Über mich
Als Tankred Kiesmann kann ich mich von den Zwängen und Unbilden des Alltags lösen. Ich lebe unter anderem Namen mit meiner Frau und einem eigenwilligen Kater namens Oscar im Bayerischen Wald. Das Pseudonym ermöglicht es mir, meine Gedanken von der Kette zu lassen. Mit seiner Hilfe tauche ich ein in die faszinierenden Anderswelten, die sich in meinem Kopf ungefragt breitmachen. Dort kann ich mit fremdartigen Wesen kommunizieren, mich als Weltenschöpfer betätigen und ausgefallene Handlungsstränge flechten. Von meinem Schreibzimmer aus habe ich einen wunderschönen Blick auf eine Mittel-gebirgslandschaft, in der andere Leute Urlaub machen. Ich ziehe aus langen Spaziergängen meine Inspiration. Ich liebe Gothic- und Mittelalter-Festivals, besuche im Urlaub Kraftorte aus der Steinzeit. Alles das gibt mir Anstöße für hoffentlich noch viele Geschichten. Wenn ich das Pseudonym ablege, behalte ich das Textschöpfertum trotzdem bei und arbeite als freiberuflicher Texter, Ghostwriter und Coach.
Rattenberg, im Mai 2021
Tankred Kiesmann
Danksagung
Im Jahr 2000 hatte ich eine erste Fassung des vorliegenden Romans fertiggestellt, der im Jahr darauf erstmals veröffentlicht wurde. Damals ermutigten mich besonders meine Frau und mein Freund Simon (der übrigens nur zufällig genauso heißt wie der Protagonist), den Schritt zur Veröffentlichung zu wagen. Für die Beseitigung meiner Selbstzweifel möchte ich den beiden danken. Damals waren es andere Zeiten, alles war so Independent, wie man es sich nur vorstellen konnte. Zwanzig Jahre später hat sich in meinem Leben viel verändert, aber das „Steinerne Gewissen“ hat mich nicht losgelassen. Ich sehe immer noch eine hohe Relevanz. Daher danke ich meiner Verlegerin Silvia, mir die Chance gegeben zu haben, mit einem überarbeiteten Manuskript eine neue Leserschaft zu gewinnen. Meine Lektorin Dagmar lieferte mir wertvolle Impulse, einige Facetten der Protagonisten und der Handlung deutlicher herauszuarbeiten. Auch ihr gebührt mein Dank, genauso wie vielen anderen Freunden, die mir Rückhalt gegeben haben auf meinem Weg, meine Gedanken in Worte und Geschichten zu kleiden.
Rattenberg, im Mai 2021
Tankred Kiesmann
„Der Mensch ist ein religiöses Tier. Er ist das einzige Tier, das seinen Nächsten wie sich selber liebt und, wenn dessen Theologie nicht stimmt, ihm die Kehle durchschneidet.“
Mark Twain
Die Begegnung (978)
Simon leckte sich die Lippen. Endlich hatte das lange Warten ein Ende. Er verfolgte Theodor schon seit mehreren Nächten, aber bisher war der Priester immer in Gesellschaft unterwegs gewesen. Simon wollte ihn jedoch allein stellen.
Theodor war groß und schlank und ging mit seinen lockigen, braunen Haaren und dem bemerkenswerten Schnurrbart als gutaussehender Mann durch. Die hohen, starken Wangenknochen verrieten seine slawische Herkunft. Seine grünlichen Augen verbreiteten einen eigentümlichen Glanz, der auf einen festen Willen schließen ließ.
Simon lächelte diabolisch.
Schade, dachte er, dass du als so prächtige Erscheinung dein Dasein einem niederträchtigen Gott weihen möchtest. Dir hätte mit Sicherheit ein Leben mit deutlich mehr Annehmlichkeiten offen gestanden. Aber du bist selbst schuld, Christenpriester.
Simon spürte eine unkontrollierbare Wut in sich aufsteigen und ärgerte sich darüber, dass er seine Gefühle zum wiederholten Male nicht in den Griff bekam.
Um sich zu beruhigen, ließ er sich weit hinter Theodor zurückfallen und orientierte sich nur noch an dessen Geruch. Er stieg in den Nachthimmel auf und nutzte die kalte Luft des Flugwindes, um sein kochendes Blut abzukühlen.
Immer wieder dieser Hass und diese Wut. Pass auf, Simon, dass dir deine außer Kontrolle geratene Gefühlswelt nicht irgendwann zum Verhängnis wird.
Aber diese Leute sind verantwortlich für unbeschreibliche Grausamkeiten an meinem Volk, für die sie doch büßen müssen.
Sicher, nur sei vorsichtig dabei. Lediglich kalt geplante Rache ist wahre Rache.
Es ist mir egal, ob kalt oder heiß. Nur die Vergeltung zählt, und zwar endgültige Vergeltung.
Simon war diese inneren Zwiegespräche schon gewohnt. Er versuchte immer wieder, seiner bedächtigeren Seite mehr Raum zu lassen und mit der Zeit zeigten sich erste Erfolge.
