies jetzt wieder genau umgedreht war, war für ihn mal wieder ein weiterer Beweis dafür, dass jemand den Koran falsch verstanden hatte und ihn zu seinem Vorteil ausnutze. Zu Lasten der Frauen.

Er sah diese Frau immer wieder, vor allem dann, wenn sie mit ihren Kollegen eine Pause einlegte und mit ihnen vor der Tür stand und sich unterhielt, während ihre Kollegen rauchten. So kamen sie eines Tages ins Gespräch und er konnte sie zum Essen einladen. Sie hieß Elisabeth und war Atheist. Als er dies hörte, musste er erst mal schlucken. Er wusste, dass die Europäer eine andere Religion hatten aber dass sie tatsächlich an gar keinen Gott glaubte verwunderte ihn doch. Er fragte sie daraufhin, wie es möglich war, dass man nicht an Gott glauben konnte, wo doch irgendjemand für diese riesengroße Erschaffung der Erde verantwortlich sein musste, doch sie erklärte ihm, dass sie an die Wissenschaft glaubte. Er konnte dies hinnehmen. Es war zwar etwas ungewöhnlich aber schließlich war sie eine nette Persönlichkeit. Sie rettete Menschenleben und setzte sich für das Wohl kleiner Kinder ein. Außerdem war sie genauso wie er fest davon überzeugt, dass der Krieg zwischen dem Iran und Irak auf Gegenseitigkeit beruhte und dass Krieg somit niemals die richtige Lösung sein konnte. Weder auf der einen noch auf der anderen Seite.

Sie hatte ein gutes Herz und war es nicht genau das, was Allah sich unter einer wahrhaften Frau vorstellte?

Sie trafen sich nun häufiger und wurden auch schon bald darauf ein Paar. Doch die Sache hatte natürlich einen Haken. Amir wollte ihn besuchen und erfuhr somit auch sehr schnell von der neuen Frau in seinem Leben. Wie erwartet war er darüber überhaupt nicht erfreut. „Wie kannst du eine Ungläubige lieben?? Sie kommt für ihren Glauben in die Hölle und du ebenfalls, wenn du dich mit ihr einlässt. Ich glaube das einfach nicht, hast du denn deinen Verstand verloren??“ Schrie er ihn an. Doch Yusuf wusste bereits, dass es darauf hinaus laufen würde. „Erzähl du mir nicht wen ich lieben darf und wen nicht, du bist schließlich nicht Allah!“ „Aber genau darum geht es doch! Glaubst du etwa Allah würde dir das erlauben?? Sie ist eine Ungläubige und sie ist unrein! Sie steht für all das, was der Koran verbietet!“ sagte Amir wieder. Und wieder musste er sich durch die Haare fahren. „Nun, dummerweise habe ich von unserer Religion eine andere Vorstellung als du sie hast. Allah bringt uns nämlich auch bei nicht zu hassen und wenn du deine Waffe für niedere Zwecke einsetzt, wovon ich mittlerweile stark überzeugt bin, dann machst du auch etwas nicht richtig.“ Amirs Augen weiteten sich. „Jetzt reichts! Willst du mir jetzt auch noch erzählen, dass ich nicht nach dem Koran handele? Wenn es jemanden gibt, der die Lehren des Koran richtig befolgt, dann bin das ja wohl ich! Ich bin vielleicht jünger als du aber ich habe den Koran zumindest besser verstanden als du! Deswegen rate ich dir dazu, dich von dieser Frau zu trennen!“. „Du willst mir zu etwas raten?? Wie wäre es,wenn du stattdessen erst mal selbst versuchst, einen anständigen Job zu finden, als dich mit dieser kriminellen Bande ab zu geben? Glaubst du etwa, die werden dir das Leben erleichtern?? Die bringen dir höchstens noch mehr Feinde und sorgen dafür, dass du noch mehr Probleme bekommst! Ich brauche deinen Ratschlag nicht, ich kann mein Leben auch selbst gestalten und muss mir von dir mit Sicherheit nicht dort hinein reden lassen.“ Sagte er, doch Amir schaute ihn mit einem überheblichen Grinsen an. „Du hast recht. Es war der Wille unserer Mutter, dass du wieder auf den rechten Weg kommst aber wie du schon selbst sagst. Allah wird dich dafür letztendlich bestrafen. Ich gebe dir nur den guten Rat, dich von dieser Frau zu trennen, bevor es zu spät ist.“ Mit diesen Worten wendete er sich von Yusuf ab und ging fort. Wahrscheinlich hoffte er, dass es nur bei einer kurzen Affäre bleiben würde, doch da hatte sich Amir geirrt.

Yusuf und Elisabeth unterhielten sich darüber, dass sie nach Deutschland gehen wollten. Elisabeth war eh nur für eine kurze Zeit als Ärztin im Iran stationiert und würde bald wieder zurück nach Deutschland gehen und da er ohne hin keine Lust auf dieses Land hatte, dass ständig nach Krieg suchte und eine falsche Religion auslebte, entschieden sie sich dafür, gemeinsam nach Deutschland aus zu wandern.

So kam es, dass sie ein kleines Häuschen in einem Vorort von Frankfurt kauften und bald darauf heirateten.

Sie waren nun die Masaads und die Kinder ließen nicht lang auf sich warten.

Sie bekamen zwei Kinder. Ihr erster Sohn hieß Elyas und seine drei Jahre jüngere Schwester hieß Alena.

So wurde Yusuf doch noch zum stolzen Familienvater und er war mit seinem Leben überaus zufrieden. Er war nicht nur von seiner kriegerischen Heimat weg, sondern auch von seinem fanatischen Bruder. Er fühlte sich zwar schlecht, weil er sich tatsächlich darüber freute von seinem eigenen Bruder weg zu sein, doch anlässlich der Tatsache, dass er mittlerweile wahrscheinlich selbst schon ein Krimineller war, der die Menschenrechte nicht achtete, war er froh darüber, in Deutschland leben zu können.

Auch wenn er sich schwer tat, diese neue Sprache zu lernen, wurde er überall mit offenen Armen empfangen. Er konnte weiterhin seinen Job als Wachmann ausüben und im Gegensatz zu ihm, lernten seine Kinder sehr schnell deutsch.

Wie zu erwarten schafften beide das Abitur und während Elyas das Medizinstudium schon fast abgeschlossen hatte, war Alena noch im ersten Jahr des Medizinstudiums. Er war so stolz auf seine Kinder. Sie hatten es so weit gebracht und würden bald in die Fußstapfen ihrer Mutter treten.

 

Er musste lachen. Während Elyas wie er ein gläubiger Moslem war, war Alena genau wie ihre Mutter Atheistin. Aber das war er ihnen schuldig. Er wusste, dass eine starke Ideologie, wie sie seine Mutter oft praktizierte, einen Menschen auch in die falsche Richtung lenken konnte, so wie es bei seinem Bruder der Fall war. Deswegen entschied er sich dafür, dass seine Kinder selbst entscheiden sollten, woran sie glauben wollten.

Auch wenn Elisabeth nicht gläubig war, feierten sie jedes Jahr Weihnachten, sowie islamische Feiertage. Und er konnte zwar probieren, den Kindern seine Religion nahe zu bringen, jedoch wollte er sie auf keinen Fall dazu zwingen. Sie sollten selbst entscheiden.

Nun jedoch saß er hier, die Tochter entstellt und behindert und sein Leben war ein Trümmerhaufen. Er wusste das sein Bruder radikal war, doch er hätte sich nie erträumen lassen, dass er tatsächlich so weit gehen würde und seiner Familie etwas zu Leide tun würde.

 

Wieso verdammt? Dachte er sich immer wieder. Er hatte sich zwar auch schon damals darüber aufgeregt, dass er mit Elisabeth zusammen war aber hatte ihn mit diesen Worten verlassen, dass er schon selbst sehen würde, was das bringt und dass ihn Allah dafür bestrafen würde. Nicht ER.

Aber wenn er es sich so recht überlegte, war es schon recht leichtsinnig gewesen, zu glauben, dass ihm sein Bruder nichts tun würde, wo er doch selbst in eine Terrororganisation abgerutscht war und somit alles und jeden hasste, der einen anderen Glauben praktizierte.

Er hätte wissen müssen, das dies eventuell noch zu Auseinandersetzungen kommen würde und hatte es trotzdem auf die leichte Schulter genommen.

Und nun saß er hier mit seiner Tochter, deren Ziele und Träume mit einem Schlag vernichtet wurden und er hasste sich auf einmal selbst dafür.

 

„Alena, es tut mir so Leid! Ich hätte mir nie erträumen lassen, dass er so weit gehen würde! Ich alleine bin Schuld daran, dass du in dieser Lage bist. Es tut mir so Leid!“ Er brach wieder in Tränen aus und Alena kamen selbst die Tränen hoch.

„Nein Dad! Bitte hör auf zu weinen, es ist doch nicht deine Schuld, du konntest doch nicht wissen, dass er dazu fähig ist!“ Sie fiel ihrem Vater in die Arme und beide weinten sich aus. Plötzlich war es Elyas, der mit der Faust auf den Tisch haute.

„Jetzt reichts! Ich habe mein ganzes Leben lang geackert und trainiert! Ich lass nicht zu, dass so ein Rudel von Halbaffen meine Schwester derart entstellt und auch noch damit davon kommt. Ich habe nicht um sonst mein ganzes Leben lang Taekwondo ausgeübt, um zu zu lassen, dass sich jemand an meiner Familie vergreift, wenn die..“ da unterbrach Alena ihren Bruder. „Elyas, nein! Was willst du denn tun?? Willst du sie mit offenem Messer empfangen und dann darauf warten, dass sie dich abstechen?? Du weißt doch noch nicht mal, wer sie sind, geschweige denn wozu die im Stande sind. Du kannst nicht einfach wie die Axt im Walde los ziehen und dann sinnlos um dich schlagen“. „Aber ich kann es versuchen! Ich werde mich natürlich vorher genau über diese Drecksschweine informieren und wenn sich die richtige Gelegenheit ergibt, zu schlagen“.

Alena merkte, wie sich kurz vor einem weiteren Zusammenbruch war. Dieser ganze Stress und lebender Albtraum, sowie die Sorgen ihrer Familie machten sie fertig. Sie wusste, dass es ihr Bruder nur gut mit ihr meinte aber dieser ganze Zorn und die Wut und Trauer machten sie momentan nur noch aufgebrachter. Sie wollte einfach nur ihre Ruhe haben, um über alles nach zu denken. Das zu realisieren, was in jener Nacht passiert war und fasste wieder ihr Gesicht an. Diese Dreckschweine hatten sich wirklich alle Mühe gegeben, das beste aus ihrem Vorhaben raus zu holen.

Sie spürte die Wunden in ihrem Gesicht und sie wusste, dass sich diese Mistkerle deswegen auf ihr Gesicht konzentriert hatten, weil es nichts wichtigeres in unserer Gesellschaft gab, als das Aussehen einer Frau.

Bei Männern waren ja andere Sachen wichtig, nur hatten sie sich bei Alena in diesem Punkt auf das falsche Körperteil beschränkt.

Sie war nicht eitel und hatte sich auch nie großartig für Mode oder Schönheit interessiert und trotzdem waren diese Halbaffen fest davon überzeugt, dass sie damit ihren Stolz ruinieren würden, wenn sie im Gesicht erst mal entstellt sein würde. Sie fasste ihre Wunden und das geschwollene Auge an. In diesem Moment war sie, genau wie ihre Mutter mal wieder die einzige, die die ganze Situation noch gefasst aufnehmen konnte. Zumindest im Moment noch. Ihre Mutter sagte daraufhin: „Die meisten Wunden sind nur oberflächlich Schatz. Der Arzt sowie ich sind fest davon überzeugt, dass die meisten Wunden wieder verschwinden werden. Nur die Wunde die über dein Auge geht, wird vielleicht noch bleiben.“ Sie schaute in den Spiegel. Sie sah wirklich aus wie eine Hexe. Überall zogen sich rote Striche durch ihr Gesicht und ihr zugeschwollenes Auge, sowie die große Wunde die sich darüber zog, sahen aus, als hätte sich ein Gebirge in ihrem Gesicht aufgetan, das immer noch am wachsen war.

Sofort wurde sie wieder wütend. Sie wollte sich nun erheben. Sehen, ob sie laufen kann oder nicht. Doch sofort wollten ihre Eltern dazwischen springen und sie aufhalten. „Nein Schatz, du bist noch zu schwach. Bleib lieber liegen!“ „Nein! Ich will wissen, wie weit es diese Mistkerle geschafft haben!“. Sie stützte sich mit den Armen ab und merkte dass sie an ihren Beinen ziehen konnte wie sie wollte. Sie bewegten sich jedoch nicht, weil sie kein Gefühl darin hatte. Lediglich in ihrem linken Bein, konnte sie ein leichtes Ziehen spüren. Also nahm sie ihre Arme und klammerte ihre Beine in die Hand. Sie zog ihre Beine zur Bettkante, sodass sie nun im Bett saß und wagte dann den Schritt auf den Boden. Sie fiel herunter.

Das linke, sowie das rechte Bein gaben nach und sie plumpste wie ein nasser Sack einfach so auf den Boden. Wieder fing sie zu weinen an aber nun kam auch noch der Zorn dazu.

Sie schrie wild um sich und hätte am liebsten dass komplette Zimmer aus einander genommen. „Nicht doch Kind!“ Schrie ihre Mutter und warf sich wieder schützend über sie. Sie war immer noch in diesem Albtraum und erhoffte daraus zu erwachen, doch es ging nicht. So weinte sie sich noch Stunden in den Armen ihrer Mutter aus, bis es langsam dunkel wurde. „So langsam hatte sie sich wieder ein wenig beruhigt und als sie wieder herunter kam, sagte ihre Mutter ihr, dass die Polizei morgen früh vorbei kommen würde, um ihre Aussage nochmal auf zu nehmen. Doch dabei gab es nicht viel zu erzählen. Sie würde den Polizisten wieder ihren lebendigen Albtraum erzählen müssen, wie sie sich Stück für Stück an ihr aus tobten und zusammenschlugen und wie hilflos sie dabei war.

Nur die Vergewaltigung. Die war ihr erspart geblieben, da sie den Halt verlor und sie die Felswand herab gestürzt war. Das war der einzige Punkt, den sie verhindern konnte. Denn sie wusste, welchen Status eine Frau in ihrer Kultur hatte. Das sie nur dann etwas wert war, wenn sie rein und unberührt war.

Deswegen konnte sie zumindest darauf noch stolz sein, dass sie es zumindest in diesem Punkt noch geschafft hatte, sie in ihrem Vorhaben zu stören, denn es wäre das krönende Ende ihrer Straftat gewesen und sie hatte es verhindert. Aber was nutzte ihr das? Sie war nun trotzdem für den Rest ihres Leben ein Krüppel und würde nie wieder in der Lage sein, ein so selbstverständliches Leben wie früher zu führen. Sie wusste auch, dass die Polizisten sie wahrscheinlich auch noch darüber befragen würden, wie die Täter aussehen. Doch darüber konnte sie leider auch nichts sagen. Sie hatten sich vermummt und außer ihren Augen und ein wenig Haut hatte man nicht fiel erkennen können. Nur einer von ihnen hatte eine auffällige Narbe, die sich ebenfalls über sein linkes Auge zog. Und der andere stank nach Alkohol. Sie schüttelte den Kopf.

Allein das zeigte schon, wie hirnrissig diese Chaoten doch waren.

 

Im Koran war die Rede von einem reinen Körper, dass man nichts essen und trinken sollte oder tun sollte, was dem Körper schadet. Deswegen tranken ja auch viele Moslems kein Alkohol.

Und da war dieser Terrorist, der „streng gläubig“ war oder zumindest glaubte, dass er den Koran richtig verstand und trotzdem zehn Meter gegen den Wind nach Alkohol stank.

Genau das zeigte ihr mal wieder, dass es ihm nicht um den Glauben oder die Kultur ging, sondern einzig und allein darum, in irgendeiner Form Aufmerksamkeit zu erhalten und anderen Menschen Schaden zu zu fügen. Wenn das nicht feige war, dann wusste sie es auch nicht. „Ach ja und Brian wollte gleich noch vorbei kommen“ sagte ihre Mutter.

Brian, den hatte sie ganz vergessen. Komisch dass sie in dieser Situation an ihren Freund zuletzt gedacht hatte. Eigentlich wünschte sie sich gar nicht, dass er jetzt auch noch kommen würde, da sie ohnehin schon am Boden zerstört war und nicht noch mehr Stress vertragen konnte, doch er stand bereits in der Tür.

Die Familie schaute ihn an und ihre Mutter fragte sie daraufhin, ob sie mit ihm kurz allein sein wollte. „Ok Mom, lass uns bitte kurz allein“ , sagte sie und ihre Familie verabschiedete sich daraufhin bei ihr.

Als sie weg waren und nur noch Brian im Zimmer stand, konnte sie den Schock in seinen Augen sehen. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass es so schlimm aussehen würde.

Sie war immer seine kleine Schönheit gewesen. So nannte er sie oft, da sie mit ihrem dunklen Typ, den langen dunkelbraunen Haaren und den hervorstechenden grünen Augen seine Schönheit war. So nannte er sie immer.

Auch wenn Alena diesen Ausdruck doof fand, da sie diese ganze „Topmodel-Generation“ dämlich und oberflächlich fand, freute sie sich über seine Komplimente, um ihn zu zeigen, dass sie ihn ebenfalls liebte.

Doch nun sah er auf sie herab, als wenn sie ein Monster wäre. Die Wunden in ihrem Gesicht waren angeschwollen und das blaue Auge machte das Ganze nicht besser.

„Nur keine Sorge. Der Arzt hat gesagt, dass die meisten Wunden wieder verschwinden werden, nur die Wunde über meinem Auge, wird vielleicht noch eine Narbe nach sich ziehen.“ sagte Alena und Brian rannte sofort zu ihr.

„Oh mein Gott Alena, es tut mir ja so leid. Wenn ich diese Kerle jemals sehe, dann werde ich sie erledigen, das schwöre ich dir!“ er umarmte sie heftig und sie drückte sich ebenfalls an ihn. Dann schaute Brian auf ihre Beine herab. „Ja, diese Mistkerle haben ganze Arbeit geleistet. Ich werde sie niemals mehr richtig bewegen können. Wenn ich Glück habe, dann kann ich mein linkes Bein noch als Standbein benutzen. Er schaute auf sie herab. „Das ist ja echt heftig..“ Alena senkte den Kopf. Auch wenn sie noch immer nicht richtig begreifen konnte, dass sie niemals mehr richtig laufen würde, ahnte sie es immer mehr, was da auf sie zukommen würde.

„Naja, wenigstens wird dein hübsches Gesicht wieder halbwegs in Ordnung sein“. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Für einen Moment war Alena sprachlos. Sie lag da mit Beinen, die sie nie wieder richtig benutzen konnte. Sie wurde gefoltert und halb tot geprügelt und er war einfach nur glücklich über die Tatsache, dass zumindest ihr Gesicht halbwegs in Ordnung war? Sie dachte über diese Aussage noch einen Moment nach. „Schatz? Schatz sag doch was!“ sagte er. Sie schüttelte den Kopf.

Er hatte es bestimmt nicht so gemeint. Wahrscheinlich wollte er mit dieser Aussage einfach nur von all dem anderen Schlechten, was ihr widerfahren war ablenken und sie aufmuntern. Sie umschlang seine muskulösen Schultern und war froh, dass sie sich so gut an ihn kuscheln konnte. „Aber wie ist das Ganze nur passiert?? Wer waren diese Kerle und was haben sie alles gemacht?“ Fragte er sie. „Bitte Brian, ich kann dieses ganze Geschehen nicht nochmal wiederholen. Wenn ich das tue, muss ich wieder anfangen zu heulen. Ich weiß nicht wer die Täter waren, sie hatten sich vermummt. Ich weiß nur, dass der eine ebenfalls eine Narbe über dem Auge hatte und dass der andere nach Alkohol gestunken hat. Sie meinten, dass meine Mutter eine Hure wäre und dass mein Vater diese Ehe beenden soll. Mein Vater ist fest davon überzeugt, dass mein Bruder hinter all dem steckt. Er glaubt, dass sie deswegen mich angegriffen haben, um meinen Vater zu verletzen..“ Brian schaute sie nur mit weit aufgerissenen Augen an.

“Ach du Schande. Dann steckt also doch dein Onkel hinter all dem..ich weiß nicht, was ich sagen soll Alena aber egal was passiert. Ich werde immer bei dir sein ok? Ich werde dich beschützen und dich in deinem Leben unterstützen wo ich nur kann. Und wenn ich sie jemals sehen sollte, dann werden sie ihr blaues Wunder erleben. Gott, warum habe ich dich nur allein nach Hause gehen lassen. Ich hätte dich begleiten sollen. Es ist alles meine Schuld“

„Nein Brian, sag das nicht! Es ist nicht deine Schuld ok? Es ist weder die Schuld von dir noch von meinem Vater. Es ist allein die Schuld von diesen Monstern, die mir das angetan haben“ sagte sie und Brian nahm sie wieder in den Arm. So langsam schlief sie ein. Der Tag war einfach zu anstrengend gewesen, um alles auf einmal zu verarbeiten. Sie war mal wieder am Ende ihrer Kräfte und fiel wieder in einen tiefen Schlaf.

Am nächsten Tag kamen die Polizisten, um sie zu dem Tathergang nochmal zu befragen. Auch wenn sie versuchte sachlich zu bleiben, kamen ihr schon bald wieder die Tränen ins Gesicht, als sie jeden einzelnen Angriff der Täter nochmal wiederholen musste. Letztendlich war sie einfach nur froh, als die Polizisten alles notiert hatten und sie endlich wieder alleine sein durfte, um wieder alles zu vergessen.

Die Polizisten hatten ihr nicht gerade viel Mut gemacht.

Sie sagten, dass sie sich auf die Suche nach den Tätern machen würden, doch das würde alles andere als einfach werden. Außer ein paar Faserspuren, die sich auf ihrer Kleidung befanden, konnte man von den Tätern selbst nicht viel ermitteln. Sie hatten beide eine normale Statur, sprachen gebrochenes Deutsch und hatten ansonsten keine sichtbaren Äußerlichkeiten. Da es dunkel war, konnte sie ihre Augenfarbe nicht genau erkennen. Sie ging davon aus, dass sie braun waren, wie es bei den meisten Südländern der Fall war aber es war natürlich nur eine wage Vermutung. Und außer der Tatsache, dass einer von ihnen eine Narbe über dem Auge hatte, sowie dass der andere nach Alkohol stank, konnte sie wirklich nicht viel über beide aussagen.

Die Polizisten versicherten ihr auch, dass sie die Ermittlungen in Richtung ihres Onkels lenken würden und dazu auch nochmal ihren Vater befragen würden, doch sie wusste dass ihr Vater jeglichen Kontakt zu seinem Bruder abgebrochen hatte und dass, falls er wirklich was damit zu tun hatte, es ohnehin sehr schwierig werden würde, den Onkel zu ermitteln, da er wahrscheinlich immer noch im Iran lebte. Alena war mal wieder am Ende ihrer Kräfte, doch sie wollte sich jetzt nicht mehr mit diesem Thema beschäftigten. Sie dachte, wenn sie sich noch mehr damit auseinander setzte, dann würde sie wieder zusammen brechen. Also versuchte sie einfach wieder zu schlafen und alles zu vergessen.

 

Als sie nach drei Tagen nach Hause kam, hatten ihre Eltern bereits alles organisiert. Sie hatten ihr einen Rollstuhl bereit gestellt, so wie Krücken, falls sie sich doch wieder rasch erholen würde.

Sie versuchten sie zum lachen zu bringen, doch ihr war einfach nicht zum lachen zu mute. Sie wollte sich einfach nur wieder in ihr Zimmer verkriechen und alleine sein.

Es war anscheinend eine Abwehrreaktion ihres Körpers, um diesen ganzen Stress zu vergessen. Sie konnte immer noch nicht realisieren, was da passiert war. Auch Brian merkte so langsam, dass sie immer weniger Zeit und Lust auf ihn hatte. Er besuchte sie immer wieder, doch schon bald merkte er dass sie lieber schlafen wollte, anstatt sich mit ihm zu unterhalten. Er akzeptierte es, da er wusste, dass sie erst wieder zu Kräften kommen musste und gab ihr somit Zeit. Das letzte Mal, als er sie besuchte schien er sehr glücklich über die Tatsache zu sein, dass die Wunden in ihrem hübschen Gesicht wieder verheilt waren und nur noch ein kleiner roter Strich über ihr Auge ging. Sie sah wieder aus wie seine Prinzessin, abgesehen von der Tatsache, dass sie nun an einen Rollstuhl gefesselt war.

Als Alena sich zum ersten Mal in den Rollstuhl setzte, kam es ihr immer noch vor, wie in einem Traum. Sie hätte niemals gedacht, dass ihr selbst mal so etwas widerfahren würde.

 

Auch die Beziehung zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater schien sich zu verändern. Man versuchte natürlich von Seiten der Ermittlungen her, zu recherchieren, wo sich sein Bruder Amir aufhielt, doch da er wahrscheinlich eh noch im Iran wohnte und sie dort nichts ermitteln konnten, nahm sich Yusuf fest vor, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Er wollte die alte Nummer seines Bruders raus suchen und ihn zur Rede stellen. Er wollte versuchen heraus zu finden, wer noch alles mit ihm unter einer Decke stecken konnte. Doch viele Informationen fand er dabei leider nicht. Er war eben doch kein Polizist.

Und selbst als die Beamten ihm Polizeischutz anboten, lehnte er es ab.

Er wollte seinen Namen nicht ändern oder in ein neues Haus um ziehen. Sie hatten so viel Geld in dieses Haus gesteckt und sich alles mühevoll hier aufgebaut. Ihre Freunde, ihr Haus, ihre Arbeit.

Er sah einfach nicht ein, dass er nur auf Grund der Drohung seines Bruders jetzt sein ganzes Leben umstellen sollte. Viel mehr wollte er sich damit beschäftigen, seinen verhassten Bruder endlich ausfindig zu machen.

Man durfte einfach nicht davon laufen. Auch wenn ein Polizeiwagen trotzdem alle drei Stunden an ihrem Haus vorbei fuhr, um die Lage zu kontrollieren, fühlte sich Elisabeth unwohl.

Denn sie war der ganze Grund des Problems. Wegen ihr musste ihre Tochter entstellt werden und sie wusste, dass diese Kerle wieder kommen würden und dann vielleicht noch Schlimmeres anstellen würden, wenn sie nicht verschwand. Dann würden sie vielleicht das nächste Mal Elyas entstellen oder vielleicht sogar sie selbst.

Das Risiko war einfach zu groß und deswegen fingen ihre Eltern auf einmal an sich zu streiten. Auch wenn sie versuchten ihre Streitereien vor ihrer Tochter zu verheimlichen war sie dennoch nicht taub.

Sie erwischte sei eines morgens in der Küche, als sie glaubten, alleine zu sein und sich über dieses Problem stritten.

„Ich kann nicht hier bleiben Yusuf! Die werden wieder kommen, weil ICH der Teil des Problems bin.

Ich liebe dich über alles aber ich kann nicht zu lassen, dass noch eines unserer Kinder so dermaßen entstellt wird!“ sagte ihre Mutter. „Und was willst du nun tun? Denkst du, wenn du abhaust, wird das Problem gelöst? Dann bekommen diese Mistkerle doch erst recht das, was sie wollen. Nämlich dass wir unsere Freiheit und unser Familienleben einstellen, nur damit sie ihre Ehre wieder gerettet haben. Wir geben nach und lassen zu, dass sie ihre kriminellen Machenschaften weiterhin ausleben können!“

„Ich weiß, dass es kein guter Schritt ist. Aber mir ist das Leben meiner Kinder nun mal wichtiger momentan. So lange die Ermittlungen am laufen sind und dieser Mistkerle und seine Gang nicht geschnappt werden, werde ich hier nicht mehr wohnen können..“.

Wow, das hatte ihre Mutter gerade wirklich gesagt. Sie wollte ihren Vater verlassen, nur weil sie Angst davor hatte, dass uns noch etwas passieren könnte.

Da sah sie mal wieder die Realistin in ihrer Mutter. Sie wog die Nachteile mit den Vorteilen ab und kam relativ schnell zu dem Ergebnis, dass unser Leben in Gefahr war und sie lieber nachgeben sollte, solange sie noch auf freien Fuß waren, während ihr Vater eher nach seinen Gefühlen handelte und dieser Sache auf den Grund gehen wollte.

 

So dauerte es nicht mehr lange, bis sie zu ihrer Tochter kam, um ihr mit zu teilen, dass sie sich nun eine Mietwohnung in der Nähe ihrer Klinik, in der sie arbeitete, beschaffen würde, um sicher zu gehen, dass ihnen nichts mehr passieren würde.

„Werde ich dich dann gar nicht mehr sehen?“ fragte Alena. Ihre Mutter seufze einen kurzen Moment und sagte dann:“ Nein, ich werde euch einmal die Woche besuchen kommen und dabei sicher stellen, dass mich niemand sieht..“ Alena war mittlerweile so niedergeschlagen von diesen ganzen Veränderungen, dass diese Hiobsbotschaft ihrer Mutter sie auch nicht mehr wirklich erschüttern konnte.

„Ich werde dich so sehr vermissen, Mom..“ Sagte Alena und drückte ihre Mutter ganz fest an sich.

Elisabeth drückte ihre Tochter ebenfalls an sich. Sie fing wieder an zu weinen. „Ach nicht doch Alena..weißt du, warum ich dich immer so bewundert habe? Weil du im Gegensatz zu deinem Bruder immer einen klaren Kopf behalten hast. Du wusstest immer genau was du wolltest und hast alles so klar und realistisch betrachtet und auch wenn etwas mal nicht so funktioniert hat, wie du es dir vorgestellt hast, hast du trotzdem die Nerven behalten und das Beste daraus gemacht.

Du warst schon immer eine Kämpferin und hast so viele tolle Seiten an dir.“

Alena wurde es warm ums Herz, als sie ihre Mutter diese Worte hören sagte. Sie liebte sie dafür. Und auch wenn sie sonst eher kühl war und ihr beibrachte, nicht gleich in Tränen aus zu brechen, wenn etwas nicht gleich funktionierte, fand sie immer die richtigen Worte für sie, auch wenn ihr Leben nun alles andere als lebenswert verlief.

„Ich wollte dir nur sagen, dass Sabine auch bald wieder hier ist. Sie ist wieder aus ihrem Urlaub zurück gekehrt und hat sofort nach dir gefragt.“. „Tatsächlich?“ fragte Alena.

