An die Philipper
Eine Auslegung
Der Bibeltext wurde - sofern nicht anders angegeben - vom Autor selbst aus dem Griechischen übersetzt.
1) Paulus und Timotheus, Knechte Jesu Christi, an alle in Christus Jesus seiende Heilige, Aufseher und Dienern in Philippi:
Also, irgendwo frage ich mich ja jedes Mal, wie man so einen Brief beginnen kann. Ich glaube, würde ich jemals so einen Briefkopf schreiben, hätte ich nicht mehr viele, die mir zurück schreiben würden.
Aber der Brief geht ja an eine Gemeinde.
Obwohl ich mich manchmal darüber ärgere, dass ich viel zu viel über banale Dinge rede, aber viel zu wenig wirklich tiefe Gespräche oder Briefe habe. Nur - das liegt bestimmt nicht am anderen. Im Grunde liegt es an mir. Wenn ich beginne, ehrlich zu werden, wird es meistens der andere auch. Und wenn nicht, ist er dazu vielleicht nicht fähig. Dann ist mit ihm aber auch keine tiefere Freundschaft möglich.
Ich bin davon überzeugt, dass ich nur im dem Maße fähig werde, Freundschaften zu haben, wie ich fähig werde, ehrlich zu werden. Vor mir, vor Gott, vor dem anderen.
Freunde wachsen nicht auf Bäumen. Aber wenn ich anfange, mich zu öffnen für den anderen, entsteht Freundschaft. Und das Schöne dabei ist, dass ich dies bei Gott lernen kann. Vor ihm darf ich ehrlich sein. Wirklich ehrlich. Und nur er macht mich fähig, auch vor anderen ehrlich zu werden.
Aber es geht hier nicht um Freundschaft.
Obwohl, das stimmt nicht. „Paulus und Timotheus“ steht dort. Diese beiden schreiben den Brief zusammen.
Ich muss ehrlich gestehen, ich hätte gerne jemanden, mit dem ich zusammen wäre. Der einfach da ist, mit dem ich reden kann. Mit dem ich vieles zusammen erleben kann, zusammen arbeiten kann. Für Gott da sein kann.
Aber dazu muss Gott mich noch fähig machen. Eine wirklich verbindliche Freundschaft einzugehen. Mit wem auch immer. Muss meine Angst nehmen, die Angst vor Nähe. Dass der andere mir zu nahe treten könnte, mich einengen und mir die Luft wegnehmen kann. Davor habe ich Angst.
Manchmal ist es gut, dass Gott nicht sichtbar ist. Ich weiß zwar, dass er da ist, aber irgendwo ist er auch nicht da. Für mich genau die perfekte Beziehung.
Aber Gott heilt. Macht gesund. Und nimmt mir meine Angst. Macht mich fähig, ein Freund zu sein. Macht mich fähig, Freundschaften einzugehen. Und macht mich fähig, ehrlich zu werden. Verwundbar. Verletzbar.
Im Grunde ist das doch die Angst, die bei mir dahinter steckt. Was ist, wenn er oder sie mich tiefer kennenlernt, besser kennenlernt? Kann er mich dann überhaupt noch mögen? Will er dann überhaupt noch mit mir zu tun haben?
Doch da wo Gott mich fähig macht, mich selber anzunehmen, verschwindet dies. Stück für Stück. Wo ich mich selber noch mag, wenn ich meine Tiefen kenne, wo ich noch zu mir stehe, wo ich mich selber annehme. Da werde ich fähig, mich dem anderen zu öffnen. Zumindest habe ich es so erlebt.
Ich glaube, Freundschaft beginnt bei mir selber. Erst mal muss ich Freundschaft mit mir selber schließen, erst mal mir selber die Hand geben.
Die Dinge umarmen, die hässlich sind, in mir. Die Dinge, die niemand wissen darf. Ich darf sie umarmen. Sie annehmen. Sie Gott bringen. Denn sie gehören zu mir. Sie haben mich geprägt. Sie gehören zu mir.
