Die Nacht war dunkel, Wolken verbargen den Mond, dessen Licht sich nicht im Wasser spiegeln konnte. Auf den Wellen tanzte nur der Schein der wenigen Straßenlaternen, die vereinzelt am Kai standen. Ich legte die wenigen Meter zum gemauerten Ufer zurück, während ich nach meinen Schlüsseln kramte.
Ich lebte seit mehr als einem Jahr in dem kleinen Hausboot, das für mich alleine vollkommen ausreichte. Eigentlich gehörte das schnuckelige Wassergefährt meinem Kollegen, doch der war seiner beiden Kinder wegen in ein Haus am Stadtrand gezogen.
Das Tosen des Applauses spukte noch immer in meinem Kopf, mischte sich jetzt mit dem leisen Rauschen des Flusses und steigerte meine gute Laune mit jedem Schritt. Ich liebte das Theater. Nicht nur, weil ich einfach gern Schauspieler war, nein. Die alten Gemäuer, die meine Stimme so laut wiedergaben, das Publikum, das applaudierte, oder auch nicht. Man musste nicht erst Wochen später irgendeine Kritik in der Zeitung lesen sondern wusste sofort, was die Zuschauer von dem Stück hielten. Und natürlich waren da noch meine Kollegen, mehr ein Familienersatz, die ich verehrte und auch als Schauspieler hoch schätzte.
Ein kleiner Steg führte auf das Hausboot, ich klappte ihn hoch, sobald ich auf Deck war. Dann sperrte ich meine Tür auf, trat ein und schloss hinter mir zu. Jacke und Stiefel landeten in der Ecke, um Ordnung bemühte ich mich schon lang nicht mehr, hier nicht. Noch im Dunkel entledigte ich mich meiner restlichen Kleidung, tappte zur Kochnische.
Das Hausboot bestand nur aus einem einzigen Raum mit angrenzendem Badezimmer. Es war etwas altmodisch eingerichtet, gab immer das Gefühl, sich in einem alten Piratenschiff aufzuhalten. Trotzdem oder vielleicht genau deswegen plante ich keinen Umbau. ich mochte alte Häuser und dieses liebevolle und heimische kleine Boot war insgeheim mein Traumzuhause.
Ich kniff die Augen zu, als ich die Küchenlampe anknipste und das Licht meine, an Dunkelheit gewöhnten Augen blendete. Langsam gewöhnte ich mich an die Helligkeit, mein Blick wanderte über die Schlafoase hinüber zu den beiden majestätischen Sesseln. Sie standen zu zwei Seiten um einen Tisch, der mir zum Essen, aber auch zum Arbeiten diente. Auf einer Hälfte lagen überall wichtige Papiere herum, die ich wohl aufräumen sollte. Doch Ordnung war nicht meine Leidenschaft und diese Ansicht teilte ich wohl mit vielen Künstlern.
Die Uhr über der Arbeitsfläche zeigte bereits halb eins, doch jetzt war meine Zeit. Den Tag verbrachte ich in meinem Bett, die Nacht auf der Bühne. Daran wollte ich auch nichts ändern.
Das kleine Theater, in dem ich arbeitete, seit ich mein Studium abgeschlossen hatte, war etwas ganz anderes, als man es erwartete. Mein Chef Danny stellte jedes Jahr einen Schreiber ein, der extra für diese Bühne Stücke schrieb, oder griff selbst zu Tinte und Feder, wie zu Schillers Zeiten.
Sicher, Romeo und Julia war ein Meisterwerk, aber jeder konnte so ein Stück inszenieren. Doch was Danny auf die Beine stellte, war einzigartig und ich liebte jede einzelne Aufführung.
Dennoch war ich darauf angewiesen, für geringe Miete in dem Hausboot eines Freundes zu wohnen und mich meistens von Tütensuppen zu ernähren. Vom Job im Imbiss ganz zu schweigen.
Ich öffnete den Kühlschrank, nahm eine Flasche Bier heraus und nahm einen tiefen Schluck. Noch immer brodelte in mir die Ekstase eines gelungenen Abend. Nein, nicht für alles Geld der Welt würde ich die Schauspielerei aufgeben.
Das klingelnde Handy hätte wohl jeden Normalbürger aus seinem Bett gerissen, doch ich war selbst um halb drei Uhr nachts noch wach, brütete über Rechnungen. Schlafen konnte ich im Mondlicht sowieso nicht. In den letzten Jahren hatte ich mich zum Nachtmensch entwickelt, verließ das Hausboot tagsüber nur, um zu arbeiten und zu proben.
„Hannes Bennett.“
„Mr. Bennett. Ich hoffe, ich habe sie nicht geweckt. Mein Name ist Richard Wilson, ich habe sie vor einigen Stunden auf der Bühne gesehen und möchte ihnen ein Angebot machen.“
Die fremde Stimme glich einem Wasserfall, gegen dessen Tosen ich nicht anschreien konnte. Dieser gewisse Richard Wilson war anscheinend einer dieser Typen, die wie kleine Wiesel durch die Gegend flitzten, permanent quatschten und damit das komplette Gegenteil von mir.
„Es tut mir leid, Mr. Wilson, aber ich habe nicht vor, jemals auf einer anderen Bühne zu spielen.“, sagte ich gelassen, als ich den Fremden endlich unterbrechen konnte. Wie oft bekam ich Angebote dieser Art? Ohne angeben zu wollen, ich war gut. Sogar Danny wusste zu schätzen, dass ich selbst für diesen mickrigen Lohn noch für ihn arbeitete.
„Eine Bühne? Mr. Bennett, ich bitte sie. Sie gehören an ein Filmset und genau dahin kann ich sie bringen.“
Ein Filmset? Was waren das wieder für leere Versprechungen? Selbst wenn der Gedanke, nur einmal in einem TV-Film mitzuspielen, wahnsinnig verlockend klang, kannte ich solche Typen. Im einen Moment lobten sie die Schauspieler in höchsten Tönen, nur um sie kurz vor dem Ziel fallen zu lassen. Nur den wenigsten gelang die wirkliche Karriere und dann wurden sie zu diesen arroganten Hollywoodstars, die ihre Nase nie hoch genug recken konnten. Mit Schauspielen hatte dies nichts mehr gemein.
Trotzdem widerstand ich der Versuchung nicht, wenigstens einmal nachzufragen.
„Ein Film? Und sie denken, ich bin dafür geeignet?“
Der Mann am anderen Ende der Leitung atmete ruckartig aus, als würde es ihn wahnsinnig anstrengen, für zwei Sekunden die Klappe zu halten. Eigentlich klang er wie ein Teenie kurz vor dem Konzert von Take That, voller Euphorie und Begeisterung.
„Kein Film, eine Serie. Sie kennen doch bestimmt Sins of a Hero. In meinen Augen passen sie wie angegossen in die Rolle des Rafael Lacroix.“
Natürlich kannte ich Sins of a hero, welcher Kerl mit einer jüngeren Schwester kannte sie nicht. Irgendein Schönling kämpften um die Rettung der Welt. Während sich die Jungs an den Kampfszenen erfreuten, die zugegebenermaßen grandios produziert waren, vergötterten die Mädchen den schönen Helden.
„Ja, sagt mir was. Aber...“
„Es ist schon spät. Wenn sie Interesse haben, treffen wir uns Morgen gegen zehn im Café LaBleu. Dann gebe ich ihnen mehr Informationen über das Casting. Gute Nacht, Mr. Bennett.“
Das leise Piepsen des Handys tauchte mich von einem Moment auf den anderen in Stille, beinahe erleichtert legte ich das Telefon weg. Wie konnte ein Mensch nur so viel reden?
Das mit dem Treffen musste ich mir gut überlegen, es gab zu viele Heuchler in dieser Branche. Und wenn würde ich sowieso nur mit weiblicher Begleitung hingehen. Meine Schwester würde mich schon wieder auf den Boden der Tatsachen zurück bringen, wenn ich kurz davor stand, mich auf ein dummes Angebot einzulassen. Allerdings klang es sehr beruhigend und auch seriöser, dass es ein Casting geben würde.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen, doch ich überlegte statt zu schlafen, malte mir die Stimmung am Set aus. Ich wollte nicht einer dieser aufgeplusterten Hollywoodvögel werden, aber einmal in einer TV-Serie mitzuspielen, reizte mich sehr.
Ächzend ließ ich das heiße Duschwasser über meinen Körper laufen. Mein ganzer Körper tat weh, der Tag war verdammt lang gewesen.
Wir hatten eine frühe Morgenszene drehen müssen, was im Sommer bedeute, dass ich um 3 Uhr am Set sein musste, um mich von den Maskenbildnern herausputzen zu lassen.
Es war jetzt 23 Uhr. Das heiße Wasser beruhigte meine schmerzenden Muskeln und die Müdigkeit hatte sich in meinen Gliedern festgesetzt.
Ich hatte heute keine ruhige Minute für mich gehabt, ständig war jemand um mich herum gewuselt und wollte irgendetwas von mir. Auf Dauer war das ziemlich anstrengend.
Ich schloss die Augen und hielt mein Gesicht unter den warmen Strahl. Ein Glück hatte ich morgen frei.
Natürlich war ich am späten Abend, kaum hatte ich das Set verlassen noch von Reportern belagert worden, die Auskünfte über die neue Staffel haben wollten. Ich hatte wirklich an mich halten müssen, den Reportern ihre Fragen vernünftig zu beantworten und sie nicht mit einer patzigen Antwort davon zu jagen.
Wenn man nicht mehr ganz munter war, musste man ganz schön aufpassen was man sagte. Naja. Das musste man immer, da Reporter einem gerne das Wort im Mund umdrehten. Hauptsächlich war es allerdings nur um den Dreh gegangen, um meine Rolle und der stetig wachsenden Beliebtheit von Fans, derer ich mich erfreute. Die Fragen waren nicht sehr schwer zu beantworten gewesen, die Ansage des Produzenten war ja klar genug gewesen: Keine voreilige Preisgabe von Informationen über den Dreh.
Zuerst hatte man beschlossen, nur eine Staffel von Sins of a Hero zu drehen, da sie anfangs nicht sonderlich gut ankam. Und dann, kurz vor dem Ende der ersten Staffel explodierten die Zuschauerzahlen plötzlich, von einem Tag auf den anderen war Sins of a Hero DIE Serie und ich konnte mich schlagartig vor Aufmerksamkeit gar nicht mehr retten. Spontan hatte man entschlossen, noch eine zweite Staffel zu drehen und die Dreharbeiten nach Hollywood zu verlegen. Jetzt wurde bereits die dritte Staffel gedreht. Die Dreharbeiten dazu liefen erst seit einer Woche, da nur wenige Szenen ohne den neuen Hauptcharakter Rafael Lacroix gedreht werden konnten.
Und dafür stand morgen ein Casting für ein paar der neuen Rollen an, da man nach neuen Talenten suchte.
Ich kletterte aus der Dusche und sah gerade noch, wie das Display meines Handys erlosch.
Rasch wickelte ich mir ein Handtuch um die Hüften und griff zu dem kleinen Ding.
Die SMS war von David Gudier, meinem momentanen Manager.
-Presse rennt mir mal wieder die Tür ein, wegen dir und Celine. Sei froh, dass du da schon weg warst, bevor noch mehr kamen. Hab sie irgendwie abgewürgt. Müssen das bald klären. Mach dir morgen nen ruhigen Tag. Gruß, David-
Ich seufzte. –Hab ich vor- Ich schickte die SMS ab, warf mich auf das Sofa und schaltete den Fernseher ein.
Ich wohnte noch nicht lange in der, meiner Meinung nach, viel zu großen, neumodischen Penthauswohnung. David hatte gemeint, dass ich bei der Aufmerksamkeit, die ich mittlerweile genoss, eine angemessene Unterkunft brauchte.
Irgendwann hatte ich mich schließlich überreden lassen. Wenn es nach David gegangen wäre, würde ich jetzt in einem Haus wohnen. Doch wofür brauchte ich für mich alleine so viel Platz? Es hatte eine paar Wochen gedauert, bis ich mich nicht mehr ganz so verloren in den großen Räumen gefühlt hatte.
Ich starrte auf das Fernsehbild, während meine Gedanken im Kreis rannten. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die Zeit wie in einem Zeitraffer beschleunigt verging.
Vor ein paar Jahren noch hatte ich mit Freunden in der Fußgängerpassage Musik gemacht, um ein wenig Taschengeld zu verdienen, als wir noch zu jung waren, um zu arbeiten. Danach hatte ich in Cafés gejobbt und irgendwie mein Geld zusammengekratzt, das es zum Leben brauchte.
Zu dem Casting damals war ich eigentlich nur gegangen, weil meine damalige beste Freundin mich regelrecht angefleht hatte mitzugehen. Sie selbst wollte unbedingt eine Rolle in dieser komischen, neuen Serie, wollte aber nicht alleine hingehen.
Schließlich überredete sie mich auch dazu, mit vorzuspielen. Sie sprach immer davon, wie toll es wäre, wenn wir zwei zusammen spielen könnten. Und wenn ich nicht genommen würde, wäre es ja auch egal.
Wie das gottverdammte Schicksal so wollte, bekam ich die Rolle. Und sie nicht. Daraufhin war sie mir gegenüber ziemlich abweisend und schlecht gelaunt, da brachte es auch nichts, dass ich ihr versprach, die Rolle abzusagen. Unsere Freundschaft zerbrach irgendwann an dieser Lappalie. Anscheinend war die Freundschaft doch nicht so toll gewesen, wie ich gedacht hatte.
Nachdem ich meine beste Freundin nicht mehr zurück gewinnen konnte, nahm ich die Rolle an. Schließlich tat ein bisschen mehr Kohle nicht weh.
Das war jetzt schon beinahe dreieinhalb Jahre her. David hatte sich von vornherein ein wenig um mich gekümmert. Ich hatte Freundschaften mit anderen Schauspielern geschlossen und darunter auch meine neue beste Freundin Celine kennen gelernt.
Die Serie war immer beliebter geworden und plötzlich, nach dem Ende der ersten Staffel war der Trubel auch um mich losgegangen.
Seit dem war alles wahnsinnig schnell gegangen. Ich war aus meiner kleinen Wohnung in die große gezogen und konnte keinen Schritt tun oder mich mit jemanden treffen, ohne dass über mich geschrieben wurde.
Alles in allem war mein Leben wohl eher schwieriger geworden. Doch ich wollte mir nichts vormachen. Hin und wieder genoss ich Aufmerksamkeit auch. Aber war sie eben nicht immer von Vorteil.
Am nächsten Morgen war ich früh aufgestanden, das kalte Wasser der Dusche wusch die Müdigkeit fort und eine halbe Stunde später stand ich vor der Haustüre meiner Schwester Emma.
Gemeinsam liefen wir zum Café LaBleu, einem der Cafés, das wir uns sonst niemals leisten konnten. Trotz des noblen Umfelds trug ich Jeans und T-Shirt und eine Strickmütze über den dunklen Locken. Emma dagegen sah elegant aus in ihrem dunklen Rock, über den sie einen schwarzen Blazer trug. Das blonde Haar dagegen fiel frech von ihren Schultern und revidierte den Eindruck einer gelangweilten Sekretärin.
Wie es Manager so an sich hatten, kam Richard Wilson zu spät, wir bestellten bereits mit kritischen Blicken in unsere Portemonnaies, als er abgehetzt ankam.
Vom äußeren sah er genau so aus, wie ich ihn sich der Stimme nach vorgestellt hatte. Groß, schlank, mit Brille und kurzen Haaren. Er hatte überhaupt kein Stück Individualität an sich, als bemühe er sich darum, in der Masse nicht aufzufallen.
Nicht einmal für einen Kaffee hatte er Zeit. Nachdem er sich kurz als Talentsucher vorgestellt und mir seine Karte gereicht hatte, überreichte er mir nur eine Mappe mit allen wichtigen Informationen für das Casting und einer kurzen Beschreibung der Rolle des Rafael Lacroix.
Dann schwärmte er noch ein wenig über den gestrigen Abend und verschwand wieder zu einem äußerst wichtigen Termin, wie er sagte.
Auf der Rechnung blieben wir sitzen.
Für einen Moment bewegten wir uns nicht, als lähmte uns der Anblick des Kerls noch immer. In seiner Anwesenheit hatten Emma und ich einfach nur dagesessen und gestarrt und wenn ich ehrlich war, wusste ich nicht mehr als vorher.
Nur, dass ich zu dem Casting gehen und Mr. Wilsons Visitenkarte als Empfehlung vorlegen sollte.
Das würde ich tun, mich auf das Abenteuer einlassen. Noch so eine Chance würde es nicht geben.
Emma und ich waren in Emmas kleinem Wagen zum Casting gefahren, da ich selbst meist zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs war. An der Turnhalle angekommen, begann der Stress. Make-up, Kleidung, ein Hin und Her gewusel.
Dann endlich der Auftritt vor einer seriös wirkenden Jury. Nur eine viertel Stunde. Dann bekam ich den Termin für ein mögliches Stechen zwischen den besten Kandidaten genannt, Emma fiel mir vor Freude um den Hals.
Das alles bekam ich nur verschwommen mit. Mein Kopf hatte auch während des Auftritts auf Durchzug gestellt. Erklären konnte ich mir diese Leere nicht, aber vielleicht war sie besser als tosendes Lampenfieber.
Mit der Szene jedenfalls war ich zufrieden und das war auch alles, was ich Emma erzählte, als sie später auf deren Balkon saßen und Kaffee tranken.
Doch es war nur ein Casting gewesen, und ob ich in die Reihen der Favoriten gerückt war, stand noch in den Sternen
Mein Wecker klingelte. Schlaftrunken schaltete ich ihn aus. Ich hielt die Augen noch geschlossen, während die Sonne warm auf mein Gesicht schien. Ich liebte die Glasfront in dieser Penthousewohnung. Einer der Hauptgründe warum ich mich nach langer Überredung auf die Wohnung eingelassen hatte. Normalerweise machte ich die großen Rollläden nachts zu, aber ich war gestern viel zu fertig dafür gewesen.
Ich hatte mich gestern an meinem freien Tag mit Celine getroffen und wir waren bis spät nachts in einem dieser High-Society Clubs gewesen, das „Hollywood“. Fürchterlich einfallsloser Name, meiner Meinung nach. Die meisten dort konnte ich nicht ausstehen. Lauter eingebildete, reiche Schnösel, die sich für sonst wie unwiderstehlich hielten.
Aber wie ich leider festgestellt hatte, konnte ich in keinen normalen Club mehr gehen, ohne dass es problematisch wurde.
Blinzelnd öffnete ich die Augen und stand auf. Ich hatte gestern noch eine SMS von David bekommen.
Das Casting für die Rollen der neuen Serie war gut gelaufen, ein paar Nebencharaktere waren bereits besetzt worden.
Nur für die Rolle des Rafael Lacroix war man sich noch nicht einig geworden. Rafael Lacroix war ein junger Mann, der ein paar Jahre in Australien gearbeitet hatte und nun zurückkam. Er würde den besten Freund meiner Rolle spielen, dessen Vater der „Bösewicht“ der Serie war. Mehr war noch nicht wirklich geplant.
David meinte, dass der Produzent es für eine gute Idee hielt, meine Meinung mit einzuholen. Anscheinend hatte ich seine Sympathie in den dreieinhalb Jahren, in denen ich schon für die Serie spielte, gewonnen und laut David hielt er auch schauspielerisch gesehen sehr viel von mir.
Und da derjenige, der die Rolle bekam die meiste Zeit mit mir drehen würde, schien er es für wichtig zu halten, dass ich an der Entscheidung teilhatte.
Natürlich hatte sich die Tatsache, dass ich beim Casting erscheinen würde, bereits herumgesprochen und so hatte man auf heute die Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Ich würde abgeholt und hingefahren werden. Wie ein kleines Kind. Dieser übertriebene Trubel war echt nervig.
Gähnend tapste ich ins Bad, wo ich erst einmal unter die Dusche sprang, bevor ich mich fein säuberlich rasierte.
Meine dunkelbraunen, fast schwarzen Augen guckten mir aus dem Spiegel noch etwas verschlafen entgegen, während ich mir durch die schwarzen Haare fuhr, die vorne von der Länge her bis zu meinen Mundwinkeln reichten und hinten kurz geschnitten in alle Richtungen abstanden.
Ich putzte mir die Zähne und stand schließlich vor dem gewaltigen Kleiderschrank, der mehr Klamotten in sich barg, als ein einzelner Mensch tragen konnte. Aber wenn man nicht wollte, dass die Klatschzeitungen sich über einen das Maul zerrissen, sollte man vermeiden bei großen Veranstaltungen zweimal das gleiche zu tragen.
Ich entschied mich für eine dunkle, eng anliegende Jeans und ein schwarzes Hemd, welches ich oben ein wenig aufgeknöpft ließ.
Dann ENDLICH machte ich mich an der Kaffeemaschine zu schaffen und setzte mich schließlich seufzend mit der dampfenden Tasse Kaffee und meinem Laptop auf die kleine Dachterrasse
Ich hatte noch ungefähr eine Stunde Zeit. Ich loggte mich in Twitter ein, nur um davon zu lesen, dass man sich über Celine und mir schon wieder das Maul zerriss.
Egal wie oft wir erwähnten, dass wir nur sehr gut befreundet waren, das Gerücht hielt sich wacker.
Normalerweise wäre mir das egal gewesen, doch Celine war vergeben. Da ihr Freund, Chris aber nicht so scharf darauf war, von den Medien über ihre Beziehung ausgequetscht zu werden und sie ihn nicht ins Rampenlicht zwingen wollte, hatten sie sich darauf geeinigt, nichts davon bekannt zu geben. Natürlich war er ziemlich angepisst, von den Gerüchten die um uns zwei kursierten, auch wenn Chris wusste, dass ich nicht an Celine interessiert war.
Seufzend loggte ich mich aus und fuhr den Laptop herunter.
Wir würden das bald klären müssen, ich wollte nicht schuld daran sein, dass die Beziehung der beiden zerbrach.
Es klingelte und ich schnappte mir meine Jacke und mein Handy, bevor ich die Tür öffnete.
Ich fand die Tatsache, dass ich von „Bodyguards“ zum Casting begleitet wurde lächerlich. Eigentlich waren es einfach nur Sicherheitsleute, die für das Set arbeiteten und dafür sorgen sollten, dass den Darstellern nichts geschah.
„Na ihr zwei, alles gut?“, fragte ich die beiden Männer, Julian und Markus.
Markus war etwas kleiner als Julian, dafür aber breiter gebaut. Ich persönlich würde es mir schon zweimal überlegen, ob ich mich mit einen von ihnen anlegen wollte.
Smalltalk betreibend gingen wir zum Auto.
Es dauerte ungefähr zwanzig Minuten, bevor wir vor dem großen Gebäude ankamen, in dem für das Casting ein paar Räume gemietet worden waren. Der Wagen fuhr auf das Gelände und ich seufzte schwer, als ich die kreischenden Mädchen sah.
Wenn ich wüsste wer gequatscht hatte, würde ich demjenigen die Ohren lang ziehen. Sofort klebten etliche Hände am Auto, sodass Julian gezwungen war, sich langsam und vorsichtig einen Weg zum Hintereingang des Hauses zu bahnen.
„Bleib im Auto“, wies Markus mich an, während er über Funk mehr Sicherheitsbeamte nach hinten beorderte.
Die Hände meiner Fans donnerten gegen das Auto, während sie mir durch die Scheiben etwas zu brüllten. Die Worte verloren sich in einem einzigen Gekreische.
Das erste Mal, als ich in dieser Situation gewesen war, war ich totenbleich geworden und hatte nur gehofft, dass die Fans das Auto nicht aufschlugen. Jetzt wartete ich ruhig, bis die Sicherheitsleute die kreischenden Damen zurückgewiesen und Platz für mich gemacht hatten, sodass ich aussteigen konnte, ohne überrannt zu werden.
Während ich mich langsam zum Hinterausgang kämpfte war ich damit beschäftigt immer schön lieb lächelnd Zettel, T-Shirts, DVD-Hüllen und sonstiges Zeugs zu signieren, die mir fordernd vor die Nase gehalten wurden.
Schließlich hatte ich den Eingang erreicht und kaum, dass die Tür geschlossen war, konnte man das Kreischen nur noch undeutlich wahrnehmen.
Drei Tage später erwartete ich den Anruf eines der Jurymitglieder. Emma war aufgeregter als ich, wanderte in meiner kleinen Küche hin und her und brachte das ganze Haus zum Schwanken. Über diese Aufregung musste ich grinsen und sie nahm mir gleichzeitig die Nervosität. Klar, Emma wollte einen berühmten Bruder, aber viel wichtiger war es für sie, Valentin Saton zu treffen. Schließlich war er der Traum aller schlaflosen Mädchenträume, ein junger Schauspieler, der mit seiner ersten Rolle in Sins of a Hero Erfolge feierte. Nicht, das ich mich je damit beschäftigte, doch meine achtzehn jährige Schwester kehrte im Bezug auf Mr. Saton wieder in die Pubertät zurück.
Tausendmal musste ich mir ganze Szenen aus der Serie anhören, die sie auswendig konnte.
„Er hat eine wundervolle Stimme. Und seine Augen. Wenn er kämpft werden die total irre. Die sehen total schwarz aus, wie Pech.“
In diesen Momenten fiel es mir schwer, sie nicht auf die Filmeffekte hinzuweisen. Vermutlich waren Valentins Augen ganz gewöhnlich braun und die Stimme ebenfalls bearbeitet. Andererseits gab es ja nichts Schöneres als das schwärmende Leuchten in den Augen meiner kleinen Emma.
„Stell dir das vor. Du an der Seite von Valentin. Das wäre das Treffen der göttlichsten Schauspieler überhaupt.“
Ich grinste, drückte sie für Kompliment kurz an mich.
„Du machst mich noch ganz kirre, Süße. Okay, ich verspreche dir, dich Valentin sofort vorzustellen, wenn ich die Rolle bekomme, wenn du dich jetzt ganz brav auf den Stuhl setzt und mich nicht weiter in den Wahnsinn treibst.“
Emma nickte mit einem glückseligen Grinsen und tat wie befohlen.
Wie auf Kommando klingelte das Telefon und für einen Moment erstarrten wir, blickten uns von der Seite an. Dann nahm ich ab, meine Hände zitterten ein wenig.
„Hannes Bennett.“
„Mr. Bennett. Schön das ich sie gleich erreiche. Hier spricht Marie Howard.“
Ich hob die Daumen nach oben, wandte mich Emma zu und diese wurde noch hibbeliger als zuvor.
„Wir erwarten sie am Freitag, den 26.07 zum Stechen. Die Adresse erhalten sie per Post. In dem Umschlag finden sie auch die Szene, die wir von ihnen erwarten. Bitte sagen sie uns rechtsseitig Bescheid, falls sie nicht kommen können. Bei Fragen wenden sie sich an Mr. Wilson.“
Mrs. Howard verabschiedete sich eben so knapp, wie sie den Rest ihres Monologs geführt hatte, aber das war mir egal. Ich bekam die Chance, in einer Serie mitzuspielen, mein gesamtes Leben umzukrempeln, allein finanziell.
Emma fiel mir um den Hals, noch bevor ich irgendetwas sagen konnte. Sie kannte mich einfach zu gut.
Am nächsten Morgen fand ich alle wichtigen Informationen wie vorausgesagt im Briefkasten. Das Casting fand in genau drei Tagen statt, in LA. Am besten war es wohl, wenn ich mir für die Tage ein Hotelzimmer nahm. Allerdings kamen dazu noch die Kosten für die Anfahrt und aus dem Skript entnahm ich beim ersten überfliegen, dass Rafael Lacroix ein ziemlich vornehmer Kerl und Geschäftsmann war. Jeans und T-Shirt würden also zu Hause bleiben müssen.
Mein Geld reichte jedoch jetzt schon wieder vorne und hinten nicht, Danny war mit den Zahlungen in Verzug. Sollte dieses kleine Abenteuer allein an den verdammten Kosten scheitern?
Meine Laune sank von Minute zu Minute und als Emma anrief, um die Neuigkeiten zu erfahren, war sie am Tiefpunkt angelangt.
Natürlich war es mal wieder meine kleine Schwester, die mir aus der Patsche half. Zwar war sie erst in der Ausbildung, aber da sie zur Zeit bei unseren Großeltern wohnte, konnte sie mir genug Geld für einen Smoking leihen. Einzige Bedingung war: Sie kam mit. Daran führte kein Weg vorbei. Und auch wenn ich wusste, dass sie mich vor allem wegen Valentin Saton begleitete, war ich froh um jede Unterstützung.
Die bekam ich auch beim Anzugkauf. Kyle und Emma prügelten sich beinahe darum, wessen Vorschlag mir besser stand. Zwei Stunden lang hetzten sie mich durch die Gegend und insgeheim dachte ich immer nur ein Wort: Frauen.
Dabei war Kyle noch schlimmer als Emma. Ich hatte meinen besten Freund in einer Bar kennen gelernt, als ich mal wieder in einer Krise steckte und Alkohol die einzige Lösung schien.
Kyle hatte seine Chance genutzt und mich sofort angegraben. Irgendwann waren wir knutschend auf der Toilette verschwunden und er hatte mir tausendmal erzählt, wie heiß er mich fand.
Inzwischen war ich wieder nüchtern und er seit drei Jahren vergeben, Freunde waren wir trotzdem geblieben. Meine nächsten Freundinnen erfuhren nie von diesem Abend.
Endlich, es schienen Jahre vergangen zu sein, einigten sich die Beiden auf einen Anzug, Kyles Wahl. Ein dunkles Sakko über einem königsblauen Hemd, das die Farbe meiner Augen unterstrich, wie mein bester Freund erklärte. Ich nahm die Entscheidung dankbar an und beeilte mich zu zahlen, damit sie ihre Meinung nicht änderten.
Der Bus hielt mit einem Schnauben, das an einen alten, grauen Drachen erinnerte, der in seinen letzten Atemzügen seine Reise nach Hollywood beendete.
Emma schien zu tanzen, als sie ausstieg, so gut war ihre Laune. Während der ganzen Fahrt lag ein Lächeln auf ihren Lippen, als wäre sie diejenige, die die Chance ihres Lebens bekommen hatte. Diese Freude in den Augen meiner Schwester lenkte mich vom Lampenfieber ab, welches langsam Einzug in meinen Kopf und in mein Herz nahm.
Die Sonne strahlte mit Emma um die Wette und es schien, als wäre die ganze Stadt in Feierlaune. Nur ich war es nicht.
Was, wenn ich nicht gut genug war? Es waren mit mir drei Andere in die innere Auswahl gekommen, drei Kerle die genau so gut, oder noch besser waren. Ja, ich wusste, dass ich Talent hatte, aber war es genug für eine verdammte TV-Serie? Für DIE TV-Serie, die zurzeit die ganze Welt begeisterte?
Nach einer viertel Stunde Fußmarsch kamen wir am Hotel an und checkten ein. Nach einer kurzen Dusche zog ich mich um und machte mich mit Emma auf den Weg zum Casting, welches dieses Mal in der großen Versammlungshalle eines Bürogebäudes stattfand.