Sabine Richter war ihre Cousine. Ihr Vater und Elisabeth waren Geschwister und hatten schon von von klein auf immer sehr viel Kontakt zueinander. „Ja, sie wollte in zwei Wochen vorbei zu kommen.“ Wenigstens eine gute Nachricht, dachte sich Alena, auch wenn sie nach wie vor in Trauerstimmung war und auf nichts wirklich Lust hatte.

 

Auch ihr Vater kam immer wieder in ihr Zimmer, um sie auf zu muntern oder sie dazu zu bewegen mal raus an die frische Luft zu gehen, um mal auf andere Gedanken zu kommen. Elyas besuchte sie auch sehr häufig aber ihr Vater machte sich die meiste Mühe, sie wieder zum Lachen zu bringen.

Er machte sich einfach schwere Vorwürfe, da es sein Bruder war, der es ihr heim gezahlt hatte, nur weil er so unvorsichtig gewesen war.

Seit neustem verließ er auch nicht mehr so häufig das Haus, wie sonst. Er saß lieber die meiste Zeit vor dem Fenster und schaute nach draußen, um sicher zu gehen, dass keine ungebetenen Gäste ihn belauschten oder ihm einen weiteren Besuch abstatten konnten.

Er schien zu hoffen, dass er zumindest auf diese Weise genügend Sicherheit erzeugen konnte, wenn er schon seinen Lebensstil und sein Familienleben immer mehr aufgeben musste.

Nur als er dann selbst wieder als Wachmann in den Nachtdienst fahren musste, legte er fest, dass in diesem Zeitrahmen alle drei Stunden ein Polizeistreifenwagen ihr Haus bestreifen sollte.

Obwohl für sie nach wie vor eine ernst zu nehmende Bedrohung bestand, gab es Alenas Meinung nach einfach keine 100 prozentige Sicherheit.

Wenn sie etwas anstellen wollten, würden sie es auch tun und das machte die Situation keinesfalls besser.

Oft lag sie deshalb auch nachts wach und war Schweißgebadet, da sie die vermummten Gesichter immer wieder in ihren Albträumen sah und danach nicht mehr einschlafen konnte.

Sie gab ihrem Vater deshalb dennoch nicht die Schuld.

Er war einfach der liebenswürdigste Mensch, den sie je in ihrem Leben gesehen hatte.

Nicht dass ihre Mutter nicht liebenswürdig wäre aber ihre Mutter war im Gegensatz zu ihrem Vater genauso wie sie selbst schon immer eine Realistin.

Ihr Vater glaubte dank seiner Religion immer nur an das Gute im Menschen und dass man anderen auch vergeben konnte, während ihre Mutter niemandem vertrauen konnte, den sie nicht gut genug kannte oder der ihr Vertrauen bisher schon einmal missbraucht hatte. Sie war immer auf der Hut und wusste auch durch ihre Arbeit, dass Menschen dazu im Stande waren, sehr grausame und hässliche Sachen zu tun.

Ihr Vater war nicht so. Natürlich war er nach Deutschland ausgewandert, um dieses Land zu vergessen aber er wäre niemals so ängstlich oder misstrauisch gewesen zu glauben, dass sein Bruder tatsächlich so weit gehen würde, um ihn nach Deutschland zu folgen und um dann auch noch seiner Familie Schaden zu zu fügen.

Doch jetzt, wo es sie selbst erwischt hatte, schien auch er seine Meinung geändert zu haben. Er wollte seine Tochter nun um alles und jeden Preis beschützen, dass es Alena schon fast unangenehm war.

Jeden Tag kam er in ihr Zimmer und brachte ihr frische Blumen mit. Doch auch er wusste nicht, über was er mit ihr reden sollte. Diese Trauerstimmung und ständige Angst konnte sich einfach nicht in Luft auf lösen.

Alena brach es fast jedes mal das Herz, wenn er in ihrem Zimmer saß und sie sich wieder die ganze Zeit fast nur anschwiegen.

Sie musste an frühere Zeiten denken, als sie und ihr Vater im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt diskutieren und daran Spaß hatten.

Als Gläubiger Moslem respektierte er es natürlich, dass seine Tochter einen anderen Glauben hatte aber er konnte diese Denkweise trotzdem nicht verstehen.

So setzten sie sich immer beide an einen Tisch und diskutierten über das Universum und seine Existenz.

Er wollte von ihr wissen, wie es sein konnte, dass ein riesiges Universum aus dem Nichts einfach entstehen konnte, ohne dabei von jemand erschaffen worden zu sein, der dafür verantwortlich war.

Alena erklärte ihm, dass man dafür vor allem Raum und Materie, beziehungsweise Energie benötigte.

Natürlich konnte man deshalb noch lange nicht die Frage klären, warum es plötzlich irgendwann einen Urknall gab und vielleicht würde man diese Frage nach dem großen „warum“ auch niemals wirklich wissenschaftlich beantworten können, doch man konnte zumindest versuchen, es zu erforschen, so gut es ging.

Auch als sie ihrem Vater die wage Vermutung aufstellte, dass das Universum wahrscheinlich unendlich weit groß und klein war, fragte er sie sofort wie sie dies meinte.

Sie erklärte ihm, dass Atome aus Protonen bestanden und man dort wiederum heraus gefunden hatte, dass Protonen wahrscheinlich aus Quarks bestanden. Das war bisher die kleinste Einheit, die man in der Wissenschaft entdeckt hatte.

Ihr Vater sagte daraufhin „Das heißt, du glaubst also, dass es keinen Anfang gibt? Dass man auch Quarks wiederum in kleinere Teilchen zerlegen kann und die wiederum auch in kleinere Teilchen und so weiter?“ . „Ja Dad. Deswegen glaube ich auch, dass es keinen Anfang und kein Ende gibt. Es geht einfach alles unendlich weit in die Tiefe und genauso geht es auch unendlich weit in die Größe. Ohne Anfang und Ende“ sagte sie daraufhin.

„Ja aber allein das ist doch schon wieder ein Zeichen dafür, dass es ein höheres Wesen geben muss, da man diese Unendlichkeit der Größenverhältnisse einfach nicht begreifen kann“, antwortete ihr Vater. „Würde man es deshalb begreifen können, wenn das Universum begrenzt wäre? Ich glaube nicht. Denn selbst dann würdest du dich fragen, was nach der Grenze kommen würde, weil der Mensch Grenzen genauso wenig begreifen oder akzeptieren kann“ Sagte sie und ihr Vater hielt wieder kurz inne.

Er hatte wirklich eine schlaue Tochter und wann immer sie zusammen saßen und über Gott und die Welt diskutierten, musste er immer fest stellen, dass Alena einfach nicht aufgeben konnte. Sie war schon immer ein neugieriges Kind und wollte alles genau erklärt bekommen.

Sie konnte sich noch nie mit Unwissenheit zufrieden geben und musste alles hinterfragen.

Bei dem Gedanken musste er immer lachen. Manchmal dachte er sich, wenn man seine Tochter damals als kleines Mädchen erzählt hätte, dass der Weihnachtsmann von einem Schlitten mit Rentieren durch die Luft gezogen wurde, wäre sie wahrscheinlich sofort misstrauisch geworden. Andere Kinder hätten sich mit dieser Frage wahrscheinlich zufrieden gegeben, doch Alena hätte dann mit Sicherheit gefragt wie es sein konnte, dass ein Schlitten mit Rentieren durch die Luft fliegen konnte, obwohl die Schwerkraft vorhanden war.

Man konnte seiner Tochter einfach nichts vormachen. Sie wollte für alles eine logische Erklärung haben und deswegen wunderte es ihn auch nicht, dass seine Tochter, genau wie ihre Mutter zur Atheistin wurde.

Alena erklärte ihrem Vater einfach, dass ihr die Antwort „ein Gott müsse für all dies verantwortlich sein“ zu einfach war. Genau das war ja der Grund, warum sich Menschen einen Gott, ein höheres Wesen erschufen, weil sie sich die Frage nach dem Urknall einfach nicht logisch beantworten konnten. Doch für Alena war auch klar, dass man sich dann zumindest die Mühe machen sollte und trotzdem weiter forschen musste, um mehr und mehr Beweise und Fakten zu finden.

Deswegen war es für sie auch zu einfach sich einen Gott zu erschaffen und dann daran zu glauben, solange es keine Beweise für seine Existenz gab.

Darum hieß es ja auch „Glauben“ und nicht „Wissen“. Als sie dies auf diese Art und Weise ihrem Vater erklärte, konnte er zum ersten Mal verstehen, warum sie von ihrer Meinung als Atheistin so überzeugt war.

Auf der anderen Seite akzeptierte sie natürlich auch genauso die Meinung ihres Vaters, da man die Sache mit „Gott“ ja auch schließlich nicht ganz ausschließen konnte.

Sie respektierte es, wenn er ihr beibrachte, dass er genau aus diesem Grund der Unwissenheit über die Existenz des Universums an seinen Gott glaubte und vor allem an die Liebe, die er ausstrahlte. Sie liebte ihn dafür, dass er jene radikalen Moslems verurteilte, die ihren Glauben dafür missbrauchten, um sich selbst genügend Vorteile zu verschaffen und um Frauenrechte oder andere Menschengruppen zu diskriminieren.

Das war nicht die Aussage des Islams seiner Meinung nach. Er wusste das sein Glauben eine andere friedliche Aussage hatte und dass diejenigen die sie missbrauchten, dafür von Allah keine Zuflucht finden würden.

So saßen er und Alena immer um einen Tisch und liebten es, miteinander zu diskutieren und sich über verschiedenste philosophische Dinge aus zu tauschen.

Auch wenn er den Glauben seiner Tochter respektierte und mittlerweile auch besser verstand, blieb er trotzdem ein Gläubiger.

Es wären einfach zu viele „Zufälle“ in seinem Leben gewesen, als er gebetet hatte und tatsächlich das passiert war, worum er gebetet hatte.

Möge es vielleicht einfach Physik, Menschenkenntnisse oder ein Zufall gewesen sein, doch er glaubte fest daran, dass es Allah war, der ihm in unterschiedlichsten Situationen immer weiter half. War er krank, betete er zu Allah und wurde recht schnell wieder gesund. Betete er Allah darum, mehr Kraft zu bekommen, um sich auf den nächsten Tag und die damit verbundenen Aufgaben wieder vorbereiten zu können, ging der Tag schnell und so wir er ihn sich gewünscht hatte herum. Klar gab es auch Sachen, in denen er kein Erfolg mit dem Beten hatte. Als sein Bruder zum Beispiel Elisabeth als seine Frau nicht akzeptierte oder er darum bat, dass sein Bruder wieder zu klarem Verstand kam damit er sich endlich mal um einen Job bemühte und diese radikalen Ansichten aufgab.

Doch er war auch fest davon überzeugt, dass sich Allah nicht um alles kümmern konnte und dass jeder Mensch seines eigenen Glückes Schmiedes war.

Er jedenfalls versuchte immer die guten Seiten des Islams zu sehen und vor allen Menschen mit anderen Ansichten zu respektieren.

Doch nun, wo seine Tochter fast halb tot geprügelt wurde und das auch noch von seinem eigenen Bruder, fing auch er bald an, an sich zu zweifeln.

Er wusste, dass er keine Rachegefühle durch lassen durfte, doch bei all dem was bisher passiert war, ertappte er sich immer häufiger bei dem Gedanken, was er mit diesen Dreckskerlen anstellen würde.

Denn es war einfach nicht mit an zu sehen, wie seine Tochter so vor sich hin starrte und keine Lebensfreude mehr in sich trug.

Auch Alena konnte das Schweigen zwischen ihr und ihrem Vater fast nicht ertragen und die Tatsache, dass ihre Mutter nun auch nicht mehr hier sein würde, um sie zu trösten, machte die Situation nun auch schwieriger für sie, wobei sie mittlerweile fast eh nichts mehr schockieren konnte.

 

Die nächsten Tage kamen so, wie kommen mussten.

Ihre Mutter zog aus und wieder fehlte ihr ein Elternteil in dieser misslichen Lage.

Sie merkte, wie sie immer mehr in ihrem Bett versank und keine Lust mehr zum aufstehen hatte. Da überlegten sich ihr Vater und ihre Mutter, sie zu einer Therapeutin zu schicken, da sie selbst wenig Erfahrung mit solchen Situationen hatten und hofften, dass ein Psychologe mehr Erfahrung hatte und ihre Tochter wieder aufbauen würde.

Auch wenn Alena davon anfangs eher wenig begeistert war, quälte sie sich aus ihrem Bett heraus, um sich von ihrem Vater zur ersten Sitzung fahren zu lassen.

 

Als sie an dem Haus der Psychologin ankamen, musste Alena erst mal staunen. Das Haus der Therapeutin ähnelte mehr einem Palast, als einem Haus und alles war sehr ordentlich gemäht. Hinter dem Haus konnte sie den riesigen Garten und sogar einen Swimmingpool erkennen.

Tja, Psychologe musste man wohl sein, dachte sich Alena. Obwohl ihre Mutter als Ärztin auch viel Geld verdiente, konnte ihr Haus mit diesem eindeutig nicht mithalten. Sie klingelten an der Haustüre und die Tür öffnete sich. Eine Sekretärin sprang heraus und begrüßte sie. „Kommen sie doch herein ins Wartezimmer. Frau Dr. Schmidt wird sie gleich empfangen.“ Mit einem freundlichen Lächeln begleitete sie sie herein und Yusuf half seiner Tochter auf den Stuhl. „Also, dann bis später mein Engel. Ich werde noch ein paar Einkäufe erledigen und dich nachher wieder abholen“. „Geht klar Dad“ sagte Alena und umarmte ihren Vater schnell.

Als er sie verließ, konnte sie wieder die Trauer in seinen Augen erkennen. Er hoffte wohl, dass diese Therapeutin große Arbeit vollbringen würde, damit es ihr besser ging. Doch Alena war einfach nur müde und niedergeschlagen. Sie wollte nicht raus in die Menschheit und auch nicht daran arbeiten ihr Leben wieder auf zu bauen, da sie eh nur ein Krüppel im Rollstuhl war.

Als sie in dem Wartezimmer saß, konnte sie sich die ganzen Zertifikate der Psychologin an der Wand ansehen. Sie schien sehr stolz darauf zu sein, all dies erreicht zu haben und damit nebenbei her natürlich Werbung für ihre Kunden machen, damit diese ein sehr großes Vertrauen in ihre Arbeit hatten.

In diesem Moment musste sie an ihr Studium denken. Die Neurologie und Psychologie waren ein Nebenfach ihres Studiums, das eigentlich erst im zweiten Jahr dran kam, doch sie hatte sich vorher schon ein paar Seiten darüber in ihrem Buch durch gelesen.

Es war interessant zu erfahren, was Stress und andere Umweltfaktoren in dem Gehirn alles bewirken konnten.

Es konnte die Großhirnrinde verändern und Depressionen aus lösen, die soweit gingen, dass man Bauchschmerzen, Übelkeit, Krämpfe und andere Symptome bekam. Manche Wissenschaftler gingen sogar davon aus, dass es Krebs aus lösen konnte.

Sie hielt einen Moment inne, als sie an ihre eigene Situation dachte. Würde sie auch eines Tages so enden?

Dass sie sich selbst so krank machte, dass ihre gesamte Gesundheit ebenfalls im Eimer war?

Bei diesem Gedanken wurde ihr wieder sehr unwohl und sie hätte sich am liebsten wieder verkrochen, als die Tür aufsprang und eine große strahlende Frau, Mitte vierzig die Tür öffnete.

„Guten Tag, ich bin Frau Dr. Schmidt, ich heiße Sie herzlich willkommen“. Sie hatte die Haare blondiert und trug viel Make-Up im Gesicht. Die Kleidung war natürlich auch nicht von schlechten Eltern und sie überlegte, ob es sich dabei vielleicht sogar um Gucci handeln könnte.

Die erste Stunde verbrachten sie damit, dass Alena erst mal wieder ihre gesamte Situation erzählen musste und dabei wieder mehrmals in Tränen ausbrach. Frau Dr. Schmidt reichte ihr ein Taschentuch und blieb dabei gefasst auf dem Stuhl sitzen.

Die nächsten Termine verliefen dann etwas anders. Nachdem Alena ihr bereits schon in der ersten Stunde erzählt hatte, was ihr widerfahren war, hatte sie diesmal nicht mehr wirklich viel zu erzählen.

Bei der nächsten Begrüßung fragte sie die Psychologin wieder, wie sie sich fühlte.

Was war das nur für eine Frage? Wie sollte sie sich wohl fühlen, nachdem ihr ein paar Halbaffen die Beine zertrümmert hatten und sie nichts mehr machen konnte, was sie früher gemacht hatte.

„Na ja, mir geht es nach wie vor nicht so gut. Ich schlafe sehr viel und wenn ich mal wach bin, mach ich auch nicht mehr, als zu essen und trinken und nebenbei her im Internet zu surfen oder ein Buch zu lesen..“

Die Therapeutin hielt kurz inne. „Aber sie haben doch einen Freund. Vielleicht können sie mehr mit ihm unternehmen“.

Als sie das sagte, rümpfte sie ihre Nase.

Tja ihr Freund. Sie hatte Frau Dr. Schmidt schon ein paar Sachen über ihn erzählt aber wenn sie jetzt an ihn denken musste, hatte sie das komische Gefühl, dass ihr Freund ihr in dieser Situation nicht gerade weiterhelfen würde.

Sie liebte es zu joggen und zu tanzen und auch wenn Brian eher der Footballspieler war, war das immer ihre große Gemeinsamkeit, dass sie zusammen Sport machen konnten.

Sie gingen gemeinsam Joggen oder er nahm sie mit ins Fitnessstudio, damit sie dort mal neue Sachen ausprobieren konnte.

Doch dies war im Prinzip auch alles was sie gemeinsam hatten. Auch wenn sie sich manchmal versuchte ein zu reden, dass sie sich ja auch viel unterhielten und an ihrer Uni gemeinsam zusammen lernten, wurde ihr abermals bewusst, dass sie nun keines dieser Dinge außer dem Reden mehr gemeinsam aus üben konnten.

Sie konnten weder zusammen trainieren, noch zusammen zur Uni gehen. Und während er immer peinlichst genau mit seinem Aussehen beschäftigt war, interessierte sie sich mehr für Geschichte. Sie las sehr viele Bücher über verschiedene Zeitepochen und wollte sich mit Brian darüber unterhalten, doch es interessierte ihn einfach nicht.

Wenn sie anfing sich Dokus im Fernsehen über das Volk der Römer an zu sehen, sagte er, dass sie umschalten sollte, weil es ihn langweilte.

Ein weiteres ihrer Hobbys war das Gitarre spielen. Sie liebte es, ständig neue Lieder ein zu studieren, doch wenn sie ihm mal wieder ihr neustes Lied vor spielte, was sie sich zuvor mühsam in Wochen ein studiert hatte, sagte er nur „schön“ und wand sich dann wieder anderen Dingen zu. Er erkannte einfach nicht die harte Arbeit und Mühe, die sie sich dafür gegeben hatte.

Er wusste einfach nicht, wie schwer es war, Note für Note genau zu treffen und dabei noch im Takt zu bleiben.

Es riss ihn nicht vom Hocker und da sie außer dem Sport und der Uni nicht besonders viel gemeinsam hatten, nahmen sie dies als ihre gemeinsame Komponente und sie verzieh ihm, dass er kein musikalisches Gehör hatte, sowie er ihr, dass sie sich nicht um seinen Fitness- und Schönheitstick kümmerte.

Doch nun, wo ihnen auch diese gemeinsame Komponente genommen wurde, wusste sie nicht so recht, was sie jetzt noch zusammen großartig anstellen sollten und sie zudem sowieso keine Lust hatte, etwas oder irgendjemanden zu treffen.

„Ach wissen sie, ich bin auch mal ganz froh, wenn ich meine Ruhe habe. Es ist einfach so..ich muss die ganze Zeit an diese schlimme Geschichte denken. Ich sitze in meinem Zimmer weil ich nicht laufen kann und denke darüber nach, was diese Mistkerle mir angetan haben und wenn ich daran denke, dass sie immer noch frei herum laufen und vielleicht bald wieder kommen, bekomme ich es wieder mit der Angst zu tun. Dann versuche ich das alles wieder zu vergessen, in dem ich mich wieder hinlege und versuche zu schlafen und habe dann aber meistens wieder Albträume, in denen ich die Täter wieder sehe..“.

„Nun sehen Sie! Und genau deshalb ist es wichtig, dass sie wieder mehr Gesellschaft um sich herum haben, die Ihnen dabei hilft auf andere Gedanken zu kommen“, sagte Frau Dr. Schmidt und Alena seufze wieder.

Selbst wenn ihre Familie sie besuchte, waren sie meist stumm, weil sie nicht wussten, über was sie mit ihr reden sollten und wenn Brian da war, war es dann fast noch schlimmer. Nichts desto trotz nahm sie ihren Ratschlag an.

 

Brian fuhr sie spazieren und man sah ihm an, dass er nicht damit gerechnet hatte, dass das Ganze doch so eine große Behinderung werden würde. Er war Footballspieler und war sehr muskulös. Er liebte es seinen Körper in Form zu halten und damit zu prahlen, dass er so einen tollen Körper hatte und nebenbei her noch eine kleine Schönheit hatte. Auch wenn seine Schönheit mittlerweile an einen Rollstuhl gefesselt war.

Sie hatten sich im Medizinstudium kennen gelernt und er war vom ersten Moment an von ihrer Schönheit und Intelligenz begeistert.

Das Einzige, was ihn an ihr störte, war die Tatsache, dass sie sich manchmal nicht so hübsch zurecht machte. Wenn sie Zuhause rumhingen, ging sie lieber in Jogginghose vor die Tür, um einen kurzen Einkauf zu erledigen.

Und wenn sie Feiern gingen, war sie für seinen Geschmack manchmal zu lässig gekleidet. Sie war doch so hübsch. Er konnte nicht verstehen, warum sie nicht das Beste tagtäglich aus sich heraus holte.

Sie hätte Model werden können mit ihrer Figur. Wenn er sie manchmal darauf ansprach, fing sie nur an zu lachen und erklärte ihm, dass es auch noch andere Sachen außer Mode gab und dass er nicht den Lagerfeld heraushängen lassen sollte.

Auf diese Weise ärgerte sie ihn immer. Und auch wenn er es nicht verstehen konnte, lies er ihren Humor und hänselte sie zurück.

Doch diesmal hatte sich die Situation verändert.

Er wusste dass er ziemlich oberflächlich war, doch er wollte es auch so, denn er sah nichts falsches daran. Wenn er zu seinen Freunden ging und Alena mitnahm, war er immer sehr stolz darauf, sie als Freundin zu haben und sah den Neid in den Augen seiner Kumpels.

Sie war einfach seine südländische Schönheit. Mit ihrem sportlichen Körperbau, der Karamell farbigen Haut, den dunklen langen Haaren und den doch so hellen hervorstechenden grünen Augen, war sie eine Schönheit, mit der die anderen Mädchen einfach nicht mithalten konnten.

Und auch wenn sie sich nicht so sehr um ihr Aussehen kümmerte und lieber in Schlabbersachen herumlief, konnte man ihre außergewöhnliche Schönheit einfach nicht übersehen. Und auch er genoss es, im Mittelpunkt zu stehen.

Er ging neben dem Footballspielen noch regelmäßig ins Fitnessstudio und achtete darauf, dass seine blonden Haare immer gut aussahen. Ihm war sein Aussehen teilweise wichtiger, als seine schulischen Leistungen, auch wenn er sich in diesem Punkt immer selbst belog.

Als er in der letzten Klausur fast wieder durchgefallen war, hatte ihn Alena abermals ermahnt, wieder mehr zu lernen und dass er seine Freizeitaktivitäten anpassen sollte, um noch genügend Zeit zum Lernen zu haben.

Dies ärgerte ihn manchmal. Immer versuchte sie ihm Vorschriften zu machen, wobei er das Leben doch bloß genießen wollte. Er machte sich nichts aus Lernen. Sollte er in einer Klausur durchfallen, hatte er immer noch Chancen, sie zu oft genug zu wiederholen und dafür das nächste Mal zu bestehen.

Alena hingegen büffelte wie eine Verrückte. Er wusste manchmal nicht, wozu sie sich den ganzen Stress machte, wenn sie doch sowieso auch mit schlechten Noten bestehen konnte. Es war ihm jedenfalls egal. Hauptsache er konnte sie immer, wie seinen schönsten Pokal vorführen.

 

Doch nun, wo sie im Rollstuhl saß, hatte sie zwar immer noch ihr hübsches Gesicht, doch schon bald merkte er, dass sie nicht mehr die selbe war. Sie war andauernd nur am schlafen und wenn sie mal nicht schlief, war sie depressiv und redete nicht viel. Noch dazu kam die Umstellung, dass er sie nun im Rollstuhl überall hinfahren konnte und als er mit ihr neulich seine Freunde in einer Bar besuchen wollte, passierte genau das, was er immer vermeiden wollte.

Als Alena am Abend von ihrer Mutter abgeholt wurde und er mit seinen Freunden wieder alleine in der Bar saß, sagte einer seiner Kumpels: „Was ist denn mit dir plötzlich los? Sonst hattest du immer „90 60 90 Freundinnen“ und jetzt gibst du dich mit diesem Rolli ab“.

In diesem Moment wurde er sauer und packte seinen Kumpel am Kragen. „Was hast du gesagt?? Sie ist noch genau so hübsch wie früher, nur weil sie nicht mehr laufen kann, hat sie deswegen nicht eine schlechtere Figur!“ Schrie er ihn an. „Ja ja Mann, ist doch schon gut. War doch nur ein Scherz!“.

Er ließ ihn los, doch dieser Vorfall beschäftigte ihn noch länger. Es war wahr, sie war einfach keine sexy Verführung mehr, sondern ein Mädchen im Rollstuhl und einer Piratennarbe über dem Auge.

Auch Alena spürte sehr bald, dass sich die Beziehung zwischen ihnen veränderte. Und auch wenn Brian nicht mehr so häufig vorbei kam, war es ihr auf der anderen Seite ganz Recht, da sie momentan sowieso auf nichts und niemanden Lust hatte.

 

Heute war der zweite Tag, an dem ein paar ihrer Kommilitoninnen sie besuchen kamen.

Jazzy und Christina betraten ihr Zimmer und brachten ihr ein paar Blumen mit.

Sie waren zu ihrer Unizeit ihre besten Freundinnen.

Sie lachten gern mit einander und unterhielten sich über Gott und die Welt.

Jazzy, mit richtigen Namen Jessica, hatte eine wilde Seite und war kaum zu bremsen, wenn sie einen Jungen sah, der ihr besonders gut gefiel. Mit ihrem besonders großen Vorbau und ihrem wilden Charakter schaffte sie es dann auch tatsächlich immer ziemlich einfach, den Jungen ihrer Begierde um den Finger zu wickeln.

Nur an einen Jungen kam sie damals nicht heran.

„Ok Mädels jetzt passt mal auf. Wisst ihr noch wie ihr mir erzählt habt, dass Tom sich niemals mit mir einlassen würde, weil er für mich zu schüchtern sei? Nun ja, ich werde es euch diesmal beweisen, dass ich ihn sehr wohl verführen kann. Und wenn ich die Wette gewinne, müsst ihr mir einen ausgeben!“ Hatte sie damals gesagt.

„Ach ja? Und wie willst du das machen? Du weißt doch wie schlau und doch so schüchtern er ist. Und wenn du ihn nicht zu einem konservativen Paukabend zu dir Nachhause einlädst, wo du zur Abwechslung mal nicht von anzüglichen Dingen, sondern ausnahmsweise mal von dem Stoff reden willst, von dem du auch eher nur geringfügig Ahnung hast, dann wird dieser Abend in einem reinen Desaster enden.“ sagte Christina und lachte. Christina war im Gegensatz zu Jazzy eher die Schlaue und Zurückhaltende, die Alenas Meinung nach vom Charakter her zumindest eher zu Tom gepasst hätte.

Doch sie hatte im Vergleich zu Jazzy kein Interesse an Tom und Jazzy schien fast schon besessen von dem Gedanken zu sein, Tom endlich mal herum zu kriegen. Wie heißt es doch so schön..Gegensätze ziehen sich an.

Sie musste lachen, als sie an diese Story dachte.

Mit diesen Beiden konnte man einfach immer die Zeit totschlagen, ohne dass die Uni dabei langweilig wurde.

„Pahh, ich habe sehr wohl gelernt und werde dies nun auch genau zu meinem Vorteil ausnutzen. Ihr werdet schon sehen!“ Alena und Christina grinsten dabei nur, doch Jazzys Taktik schien tatsächlich zu funktionieren.

Anfangs setzte sie sich einfach spontan zu ihm in die Reihe und fragte ihn über gewisse Sachen zum Unterricht aus. Auch wenn Tom das Ganze eher unangenehm war und man ihm deutlich ansah, dass ihre Nähe ihn eher verunsicherte, war er dann doch nach geraumer Zeit immer offener und unterhielt sich immer mehr mit ihr.

Für Alena und Christina war es verblüffend, sich das Ganze aus der Ferne an zu sehen und dabei fest zu stellen, dass sie tatsächlich ihr Ziel erreichen würde.

Auch wenn sie in diesem Fach deutlich weniger Ahnung als Tom hatte, schaffte sie es immer wieder, mit ihrer Redegewandtheit und ihren schlauen Witzen, Tom zum Lachen und Flirten zu bringen. Eines Tages kamen sie dann Hand in Hand in die Uni und Christina und Alena fielen buchstäblich die Kinnlade runter.

„So, wo ist den nun mein Kaffee?“ Fragte sie die beiden frech und Christina und Alena mussten nachgeben.

„Na hoffentlich bleibt es nicht nur bei einer Kurzbeziehung, so sprunghaft wie du bist..“, „ja, der arme Tom tut mir jetzt schon Leid“ sagte Christina hinterher.

Doch die Beziehung schien tatsächlich an zu halten und im Gegensatz zu ihren Macho-Exfreunden, schien der stille Tom genau der Richtige für die sonst so wilde Jazzy zu sein.

 

Diese Mädels waren einfach die perfekten Kumpaninnen für sie. Sie hingen zusammen in der Uni ab und gingen nachts in die Disko, um sich die Seele vom Leib zu tanzen. Sie liebte es, wenn sie nach dem anstrengendem Büffeln einfach mal abends los ziehen konnte, um sich bewusstlos zu tanzen oder einfach mal raus in die stille Natur zu gehen, um dann dort zu joggen. Es tat einfach gut, die frische Luft ein zu atmen und sich dabei aus zu powern, nachdem sie den halben Tag in dieser stickigen Universität verbracht hatte.

Doch mit diesem schönen Gedanken an die Vergangenheit wurde ihr abermals bewusst, was nun aus ihr geworden war. Sie würde nie wieder in der Lage sein, diese Uni zu besuchen, denn niemand würde einen Arzt in einer Klinik gebrauchen, der noch nicht mal vom Stuhl aufstehen konnte.