Freundschaft beginnt bei mir selber.
Paulus und Timotheus bezeichnen sich als Knechte Christi. Sie sind seine Sklaven. Er ist der Herr. Komisch, dass dies so oft in den Briefen vorkommt. Gut, damals gab es Sklaven. Aber trotzdem frage ich mich ja schon, wieso sie sich freiwillig als Sklaven bezeichnen.
„Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater!“ (Röm 8,15) Das bleibt.
Aber trotzdem bin ich Jesu Knecht, wenn ich ihn als Herrn bezeichne.
Ich denke, Paulus möchte hier klarstellen, wer wichtig ist. Nicht sie, die den Brief schreiben. Sondern Jesus Christus ist wichtig. Im Grunde sind die beiden vollkommen unwichtig, den Brief hätte auch jemand anders schreiben können. Nur Jesus ist wichtig.
Damit verweisen sie die Gemeinde weg von ihnen, hin auf Jesus. Sie soll sich an ihn binden, an ihm orientieren, Denn nur er ist der Herr.
Ich glaube, das vergesse ich viel zu oft. Menschen an Jesus zu binden und nicht an mich. Ich bin überhaupt nicht wichtig. Sicher, ich als Person schon, weil er mich liebt. Aber in Bezug auf den anderen nicht. Da ist nur Jesus entscheidend. Die Beziehung zu ihm.
Ich darf Menschen nicht an mich binden. Sondern ich muss klarstellen, wer der Herr ist.
Denn ich bin nur ein Knecht.
Sie schreiben an alle Heiligen in Christus Jesus. Also auch an mich.
Ich bin ein Heiliger. Nicht weil ich irgendetwas vorweisen könnte, oder so toll wäre. Nein, das bei weitem nicht. Aber in ihm bin ich heilig, denn er macht mich heilig.
Das finde ich schön zu wissen.
Es liegt nicht an mir, ich kann überhaupt nichts dafür. Es liegt nur in ihm.
Und Jesus lässt mich teilhaben an seiner Heiligkeit. In ihm. Er lässt mich teilhaben an seiner Fülle, er schenkt mir das Leben.
In ihm darf ich sein. Denn er stellt mich hin, heilig, untadelig, vollkommen. Gerechtfertigt. Denn nur er ist der Weg zum Vater. Nur er kann mich als heilig hinstellen.
Und in Christus ist jeder heilig. So wie er ist.
Aber Paulus schreibt noch weiter: Er wendet sich speziell an die Leiter der Gemeinde und die Diakone.
Somit tauchen in diesem einen Vers vier Bezeichnungen auf: Sklave, Heilige, Leiter und Diakone.
Verrückt.
Ein Knecht steht im Grunde ganz unten. Paulus und Timotheus führen ein Leben, dass ich eher geneigt wäre, sie als Heilige zu bezeichnen. Aber genau das ist der Punkt. Niemand ist heilig von sich heraus. Heilig sind wir nur in Jesus.
Dies wollen sie wohl auch klar stellen: Sie wollen keine Heiligenverehrung. Ihre Personen sind nicht verehrungswürdig. Dies ist nur Gott. Sie sind nur Knechte.
Aber die beiden anderen Gruppen, Leiter und Diakone, fallen schon heraus. Irgendwie klingt dies, als wären sie ausgesondert. Gehörten sie nicht mehr zu den einfach Heiligen. Nein, sie versehen besondere Aufgaben.
Einmal die Gemeinde zu leiten. Und einmal, um zu dienen.
Wie können sie dies tun, wenn sie ausgesondert sind? Wie können sie dies tun, wenn sie nicht mehr zu den einfach Heiligen gezählt werden?
Gerade in verantwortungsvolleren Posten ist es wichtig, zu wissen, dass ich ohne ihn nichts bin. Ohne Christus ist alles vergeblich.