Theodor hatte die ärmliche Siedlung verlassen. Er war jetzt allein auf freiem Feld und folgte dem kleinen Trampelpfad entlang der Moldau. Er brauchte keine Kerze oder Fackel, um sich zu orientieren. Die Sterne und der drei Viertel volle Mond lieferten ihm genug Licht, so dass er nicht fürchten musste, sich zu verlaufen. Der Schutzwall der Stadt war in der Ferne deutlich zu erkennen. In einer halben Stunde würde er die Tore Prags erreicht haben.
Simon holte auf und flog in gebührendem Abstand hinter dem stattlichen Priester her. Er liebte es, seine Beute zu beobachten, ihren Duft und ihre Witterung aufzunehmen und die Jagdlust langsam aber sicher zu ihrem Höhepunkt kommen zu lassen. Er beschloss, diese Nacht ein besonderes Spiel mit seinem attraktiven Opfer zu zelebrieren.
Als Theodor den halben Weg zurückgelegt hatte, schlug Simon zu. Er stieß aus der Luft hinab, umklammerte den überraschten Priester an der Hüfte und stieg wieder mit ihm hoch in den sternenklaren Himmel auf. Dabei hielt er Theodor den Mund zu, damit dieser nicht durch Schreie unerwünschte Aufmerksamkeit erregte.
Simon kreiste mit seiner Beute ein paar Mal über der Siedlung und der Moldau, bevor er sich von dem Fluss entfernte und einen Wald ansteuerte. Er überflog die dunklen Baumkronen, bis er zu einer Lichtung kam, auf der er niederging, und Theodor in der Mitte abstellte. Dann trat er ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Opfer eingehend.
Die Bäume waren nicht hoch und nicht dicht genug, um das kalte Licht des Mondes und der anderen Himmelskörper zu schlucken. Aber eigentlich brauchte Simon keine Beleuchtung, um in der Nacht zu sehen. Er war ein Wesen der Finsternis und seine Sinne waren darauf ausgelegt, im Dunkeln alles wahrzunehmen.
Zitternd stand Theodor vor ihm. Seine Angst lähmte ihn, hielt ihn aber nicht davon ab, Simon genau zu mustern. Im Mondschein erkannte der Priester einen mehr als sechs Fuß großen Mann mit langen, wallenden, schwarzen Haaren, der in einen ebenfalls schwarzen, mit silbernen Borten abgesetzten Kriegsrock gekleidet war. Soweit Theodor es beurteilen konnte, war sein Entführer unbewaffnet. Die Haut war sehr hell, sie hatte einen fast perlmuttartigen Schimmer, der durch die dunkle Kleidung noch betont wurde. Die Augen leuchteten in einem fahlen Weiß. Theodor brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass es nicht das Mondlicht war, welches dort gespiegelt wurde. Nein, die Augen leuchteten von innen heraus.
Der Priester fröstelte und rang nach Atem. Eine böse Aura umgab diese Kreatur. Eine Klammer legte sich um sein Herz, und Theodor betete stumm zu seinem Gott. Sein Atmen wurde ruhiger. Das beklemmende Gefühl ließ allmählich nach.
Er starrte sein schweigendes Gegenüber weiter an. Der Hellhäutige hatte markante Gesichtszüge. Das Antlitz wirkte trotz seiner Faltenlosigkeit alt. Das Auffälligste neben den Augen war die große Nase. Sie war zwar nicht missgestaltet, aber in einer kleineren Form hätte sie das Gesicht wirklich attraktiv gemacht. Die hohe Stirn und das wohlgeformte, bartlose Kinn verliehen dem Mann ein aristokratisches Aussehen.
Theodor bekämpfte sein Unbehagen. Die Neugier brach sich Bahn.
„Wer bist du? Und warum kannst du fliegen?“, fragte er.
Er unterdrückte die Angst in seiner Stimme und trat zwei Schritte auf den Unbekannten zu.
Simon lächelte. Er hatte sich wenigstens keinen Feigling ausgesucht. Ein Opfer, welches sich seiner blinden Furcht ergab, bedeutete nie einen besonderen Genuss. Hier deutete vieles auf ein spezielles Vergnügen hin. Er leckte sich die Lippen.
„Ich weiß es nicht“, antwortete er, „was glaubst du?“
Theodor zögerte.
„War das die Antwort auf die erste oder die zweite Frage?“, hakte er schließlich nach.
Jetzt verbreiterte sich Simons Lächeln zu einem Grinsen.
„Du willst es wohl genau wissen. Fangen wir mit dem Fliegen an. Das ist einfacher. Ich weiß es nicht. Ich kann es einfach.“
„Und wer oder was bist du?“, fragte Theodor nach einer kurzen Pause.
„Ich gebe die Frage nochmals zurück. Was glaubst du?“
„Woher soll ich das wissen? Ich sehe dich zum ersten Mal. Aber...“, Theodor überlegte kurz, bevor er fortfuhr, „aber ich habe etwas Böses gespürt. Bist du der Teufel? Oder bist du einer seiner Diener?“
Simon lachte.