Ihre Tage in der Uni waren gezählt und auch wenn sie dort gerade mal ein knappes Jahr verbracht hatte, kam in ihr wieder der Frust hoch, dass nun das ganze Büffeln und ihr Zukunftswunsch um sonst waren.

 

Die nächsten Tage kam dann endlich ihre Cousine Sabine zu Besuch. Auch wenn sie nach wie vor lieber ihre Ruhe gehabt hätte, war Sabine in diesem Moment tatsächlich die einzige Person, auf die sie sich bisher am meisten freute.

Mit ihren Kommilitoninnen verstand sie sich zwar auch sehr gut aber mit Sabine war es einfach etwas anderes. Sie kannten sich ihr Leben lang, sie waren durch verschiedene schwierige Situationen gegangen und auch wenn sie manchmal nicht einer Meinung waren, war Sabine immer die Einzige gewesen, die stets zu ihr gehalten hatte und wusste, wie sie tickte.

Sie konnte sich noch genau daran erinnern, als ihre und Sabines Familie einen Ausflug nach Österreich gemacht hatten, um dort Skifahren zu gehen.

Alena war damals sechs Jahre alt und Sabine war neun. Sie hatten sich damals von ihrem Hotel in Tirol entfernt und liefen zum Inn, um dort zu spielen. Es war ein wunderschöner Wintertag im Januar und obwohl überall Schnee lag und Minustemperaturen herrschten, brannte die Sonne auf sie herab und Sabine bekam einen leichten Sonnenbrand im Gesicht.

Sie hüpften durch den Schnee und hielten am Inn an, um den Verlauf des Wassers zu beobachten. „Dieser Fluss ist ganz schön breit findest du nicht? Bei uns gibt es nicht so breite Flüsse wie den hier“.

„Ja, wir wohnen ja auch in einem Dorf, Dummerchen“ sagte Sabine und Alena gab ihr einen Ruck mit der Hand. „Is ja schon gut. Was meinst du wie tief dieser Fluss ist? Die Strömung scheint ja ganz schön stark zu sein. Da wollte ich jetzt besser nicht baden gehen. Was meinst du wie tief das Wasser ist?“.

„Hmm..weiß nicht, vielleicht ein paar Meter oder so..“ setzte Sabine an.

Sie saßen direkt am Ufer und schauten zum Fluss herab, doch Alena bemerkte zu spät, dass sie nicht am Uferrand, sondern auf einer Eisplatte saß. Dadurch, dass so viel Schnee darüber war, konnte man schlecht erkennen, was sich darunter verbarg.

Da brach die Eisplatte und Alena landete mit einem Ruck im eiskalten Fluss. „Alena!“ schrie Sabine herab. Alena tauchte aus dem Wasser wieder auf und konnte durch diesen plötzlichen Kälteschock nicht mehr atmen. Die Strömung riss sie sofort mit und erst ein paar Sekunden später schaffte sie es, sich an einem Ast eines umgestürzten Baumes im Wasser fest zu halten. „Alena! Halt dich fest!“ Alena schnaubte immer noch nach Luft und hatte wahrlich damit zu kämpfen, den Ast nicht los zu lassen. Sabine versuchte den Uferrand herab zu klettern, doch sie merkte schon bald, dass nun auch unter ihren Beinen das Eis brach und sie selbst fast in den Fluss stürzte.

Wie sollte sie sie nur da heraus holen, wenn sie selbst fast kurz davor war, in den Fluss zu stürzen. Sie überlegte einen kurzen Moment. „Sabine, hilf mir!“.

„Ja ich werde dir helfen aber du musst durchhalten! Ich werde zu Mom und Dad rennen und ihnen Bescheid sagen, halte durch!“ .

Alena fing an zu zittern. Das war einfach zu viel für sie. Doch Dank des Schocks, konnte sie zumindest diese verdammte Kälte nur ein bisschen wahr nehmen. Sabine rannte sofort los, als wäre sei von einer Tarantel gestochen worden und Alena blieb nichts anderes übrig als zu warten. Denk an irgendwas anderes, dachte sie sich. Denk daran, als du mit deinem Vater über die Brücke gelaufen bist und es schön warm draußen war und die Menschen sich freuten, weil sie einen warmen Sommertag genießen konnten.

Alena schloss ihre Augen und dachte an den Tag, als sie mit ihrem Vater in ihrem Heimatdorf über eine Brücke ging und er ihr dabei eine schöne Kette schenkte. Der Anhänger war ein goldener Anker und Alena fragte ihn, warum er ihr eine Kette mit einem Anker schenkte. „Was ist das Daddy?“ fragte sie ihn.

„Das ist ein Anker mein Schatz. Er symbolisiert das Zeichen für Hoffnung. Ich will dir diese Kette schenken, damit du niemals vergisst, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Nimm es als Andenken dafür, dass du im Leben niemals aufgeben solltest und immer weiter kämpfen musst.“ Hatte ihr Vater gesagt.

„Oh danke, Daddy!“ Schrie sie und fiel ihm um die Arme. In diesem Moment half es ihr tatsächlich, an diese Situation von damals zu denken, denn die Minuten gingen herum.

Der Schock ließ ein wenig nach und sie spürte auf einmal wieder diese unglaubliche Kälte an ihrem Körper.

Zu allem Unglück riss dann auch noch der Ast, an dem sie sich verzweifelt versuchte fest zu halten. Er war zum Glück nicht ganz abgerissen aber jetzt kam es ihr so vor, als würde sie nur noch an ein paar losen Fäden hängen und bekam es wieder mit der Angst zu tun.

Diese Strömung war so stark, dass der Ast bald reisen würde und von Sabine oder Mom und Dad war immer noch nichts zu sehen.

„Verdammt, wo bleiben die denn nur?“ , dachte sich Alena.

Doch dann hörte sie endlich die Sirenen. Es war ein Feuerwehrauto, das sich ihr näherte und dann konnte sie aus der Ferne hören, wie sich ihr Schritte näherten, sowie die Schreie ihrer Mutter.

Es waren tatsächlich Feuerwehrleute, die kamen und sie endlich aus diesem kalten Wasser heraus zogen.

Sie wurde sofort in eine Decke gewickelt und vor einen Kaminofen gesetzt.

Ihre Mutter fiel ihr sofort weinend um die Arme und ihr Vater kam sofort nach. Das erste mal in ihrem Leben erlebte sie, wie verzweifelt ihre Eltern waren, nur weil sie in einen Fluss gefallen war. Neben ihren Eltern konnte sie Sabine sehen, die sie mit großen Augen beobachte.

Alena stand auf und ging zu ihrer Cousine. „Danke dass du mir gleich geholfen hast“ sagte sie zu ihr. „Na das war doch selbst verständlich. Du hättest doch das Gleiche für mich getan“ sagte Sabine und sie konnten wieder anfangen zu lachen.

 

Das wäre eine Geschichte, mit der sie ihre ganze Klasse zum Staunen bringen konnten und vor allem eine Geschichte, mit der sie überall prahlen würden. Sabine als Lebensretterin und Alena, die tapfere Heldin, die es schaffte, die eiskalten Todesmassen des Wassers zu überleben.

 

Alena fing an zu schmunzeln. Damals waren sie noch stolz auf diese Geschichte und sie fanden es ziemlich cool, allen davon zu erzählen. Doch jetzt wo sie kein Kind mehr war und an diese Geschichte zurück dachte, war sie doch schockiert darüber, wie leichtsinnig sie damals gewesen waren, weil sie sich so nah an den Uferrand gesetzt hatten und was vor allem sonst noch alles hätte passieren können.

Jedenfalls wurde ihr in diesem Moment abermals bewusst, was sie und Sabine schon alles zusammen erlebt hatten. Nun war sie eine erfolgreiche Bankerin und hatte Tag täglich damit zu tun, Zahlen und Fakten zu studieren. Auch wenn sie sich nicht mehr so häufig sahen, wegen all der Arbeit, fanden sie doch immer wieder Zeit, sich für einen kurzen Ausflug oder einen gemütlichen Restaurantbesuch zu verabreden.

 

Als Sabine sie zum ersten mal sah, konnte sie auch in ihren Augen deutlich den Schock erkennen.

Sabine drückte sie ganz fest an sich und sagte nur „Ach Mäuschen, was haben dir diese Schweine da nur angetan..“ „Ja, ich weiß, dass ich auch schon mal besser aussah..“ Sabine sah sie kurz an.

Doch statt wie ihre Kommilitoninnen oder ihr Freund sich andauernd an zu schweigen oder darüber zu reden, wie schlimm doch die ganze Situation war, schnitt sie ein anderes Gesprächsthema an.

„Erzähl mir lieber was Neues. Wie läufts mit dir und deinem Freund?“..Alena wurde wieder nachdenklich. „Na ja, du weißt ja. Abgesehen von der Tatsache, dass wir jetzt nichts mehr zusammen anstellen können, ganz ok schätze ich..“.

Sabine verzog das Gesicht. „Na ja, wenigstens bleibst du immer noch seine kleine Prinzessin. Ich wünschte, ich könnte das selbe über meinen Freund sagen..“.

Alena wurde wieder still. Es war verblüffend, dass sie sich über alles außer ihren Freunden unterhalten konnten. Ihr Freund war ein Afghane und sie hatte ihn ebenfalls auf der Arbeit kennen gelernt. Und wie es so oft mit der muslimischen Kultur war, glich auch er eher einem Macho, der nicht wirklich die Arbeit seiner Frau respektierte.

Auch Brian, konnte ihr mit seinem Ego manchmal ganz schön auf den Geist gehen aber zumindest redete er ihr nicht ein, dass sie ihre Arbeit nicht richtig machte oder nörgelte an ihrem Aussehen herum.

Sabine war oft der Meinung, dass ihr Freund nicht wirklich Gefallen an ihr hatte und war teilweise auch neidisch auf sie, da Brian zumindest noch Gefallen an ihrem Körper hatte, während ihr Freund eher anderen Frauen hinterher starrte.

„Ach, weißt du.. manchmal denk ich mir, dass er nur deswegen mit mir zusammen ist, weil ich nen gut bezahlten Job hab. Ich glaube, wenn es nach ihm gehen würde, hätte er vom Aussehen her lieber so ne Frau wie dich. Nicht so nen speckigen Pumuckl wie mich.“ Sagte Sabine und Alena sah sie nachdenklich an. Sie konnte ihre Worte nicht verstehen.

Immer wenn sie ihre Cousine von der Seite betrachtete, musste sie sie bewundern. Sie hatte diese schneeweiße, helle Haut, die von Sommersprossen überseht war. Sie hatte deutlich mehr Kurven als sie selbst und mit ihren feuerroten, gelockten langen Haaren, erinnerte sie sie manchmal an eine Prinzessin aus dem 16. Jahrhundert oder eine Märchengestalt aus den Gebrüder Grimm Geschichten.

Sie war auf ihre eigene Art und Weise sehr schön, wie sie fand und konnte nicht verstehen, warum sie mit ihrem eigenen Körper so unzufrieden war. Im Mittelalter wäre sie eine absolute Schönheit gewesen, doch Alena wurde abermals bewusst, dass jede Zeitepoche seine eigene Vorstellung von „Schönheit“ hatte. Damals entsprachen weiße, füllige Frauen dem absoluten Schönheitsideal, während in der heutigen Gesellschaft eher braun gebrannte, schlanke Frauen wie sie, dem Schönheitsideal entsprachen.

Und auch wenn die Leute einem immer vorgaukelten, dass Schönheit relativ sei und im Auge des Betrachters lag, so ließen sich die meisten Menschen die sie kannte, doch lieber von den Vorstellungen der Medien lenken, ohne einen eigenen Geschmack zu entwickeln.

Erstaunlich wie gut die Gehirnwäsche in dieser Gesellschaft funktionierte.

Sie fand jedenfalls, dass Sabine mit ihrem eigenen speziellen Look ebenfalls eine Schönheit war. Sie war vom Aussehen her eher genau das Gegenteil von ihr. Nicht, dass sie mit ihrem eigenen Aussehen unzufrieden war. Alena liebte ihren Körper genau so, wie er war, doch Sabine hatte eine andere Art von Schönheit an sich.

Ihrer Meinung nach war jeder Mensch auf seine eigene Art und Weise schön, doch die Menschen, vor allem die Frauen heute zu Tage versuchten sich ständig zu verändern, um sich diesem sogenannten Schönheitsbild der Medien an zu passen und gingen dabei sogar so weit, sich unters Messer legen zu lassen, nur um irgend einem von Medien erschaffenem Bild zu ähneln, ohne dabei die eigenen Vorzüge zu erkennen.

Alena musste diese scheinheilige Modewelt immer belächeln. Früher machte sie sich noch lustig darüber. Sie war sogar erstaunt darüber, dass Leute tatsächlich bereit dazu waren, Geld für eine Tratschzeitschrift aus zu geben, auf der eine Daniela Katzenberger ihre neuen Brüste präsentierte und auf der anderen Seite die Leute sie dafür lobten, weil sie ja so eine „natürliche Schönheit“ ausstrahlte, was ja an sich schon ein Widerspruch war.

Nur weil von den ganzen Barbie-Klonen, ausnahmsweise mal eine dabei war, die vielleicht einen etwas höheren IQ hatte, wurde sie deshalb in den Himmel gehoben, als handelte es sich dabei um den neuen Einstein.

Manchmal kam es ihr auch so vor, als wenn ihre etwas vorhandene Intelligenz auch eine Entschuldigung dafür war, dass man sich ja auch den Körper für Schönheits-OPs aufschneiden lassen konnte, solange man dabei Selbstbewusstsein ausstrahlte.

Es war, als gebe es kein wichtigeres Thema für sie. Nicht dass sie was dagegen hätte, wenn Menschen ihre Schönheit betonten.

Es war das Recht jeder Frau, die Weiblichkeit zu betonen und auch zu zeigen. Doch wenn dies soweit ging, dass sie sonst überhaupt nichts anderes konnten und nebenbei her der jungen Generation noch beibrachten, den eigenen Körper zu hassen, da man ja als Frau nur schön war, wenn man sehr schlank war aber auf der anderen unrealistischen Seite natürlich sehr große Brüste und einen riesigen Hintern haben sollte, dann fand sie diese Entwicklung eher sehr fragwürdig.

Früher hatten sie solche Themen nicht sonderlich interessiert, da sie mit ihrem Körper zufrieden war und noch andere Sorgen hatte, außer den Vorstellungen von einem Sexobjekt eines Mannes zu entsprechen.

Doch nun, wo sie entstellt war und an einen Rollstuhl gefesselt war, kam ihr immer mehr der Hass raus, wenn sie jene oberflächliche Menschen sah, die von der Gesellschaft für ihr Nichtskönnen und der Verstümmlung des eigenen Körpers auch noch gefeiert wurden. Und da sie jetzt besonders viel Zeit hatte, um Fernsehen zu schauen, bekam sie das Gefühl, dass es tatsächlich kein anderes Thema mehr im Leben einer Frau gab. Reality-Shows, Talkshows, Filme..Überall war der selbe Typ Frau abgebildet und das Thema Schönheit war natürlich genau das, womit man sich als Frau von morgens bis abends beschäftigen musste. Andere Sachen waren natürlich nebensächlich.

 

Nichts desto trotz. Sabine und sie saßen nun beide im selben Boot und Alena konnte einfach nicht verstehen, warum sie sich nicht von diesem Idioten trennte.

Sie konnte einfach nicht verstehen, wie man sich als Frau für einen Mann so zum Idioten machen konnte.

Selbst wenn Brian ihr mit seinem Schönheitstick zu sehr auf die Nerven ging, wies sie ihn in die Schranken und sagte ihm, dass er besser jemand anderem damit auf die Nerven gehen sollte, bevor sie wütend werden würde. Und im Endeffekt hing sie auch nicht so sehr an Brian, dass er für sie als Freund unvermeidbar wäre.

Da sie jetzt natürlich an einen Rollstuhl gefesselt war, betrachtete sie die Situation natürlich auch etwas anders.

 

Die Tage vergingen und ihre Situation wurde immer unerträglicher. Mit jedem weiteren Tag der verstrich, merkte sie dass sie noch weniger Lust hatte auf zu stehen. Manchmal lag sie auch nur den ganzen Tag im Bett und heulte einfach nur Stundenlang.

Und auch diese blöde Psychotherapie schien nicht zu helfen.

 

Jedes mal, wenn sie in dem Zimmer saß, kam die selbe Frage. „Wie fühlen sie sich?“ Immer und immer wieder und es ging ihr langsam auf die Nerven.

Es war ja nicht so, als wenn sie ihr nicht schon alles aus ihrem Leben erzählt hätte und da sie sich den ganzen Tag über hundeelend fühlte und nichts machte, außer in ihrem Zimmer zu sitzen, konnte sie ihr auch nichts Neues berichten, außer dass ihre Kommilitoninnen und ihr Freund sie mal wieder besuchten und sie sich die meiste Zeit über bloß wieder anschwiegen.

Dann kamen immer dies merkwürdigen Minuten, in denen sie ihr alles Neues berichtet hatte und nicht mehr wusste, was sie ihr sonst noch hätte erzählen sollen und die Psychologin sie einfach nur anstarrte.

Sie hatte wie immer ihre strahlendes Gesicht aufgesetzt und hoffte darauf, dass sie von sich aus noch etwas anderes zu erzählen hatte.

Es war ihr unangenehm.

Die Tipps und Ratschläge, die sie ihr gab waren eher wenige und vor allem immer die selben. „Treffen sie ihre Freunde noch öfter und unterhalten sie sich mit ihnen über alles mögliche!“ sagte sie immer zu ihr, doch dabei schien sie nicht zu begreifen, dass ihre Freunde nach einer gewissen Zeit einfach selbst nicht mehr wussten, über was sie mit ihr noch reden sollten und mit der Situation eher überfordert waren.

Und wenn dann wieder dieser Moment kam, in der sie die Psychologin einfach nur anstarrte, ohne irgendwas zu sagen, weil sie darauf hoffte, dass Alena von sich aus noch was zu erzählen hatte, dann wurde sie wieder wütend. Wurde sie etwa fürs Schweigen bezahlt? Und dafür, dass sie einem immer wieder die selben dämlichen Ratschläge gab, die sowieso nichts brachten?

Alena hatte so langsam das Gefühl, dass sie nur deswegen Psychologin war und sich mit diesen ganzen Zertifikaten schmückte, weil sie damit viel Geld verdienen wollte und nicht, weil ihr das Leiden ihrer Patienten wirklich am Herzen lag.

Nur weil man die Psyche der Menschen verstand, hieß das deswegen noch lange nicht, dass man deswegen selbst sein Verhalten ändern musste, so lange es einem selbst genügend Vorteile brachte.

Es ging jedenfalls ein weiterer sinnloser Therapietag herum und ein weiterer ermüdender Tag mit ihren Freundinnen stand ihr bevor.

 

Doch zuvor kam ihre Mutter mal wieder zu Besuch. Sie kam fast immer nur einmal in der Woche vorbei und Alena merkte ebenfalls, dass durch die seltenen Besuche ihrer Mutter, sich auch die Beziehung zwischen ihren Eltern verschlechterte.

Seitdem sie sich eine Wohnung in der Nähe des Krankenhauses genommen hatte, hatte sie auch keinen besonders weiten Weg zu ihrer Cousine Sabine, die mit ihrer Familie ebenfalls nur ein paar Straßen weiter wohnte, wodurch sie sich sehr oft besuchen konnten.

Doch nun sah es so aus, als ob sie ihren Bruder fast häufiger besuchen kam, als ihre eigene Familie und man konnte deutlich die Angespanntheit zwischen ihren Eltern erkennen.

Yusuf wollte Elisabeth umarmen, doch sie war so müde und erschöpft, dass sie ihn ablehnte.

„Was ist denn schon wieder mit dir? Willst du denn jetzt die restliche Liebe zwischen uns auch noch ersticken?“ fragte ihr Vater genervt.

„Entschuldigung, wenn ich den ganzen Tag hart arbeiten war und jetzt zur Abwechslung auch mal meine Ruhe haben will.“ „Aber wir sehen uns doch eh so wenig. Wir könnten auch mal wieder ein bisschen mehr Zeit füreinander haben.“

„ja und was ist mit den Kindern? Du weißt genau, dass ich nicht länger als einen halben Tag hier bleiben kann. Ich will kein Risiko eingehen. Also können wir ja zur Abwechslung ja auch mal etwas mehr mit der Familie machen, als als nur zu zweit die Zeit tot zu schweigen.“

Ihr Vater fuhr sich durch die Haare. Es war einfach eine deprimierende Situation. Ihre Mutter war nun übervorsichtig und ihr Vater war am verzweifeln, weil er die Zeit nicht mehr wie früher mit ihr genießen konnte. Sie fehlte ihm, doch dieses verdammte Attentat hatte ihr gesamtes Leben verändert und sie war auch noch die ausschlaggebende Ursache dafür.

Wieder durchfuhr sie ein Schmerz in der Brust, da ihre Familie nicht mehr dieselbe war und ihre Eltern sich mal wieder nur miteinander stritten, anstatt den einen Tag der Woche, den sie nur hatten, gemeinsam genießen zu können.

 

Aber es waren nicht nur ihre Eltern.

Auch ihr Bruder Elyas hatte sich ihr gegenüber verändert. Auch er war einfach komplett überfordert mit der gesamten Situation und wusste nicht, über was er sich mit seiner Schwester unterhalten sollte.

Das letzte Mal, als er wieder ihr Zimmer betrat, verfiel er sofort wieder in seine Rachegedanken und Alena merkte, wie sie langsam wieder wütend wurde. Sie wollte nicht andauernd über diese Drama reden, sondern zur Abwechslung auch mal ein anderes Gesprächsthema haben. Es war schon schlimm genug, wenn sie bei ihrer Psychologin ständig über das selbe Thema reden musste.

Elyas meinte es sicher nur gut mit ihr, als er ihr wieder einmal erzählte, was er mit ihren Peinigern anstellen würde, wenn er sie zufassen kriegen würde, doch Alena sagte nur genervt zu ihm: „Elyas bitte. Ich kann es nicht mehr hören. Du kannst momentan sowieso nicht viel ausrichten. Es gibt keine heiße Spur, also bringen diese ganzen Androhungen sowieso nichts und außerdem will ich nicht mehr über dieses verdammte Thema sprechen, bitte!“

„Ja, ist doch schon gut. Du vergisst wohl, dass ich dir nur helfen will. Tut mir ja Leid, wenn ich an eine Religion glaube, in der man die Familienmitglieder beschützen und verteidigen muss“

Alena fuhr sich durch die Haare.

„Na und? Was bringen dir deine ständigen Rachegedanken? Ich habe auch einen riesigen Hass auf diese Mistkerle. Aber wenn du einfach losziehst und meinst, du könntest ihnen vor Ort einfach so die Beine brechen und damit davon kommen, dann würde ich dir lieber davon abraten, weil es nichts bringt, dafür dann mehrere Jahre hinter Gitter zu wandern.“ „Ich würde diesen Schicksalsschlag für dich in Kauf nehmen.“ sagte ihr Bruder.

„Ich weiß Elyas und ich danke dir auch dafür aber wenn wir sie schlagen wollen, müssen wir dies auf eine andere Art und Weise machen. Außerdem sind wir nicht besser als diese Tiere, wenn wir genau so hinterhältig agieren.“

Ihr Bruder seufze. Er meinte es nur gut mit ihr aber sie merkte, dass auch er genervt darüber war, dass sie ihn nicht dafür anhimmelte, weil er alles geben würde, um seine Schwester bis in den Tod zu verteidigen.“

Wie immer war es die Religion, die die Menschen zu Rachetätern machte aber da sie ihren Bruder liebte und nicht enttäuschen wollte sagte sie ihm trotzdem, dass sie es zu schätzen wissen würde. Auch wenn sie ihn auf der anderen Seite immer wieder darauf hinwies, einen anderen gerechten und vor allem schlauen Weg zu finden.

 

Als ihre Mutter wieder fort war, kamen kurze Zeit später ihre Kommilitoninnen wieder zu Besuch.

Sie hatten mal wieder Blumen mitgebracht und auch wenn sie sich darüber freute, wusste sie auch jetzt schon, dass dieser Tag wahrscheinlich wieder sehr schweigend verlaufen würde.

Da saßen nun ihre sonst immer so gut gelaunten Freundinnen um sie herum und wussten wie immer nicht, worüber sie mit ihr reden sollten.

„Danke für die Blumen. Ich weiß, dass ich deshalb auch nicht wieder laufen kann aber sie gefallen mir wirklich sehr gut.“.

„Ach das ist doch selbst verständlich. Nun ja..wie willst du denn jetzt weiter machen. Also ich mein wegen der Uni und so..“ fragte sie Jazzy.

„Ich denke ich werde mich wieder ausschreiben.“ „Aber wieso? Du bist immerhin schon ein Jahr dabei und du kannst doch trotzdem noch was damit erreichen“, wand Christina ein.

„Was soll ich damit jetzt noch großartig erreichen? Niemand kann einen Arzt gebrauchen, der seine Patienten fragt, ob er mal kurz das Stethoskope für ihn halten kann.“

Christina und Jazzy schauten sich ratlos an. „Na ja und was willst du dann stattdessen jetzt tun?“ fragte Jazzy wieder. „Ich weiß es nicht. Ich hab mich mit dieser Frage bisher eh noch nicht so wirklich beschäftigt, da mich mein Leben gerade ziemlich ankotzt..“. „Hmm..“ sagte Chrsitina darauf nur.

Es war einfach eine komische Situation. Sonst waren sie immer die Partyfreundinnen und nun saßen sie wieder in in diesem Zimmer und fühlten sich überfordert.

„Nun ja, mach dir keinen Kopf, wir werden dich trotzdem weiterhin besuchen kommen und du wirst schon wieder auf die Beine kommen“ antwortete Jazzy mit einer schroffen Handbewegung. Doch es kam anders als sie gesagt hatte.

Ihre sonst so besten Freundinnen verloren plötzlich die Lust daran sie zu besuchen und die Besuche wurden somit immer weniger. Wie sollte man auch mit seinen Partyfreunden feiern gehen, wenn man selbst nicht mehr zur Party gehen konnte, um dort zu tanzen oder in der Uni herum zu albern.

Die Anzahl ihrer Besuche nahmen exponentiell ab. Wie bei einem lächerlichen Kurvendiagramm, dass sie einmal in Mathematik an der Tafel erklären musste. Genauso war es bei ihren Freundinnen, bis sie dann plötzlich gar nicht mehr kamen. Wieder schossen ihr die Tränen hoch und sie hatte hart damit zu kämpfen, nicht wieder in einem Heulkrampf zu enden.

 

Nach diesen paar Monaten, in denen sie auch Brian nicht mehr so häufig besucht hatte, musste sie unbedingt eine Gewissheit haben. Zumindest er musste sie noch lieben und sie wie einen normalen Mensch zu schätzen wissen und somit nahm sie zum ersten Mal von sich aus das Handy in die Hand, um ihn an zu rufen.

 

Das Handy wählte seine Nummer an und nach ein paar Sekunden meldete sich Brian am Handy. „Hallo?“ „Ja, ich bins..“. „Oh hi...wie geht’s dir?“. Sie überlegte einen Moment.

Abgesehen von der Tatsache, dass nun auch ihre besten Freundinnen sie hängen ließen, sie nicht mehr die Uni besuchen konnte und nach wie vor in dieser beschissenen Lage war, konnte man ihre Situation wohl kaum als schön bezeichnen.

„Na ja, du weißt ja..es geht so. Wie immer halt. Hast du gerade Zeit, um vorbei zu kommen? Ich vermisse dich..“

Einen Moment war Funkstille im Handy.

„Na ja weißt du Alena..eigentlich passt es mir momentan gerade nicht so gut. Ich muss noch viel lernen für die nächste Klausur..“.

Nun war Alena still. Sonst hatte er nie Zeit, um zu lernen und plötzlich wollte er unbedingt lieber lernen, als sich mit ihr zu treffen. Auch wenn sie jetzt schon eine leise Vorahnung hatte, was hier vor sich ging, wollte sie ihn in diesen Moment nicht aufgeben. Wenn er sie nun auch noch im Stich lassen würde, würde sie ganz zusammen klappen.

„Ach, dann komm doch einfach zu mir. Ich kann dir vielleicht ein bisschen dabei helfen und später haben wir dann noch ein wenig Zeit für uns.“

Brian überlegt einen Moment. „Ok, ich komm vorbei. Bin dann in zwanzig Minuten bei dir“. „Ok, liebe dich“, „ich dich auch“.

 

Auch wenn sie zusammen lernten und Alena nach wie vor mit ihrem Wissen glänzen konnte, merkte sie sehr schnell, dass sich Brian immer mehr ihr gegenüber veränderte. Nun war er derjenige, der nicht mehr so viel redete und eher abwesend wirkte. Sie dachte, wenn sie von sich aus ihm wieder mehr Zuneigung zeigte und ihn gleichzeitig damit zeigen wollte, dass ihre Lebensenergie zurück kehrte, hatte es nicht den erhofften Effekt, den sie sich wünschte.

Er blieb weiterhin kühl ihr gegenüber und hatte nicht mehr wirklich Interesse. Wenn sie sich trafen, war sie nun diejenige, die ihn immer anrufen musste und von seiner Seite aus kam fast nichts mehr.

Eines Tages, als er sie spazieren fuhr und dabei wieder kein einziges Wort mit ihr sprach, hielt es Alena nicht mehr aus und brach ihr Schweigen.

„Ok, was ist nun los zwischen uns?“, „was meinst du?“ fragte Brian kühl. „Du weißt genau, was ich meine! Seit dieser ganzen Geschichte, hat sich einfach alles verändert. Du nimmst mich nicht mehr zu deinen Freunden oder deinen Footballspielen mit. Du rufst mich nicht mehr an und wenn wir zusammen sind haben wir keine Gesprächsthemen mehr! Es kommt mir vor, als wenn du mich nur spazieren fährst, weil es gemacht werden muss, nicht weil du dich freust, mich zu sehen...“

„Alena, ich weiß nicht was ich sagen soll..ja, es hat sich alles verändert. Aber das ist nicht nur meine Schuld. Ich wollte den Kontakt zu dir aber du hast dich so dermaßen verändert. Du warst gar nicht mehr ansprechbar und wolltest lieber in Ruhe gelassen werden. Du unternimmst nichts mehr und kommst mir wie eine vollkommen andere Person vor!“.