Es ist nicht so, als würde ich die Gemeinde leiten können. Oder irgendjemand dienen können. Nein.
„Denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ (Joh 15,5)
Gott stellt jeden an seinen Platz. Er weiß, was das Beste für einen ist. Wo seine Gaben liegen. Er ist es, der leitet, er ist es, der führt. Wo ich anfange mich herausgelöst von diesen einfach Heiligen zu sehen, geht es schief.
Denn worin liegt die Verantwortung?
Zu bleiben in ihm. In nichts anderem . Nur zu bleiben in ihm. Ich persönlich. Ich als Person, als Mensch. Nicht in dem, was ich tue, sondern in dem, was ich bin.
Menschen, die sich herausgelöst verstehen von diesen einfach Heiligen, liegen falsch. Nur in ihm bin ich heilig und nur in ihm werde ich fähig, meinen Platz einzunehmen, den er für mich vorgesehen hat. Nur in ihm.
Sicher kann ich getreu nach der Bergpredigt anderen Menschen dienen. Aber da wo ich es aus mir selber tue, ohne ihn, sind es genau so selbstsüchtige Taten wie alles andere auch.
Ich kann nichts tun ohne ihn.
Denn nur ihm gebührt die Ehre.
Ich finde diesen Satz knallhart. Denn dann ist selbst die frömmste Tat gottlos, wenn ich sie ohne ihn vollbringe. Sie ist gottlos.
Nein, es geht nicht darum, dass ich jetzt auf einmal nichts mehr tue und zum absoluten Ekel werde. Aber es geht darum, wer die Ehre bekommt. Ich oder Gott? Freuen sich andere über meine Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und was auch immer? Rühmen sie mich dafür? Oder Gott?
Das ist knallhart.
Als Jesus als ein guter Meister angesprochen wurde, sagte er direkt: „Was heißest du mich gut? Niemand ist gut denn der einige Gott!“ (Lk 18,19)
Er weist hin auf Gott. Jesus selbst. Der so viel getan hat. Er weist hin auf ihn.
Was nennst du mich gut?
Das ist es, die Ehre an Gott abzugeben. Denn nur ihm steht sie zu. Ich bin nicht gut, nur er ist es. Ihm steht alle Ehr zu, nicht mir.
„Was nennst du mich gut?“
Denn nur einer ist gut, Gott. Niemand anders sonst.
„Was nennst du mich gut?“
2) Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserem Herrn Jesus Christus!
Gnade und Friede wünscht er ihnen.
Gnade. Von Gott, dem Vater und von Jesus Christus, dem Herrn. Das griechische Wort hat im Grunde mehrere Bedeutungen: Gunst, Huld, Wohlwollen, gnädige Fürsorge und halt Gnade selber. Ist dies mit Gnade gemeint? Dass Gott mich mit Wohlwollen ansieht? Dass ich in seiner Gunst stehe, dass er für mich sorgt, gnädiglich?
Gnade ist unabhängig vom Empfänger. Er kann nichts dafür. Gnade ehrt immer den, der gnädig ist. Vom ihm ist es abhängig. Gnade heißt auch, dass da jemand ist, der stärker ist, der mächtiger ist, der mich in seiner Hand hat. Und von dessen Gnade ich abhängig bin.
Im Grunde kann es Gnade gar nicht zwischen Menschen geben. Denn nur der kann Gnade erweisen, der wirklich mächtig ist, der wirklich stark ist, der wirklich König ist. Ein Mensch der hier irgendwie einen anderen aus Gnaden freigibt, hat keine wirkliche Macht. Sie ist ihm nur verliehen. Und - es kommt nicht auf seine Gnade an. Wenn Gott es will, dass der andere freikommt, passiert es auch. Unabhängig vom Menschen.
Es kommt nur auf Gott an. Auf niemand anders sonst. Es kommt nur auf seine Gnade an. Denn bei ihm geht es um meine Seele.