„Zuviel der Ehre, Priester. Willst du etwa, dass dir der Versucher persönlich erscheint und dir irgendein Angebot unterbreitet, weil er deiner Seele habhaft werden will? Möchtest du das?“
Theodor bekreuzigte sich.
„Nein, Theodor. Ich habe kein Interesse an deiner Seele. Ich bin noch nicht einmal davon überzeugt, dass du überhaupt eine besitzt. Alles, was ich begehre, ist dein Leben – und dein Blut.“
Theodor spürte, wie sich eine Gänsehaut auf seinem Körper bildete. Die Furcht kehrte zurück. Er starrte den Anderen an, der jetzt mit langsamen Schritten auf ihn zukam. Theodor wollte fliehen, doch diese übernatürliche Erscheinung faszinierte ihn im gleichen Maße, wie sie ihm eine lähmende Angst einflößte.
Simon umklammerte mit der Rechten Theodors linkes Handgelenk und hob es leicht an. Mit seinem harten, weißen Daumennagel ritzte er die Haut des Priesters so tief, bis die ersten Blutstropfen daraus hervorquollen.
Ein Leuchten erhellte Simons Gesicht und sein Lächeln wurde breiter und diabolischer.
Theodor erschrak erneut. Sein Blick wanderte von seiner Hand zu dem Gebiss, das sein Gegenüber nun entblößte. Es war strahlend weiß und wies statt der bei Menschen normalen Eckzähne regelrechte Fangzähne auf.
„Heilige Mutter Gottes“, murmelte er und bekreuzigte sich erneut mit der freien rechten Hand. Er spürte den Impuls, sich loszureißen und wegzulaufen, aber irgendetwas lähmte ihn. Seine Beine weigerten sich, sich zu bewegen.
„Das Kreuz, mein Freund, wird dir auch nicht mehr helfen“, sagte Simon betont langsam und eindringlich. Fast flüsterte er.
Er fixierte den Priester mit seinen Augen und führte das blutende Handgelenk zu seinem Mund. Behutsam legte er seine Lippen auf die Wunde und saugte an ihr. Das warme Blut füllte seinen Mund und mit jedem kleinen Schluck breitete sich ein angenehmes Gefühl der Wärme weiter in seinem Körper aus.
Auch Theodor spürte ein Vibrieren in seiner Hand, das sich auf den ganzen Körper ausdehnte. Das Gefühl war durchaus nicht unangenehm, jedoch kämpfte sein Verstand dagegen an. Noch hatte ihn die Panik nicht übermannt, noch konnte er klare Gedanken fassen.
Nach drei weiteren, tiefen Schlucken ließ Simon von ihm ab.
„Nun, Theodor“, säuselte er verführerisch, „gib zu, dass das schön war. Ich kann dir noch größere Lust bereiten. Möchtest du das?“
Theodor spürte, wie seine Knie weich wurden. Widerstreitende Empfindungen verursachten einen inneren Tumult. Angst, Lust, Zweifel und Neugier rangen miteinander.
„Nein“, presste er schließlich hervor, „nein, bei der heiligen Mutter Gottes, nein!“
Simon nickte anerkennend.
„Weißt du, Theodor, dass du stark bist? Sehr stark sogar. Dieses Angebot hätten nicht viele abgelehnt. Aber eigentlich ist es auch nicht wichtig, was du möchtest. Auch deine heilige Mutter ist völlig unwichtig. Entscheidend ist mein Wille, und ich möchte dir unbedingt mehr Lust bereiten.“
Er packte den Priester bei der rechten Schulter und umfasste mit der anderen Hand dessen Hinterkopf. Ganz langsam, mit sanfter Gewalt, bog er den Kopf Theodors zur Seite, so dass der Hals des Priesters freigelegt wurde.
„Bevor du stirbst, mein kleiner Priester, wirst du echte Ekstase spüren.“
Simon hauchte ihm diese Versprechungen fast zärtlich ins Ohr. Seine Lippen berührten Theodors Ohrläppchen. Langsam streckte Simon seine Zunge aus und leckte vorsichtig den frischen Schweißfilm auf der Haut des Priesters ab.
Es war kein kalter Angstschweiß, sondern warmer Schweiß einer wachsenden Erregung, die den Priester verwirrte. Auch Simon spürte wie sein Opfer die anschwellende Lust. Seine Zunge spielte auf Theodors Haut und wanderte tiefer bis zum Halsansatz und zur Schlagader. Dort setzte Simon seine Lippen ab und durchbrach mit seinen Zähnen das feste Fleisch.
Augenblicklich strömte das Blut in seinen Mund. Simon genoss den metallischen Geschmack.
„Heilige Mutter Gottes“, stöhnte Theodor bei Simons erstem Schluck, doch nicht vor Schmerz oder Angst. Das Gefühl war zu schön.
Simon trank weiter.
„Heilige Mutter Gottes!“
Jetzt war ein seltsamer Unterton der Irritation in Theodors Stimme. Das drang sogar bis zu Simon durch. Er stockte und ließ von dem Priester ab.