„Ok, ich weiß, dass ich in letzter Zeit nicht besonders zugänglich war aber was hast du denn bitteschön erwartet?? Dass ich nach dieser Folterung wieder mein alltägliches Leben fort setze und so tu, als wenn nichts gewesen wäre?? Glaubst du, ich kann von den einen auf den nächsten Tag einfach so vergessen, was in jener Nacht passiert ist und wieder glücklich sein? Ich bin traumatisiert und sehe diese Mistkerle jeden Tag in meinen Albträumen und wenn ich aufwache stell ich wieder fest, dass ich nicht laufen kann! Glaubst du ich kann mit dieser Sache einfach so abschließen??“

„Es ist ja nicht erst seit gestern der Fall, das Ganze ist mittlerweile schon fast ein Jahr her und du bist immer noch depressiv. Es ist ja nicht nur das..früher konnten wir zusammen irgendwo abhängen oder gemeinsam feiern gehen aber mittlerweile kannst du das nicht mehr machen..“

 

Alena hielt bei diesen Aussagen inne. „Aha..dann ist es also mal wieder das alte Problem.. Du willst mir was erzählen von wegen, dass das Ganze jetzt schon fast ein Jahr her ist und ich mich nicht so anstellen soll aber du hättest in dieser Situation natürlich ganz anders reagiert. Du..Mister Perfect, bei dem die Haare und der Körperbau immer stimmen muss. Ich schätze mal, wenn du eines Tages im Rollstuhl gelandet wärst und nebenbei her noch dein Gesicht entstellt wäre, hättest du das Ganze auf die leichte Schulter genommen.

Und auch wenn dich deine Kumpels am nächsten Tag auslachen würden, weil du plötzlich keiner mehr von ihnen wärst, würdest du es mit Humor nehmen und nicht etwa in deinen Minderwertigkeitskomplexen versinken..“

„Alena,..so habe ich das nicht gemeint..aber es ist einfach alles zu viel für mich. Ich muss meinen Alltag wegen dir einschränken und es ist einfach nicht mehr das selbe wie früher..“

Alena merkte wieder, wie ihr die Tränen aufstiegen. Sie hätte früher schon erkennen müssen, was für ein selbstverliebtes Arschloch er war, doch sie hätte niemals damit gerechnet, dass sie eines Tages im Rollstuhl sitzen würde und dann auf der anderen Seite selbst von ihrem eigenen Freund noch so dermaßen gedemütigt werden würde.

„Dann wirst du wohl mit mir Schluss machen, habe ich Recht?“ „Alena, ich..“

„Schon gut, bitte geh einfach..“ Brian fasste sich mit der Hand unsicher durch die Haare, dann drehte er sich um und verließ sie wortlos.

 

 

Die Tränen kamen ihr diesmal nicht so schnell ins Gesicht. Sie hatte das Gefühl, dass sie mittlerweile schon so viel geweint hatte, dass sie keine Tränen mehr übrig hatte und in ihr alles nur noch von Unzufriedenheit, Hass und Trauer zerfressen war. Sie war ein Krüppel im Rollstuhl. Ein lebender Organismus, der vor sich hin vegetierte und für nichts und wieder nichts zu gebrauchen war.

Das Joggen in der Natur, das gemeinsame Tanzen mit ihren Freundinnen, das Feiern, das Lachen, das Unileben..all das war wegen ihrer Behinderung nun vorbei. Sie würde nie wieder die Muskeln beim Laufen in ihren Waden spüren und dabei den Wind auf ihrer geschwitzten Haut.

Und neben ihren physischen Entstellungen musste sie nun auch feststellen, dass sie all ihre Freunde verloren hatte.

Ihre Kommilitoninnen hatten keine Zeit mehr für sie und waren überfordert und Brian, ihr sogenannter fester Freund, hatte sie aus Eitelkeit ebenfalls verlassen. Sabine musste wieder mehr arbeiten und hatte somit auch nicht mehr wirklich viel Zeit und wenn sie in die Augen ihrer Familie blickte, wurde ihr sowieso wieder ihr trauerndes Spiegelbild vorgehalten.

Ihre Familie lachte nicht mehr und diese Tage machten sie vollkommen fertig. Und auch wenn sie auf die Straße ging, wurde sie nur wieder von ihrem eigenem Spiegelbild zerfressen. Sie hatte eine Behinderung und wollte einfach nur wie ein normaler Mensch behandelt werden, doch sie hatte einen Stempel auf der Stirn. Wenn die Leute sie in ihrem Rollstuhl sahen, kamen sie manchmal zu ihr und sagten „Ach du Arme! Wie geht’s dir denn? Sollen wir dir bei irgendwas helfen?“ Alena wusste im Prinzip, dass sie es nur gut mit ihr meinten aber diese ständige Hilfeaktionen nervten sie einfach nur noch. Sie wollte nicht, dass die Menschen sie als eine Behinderte ansahen, sondern als normalen Menschen. Und sie wollte vor allem nicht, dass sie ihr versuchten zu helfen, da sie dass nur wieder daran erinnerte, was doch aus ihr geworden war.

Tag für Tag verstrich und es passierte einfach nichts mehr in ihrem Leben. Diese Mistkerle waren immer noch auf freien Fuß und würden vielleicht bald wieder kommen und sie konnte nichts dagegen unternehmen.

Sie hatte alles verloren, was man nur verlieren konnte. Ihre Hobbys, ihre Arbeit, ihre Freunde, die Lebensfreude ihrer Familie, ihr eigener innerer Antrieb.

Die Tage verstrichen und sie wusste einfach nicht mehr, für was es sich noch zu leben lohnte. Diese Stille und diese Depression machte sie wahnsinnig und auch wenn sie anfangs noch glaubte, dass sie sich an ihre Behinderung gewöhnen würde, musste sie nun abermals feststellen, dass sie nun noch verbitterter und verzweifelter als sonst war.

Wie sollte ihr Leben nur weiter gehen?? Niemand verstand sie, ihr Tagesablauf war immer der Gleiche, keiner in ihrer Familie war mehr am Lachen und sie hatte keinen Antrieb mehr..Ihr gesamtes Leben war einfach aus den Fugen geraten und sie wollte diese Leben nicht mehr länger ertragen müssen.

Die Tränen schossen ihr nun in die Augen und sie packte diesmal ihre Krücken, um das Haus zu verlassen. Sie wusste nicht wohin, doch dann fiel ihr die Brücke ein, auf der es ziemlich tief herab zum Tal ging.

Sie merkte die Anstrengung in ihren Armen, als sie sich hartnäckig nach draußen schleifte und dabei nur schleichend voran kam, doch das war ihr egal.

Auch wenn es Stunden dauern würde, sie würde diesen Stress in Kauf nehmen, um zur Brücke zu kommen.

Dort würde sie herunter springen und sich das Leben nehmen. Ihr Bruder war gerade in der Uni und ihr Vater war am schlafen, um sich auf den Nachtdienst vor zu bereiten, also würde es auch keiner bemerken, wenn sie das Haus verlassen würde.

Aber das war ihr nun auch alles egal. Sie weinte und hatte keinen anderen Gedanken mehr, außer dieses armseliges Leben so schnell wie es ging zu beenden.

Sie packte ihre Krücken und lief vorwärts. Sofort spürte sie ein Ziehen in ihren Armen, die sie schon länger nicht mehr trainiert hatte. Und abgesehen von den wenigen Situationen in ihrem Zimmer, in denen sie mit Krücken nur wenige Male gelaufen war, war sie es nur gewöhnt, im Rollstuhl gefahren zu werden. Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Stirn und sie konnte die Blicke der Leute sehen, die sie anstarrten, da sie mit einem schmerzverzerrtem Gesicht versuchte sich vorwärts zu schleppen. Sie waren wohl besorgt, da sie ziemlich verzweifelt aussehen musste, doch es war ihr egal und sie wollte auch um alles in der Welt nicht wieder angesprochen werden. Sie hatte sowieso die Schnauze voll von Leuten, die meinten, sie müssten ihr helfen und sie damit nicht als normalen Menschen einstuften. Sie schlief sich an den Leuten vorbei, weiter den Berg herauf. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie oben an der Brücke ankommen würde, nur machte der Berg ihr etwas Sorgen. Der Berg war sehr steil und es machte ihr schwer zu schaffen, Meter für Meter sich vorwärts zu bewegen.

Es dauerte tatsächlich fast eine knappe Stunde, bis sie die Brücke erreicht hatte und sie merkte den stechenden Schmerz in ihren Amen. Es war schon länger her, dass sie trainiert hatte oder sich sonst irgendwie sportlich betätigt hatte und sie merkte die Schmerzen unter den Achseln, auf denen sie sich mit den Krücken abgestützt hatte. Ihr Gesicht war von Tränen übersät und sie schluchzte und heulte vor lauter Schmerz und Verzweiflung.

Als sie das Geländer der Brücke anfasste und in das tiefe Tal herab schaute, dachte sie einen kurzen Moment nur eins: „Spring einfach herunter, dann hast du es auch schnell hinter dir!“.

Sie schloss ihre Augen und fing zu schreien an. Sie würde einfach springen. Ein kurzer Sprung und ihre Leiden wären für immer vorbei.

Plötzlich merkte sie, wie ihr der laue Sommerwind ins Gesicht wehte und sie öffnete die Augen wieder.

Es war heute sehr warm und aus der Ferne konnte sie ein paar Leute erkennen, die unten im Tal spazieren gingen und den Tag genossen. Sie spürte die Wärme der orangefarbenen Sonne in ihrem Gesicht und plötzlich musste sie komischerweise an jenen Sommertag denken, als sie mit ihrem Vater als kleines Mädchen auf dieser Brücke spazieren war und sich darüber freute, dass er ihr eine Ankerkette geschenkt hatte.

„Der Anker symbolisiert die Hoffnung Alena..und dass du im Leben niemals aufgeben solltest und immer weiter kämpfen musst!“

Das hatte er damals zu ihr gesagt. „Und jetzt Daddy?? Wie soll ich jetzt noch kämpfen?? Siehst du meine Tränen?? Siehst du, wie schlecht es mir geht. Ich kann nicht mehr kämpfen!“

Dann musste sie an den anderen Satz denken, den ihr Vater immer zu ihr gesagt hatte.

„Es sind nicht die anderen die dich zerstören Alena. Du bist es selbst, weil du zulässt, DASS sie dich zerstören können. Und wenn du am Boden liegst, musst du erst recht aufstehen, weil du ansonsten nur verlieren kannst“.

Dabei dachte sie wieder an ihrer Verfolger. Er hatte Recht. So komisch es sich auch anhörte aber es war nicht die Schuld ihrer Täter. Sie war es. Sie war selbst dran Schuld, weil sie diesen Mistkerlen die Chance gab, sich in ihrem eigenen Leben einschränken zu lassen, ohne etwas dagegen zu unternehmen.

Sie hatte bisher nichts unternommen, um ihre Peiniger zu erwischen und ließ stattdessen zu, dass sie mit ihrer Folterung ihr gesamtes Leben verändern ließen.

Wieder spürte sie den Wind und die Wärme der Sonne auf ihrem Gesicht.

Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, wieder ein angenehmes Gefühl zu spüren und war auf einmal wieder entspannt und nicht mehr so aufgeregt.

Sie schaute wieder herunter und dachte an ihre Familie. Sie durfte sie nicht im Stich lassen. Sie wäre ein absoluter Feigling, wenn sie sich jetzt einfach das Leben nahm und damit ihrer Familie das Herz brach.

Sie musste kämpfen, egal wie. Und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie wieder das Gefühl, dass ihr Leben doch noch einen Sinn hatte.

Langsam ging sie von dem Geländer wieder runter und fiel vollkommen erschöpft auf den Boden. Dann kamen ihre Tränen nach und sie weinte sich auf dem warmen Boden der Brücke aus.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 3

 

Der Neuanfang

 

Zum ersten Mal hatte sie wieder das Gefühl, dass sie ihre Muskeln betätigt hatte und es fühlte sich gut an. Ihre Beine waren nach wie vor taub aber in ihren Armen merkte sie jetzt schon einen leichten Muskelkater, als sie sich mit den Krücken den langen Weg bis zur Brücke geschliffen hatte.

Auch wenn ihre Arme jetzt schmerzten, liebte sie diese Gefühl, denn es war lange Zeit her, als sie ihren letzten Muskelkater gehabt hatte.

Wenn sie zu viel gejoggt oder getanzt hatte. Wenn sie über das normale Training hinaus weiter trainiert hatte und einen großen Muskelkater bekam wusste sie immer, dass sie etwas geleistet hatte. Dass sie ihre Muskeln trainiert und ihre Fähigkeiten verbessert hatte.Der Nachweis für die vollbrachte Leistung.

Jetzt, wo sie dieses Gefühl in ihrem Armen zum ersten Mal wieder spürte, überkam sie wieder dieses Glücksgefühl, dass sie schon fast vergessen hatte.

Sie schliff sich nun auf den Krücken wieder zurück nach Hause.

Sie musste da sein, bevor ihr Vater aufwachen würde, also versuchte sie sich zu beeilen, auch wenn sie dabei noch langsamer voran kam, als zu Beginn.

Nun schmerzten ihre Arme und Achseln noch mehr und sie merkte, wie sich die Krücken immer mehr in ihre Achselhöhlen hinein schnitten.

Der Weg machte ihr Kummer, doch sie schaffte es, sich den gesamten langen Weg bis zum Haus wieder zurück zu schleppen. Als sie zu Hause war, schlich sie sich heimlich in ihr Zimmer und fiel total erschöpft in ihr Bett.

Verschiedene Emotionen hatten sie heute erfasst. Sie war am weinen, sie stand kurz davor, sich das Leben zu nehmen, dann hatte sie sich umentschieden und war auf einmal wieder erleichtert und fast schon glücklich. Sie spürte die Schmerzen in ihren Armen und Achselhöhlen und freute sich, das Gefühl der Anstrengung und des Trainings wieder zu fühlen.

Sie war vor allem froh darüber, dass sie zum ersten mal wieder ein festes Ziel in ihrem Leben hatte und dieses Ziel lautete, dieses Leben in die Hand zu nehmen und vor allem ihre Peiniger zu erwischen.

 

Die nächsten paar Tage kam sie wieder einmal Sabine besuchen und Alena freute sich sichtlich darüber, dass sie endlich wieder raus konnte.

Da sie sich nun auch wieder vorgenommen hatte, ihre Muskeln wieder mehr zu trainieren, schlug sie Sabine vor, ins nahe gelegene Hallenbad zu gehen, um dort ein paar Bahnen zu schwimmen.

Sabine wunderte sich zunächst, dass sie mal wieder das Haus verlassen wollte, nach all diesen müden und stillen Wochen, doch sie freute sich darüber, dass ihre Cousine endlich wieder auf zu blühen schien.

Als sie ankamen und ihre Bahnen schwammen, konnte Sabine sich die Frage einfach nicht verkneifen.

„Na jetzt legst du aber richtig los. Würd mich net wundern, wenn du als nächstes für die olympischen Spiele trainieren würdest“ sagte Sabine.

Alena lachte. Sie liebte ihre Cousine für ihre Offenheit. Ihre ehemaligen Freunde, sowie ihre Familie gingen mit ihr immer so sensibel um und wussten nicht, wie sie sie zum lachen bringen sollten, doch Sabine sagte einfach immer das, was die dachte und konnte dabei diesen Humor bei behalten. Sie lachte und war froh darüber, dass sie überhaupt wieder in der Lage sein konnte, zu lachen.

„Na ja, die olympischen Spiele werden es vielleicht nicht mehr aber um Adrenalin zu bekommen, reicht es alle mal“ Sabine lachte ebenfalls, als sie das hörte. „Ach ja, mir schadet es ja auch nicht ein paar Bahnen zu schwimmen, dann kann ich endlich mal wieder mehr Pfunde verlieren.“

Alena schaute sie unglaubwürdig an. „Um deinen Ibrahim zu begeistern?“ fragte Alena. Sabine schaute sie seufzend an. „Ja..ich habe das Gefühl,dass er überhaupt nichts mehr an mir findet. Er sitzt lieber den ganzen Tag vor seinem PC und chattet und spielt am Computer. Und wenn ich auf unsere gemeinsamen liebevollen Minuten warte, ist er meistens immer zu müde..“

Alena konnte mal wieder nur den Kopf schütteln. Sie war so eine stolze, intelligente und hübsche Frau und lies sich trotzdem von diesem Idioten, den sie ihren Freund nannte, im Stich lassen.

„Ich weiß Sabine, dass du das nicht gerne hörst aber warum trennst du dich nicht einfach von diesem Idioten?? Du bist so intelligent und hübsch und kannst noch zehntausend andere Typen haben!“

„Nein, kann ich nicht. Guck mich doch an! Diese Albinofarbige Haut und diese Pumucklhaare. Und dann auch noch diese Fettpolster. Kein Wunder, dass er eher so Frauen wie dir hinter her starrt.“

Sie liebte ihre Cousine, doch in diesem Punkt, hatte sie langsam die Schnauze voll. Sie ließ sich von einem Typen veräppeln, der noch nicht mal zu schätzen wusste, was er hatte. Außerdem war sie in ihrer Arbeit in einer gehobenen Position, im Gegensatz zu ihrem Freund. Sie war hübsch und ließ sich trotzdem mit jemanden ein, der ihr nicht mal bei weitem das Wasser reichen konnte.

„Also erstens bist du nicht zu dick, sondern genau richtig. Es sind halt nicht alle Menschen gleich, denn wenn alle Menschen gleich aus sehen würden, bzw. alle den selben Körperbau hätten, wer die Welt doch total langweilig. Menschen sehen unterschiedlich aus und das ist auch gut so. Du hast wunderschöne Kurven und tolle feuerrote Haare, für die ein anderer Kerl mit Sicherheit alles geben würde. Außerdem hast du nen gut bezahlten Job und bist nicht dumm.

Ich habe diesen so genannten „Medienkörper“ und hatte meine Arbeit und trotzdem bin ich von meinen Freundinnen und sogar von meinem eigenen Freund verlassen worden, nur weil ich in einem Rollstuhl sitze. Anfangs wollte ich noch um Brian kämpfen, da ich mich ähnlich wie du in einer schwierigen Situation befand und mein Selbstbewusstsein am zerbröseln war.

Doch im Nachhinein bin ich sogar froh darüber, dass ich nicht mehr mit ihm zusammen bin und weißt du wieso? Weil ich weiß, dass er es nicht wert ist. Ich weiß, was für ein toller Mensch ich bin und dank meiner Verletzungen, weiß ich jetzt zumindest, wer meine waren Freunde sind und wer nicht. Es hat mir die Augen geöffnet, denn ich weiß jetzt, dass meine Familie immer hinter mir stehen wird und dass du meine beste Freundin bist, obwohl ich im Rollstuhl sitze. Das sind die wahren Freunde und nicht die, die nur dann mit dir zusammen sein wollen, wenn du in ihr Bild passt. Deswegen verstehe ich auch nicht, warum du dir das antust..du bist doch wunderschön und super schlau. Warum zeigst du diesem Idioten einfach nicht mal, wo der Hammer hängt?“ Alena merkte, wie sie wieder die Wut überkam, nicht nur wegen Ibrahim, sondern wegen ihren eigenen ehemaligen besten Freunden, die sie verlassen hatten. Sie hasste nach wie vor diese oberflächliche Welt und war stets davon überzeugt, dass sie niemals dazu gehören würde und dagegen ankämpfen wollte.

„Ja, du hast ja recht. Ich werde ihn demnächst einfach mal zur Rede stellen..“ Sagte Sabine und schaute beschämt nach unten. Alena konnte einfach nicht verstehen, warum sie sich das antat.

Sie schwammen ein paar Bahnen und Alena merkte, wie sie die Lust überkam, noch schneller zu schwimmen. Sie wollte mehr Bahnen schaffen und gab Gas.

Dadurch, dass Sabine ihre Beine noch hatte, konnte sie mit Alena gut mithalten, obwohl Alena ihre Arme nun schon ganz schön beanspruchte.

Wieder merkte sie, dass sie nun an anderen Stellen ihres Körpers wieder einen Muskelkater spürte und freute sich mal wieder darüber..dass sie doch noch im Stande war, etwas zu leisten.

Der Tag mit Sabine war sehr schön und Alena freute sich ein weiteres mal darüber, am Leben zu sein.

Auch ihre Familie schien zu bemerken, dass sie sich besser fühlte. Ihre Vater lächelte sie an, als er ihre Stimmung bemerkte und Alena lachte ebenfalls in sich hinein.

Nun kam auch ihr Bruder wieder öfters ins Zimmer und konnte wieder zusammen mit ihr lachen.

„Hey, was hälst du davon, wenn du das nächste mal zu mir ins Training kommst? Dann könnte ich dir meine neuen Moves vor führen.“ „Ha ha, alles klar, ich freue mich schon darauf zu sehen, was für eine Kampfmaschine aus dir geworden ist“ Sagte Alena und lachte.

Sie fühlte sich nun ein wenig besser, doch die Tatsache, dass sie nach wie vor nichts über ihre Peiniger heraus gefunden hatte, machte ihr mal wieder zu schaffen.

Sie war ins Internet gegangen und hatte versucht, den Namen ihres Onkels bei Seiten wie Facebook, Twitter, Myspace und so weiter ein zu geben. Es war immerhin ein Versuch, ihn zu finden, doch es gab ein Problem an der ganzen Sache. Es gab so viele Personen mit dem Namen „Amir Masaad“ und auch wenn sie viele der Bilder der Personen ihrem Vater zeigte, um zu wissen, ob ihr Onkel so aussah, konnte ihr Vater sie nicht identifizieren. Es war, als suchte man nach einer Nadel im Heuhaufen. Und auch die Tatsache, dass es einfach keine Informationen über ihren Onkel gab, machte die Sache ebenfalls nicht leichter. Es gab einfach keine heiße Spur.

Ihr Vater hatte ihr lediglich die Adresse, des Ortes mitgeteilt, wo er und sein Bruder Amir aufgewachsen waren, doch was sollte sie auch damit großartig anfangen.

Es war einfach frustrierend mit an zu sehen, dass sie keine heiße Spur fand.

 

Die nächsten paar Tage kam ihre Mutter wieder zu Besuch. Und Alena war wie immer erstaunt, wenn sie sich extra unter ihrer Kapuze versteckte, wenn sie das Haus betrat, um von möglichen ungebetenen Gästen nicht erkannt zu werden.

„Na, das ist ja das erste mal, dass ich dich mal wieder strahlen sehe, meine Süße.“ Sagte ihre Mutter und nahm sie in die Arme.

„Na ja, weißt du Mom, ich habe über das nachgedacht, was du letztens zu mir gesagt hast und du hattest recht. Ich komm deshalb so gut durchs Leben, weil ich aus jeder Situation versuch, das Beste zu machen, egal wie schlimm sie ist. „ „Ach das freut mich Kind“, sagte sie wieder.

„Nun ja, wie kommst du in der Klinik zurecht?“ „Ach..es geht alles seinen üblichen Gang. Ich bin sogar froh darüber, wenn ich mal die Zeit finde, mich ab zu lenken und mal nicht darüber nach zu denken, was hier passiert ist. Außerdem bin ich viel bei meinem Bruder zu Besuch. Sabine hat da ja wirklich einen super Job, auch wenn ich von ihrem Freund nicht so begeistert bin..“ „Ach, du meinst Ibrahim?“ „ja..er verhält sich Sabine gegenüber nicht gerade sehr respektvoll.“ „Tja, wem sagst du das..ich habe sie auch schon davon versucht zu überzeugen, dass dieser Idiot nicht gut für sie ist aber aus irgend einem Grund scheint sie zu glauben, dass sie keinen anderen Mann finden wird. Ich verstehe das einfach nicht..“ „Tja, so sind manche Frauen halt. Ich verstehs jedenfalls auch nicht.“

Alena hatte wirklich wieder einen Grund zum lachen. Die letzte Zeit als ihre Mutter nur noch einmal die Woche vorbei kam, um die Familie zu besuchen, merkte man deutlich die Anspannung zwischen ihr und ihrem Vater, da sie sich beide so gut wie fast gar nicht mehr sahen und Alena ging tatsächlich davon aus, dass sich ihre Eltern bald trennen würden, doch heute sah sie sie zum ersten mal, wie sie sich wieder um die Arme schlingen.

Es war, als hätten sie sich wieder neu ineinander verliebt und Alena freute sich, obwohl sie auch wusste, dass es keine Garantie dafür gab, dass die Ehe auch weiterhin so gut halten würde, wenn sie nicht bald voran kam in ihrer Suche.

Für einen kurzen Moment überfiel sie wieder diese Angstgefühl, dass ihr Leben wieder anfangen könnte zu zerbröseln, doch dieser Moment, in dem sich ihre Eltern wieder innig umarmten war ein so schöner Moment, dass sie die restlichen Gedanken wieder vertrieb. Nein, es musste einfach vorwärts gehen.

 

Ein weiterer Tag brach an und wie versprochen, nahm ihr Bruder sie mit zum Taekwondo.

Es war schon erstaunlich, Elyas in seinem Anzug zu sehen, mit einem braunen Gürtel. Er hatte es schon fast bis zum schwarzen Gürtel geschafft und sie war erstaunt darüber, wenn sie daran zurück dachte, wie wenig sie ihn eigentlich in letzter Zeit besuchen kam. Aber sie war meistens so mit ihrer Uni beschäftigt, dass sie gar keine Zeit mehr fand, ihrem Bruder ab und zu beim Training zu zu sehen.

Nun wusste sie es umso mehr zu schätzen.

Das letzte Mal als sie ihn im Training gesehen hatte, war schon wieder ein paar Jahre her gewesen und nun hatte er wieder riesige Fortschritte gemacht.

Kein Wunder, er hatte auch einen guten Trainer, wobei der Trainer ungefähr im selben Alter sein musste wie ihr Bruder.

Zum ersten mal fiel ihr der Trainer auf. Er hatte so viel Kraft und führte seine Bewegungen zielstrebig und genau aus. Er war sehr schnell und konnte innerhalb weniger Sekunden einen Faustschlag oder Tritt ausführen, bevor ihn sein Angreifer überhaupt realisiert hätte.

Sie fing an, ihn mit Brian zu vergleichen.

Es war schon lustig. Brian hatte diesen muskulösen Oberkörper und durch sein Footballtraining und dem Fitnessstudio glich ihr Exfreund eher einem Bodybuilder. Er hatte vielleicht nicht ganz so viele Muskeln, kam aber schon recht nah an diesen Körper heran.

Elyas Trainer hingegen war eher schlank und etwas kleiner. Und auch wenn er nicht so einen muskulösen Oberkörper wie ihr Exfreund hatte, war er trotzdem stark, sowie flink und verstand etwas von seinem Handwerk.

Er behandelte seine Schüler immer mit Respekt und gab ihnen das Selbstvertrauen und die Kraft, die sie für das Training brauchten.

Neben ihrem Bruder waren dort auch viele Kinder und Frauen, die sehr aufmerksam seinen Bewegungen folgten und Alena ertappte sich bei dem Gedanken, wie sie anfing von ihm zu schwärmen.

Es war natürlich nur der erste Eindruck, doch Alena hatte das Gefühl, dass er im Gegensatz zu Brian wahrscheinlich nicht so ein selbstverliebtes Arschloch war, dass nur an sich selbst dachte.

Trotzdem überfiel sie wieder das Gefühl der Unsicherheit. Sie saß hier wieder in ihrem Rollstuhl und beobachte diesen jungen Mann zusammen mit ihrem Bruder, wie sie akrobatische Luftsprünge machten und ihre Kraft voll ausschöpften, während sie nur im Rollstuhl daneben saß und wahrscheinlich einen höchst uninteressanten Eindruck auf ihn machte.

Nichts desto trotz schwärmte sie weiter von ihm.

Es war einfach schön mit an zu sehen, wie er zu den kleinen Mädchen ging und ihnen Mut zusprach, obwohl sie noch so klein und zierlich waren. Sie machten manchmal einen unsicheren Eindruck, doch er kam zu ihnen und brachte ihnen immer wieder bei, wie sie ihre Bewegungen richtig ausführen konnten und brachte ihnen vor allem Selbstvertrauen bei.

Selbstvertrauen.. Das brauchte man in dieser heutigen Zeit wirklich und mit einem Mal wurde ihr wieder bewusst, was sie verpasst hatte, da sie nie Selbstverteidigung gelernt hatte. Hätte sie wie ihr Bruder damals ebenfalls angefangen, eine Kampfsportart zu erlernen, hätte sie sich damals vielleicht sogar gegen ihre Peiniger wehren können, doch wer rechnete denn auch damit, dass man irgendwann von Wildfremden Leuten auf einem Waldweg zusammen geschlagen werden würde.

Wie auch immer. Sie war jedenfalls überzeugt, dass diese jungen Mädchen sich eines Tages besser verteidigen würden können, als sie damals, als sie in diese gefährliche Lage gekommen war.

Als das Training vorbei war, kam der Trainer tatsächlich noch auf sie zu und gab ihr die Hand.

„Hi, ich bin Nick. Du musst wohl Elyas Schwester sein.“

„Ja, das ist richtig. Meine Name ist Alena. Tja, seitdem ich an diese Ding gefesselt bin, wollte ich zur Abwechslung mal Leute sehen, die noch durch die Luft springen können und hab meinen Bruder besucht.“

Er lachte. „Ja. Elyas macht wirklich sehr große Fortschritte. Wenn er so weiter macht, kann er wahrscheinlich nächstes Jahr schon die Prüfung zum schwarzen Gürtel absolvieren.“

„Ja, das freut mich. Ich war auch überrascht, als ich ihn das Letzte mal gesehen hab, da hatte er glaube ich noch einen grünen Gürtel. Aber seitdem ist so viel passiert. Ist jedenfalls schön zu sehen, dass er so weit gekommen ist.“

In dem Moment kam Elyas von hinten an und schwang die Arme um Nick. „Na, flirtest du noch ein bisschen mit meiner Schwester“ sagte Elyas frech.

„Elyas, so was nennt man eine normale Unterhaltung“ wand Alena rasch ein und er musste lachen. „Also dann, wir sehen uns. Ich wünsche euch noch nen schönen Abend“. „Ja danke dir auch“ sagte Elyas und sie und ihr Bruder fuhren wieder nach Hause.

 

Alena hatte wieder einen Grund zum lachen. Natürlich konnte man über dieses kurze Gespräch noch nicht viel aussagen und vielleicht war er auch einfach nur höflich zu ihr aber es war ihr auch egal, denn sie schwärmte noch ein wenig von ihm und war froh darüber, dass es wieder einen weiteren Grund zum lachen für sie gab.

In den nächsten Tagen versuchte sie ihre Recherche weiter fort zu setzen und ihr fiel dabei immer wieder auf, wie sehr sich dabei auch für das Thema „Jura“ interessierte.

Doch es war nicht nur der Rachegedanke, sich deswegen mit Jura zu beschäftigen, um ihre Feinde zu überwältigen, sondern sie merkte, dass sie sich auch so für dieses Thema begeisterte.