Aber dann heißt Gnade doch im Grunde, dass ich Gott ausgeliefert bin. Und das stimmt. Wenn er mein Schöpfer ist, bin ich ihm ausgeliefert. Da führt kein Weg dran vorbei. Und dann zählt wirklich nur noch seine Gnade, sein Wohlwollen.
Ich schätze, wir würden den Unterschied bemerken, wenn er einmal seine Gnade abwenden würde von uns, wie es dann hier aussehen würde.
Aber Gott ist nicht willkürlich. Ich darf auf seine Verheißungen trauen. Darauf darf ich mich verlassen. Er hat mir versprochen, dass wer an ihn glaubt, an Jesus Christus, kommt nicht ins Gericht (vgl. Joh 5,19ff).
Den begnadigt er, den sieht er gnädig an. Mit Wohlwollen. Freundlich. Darauf darf ich mich verlassen. Er hat selber Regeln geschaffen, die seine Gnade betreffen. Er hat selbst den Weg geschaffen, wie ich versöhnt werden kann mit ihm. Durch Jesus Christus.
Und genau deshalb ist es keine billige Gnade. Denn Jesus ist für mich verreckt. Am Kreuz. Nein, sie ist teuer. Sie hat sein Blut gekostet. Aber was heißt das für mich?
Es bleibt doch weiterhin, dass ich sie mir nicht verdienen kann. Es liegt in der Natur der Gnade, dass sie nicht erworben werden kann. Sonst wäre es Lohn oder was auch immer. Aber nicht mehr Gnade. Nein, ich kann sie mir nicht verdienen.
Aber da wo ich weiß, wie viel er für mich getan hat, stellt sich dieses Problem gar nicht. Da weiß ich, dass sie teuer ist. Und vor allem: Da wo ich jetzt weiß, was er heute für mich tut, stellt sich dieses Problem nicht. Da wo ich weiß, dass ich ihm mein Leben verdanke, meine Heilung, meine Gesundung meiner Seele, stellt sich dieses Problem nicht. Denn da weiß ich, wie viel er für mich tut.
Doch dahin muss ich erst mal kommen. Wirklich zu wissen, dass ich abhängig bin von seiner Gnade. Von seinem Wohlwollen.
Und trotzdem darf ich mich auf ihn verlassen. Auf seine Gnade, denn er hat es verheißen.
Friede. Äußerlich habe ich ihn. Hier in Deutschland herrscht Friede. Doch wie alles andere auch existieren solche Sachen nur wirklich, wenn ich sie in meinem Inneren habe. Also, wenn ich innerlich Friede habe. Nur dann habe ich wirklich Friede.
Und diesen Frieden kann nur Jesus schenken. Daran glaube ich. Doch ist es auch so?
Nein. Gut, vielleicht hin und wieder, aber nicht durchgehend. Aber Friede kommt nicht von heute auf morgen, zumindest nicht bei mir. Er muss wachsen, wie alles andere auch.
Und Frieden heißt doch nicht, dass ich glücklich und zufrieden bin. Das doch wohl kaum. Friede heißt für mich, dass ich es endlich geschafft habe, alle meine inneren Kräfte zu vereinigen und für mich zu nutzen. Nicht mehr gegen sie anzukämpfen.
Meine Triebe, meine Gefühle, einfach alles. Solange da noch etwas ist, was ich durchgehend unterdrücken muss, herrscht kein Friede. Kein wirklicher Friede.
Ich muss Friede schließen mit mir selber.
Und das kann wirklich nur Jesus. Denn nur in ihm komme ich zur Ruhe. Nur er schenkt mir die Kraft, in ihm zu ruhen, in ihm Friede zu finden. Friede kann wirklich nur er schenken. Niemand anders sonst.
3) Ich danke meinem Gott bei jeder Erwähnung von euch
4) allezeit in allen meinen Gebeten für euch alle und verrichte mit Freude das Gebet
5) wegen eurer Teilnahme an der frohen Botschaft vom ersten Tag an bis jetzt.