Nachdem ich der Empfangsdame mein Schreiben und den Ausweis gezeigt und darum gebeten hatte, das Emma mit mir kam, holte mich Mrs. Howard ab und führte mich zu einem kleinen Raum, meiner Garderobe, wie sie es nannte. Mary Howard war eine schlanke Frau in einem Hosenanzug, die mit den hellen, hochgesteckten Haaren und der Brille wie auf ihren Beruf zugeschnitten schien. Mit der Information, dass ich als Letzter, also circa in einer Stunde an der Reihe war, ließ sie mich allein und ich begann, mit den Textblättern in der Hand auf und ab zu laufen. Viel Platz dazu bot die Garderobe zwar nicht, da auch noch Emma in einer Ecke stand und ihr strahlendes Grinsen zeigte. Insgeheim wusste ich, dass sie am liebsten auf die Suche nach Valentin gegangen wäre, aber sie blieb hier. Jetzt alleine zu sein würde ich nicht aushalten.
Die Zeit verging schneller, als ich vermutete, Mrs. Howard stand in der Tür.
„Jetzt ist es soweit.“, dachte ich mit einem Kribbeln im Magen, das ich vom Theater kannte. Ja, endlich war die Vorfreude da.
Ich hatte mich vorher noch mit den restlichen Jurymitgliedern unterhalten, was genau ihre Kritikpunkte waren und über allgemeine Daten der Kandidaten.
Zehn Minuten bevor es los ging hieß es, dass ich mit den Kandidaten zusammen die kleine Szene spielen sollte und die andere Rolle des Dialogs übernehmen musste.
Ich runzelte die Stirn, als ich die Blätter in die Hand gedrückt bekam.
„Dann haben wir noch eine andere Sichtweise der Kandidaten“, meinte der Regisseur, der auch anwesend war nur.
Dann ging es auch schon los und der erste der drei Männer kam herein. Laut dem Zettel, den ich in der Hand hielt, handelte es sich um Brian Jonson. Er war ein verdammt großer Kerl, dem ich gerade einmal zu den Schultern reichte, obwohl ich wirklich nicht klein war.
Und er schien ziemlich aufgeregt, wischte sich seine Hände immer wieder an der Hose ab, bevor er sie den Jurymitgliedern und schließlich auch mir reichte und blickte sich unsicher um. Na das konnte ja was werden.
Als er erfuhr, dass er mit mir zusammen spielen musste, schien er aus allen Wolken zu fallen und nickte nur hastig.
Er war tatsächlich gar nicht so schlecht, zeigte sich aber unsicher in der Körperhaltung und brachte seinen Part daher nicht ganz so überzeugend rüber.
Der andere, John Wood war der typische Durchschnittskerl, aber er zeigte sich selbstbewusster, hatte dafür aber etliche Texthänger und verhaspelte sich immer wieder.
Der dritte, Tom Slider schien seine Nase ganz weit oben zu tragen und strotzte nur so vor Arroganz. Der Kerl war mir sofort unsympathisch. Er hatte das seltsame Talent, auf mich herabzusehen, obwohl er mindestens einen Kopf kleiner als ich war.
Er spielte seine Rolle gut, ziemlich gut sogar, was mich innerlich regelrecht aufregte. Allerdings schien er sich seiner zu sicher, da er sich irgendwann verhaspelte und den Anschluss zu seinem Text nicht mehr fand. Daraufhin sah er mich an, als sei allein ich für seinen Patzer verantwortlich. Hoffentlich war der nächste besser, sodass der Kerl die Rolle nicht bekam.
Hannes Bennett war der letzte. Er war ein großer, schlanker Kerl mit nackenlangen braunen Haaren und blauen Augen. Er reichte den Jurymitgliedern ebenfalls die Hand und schließlich auch mir.
Der Typ sah gut aus, dass auf jeden Fall und er hatte nicht diese Arroganz in den Augen, wie der andere Kerl sondern schien vollkommen ruhig zu sein. Trotzdem konnte ich nicht sagen, dass er mich gerade freundlich ansah. Dadurch, dass er so ruhig war, vermutete ich, dass er wusste, dass er gut war. Sonst wäre er ja auch nicht hier.
Er spielte gut, schien sich in die Rolle hineinzudenken und war textsicher. Keine Spur von Aufregung war zu sehen, allerdings übertrieb er es an einigen Stellen etwas, was die Betonung anging. Aber gut, er war ja auch aufs Theater spezialisiert.
Als er fertig war ließ er zischend die Luft aus seinen Lungen, das einzige Zeichen, dass er ganz schön aufgeregt gewesen war.
Ich nickte ihm nur aufmunternd zu und ging dann nach hinten zu den anderen Jurymitgliedern, wo ich mir erst einmal mein Wasserglas schnappte und ein paar Schluck trank, während er den Raum verließ.
Danach ging die Diskussion los. Der mit den Textschwächen war ziemlich schnell rausgefiltert und auch Mr. Nervös war raus.
Fehlten noch Mr. Arroganz und der Theaterkönig. Beide waren rein vom schauspielerischen her ziemlich gut gewesen und so zerbrachen wir uns unsere Köpfe über die Entscheidung.
Jeder feuerte Argumente und Gegenargumente zu den einzelnen Kandidaten. Doch schließlich wurde die Rolle Mr. Bennett zugesagt.
Gott sei Dank. Natürlich hätte ich mich nicht geweigert, hätte der andere die Rolle bekommen, aber es war doch viel angenehmer, seinen Schauspielpartner nicht von vornherein vollkommen unsympathisch zu finden.
Nachdem die Wahl feststand, wurden die Kandidaten wieder von Mrs. Howard in den Raum geführt. Jeder hatte irgendeine Begleitung mitgenommen.
„Erst einmal herzlichen Glückwunsch euch vier, dass ihr überhaupt bis hierher gekommen seid“, begann der Regisseur und fing damit an, Spannung aufzubauen. Ich hasste das an Castingshows, es war einfach nur irre Nerven zerreibend.
Ich spürte, dass die Augen der Damen immer wieder zu mir wanderten. Mr. Bennetts Begleitung schien sogar Löcher in mich starren zu wollen. Anscheinend bemerkte Mr. Bennett meinen Blick und stieß sie leicht mit der Schulter an, worauf hin sie hastig wegsah.
„Für die Serie suchen wir den Besten unter euch und wir sind uns sicher, die richtige Wahl getroffen zu haben“
So ging es noch ein paar Minuten weiter, Brian Jonson, der beim Vorsprechen schon so nervös gewesen war, sah aus, als würde er jeden Moment aus den Latschen kippen. Eigentlich sah der große Mann ziemlich gut aus. Kurze blonde Haare, ein auf einer anziehenden Weise kantiges Gesicht und strahlend blaue Augen. Nicht zu verachten.
Offensichtlich nervös knetete er seine Hände und biss sich auf der Lippe herum. Mr. Arroganz warf ihm nur einen verächtlichen Blick zu. Der Kerl war sich so sicher, dass er die Rolle bekam. Und seine Freundin neben ihm hatte den gleichen Gesichtsausdruck aufgesetzt.
Vielleicht würde ich ja später versuchen, unseren großen Nervösling ein bisschen aufzuheitern? Zumindest quatschen konnte man ja. Ich hatte schon viel zu lange keinen normalen Menschen mehr kennen gelernt.
Nachdem der Regisseur seine Rede vollendet hatte, die nur dazu beigetragen hatte, dass alle etwas verunsichert wirkten, mit Ausnahme unseres Superegos, war es an den einzelnen Jurymitgliedern, ihre Meinung zu den einzelnen Kandidaten mitzuteilen.
Wir waren zu viert. Mit dabei waren noch Terry Clearman ein berühmter Talentsucher, Clarissa Trueser, eine Schauspielerin, die in den vergangenen Jahren mehrer Oscars gewonnen hatte und Michael Gornsteen ein Moderator einer beliebten Fernsehsendung.
Nachdem die drei ihre Meinung kundgetan hatten, war ich an der Reihe.
„Mr. Jonson“, richtete ich mein Wort an den ersten Kandidaten. Er schien reichlich niedergeschlagen, da er von den anderen kaum besseres gehört hatte als ich ihn zu sagen hatte. „Ich muss nicht mehr erwähnen, dass ihre Nervosität ihnen heute gewaltig im Weg stand und Sie sich damit die Chance leider verspielt haben. Ihr Auftritt kann ja bei dem vorhergehenden Casting nicht so schlimm gewesen sein und Sie haben bestimmt was drauf, sonst wären Sie heute nicht hier gelandet. Aber leider steht das nicht zur Debatte. Es ging darum, heute zu zeigen was man kann und da haben Sie auch mich leider nicht überzeugen können“, versuchte ich es kurz und schmerzlos. Ich konnte beinahe dabei zusehen, wie das Selbstbewusstsein des Riesen für heute endgültig zusammenbrach. Er nickte nur und seufzte schwer.
Slider grinste hämisch, doch dem würde das Lachen auch noch vergehen. Bisher schien es unentschieden zwischen Slider und Bennett, doch das würde sich in den nächsten Minuten ändern. Bennetts Begleitung hatte mittlerweile seine Hände in Bennetts Arm vor Anspannung gekrallt und auch er schien schon längst nicht mehr so kontrolliert und ruhig, wie er es noch zu Anfang gewesen zu sein schien.
„Mr. Wood, sie haben es auch schon ein paar Mal gehört, leider muss ich es schon wieder wiederholen: Rein vom schauspielerischen her haben Sie Talent. Doch meines Wissens haben Sie ihren Text seit fast einer Woche. Klar, die Nervosität ist da und man kann sich auch einmal versprechen, aber für heute war das eben ein paar Mal zu viel“
Der Mann nickte und hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt. Man sah ihn an, dass er sich über sich selbst ärgerte.
„Sie, Mr. Slider, haben ein… um vorsichtig zu sagen sehr selbstbewusstes Auftreten. Vielleicht waren Sie etwas zu selbstsicher. Sie spielen nicht schlecht, aber um es mal ganz konkret zu sagen, ihr übergroßes Selbstvertrauen macht nicht unbedingt einen guten Eindruck“
Mich traf ein Blick, bei dem ich wahrscheinlich sofort tot umgefallen wäre und seine Freundin sah mich an, als sei ich es nicht einmal wert auch nur eine Silbe an ihn zu wenden.
Innerlich war ich von den zwei absolut genervt. Die anderen drei schienen ein etwas hämisches Grinsen drauf zu haben. Anscheinend war er denen auch schon gehörig auf den Senkel gegangen.
Endlich wandte ich mich unserem Favoriten zu. „So Mr. Bennett. Man merkt Ihnen an, dass sie schon einiges an schauspielerischen Erfahrungen gesammelt haben. Auch wenn Sie anfangs etwas nervös waren, hat man davon nichts mehr gemerkt, sobald sie angefangen haben zu spielen. Sie haben eine ungeheure Ausstrahlen beim Spielen und das gefällt mir“
Er nickte erleichtert und seine Begleitung grinste breit.
„Die Freude schon so groß? Na dann wird die Freudenparty ja gigantisch sein, wenn ich Ihnen sage, dass wir wohl in Zukunft noch öfter die Gelegenheit haben werden, zusammen zu spielen“, meinte ich lächelnd.
Jetzt erstarrte er, und der Regisseur grinste. „Mr. Bennett, wir hätten sie gerne bei Sins of a Hero. Wenn sie morgen in mein Büro kommen, am Ende des Ganges rechts, gehen wir das ganze Formelle durch. Wenn sie wollen können sie auch einen Agenten oder Anwalt zu Rate ziehen, unterschreiben werden wir, wenn wir alles besprochen haben“
Seine Augen waren vor Überraschung geweitet, während sich langsam ein breites Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete.
Slider fluchte laut und verließ laut schimpfend den Raum. Noch von draußen konnte man Ihn schreien hören: „Die haben doch alle keine Ahnung, diesen Amateur zu wählen! Dieser eingebildete Schönling hat doch nur Angst, dass ich ihn in den Schatten stelle!“
Ich ignorierte sein Geschimpfe, während ich mich Hände schüttelnd von den anderen Kandidaten verabschiedete.
„Lassen Sie den Kopf nicht so hängen“, meinte ich aufmuntert zu Mr. Johnson, der nur niedergeschlagen mit dem Kopf nickte.
Ich klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, bevor ich mich Mr. Bennett zuwandte. „Bis bald“, meinte ich lächelnd und reichte auch seiner Schwester die Hand, bevor ich mich abwandte.
Die nächsten Tage verbrachte ich zwischen Freudentaumel und Papierkram. Tatsächlich regelte ich die Formalitäten mit der Hilfe einer befreundeten Anwältin, die sich mit diesem ganzen Geschreibsel auskannte. Ich selbst wollte einfach nur spielen, endlich wissen, wie es war, beim Film zu arbeiten. Nur eine Sache trübte die Vorfreude: Neben Sins of a Hero gab es keinen Platz für das Theater, zumindest nicht in nächster Zeit. Bis zum Drehbeginn in drei Wochen musste ich einen Ersatz finden und Danny schonend beibringen, dass ich eine Pause brauchte.
Es war Emma, die mich auf John Wood brachte. Der Mann hatte zwar seine Probleme mit Texten, war aber sonst ein begabter Schauspieler. Und wozu gab es Souffleusen im Theater? John reagierte überrascht aber erfreut auf meinen Anruf und versicherte, sich bei Danny vorzustellen. Ein Problem weniger.
In den nächsten Wochen war ich schwer beschäftigt. Eine Schneiderin nahm meine Maße für Mr. Lacroix Anzüge, Mr. Wilson erklärte sich zu meinem persönlichen Assistenten, da ja er mein Entdecker war, was er stolz jedem erzählte, ob der es wissen wollte oder nicht. Dabei war ich noch völlig unbekannt.
Emma war mir in der ganzen Aufregung auch keine Hilfe, sie schwärmte noch viel häufiger von Valentin als vorher. Laut meiner Schwester sah der Kerl live noch viel heißer und schöner aus und sie würde irgendwann ganz bestimmt mit ihm reden. Tatsächlich gab es aber seit einigen Wochen einen Mann in Emmas Leben, ihren neuen Freund Clemens. Für Valentin würde also früher oder später keine Zeit mehr sein und ich würde erlöst werden.
Endlich war es so weit. Ich zerrte meinen Koffer über den kurzen Steg zum Ufer, sperrte das Hausboot ab und machte mich auf den Weg zum Bus, mit dem ich zum Hotel, meinem neuen Zuhause für die nächsten Wochen und Monate, fahren würde. Morgen war der erste Drehtag und eine gewisse Nervosität machte sich in mir breit. Was Filmsets anbelangte war ich noch eine totale Jungfrau und Sins of a Hero würde wohl zum berühmten Sprung ins kalte Wasser werden. Als erstes galt es, sich an die ganzen Maskenbildnerinnen und Designerinnen zu gewöhnen. Mit so etwas konnte ich eigentlich gar nicht umgehen, Jeans und T-Shirt waren mir einfach das Liebste.
Das Hotel lag nahe der Halle, in der das Casting stattgefunden hatte. Hier in der Nähe würden die meisten meiner Szenen gedreht werden, vor allem in Bürogebäuden. Schließlich war Rafael Lacroix in erster Linie ein knallharter Geschäftsmann.
Ich checkte ein, und bewunderte bei meinem Weg in den vierten Stock die luxuriöse Ausstattung.
Das Management von Sins of a Hero zahlte für die Zeit des Drehs mein Zimmer..
Mein Zimmer war groß, ein Doppelbett stand in der Mitte des hellen Raums. Designermöbel standen herum, das Badezimmer war größer als die Küche in meinem Boot.
Ich nutzte den ersten Tag zum Textlernen, obwohl ich das schon die letzten Wochen in jeder freien Minute getan hatte.
Ich würde überraschend viele Szenen mit Valentin Saton spielen.
Ich duschte und machte mich in gewohnten Jeans und T-Shirt auf den Weg zur Bar im Erdgeschoss. Überall auf den Gängen standen inzwischen Bodyguards herum, die High Society war also eingetroffen. Ich zog die Augenbrauen hoch, zwängte mich an zwei der Riesen vorbei und betrat den luxuriösen Barbereich. Das hier war wohl das Schloss, von dem jedes Mädchen träumte, nur nicht ganz so pink. Schon auf den ersten Blick sah alles edel aus, die Bar bestand aus kunstvoll bearbeitetem Glas, die Tische aus dunklem Holz. Durch die riesige Fensterfront hatte man einen guten Blick auf den, zum Hotel gehörenden, Park mit einem riesigen See.
Mr. Henry saß an einem der Tische etwas abseits, trotzdem tummelten sich alle möglichen Leute um ihn herum, während sein eigentlicher Gesprächspartner immer wieder nach draußen starrte. Valentin Saton, der feuchte Traum aller Mädchen, verbarg seine Augen trotz der einsetzenden Dämmerung hinter einer Sonnenbrille. Das war wohl auch eine dieser Promiangewohnheiten. Mit den dunklen Jeans und einem schwarzen Hemd sah er gepflegt, aber noch lange nicht so aufgedonnert wie einige der Damen aus.
Wenigstens stand er auf, um mich zu begrüßen, reichte mir kurz die Hand. Mr. Henry unterhielt sich angeregt mit einer Frau, wobei er über ihre Arbeit wohl nicht gerade begeistert war.
„Das werden sie bis morgen regeln, Miss. Und jetzt sorgen sie dafür, dass mich niemand mehr stört, Mr. Bennett und ich haben wichtige Dinge zu besprechen.“
Die Dame eilte davon und der Regisseur lächelte mir zu. Ich ließ mich ihm gegenüber nieder, das dunkle Leder des Sessels war angenehm kühl.
„Sie kennen Valentin Saton ja bereits. Er wird neben Curt Garner ihr wichtigster Kollege sein. Mr. Garner spielt ihren Vater. Ich vermute, sie sind mit dem Drehbuch bereits vertraut.“
Ich nickte nur, kannte ich doch bereits jede Zeile meines Textes, sonst wäre ich schließlich nicht hier.
„Die Rolle des Rafael Lacroix ist schwierig zu inszenieren. Er steht zwischen den Fronten. Auf der einen Seite Adrian Lacroix, ein korrupter Bösewicht, der sich die Unterwelt unter den Nagel reißen will. Auf der anderen sein früherer bester Freund, unser Superheld Sin, mit dem ihn noch tiefe freundschaftliche Gefühle verbinden. Ich bin mir sicher, dass du diese Zwickmühle meistern wirst. Ich kann doch du sagen, oder?“
Er wartete keine Antwort ab.
„Dennoch möchte ich, dass du und Valentin miteinander vertraut seid, wenn ihr spielt. Nutzt den Abend, meine Herren.“
Mr. Henry erhob sich, da erneut seine Assistentin auf ihn zugelaufen kam.
„Ihr entschuldigt mich. Die Frauen wollen rund um die Uhr was von mir. Mrs. Howard holt dich morgen ab...Hannes richtig? Ich kenne immer nur die Nachnamen, dabei hasse ich es, Menschen zu siezen, mit denen ich arbeite. Wir sehen uns morgen am Set, gegen neun. Sei froh, Valentin darf schon um fünf auf den Beinen sein, wir drehen eine Szene im Morgengrauen.“
Mr. Henry reichte mir die Hand und verschwand hastig in Richtung Hotel.
Da saßen wir also, Valentin und ich und wussten nicht so genau, was wir einander sagen sollten.
Ich war tot müde. Celine und ich waren fotografiert worden, als wir im Hollywood vor drei Tagen gewesen waren. Wir hatten lediglich miteinander getanzt, was ja für engere Freunde nicht gerade ungewöhnlich war. Von den Medien wurde dies wieder hochgepeitscht ohne Ende. „Valentin und Celine im Liebestaumel“ war die Schlagzeile eines Berichts im Internet, demnach wir kaum die Augen voneinander gelassen hatten.
Natürlich war Celines Freund nicht begeistert gewesen. Sie hatten einen ziemlich heftigen Streit, nach dem sie zu mir gekommen war um sich auszuheulen. Es war zwar höchst wahrscheinlich, dass die nächste vermeidliche Liebesgeschichte über uns erschien, falls einer der Paparazzi sie gesehen hatte, aber wenn die beste Freundin heulend vor der Tür stand, wies man sie nicht ab.
Irgendwann, nachdem sie meine halbe Küche durchkramt und sich beschwert hatte, dass ich kein Schokoladeneis da hatte, hatte sie sich mit einem Nutellaglas und einem Esslöffel auf das Sofa verzogen.
Ich verzichtete darauf, sie daran zu erinnern, dass dies nicht gerade vorteilhaft für die Figur war und hatte mich einfach stumm zu ihr gesetzt. Nachdem sie fertig geschimpft hatte, hatte sie irgendwann nur noch geweint und ich hatte sie in den Arm genommen.
„Ich meine, er weiß doch, dass ich ihn liebe! Und trotzdem traut er mir nicht“
„Ich glaube schon, dass er dir traut, aber dir würde es auch nicht besonders gut gehen, wenn überall ständig herumerzählt wird, er hätte eine Affäre mit einer anderen, oder?“
„Aber er weiß doch, dass das nicht stimmt“, hatte sie weiter geheult. „Ich meine von dir geht soviel Gefahr aus wie von einem kastrierten Hund!“
„Vielen Dank für diesen Vergleich“
Irgendwann hatte sie sich dann beruhigt. Schließlich hatte ihr Freund angerufen und sich lang und breit entschuldigt, bevor ich sie mit meinem Auto zu ihm gefahren hatte.
Gut, dass ich mittlerweile an wenig Schlaf gewöhnt war.
Jetzt saß ich Mr. Henry gegenüber, nach einem sehr langen, sehr anstrengenden Arbeitstag. Michelle, die Dame, die für meine Frisur und mein Make-Up zuständig war, hatte ganze Arbeit geleistet, um die Spuren meiner verdammt kurzen Nacht zu verdecken. Ich trug eine Sonnenbrille im Gesicht, die ich hauptsächlich deshalb trug, damit mir das grelle Licht nicht so in den Augen brannte. Ich war hundemüde.
Ich war froh, dass Mr. Henry sich hauptsächlich mit irgendeiner möchte gern Diva unterhielt und ich meine Ruhe hatte. Später fand noch ein Pressetermin statt, um schon einmal für die neue Staffel Werbung zu machen. Hoffentlich kippte ich nicht einfach tief schlafend um.
In den nächsten Tagen würde ich das erste Mal mit Hannes Bennett spielen. Ich war gespannt, wie er sich machen würde.
Ich sah auf, als Bennett gerade den Raum betrat. Als er auf unseren Tisch zulief, stand ich auf und reichte ihm zur Begrüßung die Hand. Dann setzten wir uns beide und Mr. Henry wimmelte endlich die Frau mit ihrer furchtbar unangenehmen Stimme ab.
Wir wurden einander vorgestellt und ich bestellte mir noch einen Kaffee, während Mr. Henry Mr. Bennett seine Rolle erklärte. Ich schmunzelte, als er ihn plötzlich duzte und ich daran dachte, wie überfordert ich ihn damals angesehen hatte. Ich war schließlich auch nur zufällig durch ein Casting hierher gekommen.
Gerade wurde der Kaffee vor meiner Nase abgestellt, als ich Mr. Henry sagen hörte, dass er wollte, dass wir uns miteinander vertraut wurden. Angesichts der vielen Drehtage, die wir miteinander verbringen würden war das nicht nur angebracht sondern wichtig. Mr. Bennetts Gesicht war nicht anzusehen, was er davon hielt.
Ich sah auf, als Mr. Henrys Assistentin an den Tisch kam und er sich verabschiedete. Er reichte sowohl Mr. Bennett als auch mir die Hand und huschte dann davon. Ein hektischer Mann.
Aber so war das Leben in Hollywood. Immer hektisch, immer aufregend, immer beschäftigt.
Bennet schien nicht recht zu wissen, was er sagen sollte, drum sah er sich unauffällig im Café um.
„Trinken sie Kaffee, Mr. Bennett?“ Mr. Bennett wandte sich zu mir um.
„Ja“ Ich winkte die Bedienung heran und bestellte einen weiteren Kaffee. Ich spürte Bennetts blick auf meiner Sonnenbrille und nahm sie zögernd ab.
„Entschuldigen Sie, ich habe kaum geschlafen und heute war viel los“, ich lächelte entschuldigend. „Und das grelle Licht zählt nicht unbedingt zu den angenehmsten Faktoren für müde Augen“
Er nickte nur, während die Bedienung seinen Kaffee vor ihm abstellte. Ich ignorierte die Tatsache, dass sie übertrieben lange dafür brauchte und mich anstarrte. Sie war wohl noch nicht lange hier, denn die meisten Bedienungen hier hatten sich irgendwann an den Anblick Prominenter gewöhnt.
„Und? Sind sie gut auf ihren ersten Drehtag vorbereitet, Mr. Bennett?“
„Hannes“, sagte er und reichte mir erneut die Hand. „Ich bin, genauso wie Mr. Henry, kein Fan vom Siezen“
„Valentin“, lächelnd ergriff ich seine Hand.
„Ich hab mir das Drehbuch schon um die tausend Mal durchgelesen. Bin immer noch nervös ohne Ende“, gab er zu und zuckte seufzend mit den Schultern. „Wird schon schief gehen“
„Naja, zumindest rein schauspielerisch gesehen haben Sie… hast DU ja schon bewiesen was du drauf hast. Sonst wärst du ja nicht hier. Und jeder verpatzt Szenen“
Er runzelte die Stirn und nickte schließlich. „Wird schon werden“
So führten wir unseren Smalltalk weiter, bis mich Lärm vor dem Café von Gespräch ablenkte.
Neugierig sah sich auch Hannes um.
Eine Bedienung schien einen Mann aufhalten zu wollen, der sich einen Weg in das Innere des Cafès bahnen wollte.
„Shit“, knurrte ich, stand auf, als ich meinen Namen vernahm und bedeutete Hannes ebenfalls aufzustehen.
„Was ist los?“, fragte er verwirrt.
„Reporter“, murrte ich und setzte die Sonnenbrille wieder auf.
„Mr. Saton!“, rief der Mann voller Elan, kämpfte sich an der Bedienung vorbei und richtete sofort seine gottverdammte Kamera auf mich.
Unbeeindruckt trat ich an ihm vorbei, Hannes hinter mir.
Die Bodyguards sorgten für einen ausreichenden Abstand zwischen den Reportern, Hannes und mir. Blind von den unzähligen Blitzlichtern stolperte Hannes hinter mir her, bis ich ihn ungeduldig am Arm packte und hinter mir her zog. Nicht, dass sie ihm noch Löcher in den Bauch fragten. Während mir die Reporter mit ihren Kameras und Mikros auf den Leib rückten, wurden mir Reihenweise Fragen zugebrüllt, da jeder Reporter versuchte den anderen zu Übertönen. Kommentarlos bahnte ich mir meinen Weg durch die sensationsgeilen Leute.. „Was sagen sie zu den Vorwürfen, der Beziehung zu Celine nicht gewachsen zu sein? Streiten Sie deshalb ihre Beziehung ab?“ Ich runzelte die Stirn.
Endlich am Auto angekommen stieg ich ein und Hannes kletterte schnell auf der Beifahrerseite hinterher. Ich verriegelte vorsichtshalber die Türen, bevor ich mir vorsichtig einen Weg durch die Repotermenge suchte.
„Geht das immer so ab?“, fragte er, die Wangen vor Aufregung leicht errötet.
„Wenn sie etwas wissen wollen und eine gute Story wittern schon“
„Oh je“, murmelte er, als wir die Kameraträger endlich hinter uns gelassen hatten.
„Tja“, meinte ich nur. „Willkommen in Hollywood“
Von diesem Tag an begann der Stress. Klar, Rafael Lacroix war weniger wichtig als sein Serienvater oder gar die Rolle von Valentin Saton, trotzdem bestand mein Leben schon seit Tagen aus viel Arbeit, Make-up, Lichteinstellungen und wenig Schlaf. Wie es den beiden Hauptdarstellern ging, wollte ich mir nicht ausmalen. Das hier war komplett anders als das Theater. Jede Szene wurde bis zur Perfektion gespielt, wenn es nötig war zehn Mal wiederholt. Auf der Bühne gab es so was natürlich nicht. Dort wurde improvisiert, wenn jemand einen Fehler machte, die Schauspieler mussten sich aufeinander einlassen. Hier kam es mir manchmal so vor, als spielte jeder für sich selbst, auch wenn man eigentlich einen Dialog vorliegen hatte.
Trotzdem machte es Spaß und war mit Sicherheit eine einmalige Erfahrung.
Oft saß ich mit Curt Garner in der Maske. Er spielte meinen Vater, der im Gegensatz zu Rafael Lacroix eher wie ein Verrückter Professor aussah. Dazu wurden Curt, einem Mann Ende vierzig Tonnen von Schminke ins Gesicht gemeißelt, bis er tiefe Falten und eine tiefe Narbe auf dem kahlen Hinterkopf hatte. In Wirklichkeit war Curt blond, groß und hager, doch Adrian ging geduckt und spähte hinter einer riesigen Hornbrille hervor.
Mit mir hatten die Maskenbildnerinnen weniger Arbeit. Allerdings glätteten sie jeden Tag meine Haare, um sie mit Haargel nach hinten zu kämmen und so einen mehr oder minder seriösen Geschäftsmann zu machen.
Garner, wie sie Curt am Set meistens nannten, war ein wahrer Zyniker, der seine Gedanken immer laut aussprach und nie ein Blatt vor den Mund nahm, vor allem ungeliebten Kollegen gegenüber. Und von denen gab es für ihn genug. Ich mochte diese Art, Curt war einer der wenigen, die wirklich auf dem Teppich geblieben waren. Und so quatschten wir oft, wenn wir nebeneinander saßen und er ließ seinen Unmut über die Leute aus Hollywood bei mir aus.
Curt war es auch, der mein früheres Bild Valentin bestätigte. Vielleicht war ich voller Vorurteile, aber diese Art, wie die Hollywoodstars sich selbst feierten, machte mich wütend. Und Valentin Saton war einer dieser attraktiven, überaus sympathischen Arschlöcher, die hoch stiegen und tief fielen, irgendwann. Natürlich sprachen weder Curt noch ich diese Worte so aus, aber ich las zwischen den Zeilen, wenn er von unserem Kollegen sprach. Mehrere Male am Tag tauchten Horden von Mädchen vor den Studios auf um Valentin zu sehen. Für die anderen interessierte sich niemand und von meiner Existenz wusste ja schließlich noch kein Mensch.
Fünf Minuten später saß ich wieder in der Maske, Lisa setzte dem makellosen Rafael-Style etwas zu, ich bekam eine Platzwunde an der Stirn und musste in eine andere Jacke schlüpfen, die der ersten zum verwechseln ähnlich sah, doch mit Blut bespritzt und staubiger war. Währenddessen stürzten sich die Journalisten auf Valentin.