Sie befasste sich mit den Paragraphen und dem Aufbau des Absatzes und hatte sich sogar extra die neuste Auflage des Grundgesetzes gekauft, um alle Paragraphen sofort nachschlagen zu können.

In ihrem Fall war es eine schwere Körperverletzung, da die Täter ihr nicht bloß eine Ohrfeige gegeben hatten, sondern ihre Wunden und Schädigungen sie auch ein Leben lang begleiten würden.

So stand es drin. Wenn ein Körperteil für immer beschädigt war und nicht mehr zu gebrauchen war, handelte es sich gemäß Paragraph 226 StGB um eine schwere Körperverletzung.

Sie notierte sich alles, was sie für wichtig hielt und bemerkte auf einmal, wie viel Spaß es ihr machte, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen, bis sie sich eines Tages dafür entschied Jura zu studieren.

Ihr Vater, sowie ihre Mutter waren beide verblüfft über diese Aussage, doch sie freuten sich darüber, dass ihre Tochter sich nun für etwas anderes entschieden hatte und ein neues Ziel gefunden hatte, das sie auch trotz ihrer Behinderung erlernen konnte.

Alena wusste, dass man als Mediziner keine Chancen hatte eine Job zu bekommen, wenn man körperlich so entstellt war wie sie, doch bei Jura war das kein Problem.

Also schrieb sie sich die nächsten paar Tage an einer Uni ein und konnte es kaum erwarten, mit dem Studium an zu fangen.

Es würde ihr nicht nur sehr viel Spaß machen, neue Sachen zu erlernen, sondern ihr auch dabei helfen, anderen Menschen in schwierigen Situationen, sowie sie es einst war, heraus zu helfen.

 

Als ihr Bruder sie wieder fragte, ob sie zum Training mitkommen wollte, lehnte sie natürlich nicht ab und kam von nun an häufig mit ins Training, um ihren Bruder und vor allem Nick zu zusehen.

 

Wie immer führte er seine Bewegungen sehr kraftvoll aus und machte dabei keinen einzigen falschen Schritt. Mittlerweile konnte sie sogar auf südkoreanisch mitzählen, wenn sie Trittbewegungen machten und dabei bis zehn zählten und lernte die Übungen, die sie vollführten, zumindest in ihrem Kopf mit.

Nick lächelte sie stets an und zum ersten mal bemerkte sie, wie sie rot wurde im Gesicht.

Sie fühlte sich schon fast wie eine Dreizehnjährige, die ihrem Idol hinterher eiferte, obwohl sie fast nie etwas sagte, sondern sich das ganze nur aus der Ferne ansah.

Auf einmal kam Nick zu ihr und fragte sie, ob sie nicht einmal mitmachen wollte.

„Was? Soll das ein Witz sein? Du hast wohl vergessen, dass ich im Rollstuhl sitze.“ Sagte Alena daraufhin, doch Nick schaute sie nur unglaubwürdig an.

„Ja aber du kannst doch auf Krücken stehen und deine Arme hast du doch auch noch.“

Alena schaute ihn für einen Moment irritiert an. Meinte er das ernsthaft? Sie saß im Rollstuhl und konnte sich nur mit Hilfe von ihren Krücken langsam nach vorne bewegen und jetzt fragte er sie ernsthaft, ob sie nicht mitmachen wollte??

„Pass auf, wir machen das erst mal so. Bleib erst mal in deinem Rollstuhl sitzen und versuch nur mit den Armen die Bewegungen mit zu machen.“ sagte er.

„Das ist wohl dein ernst. Du willst, dass ich im Rollstuhl Taekwondo nach mache..“. „Nun ja, es ist ERST MAL im Rollstuhl. Später könnten wir auch daran arbeiten dich im Stand zu verteidigen.“ „Du meinst, wenn ich auf Krücken stehe??“. „Wieder schaute er sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Du hast zu viele Selbstzweifel. Nur weil du im Rollstuhl sitzt oder auf Krücken läufst, heißt das deswegen noch lange nicht, dass du vollkommen hilflos bist. Darf ich dich fragen wie es mit dem Gefühl in deinen Beinen aussieht?“

„Nun ja. In meinem linken Bein habe ich noch ein wenig Gefühl. Ich kann es als Standbein verwenden, während das rechte Bein komplett taub ist.“

„Und bist du Links oder Rechtshänder?“ „Ich bin eigentlich Rechtshänder“, antwortete sie rasch. Dann überlegte er kurz.

„Nun ja, dann wirst du in Zukunft versuchen müssen, deine Bewegungen linksseitig aus zu führen, da du im linken Bein zumindest noch ein wenig Gefühl hast und dies zu deinem Vorteil ausnutzen kannst. Es wird vielleicht ein bisschen schwierig werden, nun die andere Gehirnhälfte mehr ein zu setzen aber das ist auch nur eine Frage der Geduld.“

Alena schaute ihn verblüfft an. Sie war vollkommen entstellt und trotzdem war er fest davon überzeugt, dass sie lernen kann sich zu verteidigen.

„Ich weiß nicht, ob das wirklich was bringt, ich mein sieh mal..“ „Ah. Nicht so viel überlegen“ unterbrach sie Nick.

„Eine unserer Lehren ist es, dem Schüler stets Selbstbewusstsein und Kraft bei zu bringen und das kann jeder“.

„Aber ich sitze im Rollstuhl“ entgegnete sie ihm wieder. Nick schaute sie daraufhin wieder mit hoch gezogenen Augenbrauen an. Nun merkte sie, wie ihr ein Grinsen über das Gesicht ging und sie musste auf einmal anfangen zu lachen. „Ich glaube eher, du vertraust nicht auf meine Fähigkeiten!“ Sagte Nick und lachte ebenfalls. „Doch doch. Das du das kannst, weiß ich. Aber ich bezweifle, dass ich zu so was fähig bin.“ wieder sah er sie mit diesem kritischen Blick an. „Ok ok. Ich versuch es“ sagte Alena und musste wieder anfangen zu grinsen. „Versuch einfach mit zu machen. Wenn die Pause vorbei ist und ich mit denen weiter mach, versuchst du die Bewegungen mit deinen Armen nach zu machen.“ „Alles klar“ sagte Alena wieder und saß nun gefasst in ihrem Rollstuhl.

Nach der Pause führte die Gruppe die typische Abwehrbewegung durch. Da Alena dabei schon oft zugesehen hatte, konnte sie die Bewegungen gut nach machen, wobei Theorie und Praxis dann doch immer zwei verschiedene Dinge waren.

Sie hatte gelernt, dass die Übung, die sie „Yirugi“ nannten, die Handabwehrtechniken waren, also waren diese für sie wichtig, während die „Chagis“ die Fußtritte waren. Es fing immer mit der linken Hand an, die über die rechte Schulter ausholte und dann nach unten zum linken Bein geschwungen wurde, während die rechte Hand dann zum Angriff kam und in einer geraden Linie zur Körpermitte geführt wurde, um zu zu schlagen. Das selbe wurde dann wieder mit der anderen Seite gemacht.

Als Alena die Übungen nach machte, merkte sie erst, dass sie noch Schwierigkeiten hatte, doch nach einer gewissen Zeit bekam sie es immer schneller und besser hin.

Als Nick die Gruppe verließ und sie weiter trainieren ließ, kam er wieder zu Alena. Alena machte die Übungen ebenfalls weiter.

„Halt mal kurz an“, sagte er. „Da, deine Daumen, du hast sie in der Hand drin versteckt.“ Alena schaute auf ihre Hand. „Ist das verkehrt?“ „Ja, sie müssen nach außen zeigen, denn wenn du zum Schlag ausholst und sie in der Hand versteckt sind, kannst du dir den Daumen brechen und das wäre nicht so toll“. Alena grinste wieder und nahm den Daumen heraus.

„Und wenn du den Faustschlag nach vorne machst, musst du immer darauf achten, dass du gerade vom Becken ausholst und direkt zur Körpermitte schlägst. Du holst noch zu weit aus. Dein Arm muss dabei näher am Körper bleiben.“ „Ah ok, alles klar.“ Alena versuchte es nun richtig zu machen und auch Nick schien diesmal mit ihrer Ausführung zufrieden zu sein.

Wieder einmal merkte sie, wer sehr ihr das Training Spaß machte und sie war froh, dass sie Nick kennen lernen durfte. Auch wenn sie sich am Anfang noch ein bisschen unsicher war, schien sie nun zu glauben, dass auch Nick ein Auge auf sie geworfen hatte und an ihr interessiert war.

Sie kam nun regelmäßig mit Elyas zum Training und machte trotz ihrer Behinderung Fortschritte.

Eines Tages, als sie wieder im Training war und die Bewegungen eifrig nachmachte und das Training vorbei war, saß sie immer noch in ihrem Rollstuhl und wollte weiter üben. Während die anderen am nach Hause gehen waren, kam Nick zu ihr und Alena fragte ihn, ob sie es nun besser konnte. Nick lächelte und sagte: „Ich glaube, wir sollten einen Schritt weiter gehen.“ „Das heißt?“ fragte Alena und Nick nahm ihre Hände.

„Komm, versuch dich hin zu stellen.“ „Aber meine Krücken..“ „Ich halte dich.“ „Ok.“ sagte Alena und ließ sich von Nick helfen. Als sie stand, gab er ihr ihre Krücken und sie stützte sich ab. „Kannst du so stehen?“ fragte Nick. „Ja, mein linkes Bein stützt mich gut ab.“ Dann überlegte Nick wieder. Versuch doch mal die linke Krücke weg zu lassen.“ „Aber dann hab ich weniger Halt.“ „Ja aber du musst versuchen, wenigstens eine Hand frei zu haben. Außerdem verbessert es deinen Gleichgewichtssinn.“

„Ok, ich hoffe nur, ich falle nicht um“. „Vertrau mir, du wirst nicht umfallen. Du hast sehr kräftige Oberarme, die du gut einsetzen kannst und dein rechter Arm wird dich gut abstützen.“ Etwas unsicher nahm Alena die linke Krücke und schmiss sie weg. Zuerst taumelte sie etwas umher, doch dann hatte sie sich wieder gefangen.

„Na siehst du, es funktioniert doch“ sagte Nick und Alena lächelte wieder. Es war einfach unglaublich, wie er sie wieder aufbaute und ihr wieder einen Grund zum Lachen geben konnte. „Versuch erst mal ein paar Schritte zu machen und das Gleichgewicht zu halten.“ Alena folgte ihm und gab sich alle Mühe, mit ihrem linken Standbein und der rechten Krücke vorwärts zu kommen. Sie tat sich schwer und wäre sogar fast einmal ausgerutscht, wenn sie Nick nicht gefangen hätte, doch sie kam so langsam voran. Da sie die eine Krücke brauchte, konnte sie nur hüpfen und nicht wie ein normaler Mensch laufen, doch auch jetzt fühlte sie wieder ein leichtes Ziehen in ihrem rechten Bein, da sie die vorhandenen Muskeln beanspruchte und sich somit wieder ein Muskelkater abzeichnete, sowie den Schmerz in ihrem rechten Arm, mit dem sie sich andauernd abstützen musste.

„Ok, das funktioniert ja bisher ganz gut. Ich möchte, dass du ein paar Runden so durch den Raum hüpfst, um deinen Gleichgewichtssinn zu verbessern.“ „Aber mir tut jetzt schon der Arm und mein Bein weh“ wieder schaute sie Nick kritisch an.“Also dafür, dass du anfangs noch so motiviert warst, gibst du jetzt aber ganz schön schnell wieder auf. Wo ist dein Kämpferinstinkt hin?“ fragte Nick verärgert.

„Ja schon gut. Es ist nur etwas länger her, dass ich das letzte Mal so viel trainiert habe.“ Jetzt lachte er wieder. „Na komm, gib dir einen Ruck. Ich weiß, dass du die Augen einer Kämpferin hast.“ Sie lachte wieder in sich hinein.

„Ich möchte, dass du dabei zählst. Du kennst die Zahlen.“

Wieder lächelte sie und nickte ihm zu. Dann nahm sie ihre Krücken und hüpfte los. Sie fing an zu zählen.

„Hana, tol, set, net, dassot, yossot, ilgap, yodol, ahop, yol“. „Nochmal!“ sagte Nick nun etwas lauter und wieder fing sie dabei an zu zählen. „Hana, tol, set, net, dassot, yossot, ilgap, yodol, ahop, yol!“ „Und weiter!“. Wieder fing sie an zu zählen und merkte nun mehr als deutlich, dass sie so langsam die Kraft verließ und ihr Muskelkater immer stärker wurde.. Schweißperlen sammelten sich immer mehr auf ihrer Stirn und sie konnte nicht mehr, doch Nick hetzte sie als weiter. „Na komm, hör nicht auf zu zählen! Du musst weiter machen“. Obwohl sie ihn in diesem Moment anfing zu hassen, weil er sie keine Pause machen ließ, wusste sie schon jetzt, dass sich die Anstrengung lohnen würde. Sie sprang weiter durch den Raum und zählte dabei unerbittlich weiter. Nun fing sie an zu keuchen, ihr Atem wurde schneller und ihr Kopf wurde nun rot. „Ändere jetzt mal die Richtung.“ Alena gehorchte und drehte sich wieder um, um die andere Richtung durch den Raum zu hüpfen. Wieder feuerte er sie an, weiter zu zählen und Alena schrie die Zahlen nun schon fast förmlich heraus.

„Komm eine Runde schaffst du noch!“ schrie Nick und Alena gab sich den Rest, sie hüpfte die letzte Runde durch den Raum und zählte dabei laut bis zehn. Als sie die letzte Zahl ausgesprochen hatte, schmiss sie ihre Krücke weg und fiel erschöpft auf den Boden. Stolz kam Nick zu ihr und tätschelte ihr die Schulter.

„Na also. Jetzt hast du schon wieder einen riesigen Fortschritt gemacht. Ich bin stolz auf dich“ „Alena lag keuchend auf dem Boden und sah ihn zufrieden an. „Danke. Ich hab alles gegeben.“ Wieder fing Nick an zu grinsen. „Na ja, du hast ja schon recht kräftige Oberarme. Darf ich dich fragen, was du sonst so trainingsmäßig alles anstellst?“ Alena atmete kurz durch und antwortete daraufhin: „Ich schwimme gerne. Da ich meine Beine fast gar nicht mehr spüre oder bewegen kann, muss ich meine Oberarme doppelt so stark beanspruchen und daher die Muckis.“ „also doch eine Kämpfernatur“ sagte er und sie lachte wieder.

Er hatte sie nach dem Training nach Hause gefahren und sie war so froh wie noch nie in ihrem Leben zuvor.

Sie merkte, wie sie wieder aufblühte und hatte dank Nick wieder mal mehr einen Lebenssinn gefunden.

Da er ihr die Hausaufgabe gegeben hatte, Zuhause fleißig weiter zu trainieren, nahm sie sich die Zeit, um tagtäglich in ihrem Zimmer durch die Gegend zu hüpfen, sowie die Kampfübungen nach zu machen, um nicht aus dem Training zu kommen.

Sie wurde immer schneller und merkte ebenfalls, dass sich ihre Muskeln immer mehr aufbauten und schöpfte daraus neue Lebensenergie. Nun galt es, diese voll und ganz aus zu schöpfen und sie bemerkte schon bald, dass sie mit einer Krücke durch das Zimmer hüpfen konnte, als wäre es das Normalste der Welt.

Es fühlte sich jedenfalls gut an, dass man den Körper wieder für etwas gebrauchen konnte und dass sie dabei wieder immer mehr und mehr, wie ein normaler Mensch wurde, der seine Fähigkeiten in gewisser Zeit wieder zurück erobern konnte.

 

Als Sabine sie wieder besuchen kam und sie ihr von Nick erzählte, war sie ganz außer sich vor lauter Neugierde.

„Sieht ja ganz so aus, als wenn du über alle Ohren hinweg verliebt bist, in deinen Karatemeister“ „Taekwondo, Sabine. Das ist eine südkoreanische Kampfsportart“ „Ja, ist doch schon gut, ist für mich eh alles das Gleiche. Aber wenigstens bringt er dich endlich wieder dazu, das Haus zu verlassen und hält dich fit. Warum hab ich mir nicht einen Sportlehrer angelacht?“ Sagte Sabine und Alena lachte laut. „Ja Sabine genau. Ich habe mir ihn nur deshalb angelacht, um immer fit aus zu sehen!“ und Sabine lachte ebenfalls. „Er hat mich nächste Woche zum Essen eingeladen.“ „Nein wirklich? Das freut mich für dich Kleine. Aber na ja..hast du ihm eigentlich schon von deinem..na ja, von deinem Vorfall erzählt?“ Alena hielt kurz inne. „Nun, eigentlich nicht. Aber ich muss dir ehrlich sagen, ich war sogar echt froh darüber, dass ein Mensch mich mal ausnahmsweise nicht nur als Behinderten angesehen hat. Denn er hat mich bisher auch noch nicht darauf angesprochen, warum ich im Rollstuhl sitze, sondern hat mich einfach so akzeptiert und mich direkt zum Training überredet.“. „Ach so. Aber wirst du ihm denn irgendwann davon erzählen?“ „Ja natürlich werde ich ihm es irgendwann mal erzählen. Ich will nur nicht mit der Tür direkt ins Haus fallen, sondern auf den richtigen Moment warten. Ich mein, er weiß ja auch, dass irgendwas passiert sein muss, denn er weiß zumindest, dass ich nicht immer im Rollstuhl gesessen habe. Nur wird es eine andere Sache sein, im zu erklären, dass die Verletzungen nicht von einem Unfall, sondern von einem Überfall stammen, der bis ins kleinste Detail geplant war. Jedenfalls werde ich ihm davon erzählen, wenn sich eine passende Gelegenheit dafür ergibt.“

Sabine schaute wieder auf ihre Kaffeetasse. „Hmm..ok. Du machst das schon Kleine. Du bist ja selbstbewusst und stark, im Gegensatz zu mir.“ antwortete ihr Sabine und Alena dachte sofort wieder an ihren Ibrahim.

„Und, hast du mit Ibrahim mal über sein Verhalten geredet?“ fragte sie Alena nun und Sabine sah sie etwas überrascht an. „Ja, das habe ich. Ich habe ihm gesagt, dass er mich mit mehr Respekt behandeln soll, weil ich ihn sonst verlassen würde und er hat sich daraufhin auch gleich bei mir entschuldigt. Er hat mir extra einen Strauß mit Rosen gekauft, um sich zu entschuldigen. Kannst du das glauben?“

Alena rümpfte nun die Nase. Auf der einen Seite war es schön zu wissen, dass ihm offensichtlich doch etwas an Sabine lag, doch sie traute ihm einfach nicht über den Weg. Die paar Male, wo sie ihn gesehen hatte, machte er auf sie den typischen Macho-Eindruck, der einer Frau direkt zu verstehen gab, dass sie nur ein Objekt war und nicht wichtig war, sondern einzig und allein er selbst. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein paar Worte und ein Blumenstrauß sein Verhalten von heute auf morgen direkt verändern könnten aber sie würden es so oder so bald erfahren.

„Na ja, ich würde mir nur wünschen, dass er etwas weniger Zeit vor dem Computer verbringen würde.“ „Er spielt wieder die ganze Zeit?“ fragte Alena.

„Ja er spielt und wenn er nicht spielt, dann sitzt er die ganze Zeit in irgendwelchen Foren und chattet mit seinen Kumpels“. „Hast du denn schon mal welche von seinen Kumpels gesehen?“ Sabine überlegte kurz. „Wenn du mich so fragst, eigentlich nicht. Er geht immer zu ihnen, wenn er etwas mit ihnen ausmacht. Die gehen viel Fußball spielen oder hängen in irgendwelchen Bars herum.“ „und du gehst dabei nicht mit?“ Sabine schaute wieder nach unten. „Ach weißt du, ich habe da eigentlich nicht großartig Lust zu. Ich wäre ja dann doch wieder die einzige Frau dort in der Runde und müsste mich mit denen dann die ganze Zeit über Autos und Fußballspieler unterhalten und da bin ich nicht wirklich scharf drauf.“ sagte Sabine und Alena fing an zu lächeln.

„Na gut. Ich hoffe jedenfalls, dass ihr keine Probleme mehr habt und er sein Verhalten dir gegenüber wieder bessern wird.“ „Ja das hoffe ich auch.“ sagte Sabine aber seufze dabei, als wenn sie bereits jetzt schon wusste, dass er sein Wort wahrscheinlich nicht halten konnte.

 

Sabine verließ sie und Alena konnte den Tag kaum erwarten, an dem sie mit Nick ausgehen würde, doch der heutige Tag würde eine andere Überraschung für sie bereit halten.

Sie wachte auf, als sie ihren Vater schreien hörte. Entsetzt fiel sie aus ihrem Bett heraus und nahm ihre Krücke, um sich auf zu richten.

Ihr Vater hatte geschrien und das konnte nichts Gutes bedeuten.

Aufgebracht hüpfte sie samt Krücke runter in die Küche, um zu sehen, warum ihr Vater so geschrien hatte.

Als sie sein Gesicht erblickte, saß er auf dem Boden, hatte einen Brief in der Hand und sah ihn mit Entsetzen an.

„Oh mein Gott, Dad..was ist passiert?“ fragte Alena und ihr Vater sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. „Da dieser Brief.. er war heute morgen in unserem Briefkasten. Sie haben uns einen Brief geschrieben.“ Alena nahm den Brief in die Hand und las ihn sich durch. „Denkst du wirklich wir hätten nicht bemerkt, dass diese Ungläubige dich weiterhin besuchen kommt? Ihr habt nach wie vor eine Beziehung und unsere Geduld ist so langsam am Ende! Wenn du dich nicht endgültig von ihr trennst, werden wir wieder drastische Maßnahmen ergreifen. Sei gewarnt!“

Alena konnte es nicht glauben. Zum ersten Mal durchfuhr sie wieder die gleiche Angst wie damals, als sie von diesen Mistkerlen überfallen wurde.

Es war, als hätte jemand für einen kurzen Moment die Zeit wieder zurück gedreht und sie zerfiel wieder in diese unglaubliche Angst und Panik, die sie bereits schon einmal erlebt hatte.

Doch mit dem Unterschied, dass sie diesmal nicht mehr so verzweifelt war.

Anstatt über die Ausmaßen, der Tat entsetzt zu sein, spürte sie neben der Panik jetzt auf einmal wieder eine Wut in sich, die sich langsam immer mehr in ihrem Körper ausbreitete.

Doch sie wusste, dass sie die Fassung behalten musste, wenn sie nicht gelinkt werden wollte.

Das hatte sie im Taekwondo gelernt und sie schaute sich den Brief wieder an.

Sie waren schlau. Sie hatten den Brief extra am Computer mit der typischen Wordschrift „Times New Roman“ ausgedruckt, damit man keinen Schriftstil erkennen konnte und wahrscheinlich auch darauf geachtet, dass der Brief keine Fingerabdrücke hinterließ. Doch neben den Zeilen konnte sie noch etwas anderes interessantes erkennen. Auf dem unteren Rand des Briefes konnte sie ein kleines rotes Zeichen erkennen. Es war das Zeichen eines Halbmondes unter dem sich ein Messer hervor tat und wieder hatte sie einen Hinweis. Sie hatten ihr eine Spur hinterlassen, ein Markenzeichen, dass ihren Verein kennzeichnen musste und sie legte den Brief zur Seite.

„Ich versteh das nicht..wir haben doch immer so genau darauf geachtet, dass Elisabeth keiner gefolgt ist, während sie zu uns gefahren ist und darauf geachtet, dass uns keiner beobachtet. Woher konnten die das wissen??“ fragte ihr Vater und zerfiel wieder in Tränen.

„Ruf die Polizei Dad“ sagte Alena und ging in ihr Zimmer.

Sie hatte nun einen Hinweis und sie war sich ziemlich sicher, dass ihr dies weiter helfen würde. Menschen konnten viel verstecken, doch gerade das Internet hinterließ immer irgendwelche Spuren, denen sie sich nicht entziehen konnten und Alena war sich fast schon sicher, dass sie etwas finden würde, wenn die Polizei ihr nicht weiter helfen konnte.

Sie musste nur dieses mal schlauer sein. Wenn Terroristen etwas fürchteten, dann waren es Menschen die keine Angst hatten und sie auf eine andere nicht perverse oder brutale Art und Weise dran kriegen konnten.

Wenn sie ehrlich war, hatte sie fast schon auf sehnsüchtig auf einen neuen Hinweis gewartet, um ihre Arbeit endlich fort führen zu können und nun hatte sie einen Hinweis, mit dem sie sorgfältig umgehen musste.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 4

 

Der Rachezug

 

 

Ihr Vater rief die Polizei aber natürlich hatten sie, wie Alena bereits erwartet hatte, keine Fingerabdrücke hinterlassen.

Die Polizei versprach ihnen, dass sie dies sofort an die Staatsanwaltschaft weiter schicken würden und auch nun einer heißen Spur nachgehen wollten aber Alena würde selbst nachforschen müssen.

Jedes Detail und jeder kleinster Hinweis den sie bekam, würde ihr von Nutzen sein.

Nun kam die Polizei ein weiteres mal zu ihnen, um ihnen endlich Polizeischutz an zu bieten und sogar ihr Vater, der noch einst selbst sagte, er wolle hier weiterhin wohnen bleiben, da er sich von diesen Monstern nicht seinen Seelenfrieden zerstören lassen wollte, war nun selbst so weit, den Polizeischutz an nehmen, da er noch größere Schmerzen nicht ertragen würde.

Er willigte ein, doch Alena ging dazwischen und sagte:“Nein, Dad. Wir sollten hier wohnen bleiben“.

Yusuf schaute seien Tochter erschrocken an, als könnte er nicht glauben, was sie da gerade gesagt hatte. „Was Alena? Weißt du, was du da gerade gesagt hast?“ fragte er entsetzt und Alena seufze. „Hör zu, Dad. Ich weiß, dass du vollkommen erschöpft bist aber ich habe keine Lust mehr davor, ständig mit dieser Angst zu leben. Dieser Wahnsinn muss ein Ende haben. Wir können nicht zusehen, wie diese Monster immer mehr unser Familienleben zerstören und dabei noch weiter frei herum laufen. Ich habe jetzt einen Hinweis und ich werde versuchen, sie hinters Licht zu führen, du musst mir nur etwas Zeit geben. Ich weiß, es ist ein unerträglicher Schmerz für dich aber ich weiß jetzt zumindest, dass sie uns weiterhin beobachten und sich in unserer Nähe aufhalten, also kann ich sie auch schnappen, wir müssen nur etwas Geduld haben.“ „Aber Alena! Sie wissen, dass deine Mutter hier war, also werden sie uns vielleicht noch Schlimmeres antun, wenn ich diese Beziehung zu ihr nicht beende oder hier weg ziehe..“ „Dann sag Mom, dass sie vorübergehend erst mal nicht vorbei kommen soll, um sicher zu gehen, dass nichts schlimmeres passiert..aber wir werden hier wohnen bleiben. Ich weiß es klingt hart Dad aber sie mich an. Es gab einen kurzen Moment in meinem Leben, wo ich einfach nur alles hinschmeißen wollte, weil ich mich so nutzlos fühlte und weil diese Schweine mir fast alles genommen hatten, was lebenswert war, doch nun weiß ich, dass es für mich trotz alledem einen Grund gibt, weiter zu leben. Ich fühle mich wieder stärker und habe wieder an gefangen zu trainieren. Ich habe ein neues Ziel. Ich möchte Jura studieren und mein Leben wieder genießen können, doch was ich mir noch mehr wünsche ist, dass wir wieder unseren Seelenfrieden haben und den haben wir erst wieder, wenn wir sie endlich in die Falle locken und das kann nicht passieren, wenn wir wieder versuchen weg zu laufen. Weißt du was ich in diesem kurzen Moment gedacht habe, als ich kurz davor war alles hin zu schmeißen, weil mein Leben so aussichtslos war? Ich dachte an deine Worte Dad, als du mir als kleines Mädchen beigebracht hast, niemals auf zu geben, egal wie aussichtslos die Situation zu sein scheint und genau, das habe ich mir zu Herzen genommen. Ich war schon immer eine Kämpferin und werde auch immer eine bleiben, egal in welchen Lebenssituationen, also bitte gib du nun nicht auch noch auf.

Die letzten paar Wochen war ich nur deshalb so am strahlen, weil ich mich an deinen Satz erinnert hatte..“ Ihr Vater senkte den Kopf. „Weißt du Alena..ich habe immer im Gegensatz zu deiner Mutter an das Gute im Menschen geglaubt und auf meine Religion vertraut. Doch nachdem so viel Unheil über unsere Familie gekommen ist, habe ich das Gefühl, dass ich immer mehr von meinem Glauben abkomme und keine Lebenskraft mehr habe..“ sagte ihr Vater, doch Alena nahm seien Hände.

„Nein Dad, du darfst es nicht aufgeben. Dein Glaube hat dir auch schon in so vielen anderen Lebenssituationen weiter geholfen und meine ganze Lebensenergie habe ich nur von dir, weil du mir immer die schönen Dinge im Leben gezeigt hast und mir ebenfalls beigebracht hast zu vergeben. Vielleicht haben wir verschiedene Glaubensrichtungen, doch wir glauben an uns und das wir alles erreichen können und das ist das einzige was zählt. Also bitte gib jetzt nicht auf..“ sagte Alena und ihr Vater fiel ihr um die Schultern.

Es war solch eine betrügende Situation und sie merkte selbst, wie ihr wieder eine Träne über die Wange lief, doch sie durfte sich jetzt keinesfalls aufgeben, solange es noch nicht vorbei war.

Ihr Vater umarmte sie ein weiteres mal und sagte dabei. „Du hat recht, ich werde nicht aufgeben und wir werden hier wohnen bleiben..“

Alena lächelte. Auch wenn sie beide mal wieder am Boden zerstört waren, spürte Alena abermals diese Kraft und Energie in ihrem Körper, die ihr immer wieder Mut zusprach.

 

Alena ging ins Internet und machte sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Symbol.

Es war ein roter Halbmond, mit einem roten Messer darunter. Da sie nicht nach dem Foto suchen konnte, gab sie bei google einfach die Wörter:“roter Halbmond mit Messer“ ein.

Neben sehr vielen nutzlosen Seiten fand sie auf der dritten Seite tatsächlich einen Hinweis zu dem Symbol. In einem Islamchat erwähnte jemand dieses Symbol im Zusammenhang mit „Islamic World“ und Alena bekam große Augen.

Sie öffnete ein weiteres Fenster und gab bei google nun den Suchbegriff:“Islamic World“ ein. Neben sehr vielen Seiten, in denen es zwar auch um den Islam ging aber nicht um radikale Seiten oder ein rotes Symbol mit Halbmond und Messer, wurde sie letztendlich doch noch fündig.