Simon musterte sein Opfer. Theodors Augen waren starr, aber sie schauten nicht ins Leere, sondern an Simon vorbei. Sie fixierten eindeutig etwas, das hinter ihm war.
Langsam drehte sich der Blutsauger um.
Zwei Schritte entfernt stand eine mannshohe, steinerne Statue. Sie hatte einen menschenähnlichen Körper, die Arme und Beine waren massig, die Hände und Füße waren Pranken mit kurzen Krallen, die aus den Fingern und Zehen herauslugten. Das Gesicht war breit mit pupillenlosen, aber freundlichen Augen, die Ohren liefen spitz nach oben zu. Fell oder Haare hatte das Wesen nicht, dafür jedoch auf dem Rücken zwei riesige Fledermausschwingen von etwa zehn Fuß Spannweite. Die Schwingen waren ausgebreitet, die Arme hielt die Statue vor der Brust verschränkt. Simon meinte, ein leichtes Lächeln auf dem steinernen Antlitz zu erkennen.
Das alles nahm er innerhalb weniger Augenblicke wahr. Erstaunt betrachtete er mit halb offenem Mund das seltsame Steinwesen. Als er merkte, wie ein dünnes warmes Blutrinnsal aus seinem Mundwinkel herunterlief, gewann er seine Fassung wieder.
„Wie zum Teufel kommt...?“
Er stockte.
Die Statue hatte sich bewegt. Sie löste die Verschränkung der Arme, legte den klauenartigen rechten Zeigefinger auf den Mund und bedeutete Simon, leise zu sein.
„Es besteht kein Grund, laut zu werden, Simon Kochba.“
Die Stimme der Statue war volltönend. Sie klang zwar etwas metallisch, aber nicht unangenehm.
Simon war vollkommen überrumpelt.
„Woher kennst du meinen Namen? Wer bist du? Was willst du?“
Die Statue zuckte mit den Achseln.
„Du wirst deine Antworten später bekommen. Zunächst geht es um etwas Dringenderes. Was ist mit dem armen Kerl hier?“
Er deutete auf Theodor, der augenscheinlich in Ohnmacht gefallen war und jetzt lang ausgestreckt auf dem Waldboden lag.
„Wird er sterben?“
Simon schüttelte verwirrt den Kopf.
„Er wäre schon längst tot, wenn du uns nicht unterbrochen hättest.“
„Du hast meine Frage nicht verstanden. Ich will nicht wissen, was sein könnte, sondern was sein wird. Also, wird er sterben?“
„In seinem jetzigen Zustand nicht. Er kann sich noch regenerieren.“
„Wird er zum Vampir werden?“
„Nein, das ist ohnehin nicht so einfach.“
Simon wunderte sich über sich selbst. Wieso gab er diesem Steinwesen so bereitwillig Antworten. Was wollte das Ding von ihm?
Die Statue nickte zufrieden.
„Also gut. Weck ihn auf.“
Simon wurde ärgerlich. Er war es nicht gewohnt, Befehle und Anordnungen entgegenzunehmen, geschweige denn, sie zu befolgen.
„Wieso meinst du, dass ich ihn aufwecken soll?“, fragte er mit einem trotzigen Unterton.
„Weck ihn auf!“
Die Statue zeigte sich ungerührt, auch wenn sich der Ton ihrer Stimme leicht verschärft hatte.
Simon gehorchte und verstand sich selbst nicht mehr. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Er war verwirrt. In diesem Moment befand er sich in einer ähnlichen Situation wie Theodor vor wenigen Minuten, denn er sah sich mit einer Wesenheit konfrontiert, die ihm bis dahin vollkommen unbekannt gewesen war. Er hatte keinen Anhaltspunkt, wie diese lebende Skulptur einzuschätzen war. Sicher war nur, dass das Wesen Macht und Autorität ausstrahlte. Was sich dahinter verbarg, musste Simon noch herausfinden. Zumindest schienen ihm Vampire ein Begriff zu sein und – was seltsam war – keine Angst einzuflößen. Zur Sicherheit würde sich Simon zunächst fügen.
Theodor erlangte langsam wieder das Bewusstsein. Stöhnend schlug er die Augen auf. Beim Anblick Simons und der Statue kam auch seine Erinnerung zurück. Schlagartig verstummte er und ließ seine Blicke fragend zwischen den beiden hin und her schweifen.
„Wie fühlst du dich?“, fragte das Steinwesen.
Das Mitgefühl war deutlich aus der Frage herauszuhören.
„Schwach“, meinte Theodor und richtete sich vorsichtig in sitzende Position auf.
„Ich habe Durst“, stellte er fest. „Was geht hier vor?“
Die Statue kniete bei ihm nieder und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Ich denke, du bist hier in eine Auseinandersetzung geraten, die dich zumindest jetzt noch nichts angeht. Ich möchte dich bitten, uns zu verlassen und über deine Erlebnisse Stillschweigen zu bewahren. Ich bitte dich außerdem, morgen zur selben Zeit wiederzukommen, weil wir dich dann vielleicht brauchen. Sollten wir dann allerdings nicht mehr da sein, haben wir die Sache anderweitig geregelt, und du kannst frei deiner Wege gehen. Wirst du meiner Bitte entsprechen?“
Theodor dachte nach, dann nickte er.