6) Zuversicht darin habend, dass der, der in euch das gute Werk angefangen hat, dies auch vollenden wird bis zum Tag Jesu Christi.“
Paulus dankt Gott für jeden in der Gemeinde in Philippi. Und zwar in jedem Gebet, in denen er von ihnen spricht. Er freut sich bei diesen Gebeten, weil er weiß, wie gut sie das Evangelium von Jesus Christus aufgenommen haben. Am ersten Tag, als es noch ganz neu war und auch jetzt noch zum Zeitpunkt seines Briefes. Daher ist er voller Zuversicht, dass dies so bleiben wird, bis zu dem Tag Jesu Christi, ja dass Jesus selbst sie und ihr gutes Werk zum Ziel führen wird, sie vollenden wird.
Für was danke ich Gott? Sehr selten für andere. Sehr selten. Im Grunde ist es hier ein Zeichen, wie sehr Paulus mit der Gemeinde verbunden ist, welchen Wert er ihnen beimisst. Er dankt Gott immer, wenn er für sie betet. Ich bin mir sicher, er tat es nicht aus Zwang. Nein, er meinte es bestimmt ernst. Es war für ihn keine fromme Pflicht, ein Gebet für den anderen mit Dank zu beginnen. Vielleicht um positiver denken zu kennen. Nein, er meinte es wirklich so, wie er es sagte. Sein Herz war voller Dank. Bei anderen Gemeinden macht er dies nicht, wie zum Beispiel an die in Galatien.
Nein, Paulus meint es ernst.
Philippi lag in Mazedonien. Also in Europa. Paulus reiste nach Mazedonien aufgrund einer Erscheinung. Sie sprachen dort zuerst mit den Frauen, die am Fluss zusammenkamen, um zu beten. Die Bekehrung der Lydia geschah in dieser Stadt. Die erste Christin in Europa.
Die Gemeindegründung ging von Frauen aus: Dies ist bestimmt mit ein Grund, warum Paulus immer noch für die Gemeinde danken kann und sich über sie freuen kann.
Und es war die Stadt, in der Paulus und Silas im Gefängnis waren.
Das heißt, er hatte hier viel erlebt. Er hatte erlebt, wie Gott eingreift. Auch im Gefängnis, auch in Ketten.
Dank bedeutet: Es ist nicht selbstverständlich. Das ist etwas Besonderes. Es könnte auch anders sein. Dies zeigt recht deutlich der Brief an die Galater. Wo Paulus einen ganz anderen Ton spricht. Nein, es ist nicht selbstverständlich, dass Paulus danken kann, Jahren nach der Gründung. Die Gemeinde ist gewachsen. Nicht nur in der Zahl, sondern innerlich. Sie ist gewachsen im Glauben. Sie hat festgehalten an Jesus Christus und der Botschaft von ihm. Und zwar wie am ersten Tag.
Mir tut es gut, zurückzusehen mit Dank. Für das, was Gott getan hat in mir. Wo ich gewachsen bin. Wo er Berge versetzt hat, die ich vielleicht sogar selber dahingestellt habe. Wo er mich geführt und geleitet hat, wo er mich Stück um Stück vorwärts gebracht hat.
Es tut gut, die Vergangenheit in Dankbarkeit annehmen zu können. Und zwar alles. Auch das, was schlecht war. Aber vielleicht gut war für meine Entwicklung. Was Gott zum Guten gewendet hat. Es tut gut, seine gesamte Herkunft, also Eltern, Geschwister und so, in Dankbarkeit annehmen zu können.
Aber das ist fast zu schwer, als dass es möglich wäre.