„Mr. Saton....“, „Können sie uns sagen....“, „Wie ist es, jetzt schon die dritte Staffel...“
Ich schüttelte den Kopf, wofür ich einen Klaps von Lisa kassierte, dann wandte ich mich ab. Das Gekreische der Journalisten konnte ich allerdings nicht so leicht ignorieren. Nur zu gut konnte ich mir vorstellen, wie sehr Valentin Saton diese Aufmerksamkeit genoss. Schließlich würde ihm das alles noch mehr Medieninteresse, Ruhm, neue Rollen und vor allem Geld einbringen. Die Schauspielerei blieb bei der ganzen Sache doch auf der Strecke. Ich fand das mehr als armselig.
Lisa trug gerade das Kunstblut auf, als ich aus dem Augenwinkel erkannte, dass sich jemand schräg neben mich gestellte.
„Johannes Bennett, nicht wahr? Mein Name ist Clara Hawks vom Fire Magazine. Würden sie mir einige Fragen beantworten?“
Beinahe hätte ich aufgelacht.
„Es tut mir leid, Mrs. Hawks, aber wie sie sehen bin ich schwer verletzt.“
Lisa und Clara fingen im selben Moment zu lachen an und zog die Augenbrauen hoch.
„Sehr schön, jemanden mit Humor zu interviewen.“
Ich zog noch einmal die Augenbrauen nach oben und lehnte mich zurück. Dann ließ ich den Fragenregen auf mich niederprasseln.
Geduldig beantwortete ich die Fragen der Reporter, scherzte mit ihnen lieferte ihnen nebenbei ein paar Informationen über den Dreh. Solange es um die Arbeit ging unterhielt ich mich gerne mit ihnen. Ich konnte es nur nicht leiden, wenn sie anfingen in meinem Privatleben rumzuschnüffeln. An diese übertriebene Aufmerksamkeit konnte ich mich einfach nicht gewöhnen.
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass die eine Frau auch schon Hannes fleißig ausquetschte. Na hoffentlich verplapperte er sich nicht. Aber so wie ich den Regisseur kannte, hatte dieser ihn bereits gewarnt, vorsichtig mit Worten umzugehen, da Reporter einem gerne einmal die Worte im Mund umdrehten.
„Mr. Saton, was halten sie von ihrem neuen Kollegen?“, ich wandte mich der jungen Frau zu, die das gefragt hatte.
„Ich denke wir haben durch seine Besetzung für die Rolle des Rafael Lacroix eine sehr gute Wahl getroffen. Wie Sie ja vielleicht wissen, haben wir uns Zeit genommen, um den passenden Schauspieler für diese Rolle zu finden und bei dem Casting hat sich Mr. Bennett als die beste Wahl erwiesen. Rein schauspielerisch gesehen kann man in dieser Staffel viel von ihm erwarten“, meinte ich lächelnd.
„Diese Staffel hier soll ja die letzte der Serie sein. Wie fühlt es sich an, zu wissen, dass die Serie, mit der sie berühmt wurden ein Ende nimmt?“, rief ein Mann hervor.
„Öhm… Wie fühlt es sich an… Sie fragten mich Sachen“, seufzte ich und der Mann grinste breit. „Es ist… irgendwo ein seltsames Gefühl, gleichzeitig bin ich stolz, dass wir so weit gekommen sind. Ursprünglich war ja nur eine Staffel geplant und ich hätte nicht gedacht, dass die Serie noch so groß rauskommt“
So ging das weiter, bis die Reporter schließlich angewiesen wurden das Set zu verlassen, damit wir drehen konnten.
„Na, glänzt unser Sternchen wieder im Rampenlicht?“, grinste Curt höhnisch, als er an mir vorbeistolzierte.
Curt war eine komplizierte Person. Ein Zyniker, der kein Blatt vor den Mund nahm. Eigentlich eine Eigenschaft, die ich mochte. Doch aus irgendeinem Grund konnte Curt mich nicht leiden. Wir hatten keine Probleme miteinander oder so, hin und wieder unterhielten wir uns auch mal, aber man merkte einfach, dass er nicht viel von mir hielt.
Aber trotzdem drehte ich gerne mit ihm. Irgendwie war er beim Dreh anders und es machte Spaß, mit ihm zu spielen.
„Hannes“, rief ich ihn zurück, als er gerade zum Dreh hetzen wollte.
Er blieb stehen und sah mich fragend an. „Hast du heute Abend schon was vor?“
Ich wirbelte beinahe zu Valentin herum.
„Ähm...bitte?“
Man musste mir meine Verwirrung wohl ansehen, denn Saton grinste.
„Naja, wie beide spielen vor allem in den letzten Folgen viel miteinander. Ich finde, da sollten wir uns zumindest ein wenig kennen, findest du nicht?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Okay, wenn du meinst. Was willst du machen?“
Valentin nahm die Hände aus den Hosentaschen.
„Ich kenne da ein kleines Café…“
„Gut.“ Ich nickte, noch immer skeptisch.
„Hannes Bennett?“, Michael Henrys Stimme schallte vom Set herüber.
„Ich muss los. Treffen wir uns um sechs an der Bar.“
Dann beeilte ich mich in mein „Büro“ zu kommen.
Als ich am Abend in mein Hotelzimmer kam, war ich komplett fertig. Ich hoffte, mich mit einer Dusche wieder einigermaßen wieder beleben zu können. Dann schlüpfte ich in frische Klamotten und schnappte mir meine Motorradschlüssel. Eigentlich hatte ich gar keine Lust, aber vielleicht hatte Valentin ja Recht. Als Kollegen sollten wir einigermaßen zurecht kommen.
Unten an der Bar wartete Saton schon, eine Sonnenbrille auf der Nase.
Ich drückte ihm den Helm meiner Schwester in die Hand, den ich immer dabei hatte. Ich holte sie öfters spontan von der Arbeit ab, da hatte so ein Zweithelm seine Vorteile.
Valentin sagte nichts, folgte mir nach einem kurzen Gruß einfach in die Tiefgarage.
Das Café war ziemlich abgelegen, soweit das für eine Großstadt wie Los Angeles zutreffen konnte und die Menschen waren alle mittleren Alters, also keine schwärmenden Teenager. Trotzdem nahm Valentin die Sonnenbrille nicht ab. Er mochte sie wohl genau so, wie ich meine Strickmützen.
Saton bestellte einen Kaffee, ich Tee, weil ich sonst wegen des Koffeins die ganze Nacht nicht schlafen konnte. Unser Gespräch verlief stockend, vielleicht weil ich meine Überzeugungen nicht loswurde, was Hollywoodstars betraf. Valentin erzählte ein wenig von sich, von der Arbeit an den ersten beiden Staffeln und stellte Fragen zum Theater und zu meinem Studium.
Eine dreiviertel Stunde später waren es ein paar Aufdringliche Fotografen, die uns zum Aufbruch zwangen und zurück im Hotel stürzte ich in mein Bett und schlief sofort ein.
„Hey Mr. Hollywood.“
Curt kam grinsend auf mich zu. Hätte er nicht seine linke Hand auf meine Schulter krachen lassen, hätte ich mich gar nicht angesprochen gefühlt. Ich zog eine Augenbraue nach oben. Lisa war nicht zu sehen, ich wartete schon zehn Minuten auf sie und der Dreh sollte in einer viertel Stunde beginnen. Während Curt schon komplett hergerichtet war, steckte ich noch in Jeans und T-Shirt.
„Mr. Hollywood? Was passenderes ist dir nicht eingefallen?“
Verdammt, wo blieb Lisa.
Curts Grinsen wurde breiter. „Wenn du wüsstest, was ich weiß, fändest du auch den Namen passend.
Eine junge Frau, die man dank ihres pinken T-Shirts gleich als Maskenbildnerin erkennen konnte, lief vorbei.
„Entschuldigung? Lisa ist noch nicht hier und ich muss zum Set. Wissen sie, welcher Anzug heute für Rafael Lacroix angedacht ist?“
Die Blonde lächelte. „Das dürften die Mädels in der Kleiderkammer wissen. Fragen sie doch einfach mal da nach.“
Schon war sie verschwunden. Ich stand auf, Curt folgte mir, noch immer grinsend.
„Also, was weißt du denn?“ fragte ich, während ich mich zwischen aufgeregten Statisten hindurch schlängelte und die Kleiderkammer erreichte.
Eine rothaarige Frau konnte mir tatsächlich helfen und einige Minuten später schlüpfte ich in einen anthrazitfarbenen Anzug. Curt wich mir nicht von der Seite, zauberte plötzlich eine Zeitschrift zu Tage. Das Fire Magazine.
„Da steht ein Artikel über dich drin. Klein, aber fein.“
Wieder zuckte meine Augenbraue nach oben. Die Rothaarige half mir, die Krawatte zu binden, dann eilte ich auf demselben Weg, den ich gekommen war, zur Maske zurück.
Dort wartete eine völlig verstörte Lisa, die vollkommen außer Atem war.
„Es tut mir leicht. Mein Auto...“, keuchte sie.
„Kein Problem, Lisa. Ich hab es dank Curts Hilfe sogar in den Anzug geschafft.“
Ich ließ mich auf den Stuhl fallen und sie beeilte sich, meine Haare zu bändigen.
„Natürlich galt das größte Interesse wieder unserem Sternchen, aber... hier unten verliert die Stiftschwingerin sogar ein paar Worte über dich. Ich zitiere...“
Er hob die Stimme, räusperte sich von einmal.
„Das neue Dream-Team? Valentin Saton bekommt am Set von Sins of a Hero einen neuen Kollegen, der nicht nur mit seiner sympatischen Art, als auch mit seinem Aussehen glänzt. Da kann sich die Frauenwelt auf neue optische Highlights freuen. Doch sind Valentin und Hannes...“
An dieser Stelle grinste Curt noch breiter.
„...Hannes Bennett ein neues Dream-Team, oder sorgt der Kampf um weibliche Fans für Unruhen am Set von Sins of a Hero? Schauspielerisch jedenfalls harmonieren die beiden Jungstars zumindest an den ersten Tagen schon perfekt.“
Lisa legte das Glätteeisen ab und begann, meine Haare mit Gel zu malträtieren. Sie grinste wieder und ihr Atem hatte sich beruhigt.
„Kannst bloß hoffen, dass das nicht mehr wird mit den Artikeln in diesem Klatschheft, Junge.“
Curt verwandelte sich wieder in den gewohnten Skeptiker. Der Bucklige wandte er sich ab.
„Die Arbeit ruft... und wer könnte dieser lieblichen Stimme schon widerstehen.“
Dann war ich allein mit dem Fire Magazine auf meinem Schoß. Unter dem Artikel prankten zwei Fotos. Eines kannte ich. Das Theater hatte es als Werbung drucken lassen, es zeigte ein Portrait von mir in einem der Stücke vor zwei Jahren. Auf dem anderen waren Valentin und ich zu sehen. In dem kleinen Café, wo er dachte, dass ihn niemand kannte.
Ein paar Wochen waren bereits vergangen, Hannes und ich hatten schon einige Szenen gedreht. Ich war beeindruckt, von seinem Tatendrang und wie sehr er sich in die Rollen hineinversetzen konnte.
Es waren bereits etliche Bemerkungen über den „Neuen Star am Set von Sins of a Hero„ gefallen, doch der wirkliche Trubel um ihn würde wohl erst losgehen, wenn die ersten Folgen ausgestrahlt wurden, was nächste Woche geschehen würden. Die ersten 10 Folgen waren im Kasten, da wir schon ein paar Wochen vor Hannes Erscheinen gedreht hatten.
Nächste Woche hätten wir unsere erste große Pressekonferenz, um unser Statement zu den Dreharbeiten und so weiter abzugeben und heute stand ein anderes Interview an, bei dem sowohl Hannes, Curt als auch ich anwesend sein würden, also stellte ich mich schon jetzt auf viele nervige Paparazzi ein.
Müde betrat ich den Raum. Ich war total fertig, Celine war wieder bei mir gewesen, weil schon wieder so ein ätzender Artikel aufgetaucht war. „Warum steht sie nicht zu ihrer Beziehung?“ hatte die riesige Überschrift gelautet. Daraufhin hatten sie und Chris wieder mal gestritten. Ich hoffte wirklich, dass diese dämlichen Klatschmagazine uns irgendwann endlich mal Glauben schenkten, dass wir unsere Beziehung nicht leugneten, sondern verdammt noch mal nicht zusammen waren!
Hannes kam mir entgegen und zog erstaunt eine Augenbraue nach oben. „Himmel, siehst du scheiße aus“
„Dir auch einen wundervollen guten Morgen, ich hab ja auch kaum geschlafen. Und als ich dann eingepennt bin konnte der Wecker tun was er wollte, hat mich nicht wach bekommen“, grummelte ich und kämpfte mich aus meiner Jacke.
Er grinste nur breit und verschwand in der Maske. Nur kurze Zeit später saß ich mit einem extra starken Kaffee neben ihm, während Michelle, die Dame von der Maske, mit mir schimpfte, weil ich nicht genug schlief.
„Ist ja gut, Mama, ich habs verstanden“, brummte ich und handelte mir darauf hin einen Klapps gegen den Hinterkopf ein. „Aua“, grinste ich. „Habs vergessen, sarkastische Sprüche erst, nachdem die Haare gemacht sind“
Jetzt lachte sie endlich und ich lehnte mich zufrieden zurück.
„Trotzdem musst du mehr schlafen. Ist nicht gesund, weißt du?“
„Ist ja gut“, murrte ich und gab mich geschlagen. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Hannes versuchte ein Lächeln zu unterdrücken.
Rafael blinzelte. Wie lange hatte er keinen Schnee mehr gesehen? Fünf Jahre, vielleicht mehr? Und dennoch lag das blendende Weiß wie selbstverständlich auf den Dächern, blendete ihn.
Doch bis auf diese alten Häuser, die Fabriktürme aus rotem Backstein und den grauen Wolken, die an ihnen hingen wie ergraute Zuckerwatte, war nichts mehr so, wie bei seinem letzten Besuch.
New Bern, die Stadt der Sünde, zerfraß sich Stück für Stück selbst. Vielleicht war es mehr diese Tatsache, die ihn fort gelockt hatte, nicht der Job. Dennoch. Hier war er aufgewachsen, zwischen Müllcontainern und Limousinen, in Casinos und Suppenküchen. Er war als Junge gegangen und kam als erfolgreicher Geschäftsmann wieder.
Rafael blinzelte erneut, dann schob er die Sonnenbrille vor seine Augen.
„Willkommen daheim.“, schnurrte eine Stimme, die aus seiner eigenen Kehle kam. Wer hätte ihn schon begrüßen sollen? Diese Stadt vergaß sogar ihre Toten und er war nach fünf Jahren für diese Stadt gestorben.
Der Pilot der kleinen Maschine winkte ihm zu, als er über die leere Landebahn zum Flughafengebäude ging. In seinem Blick lag etwas, dass mehr an einen Abschied für immer, als nur an ein kurzes „Ciao“ erinnerte. Rafael lachte auf. Er war in dieser Stadt geboren, er kannte ihre ungeschriebenen Gesetze. Wenn jemand hier überleben konnte, dann er.
Kaum ein Flugzeug landete mehr hier, wer New Bern verlassen wollte, musste eine andere Möglichkeit finden. Und hierher kam sowieso niemand.
Rafael hatte einen einzigen Koffer bei sich. Seine Anzüge und etwas Geld. Mit mehr Gepäck würde er auffallen und das war das schlechteste, was dir hier passieren konnte.
Auch die Eingangshalle war leer, überall standen vertrocknete Pflanzen herum, die wohl einmal eine hübsche Dekoration gewesen waren. Und auch sonst war alles ziemlich verwahrlost und einsam. Bis auf eine Gestalt, die da an einer Säule lehnte, und deren Grinsen man schon von zwanzig Metern Entfernung sehen konnte. Steve. Der wohl einzig vernünftige Mensch in dieser Stadt und einer der wenigen, die er nach seiner Ankunft in Australien wirklich vermisst hatte. Sein bester Freund, vermutlich sein einziger wirklicher Freund.
„Hey Mann.“
Der Schwarzhaarige hob die Hand, stieß sich von der Säule ab und kam auf ihn zu. Vertraute Arme schlossen sich um ihn und Rafael wusste: Die Hölle hatte ihn wieder. Aber hey, was konnte einem kleinen Dämon hier schon passieren?
Wir saßen in einem hell beleuchteten Raum, wo etliche Leute herumstanden, sich die Hände schüttelten und so weiter. Etliche Kameras waren bereits auf Hannes und mich gerichtet, während wir ebenfalls Hände schüttelten und Leute begrüßten. Die heile Welt der Stars eben. Vor der Kamera konnte so gut wie jeder jeden leiden und so weiter und sofort.
Am Anfang hatte mich dieses ganze Küsschen hier und da ziemlich angekotztt, mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt. Nur Hannes schien noch etwas überfordert von dem ganzen Trubel. Allgemein wirkte er auf mich eher wie jemand, der es eigentlich so unproblematisch und ruhig wie möglich mochte.
„Na dann lass uns mal anfangen“, meinte ich zu Hannes und schob ihn mit mir zu einem kleinen Rednerpult, auf dem ein Mikro angebracht war. Davor tummelten sich etliche Reporter mit ihren Mikros und Kameras, die alle um den besten Platz rangelten.
Wir standen noch nicht mal ganz auf unseren Plätzen, als das Fragenbombardement bereits begann.
Hannes sah kurz ziemlich geschockt aus, weswegen ich mir ein Lachen schwer verkneifen musste, bevor ich mich zu dem Mikro vorbeugte.
„Tut mir Leid, ich verfüge kaum über Sins Gehör, um ihren vielen Fragen gleichzeitig zu lauschen. Zudem will ich nicht riskieren, dass mein neuer Kollege bei seinem ersten öffentlichen Auftritt sofort taub wird“, meinte ich mit einem freundlichen Lächeln
Es dauerte noch eine Weile, bevor sich die Lautstärke langsam senkte.
Hannes neben mir blinzelte angestrengt wegen der grellen Blitzlichter der Kameras. Vorsorglich hatte ich meine Sonnenbrille bereits kurz bevor wir vor die Reporter sind aufgesetzt, da sie sich im letzten Jahr als mehr als sinnvoll herausgestellt hat.
„Wie würden Sie die Beziehung zwischen Rafael Lacroix und Steve, alias Sin, beschreiben, Mr. Saton?“
Ich zuckte mit den Schultern und wusste, dass ich aufpassen musste, dass ich nichts über den Verlauf der Serie verriet, was die Öffentlichkeit noch nicht wissen sollte. „Ich würde sagen es ist eine ziemlich komplizierte Freundschaft zwischen Rafael und Steve. Sie kennen sich ja eigentlich seit dem Kindesalter, sind also wirklich sehr eng befreundet. Aber die Tatsache, dass Rafaels Vater ja der Bösewicht der Serie ist, wird den beiden noch ziemlich viele Probleme bereiten“
„Mr. Bennett, es ist das erste Mal, dass sie beim Film arbeiten, richtig? Wie ist es für Sie, gleich in Hollywood, bei einer der momentan beliebtesten Serien anzufangen?“
Er richtete den Blick auf den Mann, der die Frage gestellt hat, während fleißig weitergeblitzt wurde. „Es ist auf jedenfalls etwas anderes als beim Theater. Es ist natürlich sehr viel größer und es sehen sehr viel mehr Leute zu. Allerdings ist es auch Mal ganz entspannend, sich auch einmal einen Fehler leisten zu können. Dank den Leuten vom Schnitt“
Ich grinste. „Ja, das ist beim Theater wohl etwas komplizierter“
Er nickte lächelnd.
So ging die Fragerei weiter.
„Mr. Saton, was sagt ihre Freundin, Celine Martin zu dem großen Erfolg ihrer Serie?“
Innerlich stöhnte ich genervt auf. „Als meine beste Freundin“, ich betonte die Worte extra noch mal, „freut sie sich natürlich für mich“
Hannes runzelte die Stirn und auch der Reporter wirkte mit dieser Antwort unbefriedigt.
„Mr. Saton, es gibt Gerüchte, Sie würden die Beziehung auf Grund ihrer Kindheit verleugnen?“
Nur das Blitzen der Kameras war zu hören, während mir nur für eine Millisekunde die Gesichtszüge entglitten und meine Wut preisgaben. „Ich weiß nicht wovon Sie reden und was das eine mit dem anderen zu tun haben soll“, gab ich ruhig zurück.
Sofort ging das Durcheinander wieder los, ich wurde regelrecht gelöchert, weshalb ich mit einem Blick auf die Uhr, am Ende des Raumes erleichtert feststellte, dass die Zeit sowieso schon vorbei war, was Mr. Henry auch zu meiner persönlichen Erleichterung verkündete. Während die Reporter unablässig weiter fragten, rettete ich mich aus dem Raum. Verdammt. Ich konnte mich also darauf gefasst machen, dass bald weiter in meinem Privatleben und meiner Vergangenheit gekramt wurde. Na das konnte ja lustig werden.
„Hier gleich im Anschluss eine neue Folge Sins of a Hero. Ich wünsche ihnen einen unterhaltsamen Abend, schalten sie morgen wieder ein wenn es heißt: Talk with Tara. Auf Wiedersehen.“
Die Blondine lächelte in die Kamera, dann begann die Werbung.
Beinahe die ganze Crew saß in der Hotellobby vor einer riesigen Leinwand, die extra ausgestellt worden war und erwartete gespannt die erste Folge der neuen Staffel. Zu gern hätte ich meinen ersten Fernsehauftritt zusammen mit meiner Schwester angesehen, doch da wir sowieso noch am Set waren, Sins of a Hero war noch nicht komplett abgedreht, bot es sich an, zusammen mit den anderen hier zu sein.
„Jetzt, Sins of a Hero mit neuen Folgen. Blut, Kampf und Tod in den Straßen von New Bern. Und nur ein Mann, der dem ganzen Einhalt gebietet. Sin. Drei Buchstaben, die den Untergang des Bösen bedeuteten.“
„Go Team Saton.“, rief jemand und ich sah, wie Valentin grinste. Noch bevor er etwas erwidern konnte, legte sich gespannte Stille über die Szenerie und auf der Leinwand zogen die dunklen Wolken von New Bern auf. Nur einige kleine Lichtpunkte durchbrachen die grauen Ungetüme. Die Lichter eines kleinen Flugzeuges, dessen Pilot mit angespanntem Blick zum Landeanflug ansetzte. So etwas wie Fluglotsen gab es nicht mehr und die Sicht war nicht die Beste. Doch schlimmer als die Landung konnte das werden, was darauf folgte. Sein kurzer, aber gefährlicher Aufenthalt in New Bern. Über das Schicksal seines Fluggastes wollte er erst gar nicht nachdenken.
Das alles teilte er in knappen Worten der Stewardess mit, die nichts erwiderte und doch spürte, die beklemmend die Situation war.
Dann endlich landete die Maschine und wenig später öffnete sich die Tür und ein Kerl im Anzug stieg heraus. Es war seltsam, mir selbst beim Gehen zuzusehen, meine Bewegung zu verfolgen, wenn ich die Sonnenbrille aufsetzte und meine Stimme zu hören, als sich Rafael Lacroix selbst in New Bern willkommen hieß.
Und dann tauchte Valentin als Steve auf, dem Mann, der nachts in der Gestalt von Sin die wenigen verbliebenen Bürger der Stadt rettete, so gut er konnte.
Auf dem Bildschirm sah unsere Umarmung irgendwie liebevoller, emotionsgeladener aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Ein Kerl aus der Crew hatte vor ein paar Tagen schon den Kommentar losgelassen, DIE würden jetzt auch Sins of a Hero verschwuchteln. Ich hatte nur die Augenbraue hochgezogen, mir Kyle in der Rolle des Sin vorgestellt und mir jegliche Bemerkung verkniffen. Wenn jemand dumm genug war, um homophob zu sein, konnte man ihm diese Dummheit auch nicht mehr austreiben.
Allgemein gefiel mir die Folge wirklich gut, die Specialeffects waren nicht übertrieben und Valentin hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Für dieses Mal endete Sins of a Hero damit, dass Sins bester Freund in das Haus seines Vaters trat und dort hinter einem klobigen Schreibtisch Adrian Lacroix wartete, der Mann, von dem der Strudel des Bösen ausging und den das Publikum aus den ersten beiden Staffeln schon zu genüge kannte.
Die dramatische Schlussmusik erhöhte die Spannung, machte Lust auf neue Folgen. Diese wurden prompt angepriesen, ab Oktober, jeden Freitagabend. Tja, da durften die Fans noch etwas warten.
Als das Licht in der Lobby wieder anging, klatschten wir alle, irgendwie stolz auf uns selbst.
Schon nach zehn Minuten löste sich die Versammlung langsam auf, die meisten beschlossen, noch in einen Club zu gehen, und trotz des morgigen Drehtags zu feiern.
Ich blieb sitzen, bis die meisten weg waren. Nach dröhnender Technomusik und halbnackten Tänzern war mir im Moment nicht zu Mute. Die Arbeit war anstrengend und ich wollte nicht erst in den frühen Morgenstunden nach Hause kommen, nur um dann gleich zum Set zu fahren.
Ich war überrascht, als ich feststellte, dass gerade Valentin Saton wohl den selben Plan gefasst hatte.
„Du gehst nicht mit?“, fragte ich.
Er schien erst jetzt mitbekommen zu haben, dass ich hinter ihm saß und drehte sich überrascht um.
„Oh.. ähm. Ja. Da sind grade zu viele Gerüchte über mich im Umlauf. Ich habe keine Lust, mich dem ganzen heute Abend zu stellen. Zum Tanzen komme ich da nicht. Außerdem tanze ich nicht wirklich gern.“
Er lächelte und stand auf.
„Wie wäre es dann mit einem weiteren kollegialen Kaffee und vielleicht einer Pizza auf dem Heimweg?“
Ich fragte, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben, wen ich da fragte. Aber irgendwie konnte ich das Gefühl nicht ertragen heute, an so einem großen Tag, allein zu sein. Da kam ich mir erbärmlich vor.
Wieder schien Saton überrascht.
„Okay“
Wir standen auf und gingen zum Hinterausgang. Der Rest der Truppe hatte das Hotel vorne verlassen und man konnte das Gegröle der Fans bis hier her hören.
„Aber mal ganz ehrlich. Gewöhnt man sich dran? An die ganzen Kameras und das Gekreische meine ich?“
„Es wird Teil deines Lebens und du kannst nichts dagegen tun, als es zu akzeptieren.“
Wow, da war das Theater einfach gewesen.
„Und was machst du nach Sins of a Hero?“
Wir hatten das Schwimmbad passiert und öffneten eine Tür, die zu den Tischtennisplatten und dann nach draußen führte.
„Ich hab schon einige Angebote, aber so richtig habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Wir sind ja noch mittendrin.“
Ich nickte. Für mich gab es gar keine Wahl. Ich wollte zum Theater zurück. Filme waren schön und gut, aber ich würde mich nie an den Trubel gewöhnen können. Und ich wollte niemals, dass mir so etwas wie auf der Pressekonferenz passierte.
„Und du?“
„Ich geh zurück zum Theater. Die Bühne passt irgendwie besser zu mir.“
„Hhm. Ja, ich finde du bist ziemlich gut darin, zu improvisieren. Das sind die Meisten hier nicht gewohnt. Ist ganz anders, sein Publikum direkt zu sehen, oder?“
Ich nickte, schob die Tür nach außen auf und trat in die Nacht.
„Dafür gibt es hier den Regisseur und tausend andere, die dir zusehen. Es kommt also irgendwie auf dasselbe raus.“
Mit einem Krachen fiel die Tür hinter uns zu. Leise war noch immer das Gekreische der Fans zu hören.
„Sollten die nicht zu Hause sein, um die Folge zu gucken oder waren die danach so schnell hier?“
„Keine Ahnung. Jedenfalls bin ich froh, da weg zu sein.“
Hinter uns krachte es, dann kreischte jemand.
„Oh mein Gott, das ist Hannes Bennett.“
Im nächsten Moment fiel mir Emma um den Hals.
Valentin nahm eine ablehnende Haltung an, begriff aber schnell, dass ich diese hübsche junge Dame kannte. Und auch diesen auffälligen, quietschenden Typen neben ihr, der mich andauernd Schätzchen nannte, und mir erzählte, wie stolz er auf mich sei. Erst dann schienen Emma und Kyle zu begreifen, dass VALENTIN SATON neben ihnen stand und sie wurden schlagartig ruhig.
„Ähm, Mr. Saton. Meine Schwester Emma und mein bester Freund Kyle. Mädels: Mr. Valentin Saton.“
Die Augen der Beiden leuchteten, dennoch schienen sie nicht zu wissen, was sie sagen sollten.
„Hey ihr beiden. Ihr könnt gerne Valentin sagen, das hab ich nur Hannes verboten, weil er sich am Set immer so aufführt.“
Mit seinem Humor brach Valentin das Schweigen und plötzlich redeten alle auf einmal auf ihn ein, was er mit einem Grinsen zur Kenntnis nahm.
„Ganz der Profi-Promi.“, dachte ich.
„Wir haben die Folge noch gar nicht gesehen, weil wir uns hier versteckt haben. Wir dachten: Wenn wir an Hannes herankommen wollen, dann so. Aber wir haben sie uns aufgenommen.“
Emma lächelte und drückte mich noch einmal an sich.
„Wohin wollt ihr denn eigentlich?“, fragte Kyle.
„Naja, einen Kaffee trinken oder so was. Wir wollen heute nicht so den großen Trubel.“
„Dann lass uns ins ChocolatBean gehen. Kann mir kaum vorstellen, dass die Paparazzi das kennen.“
Alle nickten zustimmend. Tja, mit Kyle an unserer Seite würde es wohl Trubel werden. Ob Valentin tolerant gegenüber Schwulen war? Jedenfalls hatte er meinen besten Freund nicht so seltsam angesehen wie manch anderer.
Mein Handy klingelte, als wir schon zu Fuß, und hinter dem Hotel vorbei, auf dem Weg zum ChocolateBean waren.
„Hannes Bennett.“
„Hey Junge. Wo steckst du denn?“
Curt.
„Ähm, ich bin mit meiner Schwester in der Stadt unterwegs, mir ist heute nicht nach Disco.“
„Gut, ich dachte schon, du hast dich in dein Zimmer verpisst. Ich wünsche dir viel Spaß. Und pass auf, dass du nicht zu viel Aufmerksamkeit auf dich ziehst, nicht dass der Saton-Star noch Angst bekommt, unterzugehen und zum schwarzen Loch zu werden.“
Dann hatte er aufgelegt.
Ich blickte unauffällig zu Valentin hinüber, dessen ganze Aufmerksamkeit von Emma beansprucht wurde. War es wirklich nur wegen der unangenehmen Geschichten aus seiner Vergangenheit, dass er die Presse zurzeit so mied, oder war er gar nicht so sehr auf die Aufmerksamkeit aus? Ich schüttelte den Kopf und beschloss, mir darüber keine Gedanken zu machen. Das hier war mein Abend und ich würde ihn genießen. Schließlich hatte mich gerade halb Amerika im Fernsehen gesehen.