„Ich glaube schon. Kannst du mir noch mehr erklären, damit ich das alles hier verstehe?“
„Nein, nicht viel. Es ist alles ziemlich kompliziert. Wenn ich dir sage, dass hier ein Engel und ein Dämon gegeneinander kämpfen, kommt es der Wahrheit vielleicht am nächsten. Das sollte aber für dich reichen. Versprichst du mir, dass du meine Bitte erfüllen und schweigen wirst?“
„Ich verspreche es.“
Die Statue blickte dem Priester lange prüfend in die Augen, dann nickte sie zufrieden.
„Gut“, meinte sie, „ich glaube dir. Bedecke deine Wunden oder lass dir eine glaubhafte Ausrede dafür einfallen. Du findest aus dem Wald heraus, wenn du diesem schmalen Weg etwa zehn Minuten folgst. Am Waldrand angekommen, hältst du dich links. Du folgst dem immer breiter werdenden Weg bis zur Moldau herunter. Den Rest des Weges kennst du. Du müsstest dich in der hellen Nacht gut zurechtfinden.“
Die Statue deutete auf einen Spalt in dem dichten Baumbewuchs. Theodor stand langsam auf, musterte noch einmal sowohl Simon als auch das Steinwesen eingehend und machte sich dann schweigend auf den Weg.
Nachdem der Priester verschwunden war, herrschte zunächst einige Minuten Schweigen. Schließlich konnte Simon nicht mehr an sich halten.
„Kannst du mir bitte sagen, was das alles zu bedeuten hat? Was soll der Unsinn mit Dämonen und Engeln? Ich bin kein Dämon und du siehst bei allem Respekt auch nicht wie ein Engel aus. Wer bist du überhaupt? Was willst du von mir?“
Es brach förmlich aus ihm heraus, und er hätte wohl noch ewig weitergefragt, wenn die Statue ihn nicht mit einer herrischen Geste zum Schweigen gebracht hätte.
Simon atmete tief durch.
„Also gut“, versuchte er es noch einmal, diesmal mit erzwungener Ruhe, „du kennst meinen Namen und bist offensichtlich meinetwegen hier. Meinst du nicht, dass du uns auf den gleichen Stand bringen könntest. Ich gebe zu, dass ich ziemlich verwirrt bin.“
Das Wesen nickte.
„So ist es schon besser. Tja, wo fangen wir an? Als erstes sollte ich mich wohl vorstellen. Mein Name ist Glan. Was ich bin, möchte ich zunächst nicht näher beschreiben. Ich finde es allerdings bemerkenswert, dass du dir eben ohne zu zögern den Part des Dämons zugeschrieben hast. Das spricht für dich und deine Selbsteinschätzung.“
Simon taxierte sein Gegenüber. Dieses lebende Steinwesen schien zumindest emotional sehr stabil zu sein. Keine Gefühlsausbrüche wie bei ihm selbst. Eine große innere Gelassenheit, Autorität und so etwas wie Freundlichkeit zeichneten Glan aus. Gerade Letztere passte für Simon nicht richtig ins Bild. Die Gestalt war zwar nicht hässlich, sie besaß sogar eine gewisse Ästhetik, aber mit menschlichen Augen gesehen waren doch eindeutige Attribute eines Monsters zu verzeichnen.
„Woher kennst du mich?“
„Ich kenne dich nicht. Ich weiß nur wenige Dinge von dir. Du bist ein Vampir und höchstwahrscheinlich um einiges älter als sechshundert Jahre. Dein Name ist Simon Kochba, was sich für mich hebräisch anhört. Deine bevorzugten Opfer sind Priester oder Geistliche aller möglichen Religionen. Natürlich tötest du auch andere Menschen, aber spirituelle Menschen haben es dir angetan. Ich kenne euch Vampire nicht so gut, du bist erst der zweite, dem ich begegne. Der erste Vampir, den ich kannte, hat mich auf deine Spur gebracht. Er war ein Schüler von dir, du hast ihn gemacht.“
„Wer war es?“
„Sein Name war Manoel. Ich habe ihn vor achtzig Jahren in Spanien kennengelernt.“
„Ah, Manoel. Der durchtriebene kleine Kerl. Wieso hat er dir meinen Namen verraten?“
„Er hatte Angst vor mir.“
„Angst? Manoel und Angst? Das glaube ich nicht.“
Simon lachte, aber es war ein gezwungenes Lachen. Er fühlte sich wieder unsicher.
Glan wartete, bis Simon verstummte. Dann ergriff er wieder das Wort.
„Dann sage mir, was du in meiner Gegenwart fühlst. Unterschätze meine Macht nicht. Ich unterschätze dich auch nicht. Ich weiß, dass du stärker bist als Manoel, aber er hatte Todesangst vor mir. Und du kannst mir glauben, das war durchaus gerechtfertigt.“
Simon schluckte.
