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Julius ist ein guter Mensch, wenn auch etwas langweilig. Selbst an den Wochenenden verhält er sich ruhig und käme niemals auf die Idee anderer Leute Habe und Gut zu begehren.
Er ist ein guter Mensch in einem streng christlichen Sinne.
Seine Vorfahren waren strenggenommen keine gute Menschen, um genau zu sein entstammt Julius einer langen Reihe von Soziophaten und Psychotikern.
Seine Mutter arbeitete halbtags in einem Lebensmitteldiscounter und verbrachte ihre freie Zeit zu großen Teilen mit dem Ausdenken diverser Vornamen die sie ihren Tochtern gegeben hätte, vorrausgesetzt sie hätte welche gehabt.
Ihr Leben lief zu großen Teil lediglich in ihrer Fantasie ab.
Sein Vater hingegen war Künstler.
Er malte Bilder und verkaufte Kinderpornographie. Seine Bilder wollte niemand kaufen und so zierten Unmengen von ihnen das Haus in dem Julius aufwuchs. Die Pornos hingegen, in denen auch Julius hin und wieder eine Rolle bekam, verkauften sich gut.
Gut genug um ein Haus, zwei Wagen und alle annehmlichkteite einens Lebens im gehobenen Mittelstand zu finanzieren.
Julius selbst hatte alle Erinnerungen an seine Kindheit vollkomen unterdrückt und sich im christlichen Glauben neu erschaffen. Die dunklen Flecken in seinem Bewustsein waren für ihn Einflüsterungen des Teufels denen er hartnäckig Wiederstand leistete.
Viele Jahre lang funktionierte dieses Versteckspiel mit sich selbst für Julius gut und er war, von gelegentlich Selbstgesprächen und einem Wahnhaften glauben an Gott, der für ihn wirklich alles auf der Welt steuert, ein vernünftiges und nützliches Mitglied der menschlichen Gemeinschaft.
Er spendete viel von seinem kargen Einkommen als Pfarrer und versuchte den Menschen zu bessern wo er eine Möglichkeit sah ihn zu bessern. Da die Menschen in Julius Weltsicht nicht für ihr eigenes Handeln verantwortlich waren, verzieh er ihnen alles.
Julius hätte wohl noch viele Jahre in Frieden weiterleben können wäre nicht eines Tages ein Psychologe auf ihn aufmerksam geworden.
Besagter Psychologe, Dr. Neckarsulm fing durch reinen Zufall an sich für Julius zu interresieren. Julius hatte nämlich die für einen Pfarrer garnicht so seltene Angewonheit Werbung für Gott zu machen.
Diese Werbung, angebracht an dem schwarzen Brett das vor der Kirche stand die Julius betreute, war in ihrer Eindeutigkeit schon beinahe aggressiv und ließ für das geübte Auge sofort erkennen das sie von einer psychotischen Person ausgedacht worden war. Denn Julius Werbung für Gott ließ dem Betrachter nur zwei Möglichkeiten. Entweder ein Leben im Fegefeuer oder sofortige Erlösung durch die Annahme des christlichen Glaubens.
Die Mitglieder seiner Gemeinde haben sich durch diese Werbung nie gestört gefühlt und auch Sätze wie: „Leben mit Gott oder Qual in alle Ewigkeit.“ akzeptierte man, denn Julius war im großen und ganzen ein guter, ein demütiger Pfarrer der immer ein offenes Ohr für jeden hatte.
Dr. Neckarsulm wusste von alldem selbstverständlich nichts. Er sah nur die seltsame Werbung am schwarzen Brett der Kirche und hoffte etwas gefunden zu haben, das er schon lange suchte:
Einen völlig in die Gesellschaft eingebundenen Verrückten.
Von da an besuchte er hin und wieder Julius Gottesdienste und geriet so mehr und mehr zu der Überzeugung das er es hier mit einem zwar schwer gestörten, aber dennoch produktivem und ungefährlichem Menschen zu tun hatte.
Nun hätte Dr. Neckarsulm die ganze Sache gut sein lassen können und sich wieder seiner täglichen Arbeit widmen, aber so leicht lässt ein Wissenschaftler nicht locker und der Psychologe in ihm, immerhin hatte er zehn Jahre als Psychlologe praktiziert, erwachte und war neugierig.
Warum, fragte er sich, ist dieser Mensch wie er ist? Voller Begeisterung stürzte er sich auf seine neue Aufgabe und schaffte es Julius zu überreden sich von ihm behandeln zu lassen.
Als Vorwand dienten schlimme Kopfschmerzen unter denen Julius hin und wieder litt und gegen die keine Medikamente halfen außer sehr starken Schmerzmitteln.
So kamen sie zusammen, der Pfarrer und der Psychologe und es dauerte garnicht lange, da merkte Dr. Neckarsulm das er es hier mit einem ganz besonderen Patienten zu tun hatte, einem schwer traumatisierten, einem potenziell gefährlichem.
Dr. Neckarsulm fing, nach einigen oberflächlichen Unterhaltungen, schnell damit an Julius zu hypnotisieren.
Julius erwies sich dieser Technick als ausgesprochen zugänglich und unter Hypnose als seinen eigenen Erinnerungen gegenüber völlig furchtlos.
Erwachte er aus der Hypnose konnte er sich an garnichts erinnern, aber dadurch das er erzählen konnte was ihm damals passiert war, lösten sich einige Krämpfe in seinem Bewustsein und seine Kopfschmerzen nahmen in ihrer Heftigkeit schnell ab. Zwar wusste er nicht was der Dr. Neckarsulm genau mit ihm machte, aber zumindest half es und das war alles was zählte.
Die Erlösung sich endlich all die Schrecken seiner Jugend von der Seele reden zu können wirkte sich auch auf Julius Alltags und Berufsleben aus. Nie war er aktiver, nie besser gelaunt als zu dieser Zeit. Alles was er versuchte gelang ihm sofort und er schaffte es sogar in Rekordzeit den Bau eines neuen Spielplatzes auf dem Kirchengelände genehmigt und bezahlt zu bekommen. Er fühlte sich wie neugeboren.
Dr. Neckarsulm hingegen fühlte sich mit jeder neuen Sitzung etwas unbehaglicher. Die Grausamkeit von Julius Erlebnissen wirkte sich bald auf den Psychlologen aus und bescherte ihm Albträume von der schlimmsten Sorte. Da sein Patient jedoch keinerlei Erinnerungen an diese Ereignisse hatte und sich sehr positiv entwickelte hielt er es lange für überflüssig in auf das war er unter Hypnose erzählte hinzuweisen.
Doch da der Mensch ein von Natur aus neugieriges und klatschsüchtiges Wesen ist, wer denkt dass das nur auf Frauen zutrifft der irrt gewaltig, redete Dr. Neckarsulm bald mit seinen Kollegen über das war er gehört hatte.
Julius Eltern waren bereits Tot so dass eine strafrechtliche Verfolgung keinen Sinn ergeben hätte. Allerdings war bisher noch kein Fall wie der von Julius bekannt geworden und so überredeten Dr. Neckarsulm´s Kollegen ihn schließlich seinem Patienten ganz langsam, Stück für Stück auf die Ereignisse in seiner Vergangenheit hinzuweisen, da er sonst, das hielten sie für selbstverständlich, eine potenzielle Zeitbombe bleiben würde.
Nach langem überlegen entschloss sich Dr. Neckarsulm Julius reinen Wein einzuschenken.
Die erste Sitzung verlief schlimmer als Dr. Neckarsulm es erwartet hätte und dauerte nur knapp zehn Minuten. Auf die Erlebnisse seiner Kindheit angesprochen, wobei der Doktor einige Details erwähnte reagierte Julius schockiert.
Bleich und am ganzen Körper zitternd verließ er die Praxis des Psychaters und war für zwei Wochen verschwunden.