Der Abend wurde wirklich nett. Das ChocolatBean war relativ leer, klar, es war Montagabend und kaum jemand ging um diese Uhrzeit noch in ein Café. Aber Emma hatte bei Gaby, einer alten Schulfreundin unserer Mutter und der Besitzerin des Chocolat, wie wir es kurz nannten angerufen und sie hatte extra für uns den Laden aufgeschlossen. Neben ihr waren nur ihr Mann, ihre Tochter und zwei, drei zufällige Gäste hier.
Gaby servierte spontan Pfannkuchen mit Nussnougatcreme oder Marmelade und wir lachten ziemlich viel. Es kam öfters vor, dass mir jemand spontan um den Hals viel und gratulierte, obwohl sie es schon tausendmal getan hatten.
Valentin unterhielt sich viel mit Emma und ich hoffte bloß, dass ich nicht immer in das Gesicht meiner Schwester blicken würde, wenn ich an einem Kiosk vorbei kam. VALENTIN SATONS NEUE FLAMME. BETRÜGT ER CELNINE?
Darauf konnte ich wirklich verzichten. Zwar waren erst wenige Artikel über mich erschienen, aber mir war schon jetzt bewusst, dass die Unterhaltung des Fußvolkes das Ende eines Privatlebens bedeutete. Ob das Leben das nun bewusst wollte oder eigentlich vermeiden hatte wollen.
Ja, nach Sins of a Hero würde ich zum Theater zurückgehen.
Die Paparazzi kamen, als wir auf dem Heimweg waren. Es war beinahe halb eins und wir waren in dem Glauben, jetzt auch die Hauptstraßen ungesehen nutzen zu können. Emma und Kyle waren bereits nach Hause gegangen und so bekamen diese Plagegeister wenigstens nur Bilder von Valentin und mir, Gesichtern, die sie sowieso schon kannten. Trotzdem beeilten wir uns zurück zu kommen. Morgen würden Curt und die ganze Welt wissen, dass Saton und Bennett ihren Erfolg gemeinsam gefeiert hatten.
Ich verabschiedete mich noch von Hannes, bevor ich zurück zum Drehgebäude marschierte, mein Auto holte und zurück zu meinem Apartment fuhr. Der Abend hatte Spaß gemacht. Es war lange her gewesen, dass ich mal wieder mit „normalen“ Leuten weg gewesen war. Wenn man denn Kyle als normal ansehen wollte. Ziemlich schräger Vogel, aber der Typ war mir trotzdem sympathisch gewesen. Zwar war ich hauptsächlich von Emma in Beschlag genommen worden, doch hatte ich auch hin und wieder mit Kyle gequatscht, der mich mehr oder weniger offensichtlich angeflirtet zu haben schien. Da ich aber nicht wirklich wusste, wie ich drauf hätte reagieren sollen, hatte ich es ganz einfach ignoriert und mich normal mit ihm weiter unterhalten.
Ich hatte mich gerade in irgendeine Pyjamahose begeben, als es an der Tür klingelte und gleichzeitig mein Handy klingelte. Ich beschloss, erst mal aufs Handy zu gucken. „Wir sind es, lass uns rein! C.“
Ich runzelte die Stirn. Die SMS kam von Celine. Wir, bedeutete, dass sie Chris mitgenommen hatte? Mein Manager, David konnte es ja schlecht sein, der war gerade mit den anderen feiern.
„Guten Abend“, grinste Celine und fiel mir um den Hals. „Haben uns natürlich die erste Folge angesehen, großartig warst du, wie immer“, flötete sie. Ich zuckte nur lächelnd die Schultern. Ich konnte nicht mit Komplimenten umgehen, was sie aber wusste. Am Anfang hatte sie mich einfach nur für eingebildet gehalten, weil ich nichts erwidert hatte, wenn sie mich für irgendetwas gelobt hatte, bis sie merkte, dass ich einfach nur nicht wusste, was ich darauf sagen sollte.
Chris klopfte mir zur Begrüßung nur auf die Schulter, bevor er sich an mir vorbei schob. Es kam eh selten genug vor, dass er mit hier her kam, da er ja nicht so scharf darauf war, in den ganzen Presserummel mit hineinzurutschen.
Irgendwie lag ein dunkler Schatten auf seinem Gesicht. „Alles okay bei dir?“, fragte ich mit gerunzelter Stirn.
„Wie mans nimmt“, murmelte er und seufzte dann. „Das übliche halt“ Jetzt grinste er. „Das ewige Traumpaar, Valentin Saton und Celine Martin, weil ja niemand weiß, dass Valentin Saton eigentlich eine Schwuchtel ist“
„Chris!“, fuhr Celine ihn an, doch ich nahm das nicht für voll. Ich wäre an seiner Stelle genauso frustriert, wenn man meiner Freundin dauernd eine Beziehung mit einem anderen Kerl hinterher sagen würde.
„Ich versuch ja schon irgendwie ne Lösung zu finden“, murmelte ich trotzdem verlegen. „Ist halt nicht so einfach“
„Außerdem glauben gar nicht mehr sooo viele dass wir zusammen sind!“, verkündete Celine fast stolz. „Nachdem wir es ja fast immer abstreiten nur noch 79%, laut irgend so einer Umfrage in einem dieser Klatschmagazine…“
„…denen man kein Wort glauben darf“, fügte ich hinzu.
Ich konnte mich also mal wieder auf eine lange Nacht mit wenig Schlaf einstellen.
„Mr. Bennett?“
Marie Howard sprach mich in der Lobby an.
„Gut dass ich sie treffe. Ich muss ihnen jemand vorstellen. Seit die erste Folge ausgestrahlt wurde, hat der Trubel um sie angefangen und sie werden einen Manager brauchen, wenn sie nicht ins offene Messer laufen wollen. Mr. Kay hat sich angeboten, ihre Interviews zu koordinieren und darauf zu achten, dass nichts an die Öffentlichkeit gerät, das da nichts zu suchen hat.“
Ich schaute die Frau etwas irritiert an. Klar, es hatte mehrere Artikel über mich gegeben und auch im Fernsehen hatten sich einige Moderatoren mit mir befasst. Aber all das war im Zusammenhang mit Valentin geschehen. Brauchte ich für diese einzige Fernsehserie gleich einen Manager?
„Ich weiß nicht, ob das wirklich nötig ist.“, sprach ich meinen Zweifel aus.
„Glauben sie mir, Mr. Bennett. Spätestens wenn Sins of a Hero regelmäßig ausgestrahlt wird, können sie sich vor Aufmerksamkeit nicht mehr retten. Da ist es besser, jemanden zu haben, der sich mit so etwas auskennt. Mr. Kay wird ihnen nichts anderes erzählen.“
Valentin kam vorbei, blieb neben Mrs. Howard stehen.
„Glaub der guten Marie, irgendwann wirst du ihr auf Knien danken, dass sie dir einen Manager zur Seite gestellt hat. Sollte es auch nur für kurze Zeit sein, dass du ihn brauchst.“
„Ist ja gut.“, grinste ich und folgte der Dame schließlich zur Bar. Dort wartete Mr. Kay auf mich, ein mittelgroßer, schlanker Mann mit blonden Haar. Er war mir ziemlich sympathisch und offenbarte mir gleich, dass nächste Woche mein ersten Auftritt in einer Fernsehshow bevor stand, zusammen mit Saton. Und gleich übermorgen sollte ich zum Fire Magazine, um dort mein erstes offizielles Interview zu geben, das Hawks dann abdrucken würde. Ob ich das überhaupt wollte, hatte mich niemand gefragt, aber das gehörte wohl einfach zum Leben als Hollywood Schauspieler dazu. Und wenn ich schon in einer Serie mitspielte, konnte ich auch gleich die anderen Erfahrungen mitnehmen. Wann kam man schließlich schon dazu, Talk with Tara als Stargast zu besuchen?
Jedenfalls war ich Mrs. Howard schon jetzt dankbar, dass sie mir Brian Kay zur Seite gestellt hatte.
Ich wusste von dem Artikel, bevor ich irgendeine Zeitschrift auch nur angesehen hatte, denn Curt klopfte noch vor Drehbeginn an meiner Zimmertür, den Blick zwischen amüsiert und geschockt.
„Morgen Mr. Hollywood.“
„Morgen Curt. Ähm.. komm doch rein. Willst du einen Kaffee? Ich habe gerade welchen gekocht?“
„Gerne, Junge. Macht wach in der Früh, nicht wahr? Vor allem wenn man feiern war.“
Ich ahnte, worauf er hinaus wollte, spielte aber den Unschuldigen.
„Stimmt ja, wie war es gestern?“
„Schöne Frauen, viele willige weibliche Fans und viele Kollegen, die ebenfalls begeistert waren. Von den Frauen und der Serie.“
Er lachte auf, aber sein Lachen klang nicht mehr ehrlich.
„Was du gemacht hast, weiß ich schon von anderen Quellen.“
Ich zog die Augenbrauen hoch.
„Ach ja?“
Das Fire Magazin landete mit einem Klatschen auf meinem Schreibtisch, direkt neben den Kaffeetassen, die ich gerade bereitgestellt hatte. Langsam hasste ich dieses Klatschblatt.
„Was haben sie schon wieder geschrieben?“, fragte ich und schenkte den Kaffee ein.
„Du weißt, dass du in den Fokus dieser Typen gerätst, wenn du mit diesem Kerl rumhängst? Dem geht es nur um die Präsenz in den Medien.“
Ich zog die Augenbrauen hoch. Klar, Valentin war ein Kerl aus Hollywood aber zur Hölle, das war Curt auch.
Gähnend streckte ich mich, bevor ich aus meiner Garderobe heraustrat, fertig für den Dreh.
Ich war schon verdammt lange auf den Beinen, da ich schon ziemlich früh eine andere Szene zu drehen gehabt hatte, mit der Hannes nichts zu tun hatte.
„…Valentin nicht fragen!“, tönte es dumpf aus Hannes Umkleide. Ich runzelte die Stirn und blieb stehen. Da ich ja ein neugieriger Mensch war, hatte mein Name natürlich Aufmerksamkeit erregt. Ich lehnte mich an die Wand, neben die Garderobe. Da die Tür ein wenig offen stand konnte man das kaum als „lauschen“ bezeichnen. Und wer will nicht wissen, was über ihm hinter seinen Rücken gelästert wurde?
„Warum? Weil ich keine Lust habe, dass sich Hollywood plötzlich darüber das Maul zerreißt, dass Valentin Saton seine Celine mit meiner Schwester betrügt!“
Überrascht zog ich eine Augenbraue in die Höhe. „…Ich übertreibe nicht! Was willst du überhaupt von dem, der hat schon ne Freundin!“
Ich verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Irrtum!
„Gestern Abend war ja auch lustig, aber trotzdem... Was? Stimmt doch gar nicht! Naja ich muss jetzt auch aufhören. Ich muss zum Dreh, ich…“, die Tür hatte sich geöffnet und noch bevor ich so tun konnte, als ob ich nur so dastand, stand Hannes auch schon vor mir und starrte mich überrascht an.
„Ähm… warte mal kurz“, er nahm das Telefon von seinem Ohr. „Valentin Saton, neugierig wie kein zweiter“ Tatsächlich schien er über die Tatsache eher erheitert als verärgert zu sein.
Trotzdem hob ich die Hände wie in einer ich-bin-unschuldig-Geste links und rechts von meinem Kopf. „Die Tür war offen, ich war von meiner Neugier praktisch dazu gezwungen, nachdem ich meinen Namen gehört hab“ Schnell schob ich ein verlegenes „Sorry“ hinterher.
Er runzelte nur die Stirn, als von seinem Telefon ein sehr lautes Geräusch zu hören war. Hastig hielt er es wieder an sein Ohr. „Was?… Nein, ich frage Valentin nicht!“
„Was fragst du mich nicht?“, fragte ich und zog eine Augenbraue fragend in die Höhe. Er winkte nur ab und verdrehte dann genervt die Augen. „Ja, ist gut, ich frag ihn. Aber er wird eh zu tun haben, heute Abend!“
„Nichts wichtiges, kann ich absagen“, meinte ich mit einem breiten Grinsen.
Hannes seufzte und zuckte dann mit den Schultern. „Ist ja gut... Ja. Bis später“ Er legte auf und starrte mich an.
„Was?“, fragte ich betont unschuldig.
„Hätte nicht gedacht, dass du so aufdringlich sein kannst“, meinte er.
„Du hast zugesagt, nicht ich! Außerdem, wenn ich so an den letzten Abend denke, kam mir das um einiges unterhaltsamer vor, als mir von irgendwelchen Klatschautoren irgendwelcher Mädchenmagazine Löcher in den Bauch fragen zu lassen…“
„Sowas hat unser Sternchen nicht mehr nötig“, spottete Curt und blieb neben uns stehen. Ich runzelte nur die Stirn. „Unser Schönling ist zu bekannt, um sich mit dem lästigen Problemen, die wir anderen uns auch stellen müssen, auseinanderzusetzen“ Er sah mich beinahe provokant an. Hannes Blick wanderte von ihm zu mir, als wartete er auf irgendeine Reaktion.
Es kam nur selten vor, dass Curt einen so direkt angiftete. Anscheinend hatte er echt miserable Laune. „Wie du meinst“, meinte ich nur. „Also dann Hannes, bis später. Muss zur Maske. Bin eh schon spät dran“
Damit verabschiedete ich mich. Ich konnte mir was Besseres vorstellen, als mich mit Curt anzulegen.
Ich hatte etwas länger drehen müssen, als Hannes, da wir dringend noch eine kleine Held-trifft-Bösewicht-Szene brauchten.
Curts Laune war echt im Keller, was dazuführte, dass er mich jedes Mal anmeckerte, egal ob er oder ich eine Szene verpatzten, was verdammt noch mal nicht oft vorkam!
„Kannst du überhaupt irgendwas außer dekorativ dastehen?“, machte er mich an, als er gegen mich rempelte, weil er irgendwie gestolpert war.
Schlichtend ging schließlich irgendwann der Kameramann dazwischen und der Rest wurde auf morgen verlegt. Was für mich bedeutete, dass ich noch früher aufstehen musste, um noch Zeit zuhaben, die Szene fertig zu drehen.
Allein der Gedanke, mich nicht noch mit Reportern rumschlagen zu müssen behielt mich einigermaßen bei Laune.
Ich verabschiedete mich noch von der Crew, bevor ich in meine Garderobe ging und mich umzog.
Gerade, als ich den Anzug, der für den Dreh nötig gewesen war, an den Bügel gehängt hatte klopfte es und David trat ein.
„Na mein Guter, alles klar?“
Ich nickte meinem Manager zu. „Bin froh, wenn ich daheim bin“
„Glaub ich dir“, antwortete er. „Gibt da aber ein kleines Problem“
Ich seufzte und sah ihn abwartend an. „Anscheinend hat die Presse irgendwas ausgegraben. Vor dem Studio stehen endlos viele Reporter. Hab Markus und Julian schon bescheid gesagt, dass sie dich nach Hause fahren sollen. Die zwei werden dich morgen auch vorsichtshalber abholen und herfahren“
„Na super“, brummte ich.
„Ne Ahnung, was sie rausgefunden haben könnten?“, fragte David, während er mich in die Tiefgarage begleitete, wo Julian und Markus schon auf mich warteten.
„Keine Ahnung“, murrte ich. „Aber wir werden es wohl bald wissen“
Er nickte nur. „Achja, wegen der TV-Show, in der du und Hannes eingeladen wurdet: Der Termin ist jetzt schon eine Woche früher. Anscheinend konnte der Gast, der eigentlich an dem Abend eingeladen war spontan nicht und da haben sie sofort angefragt, ob es möglich ist, euren Auftritt zu verschieben. Und je früher wir anfangen Werbung zu machen, desto besser“
Ich nickte zustimmend. „Und wegen Celine…“
„Ja ich weiß, wir müssen das bald klären“, knurrte ich. „Ist aber leider nicht so verdammt einfach!“
Er schwieg und nickte nur.
Das war einer der Hauptgründe, warum David nicht nur mein Manager, sondern auch zu einem guten Freund von mir geworden war. Er tat viel, um darauf zu achten, dass ich nicht in falsche Bahnen geriet oder ich ungewollt einen falschen Ruf bekam. Aber er war keiner dieser erfolgstrunkenen Geschäftsmänner, die ohne Rücksicht auf Verluste alles niedermachten, dass seiner oder meiner Karriere im Weg stand. Wenn ich der Presse nicht mitteilen wollte, dass ich nicht mit Celine zusammen sein konnte, weil sie einen Freund hatte, dann war David der letzte, der versuchte mich umzustimmen. Seiner Meinung nach war das allein Celines und mein Problem. Außerdem wusste David weit mehr über mich, als einige andere in Hollywood, was hauptsächlich damit zusammenhing, dass er sich über jedes kleinste Detail bestens Informierte, bevor er für eine Person arbeitete. Und nichts davon war bisher irgendwie an fremde Ohren gelangt. Das war in Hollywood nicht unbedingt selbstverständlich. Da wurde ständig über andere getratscht und Geheimnisse weiter gegeben, die sich eben einfach irgendwie verbreiteten.
„Hey Jungs“, grüßte ich die beiden Sicherheitsleute.
„Na du Frauendheld?“, grinste Markus. „Draußen ist ja echt die Hölle los! Haste irgendwas angestellt?“
„Nur das übliche, Jungfrauen überfallen und mich Drogenexzessen hingegeben“, gab ich grinsend zurück. Ich mochte die beiden.
Ich verabschiedete mich von David, bevor ich in das Auto einstieg. Der unterhielt sich noch kurz mit Julian.
Markus hatte laut Musik laufen. Harte Schlagzeugbeats und schnelle Gitarrenriffs gefolgt von einer dunklen Männerstimme, die uns aus der Anlage entgegen schrie.
„Wusste gar nicht, dass du so was hörst?“, meinte ich grinsend.
„Ab und an“, grinste Markus zurück.
„Gnade“, winselte Julius, kaum das er im Auto saß und griff zum Lautstärkeregler. Schnell hielt Markus seinen Arm fest und grinste zu mir nach hinten. „Kann ich anlassen?“
„Klar doch“
„Du hast den Star gehört“, rief Markus triumphierend und Julian stöhnte verzweifelt. „Dann stells wenigstens etwas leiser!“, jammerte er und verringerte die Lautstärke um einiges.
Kaum hatten wir die Tiefgarage verlassen, wurde das Auto in gleißendes Blitzgewitter getaucht.
Etliche Reporter drängelten sich dicht an das Auto, sodass kein Durchkommen mehr möglich war und wir wohl oder übel stehen bleiben mussten. Ich sah auf die Uhr. Da ich länger arbeiten musste als Hannes, hatte er gemeint, er und seine Schwester würden mich um neun abholen. Jetzt war es halb acht. Ich hoffte, dass ich es bis dahin nach Hause und unter die Dusche geschafft hatte.
Die Fensterscheiben des Autos waren getönt, so dass die Fotoapparate keine Chance hatte, ein vernünftiges Foto von mir schießen zu können.
Von draußen konnte ich die wild durcheinander geschrieenen Fragen hören, doch ich verstand kein Wort.
Himmel. Das letzte Mal war es so heftig zugegangen, als die Gerüchte, dass Celine und ich zusammen wären angefangen hatten.
„Was auch immer du ausgefressen hast, es muss verdammt wichtig sein. Ich ruf mal ein bisschen Verstärkung“, meinte Markus und hatte prompt sein Handy in der Hand.
Mit der Hilfe einiger weiterer Sicherheitsleute konnte sich das Auto langsam fortbewegen und irgendwann hatten wir die Menschentraube auch endlich verlassen und konnten im normalen Stadttempo weiterfahren.
Allerdings warteten vor dem Gebäude, in dem sich meine Wohnung befand schon weitere Reporter und die Haustür wurde von zwei Polizisten überwacht. Wahrscheinlich hatte einer der Nachbarn die Männer in Uniform gerufen.
„Heilige Scheiße“, murmelte ich. „Ich glaube ich hab mindestens ne Bank überfallen“
Julian lachte schallend. „Eine Bank? Wahrscheinlich hast du das Konto vom Präsidenten persönlich geräumt!“
Schnell fuhr Markus zum Hintereingang. Der Eingang in die Tiefgarage war speziell gesichert, man musste entweder einen Chip an einen Scanner halten, so dass sich das Tor öffnete, oder ein „Pförtner“ stand draußen, der die Leute hereinließ. Heute war ich das erste Mal richtig Dankbar für diese Einrichtung.
„Danke fürs Herfahren“ Grüßend hob ich die Hand, bevor ich ausstieg. „Und lasst euch von der Reportermenge nicht zerfleischen“
Julius grinste breit. „Zur Not schleppen wir dich wieder zurück und werfen dich ihnen zum fraß vor“
„Na vielen Dank auch“, gab ich lächelnd zurück. „Kommt gut heim“ Damit schlug ich die Autotür zu und ging auf den Fahrstuhl zu, der mich in den vierten Stock brachte. Da das Haus etwas erhöht stand, hatte man durch die Glasfront eine klasse Aussicht. „So wie es sich für einen Star gehört“, hatte David damals gemeint, als er mich in die Wohnung gezerrt hatte, um mich davon zu überzeugen, dass ich umziehen musste.
Mit mir in dem Penthouse wohnten nur noch irgendwelche reichen Schönlinge, die von ihren Eltern das Geld in den Arsch geschoben bekamen und dieses gekonnt aus dem Fenster warfen.
Natürlich waren auch die Wohnungstüren nicht mit simplen Schlössern ausgestattet. Neben einer Sicherheitsanlage, die allerdings fast jeder in Hollywood besaß, musste ich zum Entsperren den Finger auf ein Feld legen, damit mein Fingerabdruck gescannt wurde.
Ziemlich protzig, aber besser als ständig irgendwelche Fremden in meiner Wohnung zu haben.
Ich sah kurz aus dem Fenster, wo immer noch bunter Trubel herrschte. Kaum, dass ich den Vorhang kurz beiseite schob wurde auch schon wild rufend losgeknipst. Schnell rettete ich mich wieder hinter den schweren Stoff. Seufzend sah ich auf die Uhr. Nur noch eine halbe Stunde. Ich musste Hannes anrufen und absagen, bei den ganzen Reportern, die vor dem Haus standen konnte ich unmöglich rausgehen.
Ich schnappte mir mein Handy… und fluchte. Ich hatte seine Nummer gar nicht. Verdammt. Ich tippte David eine Sms:
-Hey. Ich hatte eigentlich vor mich mit Hannes zu treffen, komm hier aber nicht weg. Kannst du ihm bescheid sagen, dass ich es leider nicht schaffe? V.-
Ich legte mein Handy beiseite und holte mir erst einmal eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Mein Schädel pochte. Es war mal wieder so viel zu tun gewesen, dass ich vergessen hatte genug zu trinken.
Dann ging ich ins Bad, stellte die Dusche an und zog mich aus. Das warme Wasser beruhigte meine verspannten Muskeln und ich seufzte leise.
Emma war natürlich mehr als pünktlich, ich kam gerade aus der Dusche, als sie an meiner Zimmertür klopfte. Ich schlüpfte hastig in meine Boxershorts und öffnete.
„Ohlala. Ich hoffe ja, das Valentin mir auch so die Tür auf macht.“
Emma grinste und drückte mich.
„Das hoffe ich nicht, weil ich dummerweise dabei bin, wenn er aus seiner Luxussuite tritt.“
Meine kleine Schwester setzte ihre Unschuldsmiene auf.
„Och, dann schieben wir das ganze eben auf, bis du weg bist.“
Sie lächelte. Ich wusste genau, dass sie ihren Freund nie betrügen würde. Trotzdem konnte ich nicht umhin, sie zu warnen. Immerhin war sie meine kleine Schwester.
„Dir ist schon klar, dass wir bei Valentin Saton nicht einfach so ein und aus gehen können? Das ist eine Welt, in die wir beide nicht gehören. Ich möchte nicht morgen in der Zeitung lesen, Mr. Saton wäre jetzt mit Hannes Bennetts zuckersüßer Schwester zusammen.“
Emma lehnte sich an die kleine Küchenzeile.
„Und das muss ich mir von einem Kerl in Boxershorts anhören?“
Noch immer grinste sie.
„Ich bin kein kleines Mädchen. Ich weiß von den Paparazzi. Aber ich bin mit Valentin letzten Abend gut ausgekommen und wir werden sicher wieder einen schönen Abend haben.“
Ich schlüpfte in meine Jeans, die ein wenig zerfetzt war, weil ich sie so oft trug.
„Du kennst ihn nicht. Und glaub mir, ich weiß wie die Leute hier sind. Intrigant und selbstverliebt. Die tun alles für ihren Erfolg, manche würden sogar über Leichen gehen.“
Jetzt schüttelte Emma den Kopf, strich sich durch die Haare.
„Jetzt tu nicht so, als wären wir auf einem Fremden Planeten. Das sind auch nur Menschen und ich habe ja nicht vor, mich mit Valentin zu verloben.“
„Das hoffe ich doch schwer.“
Damit ging ich ins Bad, wuschelte mir noch einmal durch die Haare und zog mein T-Shirt vom Kleiderhaken. Dann trat ich in den Wohn- und Essbereich zurück.
„Schnapp dir deinen Helm, wir gehen auf Hollywoodtour.“
Kaum hatte ich die Dusche verlassen, klingelte mein Telefon. Schnell wickelte ich ein Handtuch um meine Hüpfe und hob ab.
„Saton?“
„Mr. Saton, hier steht ein Typ mit seinem Auto, der behauptet mit ihnen verabredet zu sein. Sein Name ist Johannes Bennett?“
Ich seufzte. Verdammt, also hatte David ihn nicht mehr rechtzeitig erreicht.
„Schon in Ordnung, lassen Sie ihn rein“
„In Ordnung“, damit legte er auf.
Ich rubbelte mir mit dem Handtuch die Haare halbwegs trocken, während ich zu meinem Schrank lief und in Shorts und Jeans schlüpfte. Kaum war ich angezogen, klingelte mein Handy.
-Hab ihn nicht erreicht. D.-
„Hab ich auch schon mitbekommen“, murmelte ich. Es klopfte. Eilig zog ich mir ein T-Shirt über den Kopf. Ich konnte beim Vorbeilaufen gerade noch im Spiegel sehen, dass meine Haare noch nass waren und wirr durcheinander gewuschelt waren, wodurch ich aussah, als wäre ich gerade erst aufgestanden und öffnete die Tür.
„Hey“, grinste Hannes breit. „Was ist denn da draußen los?“
„Ich hab keine Ahnung. Tut mir leid, ich wollte euch eigentlich bescheid sagen, dass ich heut hier nicht wegkomme… wie ihr seht werde ich ja belagert und…“
„Oh. Mein. Gott. Ich bin in Valentin Satons Wohnung!“, piepste Emma leise vor sich hin und ich war mir ziemlich sicher, dass ich das nicht hatte hören sollen.
„Kommt schon rein“, grinste ich und trat zur Seite. Ich musste schwer an mich halten nicht laut loszulachen, als Bennetts Schwester mit ehrfürchtigem Blick durch die Tür trat. Hannes und ich sahen uns beide grinsend an, bevor ich die Tür schloss.
Beide sahen sich mit großen Augen um. Emma begeistert, Hannes Blick war eher seltsam. Irgendwie kam mir die Wohnung momentan definitiv zu protzig vor.
„Wohnzimmer ist da vorne“, meinte ich und deutete mit der Hand in die angedeutete Richtung.
Valentins Wohnzimmer sah toll aus. Dunkler Holzboden, helle Möbel, alles ordentlich und dennoch nicht steril. Insgeheim schien es so, als wäre der Hausherr einfach zu wenig hier. Emma kam aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Sie sah beinahe wie ein kleines Mädchen aus, das zum ersten Mal einen Spielzeugladen betrat. Saton und ich grinsten uns nur an, während sie sich, als kannte sie Valentin schon seit Jahren, einfach auf das cremefarbene Sofa fallen ließ.
„Ich bleibe hier. Nie wieder bewege ich mich hier weg, das ist total gemütlich.“
„Ich glaube, du hast ein neues Haustier.“, ich zog die Augenbrauen hoch.
Valentin schien irgendwie erleichtert zu sein. Vielleicht war gerade das verrückte Verhalten meiner Schwester etwas Normalität für ihn.
Hoffentlich war es nicht sein Wunsch, diese Normalität permanent beizubehalten.
„Naja, eigentlich bin ich mehr der Katzenmensch. Wollt ihr was trinken?“
„Gerne.“
Damit verschwand Valentin in der angrenzenden, offenen Küche.
Zwei Stunden später saßen wir mit drei Weingläsern auf der Dachterrasse. Die Nacht war ziemlich warm, zumindest für Anfang Herbst. Dennoch hatte sich Emma in eine Wolldecke gewickelt. Inzwischen war der Lärm der Paparazzi unten verstummt, auch die letzten waren endlich verschwunden. Wir sagten nicht viel, saßen einfach nur da und genossen den Sternenhimmel. Irgendwann hörte man von Emma nur noch ein regelmäßiges Atmen, sie war eingeschlafen.
Ich grinste Valentin zu, stand auf.
„Ich glaube, wir sollten fahren...“
Saton schüttelte nur den Kopf.
„Wecke sie doch jetzt nicht auf. Willst du noch Wein?“
Ich nickte, betrachtete das schlafende Gesicht meiner Schwester. Valentin prostete mir zu, dann war es wieder still.
Der Abend verlief zwar grundlegend anders, als es eigentlich geplant war, aber es war trotzdem erstaunlich unbeschwert. Schon länger hatte ich mich, außerhalb vom Set und abgesehen von Celine nicht mehr normal mit Leuten unterhalten können. Wenn man in diesen High-Society Clubs unterwegs war wurde jeder von jedem Beobachtet und jedes Wort abgewogen. Viele waren unheimlich empfindlich, so dass man ziemlich aufpassen musste was man sagte.
Ich drehte das Weinglas in meiner Hand, während Emma tief schlief.
„Stört es deine Freundin eigentlich nicht, wenn du dich mit anderen Frauen triffst?“, fragte Hannes plötzlich mit einem schiefen Lächeln, während er auf seine Schwester sah.
„Celine ist nicht meine Freundin“, erwiderte ich erneut.
„Hm“, meinte Hannes nur und sah mich nachdenklich an. „Also nur ein Gerücht?“
Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken. „Jup. Gab so ein Bild, wo ich Celine zur Begrüßung umarmt hab. Die Presse hat sich daraus dann halt sonst was zusammen gesponnen. Wir sind beste Freunde, aber mehr auch nicht“
„Und du willst auch nichts von ihr?“, hakte er nach.
Ich schüttelte nur den Kopf und nahm noch einen Schluck Wein.
„Das wird Kyle freuen“ Ich sah Hannes überrascht an, der mich nur breit angrinste.
„Zum Leidwesen seines Freundes hört er, seitdem er dich getroffen hat, gar nicht mehr auf von dir zu schwärmen“
Ich lachte leise. „Dann muss ich ja aufpassen, dass ich nicht von einem eifersüchtigen Mann erschossen werde“
Hannes Augen blitzten belustigt auf, bevor er zu lachen anfing. Anscheinend hatte er sich die Szene gerade bildlich vorgestellt.