„Was meinst du damit?“
„Ich habe ihn getötet.“
Simon holte tief Luft, als Glan scheinbar völlig gleichgültig diese Antwort gab.
„Warum?“
„Er war durch und durch böse.“
„Ah, jetzt kommen wir zum Kern der Sache. Du hältst dich also doch für einen Racheengel.“
Glan lächelte jetzt.
„Es ist nicht ganz so einfach. Aber ich kann nicht verhehlen, dass ich eine gewisse Sympathie für die Menschen hege. Und wenn es jemanden gibt, der wahllos und aus purer Lust tötet, dann nehme ich mir das Recht einzugreifen.“
„Und was hast du jetzt mit mir vor?“
„Nun, ich weiß es noch nicht. Du kanntest Manoel. Er war wirklich böse. Ich weiß, dass ihr bis zu einem gewissen Grad Menschenblut braucht, um zu überleben. Aber er war unersättlich. Er hat getötet um des Tötens willen. Ich habe mich lange mit ihm unterhalten, aber er war einfach nur falsch und hinterlistig. Daraus habe ich meine Konsequenzen gezogen. Du scheinst etwas anders zu sein, Simon.“
Glan machte ein paar Schritte auf den Vampir zu. Als er ihm Auge in Auge gegenüberstand, klopfte er ihm auf dessen linke Brustseite.
„Du hast da etwas, das man vielleicht als Herz bezeichnen könnte. Es ist zwar viel Hass darin, aber es gibt auch andere Gefühle. Du tötest lange nicht so viel wie Manoel und du tötest mit einem System. Ich kenne dein System, aber ich verstehe die Gründe nicht. Und diese Gründe will ich erst verstehen, bevor ich entscheide, was ich mit dir mache.“
Glan machte eine Pause.
„Warum Priester, Simon?“
Simon wurde wütend, und dieses Mal richtete sich die Wut gegen Glan. Er knirschte mit seinen Zähnen.
„Warum muss ich mich vor dir rechtfertigen?“, presste er hervor, „welchen Grund hast du, hier als meine Heimsuchung aufzukreuzen? Ich weiß noch nicht einmal, ob du genügend Macht hast, mich zu vernichten.“
Glan lächelte nachsichtig.
„Ich kann deinen Zorn verstehen. Aber ich sage dir noch einmal: Unterschätze mich nicht.“
„Pah, Manoel war noch nicht einmal hundert Jahre alt. Und ich bin schon seit etwa siebenhundertfünfzig Jahren ein Vampir. Welche Macht sollte mir etwas anhaben können?“
„Wie wäre es mit der Sonne? Und ich habe die Macht, dich der Sonne auszusetzen. Aber ich will mich nicht in Details verlieren und dir unnötig drohen. Du brauchst mir nur die Frage zu beantworten, warum du es so sehr auf die Priester abgesehen hast?“
„Sie lügen!“ Wütend schrie Simon: „Weil sie Kriege provozieren die Menschheit ins Unglück schicken. Oh ja, du bezeichnest dich als Menschenfreund, aber schau dir doch die ganzen Bischöfe und Kardinäle an. Sie treiben die Fürsten in blutige Schlachten! Diese beuten dann die Bauern aus, um diese Kämpfe zu finanzieren! Und alles wird immer nur schlimmer!“
Glan schwieg. Dann räusperte er sich.
„Das ist ein Grund, den ich akzeptieren könnte. Aber ich habe dich die letzten Monate beobachtet. Du machst bei den Priestern keine Unterschiede. Ein Mönch oder Priester, der seine Berufung oder seinen Beruf ernst nimmt, hilft den Menschen. Schwarze Schafe gibt es überall. Warum konzentrierst du dich nicht auf jene, die wirklich nur an Profit und Politik denken?“
„Es geht ums Prinzip. Schau dich hier in Böhmen um. Vor hundertfünfzig Jahren begann hier die Christianisierung. Das ging ziemlich blutig vonstatten. Die Slawen wurden ihrer Bräuche beraubt. Vor fünf Jahren haben sie Prag zum Bistum gemacht und es groß gefeiert. Aber die Leute hier stehen unter der Mainzer Knute. Und was siehst du jetzt? Im Moment kämpfen sie nicht gegen die heidnischen Religionen, sondern die Katholiken und die Orthodoxen kämpfen gegeneinander. Das ist absurd. Glaub mir, ohne Religion ginge es der Menschheit besser. Ich habe auch mal anders gedacht, aber ich musste bittere Lektionen lernen.“
„Aber meinst du nicht, dass es unter den Geistlichen auch gute Menschen gibt?“
„Die Einteilung in gute und schlechte Menschen interessiert mich überhaupt nicht. Warum ist dir das so wichtig? Was nutzen die Menschen dir? Wozu brauchst du sie? Bei mir ist der Sachverhalt klar. Ich war selbst mal einer, und jetzt brauche ich sie als Nahrung. Und ich sehe nicht ein, warum ich meine bisherige Vorgehensweise wegen eines steinernen Engels ändern sollte. Ich war ohnehin schon viel zu mitteilsam.“
Simon hatte sich mittlerweile in einen gerechten Zorn hineingesteigert. Einerseits ärgerte er sich, dass er seine Gedanken so offen ausgesprochen hatte, auch wenn es längst noch nicht alles war, was in ihm brodelte, andererseits tat es ihm gut, sich endlich mal etwas von der Seele zu reden. Seele, welche Ironie. Er musste bei dem Gedanken innerlich schon fast wieder lachen. Wo war seine Seele, wenn er denn eine hatte? Brauchte er so etwas als Unsterblicher überhaupt?