Sie kam auf eine Webseite, auf der tatsächlich das Symbol des roten Halbmondes und Messers erschien mit dem dazugehörigen Namen der Webseite: „Islamic World“.

Alena bekam wieder große Augen.

Hier musste sie einfach richtig sein. Ein anonymer User betrieb die Internetseite und man musste sich wie so oft erst ein Konto erstellen, um mitreden zu können. Es gab ein Gästebuch, in dem sie neben sehr vielen Lobäußerungen über den friedlichen Islam auch sehr viele radikale Einträge fand. Einige schrieben „Macht weiter so. Ihr kämpft für eine bessere Welt und diese Ungläubigen werden noch ihr blaues Wunder erleben“ oder „Islam the one and only religion, kill all the other people“. Die Webseite war abgesehen von dem Gästebuch eher sehr leer, denn man konnte keine anderen Einträge sehen, bzw. es gab auch kein Hinweis zu dem Betreiber dieser Webseite oder für was dieses Projekt überhaupt stand. Und wenn sie versuchte auf die User zu klicken, die die Kommentare geschrieben hatten, kam sie nicht weit, da sie sich erst anmelden musste, um Kontakt aufnehmen zu können.

Alena überlegte. Wenn sie sich jetzt extra ein „Fake-account“ erschaffen würde, würden die anderen vielleicht Verdacht schöpfen, da sie nicht wusste, um was es ging aber dann trotzdem meinte, sie könnte mitreden. Das wäre vielleicht ein wenig zu auffällig. Sie musste erst noch mehr Informationen über diese Gruppierung erlangen. Also fing sie an, weiter über diese Organisation zu googeln.

Doch vorher machte sie noch einen kurzen Screenshot der Webseite, um gegebenenfalls Beweise sichern zu können.. Sie würde der Polizei von dieser Webseite erzählen, doch jetzt musste sie erst mal versuchen ungestört an die Täter heran zu kommen, bevor die Polizei eingreifen würde und sie ihre Webseite wieder schließen und sich wieder verstecken würden.

Dies wäre mehr als ärgerlich, weil dann wieder sämtliche Türen zu wären. Also behielt sie dieses kleine Geheimnis erst mal für sich. Sie sollten nicht bemerken, dass sie beobachtet werden und vor allem noch mehr nicht heraus finden, dass sich ein Spitzel unter ihnen befand.

Sie durchstöberte das halbe Internet nach dieser Organisation und war Stunden damit beschäftigt, fündig zu werden.

Sie fand ein Video auf Youtube, dass von einem Fan stammte. Er machte ein Video mit islamischen Bildern, wo er daraufhin weißte, wie wichtig es war, zu beten und die Lehren des Islams zu befolgen. Darunter fand sie drei verschiedene Kommentare. Ein türkisches Mädchen huldigte ihnen und sagte, wie schön sie es fand, dass man die Wahrheit beleuchtete, sowie zwei andere User, die ihm ebenfalls zusprachen. Soweit so unspektakulär, dachte sie sich, doch sie wollte etwas über den User heraus finden, der das Video herein gestellt hatte. Neben seinem Video hatte er auch zahlreiche andere Videos geliked und in seine Playlist getan, die zwar nichts mit der sogenannten „Islamic World-Organisation“ zu tun hatten, dafür aber höchst radikal waren.

Vielleicht war er ja die nötige Schlüsselperson. Vielleicht hatte er auch gar nichts mit der Organisation zu tun aber vielleicht konnte sie zumindest mit ihm in Kontakt treten und somit mehr Informationen über die Organisation heraus finden. Also beschloss sie, sich einen falschen Account zu machen.

Sie schaute auf die Uhr. Es war kurz vor sechs und sie musste sich so langsam fertig machen.

Sie war so beschäftigt und abgelenkt gewesen, dass die Stunden mal wieder ins Land gingen, weil sie so lange gesurft hatte, dass sie das Date mit Nick schon fast vergessen hatte aber das wollte sie sich keinesfalls entgehen lassen.

Sie hatte seit Tagen auf dieses Date gewartet und würde sich von diesen Idioten mit Sicherheit nicht den Abend versauen lassen, obwohl sie schon jetzt ahnte, dass es wahrscheinlich ein schwieriges Date werden würde, da in der Zwischenzeit wieder so viele Dinge in ihrer Familienproblematik passiert waren. Sie hoffte nur, dass sie bei ihrem Date mit Nick keinen aufgebrachten Eindruck machen würde.

 

Es war ein kleines Kaffee im Nachbarort und sie freute sich, als sie Nick endlich traf.

Zum ersten Mal sah sie ihn in normalen Klamotten, da er sonst immer nur seinen Taekwondo-Anzug anhatte und sie musste wieder lächeln. Egal was er anhatte, er sah einfach immer gut aus.

„Hi Kämpfernatur, wie geht es dir?“ fragte er und umarmte sie. „Danke, mir geht es gut und dir?“ „Auch gut. Ich hoffe du hast schön fleißig weiter trainiert.“ „Ja habe ich. Mittlerweile kann ich mit meiner Krücke schon fast wie ein normaler Mensch mich vorwärts bewegen.“ Er grinste.

„Na das freut mich zu hören. Es ist schön zu wissen, dass du wieder Fortschritte gemacht hast.“

„Es ist nur..“ sagte sie und Nick schaute sie nachdenklich an. „Was?“ fragte er.

„Na ja, ich bin in letzter Zeit ein wenig gestresst aber keine Angst..ich habe das Training nicht vernachlässigt..“

„Willst du darüber reden?“ fragte sie Nick. „Hmm..na ja, vielleicht ein anderes mal. Es ist etwas schwierig, weißt du?“ Nick schaute sie wieder nachdenklich an.

„Hmm..ok. Ich verstehe das.“

Dann fingen sie wieder an, über andere Dinge zu reden und die betrügende Stimmung auf zu heitern. Auch wenn Nick bemerkt hatte, dass etwas mit ihr nicht stimmte, hatte er es unterlassen nach zu haken. Er hatte sie ebenfalls noch nicht zu ihrer Behinderung befragt, was sie ebenfalls für einen Vorteil hielt. Anstatt nach zu bohren akzeptierte er es und behandelte sie wie ein komplett normalen Menschen.

Deshalb liebte sie ihn auch so sehr. Vielleicht tat er das auch, weil er selbst schon mal mit solchen Dingen Erfahrung hatte und wusste, wie nervig so eine Behinderung sein konnte.

Aber manchmal wenn er sie so ansah, auch als sie damals in ihrem Rollstuhl saß und ihm nur zusah, ahnte er vielleicht schon, dass sie in ihrem Lebensstil irgendwie eingeschränkt war und sie irgendetwas bedrückte. Er musste einen sechsten Sinn haben, doch statt auf dem alten Thema herum zu reiten, nahm er sie einfach so wie sie war und versuchte sie auf zu bauen, damit sie von dieser Trauer weg kam.

Sie wechselten das Thema und sie erzählte ihm von ihrem Plan, dass sie Jura studieren wollte, so wie er ihr, dass er sein Taekwondocenter verbessern wollte. Er wollte nun mehr Räume nutzen und außerdem mehr Trainingsgeräte anschaffen. Er erzählte ihr außerdem, dass er nun auch mehr Selbstverteidigungskurse für Kinder und Frauen machen wollte, da ausgerechnet sie meistens die Zielgruppe von Tätern waren, die in ihnen ein besonders leichtes Opfer sahen. Schließlich konnte Alena sich die Antwort nicht verkneifen.

„Du siehst einfach alles, du musst wohl einen sechsten Sinn haben..“ Bei dieser Antwort schaute Nick sie überrascht an.

„Nun ja..ich habe aus meiner Vergangenheit viel gelernt, wahrscheinlich liegt es einfach daran. Denn ich weiß, wozu Menschen leider fähig sind.“

Alena schaute ihn überrascht an. „Ach ja..Darf ich fragen, was passiert ist?“ und nun war sie diejenige, die alles wissen wollte, anstatt sich mit der Frage zurück zu halten, doch Nick lächelte.

„Nun ja, sagen wir mal so. Ich hatte einen Vater, der nicht viel von mir und meiner Mutter hielt. Er war ständig besoffen und hat mich und meine Mutter sehr häufig geschlagen. Aber ich brauch dazu nicht viel zu erzählen.

Es war wie in einer dieser typischen Hartz-vier Familien, in der der Vater mal schnell die Fassung verliert, weil er keinen klaren Kopf mehr hat und die Mutter nicht genügend Mut hatte, um ihn zu verlassen, weil sie dachte, dass sie ohne ihn nicht leben kann.“

Als er das sagte, schaute sie ihn fassungslos an. „Das tut mir so Leid Nick“ sagte sie anschließend.

„Du brauchst dich dafür nicht zu entschuldigen. Du warst nicht verantwortlich für sein Handeln. Er allerdings schon. Mit zwölf schaffte meine Mutter es dann endlich ihn zu verlassen und wir zogen in eine kleinere Wohnung aber das war mir egal. Ich war einfach froh, dass er aus unserem Leben weg war und wollte von da an nur noch mein Leben genießen. Ich wollte nicht so werden wie er und unschuldigen Menschen wegen lauter Hass Schaden zu fügen, sondern meine Wut in Form von Sport los werden und andere Menschen ebenfalls dazu bewegen mehr Acht auf sich zu geben und mehr Selbstbewusstsein zu erlangen. Und ich habe es nie bereut. Ich habe keinen Kontakt mehr zu meinen Vater aber ich zerfalle deswegen auch nicht in Rachegedanken. Ich bin einfach froh darüber, dass ich ein besserer Mensch bin, als er es jemals sein wird und dass ich vor allem anderen Menschen vor dem gleichen Schicksal bewahren kann.“ Bei dieser Antwort bekam Alena nicht mehr den Mund zu. „Wow, klingt ziemlich erwachsen..“ sagte sie und wieder lächelte er.

Er hatte so viel erlebt und auch wenn er nicht so geschändet wurde wie sie, war er im Gegensatz zu ihr nicht in einer behüteten Familie aufgewachsen, sondern in einer Familie, die der reinste Albtraum für ein Kind sein musste und trotzdem war er jetzt so stark und selbstbewusst.

„Ich wünschte, ich könnte auch so normal und selbstbewusst über dieses Thema reden aber ich fürchte ich bin einfach noch nicht so weit.“ sagte sie weiterhin.

Wieder schaute Nick sie besorgt an. „Bist du sicher, dass du nicht darüber reden willst?“ fragte er sie wieder.

Nun erhob sie ihren Kopf und nahm seine Hände. „Doch ich will dir davon erzählen. Du bist einer der wenigen Menschen, bei dem ich zum ersten Mal wieder das Gefühl habe, dass ich über alles reden kann und dass du mich vor allem verstehst. Du hast mich einfach so akzeptiert wie ich bin, obwohl ich im Rollstuhl saß und du entfachst wieder ein Feuer in mir. Du gibst mir meine Lebensenergie und meinen Mut zurück und ich habe das Gefühl, dass ich seit langem nicht mehr so glücklich war, wie in deiner Nähe...“ Nun drückte er ebenfalls ihre Hände und zog sie zu sich. „Möchtest du mit mir spazieren gehen? Ich will es dir erzählen“ sagte Alena und Nick stand auf. Er half ihr vom Stuhl auf und sie verließen das Kaffee.

 

Als sie sich auf den Weg machten, liefen sie an einem kleinen Waldweg neben einem Fluss her. Auch wenn Alena ihre Krücke hatte, stützte sie Nick diesmal mit der anderen Hand ab.

Sie erzählte ihm die gesamte Geschichte. Von ihrem Onkel, der hinter dieser schrecklichen Bluttat stand und die Drohung des Briefes, die sie ein paar Tage zuvor erhalten hatten.

Auch wenn sich Nick über die Ausmaßen ihres Körpers bewusst war und auch vorher schon geahnt hatte, das irgendwas schreckliches mit ihr passiert sein musste, konnte sie auch jetzt deutlich den Schock in seinen Augen sehen, doch schon kurze Zeit später sah er wieder nachdenklich nach unten.

„Nun ja, hast du im Internet jetzt schon mehr heraus gefunden?“ fragte er sie daraufhin. „Ja, ich habe mittlerweile ein paar Hinweise zu dieser Organisation aber ich werde mich trotzdem vorsichtig anstellen müssen. Ich werde mir ein falsches Konto erstellen und so versuchen, ihnen auf die Schliche zu kommen.“

Wieder überlegte er und sagte anschließend „Vielleicht kann ich dir ja dabei helfen.“ Sie lächelte ihn an.

„Ach nein, du tust eh schon so viel für mich, in dem du mich mit dem Training wieder aufbaust..“ „Ach Quatsch, du bedeutest mir sehr viel und ich will dich überall unterstützen, egal wo..“ sagte er und wieder konnte sie sich ein lächeln nicht verkneifen. Sie drückte ihn nun enger an sich. Sie küsste ihn nun und Nick erwiderte ihren Kuss ebenfalls.

Sie hatte endlich jemanden gefunden, der sie verstand und mit allem liebte, was sie war.

Und auch wenn die Situation von damals so schlimm war, war sie trotzdem für einen Moment froh, dass es soweit gekommen war, denn sonst hätte sie Nick vielleicht niemals kennen gelernt.

Es war eine angespannte Lebenssituation, doch nun gab er ihr diesen wundervollen Tag, der zu Ende ging und sie merkte, dass sie wieder ein Stück weit stärker wurde.

 

Die nächsten paar Tage war sie damit beschäftigt, sich ein falsches Konto zu erstellen, doch sie musste vorsichtig sein. Sie wollte, dass es authentisch aussah, denn wen sie kein Profilbild hätte, wäre es vielleicht auch zu auffällig. Also machte sie sich ein Profilbild, auf dem sie die afghanische Flagge abbildete. Vielleicht war es eine blöde Idee aber was besseres viel ihr nicht ein. Sie likte ein paar Videos und versuchte nun in Kontakt mit dem Youtube-Nutzer zu kommen. Da sie nicht wollte, dass ihr Gegenüber sofort Verdacht schöpfte, in dem sie direkt irgendwelche Fragen zur Organisation stellte, dachte sie sich, es wäre vielleicht besser, einen hasserfüllten Kommentar unter seine Videos zu posten.

„Scheiß auf alle Christen und alle anders Denkenden. Nur der Islam kann uns weiter helfen!“ postete sie unter das Video. Zwar likte er ihren Kommentar, doch er ging nicht weiter darauf ein, also musste sie sich eine andere Taktik überlegen. Sie machte sich ein zweites Konto, in dem sie dieses mal einen Vers aus dem Koran als Titelbild nahm und versuchte erneut, mit ihm Kontakt auf zu nehmen.

Diese ständige Hetze gegen Andersdenkende schien zwar ganz gut an zu kommen, jedoch war sie keine Basis, auf der man ins Gespräch kommen konnte.

Also versuchte sie sich dieses mal einen Ratschlag zu holen. Sie tat so, als wäre sie ein Mann, der Probleme mit seiner Freundin hatte und postete ein Kommentar wo sie fragte, wie man mit einer Freundin um zu gehen hatte, die zu oft das Haus verlässt und Feiern geht, anstatt mit ihrem Mann Zeit zu verbringen und diesmal biss er an. Er antwortete auf ihren Kommentar und gab ihr den Ratschlag, dass „er“ sich vor sie stellen sollte und sie ermahnen sollte, wenn sie nicht gehorcht. Man sollte ihnen schließlich bei bringen, wer von beiden das Sagen hatte.

Es hatte tatsächlich funktioniert. Der User hatte sich auf ihren Kommentar eingelassen und fing nun eine Diskussion mit ihr an.

Neben all den hirnrissigen Ratschlägen, die er ihr gab, konnte sie nun endlich einen Schritt weiter gehen und erlaubte sich die Frage, für was die Organisation sonst noch so stand. Sie sagte „Ach, bei euch bekommt man immer so gute Ratschläge, ihr habt da echt eine tolle Organisation. Wie seid ihr eigentlich auf diese tolle Organisation gekommen?“ Der User antwortete auf ihren Kommentar. „Nun, ich bin einer von den Gründern der Organisation. Wir haben schon circa zwanzig Mann bei uns aufgenommen und versuchen stets eine neue Fangemeinschaft zu bekommen. Für uns gibt es nichts Wichtigeres, als Leute für den einzig waren Glauben zu begeistern.“ Alena fing an zu grinsen. Er war also doch einer von ihnen und im Moment gab er ihr gerade ziemlich viele Informationen über seinen Verein, obwohl er nach wie vor glaubte, dass er mit einem jungen engstirnigen muslimischen Mann schrieb.

Aber genau das wollte sie und sie fand es sogar höchst amüsant, dass er ihr diese Nummer abkaufte und ihr das zu hören gab, was sie hören wollte.

„Aber hey, wenn du dich dafür so sehr interessierst, warum kommst du dann nicht auf unsere Webseite? Du kannst dich dort anmelden und mit unseren Brüdern kommunizieren.“

Als er das sagte, konnte sie fast nicht glauben was sie da hörte. Das war also die Eintrittskarte zu ihrem Reich.

Sie konnte es nicht fassen. Sie waren so bedacht darauf, keine Spuren zu hinterlassen und trotzdem hatte sie ihr eigener Egoismus und Überheblichkeit nun verraten und das alles nur,weil sie ein winzig kleines Symbol auf ihrem Drohbrief hinterlassen hatten.

Doch nun musste sie äußerst vorsichtig sein. Ein falsches Wort und sie würde sich selbst verraten. Die ganze Arbeit war vielleicht dann wieder umsonst, deswegen galt es jetzt besonders vorsichtig zu sein und jeden einzelnen Satz, jedes einzelne Wort, jedes einzelne Detail, das sie von sich Preis gab, genaustens zu überdenken.

Sie machte nach wie vor ein Screenshot, von dem Chatverlauf und klappte dann ihren Laptop zu.

 

Als sie Nick wieder sah, konnte sie es kaum erwarten, mit dem Training fort zu fahren.

Als er sie sah, breitete sich sofort ein Lächeln auf seinem Gesicht aus und sie küssten sich.

„Na, bist du mit deiner Suche schon voran gekommen?“ fragte er sie.

„Ja, sie haben mir Zutritt zu ihrem Chat auf ihrer Webseite erlaubt. Jetzt gilt es für mich, so viele Informationen zu holen wie es nur geht.“

Nick schaute sie an und überlegte kurz, dann sagte er:“ Sei bitte vorsichtig. Du weißt ja, ein falsches Wort und es könnte alles wieder vorbei sein..“ „Ja ich weiß, ich werde aufpassen.“

Nick drehte sich um, denn anscheinend wollte er fort fahren.

„Ich möchte, dass du auf alles vorbereitet bist. Ich weiß, wie diese feigen Schweine gestrickt sind. Sie sind Feiglinge und keine Männer. Sie haben Angst vor Frauen, deswegen müssen sie sie mit primitiver Gewalt unterdrücken. Ich will deshalb, dass du auf alles vorbereitet bist. Ich weiß, dass du es nur dann anwenden sollst wenn es wirklich nötig ist aber hinsichtlich der Tatsache, in welcher Lage du dich gerade befindest, will ich kein Risiko eingehen. Sie könnten jeder Zeit wieder zuschlagen, das weißt du. Und wenn ich mal nicht da bin, um dich zu beschützen, werden sie vielleicht wieder versuchen dich an zu greifen, deswegen musst du in jedem Moment vorbereitet sein.“

Alena nickte stumm. Es war erstaunlich, wie viel Vertrauen er in sie legte. Für ihn war es selbstverständlich, dass sie sich trotz ihrer Behinderung verteidigen musste und auch wenn Alena bereits mehr Vertrauen in sich hatte, wusste sie immer noch nicht, ob ihr Training für den Ernstfall ausreichen würde, doch Nick war nach wie vor fest davon überzeugt.

„Ok, ich würde sagen du fängst erst mal wieder mit dem Aufwärmtraining an.“ Wieder nickte Alena und fing an sich auf zu wärmen. Sie sprang diesmal schneller als zuvor und merkte, welche Fortschritte sie wieder einmal gemacht hatte. „ Hana, tol, set, net, dassot, yossot, ilgap, yodol, ahop, yol“ Sie wiederholte die Zahlenreihe immer wieder und natürlich spornte sie Nick wieder an.

Als sie ein wenig ins Schwitzen kam und merkte, dass sie nun bereit für die nächsten Übungen war, stellte sie sich wieder in ihre Anfangsposition.

„Ok. Ich hab mir was überlegt. Da du deine Krücke zum Abstützen brauchst, habe ich mir überlegt, wie du deinen Angreifer abwehren kannst.“

Er kam zu ihr und half ihr mit den Händen. „Du kennst doch noch die Yirugis-Handabwehrtechniken. Ich möchte dass du sie jetzt im Stehen nachmachst.“ Alena schaute nach unten. „Wie soll ich das machen, wenn ich mich auf meiner Krücke noch abstützen soll?“ sagte Alena, woraufhin Nick ihre Hände nahm.

„Nimm deine linke Hand, die frei ist und wehre den Schlag des Angreifers ab. Dann nimmst du die rechte Hand mit der du dich auf deiner Krücke abstützt und nimmst die Krücke, um damit zu zu stoßen.“

Alena begriff. Sie nahm ihre linke Hand und strich sie wie gewohnt über die rechte Schulter zum Abwehren nach unten zur Körpermitte. Dann nahm sie ihre Krücke und stoß damit nach vorne. Da sie in diesem Moment keine Stütze mehr hatte, taumelte sie ein Stück nach vorne, doch konnte sich schnell wieder fangen, bevor sie umkippte.

„Gut. Probier dies immer und immer wieder. Solange bis du nicht mehr kannst.“

Wieder nahm Alena die Krücke und führte die Bewegungen aus. Auch hierbei fing sie wieder an zu zählen und merkte nach geraumer Zeit wieder den Muskelkater in ihren Armen, doch es war ihr egal. Sie war nun so sehr in Rage, dass es für sie keinen Halt mehr gab. Sie brüllte die Zahlen sichtlich heraus und wurde in ihren Ausführungen immer schneller und aggressiver.

Als Nick merkte, wie sich immer mehr Schweißperlen auf ihrer Stirn ansammelten, unterbrach er sie wieder kurz. „Ok, dass reicht fürs erste. Ich möchte, dass nun auch deine Füße zum Einsatz kommen“ . Alena wunderte sich kurz, da ihre Füße ja fast so gut wie bewegungsunfähig waren, doch wie immer vertraute sie Nick und sagte nichts. Er wusste was er tat und hatte sie bisher noch nie enttäuscht.

„Ich möchte, dass du wie immer deine freie Hand zum Abwehren nimmst. Anstatt dich dann aber mit der Krücke zu verteidigen, möchte ich, dass du dich mit beiden Händen auf deiner Krücke abstützt und mit den Füßen nach vorne springst, um seine Körpermitte zu treffen.

Alena befolgte seine Worte und wehrte mit ihrer Hand ab. Als sie sich jedoch mit beiden Händen auf der Krücke abstützen wollte, um mit den Füßen nach vorne zu springen, rutschte die Krücke weg und sie fiel auf den Boden. Auch als sie es danach wieder probierte, klappte es nicht. Dann überlegte Nick kurz.

„Du brauchst einen Widerstand, denn wenn du als nur versuchst die Luft zu treffen, rutschst du automatisch weg.“ Er nahm ihre Hand und führte sie zu einem Boxsack.

Er lächelte sie an. „Bitte Milady, probieren sie es nochmal“ . Alena lächelte ihn ebenfalls an und fing an aus zu holen. Und tatsächlich. Sie wehrte ab und sprang mit den Füßen gegen den Boxsack. Es gab einen lauten Schlag und der Boxsack gab nach. „Na siehst du es geht doch“ sagte Nick glücklich und Alena machte weiter. Sie trat immer und immer wieder zu, bis Nick ihr sagte, dass sie dieses mal wieder mit der Krücke zu stoßen sollte. Alena gehorchte und wendete sich blitzschnell. Bei der nächsten Bewegung nahm sie ihre Krücke wieder und stoß zu. Dann holte sie wieder aus und nahm dann wieder ihrer Füße, um an zu greifen. Jetzt war sie auf einmal so schnell und wendig, dass sie fast schon wie eine professionelle Kämpferin aussah. Nick strahlte und freute sich, sie wieder in dieser Kampflaune zu sehen. Sie war sehr stark und trotz ihrer Behinderung, verstand sie auch hierbei, das Beste aus sich raus zu holen. Wenn sie keine Behinderung gehabt hätte, hätte sie wohl möglich bei großen Wettkämpfen und vielleicht sogar den olympischen Spielen mitmachen können, davon war Nick überzeugt. Er hatte noch nie eine Frau gesehen, die so viel Kraft und Motivation mit sich brachte.

Es machte ihn jedenfalls glücklich sie so zu sehen und vor allem, dass sie wieder neuen Lebensmut hatte.

Alena legte sich immer noch mit dem Boxsack an, als er dazwischen ging und ihn anhielt. Alena schaute ihn kurz fragwürdig an, doch dann sagte er:“ Jetzt werde ich dich angreifen“ .

Erst sah sie ihn verblüfft an, doch dann bildete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Er nahm die Faust und schlug damit leicht gegen ihren Brustkorb. Sie taumelte kurz zurück. Der Schlag kam etwas überraschend, doch schon bei dem nächsten Schlag wehrte sie ab und nahm direkt die Krücke und stoß ebenfalls leicht gegen seinen Brustkorb. Dann nahm er seinen Fuß und trat zu. Auch hierbei konnte sie ihn leicht abwehren und holte mit der Krücke wieder aus.

Dann erhöhte er seine Geschwindigkeit und griff sie nun schneller an.

Alena hatte auf einmal wieder Schwierigkeiten hinter her zu kommen. Sie musste immer wieder darauf achten, nicht den Halt zu verlieren. Doch er war so schnell, dass sie letztendlich doch den Halt verlor und auf den Boden fiel. Sie dachte das Spiel wäre vorbei, da sie bereits auf den Boden lag, doch Nick nahm erneut Anlauf, um sich auf sie zu stürzen.

Also stützte sie sich, ohne großartig zu überlegen, mit ihren Händen auf dem Boden ab und trat ihm dieses mal mit voller Wucht die Beine in die Brust.

Nick fiel kurz auf den Boden und holte nach Luft. Sofort legt sie ihre Arme auf ihn und sagte „Oh mein Gott, Nick, ist alles in Ordnung?“ . Nick holte kurz Luft und fing dann aber an zu lachen.

„Ha ha..natürlich ist alles in Ordnung. Schön, dass du dieses mal nicht nur so getan hast, als würdest du mich treten.“

Alena sah ihn geschockt an, doch legte sich dann strahlend über ihn „Sag bloß, du wolltest mich veräppeln!“ „Na ja, veräppeln kann man das nicht nennen. Du hast mich schon ganz gut erwischt aber ich bin froh, dass du alles aus dir raus gelassen hast.“ Alena ließ den Kopf fallen und Nick warf die Arme ebenfalls um sie und küsste sie.

„Ich bin stolz auf dich Kämpfernatur.“ Nun lachte Alena auch wieder und erwiderte seinen Kuss.

Nach dem Training gab er ihr noch ein paar Tipps für das nächste Training. Da sie ohne hin schon wieder einen starken Muskelkater in den Armen hatte, erklärte er ihr, dass sie Zuhause noch mal Liegestütze üben sollte, um die Muskeln in ihrem Armen auf zu bauen und erklärte ihr ebenfalls, welche Körperstellen bei einem Menschen besonders empfindlich waren, damit sie auch ebenfalls dort zu stoßen konnte.

Wieder einmal war sie trotz dieser bedrückenden Lage glücklich, denn Nick gab ihr genau das, was sie brauchte. Das Leben machte mit ihm einfach wieder Spaß.

Sie hatte ihm letztens ein Lied auf der Gitarre vorgespielt, dass sie mal wieder seit Wochen einstudiert hatte und Nick fand es schön. Er wollte sogar, dass sie ihm noch mehr Lieder vor spielte. Alena lachte. Da er selbst ein wenig Schlagzeug spielte, konnten sie sich nun treffen, um gemeinsam Musik zu machen und sie kam sich schon fast vor, wie in einer richtigen Band.

Dieser Moment, als sie und Nick zusammen waren, um zu trainieren oder auch, um Musik zu machen oder um einfach nur die Zeit miteinander zu genießen, war einfach magisch. Es war, als könnte sie für einen Moment lang ihre Behinderung und diesen Anschlag komplett vergessen und stattdessen einfach nur das Leben wie ein ganz normaler Mensch genießen.

Es war einfach verblüffend, wenn sie an die Zeit mit Brian zurück dachte.

Er hatte sich überhaupt nicht für das interessiert, was sie machte aber Nick zeigte wahres Interesse an ihren Künsten. Es war nicht so, als wenn sie nur gemeinsame Hobbys hätten, dennoch war dieses Zusammensein mit Nick doch etwas vollkommen anderes, als damals mit Brian. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, in einer Beziehung voll und ganz zufrieden zu sein und auch wenn sie ab und zu ihre Streitigkeiten hatten, behandelte sie Nick immer mit Respekt und gab ihr ihre Lebensenergie zurück.

Sie trafen sich immer häufiger, um auch weiter zu trainieren und Alena machte wie immer Fortschritte. Es war nun schon fast so, als wäre sie niemals bewegungsunfähig gewesen. Obwohl sie an der Krücke hing, konnte sie nun wieder springen, schlagen, treten, Umdrehungen machen und sah dabei schon fast wie ein richtiger Kämpfer aus.

Es war einfach faszinierend, wenn sie noch daran zurück dachte, als sie von diesen Mistkerlen überfallen wurde und komplett hilflos war, obwohl sie damals noch laufen konnte.

Doch dieses mal würde es anders verlaufen. Wenn sie jemals wieder jemand angreifen würde, würde sie vorbereitet sein.

Vor einem Jahr war sie noch das hilflose Mädchen, dass ein zu einfaches Opfer für jeden Täter war, doch nun war sie vorbereitet und würde nicht nachgeben. Sie machte ständig neue Fortschritte aber

auch mit ihren Recherchen kam sie voran.

 

Sie hatte sich nun auf der Webseite von Islamic World angemeldet und hatte sich zur Tarnung ein Bild einer fremden Person aus dem Internet als Profilbild genommen. Sie wusste zwar, dass sie damit die Urheberrechte dieser Person verletzte, doch in diesem Fall war es so gut wie unvermeidbar.

Doch auch hier, war Islamic World sehr vorsichtig. Alle User in diesem Chat waren anonym, man konnte keine Adresse oder irgendwas über sie heraus finden, denn sie machten weder Angaben, noch hatten sie Fotos von sich hoch geladen. Sie bereute es schon fast, dort die Einzige zu sein, die ein Fakefoto von einer komplett unbekannten Person hatte.