„Schön, dass dich mein Ableben so begeistert“, meinte ich mit hochgezogener Augenbraue.
Er grinste nur und setzte ebenfalls sein Glas an die Lippen. Wir hatten bereits fast 2 Flaschen getrunken und da ich sonst nur wenig trank merkte ich bereits, wie der Wein mich etwas träge aber ebenso gesprächiger machte.
„Weißt du eigentlich, was die Paparazzi von dir wollten?“, fragte Hannes auf einmal.
Ich schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung. Haben wahrscheinlich mal wieder irgendwas Weltbewegendes in meinem Privatleben gefunden, dass es zu berichten gibt“
Wieder drehte ich das Weinglas in meiner Hand. „Ist gar nicht so einfach mit dem ganzen Medien Rummel, oder?“
Ich zuckte nur mit den Schultern. „Naja, man gewöhnt sich daran“ Ich sah Hannes nachdenklich an, der gerade seine Schwester betrachtete. Wir hatten wirklich die richtige Wahl getroffen. Nicht nur, dass er ein klasse Schauspieler war, er passte genau zur Rolle des Rafael Larcroix. Er war wirklich hübsch. Seine braunen Locken ließen ihn immer ein wenig so aussehen, als sei er gerade erst aufgestanden und ließen seine blauen Augen regelrecht leuchten. Hannes wusste, was er konnte, war jedoch einer der wenigen Menschen, die nicht damit prahlten. Und er hatte sowohl vor der Kamera als auch im Privaten eine ungeheuer sympathische Ausstrahlung. Schließlich verstand sich sogar Curt mit ihm.
Theoretisch war er genau mein Typ. Ich schloss stumm die Augen. Ich bräuchte mich nur zu outen und die Gerüchte um Celine und mich wären sofort Geschichte. Aber ich traute mich nicht. Hatte Angst davor, wie die Reaktionen darauf wären. Immerhin outete ich mich nicht nur im kleinen Freundeskreis, sondern dank der Presse vor der ganzen Welt.
Und so sehr ich den Trubel, den das Schauspieler darsein mit sich brauchte, auch nervte, genoss ich irgendwo natürlich auch die Zuneigung der Fans. Es war eben einfach ein tolles Gefühl, gemocht und bewundert zu werden.
Ich seufzte leise. Bald würden sich auch um ihn die Reporter reißen. Wie er wohl damit umgehen würde? Ich war damals verdammt überfordert gewesen und war echt froh gewesen, dass sich David um das meiste gekümmert hatte.
Als Hannes mich plötzlich ansah wandte ich schnell meinen Blick ab. Hoffentlich hatte ich nicht zu offensichtlich gestarrt.
Es war Emma, die mich vorsichtig weckte. Es war kühl geworden und ich hatte mich im Stuhl eingerollt. Irgendwie war der Abend toll gewesen, völlig stressfrei. Einfach nur zusammen sitzen. Nicht immer waren Worte von Nöten, man kam auch ohne gut aus.
„Ich hab mir ein Taxi gerufen. Ich fahren nach Hause, Phil kommt morgen zu Besuch und ich hab noch ein Stück Fahrt vor mir. Geht rein, bevor ihr euch noch den Tod holt.“
Sie umarmte mich, dann war sie weg. Erst als die Tür zuschlug realisierte ich, dass ich nach dem ganzen Wein unmöglich mit meiner Maschine heimfahren konnte. Außerdem wollte ich nicht wie meine Schwester einfach verschwinden, immerhin waren Valentin und ich Kollegen. Also stand ich auf, tappte ins Wohnzimmer und schaltete das Licht an. Dann kehrte ich auf die Terrasse zurück.
„Valentin? Hey, aufwachen. Ich gehe jetzt.“
Saton rührte sich nicht und so beugte ich mich über ihn und rüttelte leicht an seiner Schulter.
„Valentin?“
Er öffnete die Augen, sah für einen Moment verwirrt aus und erhob sich dann. Ich richtete mich auf.
„Es ist schon kurz nach eins, ich werde mal zum Hotel zurück torkeln.“
Saton zog die Augenbrauen nach oben.
„So viel Wein haben wir doch gar nicht getrunken.“
Er stand auf, etwas steif von der Kälte
„Wir sehen uns morgen am Set.“
Ich nickte, klopfte ihm kurz auf die Schulter und er brachte mich zu Tür.
Auf dem Weg ins Hotel sah ich die Papparazzi nicht, die mir dicht auf den Fersen folgten.
Schlaftrunken tastete ich mit geschlossenen Augen nach meinem Handy. Meines Erachtens war es mitten in der Nacht, wer zur Hölle rief mich um die Uhrzeit denn an?
Müde nahm ich den Anruf entgegen. „Hm?“, brummte ich.
„David und Julian holen dich in einer halben Stunde ab“
Ich schielte zur Uhr. „Was zur Hölle… David, hast du ne Ahnung wie spät es ist? Ich dachte ich muss erst in 3 Stunden am Set sein“
„Mecker nicht, zieh dich an und beweg deinen Arsch hier her, wir haben ein Problem!“
„Was?“, mit einem Mal war ich hellwach. „Was ist passiert?“
„Ich sags dir, wenn du da bist“ Damit legte er auf.
Ich sprang auf, hastete zu meinem Laptop und schaltete ihn ein. Während er hochfuhr sprang ich unter die Dusche, rasierte mich anschließend hastig, schlüpfte in Jeans und T-Shirt, stellte meine Kaffeemaschine auf extra stark und räumte nebenbei noch schnell die Gläser und das Zeug von gestern Abend weg, als Hannes mit seiner Schwester da war. Dann setzte ich mich mit dem Laptop vor die Balkontür.
Noch bevor ich meine E-Mails abrufen konnte, klingelte es auch schon. Murrend schaltete ich den Laptop wieder aus und ging zur Tür. Ich lugte vorsichtshalber durch den Türspion, doch es waren nur David und Julius, als öffnete ich. Die beiden wirkten mehr als angespannt.
„Es sind noch mehr Reporter draußen als gestern“, brummte Daniel. „Lass uns gucken, dass wir dich so schnell wie möglich zum Set bekommen“
Überrascht zog ich eine Augenbraue in die Höhe und sah ihn fragend an. „Und was genau geht da draußen vor sich?“
„Wir wissen es selber noch nicht so genau“, meinte Julian achselzuckend. „David hat Daniel angerufen, dass wir dich schon früher holen müssten, weil es Probleme gäbe, mehr wissen wir auch nicht“
„Hmm“ Was zur Hölle hatten sie jetzt schon wieder herausgefunden? Ging es schon wieder um Celine und mich? Dann erstarrte ich. Was, wenn die Reporter von gestern Abend gesehen hatten, wie Hannes mit seiner Schwester zu mir fuhr? Am Ende wurde mir noch eine Affäre mit seiner Schwester unterstellt? Oder noch besser, irgendwelche Gerüchte von irgendwelchen Orgien… Ich schüttelte den Kopf. Unsinn. Was auch immer so furchtbar interessant war hatten sie schon gestern gewusst, sonst wären sie nicht schon gestern vor meiner Wohnung herumgestanden.
Wir fuhren mit dem Aufzug in die Tiefgarage und saßen kurze Zeit später im Auto. Angespannt kramte ich mein Handy hervor und schrieb David eine SMS, er solle mir endlich sagen was los wäre. Das erste mal in meinem Leben bereute ich, so ein Uralt-Ding zu besitzen, dass nicht aufs Internet zugreifen konnte. Bisher hatte ich so etwas nie gebraucht, immerhin hatte ich bis vor anderthalb Jahren noch gar kein Handy besessen.
Kaum hatten wir die Garage verlassen, wurde das Auto in ein Blitzgewitter gehüllt. Ein hoch auf die getönten Scheiben.
Julian war gezwungen, extrem langsam zufahren. Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte. Unwillkürlich fragte ich mich, was man jetzt schon wieder herausgefunden hatte. Die wild durcheinander geschrieenen Fragen drangen in das Auto, ohne dass ich auch nur ein Wort verstand.
Es dauerte ewig, bis wir endlich bei dem Filmstudio angekommen waren. Auch davor warteten schon Reporter und ich stöhnte genervt auf.
Die Seiten waren abgesperrt und ein paar Sicherheitsmänner standen an den Absperrungen, während die Kameras wild blitzten. Ich setzte meine Sonnenbrille auf und stieg aus. Wie es mein Job verlangte lächelte ich freundlich, während mir Fragen zugebrüllt wurden, die ich eh nicht verstand. Ich bahnte mir so schnell es ging einen Weg in das Studio.
„Mr. Saton! Eine Frage!“, brüllte es von allen Seiten.
„Mr. Saton, ist es war, dass Sie…“ Endlich betrat ich das Gebäude und die schwere Tür verschluckte die Stimmen von draußen.
„Himmel, da war ja was los“, murmelte Julian und musterte mich neugierig. „Haste echt keine Ahnung, was da los ist?“
„Keinen blassen Schimmer“, murmelte ich. Er nickte nur und ich verabschiedete mich von den beiden. Dann machte ich mich erst einmal auf in meine Garderobe, schließlich sollte in einer Stunde der Dreh losgehen.
„Morgen“, grüßte mich Hannes, als ich gerade an seiner Garderobe vorbeistapfte.
„Morgen“, brummte ich.
„Na da ist ja unsere Dramaqueen“, spottete Curt, der hinter Hannes seinen Kopf durch die Tür steckte. Was machte der denn hier?
Ich warf ihm nur einen finsteren Blick zu und wandte mich ab. Auf seine Kommentare konnte ich gerade getrost verzichten. „Hey, hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass man ein Gespräch erst beendet, bevor man einfach abhaut?“, rief er mir hinterher.
Ich schüttelte nur den Kopf. Vollidiot. Als ich meine Umkleide betrat lag bereits eine dieser furchtbaren Klatschzeitschriften auf dem Schränkchen vor dem Spiegel. Auf dem Titelblatt war ein Bild von mir abgebildet. „Valentin Saton ein Heimkind? Haben seine Eltern ihn im Stich gelassen?“ stand in großen Buchstaben darüber geschrieben.
Ich verdrehte die Augen. Deswegen machten die alle so ein Theater? Ich schüttelte verständnislos den Kopf und warf die Zeitung in den Müll.
Die Tür ging auf und David kam rein. „Hast du es schon gelesen?“ Er wirkte müde und wartete gar keine Antwort mehr ab. „Die renne mir die Türen deswegen ein. Dauernd klingelt das Telefon“
„War doch klar, dass sie irgendwann drauf stoßen? Ich meine, es ist ja nicht so, dass es ein wohlbehütetes Staatsgeheimnis wäre, das keiner wissen darf. Habe ehrlich gesagt eigentlich schon früher damit gerechnet“, meinte ich schulterzuckend.
Er brummte unzufrieden und fuhr sich dann seufzend durch die Haare. „Dir ist klar, dass du dir überlegen musst, was du denen sagst?“
„Wie immer halt“, gab ich zurück.
Er nickte nur. „Und jetzt mach dich fertig. Du bist eh schon viel zu spät dran“ Damit verschwand er aus dem Raum.
Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, zwischen den Maskenbildnern und Stylisten hin und her zu rennen.
„Du siehst fertig aus“, schimpfte mich Michelle. „Musst du mir immer so viel Arbeit machen?“, brummte sie während sie eifrig Make-Up in mein Gesicht klatschte. Ich machte jedem Topmodel auf den Laufstegs Konkurrenz, zumindest was die Menge an Schminke anging.
Der Dreh war grausam. Nicht nur, dass ich gedanklich vollkommen bei diesen dämlichen Reportern war, reizte mich Curt heute wirklich aufs äußerste. Ständig brachte er mich aus dem Konzept, so dass ich ständig den Text verhaute.
Irgendwann waren alle am Set genervt, so dass der Regisseur beschloss, eine Pause einzulegen.
Ich ging erst einmal zum Buffet um mir einen Kaffee zu holen, als Curt auch schon wieder neben mir stand. „Ich würde mich mal auf den Dreh konzentrieren, statt mir Gedanken darüber zu machen, wie ich noch mehr Aufmerksamkeit auf mich ziehe“
„Wenn du schlecht drauf bist, bitteschön, aber lass deinen Frust nicht an mir aus“, knurrte ich ihn an.
Hannes sah mich fragend an, als ich an ihm vorbei lief um mich irgendwo zurückzuziehen. Endlich fand ich einen leeren Gang, in dem sowieso meistens kaum jemand umherwanderte. Seufzend setzte ich mich auf den Boden und lehnte mich gegen die Wand. Ich schloss ächzend die Augen und rieb mir die Schläfen. Mein Kopf tat höllisch weh.
„Alles okay bei dir?“, ich sah auf. Hannes stand vor mir und musterte mich besorgt.
„Mhm“, brummte ich und richtete mich umständlich auf.
Wenn ich das Gefühl hatte, dass es Menschen in meiner Nähe nicht gut ging, fühlte ich mich immer ein bisschen dafür verantwortlich und wollte helfen. Emma machte schon Scherze darüber, dass mir das in Hollywood noch das Genick brechen würde. Dennoch war ich Valentin gefolgt, stand ihm gegenüber an der Wand, eine Dose mit Energydrink in der Hand. Ich hatte die Artikel nicht gelesen, nur die Headline überflogen. Es ging mich nichts an, wenn in Valentins Leben etwas schief gelaufen war, es ging eigentlich niemanden außerhalb seines Freundeskreises etwas an.
„Welches Freundeskreises?“, schoss es mir durch den Kopf und ich verdrängte schnell die Tatsache, wie allein der Schauspieler wohl sein musste. Vielleicht war es ja doch nicht so schlecht, wenn Emma sich mit ihm anfreundete.
Ich hielt Valentin wortlos die Dose hin. Manchmal waren Worte das Falsche in so einer Situation. Wenn er reden wollte, würde er schon damit anfangen.
Wichtig war es manchmal nur, nicht allein zu sein.
„Das ist wohl der große Vorteil daran, berühmt zu sein.“, meinte Valentin mit einem zynischen Lächeln. „Morgen steht in der Zeitung, dass Hannes Bennett gerne Steak zum Frühstück isst. Wie pervers.“
Ich musste grinsen.
„Wage es nicht, dies, mein meist gehütetes Geheimnis, zu lüften, Elender.“
Auch über das Gesicht meines Kollegen huschte ein Lächeln, er sah nicht mehr ganz so aus wie ein Häufchen Elend.
„Neben der Sache, dass es einfach niemanden etwas angeht, hasse ich es, wenn sie mich wie ein rohes Ei darstellen“
Er nippte noch einmal an meinem Energydrink und reichte mir die Dose. In diesem Moment rief jemand meinen Namen. Ich nickte Valentin zu.
„Solange du verhinderst, dass sie Rührei aus dir machen...“
Ich ließ den Satz unbeendet, hob die Hand und folgte dem Ruf meines Managers.
In einer Drehpause gesellte sich Curt zu mir. Seine Lässigkeit passte nicht zu seinem Äußeren, er trug sein komplettes Make-up und die Perücke.
„Unser Hollywoodstar weiß genau, wie er sich in Szene setzten muss, was?“
Ich zog die Augenbrauen hoch.
„Und du weißt wohl nie, wann du zu viel sagst, oder?“
Ich grinste ihm zu, drehte mich um und schlenderte in Richtung des Buffets.
„Dir schmiert er wohl auch schon Honig ums Maul, was Bennett.“
In Curts Stimme lag Schelm, aber ich wusste, dass er es eigentlich ernst meinte.
Sin flog im hohen Bogen durch die Glasfront und schlug hart auf dem Betonboden auf. Sofort war er wieder auf den Beinen, wehrte den nächsten Schlag ab und stieß Lacriox hart von sich.
Er stand hoch oben auf dem baufälligen Bürogebäude und starrte Adrian Lacroix finster an. Dieser stand ihm mit süffisantem Lächeln gegenüber.
Sins Oberkörper zierte ein langer, hauchdünner Schnitt, Blut lief seinem Oberkörper entlang und er konnte seine linke Schulter kaum bewegen. Dafür hinkte Lacroix gefährlich und musste sich das Blut von der Stirn wischen, damit es ihm nicht in die Augen lief. Augen die ihn kalt anstarrten. Die ohne zu zögern Leben beendeten und keinen Unterschied zwischen Mann und Kind machten.
Im nächsten Moment schoss sein Gegner vorwärts und hieb mit seiner Faust nach ihm, an deren Knöcheln scharfe Klauen befestigt waren. Geschickt konnte er dem Schlag ausweichen, wehte das Bein ab, das ihn aus dem Gleichgewicht bringen sollte und verpasste Lacroix einen harten Schlag in den Magen.
Dieser stieß einen knurrenden Laut aus und stürzte sich gleich darauf wieder auf ihn. Jeder von ihnen kämpfte mit sturer Bitterkeit um sein Ziel zu erreichen. Man durfte sich keinen Fehler erlauben, sonst war mein gleich hinüber, sich nicht ablenken lassen.
Die Klingen schnitten durch Sins Schulter, der einen Schrei kaum unterdrücken konnte, bevor er mit seinem Messer nach ihm schlug. Sein Messer hinterließ einen tiefen Schnitt in Lacroix Gesicht.
Schwer atmend standen sich die beiden Männer gegenüber bevor sie sich wieder aufeinander stürzten. Es war ein stetiger Wechsel, erst fügte Sin Lacroix weitere Verletzungen zu, bevor der umso heftiger zurückschlug.
Sin war klar, dass er nicht ewig so weiter kämpfen konnte. Er verlor viel Blut. Der nächste Schlag traf ihn in die Seite. Das Eisen riss unbarmherzig tiefe Wunden und er schnappte keuchend nach Luft, bevor er seinen Gegner mit einem kräftigen Tritt von sich lösen konnte.
Ächzend presste er seine Hand gegen die klaffende Wunde.
Sofort stürmte Lacroix wieder auf ihn zu. Sin hatte das lose aus dem Boden ragende Betonrohr nicht bemerkt, über das er jetzt bei dem Versuch Lacroix abzuwehren fiel. Er fiel geradewegs über den niedrigen Rand, schaffte es gerade noch so sich an der Betonkante festzuhalten. Er hing mitten in der Luft, krallte sich mit aller Kraft die er aufbringen konnte fest, als sich Lacroix Gesicht in sein Sichtfeld schob, dessen Mund zu einem grausamen Grinsen verzogen war. Oh ja, er hatte Spaß am töten. Ganz gleich auf welche Weise.
Lacroix trat mit seinem Fuß kräftig auf seine Hände. Sin stöhnte gequält auf, hielt sich jedoch wacker fest. Er gab nicht kampflos auf. Lacroix trat fester zu und er glaubte jeden einzelnen Knochen brechen zu hören. Er konnte sich nicht ewig halten, das wusste er.
Als seine Hände schließlich nachgaben fiel er.
Mir wurde die Luft aus den Lungen gepresst, als ich mit einem klatschenden Geräusch in die Matte viel. Zufrieden grinsend richtete ich mich auf, während mich zwei Leute, die für die Sicherheit der Sache verantwortlich waren, die Sicherheitsseile und Gurte abnahmen. Ich hatte von vornherein darauf bestanden, die Stunts selbst zu drehen. Den Spaß ließ ich mir nicht nehmen. Natürlich war die Büroruine am Set gerade einmal 5 Meter hoch, aber ich liebte es trotzdem, mich von dem Ding herunterzuwerfen.
Grinsend sah ich nach oben, wo Curt noch immer stand und den Daumen nach oben hielt. Gott sei Dank hatte der seit ein paar Tagen wieder bessere Laune und man konnte wieder vernünftig mit ihm arbeiten.
„Gut gemacht Jungs! Ihr habt ab jetzt eine Stunde Pause, danach geht’s weiter“, rief uns der Regisseur zu, während im Hintergrund alle durcheinander wuselten.
Ich kam am Morgen in die Garderobe, hockte mich schon aus lauter Routine vor den Spiegel und legte mir meinen Text auf die Schenkel. Zu meinem Ohrwurm von Pink Floid wippte ich mit dem Fuß im Takt.
„Mr. Bennett?“
Ich wandte mich um und fing gerade noch meine Textblätter auf, die mir vom Schoß zu rutschen drohten. Ich legte sie vor mich auf den kleinen Spiegelschrank.
„Mein Name ist Pete. Ich vertrete heute Lisa, ihr geht es nicht so gut.“
Meine Augen wanderten von einer auffälligen, goldenen Gürtelschnalle zu einem pinken Oberteil hinauf, das sich über gut proportionierte Bauchmuskeln, aber eben MÄNNLICHE Bauchmuskeln spannte, bis sie an einem hübschen, bartlosen Gesicht hängen blieben. Unter getuschten Wimpern blickten mich zwei blaue Iriden herausfordernd an.
„Ähm...“, setzte ich an. Eigentlich war ich ja viel gewohnt von …
„Du meine Güte, du ziehst Schwuchteln ja an, wie das Licht die Motten.“
Pete und ich drehten uns gleichzeitig um, beide eine bissige Antwort auf den Lippen und stockten dann im selben Moment.
Im Eingang der Garderobe stand Kyle und hinter ihm Emma, beide mit einem VISITOR-Ausweis um den Hals. Das hatte ich ja ganz vergessen.
Mein bester Freund trat auf mich zu und drückte mir links und rechts ein Küsschen auf die Wange. Neben mir grinste Pete, denn gegen Kyle war er wirklich dezent. Ich sage dazu nur: Silberne Pailletten.
„Pete, das ist Kyle, Kyle, mein neuer Maskenbildner, den ich erst seit einer Minute kenne und der jetzt bestimmt einen tollen ersten Eindruck von mir hat.“
Mein bester Freund zuckte mit den Schultern, noch immer grinsend, während Emma sich auf meinen Schoß gehockt hatte und ihre Augen gar nicht mehr von all den Schminkutensilien reißen konnte.
„Wenigstens weiß er, dass du tolerant bist. Das ist doch schon mal was.“
Ich konnte den Blickkontakt zwischen den beiden Queens besser lesen, als ein Buch mit zwei Zentimeter Buchstaben. Sie erkannten den Anderen an, fürchteten Konkurrenz und waren doch gespannt darauf, was der Andere wohl für Modetips in der Hinterhand hatte.
„Nun, meine Lieben, trotzdem sollte Pete die Chance bekommen, mit der Arbeit anzufangen. Denn ich muss in einer Stunde am Set sein.“
„Lass dich von uns nicht stören, Pete.“, kam es von Kyle und Emma. Pete grinste und scheuchte mit einer eleganten Geste Emma von meinem Schoß. Dann packte er tonnenweise Pinsel und Quasten auf und machte sich ans Werk. Nur um eine Minute später wieder unterbrochen zu werden.
Valentin stand in der Tür, die Augenbrauen auf Grund meiner bunten Gesellschaft nach oben gezogen.
„Es gibt da ein Gerücht, das manche Leute hier sogar arbeiten.“
Kyle grinste ihn an.
„Valentin, alter Freund.“
Auch Saton entkam den Küsschen nicht. Pete sah mich im Spiegel an, ein bisschen eingeschüchtert, weil es doch DER Valentin Saton war, der da einfach hereingeschneit war.
Etwas überraschend wurde ich von Kyle an sich gezogen, der mir links und rechts Küsschen auf die Wange schmatzte. Eigentlich war ich nur gekommen, um zu sehen ob Hannes schon für die nächste Szene fertig war. Wie hatten zwar noch Zeit, aber schaden konnte es ja nicht.
Anerkennend hob Kyle eine Augenbraue. „Na die haben ja ganze Arbeit mit dir geleistet“
Ich zuckte nur grinsend mit den Schultern, während mich auch Emma begrüßte. „Ich komme ja auch gerade aus einer schweren Schlacht“, meinte ich lächelnd. Die Maskenbildner hatten ganze Arbeit geleistet. Auf meinem Oberkörper prangte ein langer tiefer Schnitt, mein Gesicht war von Kratzern übersäht und meine Arme mit Wunden und Kunstblut verziert und meine Hände aufgeschrammt. Meine Schulter war aufgeplatzt und dank optischer Täuschung sah es so aus, als könnte man bis auf den Knochen gesehen. Michelle hatte begeistert mit Flüssiglatex und Farbe an mir herum gedoktort und ihrer Fantasie freien lauf gelassen. „Das habe ich schon immer am liebsten gemacht“, hatte sie begeistert von sich gegeben und noch mehr Kunstblut verteilt. Anschließend war ich in ein Hemd geschlüpft, das mehr schlecht als recht seinen Dienst als Kleidungsstück verrichtete.
Kyles Blick wanderte langsam über meinen Körper und ich wurde dabei etwas unruhig, tat jedoch so als ob ich es nicht bemerkte.
Erst als ich erneut zu Hannes sah, bemerkte ich den Mann der hinter ihm stand und dessen Blick über den Spiegel, der immer wieder zu mir huschte. Fragend zog ich die Augenbraue nach oben. Seit wann hatte er einen neuen Maskenbildner? Naja, vielleicht war die andere krank, kam ja vor.
„Valentin!“ Michelle steckte ihren Kopf durch die Tür. „David sucht dich. Ich soll dir ausrichten, dass du nach dem Dreh noch mal zu ihm kommen sollst. Will mit dir anscheinend über die Artikel sprechen“, richtete sie mir aus und musterte dabei Kyle und den anderen bunten Vogel. „Schickes Make-Up“, grinste sie dann Kyle zu und richtete sich wieder an mich.
„Und wenn du David siehst richte ihm aus, dass er mir was schuldig ist, ich hab nämlich nen vollen Terminplan“
Damit war sie auch schon verschwunden.
Pete leistete ganze Arbeit, und das in der halben Zeit, die es eigentlich nötig war, mich in Rafael Lacroix zu verwandeln. Ihn hatten wohl die ersten Aufrufe zur Eile angetrieben. Dabei wurde ich schon immer zwanzig Minuten vor Drehbeginn gerufen, damit ich ja pünktlich erschien. Kyle und Emma setzen ihren Rundgang fort, versprachen aber, bei meiner ersten Szene an diesem Tag dabei zu sein.
Ich strich meinen Anzugstoff glatt, vor mir noch einmal super cool durch die Haare. „Ich hoffe, die Welt ist bereit, von mir gerettet zu werden.“ Ich nahm einen kurzen Pinsel von der Ablage und steckte ihn mir wie eine Zigarette zwischen Ring- und Mittelfinger.
Pete grinste. Insgeheim war er trotz seines Äußeren ein ziemlich ruhiger Kerl, der aber anscheinend meine Art von Humor verstand. Ich alberte noch ein wenig herum, als plötzlich eine ziemlich zerzauste Gestalt zur Tür herein kam. Blutbefleckt und schmutzig stand sie im Türrahmen, einen Kaffeebecher in der Hand. Zwar hatte ich Valentins Aufmachung schon gesehen, aber ich fand, dass Michelle wirklich Talent solchen Sachen hatte. Die Wunden sahen verdammt echt aus.
„Hey Hannes. Ich liege verwundet neben einem Hochhaus. Würdest du bitte kommen und mir helfen.
Ich grinste ihm zu, drehte mich dann zu Pete um.
„Er identifiziert sich zu sehr mit seiner Rolle, hab ich Recht?“
Der Maskenbildner nickte.
„Dann bis morgen, Pete.“
Ich folgte Valentin nach draußen.
„Ich frage mich wirklich, ob du in der Serie jemals etwas anderes tragen wirst, als Anzüge.“
„Jedenfalls werde ich nie so zerrupft aussehen, wie du jetzt.“
Ich zwinkerte ihm zu und trat ans Set. Kyle und Emma saßen ganz in der Nähe, als ich den Raum betrat, winkten sie, als hätten sie mich schon Jahre nicht mehr gesehen.
Sins Kopf dröhnte unerträglich, als er langsam die Augen öffnete. Er lag auf dem Bauch. Sein Umfeld verschwamm vor seinen Augen, drehte sich. Stöhnend schloss er sie wieder. Sein ganzer Körper tat weh, als er sich vorsichtig aufrichtete und schwankend aufstand. Halt suchend lehnte er sich gegen die Betonwand des Gebäudes. Er sah nach oben, von wo er gefallen war. Er hatte verdammtes Glück gehabt und war gerade einmal drei Meter auf ein Vordach gefallen.
Wie er nach Hause gekommen war wusste er nicht. Kaum war die Tür geschlossen, fiel er in sein Bett. Ihm war eiskalt und sein Körper schwer als er einschlief.
Er wurde davon wach, dass ihn etwas am Arm berührte. Seine Lieder waren schwer, als er die Augen aufschlug und in das Gesicht seines besten Freundes sah.
„Wie bist du denn hier rein gekommen?“, fragte er mit rauer Stimme.
„Wollte dich besuchen und hab das Blut vor der Wohnung gesehen“, murmelte er und musterte ihn besorgt. „Habe geklingelt, du hast nicht aufgemacht, also hab ich die Tür eingetreten. Was zur Hölle ist denn passiert?“
„Wurde überfallen“, krächzte er lahm.
„Hab dir ja gesagt, dass es gefährlich ist alleine draußen herumzugeistern, wenn’s dunkel ist“, brummte er. „Es ist hier nicht mehr so wie früher“
Sin nickte nur. Zischend schnappte er nach Luft, als sein Freund vorsichtig Sins Hemd von seiner Schulter zog.
„Scheiße Mann. Deine Schulter ist total kaputt! Am besten ich ruf nen Arzt“
Sin lachte leise. „Vergiss es. In dieser Stadt gibt es keine guten Ärzte mehr. Und die, die es sind arbeiten für viel Geld für die bösen Buben der Stadt“
Raphael gab einen unbefriedigten Laut von sich.
„Mach dir keinen Kopf, so schlimm ist es schon nicht“, murmelte Sin und setzte sich wie zum Beweis auf. Dass sein Kopf dabei protestierend schmerze und ihm schwarz vor Augen wurde ließ er sich nicht anmerken. Trotzdem drückte ihn sein Freund wieder zurück in die Matratze.
„Bleib gefälligst liegen! Sag mir lieber wo du deinen erste Hilfe-Kasten hast“
„Im Bad“, brummte er widerwillig.
In dem Moment klingelte das Telefon. Gequält stöhnend setzte er sich erneut auf und machte Anstalten aufzustehen. „Wage es ja nicht“, knurrte es aus dem Flur zu ihm und hörte kurz darauf wie Raphael den Anruf entgegennahm.
Nur gemurmelt drangen die Worte aus dem Flur zu ihm, während er Raphael im Bad rumkramen hörte.
Schließlich kam er mit einem Erste-Hilfe-Kasten und einer Schale Wasser zurück. „Deine Holde hat angerufen“, berichtete er grinsend.
„Ich hoffe du hast ihr nicht erzählt, dass ich hier im Sterben liege? Es ist gefährlich draußen, ich will nicht, dass sie mitten in der Nacht durch die Stadt rennt“
„Die Gefahr interessiert sie wahrscheinlich genauso wie dich“, gab er zurück. „Aber keine Sorge, ich habe ihr nur gesagt, dass du noch was zu erledigen hattest und dich irgendwann später bei ihr meldest“
Er setzte sich auf den Stuhl neben ihn. „Ich will ja nicht, dass sie vor Schreck wieder rückwärts aus der Tür fällt, wenn sie dich so sieht“
Sin beobachtete, wie Raphael einen Lappen in eine Schüssel mit warmen Wasser tauchte. Vorsichtig drückte er das feuchte Stück Stoff auf die Platzwunde auf seiner Stirn und wischte das getrocknete Blut aus seinem Gesicht. Erst einmal machte er sich an die weniger schlimmen Kratzer und Wunden.