Danach kehrte er zu Dr. Neckarsulm zurück und dankte ihm für seine Offenheit.
Er habe, sagte Julius, all diese Erlebnisse verdrängt und bereits die kleinen Hinweise des Psychaters hatten alles wieder hochgebracht. Doch Julius sagte auch das er keinen Hass auf seinen Vater empfinde und
das er mit Gottes Hilfe alles durchstehen würde was ihm bevorstand. Dr. Neckarsulm bewunderte den Mut und das Durchaltevermögen seines Patienten und so fingen sie gemeinsam, nun ohne Hypnose, Julius Kindheitserinnerungen auszugraben und aufzuarbeiten.
Julius machte sich prächtig und alle Bedenken das die Aufdeckung der verdrängten Erlebnisse ihn zu einem wandelnden Psychopathen, einem Serienkiller in bester Romanmanier machen würde waren bald verflogen, stattdessen entwickelten sich die Dinge in eine ganz andere Richtung.
Julius, bald überzeugt davon dass die Ereignisse seiner Kindheit einem höheren Zweck dienen schrieb gemeinsam mit Dr. Neckarsulm Hilfe ein Buch über das was ihm passiert war.
Dieses Buch, in seiner Eindringlichkeit und Offenheit einzigartig führte den Menschen vor Augen welche Grausamkeiten viele unter ihnen zu durchleiden haben.
Bald meldeten sich viele weitere Opfer der Kinderpornoindustrie, ausgebeutete, zerstörte Seelen die niemals mit einem Menschen über das was ihnen passiert war hatten reden konnten, denn zu groß war ihr Schamgefühl. Jetzt, mit einem von ihnen der den Mut hatte zu erzählen was passiert war, fingen auch sie an sich zu äußern. Eine Welle des Mitgefühls für diese armen Menschen ging durch das Land. Selbsthilfegruppen wurden gegründet und selbst Schwerverbrecher begriffen durch Julius Buch das sie nicht für ihre Kindheit verantwortlich ware, wohl aber für ihre Taten. Viele stellten sich freiwillig und in einer von Dr. Neckarsulm gegründeten Spezialpraxis wurde alles getan um zu helfen und diese Menschen wieder in das normale Gesellschaftliche Leben einzuführen.
Die Öffentlichkeit, endlich mit geöffneten Augen fühlte sich von nun an wieder selbst verantwortlich für das was sie sahen und hörten.
Innerhalb von wenigen Wochen ginge eine unglaubliche Zahl von Meldungen bei der Polizei ein. Mitglieder in Kinderpornoringen zeigten sich selbst an weil sie ihr schlechtes Gewissen nach der Lektüre von Julius Buch nicht mehr beruhigen konnten.
Andere Menschen, Nachbarn und Lehrer verschlossen nicht mehr länger ihre Augen und gingen mit ihren Vermutungen zur Polizei. Bald war die organisierte Herstellung von Kinderpornographie in Deutschland zerschlagen und Julius, nun ein berühmter und reicher Mann tut weiterhin das, was er immer getan hatte.
Er ist Pfarrer geblieben und erzählt nun einem immer größer werdenden Publikum von der Gnade Gottes die es ihm ermöglicht hat das Unglaubliche zu überstehen um davon erzählen zu können.
Und sollte er nicht inzwischen gestorben sein, dann tut er das noch heute.

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Tag der Veröffentlichung: 13.07.2010

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