Alles in allem, war die Seite ziemlich leer und informationslos. Sie waren schlau und vorsichtig dazu. Deswegen musste sie ebenfalls vorsichtig sein und keine auffällige Fragen stellen.

Sie unterhielt sich nun mit einem User, der sich „I. Moslem“ nannte und ließ sich zur Tarnung von ihm wieder beratschlagen.

Es war das selbe mittelalterliche Geschwätz. Immer wieder machte er sie darauf aufmerksam, dass sie Gewalt an zu wenden hatte und brachte ihr bei, wie ein Mann eine Frau am besten in die Schranken zu weisen hatte.

Sie gab es schon fast auf, da sie nicht wusste, wie sie noch neue Informationen aus ihm heraus bekommen sollte, ohne dabei auf zu fallen, doch dieses mal tat er den ersten Schritt überraschender Weise von alleine.

Als es wieder um das Thema Beziehungen ging, sagte er auf einmal, dass er ja auch manchmal Stress mit dieser rothaarigen Hexe hatte, die ihn manchmal zur Weißglut brachte.

Als Alena diese Worte hörte, hielt sie kurz inne. So so, sie war also rothaarig. Dann erlaubte sie sich eine Frage.

„Ist sie denn keine Muslimin?“ fragte sie ihn, woraufhin er antwortete. „Nein. Sie ist eine Deutsche und somit auch eine Ungläubige. Nicht sonderlich attraktiv aber sie erfüllt ihren Zweck, wenn du verstehst..“

„Sie erfüllt ihren Zweck“. Wie hatte er das gemeint, dachte sich Alena und brach den Chatverlauf ab. Sie verabschiedete sich noch, sagte ihm, dass sie noch etwas erledigen müsste und machte nach wie vor ein Screenshot.

Als sie mit Nick telefonierte und ihm davon erzählte, hielt er einen kurzen Moment inne. Doch nach kurzer Zeit sprach er weiter und sagte einfach nur „Sabine“.

Alena verschlug es die Sprache. „Sabine? Du denkst, er meinte mit der rothaarigen Hexe Sabine?“ „Es ist nur eine wage Vermutung Alena aber es wäre doch möglich. Wenn das wirklich die echte Organisation ist, die für diese Tat verantwortlich war, dann könnte es doch sein, dass er sich in deine Familie eingeschleust hat und sich mit Sabine eingelassen hat, um so auf dem Laufenden zu bleiben.“

Alena schluckte kurz und dachte dann nach. Dann musste Ibrahim der unbekannte User sein, mit dem sie die ganze Zeit schrieb aber konnte das wirklich sein?

Aber es würde zu seinem Username passen. „Für was sollte das „I“ in „I.Moslem“ auch sonst stehen, wenn nicht für den Namen „Ibrahim“.

Eigentlich hatte sie bisher noch nie viel mit ihm zu tun gehabt. Und wenn sie jetzt so darüber nachdachte, fiel ihr auf einmal auf, wie wenig sie eigentlich von ihm wusste.

Abgesehen von der Tatsache, dass Sabine ihr immer erzählte, was für ein Arschloch er war und Sabine nicht wirklich beachtete, wusste sie fast kaum etwas über ihn. Sie hatte ihn nur ganz selten auf irgendwelchen Veranstaltungen oder Familienfeten gesehen und dort hatte er sich nie großartig mit ihr unterhalten. Er war zwar stets höflich und wechselte das eine oder andere Wort mit ihr aber ansonsten hatte sie keinen Kontakt mit ihm.

Konnte das wirklich sein? Doch plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Natürlich machte das Sinn,.

Wie ihr Vater bereits gesagt hatte. Wie konnte es ein, dass ihre Mutter sich so viel Mühe gegeben hatte, unbeobachtet zu sein, als sie ihren Vater einmal in der Woche besuchen kam und sie trotzdem Bescheid wussten.

Ihre Mutter hatte ihr selbst erzählt, dass sie immer hinter sich schaute, wenn sie mit dem Auto los fuhr, dass auch keiner hinter ihr war und sie verfolgte, wenn sie die Familie besuchen kam. Wie hätten sie sie also sehen können.

Wenn allerdings Ibrahim dahinter stecken würde, würde es auch erklären, warum sie trotzdem wussten, dass ihre Mutter sie besuchen kam. Er war der Einzige, der durch Sabine und ihre Familie wissen konnte, wo sie sich gerade aufhielt, da sie sehr engen Kontakt zu Sabines Familie und ihrem Bruder pflegte. Er musste sie bei den gemeinsamen Abendessen belauscht haben, wenn sie immer davon sprach, dass sie Yusuf besuchen wollte und dann irgendwann den Drohbrief verfasst haben.

Alena wurde auf einmal so einiges klar und sie merkte wieder, wie ihr der Hass aufstieg.

Diese miese Ratte hatte sich also die ganze Zeit in Sabines Nähe versteckt und das alles nur, um ihr eins aus wischen zu können. Es konnte somit auch kein Zufall sein, dass er und Sabine sich vor ungefähr zwei Jahren kennen gelernt hatten.

Sie wollte natürlich keine voreiligen Schlüsse ziehen, doch sie war nun fast schon fest davon überzeugt, dass nur Ibrahim dahinter stecken konnte. Alles andere machte keinen Sinn.

Aber wie sollte sie jetzt vorgehen? Sie konnte nicht einfach zur Polizei gehen und sagen:“Das ist der Freund meiner Cousine, nehmt ihn fest! Ich habe mit dem User einer Organisation gesprochen, der sagt, er habe eine rothaarige Freundin und daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass er der Täter sein muss“.

Dieses Argument konnte sie nicht bringen, denn sie wusste ja noch nicht mal selbst zu hundert Prozent, ob er wirklich der Täter war.

Sie musste erst noch mehr Beweise sammeln, doch wie sollte sie das tun. Wenn sie im Chat versuchen würde, noch mehr Informationen über ihn und seine Freundin heraus zu finden, würde er wahrscheinlich misstrauisch werden und in seine Wohnung konnte sie auch nicht einfach so durch suchen..

Sie überlegte, ob sie Sabine von ihrer Vorahnung erzählen sollte, doch sie entschied sich dagegen, denn sie wusste, dass Sabine total geschockt sein würde und dann die Beziehung zu ihm natürlich abbrechen würde. Auch wenn sie versuchen würde mit zu spielen, wäre sie nicht mehr in der Lage, mit ihm noch zu schlafen und dann würde es so oder so auf fliegen und es gäbe trotzdem keine Beweise für seine Tat..

Plötzlich fiel ihr ein, dass die Polizisten damals bei der Tat Faserspuren der Täter gefunden hatten. Sie wusste natürlich nicht, ob er nach wie vor die Tatklamotten hatte aber es wäre zumindest ein Versuch wert, seinen Kleiderschrank zu durch suchen, um fündig zu werden.

Würde sie ein Beweismittel an die Polizei liefern können und dabei die Feststellung gemacht werden, dass sie eindeutig zu den Faserspuren des Täters gehören, wäre das ein absoluter Erfolg.

Sie wusste noch, dass einer der Täter damals eine schwarze Jacke anhatte, während der andere einen schwarzen Pulli anhatte, doch was wäre, wenn er damals als Täter noch nicht mal dabei war? Dennoch. Sie musste irgendwie in seine Wohnung kommen und seine Sachen durchsuchen und da Sabine und er zusammen bei ihren Eltern wohnten, hatte sie sogar eine Chance, an seine Sachen zu kommen.

Sie würde Sabine nach einem Treffen bei ihr und ihrer Familie fragen und dann eine passende Gelegenheit nutzen, um seine Sachen zu durch kämmen.

Vielleicht hatte er auch keine auffälligen Sachen dort, weil er vielleicht noch irgendwo eine andere Wohnung hatte, wo er die ganzen Sachen versteckt hatte, doch es war zumindest einen Versuch wert, erst mal Sabines und Ibrahims Wohnung zu durch suchen.

Als sie von ihrem Plan Nick erzählte, sagte er ihr wie immer, dass sie vorsichtig sein sollte und Alena lächelte wie immer in sich hinein.

Sie hatte keine Angst mehr davor zu sterben. Sie hatte höchstens nur noch Angst davor, Fehler zu machen, so dass die ganze Situation wieder aussichtslos sein würde.

Doch das durfte sie nun unter keinen Umständen mehr zulassen. Sie hatte mittlerweile so viele Informationen gesammelt, dass es unverzeihbar wäre, wenn jetzt alles zu einem Schuss in den Ofen führen würde.

Gesagt getan. Alena machte ein Treffen mit Sabine bei sich Zuhause aus und gab als Vorwand an, dass sie ja auch mal wieder ihre Mutter und Sabines Familie treffen wollte.

Sabine freute sich und war an diesem sonnigen Nachmittag auch äußerst hübsch gekleidet. Normalerweise machte sie sich nichts aus Mode aber aus irgend einem Grund schien sie heute mal äußerst gut gelaunt zu sein, denn als die gesamte Familie, inklusive ihrer Mutter und Ibrahim am Tisch saßen, hatte sie ein kurzes weißes Kleidchen an und hatte ihre Haare, zu einer Hochsteckfrisur gesteckt. Ibrahim jedoch saß nur regungslos am Tisch, lächelte ein paarmal höflich und wechselte ein paar belanglose Worte mit ihrer Familie.

Alena flüsterte ihr ins Ohr „Darf ich den Anlass deiner freudigen Stimmung erfahren?“ Als Sabine sie ansah lachte sie kurz und sagte daraufhin:“Ach nichts, nichts..es ist nur..seit dem mir Ibrahim diesen Blumenstrauß geschenkt hat, scheint er sich wirklich verändert zu haben. Er ist jetzt so viel aufmerksamer mir gegenüber und will jetzt auch wieder mehr mit mir mehr unternehmen. Ich habe wirklich das Gefühl, dass er es dieses mal ernst meint..“ Alena lächelte kurz und konnte ihre innerliche Anspannung aber fast nicht mehr unterdrücken.

„So so“ dachte sich Alena. „Erst behandelt er sie wie Dreck und jetzt, wo er auf einmal merkt, dass es eng für ihn wird, schwenkt er sofort um und tut auf netten, aufmerksamen Freund, der auf einmal wieder die Liebe seines Leben in ihr entdeckt hat.“

Alena konnte ihre Wut fast nicht zurück halten. Er machte das nur, um sie nicht zu verlieren, denn wenn sie sich von ihm trennen würde, wäre ja sein Köter weg und er könnte ihre Familie nicht mehr so gut bespitzeln.

Alena sah ihm in die Augen. Doch er saß vollkommen gelassen und selbstbewusst am Tisch, als wäre nie etwas passiert. Wenn er wirklich der Täter war, dann hatte er wahrhaftig ein schauspielerisches Talent.

Die Stimmung war eher gelassen, auch wenn sie ihrer Mutter deutlich ansehen konnte, wie gestresst sie war.

Als sie von dem Drohbrief gehört hatte, war sie fast gar nicht mehr ansprechbar gewesen und wollte Alena von diesem Treffen auch eigentlich abraten, da sie Schlimmeres vermeiden wollte. Doch auch sie konnte nicht einfach von ihrer Familie getrennt werden, also hielt sie tapfer durch und versuchte sich zusammen zu reisen.

Langsam kam der Abend und nach ein paar Tassen Kaffee und belanglosen Gesprächen, dachte sich Alena, dass es langsam Zeit war, ihren Plan durch zu führen. „Entschuldigt mich, ich geh mich mal kurz frisch machen.“ Sie stand auf und ging strikt zu Sabines Zimmer. Als sie das Zimmer von ihr und Ibrahim betrat, fing sie sofort an, alles zu begutachten, doch es war nichts auffälliges vorhanden.

Er musste seine Sachen in einer anderen Wohnung versteckt haben. Sie sah auf ihrem Schreibtisch nach, durchsuchte die Schubladen, schaute in einen Rucksack rein, doch es war nichts zu finden. Schließlich widmete sie sich ihrem eigentlichen Objekt der Begierde.

Sie stand vor dem Schrank, in dem sie ihre Klamotten drin hatten und Alena erhoffte sich, dort fündig zu werden. Würde sie die Faserspuren in seiner Kleidung nachweisen können, wäre das ein riesiger Schritt.

Sie öffnete die Türen und wusste, dass sie richtig war, denn es waren nur Herrenklamotten darin. Sie fing an zu wühlen. Mehrere Jeanshosen aber alle nur in blau, Mehrere Hemden, T-Shirts, Unterhosen und mehrere Pullover. Darunter waren auch mindestens drei schwarze Pullis und sie hoffte, dass sie eine heiße Spur gefunden hatte.

Einer dieser Pullis könnte wohl möglich zu den gefunden Faserspuren gehören.

Sie berührte mit ihren Fingern ganz vorsichtig den schwarzen Pulli, als eine Hand gegen den Schrank schlug und sie sich erschrocken umdrehte. Fast hätte sie geschrien.

Vor ihr stand Ibrahim und schaute sie mit einem unheimlichen, durchbohrenden und finsteren Blick an.

„Suchst du was bestimmtes?“ fragte er mit dunkler, kühler Stimme. Alena musste kurz schlucken, fasste sich dann aber schnell wieder und antwortete: „Oh ähm..Sabine wollte mir eins ihrer T-Shirts aus leihen aber ich habe glaube ich den falschen Schrank erwischt.“

Wieder schaute er sie mit diesem unheimlichen Blick an und sagte:“Sabines Klamotten sind auf der anderen Schrankseite, das hier sind meine Sachen.“. Sie fing an zu lachen. „Ja das habe ich auch schon gemerkt, ist mir echt peinlich. Na ja, dann sehe ich mal auf der anderen Seite nach.“

Ibrahim lächelte sie daraufhin ebenfalls an und drehte sich dann um, um das Zimmer zu verlassen. Als er wieder weg war, musste Alena wieder schlucken.

Dieser Blick. Es war, als hätte er gewusst, was sie vorhatte. Es war nicht dieser typischer Moment, in dem beide herzhaft lachen und der andere ebenfalls sagte, wie komisch es war, dass sich jemand in der Schrankseite vertan hatte, sondern eher ein kurzer Moment, in dem er sie versucht hatte, zu durch schauen, um heraus zu finden, wie viel sie wohl möglich schon wusste.

Dennoch durfte Alena jetzt nicht die Fassung verlieren.

Sie klappte die Schranktür wieder zu und ging wieder nach draußen zu Sabines Familie und tat so, als wenn nichts gewesen wäre. Auch Ibrahim verhielt sich wieder ruhig und tat so, als wenn nichts vorgefallen wäre, jedoch schien sie sich ein zu bilden, dass er dieses mal versuchte, ihren Blick zu vermeiden.

Der Abend ging zu Ende und Alena wollte schleunigst nach Hause. Sie hatte sich zu weit aus dem Fenster gelehnt und lief nun Gefahr hinaus, wieder alles zu verlieren.

Die Organisation durfte auf keinen Fall auf den Trichter kommen, dass sie die ganze Zeit von ihr belauscht wurden. Sie hatte gehofft, sich unbemerkt Beweise holen zu können und nun stand sie da mit leeren Händen und Ibrahim hatte vielleicht Verdacht geschöpft, wenn er wirklich der Täter sein sollte.

Sie musste auf jeden Fall weg und verabschiedete sich noch zuletzt bei ihrer Mutter und den anderen, als sie sich auf den Weg zur Bushaltestelle machte.

Es war bereits dunkel und sie folgte der Straße, die in Abständen von fünfzig Metern beleuchtet wurde. Knapp zwanzig Minuten brauchte sie, um die Bushaltestelle

zu erreichen.

Eigentlich hatte sie nie Angst, alleine unterwegs zu sein, doch heute erinnerte sie komischerweise wieder alles an früher. Als sie die Bushaltestelle endlich erreicht hatte, stellte sie fest, dass sie noch fünfzehn Minuten Zeit hatte, bis der Bus kam. Also lief sie die Straße mit ihrer Krücke noch ein wenig auf und ab und nahm nach zehn Minuten ihr Handy heraus, um Nick von ihrer merkwürdigen Begegnung mit Ibrahim zu erzählen.

Sie ging die Straße wieder hinauf und merkte, wie es über ihr wieder dunkel wurde, als sie sich von der Straßenlaterne entfernte.

Sie versuchte Nick anzurufen, doch er ging nicht an sein Handy ran. Vielleicht war er schon im Bett, also tippte sie ihm eine Nachricht.

Noch während sie am tippen war, merkte sie nicht, dass ihr jemand gefolgt war.

Zu spät bemerkte sie, dass sich ihr von hinten Schritte näherten. Zu spät bemerkte, sie den alt bekannten Alkoholgeruch, der ihr damals auch schon bekannt vorgekommen war.

Als sie die Schritte hinter sich hörte, wollte sie sich noch umdrehen, doch er war schneller und griff sie von hinten an. Wieder kam in ihr die Angst hoch, die sie damals ebenfalls schon erlebt hatte, doch so leicht wollte sie dieses mal nicht aufgeben. Er hatte ihre Hände von hinten gepackt und drückte sie nach hinten, sodass sie sich nicht befreien konnte.

Dann hörte sie die Stimme von Ibrahim reden.

„Du kleine Schlampe. Denkst du wirklich, wir hätten nicht gemerkt, dass du uns belauscht hast und versucht hast, an Informationen zu kommen? Es ist keine große Kunst, das Profilfoto von jemanden zu klauen und es dann als sein eigenes Profilbild zu verwenden aber du hast einen kleinen Fehler gemacht. Google gibt sämtliche Informationen Preis. Auch die deines angeblichen Profilfotos. Der Eigentümer diese Foto heißt Mohammed Yilmaz und das Foto ist schon mindestens drei Jahre alt. Kann man dort alles nachlesen. Glaubst du wirklich, wir hätten uns nicht die Mühe gemacht, uns die User, die uns besuchen, genauer unter die Lupe zu nehmen? Du bist uns bisher schon einmal in die Falle gelaufen und wirst hier auch jetzt nicht heraus kommen.Ich werde dir einen weiteren Denkzettel verpassen müssen“ sagte er und drückte sie noch enger an sich.

Es war also doch Ibrahim. Er hatte ihr aufgelauert, als er in Sabines Zimmer Verdacht geschöpft hatte und nun war sie wieder in den Fängen diese Mistkerls, doch dieses mal würde sie nicht nachgeben. Ihre Krücke war im Ellenbogen immer noch mit eingeklemmt

„Immer zur Körpermitte. Da, wo die Rippen aufhören und die Gedärme anfangen, ist er verwundbar. Dort musst du hinschlagen.“ hatte ihr Nick gesagt, also nahm sie blitzschnell ihre Ellenbogen, die er nach hinten bog und haute sie nach hinten in seinen Bauch. Er taumelte mit ihr umher. Offensichtlich hatte sie ihn überrascht, doch er hielt sie immer noch fest. Deswegen schlug sie immer und immer wieder nach hinten. Immer wieder in die Bauchgegend, bis er auf einmal los ließ und sie sich aus seinem Griff befreien konnte. Blitzschnell drehte sie sich um und nützte die Gelegenheit seiner Verwirrtheit aus, um mit ihrer Krücke zu zu schlagen. Sie nahm sie in beide Hände und schlug ihm die Krücke direkt ins Auge. Er schrie auf und beugte sich nach vorne, um sein Auge an zu fassen, doch bevor er überhaupt realisieren konnte, was passiert war, nahm sie die Krücke erneut und stieß ihn mit der Krücke zu Boden. Mit beiden Beinen ließ sie sich auf ihn fallen, sodass sie nun auf ihm drauf saß.

Er krümmte sich vor Schmerzen und schrie wild um sich. „Aaah..du Hure, was hast du mit meinem Auge gemacht!!“ doch noch bevor er weiter reden konnte, nahm sie die Krücke wieder in beide Hände und schlug so oft auf ihn ein, bis er sich vor Schmerzen nur noch winden konnte.

Als er sich nicht mehr bewegen konnte, drehte sie ihn auf den Bauch, um ihn dann die Hände hinter dem Rücken fesseln zu können. Als sie dabei war, ihn zu fesseln merkte sie, wie das Blut immer noch in ihr kochte.

Noch nie in ihrem Leben hatte sie so eine Wut gehabt, doch es fühlte sich gut an, endlich die Möglichkeit zu haben, diesem Schwein alles heim zu zahlen.

Als sie ihn gefesselt hatte, drehte sie ihn wieder um und nahm ihre Krücke wieder in beide Hände, um die Krücke dann gegen seinen Kehlkopf zu drücken. Er fing an zu schluchzen und schnappte krampfhaft nach Luft, doch es war ihm unmöglich, sich aus diesem Griff zu befreien.

„Jetzt wirst du mir gut zuhören, du Schwein! Du hast mich so dermaßen entstellt, dass ich jetzt jeden Grund hätte, dir das selbe an zu tun, doch das einzige, was ich von dir will, sind die Namen. Wenn du sie mir gibst, werde ich dich vielleicht noch am Leben lassen!“ Sagte sie voller Zorn. „Namen? Was für Namen?“ . „Du Idiot, tu nicht so scheinheilig! Du weißt genau, was ich meine. Ich will sämtliche Namen der Mitglieder der Organisation und vor allem die meines Onkels!“ Obwohl er mit seinen Kräften am Ende war, versuchte er sie immer noch zu reizen.

„Wieso sollte ich dir die Namen geben? Hä? Du kannst mir nichts tun, denn wenn du mich hier umbringen willst, dann machst du dich strafbar bei der Polizei und kommst hinter Gitter, du Miststück!“.

Nun nahm Alena ihre Krücke und drückte sie noch enger an seinen Hals, sodass er wieder versuchte sich krampfhaft aus ihrem Griff zu befreien.

„Jetzt pass mal gut auf, du feige Sau. Ich habe die Zeit nicht umsonst verstreichen lassen. Seit dem du mich entstellt hast, habe ich Zeit damit verbracht, zu lernen, wie man so kleinen feigen Schweinen wie dir die Eier raus reist und ich schwöre dir bei meinem Leben..ich werde dich töten, wenn du mir nicht die Infos gibst. Glaubst du ernsthaft, ich werde hinter Gittern landen? Wenn die Polizei kommt, werde ich ihnen einfach sagen, dass es Notwehr war. Außerdem brauchst du nicht zu denken, dass meine Arbeit umsonst war. Ich habe euch gestalkt und von jedem Chatverlauf einen Screenshot gemacht. Ich habe euch über mehrere Wochen bespitzelt und letztendlich hat euch Weicheier euer eigener lächerlicher Stolz und Egoismus verraten. Und wenn die Bullen deine Wohnung betreten und deinen Tatpullover finden, an dem noch die Faserspuren vom letzten Tatort sind, haben sie jeden Grund, mir mehr zu glauben als dir! Vor allem wo du jetzt eh noch so schön zu gegeben hast, dass du mich damals überfallen hast, können die Fakten gar nicht eindeutiger sein. Du steckst ganz schön tief in der Scheiße drin mein Freund. Du meinst, du hast die einzig wahre Religion gefunden und missbrauchst sie aber dazu, um deine eigenen niederen Bedürfnisse zu befriedigen. Weißt du, was du für mich bist? Ein Loser. Ein Mann ohne Eier! Allein schon, dass du dir extra nen Kumpel holen musst, um eine hilflose Frau zu überfallen ist schon mehr als nur erbärmlich.“

„Du bist nichts weiter als Dreck! Wenn es sein muss, dann bring mich doch um aber von mir wirst du gar nichts erfahren!! Du bist eine Frau und du wirst immer unter mir stehen, genau so wie deine Hurenmutter!!“.

Jetzt reichte es Alena. Sie nahm ihre Faust und schlug ihn nun genau auf das blutende Auge, auf dem sie ihm schon zuvor die Krücke hinein gestochen hatte. Wieder fing er an zu schreien.

„Du hast recht. Zumindest besitzt du noch ein Ei. Denn offensichtlich bist du bereit, für deinen erbärmlichen Stolz zu sterben. Das ist schön für dich. Aber ich habe Zeit. Ich kann dich auch genau so gut so lange foltern, bis dus nicht mehr aushälst und wie ich bereits gesagt habe. Wenn du nicht bald anfängst zu reden, werde ich dir dein eines Ei langsam aus reisen, bis du das Gefühl hast, deine Genitalien würden platzen. Und wehe du wagst es, mich an zu lügen, dann werde ich dich nochmals attackieren und dann bist du wirklich dran!“

Sie wollte mit ihrer Hand zwischen seine Beine greifen, doch plötzlich gab er nach und fing an zu schreien. „Nein, warte! Ich werde reden aber bitte verschone mich von diesem perversen Kram!“ Alena grinste. Sie hatte ihr Ziel erreicht, denn sie wusste, dass auch er nur ein Mensch war, den man mit den richtigen Mitteln zum reden bringen konnte und er fing an ihr sämtliche Namen und Adressen zu geben. Auch die ihres Onkels und Alena war beruhigt. Auch wenn sie ihre Konten inzwischen wahrscheinlich schon längst gesperrt hatten und die Webseite gelöscht hatten, würden sie nicht wissen, dass sie nun auch ihre Adressdaten hatte und konnte somit die Polizei einwandfrei darüber verständigen.

Sie gab ihm nun einen letzten Schlag mit der Krücke ins Gesicht, sodass er ohnmächtig wurde und sie problemlos die Polizei anrufen konnte.

Als die Polizei kam, nahm Alena die Hände hoch und ließ die Polizei ihre Arbeit machen.

Sie gab der Polizei sämtliche Daten und erzählte ihnen auch, wie Ibrahim über sie hergefallen war.

Natürlich erläuterte er der Polizei genau das Gegenteil. Dass sie damit angefangen hatte. Dass er sie nur etwas fragen wollte und das sie grundlos auf ihn losgegangen war.

Doch hinsichtlich der Beweislage, dass die Polizei nun nicht nur sämtliche Adressdaten der Mitglieder hatte, sondern auch noch tatsächlich den Tatpullover von Ibrahim in seinem Kleiderschrank fand, dessen Faserspuren mit denen vom damaligen Tatort über ein stimmten, hatte er keine Chance mehr vor Gericht.

Natürlich hatten die Mitglieder die Webseite „Islamic World“ , sowie ihre eigenen Profile sofort gelöscht, nach dem sie Ibrahim gewarnt hatte, dass ein Spitzel dort war, doch da Alena von jedem Chatverlauf ein Screenshot gemacht hatte, konnten sie sich dort auch nicht mehr heraus befreien.

Kurz nach dem Alena den Beamten die Adressdaten der Mittäter geliefert hatte, hatten sie sämtliche Wohnungen gestürmt und die Mitglieder festgenommen, ehe sie hätten fliehen können. Es war schon verblüffend. Alena erfuhr, dass unter anderem eine gesamte Familie zu den Mitgliedern gehörten.

Sie wurden in ihrer Wohnung überrascht, genau so wie ein Taxifahrer, ein Student und eine Gruppe von drei jungen Männern, die versucht hatten zu fliehen, doch noch am Flughafen abgegriffen wurden und somit auch keine Chance mehr hatten zu fliehen. Sie schnappten ebenfalls den zweiten Täter, der ihr damals aufgelauert war, denn er hatte eine auffällige Narbe über dem Auge, von der Alena auch schon damals berichtet hatte und somit war die Lage mehr als eindeutig.

In fast jeder Wohnung der Mitglieder wurden die Symbole der Organisation in Büchern, Laptops, Bildern gefunden, sowie alle möglichen Hassparolen gegen die westliche Welt und Waffen aus dem Ausland.

Viele der Mitglieder kamen aus einem eher sozial schwachem Umfeld.

Auch der zweite Täter, der sie überfallen hatte, kam aus einer Hartz-vier Familie, in der er keine Anerkennung gefunden hatte.

Als sie ihn zum ersten Mal sah, kam er ihr wahrhaftig wie ein Versager vor. Nicht wie jemand, der auch mal gerne hilflose Frauen schlägt. Er war sehr zierlich und hatte starke Akne im Gesicht.

Auch auf seinem Laptop fand man sämtliche Chatverläufe und Texte, in denen er sich darüber aufregte, dass keine Frau ihn respektieren würde und dass er in der westlichen Welt nicht anerkannt wurde oder Anschluss fand. Abgesehen von einem Student der Mitglieder, der ebenfalls von Minderwertigkeitskomplexen geplagt wurde, waren fast alle Mitglieder eher aus der sozialen Unterschicht und hatten ein perspektivloses Leben. Doch anstatt sich zu integrieren, hatten sie einen Hass auf die westliche Welt entwickelt und gaben ihnen die Schuld für ihre eigene Faulheit und Unbeholfenheit.

In Alenas Augen war es klar, dass sie ihre Religion nur deshalb als Ausrede nahmen, um ihren sinnlosen Zorn auf Grund ihrer eigenen Unfähigkeit ausführen zu können. Sie waren wie jede andere radikale Gruppe von Menschen, die einfach nur von ihren eigenen Problemen ablenken wollten und sich somit einer Organisation anschlossen, obwohl diese mit dem eigentlichen Glauben gar nichts zu tun hatte. Diese Struktur gab es überall auf der Welt, nicht nur bei radikalen religiösen Gruppen, sondern auch bei Rechtsradikalen, Faschisten, Rassisten, Frauenhassern, Schwulenfeinden oder anderen radikalen Gruppen, die ihre sinnlose Meinung bis auf s Blut verteidigen wollten, nur um von ihren eigenen Problemen ab zu lenken.

Alena und ihre Familie waren beruhigt, als sie erfuhren, dass fast alle Mitglieder geschnappt wurden. Doch der einzige der noch fehlte, war ihr Onkel.

Sie wussten zwar, wo seine Wohnung war und hatten sie auch sofort gestürmt, doch Amir selbst war nicht mehr vor Ort.

Als Yusuf hörte, dass ausgerechnet der Verursacher für das Leiden seiner Tochter, sein eigener Bruder nicht gefasst werden konnte, schlug er vor lauter Wut mit der Faust gegen die Wand. Es war sehr merkwürdig, denn auch an sämtlichen Flughäfen und Bahnhöfen, konnte keiner abgefangen werden, der unter den Namen „Amir Masaad“ reisen wollte. Er hatte auch noch keine Einträge im Polizeiregister. Er hatte stets dafür gesorgt, nicht auf zu fallen und hatte für die Drecksarbeit wahrscheinlich immer seine Helfer los geschickt. Die Polizei wusste lediglich, dass er seit 3 Jahren hier in Deutschland lebte und es geschafft hatte, als Flüchtling hier Schutz zu finden. Er bekam eine Wohnung ganz in der Nähe von Frankfurt, wo ebenfalls Alena und ihre Familie gelebt hatten und hatte somit keine Mühe, sie belauschen zu können.