Schließlich kümmerte sich seine Ersatzkrankenschwester um seine gebrochenen Finger, bevor er kritisch seiner Schulter und den tiefen Wunden in seiner Brust und seiner rechten Seite Aufmerksamkeit schenkte.
Stöhnend biss Sinn sich auf die Lippe, als er sich vorsichtig den Schnitt in seiner Brust ansah. Kalter Schweiß stand ihm im Gesicht und er schloss gequält die Augen. Lacroix würde dafür büßen. Ächzend schnappte er nach Luft während ihm kalt wurde
„Ey du Weichei, du klappst mir jetzt doch wohl nicht zusammen?“, fragte Raphael mit leichtem Spott in der Stimme, doch sein besorgter Blick strafte seiner Worte Lügen.
„Unsinn“, gab er keuchend zurück.
Rafael zog Steve vorsichtig das zerfetzte Hemd über den Kopf, spürte wie sein bester Freund die Zähne zusammen biss um nicht zu schreien. Tapferer Kerl. Die Typen hatten ihn ganz schön zugerichtet, es sah so aus, als wären Elefanten auf ihm herum getrampelt. Was für ein Glück, dass nicht mehr gebrochen war.
Der dunkelhaarige wischte vorsichtig Blut von Steves Brust. Ein Blutrinnsal aus der Kopfwunde hatte seinen Weg über den Bauch bis zum Saum der Hose gefunden, Rafael wischte es fort, darauf bedacht so vorsichtig und sanft wie möglich zu sein.
Dann wanderte seine Hand mit dem Waschlappen über die Haut, sein Blick fiel auf mehrere dunkelviolette und blauschwarze Stellen, innere Blutergüsse, die sich über den gesamten Bereich der Rippen zogen. Doch es waren nicht diese Flecken, die ihn für einen Moment stocken ließen. Ein Schnitt zog sich von der Schulter bis zur Hüfte, ein Schnitt der nur von einer einzigen Klinge her rühren konnte. Dünn und scharf und giftgetränkt. Die Klinge seines Vaters. Kaum einer würde diese dünne Wunde als Gefahr ansehen, nicht in dieser Stadt. Dennoch war sie das Todesurteil, wenn man das Gegengift nicht kannte.
Nur, wie sollte es Steve klar machen, dass sein eigener Vater, Adrian Lacroix, ihn überfallen hatte und töten wollte? Das Gift würde ihn langsam töten, doch er würde nie erfahren, dass es in seinem Körper gewütet hatte.
Rafael wandte sich ab.
„Ich mache den Lappen noch mal warm. Deine Brust sieht ganz schön übel aus.“
Steve hob den Kopf.
„Mach dir keine Mühe. Ich werde ein paar blaue Flecken schon überstehen.“
Der Dunkelhaarige zog die Augenbrauen hoch, ging aber sonst nicht auf das Kommentar ein. Im Badezimmer zog er eine kleine Spritze aus der Hemdtasche. Nur ein kleiner Stich, direkt in die Niere und das Leben seines besten Freundes wäre gerettet. Ein kleiner Stich, der viele Erklärungen verlangte.
Rafael beugte sich über das Waschbecken, befeuchtete den Waschlappen. Dann kehrte er zu Steve zurück, die Spritze in seiner Hand verborgen. Sein Freund sah nicht einmal auf, die Schmerzen mussten unerträglich sein. Dennoch litt er still und ohne ein Anzeichen von Schwäche.
„Er ist nicht mehr der kleine, schwächliche Junge, den ich früher kannte.“, dachte Rafael und musste dabei sogar ein wenig Lächeln. Steve hatte sich definitiv zum Positiven entwickelt.
Wieder fuhr er über die Brust, fuhr den glatten, Schnitt nach, der aussah, als hätte man ihn mit einer Nadel gezogen. Nur wenig Blut klebte an seinen Rändern.
Als er aufhörte, richtete Steve sich auf und Rafael trat vor ihn.
„Ich muss dann mal los, mein Bruder. Ruf mich an, wenn du etwas brauchst.“
Damit schloss er Steve in die Arme, weniger vorsichtig als man es bei einem Verletzten tun sollte. Lange standen sie so da. Langsam wanderten Rafaels Hände auf Steves Rücken nach unten.
„Pass bloß auf dich auf, Ste. Nicht das diese Kerle dich noch mal in die Finger kriegen. Ich habe keine Lust, das nächste Mal deine Leiche von der Straße zu kratzen.“
Vorsichtig hob er die Hand etwas an, brachte die Spritze in Position, währen er Steve näher an sich drückte. Dessen Kopf lag auf seiner Schulter.
„Das ist ein seltsamer Weg, um mir zu sagen, wie sehr du mich liebst.“ Steve klang belustigt, wehrte sich dennoch nicht gegen die Umarmung. Eine Weile schwiegen sie.
„Aber jetzt mal im Ernst. Solange ich nicht tot bin, gilt das in dieser Stadt hier nicht mal als Verbrechen. Mir hätte weitaus schlimmeres passieren...“
Er stockte, als die Nadel seine Haut für Sekunden durchbrach. Rafael zog die Spritze so schnell wie möglich wieder heraus, wusste aber genau, dass es sein Ziel getroffen hatte. Steve war in seinen Armen erstarrt.
Dann ließ er das kleine Ding in deinem Jackettärmel verschwinden. Steve löste sich von ihm.
„Was...?“
Der Dunkelhaarige wandte sich ab, ging in Richtung Tür. Dann drehte er den Kopf zu seinem besten Freund aus Kindertagen um.
„Es gibt Dinge in dieser Stadt, die nicht einmal du begreifst. Aber bitte denke daran, dass du MIR blind vertrauen kannst. Vielleicht auch nur mir und sonst niemandem.“
Mit diesen Worten verschwand er im Flur und raste beinahe die Treppe hinunter. Sein Vater würde sein blaues Wunder erleben.
Ich legte meinen Kopf auf Hannes Schulter ab, als Hannes mich enger an sich zog. Mein Herz schlug so heftig in meiner Brust, dass ich nur hoffen konnte, dass er es nicht spürte. Es war nur ein Dreh, aber verdammt, es fühlte sich gut an, so dicht an ihn gelehnt zu stehen, seine festen Arme um mich zu spüren. Okay, ich benahm mich hier wie ein pubertärer Teenager. Was mir wiederum bewies, dass ich einfach schon viel zu lange singel war und das anscheinend meinen Geisteszustand beeinträchtigte.
Ich rief mich zur Ordnung, als wir uns wieder voneinander lösten.
„Gut gemacht“, rief uns der Regisseur zu, als die Szene im Kasten war, sichtlich zufrieden mit dem, was wir an dem Tag alles geschafft hatten.
Fröstelnd verschränkte ich meine Arme vor meiner nackten Brust, während Hannes mit einem knappen Lächeln zur nächsten Szene hetzte, die in einer anderen Halle aufgebaut war. Man merkte, dass es langsam Herbst wurde. Tagsüber war es noch sehr warm, doch nachts kühlte es schnell ab.
„Wo muss Hannes denn so plötzlich hin?“, fragte Kyle, während er mit Emma an der Hand auf mich zugehüpft kam.
„Zum nächsten Set. Wir liegen ein bisschen im Rückstand wegen der Reporteraufläufe in den letzten Tagen und müssen das irgendwie wieder reinholen“
„Und du hast jetzt frei?“, fragte Emma nach.
Ich sah auf die Uhr. „Zumindest für ne Stunde. Muss morgen schon wieder früh auf den Beinen sein“, meinte ich mit einem entschuldigenden Lächeln.
Kyle seufzte. „Dann ist uns ja der Anblick eines halbnackten Valentin Saton nur kurz vergönnt“, sagte er und sah bedauernd an meinen Körper herab.
Ich zuckte nur mit den Schultern, während Emma ihn warnend anstieß und nahm mit einem dankbaren Lächeln den Kaffee entgegen, den mir eine der Maskenbildnerinnen hinhielt. Sie richtete mir gleich noch aus, dass David noch mit mir sprechen wollte, mich aber dann abholen würde. Ich nickte dankbar und sie huschte wieder beschäftigt davon.
Als ich mich wieder den anderen zwei zuwandte, unterhielt sich Emma schon eifrig mit einem Kameramann, während Kyle seine Nägel betrachtete.
„Wo wohnt ihr eigentlich, dass ihr immer so spontan hier vorbei schauen könnt?“, fragte ich schließlich nach.
Kyle grinste. „Hab Bekannte hier in der Gegend. Da können wir hin und wieder übernachten. Drum sind wir ja auch meistens nur am Wochenende da“ Während Kyle mit mir sprach wanderte sein Blick über meinen Oberkörper und ich spannte mich nervös an. Sein lauernder Blick war mich nicht so ganz geheuer.
Kyle sah mich grinsend an. „Trainierst du eigentlich viel für die Rolle?“
„Ein paar Mal die Woche“, gab ich zurück und sah mich nervös um. Ich sollte mich so langsam aus dem Staub machen. „Fette Superhelden sind nicht so der Renner im Film“
„Valentin!“, erleichtert wandte ich mich David zu. „Ich muss noch was mit dir besprechen!“
Ich nickte nur, verabschiedete mich etwas zu hastig von Kyle und eilte in meine Garderobe.
Adrian Lacroix sah seinen Sohn kommen, doch nicht einmal dessen wütende Miene konnte seine Freude betrüben.
„Sohn.“
Er schloss Rafael in die Arme, ohne auf dessen Gegenwehr einzugehen. Seine Arme schlossen sich wie Stahlbänder um den Körper des Jungen, der ihn um zwei Köpfe überragte. Niemand hätte diesem kleinen, zerfledderten Mann wohl solche Kraft zugetraut.
„Er ist tot. Mein größter Feind ist zehn Meter in die Tiefe gestürzt.“
Rafael packte seinen Vater an den Handgelenken, schaffte es, dessen Körper von sich zu schieben.
„Freust du dich etwa nicht mit deinem alten Vater? Ein Problem weniger.“
Rafael zog die Augenbrauen hoch.
„Zeig mir seine Leiche Vater.“
Lacroix humpelte ein Stück in Richtung der meterhohen Glasfront seines Appartements.
„Um die haben wir uns nicht mehr gekümmert.“
Jetzt lachte der Dunkelhaarige auf.
„Sag mal, Vater, bist du nur ein dummer Kleinkrimineller? Nur weil ein Bewohner von New Bern von einem Haus fällt, ist er noch lange nicht tot. Das weiß sogar ich, obwohl ich erst seit Wochen wieder hier bin.“
„Du unterschätzt mich, Sohn. Ich stürzte doch niemanden von Dächern, ohne ihn vorher mit Laura bekannt gemacht zu haben.“
Adrian hob seinen Gehstock und im nächsten Moment schnellte eine blutrote Klinge hervor, kaum dicker als eine Nadel.
Beinahe wäre Rafael zusammen gezuckt. Steves Verletzungen würden zu einem Sturz von einem Hausdach passen und seine Schnittwunde passte sehr wohl zu Adrians geliebter Laura, einer Klinge voller Heimtücke, die den versteckten Tod brachte.
„Sin ist tot, oder er wird in den nächsten Stunden sterben. Und wir können ungestört unseren Geschäften nachgehen.“
Der Alte setzte sich in einen Sessel und ließ die Bodyguards Wein herein bringen. Im nächsten Moment öffneten sich die Flügeltüren und drei Mädchen kamen herein, kaum volljährig und mit Beinen bis zum Himmel.
Rafael wandte sich ab.
„Nein Vater. Steve hat überlebt und das Dank meiner Hilfe.“
Doch niemand hörte seine Worte, er sprach sie nur für sich selbst.
Fragend stand ich David gegenüber in meiner Garderobe, der mich ernst musterte. „Die Pressekonferenz ist in drei Tagen. Schon Gedanken gemacht, was du denen erzählst, wenn sie dich nach deiner Kindheit fragen?“
Die Frage traf mich unvorbereitet und meine Lippen wurden zu einem dünnen Strich, als ich sie aufeinander presste und den Kopf schüttelte. Ich wusste, dass ich längst mit der Presse hätte reden sollen, aber um ehrlich zu sein hatte ich keine Lust gehabt, mich wegen nichts und wieder nichts mit den Idioten auseinandersetzen zu müssen. Ich wollte über den Film reden, über den Dreh und nicht über mein angebliches Privatleben, dass in echt ja doch ganz anders verlief.
„Dann würde ich mal langsam damit anfangen“, meinte er ernst. „Spätestens in zwei Wochen kannst du vor den Antworten nicht mehr wegrennen“
Ich seufzte und nickte nur. „Ich weiß“
David fuhr sich seufzend durch die Haare. Der Stress der vergangenen Woche war ihm anzusehen. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und hatte abgenommen. David war vielleicht gerade einmal Mitte dreißig doch die Erschöpfung ließ ich momentan sehr viel älter aussehen.
„David, du solltest dir für ein paar Tage frei nehmen“, schlug ich vor, doch der Manager schüttelte sofort den Kopf.
„Natürlich, ich nehme mir frei und du stellst derweil die halbe Welt auf den Kopf“, hielt er mir vor.
Beleidigt sah ich ihn an. „Hey, ich bin jetzt auch schon fast 3 Jahre hier. Ich weiß langsam wie das hier läuft“, beschwerte ich mich.
Er sagte nichts dazu, sondern sah mich nur aus den Augenwinkeln heraus an. „Und? Schon mal über Celine nachgedacht?“
Ich stöhnte genervt auf. „Ja David, ich mach ja den ganzen Tag fast nichts anderes. Sag mir doch einfach was ich tun soll, es ist nämlich verdammt noch mal nicht so einfach, wie es sich alle vorstellen“, schnauzte ich ihn genervt an, da mich in der letzten Woche auch schon Celines Freund damit in den Ohren lag.
David sagte dazu nichts, seufzte nur verhalten und kratzte sich am Kopf. „Dann stell dich auch noch auf Fragen dieser Art ein“
„Immer“, brummte ich.
Ich war erleichtert, als er sich kurz später von mir verabschiedete. Ich hatte die vergangenen Tage keine Lust gehabt, mir darüber Gedanken zu machen, was ich sagen sollte, hatte es jetzt noch nicht wo wirklich. Allerdings blieb mir wohl nichts anderes übrig.
Die nächsten zwei Tage mussten wir nachts drehen, also hatten wir tagsüber frei.
Celine hatte beschlossen, dass ich in letzter Zeit viel zu wenig Zeit außerhalb der Studios verbrachte, also zwang sie mich erst zum Shoppen und am Abend machten wir ein paar Clubs unsicher. Dort hatte ich dann Thomas getroffen und war von ihm in ein Gespräch verwickelt worden. Thomas war ein junger Sänger, den ich bereits in einer Fernsehshow kennengelernt hatte. Wir liefen uns regelmäßig über den Weg, und ich konnte ihn gut leiden. Allerdings kannten wir uns zu wenig, als dass ich ihn einen Freund nennen konnte. Was Musik anging hatte er die Mädchenwelt im Sturm erobert.
Aber er war schwul. Und im Gegensatz zu mir seit einer Weile geoutet. Natürlich hatten sich daraus einige Probleme ergeben, aber er hatte sich verdammt nochmal wenigstens getraut.
Ob es im Endeffekt der Alkohol, mein Drang nach männlicher Zuneigung, oder beides war, was mich auf seine Flirtattacken eingehen ließen, kann ich nicht mehr genau sagen, aber ich war Celine unendlich dankbar, dass sie mich irgendwann aus dem Verkehr gezogen und damit vor ungewollten Dummheiten bewahrt hatte.
Der Kater am nächsten Tag war der Dank dafür und ich war heilfroh, den Tag auch noch frei zu haben. Schließlich stellte ich fest, dass Thomas mir geschrieben hatte, ob wir was unternehmen wollten. Stumm hoffte ich, dass er keinen Verdacht geschöpft hatte und es einfach nur daran lag, dass wir uns eben allgemein gut verstanden.
Trotzdem sagte ich ihm ab und beschloss stattdessen lieber trainieren zu gehen. In den letzten Wochen war dazu nicht sehr viel Zeit gewesen, also hatte ich was nachzuholen.
Gesagt getan schlenderte ich mit meiner Sporttasche über der Schulter die Promenade entlang.
„Valentin!“, ich blieb stehen und lächelte der aufgedonnerten Frau in den hohen Pumps fragend entgegen, die gerade ein paar Meter vor mir aus der Boutique kam. Es handelte sich um eine der Modequeens, Mirelle SanDieno. Wer hätte es gedacht, sie war Designerin. Ich hatte sie auf einer Party kennen gelernt, seitdem aber nicht mehr viel mit ihr zu tun gehabt.
„Lange nicht gesehen, wie geht es dir Darling?“, sie küsste mich links und rechts auf die Wange und strahlte mich an, als wären wir alte Freunde.
„Sehr gut, danke dir. Hab heute mal nen freien Tag. Und dir?“, entgegnete ich.
„Kann nicht klagen. Ich habe gehört ihr habt in zwei Wochen einen großen Auftritt?“, sie hatte sich mittlerweile bei mir untergehakt und lief mit mir die Straße lang.
„Ja. Der Serienstart ist ja bald“
„Es wird bestimmt großartig“, schmeichelte sie, bevor sie mit einem Seitenblick nachhakte: „Hast du schon was zum Anziehen? Ich habe gehört, du machst dir da eher kurzfristig deine Gedanken drüber und ich hätte einen großartigen Anzug für dich, aus meiner neuen Kollektion. Es würde mich freuen, wenn du ihn tragen könntest. Allein aus Werbezwecken“ Sie lächelte mich zuckersüß an und schließlich gab ich nach. So war das Geschäft eben, jeder versuchte Gewinn zu machen.
Und mit wem konnte man für Klamotten besser werben, als mit einem angesagten Filmstar als Model?
Ich wurde also von Mirelle in ihr Atelier geschleppt, während sie mir unerlässlich beteuerte, wie gut ich in diesem Anzug aussehen würde. Ich hörte irgendwann nicht mehr wirklich zu und lächelte sie nur noch lieb an.
Sie zupfte noch eine Weile an mir herum, bevor sie mir endlich gestattete, in einen Spiegel zu sehen.
„Sehr sexy“, sagte Mirelle mit einem anerkennenden Lächeln. „Was sagst du, Darling?“
Ich tat so, als müsse ich noch überlegen, um sie ein wenig auf die Folter zu spannen. Aber ich musste zugeben, dass der Anzug wirklich klasse aussah. Das weiße eng anliegende Hemd betonte meine Figur, während das anthrazitfarbene Sakko meine dunklen Augen schier zum Leuchten brachte. Die dunkle Hose rundete das Ganze ab, sodass ich zwar elegant, aber locker rüber kam. Mich persönlich freute das. Dieses ganz streng offizielle passte einfach nicht zu mir.
Schließlich konnte ich mir ein zufriedenes Lächeln nicht mehr verkneifen. „Er ist wirklich klasse“, gab ich schließlich zu. „Hast du etwa an mich gedacht, während du ihn geschneidert hast?“, fragte ich nach, um sie ein wenig zu ärgern.
Sie lächelte glücklich. „Nun ja, ich gestehe, dass ich dich schon seit einer kleinen Weile als Werbemodel missbrauchen wollte“, gab sie zu. „Du ziehst ihn also bei der Veranstaltung an?“
„Klar“ Schnell regelten wir noch das geschäftliche, bevor ich mich endlich von ihr verabschieden und meinem ursprünglichen Plan nachgehen konnte.
Endlich kam ich beim Fitnessstudio an. In den großen, geräumigen Einzelumkleiden schlüpfte ich schnell in meine schwarze Trainingshose und ein schwarzes, schlichtes T-Shirt, bevor ich den großen Raum mit den Geräten betrat. In diesem Studios trainierten viele bekannte Gesichter, teils mit ihren eigenen Personal-Trainern, teils auf eigene Faust. Man hatte mir zwar auch einen Personal-Trainer angeboten, aber bisher hatte ich noch keinen Gebrauch davon gemacht.
Ich nickte ein paar bekannten Gesichtern zu. Ich beschloss, mich erst einmal mit Sit-ups und Liegestützen aufzuwärmen, bevor ich mich an die Gewichte machte. Ich hatte schon vor der Schauspielerei Sport gemacht und ich war froh, dem jetzt wieder nachkommen zu können. Ich hatte mein Training ein wenig schleifen lassen, aber das merkte eh keiner.
Als ich mich wieder aufrichtete, grinste mir ein bekanntes Gesicht vom Eingang der Halle aus entgegen.
„Mr. Saton drückt an seinem freien Tag also auch Gewichte?“, fragte Hannes und kam mir lächelnd entgegen. Mit einem schlichten Handschlag begrüßten wir uns.
„Du auch wie ich sehe? Ich wusste gar nicht, dass du trainieren gehst?“
„Mr. Key meinte, ich sollte trainieren gehen, auch wenn ich, Zitat: es eigentlich momentan nicht nötig habe, aber es kann ja nicht schaden“
Ich lachte und unwillkürlich wanderte mein Blick über seinen Körper. „Ja, das kenn ich irgendwoher. Also, streng dich an. Du willst doch in zwei Wochen in der Live-Show einen guten Eindruck machen“, lächelte ich.
„Apropos“, verlegen kratzte er sich an der Stirn. „Lust dich später noch ein wenig mit mir zusammenzusetzen? Ich habe keine Ahnung wie das alles abläuft und vielleicht kann mir ja ein alter Profi dabei helfen?“
„So alt auch wieder nicht“, gab ich gespielt beleidigt von mir.
Gespielt kritisch musterte er mein Gesicht. „Naja, Falten sind zumindest noch nicht zu sehen“, grinste er.
Empört sah ich ihn an. Lachend klopfte er mir auf die Schulter.
Ein paar Tage nachdem Kyle und Emma die Studios besichtigt hatten, kam Lisa wieder. Sie stand in meiner Garderobe und ich war überrascht sie zu sehen, denn vorhin war Pete an mir vorbei gelaufen.
„Hallo schöne Frau. Wieder gesund?“
Irgendwas an ihr war anders, ihre Augen leuchteten auf eine Weise, die ich nicht von ihr kannte.
„Ich war nicht krank. Trotzdem wird das mit Arbeiten wohl die nächsten Monate nichts.“
Plötzlich hatte sie Tränen in den Augen, kam auf mich zu und umarmte mich. Obwohl ich mich wirklich gut mit ihr verstand, hatte ich das nicht erwartet.
„Ich bin schwanger, Hannes.“
Ihre Tränen durchnässten mein T-Shirt, als sie sich an mich drückte. Ich konnte nicht sagen, ob es Tränen der Freude oder der Angst waren. Vermutlich beides.
„Glückwunsch, Süße.“, murmelte ich in ihr Haar, schloss meine Arme um sie.
„Tja. Mein Ex-Freund hat darauf anders reagiert. Wir sind schon seit vier Wochen getrennt.“
Ich zog sie automatisch näher an mich.
„Das bekommst du auch ohne ihn hin. Du kannst zu mir kommen, wenn du Hilfe brauchst. Du wirst eine tolle Mutter.“
Ich hörte sie leise Seufzen, strich ihr übers Haar.
„Danke.“
Dann löste sie sich ein Stück von mir.
„Tut mir leid, ich wollte nicht schon wieder heulen. Schon gar nicht, weil du ja so was wie mein Chef bist...“
Sie sah mich an und wir lachten beide auf.
„Mr. Bennett? Mrs. Hawks ist hier, wegen des Interviews.“
Mrs. Howard stand in der Tür, die Journalistin direkt hinter ihr.
Ich seufzte, machte mich von Lisa los. Hoffentlich hatte Mrs. Hawks nicht „zu viel“ gesehen.
„Gehen sie doch gleich ins Besucherzimmer, ich bin gleich bei ihnen, Clara.“
„Sins of a Hero“ war ein düsterer Poprocksong, den die Band „Legend“ trotz allem auf eine Weise spielte, dass er im Kopf blieb. Neben einem, meiner Meinung nach gut gelungenen Stück, war „Sins of a Hero“ Titelsong der dritten Staffel von Sins of a Hero
Und eben dieses Lied löste einen Hype aus, mit dem niemand gerechnet hatte. Aber ich greife voraus.
Sins of a Hero behandelte neben dem Kampf zwischen Gut und Böse in der dritten Staffel auch die Freundschaft und Liebe zweier Männer, die verschiedene Ziele verfolgten und sich dabei in die Quere kamen. Doch Steve und Rafael konnten nicht von ihrer Vergangenheit lassen und immer wieder zeigten Berührungen und Worte die tiefe Zuneigung der Beiden. Zwar gibt es nie eindeutige Beweise, doch in manchen Szenen klang durch, dass die beiden vor Jahren einmal Liebhaber gewesen sein könnten. Eine Umarmung, eine Erinnerung, ein liebes Wort.
Und genau dieser Szenen bediente sich das Video von „Sins of a Hero“ zu genüge. Die Fans waren, warum auch immer, von der Vorstellung begeistert, Steve und Rafael könnten im Laufe der Serie noch ein Paar werden, oder es in der Vergangenheit, die die Serie nicht behandelt, gewesen sein. Vielleicht war es die Tatsache, dass es nie eindeutige Liebesszenen gab, die vor allem junge Mädchen immer mehr anstachelte. In die Textstelle „My love to you is not my only sin“ (meine Liebe zu dir ist nicht meine einzige Sünde“ interpretierten manche, dass selbst „Legend“ eine Beziehung der beiden Rollen gutheißen würden. Im Internet tauchten Zeichnungen auf, die Sin mit Rafael zeigten. Küssend, kuschelnd, kämpfend oder alles zusammen. Doch wenn wir dachten, nach erscheinen der Staffel würde der Hype wieder abnehmen, hatten wir uns geschnitten. Dann fing es erst richtig an.
Kyle hockte mit seinem Laptop auf meinem Bett und schaffte es, trotz seiner Jogginghose irgendwie noch elegant auszusehen. Er surfte im Internet, wie man das so schön sagte, klickte sich von einer Modeseite zur nächsten. Ich lehnte ihm gegenüber an der kleinen Küchenzeile. Mein Blick glitt über das Zimmer. Es war schon beinahe ein dreiviertel Jahr her, dass ich hier eingezogen war und irgendwie hatte dieser elegante Anblick, der mit meinem Chaos gemischt war, inzwischen etwas vertrautes. Und mittendrin mein bester Freund. Ich musste grinsen. Kyle war speziell, sowohl innerlich als auch äußerlich und genau das mochte ich an ihm. Leute, die sich in Schubladen verkrochen, um nicht gesehen zu werden, widerten mich an. In unserer Zeit hatte jeder Mensch das Recht, frei zu sein, man selbst zu sein und genau das verschreckten manche. Nur Kyle eben nicht. Er dachte und handelte, wie es ihm passte, nahm keine Rücksicht darauf, wie oft er wegen seiner Outfits schon abgelehnt worden war. Und in seinem Freund Jim hatte er genau den Mann gefunden, der jemand wie er verdiente. Treu und umsorgend.
Kyles plötzliches Kichern, das zu einem lauten Lachen anschwoll, riss mich aus meinen Gedanken.
„Was hat Paris Hilton jetzt wieder peinliches angestellt?“, fragte ich, ein Lächeln auf den Lippen. Wenn Kyle erstmal anfing zu lachen, konnte ich nicht anders, als mich ihm anzuschließen, selbst wenn ich gar nicht wusste, worüber er sich amüsierte.
Mein bester Freund machte nur eine Handbewegung und ich ließ mich neben ihm auf das Bett fallen. Langsam ebbte Kyles Lachen ab, er drehte den Bildschirm von mir weg.
„Also. Ich bin ja ein kleines Schweinchen und bin da auf dubiosen Seiten unterwegs. Auf jeden Fall gibt es eine Seite, wo man so Fanfictions veröffentlichen kann. Queere Fanfictions. Und jetzt schau dir an, was ich gefunden habe.“
Er grinste schon wieder und ich zog die Augenbrauen hoch.
„Ich weiß ja nicht, ob ich das sehen will.“
Doch mir blieb keine Wahl, mein bester Freund hatte den Laptop schon auf meinem Schoß platziert.
Als erstes fiel mir auf, dass die Zeichnungen wirklich gut waren, nicht das was man von einer Fanfiction wohl erwartete. Der Zeichner war kein Amateur. Zweitens hatte Kyle mir wohl eine bestimmte Seite heraus gesucht, denn was ich sah war nicht der Anfang einer Geschichte sondern mitten aus der Luft gegriffen.
Ich erstarrte. Die beiden Männer, die sich dort lustvoll in den Armen lagen und sich in heißen Küssen verloren, trugen mir bekannte Gesichter.
Der eine mit dunklen Haaren und ebenso tiefen, schwarzen Augen. Der andere mit blauen Augen und braunen Locken, die unter einer verdammten Strickmütze verborgen waren.
Jemand hatte Valentin und mich beim Vögeln gezeichnet.
Ein Glucksen löste sich aus meiner Kehle, doch ich erstickte es im Keim. Das war nicht lustig. Dieser Comic war öffentlich jedem zugängig, jeder konnte das viele nackte Fleisch sehen, auch wenn es nur gezeichnet war.
Gleichzeitig war die Vorstellung von Valentin und mir auch... Ich starrte Kyle an und wir fingen gleichzeitig zu lachen an. Beinahe wäre ich vom Bett gefallen, Kyle hielt mich gerade noch am Arm fest. Mitten in unserem Gekichere klopfte es an der Tür. Mein bester Freund stand auf, ging zu Tür, während ich mir den Bauch hielt.
Eben jener Kerl, der sich in der Fiktion mit mir in den Laken wälzte, stand im Türrahmen. Bei seinem Anblick krümmte ich mich vor Lachen und war deswegen nicht in der Lage, Kyle davon abzuhalten, Valentin geradewegs zum Laptop zu führen und auch ihm die Zeichnungen zu zeigen. Wie Valentin reagiert hat, kann ich nicht mehr sagen, denn ich schaffte es tatsächlich, vor Lachen vom Bett zu fallen und es dauerte etwas, bis ich mich wieder aufgerichtet hatte. Bei Valentins Anblick wurde ich dieses Mal ernst, obwohl auch er belustigt schien, zumindest für den ersten Moment.
Ich betrat den Fahrstuhl des Hotels und sah auf die Uhr. Ich war von zwei Mädchen aufgehalten worden, Fans, die ein Foto mit mir machen wollten. Schließlich hatte ich noch ein wenig mit ihnen gequatscht. Doch ein Glück war ich früh genug losgegangen.
Heute Nachmittag hatte die Crew beschlossen zur Feier der fast vollendeten halben Staffel feiern zu gehen und ich hatte mit Hannes ausgemacht ihn abzuholen.