Er versuchte, sich etwas zu beruhigen. Vielleicht war Glan jemand, mit dem er sich über diese Dinge austauschen könnte. Solche Gespräche hatte er seit Hunderten von Jahren nicht mehr geführt. Glan hatte recht, Manoel war alles andere als ein Feingeist gewesen. Simon trauerte auch nicht um ihn. Er hatte in seinem ganzen Dasein als Blutsauger sechs neue Vampire geschaffen. Alle waren sie als Sterbliche recht vielversprechend gewesen, hatten sich jedoch nach der Metamorphose als Enttäuschungen herausgestellt. Freundschaftliche Kontakte zu Menschen hatte Simon nur in seiner Anfangszeit als Vampir gepflegt, aber da kannte er seine innere Zerrissenheit noch nicht so gut.
Und jetzt dieser Glan. Was für ein Wesen war er? Wenn er Manoel kannte, konnte er auch nicht ganz jung sein. War er auch unsterblich?
Glan schwieg. Er schaute leicht verträumt zu Boden und wirkte dabei etwas traurig. Unerklärlicherweise versetzte Glans bekümmerter Anblick Simon einen Stich. Er wollte das Gespräch fortführen.
„Sag etwas, Glan“, meinte er, „sag irgendetwas.“
Glan blickte auf und langsam, ganz langsam legte sich ein Grinsen auf seine Züge.
„Also gut. Wir beide sind noch nicht fertig miteinander. Ich habe dir ein paar Denkanstöße gegeben, und du hast es bei mir ebenso gemacht. Ich denke, wir können beide voneinander lernen. Aber zunächst werde ich dich verlassen. Ich verstehe dich und dein Tun, auch wenn ich es nicht vollständig akzeptieren kann. Ich werde dich im Auge behalten. Auf Wiedersehen, Simon.“
Glan breitete seine Schwingen aus und schlug mit ihnen. Prompt erhob er sich in die Luft und machte Anstalten, davon zu fliegen.
Damit war Simon überhaupt nicht einverstanden.
„Halt!“, rief er dem Steinwesen nach, „so schnell geht das nicht. Was ist mit Theodor?“
Glan kreiste jetzt über der Lichtung.
„Ach ja, Theodor“, antwortete er, „weißt du, ich überlasse ihn dir. Aber ich werde dir etwas über Theodor sagen. Er ist zwar tief religiös, aber ein rechtschaffener Mann. Es ist keine Arglist in ihm, und er will den Menschen wirklich helfen. Morgen um diese Zeit wird er hier erscheinen. Glaub mir, er hält sein Wort. Was du dann mit ihm machst, ist deine Sache. Ich werde dich nicht hindern. Wir sehen uns, Simon.“
Damit entschwand er. Simon war verblüfft über die Leichtigkeit, mit der der schwere Steinkörper durch die Luft segelte, aber ebenso überrascht war er auch über Glans Abschiedsworte. Was sollte das? Erst hinderte er ihn an seinem Festmahl, und dann ließ er ihm freie Hand. Simon grübelte.
Als Theodor in der nächsten Nacht wieder auf die Lichtung trat, wartete dort nur Simon auf ihn. Er hatte sich auf das Schlimmste gefasst gemacht und trat dem Blutsauger tapfer entgegen.
„Guten Abend, Theodor“, begrüßte Simon ihn, „schön, dass du gekommen bist. Wie geht es dir?“ Der Vampir war freundlich.
Theodor schluckte. Sein Hals war trocken. Er musste sich räuspern.
„Gut“, antwortete er.
„Wo ist der steinerne Engel?“, fragte er den Vampir.
Simon lächelte wehmütig.
„Er hat es vorgezogen, nicht zu erscheinen. Aber keine Angst, es ist ihm nichts passiert. Er ist übrigens auch kein Engel – glaube ich zumindest.“
Theodor nickte. Er entspannte sich zusehends. Simon nickte beifällig.
„Theodor, ich muss dir vier Fragen stellen. Wenn du sie alle mit ja beantwortest, dann könnte das der Beginn einer Freundschaft werden, von der du bisher nie zu träumen gewagt hast.“
Simon legte eine Kunstpause ein, um die Wirkung seiner Worte auf den Priester abzuwarten, aber der sah ihn nur aufmerksam an. Der Vampir fuhr fort.
„Erstens, bist du verschwiegen? Zweitens, kannst du zuhören? Drittens, bist du auch auf der Suche nach jemandem, mit dem du deine geheimsten Gedanken und auch Nöte besprechen kannst? Viertens, hast du deine Angst vor mir überwunden? Nun, wie lauten deine Antworten?“ Theodor überlegte kurz.