Sie konnte nur hoffen, dass er sich keinen gefälschten Pass besorgt hatte, sonst wäre der Einsatz schon wieder umsonst gewesen.

Seine Wohnung hatte er natürlich lückenlos hinterlassen. Außer den Möbeln und ein paar Utensilien, konnte die Polizei in seiner Wohnung nichts mehr finden. Er hatte alle verräterischen Beweise entweder vernichtet oder mitgenommen und somit fing die Suche wieder von vorne an. Auch Alena war sauer, dass ausgerechnet er nicht ausfindig gemacht werden konnte.

Wenn er sich wieder irgendwo versteckte, würde er vielleicht wieder eine neue Organisation gründen, um seinen Hass heraus zu lassen und dann würde der Stress wieder von vorne anfangen. Es war eine aussichtslose Lage, doch zumindest waren jetzt erst mal sämtliche Mitglieder der Organisation, inklusive die zwei Täter erst mal gefasst und konnten einem Haftrichter vorgeführt werden. Es würde ein Verfahren geben und die Verteidiger würden alle Mühe haben, Alena in die Schranken zu weisen, doch hinsichtlich der Tatsache, dass die Beweislage erdrückend war, würden sie nicht so leicht davon kommen, auch wenn das Verfahren wahrscheinlich länger dauern würde, auf Grund der vielen Mitglieder und des Vorfalls.

Auch in den Medien war nun überall von diesem Fall zu hören und Alena merkte schon sehr bald, dass die Familie sich nun ein neues Zuhause suchen musste.

So oder so. Denn nachdem man sämtliche Beweise von Islamic World in den Wohnungen der Täter und im Internet gefunden hatte, ließ die Sensationsgier der Medien natürlich nicht lange auf sich warten. Nun brauchten sie keine Angst mehr davor zu haben, überfallen zu werden, denn nun hatten sie nämlich ein anderes Problem.

Nämlich, das ständig Journalisten und Reporter vor ihrem Haus auf tauchten, um sie zu befragen oder irgendwie an noch mehr Details zu kommen.

Also fassten sie den Entschluss, ihr altes Haus zu verlassen und den Polizeischutz an zu nehmen und in eine andere Stadt zu ziehen. Ebenso wie Alena und ihre Familie, waren Sabine und ihre Familie vollkommen geschockt von diesem Vorfall, vor allem natürlich Sabine.

Sie konnte nicht fassen, dass sie sich mit solch einem Mistkerl eingelassen hatte und vor allem in diesen zwei Jahren nicht das geringste mitbekommen hatte. Viel schlimmer noch, sie machte sich Vorwürfe, weil ausgerechnet sie nicht gemerkt hatte, wie er sie auch zum Schluss nur deswegen so manipuliert hatte, damit die Familie ja kein Verdacht schöpfen würde.

Alena fuhr zu ihre Cousine und hatte alle Mühe damit, sie zu trösten. Jetzt war sie diejenige, die sich geschändet fühlte und vor lauter Trauer und Vorwürfen gar nicht mehr aufhören konnte zu weinen.

„Wie konnte ich nur so dumm sein??“ sagte sie. „Ich hätte ihn gleich verlassen sollen, als er schon angefangen hat, mich so mies zu behandeln, doch ich wollte einfach nicht wahr haben, dass er mich nicht leiden kann und habe damit dich auch noch auf dem Gewissen..“

Alena tröstete sie. „Jetzt hör mal Sabine, das ist doch nicht deine Schuld. Klar warst du etwas dickköpfig und hast dich von ihm hintergehen lassen, weil er mit deinen Gefühlen gespielt hat aber du konntest doch nicht wissen, dass er was mit dieser Tat zu tun hatte. Wenn du jemanden um Vergebung bitten musst, dann mich..und ich werde dir nicht die Schuld dafür geben, dass du dich von ihm hast täuschen lassen..er war zwar ein Arschloch aber auch ich habe anfangs nicht gewusst, dass er was mit der Sache zu tun hatte.“

Sabine seufze kurz. „Ich komm mir nur so dumm und schmutzig vor, weil ich mich die ganze Zeit mit ihm abgegeben habe und ich ihn noch nicht mal zurück gewiesen habe, obwohl er mich schlecht behandelt hat..“

Alena schaute sie wieder aufmerksam an. „Ich hoffe du hast daraus gelernt, dass es niemals an dir gelegen hat, sondern einzig und allein an diesem Mistkerl. Kein Mann ist gut genug für dich, wenn er dich nicht so liebt und respektiert, wie du bist. Du bist eine wunderschöne und kluge Frau. Und ich hoffe, dass du dich in Zukunft nicht mehr so reduzieren lässt. Denn wenn ein Mann dich wirklich liebt, dann liebt er auch alles an dir..“ Sabine fing zum ersten mal wieder an zu lächeln. „Oh glaub mir Alena. Das wird mir nie wieder passieren..ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Trotzdem fühl ich mich total schlecht, weil du in der ganzen Sache so verletzt wurdest..“ Alena schüttelte wieder den Kopf.

„Wie ich bereits gesagt habe. Dich trifft keine Schuld. Du konntest es nicht wissen. Aber um mich brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen. Ich bin in dieser Situation gewachsen. Anfangs dachte ich noch, ich würde nie wieder in der Lage sein, wie ein normaler Mensch zu leben, doch sie mich jetzt an..ich bin wieder glücklich und kann machen was ich will. Ich fühle mich fit, habe neuen Lebensmut gefunden und habe außerdem einen wunderbaren Mann an meiner Seite, den ich ohne diesen Vorfall vielleicht niemals kennen gelernt hätte. Vielleicht war es Schicksal, vielleicht auch nur einfache Physik..aber mein Leben ist nun mal so wie es ist..und ich habe gelernt, immer das Beste daraus zu machen. Und auch wenn der Spuk vielleicht noch nicht ganz vorbei ist. Ich habe keine Angst mehr. Ich bin stärker geworden und habe diesen Mistkerl krankenhausreif geschlagen. Und ich bin auch jederzeit wieder bereit zu zu schlagen, denn ich weiß jetzt wie ich mich verteidigen kann. Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod. Ich wäre nur dann beunruhigt, wenn ich vor meinem Tod nicht noch alle Dinge erledigen könnte, die ich mir vorgenommen habe. Also mach dir bitte nicht so viele Gedanken um mich ok?“ Sagte Alena und Sabine schaute sie wieder strahlend an.

„Du bist so erwachsen geworden. Ich wünschte ich wäre auch so stark wie du. Aber es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich wieder aus mir heraus kommen kann..“ sagte sie nun.

Als Alena das hörte, nahm sie ihre Cousine in die Arme und sagte:“ Ja, ich weiß wie es sich anfühlt, wenn man noch Zeit braucht aber keine Angst. Deine Freude wird wieder zurück kommen. Du musst nur an dich glauben und dir wieder all das in Erinnerung rufen, was dich glücklich macht.“ Alena hielt ihre Cousine noch ein wenig im Arm und überlegte dabei.

Sie hatte nun so viel erreicht. Sie hatte einen gewaltigen Rachezug ausgeübt und hatte das Rätsel fast komplett zusammen gefügt, doch nun war ein weiterer Mensch wieder gebrochen und sie fing wieder an, innerlich zu kochen.

Diese miese Ratte, die sie selbst noch nie getroffen hatte, war immer noch frei unterwegs und konnte machen, was sie wollte, doch Alena glaubte auch, dass es trotzdem bald ein Ende geben würde.

Aus irgend einem Grund hatte sie das Gefühl, dass ihr Onkel nicht mehr lange auf sich warten ließ. Es musste ein ganz schöner Schicksalsschlag für ihn gewesen sein, dass seine gesamte Organisation aufgeflogen war und nun auch die Medien überall nur von Islamic World redeten. Er war gebrandmarkt und konnte sich nun nicht mehr so einfach verstecken, da nun auch die ganze Welt von seiner Organisation erfuhr, die nun aufgeflogen war.

Und da diese Radikalen sowieso immer eine solche Wut in sich trugen, wenn sie wussten, dass sie keine Wahl mehr hatten, rechnete sie schon sehr bald damit, dass sich ihr Onkel ihr zeigen würde, um den letzten Kampf über die Bühne zu bringen, bevor er vielleicht endgültig geschnappt werden würde.

Er wusste, dass er immer mehr in die Enge getrieben wurde, also machte es sehr viel Sinn, dass er zu einem letzten Schlag nochmal ausholen würde.

Alena hatte jedenfalls keine Angst mehr vor ihm. Sie dachte sich, wenn es sein müsste, würde sie ihn mit offenen Armen empfangen, damit sie die ganze Geschichte endlich hinter sich bringen könnte, denn auch sie hatte genug von diesem Katz und Maus Spiel.

Würde er sich zu erkennen geben, dann wäre sie wieder vorbereitet. Die Frage war nur, wie lange er noch warten könnte.

 

Auch ihr Vater hatte es nun satt und ging an die Öffentlichkeit. Er rief in den Medien dazu auf, dass sich sein Bruder endlich ergeben sollte. Dass er genügend sinnloses Unheil über seine Familie gebracht hatte und das er endlich vernünftig werden sollte. Er sollte sich stellen, um dem ganzen Wahnsinn ein Ende zu setzen, doch die Wochen gingen wieder dahin, ohne dass etwas passierte.

Alena hatte inzwischen die Bestätigung bekommen, dass sie an der Uni anfangen durfte, Jura zu studieren.

Neben all den Dingen, die sie in letzter Zeit wieder hatte durchleben müssen, war dies mal wieder ein Lichtblick für sie.

Zum ersten mal saß die gesamte Familie wieder zusammen am Tisch und freute sich darüber, dass es wenigstens einen Grund gab, sich mal wieder zu freuen. In ihrer neuen Wohnung saßen sie nun zusammen. Alena und Nick, Elyas, Elisabeth und Yusuf.

Auch wenn sie es sich nicht anmerken ließen aber Alena konnte in den Augen ihrer Eltern ablesen, dass sie sich auch darüber freuten, dass so gut wie die gesamte Organisation aufgeflogen war und dass vor allem Alena es geschafft hatte, den Täter zu stellen.

Zum ersten Mal erlebte sie, wie ihre Familie sich darüber freute, dass sie wieder alle zusammen ungestört am Tisch sitzen konnten und dass sie nicht nur darüber erfreut waren, dass sie an der Uni zugelassen wurde, sondern, dass die Täter auch fast alle geschnappt wurden und der Fall in die Öffentlichkeit gelangt war, sodass nun auch das Spezialkommando hinzu gezogen wurde.

Er hatte nicht mehr viele Möglichkeiten, sich zu verstecken und auch wenn er darauf geachtet hatte, keine Spuren zu hinterlassen, so hatten bereits mehrere Mitglieder ausgesagt, dass er einer der Gründer der Organisation war und machten identische Zeugenaussagen.

Ihr Verteidiger hatte ihnen wahrscheinlich dazu geraten, denn auf Grund der Tatsache, dass die Beweislage so dermaßen erdrückend war, es besser für sie wäre, wenn sie sich stellten und Antworten zu Amir aus sagten, damit sie mit einer milderen Strafe davon kommen konnten. Manchmal brauchte das System eben Lücken, damit man den großen Fisch doch noch schnappen konnte, dachte sich Alena.

 

Und tatsächlich. Der Fuchs konnte sich nicht mehr länger in seinem Bau verstecken. Überall waren Täterprofile von ihm ausgehängt und wurden in den Nachrichten gezeigt. Und dann erfuhren Alena und ihre Familie in den Nachrichten, dass er aufgeflogen war, als er sich ein Taxi nehmen wollte. Der Taxifahrer, der ihn daraufhin erkannte, drohte ihm damit, die Polizei zu rufen, da er ihn für den besagten Verdächtigen hielt. Also schmiss Amir den Taxifahrer aus dem Auto heraus, um zu flüchten.

Laut Polizeiaussagen war es jedoch nicht mehr möglich ihn zu finden. Sie fanden zwar wenige Tage später das gestohlene Taxi auf einem Abstellplatz, doch von ihrem Onkel selbst fehlte mal wieder jede Spur.

Doch er war auf der Flucht. Er versuchte krankhaft sich zu verstecken, doch wurde nun fast überall erkannt. Er hatte nicht mehr viele Möglichkeiten sich zu verstecken und Alena und ihre Familie hofften insgeheim, dass er es nicht ins Ausland schaffen würde und schon bald geschnappt werden konnte.

Alena konnte nur hoffen, dass die Polizei ihn zuerst entdecken würde, bevor er sie und ihre Familie noch einmal aufsuchen würde, um sie ein letztes mal zu beißen.

Doch darüber machte sich in Alena erst mal keine Gedanken, da sie in einem anderen Haus lebten und niemand wusste, dass sie dort waren. Zumindest noch nicht.

Ihre neue Wohnung war etwas kleiner als die Alte. Doch Alena, so wie der Rest der Familie wussten, dass es unvermeidbar war, dort zu leben.

Eines Tages beschloss ihr Vater, zusammen mit ihr und ihrer Mutter zurück zu der alten Wohnung zu fahren, denn sie mussten noch ein paar Sachen aus der alten Wohnung mit nehmen.

Sie stiegen in ihr Auto und fuhren zurück zu ihrem alten Heim.

Als sie ausstiegen, vermuteten sie zuerst, die üblichen Fotografen und Reporter, die das Haus mal wieder nach ihnen absuchen würden, doch dieses mal schien alles ruhig zu sein.

Nachdem ein paar Wochen vergangen waren, hatten sie wohl gemerkt, dass sie bereits ausgezogen waren und hatten es auf gegeben, sie heim zu suchen.

Als Alena und ihre Eltern wieder zum ersten Mal vor ihrem alten Haus standen, schwiegen sie sich für einen Moment lang wieder an. Es war merkwürdig still und es war eine betrügende Situation, zum ersten mal wieder vor dem Haus zu stehen, in dem sie schon so viel erlebt hatten. Und auch wenn es nur schlichte Materie war, so klebten doch so viele Erinnerungen an diesem Haus. Wie auch immer.

Sie würden sich in ihrem neuen Zuhause ebenfalls wieder einfinden und dort hoffentlich ein glücklicheres Leben führen, als in diesem hier.

Sie betraten die alte Wohnung und standen in ihrem alten Wohnzimmer, das nun kahl und ohne Möbel war.

Ihre Mutter seufze und sagte daraufhin:“ich geh schon mal runter in den Keller und hole den alten Bügeltisch.“ „Ok, mach das mein Schatz“ sagte Yusuf und ging zum Eckschrank. Er hatte dort ebenfalls noch ein paar Materialien, die er mit zu nehmen hatte und Alena wollte sich ebenfalls auf den Weg zu ihrem Zimmer machen. Elyas musste dieses mal nicht mitkommen, da er bereits beim ersten Umzug schon alles einpacken konnte.

Alena wollte sich gerade um drehen, da entdeckte sie einen Teller mit Essensresten auf dem alten Tisch in der Küche.

„Dad, hattest du noch was gegessen und vergessen es auf zu räumen, als wir hier das letzte mal da waren und die Wohnung geräumt haben?“ fragte Alena daraufhin ihren Vater, der sich verwirrt aufrichtete und sie fragwürdig anschaute. „Nein, wieso?“ Er ging auf Alena zu. „Nun ja, weil hier ein Teller mit Essensresten steht. Vielleicht war es ja auch Elyas..“ sagte sie daraufhin, doch als Yusuf näher kam und sich den Teller genauer ansah, verschlug es ihm fast den Atem.

Alena schaute ihn geschockt an. „Was..was ist denn Dad?“.

Ihr Vater kam näher und berührte die Essensreste der Pizza. „Es ist noch warm..“ sagte er daraufhin.

Alena schaute ihn daraufhin ebenfalls bestürzt an. Vielleicht waren ein paar der Reporter hier eingebrochen oder ein Junkie oder Obdachloser hatte sich in ihrer alten Wohnung zu schaffen gemacht, doch was wäre wenn es jemand anderes war..Jemand der ihnen etwas an tun wollte. Plötzlich weiteten sich auch Alenas Augen immer mehr.

Schon als sie hierher gefahren waren, hatte sie ein mulmiges Gefühl gehabt. Doch sie dachte, sie würde noch paranoid werden, wenn sie sich zu viele Gedanken machte.

Hätte sie doch lieber ihren Instinkten vertraut.

Ein weiblicher Schrei kam aus dem Keller und ohne lang zu überlegen, rannten Alena und Yusuf runter in den Keller.

Alena wollte es nicht glauben und wahr haben, doch sie sollte mit ihrem Gefühl recht behalten. Dass ihr Onkel es nicht mehr lange aushalten würde und nochmal zuschlagen würde.

Denn als die Treppen herunter rannten, erkannten sie im dunklen Licht einen Mann, der Elisabeth ein Messer an den Hals hielt.

„Hallo Bruderherz. Endlich sehe ich dich wieder“ sagte er mit dunkler heiserer Stimme.

Alena konnte es nicht glauben. Sie hatte ihren Onkel nur als Kind, zusammen mit ihrem Vater auf alten Familienfotos gesehen, sowie die Täterprofilfotos der Medien, die extra für ihn angefertigt wurden.

Doch als sie ihren eigenen Onkel zum ersten mal in Wirklichkeit vor sich stehen sah, konnte sie es nicht glauben.

Sie hatte einen großen, bedrohlichen Mann erwartet, der mit einem Schlag alles zum wackeln bringen konnte.

Doch stattdessen fand sie einen älteren Mann vor, dessen Gesicht von Sorgenfalten und schlechten Zähnen geprägt war. Er war dick und hatte einen krummen Rücken.

Er hatte ebenfalls eine Halbglatze, im Gegensatz zu ihrem Vater, der noch sein volles Haar hatte. Und obwohl Amir jünger als ihr Vater war, sah er wesentlich älter aus und stank nach Alkohol.

Nur sein Blick war voller Zorn und strahlte Gefahr aus.

Alena merkte bereits jetzt schon, was für ein armseliges Leben er in der Vergangenheit geführt haben musste. Enttäuscht von der eigenen Unfähigkeit, schoss er nur gegen andere und ließ seinen Zorn und seine Wut an seiner Umwelt aus.

Auch ihrem Vater stand die Wut und das Entsetzen nun schon förmlich ins Gesicht geschrieben, als er das Messer an seiner Liebsten vorfand.

„Lass sie los!“ Schrie Yusuf, doch Amir schaute ihn nach wie vor mit diesen Zorn erfüllten und gleichzeitig ängstlichen Augen an.

„Nein! Sie ist die Ursache des gesamten Übels! Hättest du sie damals nicht geheiratet, wäre es nie soweit gekommen! Sie muss sterben! Ich tue das wegen dir mein Freund! Wenn du so weiter lebst, kommst du niemals in den Himmel!“ Trotz seines zornigen Auftretens, konnte Yusuf nach wie vor die Unsicherheit in ihm erkennen. Er wusste wahrscheinlich nicht mehr, wem er noch trauen konnte und wem nicht. Hatte ihn sein Gott vielleicht doch im Stich gelassen?

Yusuf, ging keinen Schritt zurück. Er schaute ihn nur mit selbstbewussten Augen an und sagte:“Nein Yusuf. Es war niemals meine Schuld oder die meiner Frau. Wer hat dich denn die ganze Zeit im Stich gelassen hmm? Es war dein Gott, den du so angehimmelt hast. Was habe ich dir immer gesagt? Fang an etwas zu lernen, such dir einen Job, lerne andersdenkende Leute mit Respekt zu behandeln. Du wusstest, dass dein Leben ganz anders hätte verlaufen können. Doch statt mit dir und deiner Umwelt in Frieden zu leben, hast du dich nur Tag für Tag selbst zerstört. Du hast dich einer radikalen Bande angeschlossen, in der dir das Töten und Verletzen anderer Menschen beigebracht wurde. Menschen, die nichts getan haben..Die weder raubten, klauten, noch töteten oder verletzten. Du hast sie nur angegriffen, weil sie einen anderen Glauben hatten und was hat dir das gebracht? Wurdest du deshalb von deinem Gott erleuchtet? Nein! Du hast nach wie vor keinen Job, verbringst dein Leben in ärmlichen Zuständen und hast außer deiner grausamen Organisation nichts grandioses auf die Beine gestellt. Wenn du denkst, dass du alles richtig machst, warum erhört dich dann dein Gott nicht?“

Amir kam ins Grübeln, doch die Antwort fiel im rasch ein. „Mein derzeitiges Leben ist nicht wichtig. Es zählt einzig und allein, dass ich mich für meinen Glauben opfere und dafür im Jenseits gelobt werde!“

Wieder merkte Yusuf, wie er so langsam die Geduld verlor. Es war fast schon wie damals, als sie zusammen in ihrem Zimmer über richtig und falsch diskutierten, nur dass er dieses mal ein Messer an dem Hals seiner Frau hielt.

Es machte keinen Sinn mit ihm logisch zu diskutieren, denn er hatte seine eigene Vorstellung von richtig und falsch und würde sich von nichts und niemanden beirren lassen, also musste Yusuf einen anderen Weg finden.

„Ich dachte du bist ein richtiger Mann. Glaubst du etwa Allah wird dich dafür belohnen, dass du es geschafft hast, eine hilflose Frau mit zwei Männern zu entstellen oder dass du es jetzt geschafft hast, eine weitere hilflose Frau von hinten an zu fallen und mit einem Messer zu töten? Glaubst du etwa, dass du dafür belohnt wirst? Es ist keine große Kunst jemanden an zu greifen, der einem sowieso schon körperlich unterlegen ist aber dass du nun auch noch zwei Männer einsetzen musstest, um meine Tochter zu entstellen ist mehr als nur schwach. Und jetzt auch noch der lächerliche Angriff von hinten. Weißt du wer so etwas macht? Ein Angsthase. Eine kleine fiese Ratte, die sich nicht anders zu helfen weiß.“

Als er das gesagt hatte, konnte er langsam die Veränderung der Mimik in den Augen seines Bruders erkennen. Er fing tatsächlich an, ins Grübeln zu kommen. Er hatte ihn bei seinem Stolz gepackt, denn Yusuf wusste, dass es nichts wichtigeres als die Ehre im Leben dieser radikalen Spinner gab und hatte somit einen wunden Kern bei ihm getroffen, denn nun sah er, wie sich seine Miene noch mehr verfinsterte.

Er wollte nicht auf die selbe Ebene mit den Schwachen gestellt werden.

Yusuf redete weiter.

„Ich sage das jetzt als dein Bruder. Ich liebe dich und habe dich mehrfach dazu auf gerufen, zur Vernunft zu kommen. Denkst du ich will den Krieg zwischen uns und unseren Familien? Nein! Ich wünsche mir auch nur den Frieden aber wenn du das nicht willst, kann ich es auch nicht ändern. Doch wenn du ein Problem mit meiner Lebensweise hast, dann lass es an mir aus. Nicht an meiner Familie. Wenn du kein Feigling bist, dann stell dich mir und schicke mich ins Jenseits aber nicht meine Familie. Sie hat nichts damit zu tun!“

Als er das gesagt hatte, waren alle verblüfft. Elisabeth, schaute ihren Mann besorgt an, denn sie konnte nicht glauben, dass er bereit war sich für sie zu opfern und bekam es wieder mit der Angst zu tun.

Ebenso veränderte sich die Mimik von Alena, denn sie konnte es ebenso nicht glauben. Auch Amir war auf einmal still und schien zu überlegen.

Yusuf wusste nicht, ob er nun zum ersten Mal Vernunft oder noch mehr Verachtung in den Augen seines Bruders ablesen konnte, doch plötzlich ließ er Elisabeth los. Er ließ sein Messer tatsächlich sinken und Elisabeth rannte sofort zu Alena, wo sie auf die Knie fiel und anfing zu schluchzen, während Alena sich über sie beugte und schützte.

Für einen Moment stand Amir regungslos da. „Du hast recht. Wenn ich ein Problem mit dir habe, sollte ich es an dir los lassen und nicht an einer kleinen gebrechlichen, schwachen Frau. Auch wenn sie nichts wert ist, sollte ich meinen Zorn wohl eher an dir auslassen, denn du bist derjenige, der die Vorschriften Allahs missachtet.“

Wieder schauten sich beide still schweigend an. Dann ergriff Yusuf wieder das Wort. „Und was ist, wenn du die Vorschriften Allahs falsch verstanden hast?“

Wieder erkannte er den Zorn in Amirs Gesicht. Er bewegte das Messer ungeduldig in seiner Hand hin und her und Yusuf rechnete mit einem weiteren Angriff, deswegen ließ er die Worte los, die er seinem Bruder so oder so noch sagen wollte.

„Bitte tus nicht..denn ich liebe dich immer noch..“

Amir wurde nun noch ungeduldiger, denn er war gefangen zwischen seinen Gefühlen. Im tiefsten Inneren wusste Yusuf, dass er ihn wahrscheinlich auch noch liebte, doch er hatte sich mittlerweile so sehr verändert, dass er nicht mehr wusste, ob sein Hass doch größer war.

„Entweder du oder ich. Ich wünschte ich könnte dich nicht lieben, doch ich tue es..aber ich weiß auch, dass mir mein Glaube alles bedeutet. Und obwohl ich dich so verletzt habe, wolltest du mich trotzdem immer mit offenen Armen empfangen..ich würde dich gerne töten aber ich kann es nicht...deswegen lebe wohl. Allah wird über uns alle urteilen, wenn wir vor ihm stehen..“ Dann holte er eine Pistole aus seiner Jacke hervor und gab sich einen Kopfschuss.

Der Knall war sehr laut und das Blut spritzte aus ihm heraus, noch bevor den Boden erreicht hatte.

Elisabeth fing an zu schreien und Yusuf war ebenfalls total schockiert. Er konnte nicht fassen, dass er dies wirklich getan hatte.

Er war noch Deutschland gegangen, um seinen Bruder nie mehr wieder sehen zu müssen, doch er wollte niemals mit erleben, wie er vor ihm starb.

Auch wenn es ihm grotesk erschien, ging Yusuf ein letztes mal zu seinem Bruder, um ihn den Kopf zu halten. Dieser ganze Hass hatte bisher noch nie etwas gebracht und wenn er eins gelernt hatte, dann war es Vergebung. Sein Bruder hatte eine Entscheidung getroffen. Und auch wenn diese Entscheidung vielleicht nicht die Beste war, hatte er sie zur Liebe seines Bruders getroffen.

Yusuf legte seine Hand auf seine Brust und sagte zu ihm „Lebe wohl mein Bruder. Möge Allah gnädig mit dir sein...“ Dann legte Alena ihre Hand auf die Schultern ihres Vaters und tröstete ihn, während Elisabeth die Polizei anrief.

Es war nun endgültig vorbei. Die Verfahren würden voran schreiten und alle Mitglieder würden verurteilt werden. Alena konnte wieder Aufatmen, denn es gab keine Gefahr mehr. Und auch wenn ihr Onkel nun tot war, spürte sie nicht das überflutende Glücksgefühl der Rache, denn auch wenn sie in den letzten Wochen gelernt hatte, sich zu verteidigen und auf den Tisch zu hauen, war es niemals ein gutes Gefühl, wenn man die ganze Zeit nur mit Hass oder Hassgefühlen überwältigt wurde.

Es war immer wichtig, Dialoge mit anderen zu führen und den Hass nicht die Oberhand gewinnen zu lassen, das hatte Alena ebenfalls gelernt. Doch sie wusste auch, dass man sich verteidigen musste, wenn es nicht anders ging. Alles in allem konnte sie ihr Leben nun weiter fortsetzen und war trotz ihrer ganzen Erfahrungen und Zwischenfällen stärker und zielbewusster als jemals zuvor in ihrem Leben.

Das Leben kam wie es kam und sie versuchte stets, das Beste daraus zu machen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schluss

 

 

Die Zeit war vergangen.

Alena hatte ihr Jurastudium bereits beendet und arbeitete nun als Richterin in einer Jugendvollzuganstalt.

Nick hatte ebenfalls sein Taekwondo-Studio ausgeweitet und bot zu dem zusammen mit Alena nun auch Kurse für Leute mit Behinderung an.

Dadurch, dass Alena ja selbst eine Behinderung hatte, machte es ihr Spaß, in ihrer Freizeit jene Menschen zu unterrichten und Kraft zu geben, die selbst irgendwann mal ihren Lebensmut verloren hatten, genauso wie sie damals.

Ebenso wie Nick machte es ihr Spaß, diesen Leuten Stück für Stück wieder ihre Lebensfreude zurück zu geben und auf der anderen Seite selbst mit zu wachsen und neue Erkenntnisse zu erlangen.

Sie fühlte sich fitter, als je zu vor in ihrem Leben und hatte trotz der harten Fälle, die ihr manchmal im Gericht vorgelegt wurden keine Angst mehr.

Dadurch, dass sie selbst schon einiges erlebt hatte, wusste sie , wie es war, wenn Jugendliche sich ausgegrenzt fühlten, von ihren Eltern nicht respektiert oder sogar misshandelt wurden und dann so langsam auf die falsche Bahn gerieten.

Sie hatte sich bewusst für diese Gebiet entschieden, denn wenn man noch die Chance hatte, etwas zu verändern, dann bei Jugendlichen. Sie waren geistig noch nicht voll entwickelt und hatten somit noch eine Chance, sich zu ändern, bevor es vielleicht ganz zu spät war und es für sie im Leben immer schwieriger werden würde.

Und auch wenn der Mensch einen freien Willen besaß und für sein Handeln verantwortlich war, versuchte Alena stets einen klaren Kopf zu behalten und sich nicht von niederen Gefühlen lenken zu lassen.

Natürlich mussten sie für ihre Taten angemessen bestraft werden, doch sie sollten auch etwas daraus lernen. Sie sollten verstehen, warum sie auf die falsche Bahn gekommen waren, bzw. warum es verkehrt war so zu handeln und versuchte somit jeden Fall genau zu analysieren und ein richtiges Strafmaß an zu wenden.

Wenn sie etwas in ihrem Leben gelernt hatte, dann war es, dass man sich nicht von Wut oder Rache verändern lassen sollte. Natürlich war es wichtig, sich auch verteidigen zu können, wenn es nicht anders ging, doch man durfte Erlebnisse, egal wie schlimm sie waren, niemals zu nah an sich heran lassen. Denn ansonsten konnte man nur verlieren.

So hatte Alena auf Grund ihres Lebensereignis gelernt, nach wie vor das Beste aus allem zu machen und sich weder von Wut, noch Verzweiflung oder Trauer zerstören zu lassen, sondern immer einen klaren Kopf zu behalten und sich an den schönen Dingen, die im Leben wichtig waren, fest zu halten.

Und diese wichtigen Dinge waren nach wie vor ihre Familie und Nick, die ihr Kraft gaben, sowie ihrer eigene innere Kraft, die ihr stets den Antrieb gab, den sie im Leben brauchte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 20.08.2023

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