Ich stieg aus dem Fahrstuhl und klopfte an Hannes Tür. Sie wurde mir von Kyle geöffnet, der mich belustigt angrinste. Fragend zog ich eine Augenbraue in die Höhe, als ich Hannes lautes Lachen aus dem Zimmer hörte, sobald er mich sah.
„Ist was?“, fragte ich verwirrt und Kyle kicherte verhalten.
„Komm mal mit“, sagte Kyle nur grinsend, packte mich am Arm und zog mich in den Raum.
Hannes hatte sich auf dem Bett vor lachen zusammen gekrümmt, während mich Kyle mit einem Schubser dazu zwang, mich auf das Bett zu setzen, bevor er mir den Laptop hinhielt.
Mit einem lauten Plumps landete Hannes auf dem Boden und hielt sich vor lachen den Bauch.
Währenddessen war mir das Blut ins Gesicht geschossen und mein Herz schlug hart gegen meine Brust, während ich auf die Zeichnung starrte, die uns beide in mehr als offensichtlichen Stellungen zeigte. Es war nicht schwer zu erraten, wen die zwei gezeichneten Gestalten darstellten.
„Wo zur Hölle kommt das denn her?“, fragte ich entsetzt.
„Das, lieber Herr Saton, waren eure Fans“, grinste Kyle und fing dann an zu lachen. „Guck nicht so entsetzt!“
Ich zwang mich zu einem Lächeln, während ich auf die zwei Männer starrte, die nackt aneinandergedrängt rumknutschten.
Verstohlen sah ich zu dem immer noch lachenden Hannes und auch Kyle kriegte sich nicht mehr ein. Die beiden waren einfach zu ansteckend, also fing auch ich an zu lachen, während das Blut heiß in meinem Kopf rauschte. Hoffentlich merkte keiner, dass mich die Bilder gar nicht so kalt ließen.
„Guck mal, es geht noch weiter“, gluckste Kyle, der auch schon mit dem Cursor die nächste Seite zu tage förderte. Hannes saß jetzt wieder auf dem Bett und sah mir mit belustigtem Gesicht über die Schulter.
Meine Kehle war ganz trocken geworden. Wenn das jemand sah... Ich räusperte mich heimlich, bevor ich aufstand und den Kopf schüttelte. „Auf was für Seiten treibt ihr euch denn herum?“, fragte ich belustigt und ließ mir nichts von meiner Befangenheit anmerken.
„Das ist nicht der einzige Comic.“
Kyle klickte auf das Inhaltsverzeichnis. Drei Comics, neunzehn Kurzgeschichten. Thema: Hannes und Valentin, Sin und Rafael. Langsam verzog sich das Lächeln von meinem Mund und auch Valentin schien sich mehr als unwohl zu fühlen.
„Sollten unsere Manager davon erfahren?“
Er zuckte zusammen, richtete sich auf.
„Wäre wohl besser. Allerdings, was wollen die dagegen tun. Geben wir ihnen keinen Grund, sich aufzuregen. Diese Seite besucht doch kaum jemand.“
Er schien nicht überzeugt und es war Kyle, der seine Argumentation gleich wieder platt machte.
„Kaum jemand? Allein den Comic haben in den letzten Tagen ungefähr siebenhunderttausend Leute angeklickt....“
Ich landete auf dem nächst gelegenen Hausdach, wehrte Adrian LaCroixs Schlag ab und hieb meinerseits mit meiner Faust nach ihm. Er stolperte und fiel auf den Rücken, starrte mich hasserfüllt an.
„Schnitt“, brüllte der Regisseur und klatschte in die Hände. „Herzlichen Glückwunsch meine Damen und Herren, die Hälfte der Serie ist gedreht!“
Lächelnd hielt ich Curt meine Hand hin, die dieser ergriff und zog ihn nach oben. Er klopfte mir auf die Schulter, bevor er von Dach kletterte. Ich sprang die paar Meter und landete in der weichen Matte.
Ich liebte Stuntszenen. Wie konnte man sich den Spaß nur von Stuntdoublen nehmen lassen?
Zufrieden kam uns der Regisseur entgegen. „Gut gemacht Jungs! Valentin, Hannes auf ein Wort“ Er winkte uns zu sich und ich warf mir hastig das mir angebotene Handtuch über die Schulter, bevor ich auf ihn zueilte.
„Morgen bei der Fernsehshow hoffe ich, dass ihr schön die Werbetrommel rührt. In einer Woche wird ausgestrahlt“
„Wir hatte nichts anderes vor“, erwiderte ich lächelnd.
Er nickte zufrieden. „Na dann, genießt eure 3 freien Wochen, danach wird wieder gearbeitet bis zum Umfallen“ Seine Hand landete schwer auf Hannes und meiner Schulter, bevor er sich umdrehte und befehle an die Crew herumbrüllte.
Zusammen liefen wir erst einmal zum Buffet, wo wir uns beiden einen Kaffee schnappten.
„Und, was machst du so in den drei Wochen?“, fragte ich Hannes.
„Ich fahr endlich mal wieder nach Hause“, sagte er grinsend. „Ich weiß schon gar nicht mehr, wies da aussieht. Und du?“
„Mal sehen.“, gab ich schulterzuckend zurück. „Ich hab noch zwei bis drei Interviews zu geben und morgen steht ja die Fernsehshow noch an“
„Na super“, meinte er sarkastisch und sah mich mitfühlend an.
Ich lachte. „Ist halb so schlimm. Immerhin kann ich die meiste Zeit ausschlafen“
Er grinste und nippte an seinen Kaffee.
Ich musterte ihn verstohlen und seufzte innerlich, als mir der Comic wieder in den Sinn kam. Erst gestern hatte ich mich wieder durch dessen Seiten geklickt. Frust machte sich in mir breit. Frust darüber, dass ich zugeben musste, dass mir der Gedanke gefiel, Hannes zu küssen, aber es nicht zugeben zu können. Er war schließlich wirklich ein verdammt attraktiver Mann und ich für die Öffentlichkeit hetero. Ich war frustriert ob meiner eigenen Feigheit, mich nicht einfach outen zu können. Aber mir war klar, dass das nicht so einfach war. Im schlimmsten Fall riskierte ich nicht nur meinen Ruf und meine Zukunft, sondern auch die Serie, an der schließlich mehr Leute als nur ich hart arbeiteten.
Ich leerte den Becher hastig um meine düsteren Gedanken damit zu ertränken.
„Also dann, bis morgen“, lächelte ich Hannes zu, klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und machte mich aus dem Staub.
John Stone räumte schwarze Stoffbahnen zusammen. Innerlich fluchte er. Wie war das noch gewesen mit der großen Karriere in Hollywood? Und jetzt war er hier das Heinzelmännchen und räumte den ach so großen Stars ihre Bühnenbilder hinterher. Und während die Herrschaften in ihren Hotelzimmern Cocktails schlürften, durfte er noch bis spät in die Nacht aufräumen. Wenigstens hatte er die nächsten drei Wochen Ruhe.
Außer ihm waren nur noch wenige Mitglieder der Crew in der Halle. Vorne bei den Garderoben räumte Lisa Ben ihre Schminkutensilien zusammen. Schon so oft hatte er sie angesehen, aber sie ignorierte ihn. Er hatte oft versucht, ihr nahe zu kommen, doch sie war genau so eingebildet wie die Schauspieler. Seit neuestem trieb sie sich mit diesem Bennett herum.
Mr. Hollywood hielt sich wohl für etwas besseres. Das taten sie alle,diese aufgeblasenen, stinkreichen, idiotischen...
„Entschuldigen sie! Mein Name ist Clara Hawks. Ich hätte einige Fragen an sie.“
John drehte sich um. Die Frau ihm gegenüber war attraktiv. Und sie wusste ihr Aussehen einzusetzen.
„Könnten sie mir ein paar Dinge über die junge Dame dort drüber verraten?“
Die MNA-Studios waren voller eifriger Helfer, die hin und her huschten und sich dabei seltsamer Weiße nie in die Quere kamen. Valentin und ich hatten getrennte Garderoben bekommen, dennoch saß er jetzt auf einem schwarzen Sofa mir gegenüber. Ich konnte und wollte vor meinem ersten Live-Auftritt im Fernsehen nicht alleine sein. Laut Mr. Kay ging es in der Show darum, ein bisschen herum zu sitzen, schön auszusehen und sympathisch zu wirken.
Heute würden wir über die Serie reden, Legends würden live spielen und das alles vor Publikum. Irgendwie hatte das ganze ja Ähnlichkeiten mit Improvisationstheater, weshalb ich sogar ziemlich ruhig blieb. Schließlich hatte ich mich an die Kameras in den letzten Monaten auch gewöhnt.
Curt hatte mich ausgelacht, als er von meinem Auftritt bei Talk with Tara hörte.
„Tja, der Spitzname Mr. Hollywood wird immer passender.“
Dennoch schwang Neid in seiner Stimme mit, als er das sagte: „Die nehmen eben die Jungen und Schönen mit, wenn es um Propaganda geht. Die scheren sich einen Dreck um dich als Person, für die zählt nur dein hübsches Gesicht.“
Ich hatte nur mit den Schultern gezuckt. Was ging es mich an, worüber sich die Leute ganz oben Gedanken machten?
„Die Kunst ist es, locker zu wirken auch wenn man Schiss hat. Aber das ist schließlich unser Job.“
Ich löste mich aus meinen Gedanken und wandte mich Valentin zu.
„Eben.“ Ich nickte, betrachtete meine Fingernägel.
„Mr. Bennett, Mr. Saton? In fünf Minuten beginnt die Show, in genau sieben Minuten ihr Auftritt. Wenn sie mir folgen würden?!
Eine junge Frau, die Mrs. Howard gar nicht unähnlich sah, stand im Türrahmen. Wie zum Einverständnis blickten Valentin und ich uns ans und standen auf.
Hinter einer pompösen Flügeltür harrten wir der Dinge, die kommen würden.
Leise waren Taras Stimme und das Toben des Publikums zu hören. Dann öffneten sich unter lauten Applaus die Flügel und Saton und ich setzten gleichzeitig ein strahlendes Lächeln auf, auch wenn uns nicht danach war.
Welcome to Hollywood.
Wir nahmen auf dem Sofa Platz, welches viel edler war als die in den Garderoben. Tara drückte jedem von uns rechts und links ein Küsschen auf die Wange, dann nahm sie uns schräg gegenüber Platz, gerade so, dass das Publikum auch ihr Gesicht sehen konnte.
„Valentin Saton und Hannes Bennett, die beiden tragischen Helden aus Sins of a Hero. Ihr habt beim Dreh Halbzeit. Wie fühlt sich das an?“
Valentin beugte sich ein Stück vor, keine Sekunde lang verlor er diesen freundlichen Ausdruck auf seinem Gesicht.
„Noch ist es genau so wie immer, wir haben nur für drei Wochen Urlaub. Dennoch, das letzte Mal, dass für Sins of a Hero die Klappe fallen wird, rückt näher. Das Ende eines wichtigen Kapitels im Leben aller Schauspieler.“
Saton wandte sich mir zu. Ich verstand das Zeichen.
„Ich bin Neuling in der Filmbranche und Sins of a Hero hat mein Leben ziemlich umgekrempelt. Ich werde jetzt das erste Mal seit Monaten wieder zu Hause wohnen. An den Gedanken muss ich mich erst mal gewöhnen.“
Tara lächelte, strich ihr blondes Haar hinters Ohr.
„Wir wollen natürlich nicht zu viel von der Handlung verraten, aber was war für dich das Schönste?“
„Ich.“, warf Valentin aus und setzte sich mit geschwollener Brust auf.
Wir lachten alle und als ich mein Glucksen wieder unter Kontrolle hatte, setzte ich zu einer Antwort an.
„Neben Mr. Saton hier, war das Schönste auch die größte Herausforderung. In jeder Geschichte geht es um Gut gegen Böse, Rafael Lacroix und somit ich repräsentieren beides in einem Körper. Das war manchmal schwer, aber auch eine Herausforderung. Genau so wie mein lieber Kollege hier.“
Ich knuffte Valentin in die Schulter, er setzte einen unschuldigen Blick auf.
„Langsam kann ich nachvollziehen, was für einen Spaß ihr am Set hattet, Jungs.“
Tara klimperte mit den Wimpern und Valentin setzte eine ernste Miene auf.
„Wir und Spaß?“
Nach ein wenig Geplänkel schlug Tara die Beine übereinander und wandte sich wieder mir zu.
„Ich habe gleich bemerkt, dass du heute keine deiner berühmten Mützen auf hast. Sind die so etwas wie dein Markenzeichen.“
Ich zog die Augenbrauen hoch. „Ich trage Mützen, weil ich mein Engelshaar nicht den Wetter aussetzten möchte. Für dich habe ich heute natürlich eine Ausnahme gemacht.“
Tara lächelte und drehte sich zum Publikum.
„Was für ein Charmeur.“
Einige lachten, während Tara sich schon wieder auf Saton konzentrierte.
„Valentin. Bist du ein kleines bisschen eifersüchtig, dass es einen weiteren Schauspieler bei Sins of a Hero gibt, der die Frauen verrückt macht?“
Für einen winzigen Moment huschte ein Ausdruck über Satons Gesicht der sagte: „Frag bloß nichts wegen Celine.“ Doch er fing sich gleich wieder.
„Ja, definitiv. Wir mussten für die letzten Drehwochen sogar jemanden einstellen, der sich zwischen Hannes und die armen Setmitarbeiterinnen stellt.“
Dann wurde er ernst.
„Nein, Spaß. Es ist so, dass Hannes und ich Arbeitskollegen sind und am Set sind wir nicht, um uns zu vergnügen, wie in einer Kneipe. Klar gibt es viele lustige Momente, aber die gibt es denke ich in jedem Job, wenn man tolle Menschen um sich herum hat. Bennett und ich haben viel zu viel zu tun, um uns gegenseitig die Frauen auszuspannen.“
„Das sagt er nur, weil er keine Chance hat.“, grinste ich. Inzwischen fühlte ich mich echt wohl, mehr wie in einer Kneipe unter Freunden als in einem riesigen Studio. Dennoch hoffte ich, es nicht zu übertreiben, auch wenn Satons gute Laune und seine Späße mich ansteckten.
Tara lachte. „Ich sehe schon, das führt zu nichts. Wir werden jetzt für einen kurzen Moment eure Stimmen schonen und uns dafür von den Stimmen von Alex und Sandria verzaubern lassen. Hier sind Legends mit ihrem Hit „Sins of a Hero.“
Unter tosendem Applaus wurde das Licht gedimmt und als es langsam wieder heller wurde, standen fünf, in schwarzes Leder gekleidete Gestalten auf einer riesigen Bühne. Sänger Alex hatte die Augen geschlossen, bis die Instrumente leise einsetzten. Seine Schwester Sandria am Keyboard begleitete seinen rauen, tiefen Gesang mit ihrer glockenhellen Stimme und schaffte somit einen elektrisierenden Kontrast.
Just a lonely man in a cruel world
just a lonely boy and a cruel word
no stars to light the night,
no weapons for my fight.
Your blue eyes are my temptation,
I can hear the bell,
The sins of a hero
lead me straight to hell
Just a bittersweet kiss,
can seduce me like this
no sun to light my days
no love in this f'cking place
Your blue eyes are my temptation,
I can hear the bell,
The sins of a hero
lead me straight to hell
I fight every night, i bleed every night, i die every night in your arms
My love for you is not my only sin.
I kill every night, I thrill every night, i'm reborn by dawn
My love for you is not my only sin
Your blue eyes are my temptation,
I can hear the bell,
The sins of a hero
lead me straight to hell
Just your lonely death
can hurt me like that
No moon to light your grave
Your body was taken away by the waves.
Your blue eyes are my temptation,
I can hear the bell,
The sins of a hero
lead me straight to hell
Sins of a hero, Sins of a hero, just sins of a man, sins of a hero, Sins
Mit Alex letzten Wort verstummte auch die Musik schlagartig und für wenige Sekunden war es vollkommen still im Studio. Dann brach der Applaus wie eine Welle los und ich fühlte mich wie aus einer Trance erwacht. Dieser Song war so düster und gleichzeitig so fesselnd. Und irgendwie passte er perfekt zu Sins of a Hero.
Es schienen Stunden zu vergehen, bis sich das Publikum endlich wieder beruhigte. Alex und Sandira traten zu uns, nahmen zwischen Tara und mir Platz, nachdem sie uns die Hand geschüttelt hatten.
„Ich habe noch immer Gänsehaut. Danke Legends.“
Tara lächelte und begann, das Geschwisterpaar auszufragen. Über das neue Album „Hero“, über die Tour und über das Video. Oh Gott, dieses Video. Dieses Mal war ich es, der betete. Tara sollte bloß nicht wieder mit dieser „Rafael und Steve in Gay Love“ Geschichte anfangen. Ich wüsste nicht, was ich dazu sagen sollte.
„...habt euch da ja ziemlich spezielle Szenen heraus gesucht. Warum?“
Alex schon seine Sonnenbrille in die Haare.
„Freundschaft ist Liebe, Liebe ist Freundschaft und das verbindet Sin und Rafael. Außerdem hat mein liebes Schwesterlein da so ihre Vorlieben.“
Der Sänger lächelte schief, Sandria gluckste leise.
„Mehr von Vorlieben und No Gos nach der Werbung.“
Tara lächelte ein letztes Mal, dann gingen die Kameras aus und wir zogen uns in die Garderoben zurück.
Noch mal Glück gehabt. Nach der Werbepause würden Alex und Sandria nicht mehr da sein und Tara konnte keine Fragen dieser Art mehr stellen. Denn meine Hoffnung war relativ groß, dass die diesen Comic nicht kannte.
In der Werbepause gingen Hannes und ich hinter die Bühne. „Du schlägst dich nicht schlecht“, meinte ich lächelnd. „Besser als ich bei meiner ersten Fernsehshow. Hab damals kaum nen ganzen Satz herausgebracht“
Hannes lachte. „Streng genommen ist es ja nichts anders als vor Publikum zu sprechen. Und darin hab ich ja so ein bisschen Erfahrung“, gab er augenzwinkernd zu.
Im Anschluss unterhielten wir uns noch mit den zwei Geschwistern von Legends.
„Ich hoffe wir haben euch mit dem Video nicht zu sehr in Verlegenheit gebracht“, meinte die Schwester schließlich lächelnd.
„Unsinn“, gab ich lächelnd von mir. Was sollte ich auch groß anderes sagen?
„Mr. Saton, Mr Bennett, es geht in drei Minuten weiter“, informierte uns eine junge Dame und wir verabschiedeten uns von den Sängern.
Als wir wieder an unseren Plätzen saßen und die Maskenbildner noch ein wenig an uns herum gepinselt hatten erhielten wir vom Kameramann das Zeichen, dass es weiter ging.
„Willkommen zurück zu 'Talk with Tara'“, begrüßte die Moderatorin mit einem strahlenden Lächeln. „Für alle die neu zu geschalten haben, neben mir sitzen die zwei Helden aus Sins of a Hero. Valentin Saton, vor kurzem erschienen ja einige Artikel, die ausnahmsweise mal nichts mit deiner Beziehung zu Celine zu tun hatten. Zumindest nicht direkt. Es überrascht mich, dass du dich bisher noch nicht zu den Gerüchten über deine Kindheit geäußert hast. Ist es schlimm für dich, über diese schwere Zeit zu sprechen, oder woran liegt deine Verschwiegenheit?“
Innerlich verdrehte ich seufzend die Augen. Was für Dramaqueens, dachte ich, während ich sie weiterhin anlächelte.
„Ich habe mich bisher nicht dazu geäußert, weil ich es nicht erwähnenswert finde“, gab ich von mir und zuckte mit den Schultern. „Und ich kann auch nicht behaupten eine schlechte Kindheit gehabt zu haben“, fügte ich mit gerunzelter Stirn hinzu.
„Es gibt Leute, die behaupten deine Vergangenheit wäre der Grund, dass du Schwierigkeiten hast zu Celine zu stehen“
Ich seufzte leise. „Das ist Unsinn. Es hat überhaupt nichts damit zu tun. Celine ist eben einfach nur eine Freundin und nicht mehr“, gab ich zum tausendsten Mal von mir und wusste doch, dass man mir nicht glaubte. Ein leises Raunen ging durch die Menge.
Tara lächelte mich unbeirrt weiterhin an. „Wusste Celine von deiner Kindheit?“
„Ja“, sagte ich schlicht, auch wenn es nicht der Wahrheit entsprach. Ich hatte die Tatsache, wie ich aufgewachsen war eben nie für wichtig gehalten.
So ging die Fragerei ewig weiter, bevor sie sich endlich wieder auf Hannes konzentrierte und ihn über sein früheres Leben in die Mangel nahm.
Entgegen meiner Erwartungen überlebten wir „Talk with Tara“ ohne weitere Peinlichkeiten und jetzt, da ich es hinter mir hatte, musste ich zugeben, dass es Spaß gemacht hatte. Hannes Bennett war Hannes Bennett geblieben und nicht in der Öffentlichkeit zu einem anderen mutiert. Das hätte ich mir selbst wohl nicht verziehen. Und auch Valentin hatte sich so verhalten, wie er es auch privat tat, vielleicht nicht ganz so offen, aber das war ja auch gut so. Curt erzählte doch nur Scheiße.
Lisa holte mich vor den Studios ab, wir hasteten sofort zu der weißen Limousine, die für uns bereit stand. Valentin war von seinen Bodyguards zu seinem eigenen Schlitten begleitet worden, ohne das wir uns hätten richtig verabschieden können.
Ich würde erst morgen nach Hause fahren, mitten in der Nacht lohnte sich das nicht. Und da ich heute Vormittag schon meine Koffer gepackt hatte, war das mein letzter freier Abend in LA. Lisa war zwar einigen Glamour gewohnt, aber auch sie saß staunend in dem riesigen Auto.
„Das ist wohl der Vorteil, wenn man für die High Society von Hollywood arbeitet.“
Ich grinste sie an, schenkte ihr Orangensaft ein.
„Für die werdende Mama keinen Sekt.“
Es wurde ein lustiger Abend. Zwar war Lisa ruhiger als sonst und kam auch immer wieder auf das Thema Baby zu sprechen, dennoch hatten wir viel zu lachen. Es war beinahe drei Uhr nachts, als ich sie zu Hause absetzte.
„Wir sehen uns in drei Wochen. Und pass auf mein Patenkind auf.“
Dann umarmte ich sie und stieg in den Wagen zurück. Sogar durch die getönten Scheiben war das Blitzlichtgewitter zu sehen. Ich schüttelte nur ungläubig den Kopf und ließ mich dann in die Sitzpolster sinken. An die Paparazzi würde ich mich erst noch gewöhnen müssen.
Ich fuhr mit dem Bus nach Hause, auf den gleichen Weg wie ich vor Monaten gekommen war. Dieses Mal versteckte ich mich hinter einer Sonnenbrille und unter einer meiner geliebten Mützen. Und zum Glück gab es wohl niemanden, der mich erkannte. Zumindest traute es sich niemand, mich anzusprechen. Mrs. Howard hatte es sich nicht ausreden lassen, meine Koffer zum Boot zu liefern, also hatte ich nur einen kleinen Rucksack bei mir. Während der Bus erst durch die Großstadt und dann über Landstraßen tuckerte, holte ich den Schlaf von letzter Nacht nach. Nach vier Stunden war ich endlich wieder zu Hause. Der Fluss lag ruhig in der Mittagssonne da und mein schwimmendes Haus schwankte kaum auf den Wellen. An den Wellengang in der Nacht würde ich mich wohl erst wieder gewöhnen müssen.
Ich schulterte meinen Rucksack und lief am Kai entlang. Hier roch es nicht nach Autos und es war auch viel ruhiger als im bunten Los Angeles. Die Stille tat gut.
Zehn Minuten später sperrte ich die Tür zu meinem zu Hause auf. Das alte Scharnier quietschte beim Eintreten leise. Neben meinem Bett standen meine Koffer, als hätten sie die letzten Monate dort auf mich gewartet. Ich warf meinen Rucksack daneben, schloss die Tür und ließ mich auf mein Bett fallen. Home, sweet Home.
Ich stand mitten im Club auf der Tanzfläche und bewegte mich zu der lauten, wummernden Musik. Eigentlich wollte ich mit Celine hierher kommen, aber die hatte mir kurzfristig ohne genauen Grund abgesagt. Ein Glück kannte ich hier noch ein paar Leute, mit denen ich auch ganz gut klar kam.
Mit bereits nicht sehr wenig Alkohol im Blut ging ich zurück an die Bar und wartete darauf, dass der Barkeeper mir Aufmerksamkeit schenkte, während ich ein paar bekannten Gesichtern zunickte. Mit den meisten hatte ich nicht viel zu tun, aber man begrüßte sich halt aus Freundlichkeit.
„Bist du etwa ganz alleine hier?“, brüllte mir jemand über die Lautstärke hinweg ins Ohr.
Als ich mich umdrehte stand Thomas hinter mir und grinste mich an. „Sieht ganz so aus. Und du?“, rief ich zurück.
Er nickte. „Was dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?“
Noch bevor ich etwas sagen konnte hatte er an der Bar zwei Scotch bestellt. Während er dem Barkeeper Trinkgeld in die Hand drückte, musterte ich ihn unauffällig von der Seite. Ich bewunderte ihn noch immer für sein Outing und um ehrlich zu sein war ich auch ein wenig eifersüchtig auf ihn, weil er den Mut zu diesem Schritt gehabt hatte.
Ich hatte noch nicht einmal den Mut gehabt, als ich noch gekellnert hatte, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die erste Person, die es erfahren hatte, war Celine gewesen, aber auch nur, wegen den Gerüchten, die um uns gesponnen worden waren.
Thomas schien meinen Blick zu bemerkten und grinste mich von der Seite an, während ich hastig nach meinem Scotch griff. „Wo hast du denn Celine gelassen? Normalerweise kommst du ja meistens mit ihr hierher.“ Er war wohl einer der wenigen, der glaubte, dass zwischen uns nichts war.
„Hatte keine Zeit“, gab ich nur zurück und nahm noch einen Schluck. Der Alkohol breitete sich warm in meinem Körper aus.
Ein paar Gläser später starrte ich Thomas mit glasigen Augen an. „Wie lief das eigentlich damals bei dir. Mit dem Outing, meine ich“
Überrascht über den plötzlichen Themenwechsel heilt Thomas inne. „Wie kommst denn jetzt da drauf?“, fragte er und grinste mich schief an.
Ich zuckte mit der Schulter. „Interessiert mich halt“
Thomas setzte sein Glas ab und leckte sich den Alkohol von den Lippen, während er mich nachdenklich ansah. Unwillkürlich folgte ich der Geste mit den Augen. „Naja. Hab halt von vornherein beschlossen, dass es mir zu anstrengend ist, mich selbst zu belügen. Immerhin mach ich ja nichts Verbotenes, das ich geheim halten muss. Und ganz ehrlich: Wie soll ich denn eine anständige Beziehung führen, wenn ich sie vor jedem verstecken muss? Ganz zu schweigen davon, dass das in unserem Berufsfeld auf Dauer unmöglich ist. Und nur um andere zufrieden zustellen so zu tun, als würde ich Frauen lieben war es mir ehrlich gesagt nicht wert“
Ich nickte nachdenklich und starrte in mein Glas. Meine letzte Beziehung lag fast drei Jahre zurück. Aber was, wenn ich mich jetzt outen würde? Wo alle dachten, ich würde seit fast eineinhalb Jahren eine glückliche Beziehung mit Celine führen? Würden sich die Leute dann nicht von mir belogen fühlen?
Deprimiert stieß ich die Luft aus. Ich war es leid, mir über solchen Mist Gedanken zu machen.
Verwirrt sah ich auf, als mich Thomas plötzlich am Arm zog. „Na los, du fauler Sack. Lass uns mal wieder auf die Tanzfläche gehen, bevor wir an den Barhockern festwachsen“
Kaum, dass ich stand, spürte ich auch schon wie mir der Alkohol in den Kopf stieg und ich schwankte kurz zur Seite. „Hey, stehen bleiben“, rief Thomas lachend, der mich ein Glück noch am Arm festhielt. „Hast wohl schon einiges getrunken, bevor ich gekommen bin, was?“
Ich zuckte nur verlegen mich den Schultern, bevor er mich weiter zur Tanzfläche zog.
Die grellen Lichter zuckten über uns und tauchten uns in unstetes, grelles Licht, während wir uns zu der Musik bewegten, beide schön einen gewissen Abstand zwischen sich wahrend. Zumindest soweit, wie es die dicht bevölkerte Tanzfläche zuließ. Wahrscheinlich lag es am Alkohol, dass ich irgendwann nicht mehr darauf achtete, wie nah ich mit Thomas tanzte, vielleicht auch daran, dass ich keine Lust hatte darauf zu achten.
Gedanklich schob ich es auf die vielen Leute, die einen kaum Platz zum Tanzen ließen, als wir schließlich dicht voreinander tanzten. Vom Alkohol berauscht versuchte ich mich daran zu erinnern, wann ich überhaupt das letzte Mal mit einem Mann getanzt hatte. Da ich offiziell hetero war schon eine ganze Weile.
Aus Thomas, anfangs recht überraschten Blick, war ein süffisantes Grinsen geworden, als sich unsere Körper berührten.
Ich spürte seine Hand auf meinem Rücken, als er sich zu meinem Ohr vorbeugte. „Valentin, sollte meine Vermutung etwa stimmen, dass du aus einem ganz anderen Grund nicht mit Celine zusammen bist, als manche wohl vermuten würden? Es stört mich ja nicht, aber wenn du nicht auffliegen willst, würde ich so langsam mal kürzer treten“, raunte Thomas lachend in mein Ohr. Erschrocken zuckte ich zusammen, als mit einem Schlag der Alkohol aus meinem Gehirn zu weichen schien und mir bewusst wurde, wir eng wir eigentlich zusammenstanden. Schnell brachte ich Abstand zwischen uns und sah ihn ertappt an.
„Genau ins Schwarze, hmm?“ Ich starrte auf die Tanzfläche, während ich fieberhaft überlegte, wie viele uns gesehen hatten und die gleichen Schlussfolgerungen daraus zogen.
Ich spürte, wie er mich am Arm packte und von der Tanzfläche zog. Kalte Nachtluft stieß mir entgegen, als er mich aus dem Club zog. Erst als wir alleine waren, ließ er mich los.