Es tut gut, Wunden zu sehen, die Gott geheilt hat. Verletzungen zu sehen, die Gott mir gezeigt hat und nun gerade dabei sind, zu heilen. Aber es ist fast unmöglich, für Dinge dankbar zu sein, die ich absolut nicht verstehe. Wo ich Gott absolut nicht verstehe. Da ist Dankbarkeit wenn überhaupt nur möglich im Rückblick. Wo ich sehe, dass ich es geschafft habe. Ich bin daran gereift. Ich habe es überwunden. Mehr oder weniger. Vielleicht nicht alles, aber schon ein bisschen. Und komisch, dann kann ich wirklich dankbar sein, für mein Reifen, Wachsen, Durchstehen. Auch wenn ich in den Situationen selber vielleicht nur geflucht habe. In solchen Situationen hat mir Danken eher selten geholfen. Manchmal schon. Aber meistens habe ich versucht es irgendwie rumzukriegen. Und habe hinterher danken können.
Wohl dem, der seine Vergangenheit dankbar annehmen kann. Nicht unter dem Aspekt, dass alles gut war, alles gut gelaufen ist, ohne Schmerz und Leid. Nein, das nicht. Sondern unter dem Aspekt, dass ich sie vielleicht bewältigt habe und sie mich näher gebracht hat zu Gott.
Da wo ich weiß: Ich bin Gott heute näher als gestern, darf ich dankbar sein. Meine Beziehung zu Gott ist heute tiefer als gestern, darf ich dankbar sein. Diese Dankbarkeit hat für mich einen Sinn. Nur diese. Unter diesem Aspekt empfinde ich wirklich so etwas wie Dankbarkeit für die Situationen, die ziemlich mies waren. Losgelöst von diesem Aspekt werde ich bis an mein Lebensende niemals dankbar sein für diese Situationen. Ich kann Gott auch nicht danken für diese Situationen.
Aber ich bin ihm dankbar, dass sie mich ihm näher gebracht haben. Dass ich gewachsen bin. Dass sie mich haben reifen lassen.
Und im Grunde zählt nur das. Alles andere ist Mittel zum Zweck.
Wohl dem, der heute dankbar sein kann für das Gestern.
Paulus spricht hier von „meinem Gott“. Ein besitzanzeigendes Fürwort. Dasselbe Wort wie bei mein Haus, mein Auto, mein Geld.
Gott gehört mir nicht. Ich gehöre ihm. Aber ich glaube auch kaum, dass Paulus dies in diesem Sinne gemeint haben könnte.
Aber es spricht für Gott, dass ich dies so sagen kann: Mein Gott. Er ist nicht mein Besitz, nein. Aber es bezeichnet die Beziehung in der Gott zu mir steht. So wie bei mein Mann, meine Frau. Gott bringt im Alten Testament auch oft genug das Beispiel der Ehe, mit der er seine Beziehung zu Israel vergleicht. Ich darf zu ihm stehen. Denn er steht zu mir. Ich darf mit ihm leben. Denn er lebt in mir. Ich darf ihn lieben. Denn er liebt mich. Ich darf zu Gott eine Beziehung aufbauen, weil er es durch Jesus möglich gemacht hat. Ich darf zu Gott in eine Verbindung treten, in der gilt: Mein Vater, mein Kind. Wobei Gott beides ist, Vater und Mutter. Eine Bezugsperson, der ich vertrauen kann und darf und die mich bis über beide Ohren liebt.
Dies bietet Gott mir an. Weil er so unglaublich genial ist.
Doch die Gefahr besteht, dass ich aus diesem Gott der Beziehung, aus dem lebendigen Gott, wirklich viel zu oft den Gott mache, der mein Besitz ist, der mir gehört, den ich mir untertan gemacht habe. Da, wo ich selber der Herr sein will.
Und mir fällt oft genug auf, dass es manchmal gut wäre, wir würden wirklich von unserem persönlichen Gott reden und nicht von dem lebendigen Gott. Denn jeder von uns hat ein Bild von Gott im Kopf. So, wie ich denke, dass er ist. Nur - wir sollen uns kein Bild von ihm machen (5. Mose 5,8).