„Auf die ersten drei Fragen kann ich sofort mit ja antworten. Die vierte Frage erfordert zunächst eine Gegenfrage. Habe ich denn noch einen Grund, mich vor dir zu fürchten?“
Simon grinste. „Wenn du mit ja antwortest, dann nicht.“ „Dann ist alles klar. Viermal ja.“
„Gut. Theodor, ich würde mich gerne mit dir über Gott und den Teufel unterhalten. Ich habe zwar mit beiden nichts zu schaffen, aber ich würde gerne deine Sicht der Dinge kennenlernen. Danach können wir uns über mich unterhalten. Komm, setz dich zu mir...“
Es wurde ein langes Gespräch.
Die Heilige Stadt (1099)
Es herrschte angespannte Ruhe in dem Feldlager. Ein paar Feuer brannten, und um das in Nacht getauchte Lager patrouillierten Doppelstreifen. In der Mitte überragte das monumentale Zelt des spanischen Feldherrn Gaston von Béarn die Unterkünfte seiner Soldaten.
Mehrere dieser Lager waren kreisförmig um Jerusalem angelegt. In östlicher Richtung lag das Lager des Lothringers Gottfried von Bouillon an nächsten. Dann schlossen sich die Lager des Tankred von Tiberias und Raimund von Toulouse an. Viereinhalb Wochen dauerte die Belagerung Jerusalems jetzt schon. Alle Soldaten spürten, dass die Entscheidung bald nahen würde.
Die Ruhe in den Lagern war trügerisch. Die Atmosphäre war gespannt und fiebrig. Jeder der Söldner, Ritter und Abenteurer wusste, dass die Schlacht um die Heilige Stadt nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
Alle erinnerten sich noch lebhaft an die Predigt des Kaplans in Diensten des Herzogs Robert von der Normandie, der im Angesicht Jerusalems vom Mühlberg herab zu den Kreuzfahrern gesprochen und ihnen neuen Kampfgeist eingeflößt hatte:
„... wir nahen der letzten Anstrengung, dem Ziele unserer Wallfahrt, der Eroberung der Heiligen Stadt. Abgeschnitten von der Christenheit, rings umgeben von grausamen Feinden müssen wir siegen oder untergehen...
...seht hinab in die Stadt, seht, wie die Ungläubigen alle heiligen Orte besudeln und Christum zum zweiten Male geißeln und kreuzigen...
...bereut eure Sünden, seid rastlos tätig an der Stelle, die euch angewiesen wird zum Kampfe; nur dann mögt ihr mit Recht dem Himmel vertrauen.“
Ein riesiger Jubel hatte sich erhoben. Viele Kreuzfahrer riefen sich die Mühen der letzten drei Jahre ins Gedächtnis, wie sie Nikaias genommen und den Sultan von Ikonion besiegt hatten. Die meisten hatten die Erstürmung Antiochias noch frisch vor Augen und beseelten sich an dem Gedanken, wie sie den Emir von Mossul in die Flucht geschlagen hatten. Jetzt standen sie vor dem krönenden Abschluss, es war nur noch eine Frage der Zeit.
Glan überflog rastlos die Lager. Wieder und wieder zog er seine Runden und wusste selbst nicht, wonach er genau suchen sollte.
Drei Wochen lang beobachtete er nun schon die Szenerie. Drei Wochen der Belagerung, in denen sich die kommende Katastrophe immer deutlicher abzeichnete und ihm seine eigene Ohnmacht deutlich vor Augen geführt wurde. Er sah keine Möglichkeit, die Kreuzfahrer von ihrem schrecklichen Vorhaben abzuhalten, ohne große Verluste in Kauf zu nehmen.
In diesen drei Wochen hatte er die Kreuzritter gründlich ausgekundschaftet. Es mochten vielleicht ein paar Edelleute dabei sein, mit denen man vernünftig reden konnte. Aber die meisten waren in ihrem religiösen Eifer verblendet. Und das betraf nicht nur die wenigen Männer der Kirche, die mitgezogen waren. Nein, alle waren sie von dem Gedanken beseelt, die Stadt ihres Heilands und ihrer heiligen Stätten von den Ungläubigen zu befreien. Sie alle glaubten an die Rechtmäßigkeit ihres Unterfangens.
Es waren Räuber und abenteuerlustige Bauern unter den Kreuzzüglern, es gab Söldner, ein paar „bekehrte“ Muslime und andere Heiden, die sich dem Zug auf seiner dreijährigen Pilgerschaft angeschlossen hatten. Viele dieser Menschen hatten Schreckliches auf der
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Tankred Kiesmann
Bildmaterialien: Markus Philipp
Cover: bookcovers4everyone
Lektorat: Dagmar Morgaat
Korrektorat: Angelnova Verlag
Satz: Tankred Kiesmann
Tag der Veröffentlichung: 10.11.2021
ISBN: 978-3-7487-9899-6
Alle Rechte vorbehalten