Aber mir fällt es ungeheuer schwer, mein Bild von ihm aufzugeben. Wie ist Gott? In meinem Bild ist es klar, wie er ist. Ist klar, was er will und was nicht. Ist alles geregelt. Aber es ist mein Bild. Es ist nicht der lebendige Gott. Den lebendigen Gott erfahre ich nur da, wo ich mein Bild aufgebe. Den Raum betrete, wo es kein Geländer mehr gibt, das mir solche Bilder anbieten. Wo ich einfach nicht weiß, wer Gott ist, sondern ihn erfahren will. Wo ich einfach nicht weiß, was gut und böse ist, sondern er es mir zeigen muss. Wo ich einfach nicht weiß, wie Gott ist, sondern es erfahren will.
Es ist unglaublich schwer, diesen Raum zu betreten. Und noch schwerer ist es, in ihm zu bleiben. Denn in diesem Raum gibt es keine Kontrolle mehr. Keine Kontrolle mehr von meiner Seite. Da gibt es einfach nur ein: Herr, hier bin ich. Mehr nicht. Wo ich alles loslasse, was ich denke zu wissen und ihn selbst zu Wort kommen lasse. Wo ich alles loslasse, was ich mit ihn in Verbindung bringe und ihn selbst Verbindung zu mir aufnehmen lasse.
Dieser Raum ist nicht im Kopf. Er ist im Herzen. Dieser Raum ist meine Seele. Der Raum, wo ich Gott begegne, dem lebendigen Gott. In Jesus Christus.
Er sprengt alle meine Bilder.
Dieses Gebot, sich kein Bildnis zu machen von Gott, ist heute genau so aktuell, wie vor dreitausend Jahren. Damals hatten die Menschen wirkliche Bilder, zu denen sie sagten: Mein Gott.
Wir haben heute auch wirkliche Bilder, zu denen wir sagen: Mein Gott. Nicht mehr außerhalb, sondern in uns. Und mit jedem Bild vergewaltigen wir Gott. Denn mit jedem Bild stülpen wir Gott unsere Vorstellungen über, unsere Ängste, Wünsche und Träume.
„Du sollt dir kein Bildnis machen!“
Ein Gebot, dass ich jeden Tag übertrete. Und bis an mein Lebensende übertreten werde. Denn ich werde es niemals schaffen, wirklich die Kontrolle abzugeben. Gott wirklich zum Herrn zu machen. Und damit wirklich dem lebendigen Gott zu begegnen.
Möge Gott uns unsere Bilder zeigen und sie zerstören. Und uns zeigen, wie er wirklich ist.
Im Grunde liegt hier auch ein dickes Problem beim Beten begraben. Ich bete viel zu oft zu meinem Gott, aber nicht zu dem lebendigen Gott. Ich gebe mir viel zu oft selber die Antworten, anstatt einfach meine Ängste, Sorgen und Probleme auszusprechen und dann einen Punkt zu setzen. Nicht mehr drüber nachdenken, was Gott jetzt vielleicht denken wird. Das ist seine Sache. Nicht mehr darüber nachdenken, was die Lösung sein kann. Das ist Gottes Sache. Nicht mehr über irgendwelche psychologischen Spielchen nachdenken, mit denen ich vielleicht meine Sorgen und Ängste in den Griff kriegen will. Auch das ist Gottes Sache.
Einfach vor Gott zu treten und ihm das zu sagen, was wirklich in und mit mir los ist. Und mehr nicht. Von ihm die Lösung erwarten. Von ihm Hilfe erwarten. Und nicht von mir. Mir nicht seinen Kopf zerbrechen.
Und, ja, ich darf ihn mit allem belästigen. Nur ein Gott, der mich nicht liebt, wird sich darüber ärgern.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Stefan Geschwie
Bildmaterialien: Stefan Geschwie
Übersetzung: Stefan Geschwie
Tag der Veröffentlichung: 29.01.2014
ISBN: 978-3-7309-7912-9
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