Thomas hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah mich fragend an. „Alles klar?“
„So auffällig?“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin schwul, Valentin! Ich merke, wenn ich jemand Gleichgesinnten vor mir habe. Aber ich würde mir wegen den anderen nicht zu viele Gedanken machen. In der Regel sind die meisten viel zu sehr mit sich selber beschäftigt“
Nervös sah ich mich um. Hoffentlich hockten nicht irgendwo die Papparazzi und hörten uns zu. „Du...“ Ich räusperte mich und sah ihn nervös an. „Du erzählst es jetzt aber nicht herum, oder?“
Entrüstet sah er mich an. „Was denkst du denn von mir? Natürlich nicht. Es ist deine Sache, wem du es erzählst. Mir wäre was zwar zu blöd, ständig den Hetero spielen zu müssen, aber das ist deine Sache“
Ich atmete erleichtert auf. „Schon mal darüber nachgedacht, dich zu outen?“, hakte er nach. Das ich ihm keine Antwort gab war wohl Antwort genug. „Ich würde darüber nachdenken. Du kannst dich schließlich nicht ewig verstellen, das macht dich auf Dauer nur unglücklich. Klar werden nicht alle begeistert sein, aber es geht hier um dein Leben und mit dem du glücklich sein musst. Falls du Hilfe brauchst kannst du dich ja melden, in Ordnung?“, fragte er grinsend und hob dann verabschiedend die Hand. „Komm gut heim“
Damit drehte er sich um und ging.
Es war spät, als ich nach Hause kam. Ich torkelte gedankenverloren den Gang entlang, weshalb ich umso verwirrter war, dass Chris vor meiner Tür saß und mir düster entgegen starrte.
„Hey… was machst du denn hier?“, fragte ich, während er sich aufrappelte.
„Wir müssen reden“ Es klang nicht gerade nach einem freudigen Gespräch. Was für ein Timing. Er sah ziemlich fertig aus, hatte tiefe Schatten unter den Augen und seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst.
Ich nickte, sperrte die Tür auf und ließ ihn eintreten. Chris ließ sich aufs Sofa fallen und rieb sich die Stirn.
Ich setzte mich ihm gegenüber und sah ihn fragend an.
„Celine und ich haben uns gestritten“, eröffnete mir und funkelte mich an. „Kannst dir ja denken worum es ging“
Da ich nicht wirklich wusste, was ich dazu sagen sollte, beziehungsweise, was er überhaupt von mir wollte, nickte ich nur. Ich wusste von Celine bereits, dass es in den letzten Wochen öfters ziemlich heftig zwischen den beiden gekracht hatte.
„Ich will, dass du die Sache mit euch endlich klärst“ Er funkelte mich wütend an.
Seufzend antwortete ich: „Du weißt, dass das alles nicht so einfach ist, ich…“
„Das ist mir scheiß egal“, fuhr er dazwischen und stand wütend auf. „Verdammt Valentin, Celine und ich sind so kurz davor Schluss zu machen“, rief er und hielt mir zwei Finger in sehr engem Abstand vor die Nase. „Celine hat gerade voll den Stress, weil schon gemunkelt wird sie würde dich betrügen und ich kriege die Krätze, wenn ich dauernd in den Medien höre wie glücklich ihr beiden doch wärt!“
„Wir sagen doch schon die ganze Zeit…“
„Das reicht ja aber anscheinend nicht!“, unterbrach er mich wieder. „Celine und ich sind nur noch am Streiten und ich hab langsam keine Lust mehr! Krieg endlich deinen Arsch hoch und hör auf dir und anderen eins vorzulügen! Oder macht es dich glücklich, den braven Hetero zu spielen?“
„Hab ich nie gesagt, dass…“
„Wovor hast du dann so Schiss? Du hast nicht mal Eltern, die dir die Hölle heiß machen könnten und irgendjemanden vor dem du dich rechtfertigen müsstest!“
Ich beschloss, den Hieb unterhalb der Gürtellinie zu ignorieren.
Chris atmete heftig und hatte die Hände zornig zu Fäusten geballt, während er mir in die Augen starrte.
Schließlich wandte ich meinen Blick ab und fuhr mir seufzend durch die Haare. „Ich… lass mir was einfallen, in Ordnung?“
„Das behauptest du jedes Mal, aber es passiert ja nichts!“, knurrte er. Wenigstens stand er mir nicht mehr so aggressiv gegenüber.
„Ich weiß, aber ich meine es ernst. Ich lass mir was einfallen“, gab ich zurück.
„Das hoffe ich. Ansonsten werde ich mich darum kümmern“ Damit verschwand er aus meiner Wohnung.
Ich stand auf und ging erst mal zum Kühlschrank, der ausnahmsweise sogar gefüllt war. Ich holte mir einen Jogurt, setzte mich damit aufs Sofa und schaltete den Fernseher an.
Gedankenverloren starrte ich auf den Bildschirm, ohne wirklich auf das Programm zu achten.
Mein Handy klingelte und am anderen Ende der Leitung war eine heulende Celine, die mir noch einmal in allen Einzelheiten von dem Streit berichtete. Es war auch von ihrer Seite klar herauszuhören, dass es um ihre Beziehung zu Chris alles andere als gut stand. Als ihr bester Freund versuchte ich ihr natürlich gut zuzureden und sie zu beruhigen.
Während ich ihren Erzählungen lauschte grübelte ich wieder über die Szene im Club und dem Gespräch mit Thomas. Er hatte Recht, ich konnte mich nicht ewig verstellen und um ehrlich zu sein wollte ich das auch nicht mehr. Und was störte mich die Reaktionen von Leuten, die ich nicht mal kannte? ...Okay, das war leichter gedacht als getan... Und trotzdem musste ich doch irgendwann einmal den Schritt wagen, oder etwa nicht?
„Ich liebe Chris, aber ich weiß echt nicht, ob ich noch lange mit ihm zusammen bleiben kann, wenn das so weiter geht“, endete sie ihren Vortrag schluchzend.
Ich schloss seufzend die Augen. Verdammter Mist. Ich konnte doch nicht zusehen, wie die Beziehung meiner besten Freundin zerbrach, weil ich meinen Arsch nicht hochbekam.
Ich versprach Celine, dass ich mich darum kümmern würde, bevor ich auflegte.
Eine halbe Ewigkeit starrte ich auf mein Handy, bevor ich mit zitternden Fingern danach griff und David eine SMS schrieb:
-Muss mit dir reden, hast du Zeit? V. –
Nervös wippte ich mit dem Bein auf und ab, während ich auf eine Antwort wartete...
-Okay, komm morgen gegen drei vorbei. D.-
Am nächsten Morgen blieb ich noch lang im Bett liegen, erhob mich nur aus den weichen Decken, um mir einen Kaffee zu machen. Ausschlafen. Wie lang ich das nicht mehr gemacht hatte.
Irgendwann schaltete ich den Fernseher an und zappte durch die Programme. Neben Frühstückssendungen liefen nur die Wiederholungen irgendwelcher Serien und so blieb ich bei einem dieser Tratsch und Klatsch Programme hängen. Ehrlich gesagt war es die unversperrte Aussicht auf Paris Hiltons linke Brust, die mich am weiter schalten hinderte. Verdammt, diese Frau musste auch immer Kleider tragen, bei denen solche Busenblitzer vorprogrammiert waren. Die Stimme der Moderatorin kommentierte Paris' Missgeschick mit einem: „Da ist wohl wieder ein Skandal nötig gewesen.“
Dann wurde wieder ins Studio zurück geschalten. „Jetzt haben wir Neuigkeiten vom Set von Sins of a Hero
Serien-Schnuckel Hannes Bennett ist in festen Händen. Laut der Crew traf er sich schon am Set öfters mit seiner Maskenbildnerin, der vierundzwanzigjährigen Stefanie. Seit etwa einem Monat sollen die beiden ein Paar sein. Eine offizielle Bestätigung von Hannes gibt es noch nicht, aber wir haben Bilder, die mehr sagen als Worte.“
Während die Moderatorin irgendwelche Beglückwünschungen aussprach, wurden Bilder von Stefanie, also Lisa eingeblendet und eines davon zeigte uns beide in meiner Umkleide, in dem Moment in dem ich erfahren hatte, dass Lisa schwanger war. Ich hielt sie fest im Arm.
„Clara Hawks, sie dumme ****“, fluchte ich und hätte beinahe meinen Kaffee verschüttet. Ich stellte die Tasse ab und warf stattdessen die Fernbedienung gegen die Wand. Wenn jetzt schon Gerüchte um eine Beziehung zwischen mir und Lisa den Lauf machten, würde es noch schlimmer werden, wenn man ihr erst ansah, dass sie schwanger war. Fuck. Das konnte doch nicht wahr sein.
Als hätte er mich vom Fenster aus beobachtet, klingelte genau jetzt mein Handy und das Display zeigte die Nummer von Mr. Kay an.
Das LaBleu war am Vormittag ziemlich leer und auch auf der Straße sprach mich niemand an. Dafür war ich mehr als dankbar. Vermutlich hätte ich den Fans den Kopf abgerissen, dafür das sie sich für so Sachen wie die Beziehungen ihrer Stars interessierten.
Von der Torte, die eine Kellnerin vor mich stellte, bekam ich kein Stück herunter. Also stocherte ich nur darin herum.
„Wir wissen nicht, wie das an die Öffentlichkeit kommen konnte. Leider hat Mrs. Hawks beinahe immer Zugang zum Set. Wir werden das ab jetzt unterbinden. Aber diese TV-Ausstrahlung ist jetzt schon draußen und tausende haben sie gesehen. Morgen erscheint das nächste FireMagazine, in dem die Neuigkeit von eurer angeblichen Beziehung noch einmal verkündet wird. Also muss ich es genau wissen. Läuft da was?“
Ich schaute von meinem Teller auf und zog die Augenbrauen hoch.
„Nein, da läuft nichts. Sonst hätte ich mich am Telefon nicht so aufgeregt.“
Mr. Kay wischte sich mit einer eleganten Geste den Mundwinkel ab.
„Du wirst einfach in ein paar Tagen offiziell Schluss machen und dann haben wir die Sache hinter uns.“
Ich lachte auf.
„Das ist nicht so einfach, Kay. Sie ist verdammt noch mal schwanger.“
Mein Manager ließ die Servierte fallen.
„Schwanger? Im Sinn von: Sie bekommt ein Baby?“
„Nein, schwanger im Sinn von sie bekommt einen Alien.“
Mein Manager tippte sich an die Stirn. Sein Gesicht war hochrot, was kein bisschen zu seinem eleganten Anzug passte.
„Kannst du mir schwören, dass du nicht der Vater bist?“
Ich wurde wütend. Wenn ich der verdammte Vater dieses Kindes wäre, könnte ich doch ganz beruhigt dazu stehen. Dem war aber nun mal nicht so.
„Wenn man vom Hände schütteln nicht schwanger werden kann, dann schwöre ich.“
Jetzt lachte Mr. Kay sogar, aber er klang nicht belustigt.
„Du weißt, was das für deine Karriere bedeuten kann?“
Ich nahm einen großen Schluck Kaffee, nein, Lebenselexir.
„Das ist mir egal. Ich gehe nach Sins of a Hero sowieso wieder ans Theater.“
Montag: Der Bericht im Fernsehen über Lisa und mich.
Dienstag: Weitere Beglückwünschungen im Artikel des FireMagazin.
Genau einen Tag nach dem Gespräch mit Mr. Kay platzte die Bombe. Eben jenes Magazin fand heraus, dass Lisa schwanger war und posaunte es in die Welt hinaus, ohne das Mr. Kay etwas dagegen tun konnte. Und das lag nicht daran, dass er ein unfähiger Manager war, sondern an der Dreistigkeit der Journalisten. Das war nicht mehr Pressefreiheit sondern Verleumdung. Wenigstens zensierten sie Lisas Namen indem sie in den Artikeln und Berichten Stefanie genannt wurde.
Mit meinem Urlaub war es jedenfalls vorbei. Ich musste wieder aus meinem Boot ausziehen, Mr. Kay befürchtete, man würde meinen Wohnort ausfindig machen und ich hatte keine Lust, das Hausboot als meinen einzigen Rückzugsort zu verlieren.
Flug zurück nach Hollywood, eine Luxussuite mit Dachterrasse, die sich als Gefängnis entpuppen würde.
Nach einem Interview mit Mr. Kay glaubte plötzlich die ganze Welt, ich würde mein Kind verleugnen und nicht dazu stehen. Promiexpertin Lara Patrick nannte als naheliegendsten Grund, dass ich als junger Schauspieler Angst um meine Karriere hatte und das ich einen Skandal befürchtete. Die Kuh hatte keine Ahnung.
Das Management verbot mir den Kontakt mit Lisa aus Angst, man würde Telefonate belauschen und den SMS-Verlauf lesen. Also saß ich dort in meiner neuen Wohnung, die nichts persönliches hatte sondern mehr wie das Modell für eine Möbelzeitschrift wirkte und konnte mich nicht einmal mit der Frau unterhalten, wegen der ich so einen Ärger hatte. Über Lisas Gefühlschaos wollte ich erst gar nicht nachdenken. Sie war vom einen auf den anderen Moment berühmt geworden und musste dazu auch noch die Nebenerscheinungen einer Schwangerschaft durchmachen. Und dann die Schlagzeilen: „War Stefanie nur sein Betthäschen?“, „Hat sich die Maskenbildnerin auf einen Frauenhelden eingelassen?“, „Wurde Stefanie verführt und dann fallen gelassen?“
Fazit: Die Welt hielt mich plötzlich für ein Arschloch. So schlimm hatte ich mir die Sache nicht vorgestellt.
Nervös fuhr ich mir durch die Haare, während mich David erwartungsvoll anstarrte.
„Ja? Und was ist jetzt?“, fragte er ungeduldig nach. Ich hatte ihm von dem Chris-Celine-Beziehungsdrama erzählt, jetzt schien er misstrauisch geworden zu sein.
„Ich ähm…“ Ich räusperte mich, unsicher ob die Idee wirklich so gut war. „Ich glaube ich will mich outen“
Jetzt war es raus und im Wohnzimmer war es jetzt still.
David stieß die Luft gepresst aus und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du weißt schon, dass das momentan echt ne beschissene Idee ist?“, fragte er nach. Fragend runzelte ich die Stirn. „Sag bloß du hast den Trubel um Hannes nicht mitbekommen“, hakte David nach.
„Nein? Hatte zurzeit ne Menge um die Ohren“, gab ich kleinlaut zu.
Er runzelte die Stirn, griff dann nach seinem Handy und hielt mir dann einen Artikel unter die Nase.
Ich runzelte die Stirn, als ich mir das ganze durchlas. Ernst sah ich ihn an. „Verdammte scheiße. Was ist an der ganzen Sache dran?“
„Nichts. Hat mir zumindest sein Manager versichert. Die Chefs haben grade eine Menge Stress deswegen. Ist momentan nicht so sicher, ob er in zwei Wochen überhaupt zum Set zurückkommt“
Ich stieß die Luft aus. „Und wie geht’s ihm?“
David zuckte nur mit den Schultern. „Soweit ich weiß ist er mittlerweile wieder in L.A. in eine Wohnung gezogen. Wie auch immer, Punkt ist, dass es momentan ein verdammt schlechter Zeitpunkt ist, um die vom heterosexuellen Valentin überzeugte Welt vom Gegenteil zu überzeugen.“
Ich kratzte mich verlegen am Hinterkopf. „Naja… so hetero-überzeugt sind die glaube ich gar nicht“, murmelte ich. Auf seinen fragenden Blick hin schnappte ich mir meinen Laptop und förderte die Comics zutage. Zischen stieß David die Luft aus, die Stirn in Falten gelegt.
„Und das zeigst du mir mal ganz so nebenbei?“, fragte er fassungslos.
„Weiß davon selber noch nicht so lange“, log ich. „Ein Kumpel von Hannes hat sie anscheinend gefunden und ich nahm eigentlich an, dass die sowieso so gut wie keiner sieht…“
„Was bei 2 Millionen Klicks ja wohl ein riesengroßer Fehlschluss war“, donnerte David. „Verdammt Valentin, so was muss ich doch wissen!“
„Jetzt weißt du es ja“, gab ich zurück.
David stand auf und tigerte in der Wohnung auf und ab. Schließlich blieb er vor mir stehen. „Ich werde mit denen mal reden. Mal sehen was sie sagen. Aber ich kann dir nichts versprechen“
Ich nickte nur und verabschiedete mich schließlich von David. Seufzend ließ ich mich aufs Sofa fallen und starrte nachdenklich an die Decke. Hoffentlich war das eine gute Idee gewesen.
Ich hatte von dem Stress, den Hannes hatte tatsächlich nichts mitbekommen. Beziehungsweise hatte ich zwar gehört, dass es irgendwelche Gerüchte gab, hatte es aber nicht für wirklich wichtig genommen. Hoffentlich kam er klar, schließlich hatte er in der Richtung noch nicht die Chance all zu viele Erfahrungen zu sammeln…
Nach einer Weile griff ich schließlich nach meinem Handy.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie nach einer durchzechten Nacht. Mein Schädel pochte und mit dem Gedanken an Frühstück verband ich nur Übelkeit. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen. Mr. Kay hatte permanent angerufen, wir suchten einen verdammten Weg aus dieser Situation. Seit er auf der Pressekonferenz gesagt hatte, Hannes Bennett würde sich von dem Vorwurf distanzieren, der Vater des ungeborenen Kindes zu sein, wurde mir jede Aussage im Mund umgedreht und behauptet, ich sein ein herzloser Kerl, der sich einen Dreck um das Wohl der werdenden Mutter kümmerte.
Gleichzeitig wurde diskutiert, ob es noch tragbar war, dass jemand wie ich in der Serie mitspielte. Die ersten Folgen waren ausgestrahlt worden und die Quoten waren hoch. Dennoch stand ich kurz davor, meinen Job zu verlieren.
Ich stapfte in die Küche, betätigte die Kaffeemaschine. Ich wagte nur einen kurzen Blick aus dem Küchenfenster und bereute es sofort. Die Paparazzi hatten mich entdeckt und fingen zu schreien an.
„Mr. Bennett. Stimmt es, dass sie Stefanie gleich verlassen haben, nachdem sie ihnen die Schwangerschaft gebeichtet hat?“
„Stimmt es, dass ihre Ex-Freundin über Abtreibung nachdenkt?“
„Wir haben mit Stefanies Ex-Freund gesprochen, er hat bestätigt, dass er nicht der Vater ist. Ein Leugnen ihrerseits ist zwecklos.“
Ich ließ den Kaffee Kaffee sein und zog mich aus der Küche zurück. Heute war Kyles Geburtstag, aber die Party meines besten Freundes konnte ich vergessen. Gestern war Emma bei dem Versuch gescheitert, mit dem Auto auch nur in meine Nähe zu kommen. Das hier war tatsächlich ein Gefängnis und meine Wärter hatten alle Kameras und Mikrofone.
Ich schnappte mir die Handschuhe vom Nachtkästchen und Sekunden später donnerte ich auf meinen Boxsack ein, die einzige Beschäftigung die mir noch blieb. Dieses Gerücht war dabei, mein Leben zu zerstören. Jetzt wäre mir jedes Mittel recht gewesen, um aus der Sache raus zu kommen.
Mein Handy klingelte und ich überlegte, ob ich überhaupt ran gehen sollte. Ich hatte in den letzten Tagen wirklich genug von Mr. Kay gehört. Doch der Display zeigte nicht die Nummer meines Managers an, sondern Valentins.
„Hey.“, meldete ich mich. Vermutlich klang ich nach ziemlich fertig.
Seltsamerweise klang mein Serienpartner auch nicht besser.
„Na, du Frauenheld.“
„Hey, den Helden spielst du. Ich bin der Typ, der Frauen schwängert, ohne mit ihnen zu schlafen.“
Eine kurze Zeit war nur schweigen von der anderen Seite zu hören.
„Ganz ehrlich, wie geht’s dir, jetzt wo du die wahre Seite von Clara Hawks kennst?“
„Sagen wir, ich bin eigentlich Pazifist, aber für die Frau würde ich das ändern.“
Valentin lachte leise, aber er klang nicht amüsiert.
„Ich weiß, dass es schwer ist, mit solchen Gerüchten umzugehen, gerade wenn man noch keine Erfahrung mit der Presse hat.“
„Ich komm mir vor, als hätte mich ein Zug frontal überfahren.“ Ich ließ mich auf das Sofa fallen. „Weißt du, ich bin dafür, dass man ehrlich gegenüber seinen Mitmenschen ist und zu sich steht. Deswegen geht es nicht in meinen Kopf, warum mir niemand glaubt. Wozu sollte ich meine schwangere Freundin verleugnen?“
„Die Leute glauben nur, was die Medien sagen. Und die Medien können alles so verpacken, dass wir schlecht dastehen, wenn sie es wollen.“
Ich massierte mir die Schläfen mit der linken Hand. „Tja, die nächsten Wochen werde ich wohl damit klar kommen müssen. Dann haben sie mich vergessen, weil ich bei Sins of a Hero rausgeschmissen worden bin… Sorry, ich bin eigentlich niemand, der in Selbstmitleid badet.“
„Das wird schon wieder, Hannes. Ich habe auch mit der Gerüchtsache um Celine auch zu kämpfen. Irgendwann hat das auch ein Ende. Sobald das Baby auf der Welt ist, haben wir den Beweiß, dass du nicht der Vater bist.“
„Neun Monate? Vorher erschieße ich mich oder irgendjemand anderen. In beiden Fällen werde ich wohl nie wieder im Fernsehen auftreten. Wie lange gibt es für Mord?“
Valentin räusperte sich. „Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass die Leute die Sache bald vergessen werden? „
„Ich versuchs.“
„Weißt du, die Leute vergessen Dinge schnell, wenn es andere Sensationen gibt.“
„Da müssen sie aber schon eine große Sensation ausgraben.“
Jetzt lachte Valentin auf. „Die haben sie, Hannes. Ruf mich an, bevor du zur Knarre greifst. Wir hören uns.“
„Jap. Danke für den Anruf.“
Die Limousine ließ den Journalisten gar keine Wahl, als aus dem Weg zu springen. Ein Kerl im dunklen Anzug sprang an der Beifahrerseite aus dem Auto und verhinderte, dass die Paparazzi dem Wagen in die Tiefgarage folgten. Wenig später klopfte es an meiner Wohnungstür.
„Hey, Hannes. Mein Name ist Julian. Das ist mein Kollege Markus. Wir geleiten dich zurück zum Studio.“
Ich nickte. Die Kerle von ganz oben hatten nach mir verlangt. Das konnte ja nur das Todesurteil bedeuten. Ganz ehrlich, meine Hände zitterten. Da konnten die Bodyguards noch so sympatisch sein.
Ich schnappte mir meine Jacke, setzte eine Sonnenbrille auf und folgte den Männern in schwarz. In diesem Moment wünschte ich, Valentin wäre da. Er kannte sich im Showbusiness aus und wäre wohl jetzt ein guter Berater.
Ich ließ mich au die weichen Polstern des Wagens fallen, Julian und Markus nahmen vorne Platz. Obwohl die Scheiben getönt waren, schloss ich die Augen, als wir uns an den Paparazzi vorbei schoben.
„Normalerweise fahren wir ja Valentin durch die Gegend. Es ist wirklich entspannend, dass du nicht so viel quatschst.“
„Naja, ich habe von Klatsch und Tratsch zur Zeit genug.“
Julian drehte sich zu mir um.
„Hey, ich glaube dir, dass du nicht der Vater bist. Ich meine, sie ist eine hübsche Braut, die lässt doch einen Kerl wie dich nicht ran.“
Ich musste tatsächlich lachen.
Nicht einmal ganze zwei Tage später meldete sich David wieder bei mir. Die Chefs hatten sich eine Lösung einfallen lassen, mit der sie sich gleichzeitig um mein Outing als auch das Problem mit Hannes kümmerten. Ich fand die Idee nicht wirklich gut, hatte mich aber schließlich von David überzeugen lassen, dass das momentan die einzige Möglichkeit war, um Hannes aus der Scheiße zu ziehen und Celines Beziehung zu retten.
Jetzt saßen wir alle um einem großen runden Tisch in einem Büro am Set und ich war verdammt nervös. Die meisten, die hier saßen hatten keine Ahnung, worum es hier ging.
Ich hatte die Arme vor meiner Brust verschränkt und antwortete eher knapp, wenn man mich ansprach. Mir ging gerade der Arsch auf Grundeis, hoffentlich war das wirklich eine gute Idee gewesen.
Allgemein war die Stimmung eher angespannt. Hannes erwartete wahrscheinlich zur hören, dass er am Set nichts mehr verloren hatte.
„Also folgendes“, fing Mr. Kay an und fuhr sich dabei durch die Haare. „Wir haben ja das Problem, dass Hannes diese Vaterschaft angehängt wird, die aber nicht existiert...“
„Dadurch haben wir jetzt ein ganz schönes Problem mit deinem Ansehen“, richtete sich Mr. Court, einer der PR-Männer an Hannes. Der hatte nur die Lippen zusammengebissen und warf Mr. Court einen finsteren Blick zu. „Wir werden die Gerüchte nicht los und können nicht riskieren, dass das Ansehen der Serie auch noch darunter leidet. Von der Serie hängen immerhin ein paar mehr Leute ab, als nur wir. Und die kosten, die daraus entstehen würde, wären…“
„Darum geht es ja hier“, warf Mr. Kay ein.
„Wir haben noch ein neues Problem“, warf ein anderer ein. Und funkelte zu mir. „Das ewige Valentin-Celine-Drama“ Ich verdrehte die Augen. Ich kannte die Kerle schon, ewige Pessimisten, die nur Fehler aufzeigen konnten. „Anscheinend sind Gerüchte im Anmarsch, dass es zwischen dem Traumpaar brodelt und Celine dich betrügt“
„Ich weiß“, knurrte ich. Man, ich stand so was von unter Strom, da war er besser dran, wenn er mir nicht auf den Sack ging.
„Würden sie uns vielleicht einfach mal zuhören? Wir haben nämlich bereits eine Lösung für diese Probleme gefunden“, schaltete sich jetzt David ein.
Als er im Folgenden ihren Lösungsvorschlag vorstellte, war ich peinlichst damit beschäftigt meine Hände zu betrachten. Die Idee war wirklich idiotisch. Aber egal wie lange ich mit ihm herum diskutiert hatte, es gab momentan einfach keine bessere Lösung.
Kaum hatte David geendet war es vorhersehbar still im Raum.
„Was?“, schaltete sich jetzt fassungslos Hannes ein. „Ich soll so tun, als ob ich mit Valentin zusammen wäre???“
„Der Comic hat bewiesen, dass die Fans, und zwar ein ziemlich großer Teil, Rafael und Sin gerne als Paar sehen würde. Also schlagen wir drei Fliegen mit einer Klappe. Die Fans bekommen ihre erwünschte Lovestory, Celine kann mit ihrem wahren Partner eine Beziehung führen und Mr. Bennett wird so schnell niemand mehr für den Vater von Lisa Bens Kind halten.“
Ich starrte Valentins Manager an und ignorierte dabei, dass ich nicht der Einzige war. Nur Mr. Henry und mein Filmpartner selbst wussten wohl schon Bescheid und schienen wenig geschockt.
„Ich soll so tun, als ob ich mit Valentin zusammen wäre???“
Mr. Kay nickte. Was? Der auch? Mieser Verräter!
Ich schüttelte den Kopf.
„Trotz all der vieeelen Fragen, die mir gerade im Kopf herum schwirren, stelle ich nur diese eine: Was zur Hölle habt ihr davon, wenn ihr zwei Heteros verkuppelt?“
Valentin sah von seinen Händen auf, er sah irgendwie... unsicher aus.
„Ähm. Da wäre noch eine Sache. Wir schlagen gleich vier Fliegen. Mein Outing ist in dem Plan auch untergebracht.“
Outing? Moment mal, SO ein Outing?
„Okay, okay, ganz langsam zum Mitschreiben für Trottel. Du...“, ich zeigte auf Valentin, auch wenn man das ja eigentlich nicht machte. „... bist schwul und sie...“ Mein Finger wanderte von den Managern zum Regisseur. „... sind davon überzeugt, dass die Massen eine gleichgeschlechtliche Beziehung eher akzeptieren werden als einen Kerl, der nicht zu seinem angeblichen Kind steht?“
Sie alle nickten beinahe synchron. Valentins Manager tippte mit dem Kugelschreiben immer wieder leise auf den Tisch, doch dieses Geräusch machte mich, neben den offensichtlichen Tatsachen, total verrückt.
„Mr. Saton ist mit der Nachricht zu mir gekommen, dass er, endlich möchte ich sagen, dazu entschlossen hat, sich zu outen. Unsere Gesellschaft ist für so etwas bereit. Und im Doppelpack mit ihnen erfüllen wir sogar die erotischen Träume einiger Damen.“
Bestimmt waren meine Wagen knallrot und meine Haare standen vom vielen raufen wie nach einem Stromschlag ab. Hastig zog ich mir die Mütze in die Stirn.
„Langsam! Ich, ein überzeugter Hetero, soll mich outen, damit die Welt von Sins of a Hero wieder in die geraden Bahnen zurück kehrt? Nicht, dass ich was gegen Schwule habe. Mein bester Freund ist die größte Tunte der Welt und... und Valentin ist auch ein netter Kerl. Aber trotzdem bevorzuge ich in meinem Bett...“
Mr. Kay stieß mich von der Seite an. Ich wusste genau, was er mir sagen wollte. „Sei still, die Herren in den Anzügen tragen ihre Kleidung nicht zum Spaß, die sind wirklich wichtig und sehr vornehm.“ Aber es war mir im Moment egal, auch wenn ich diesen Satz unvollendet ließ.
„Ich muss sagen, dass mir der Plan von Mr. Gudier und Mr. Kay gefällt.“, meldete sich der Typ zu Wort, der hier für die PR zuständig war. Na, wenn schon so ein zugeknöpfter Kauz wie er eine schwule Beziehung für eine gute Idee hielt, war die Menschheit vielleicht noch zu retten.
„Aber was habe ich, neben der Tatsache, dass ich nicht mehr als Rabenvater beschimpft werde, von der Sache?“
Jetzt stand ein Herr mit weißem Haar und stechenden Augen auf und beugte sich bedrohlich zu mir herüber.
„Sie behalten ihren Job. Das haben sie von der Sache.“
Sein Blick ließ mich nicht los, bis ich es nicht mehr aushielt und aufsprang.
„Geben sie mir eine Stunde zum Überlegen. Schließlich hat auch mein lieber Freund hier Zeit für sein Outing gebraucht.“
Damit rauschte ich aus dem Zimmer, unsicher ob ich lachen oder weinen sollte. Lachen aus Hysterie oder Weinen aus Verzweiflung.
Ich würde es nicht machen. Niemals. Was war schon ein Job gegen das Leben in einer Lüge? Außerdem, im Theater warteten meine Kollegen doch nur auf meine Rückkehr. Ich würde nicht auf der Straße enden, nur weil ich so eine... wie sollte man das sagen... bescheuerte PR-Idee ablehnte. Ich war total dafür, dass Valentin sich outete, Celine ein Leben ohne Heimlichkeiten führen konnte und Lisas Kind ohne Stress aufwuchs. Aber warum zu Hölle sollte deswegen ich einer ganzen Welt etwas vorspielen? Nun gut, jedenfalls außerhalb meines Berufslebens.
Ich tigerte im Flur hin und her. Erinnerungen vom Set wechselten sich mit jenen an das Theater ab. An beiden Orten hatte ich mich wohl gefühlt, tolle Kollegen und Freunde gehabt und meinen Beruf mehr als alles genossen. Dennoch würde ich jetzt eben den Film aufgeben und in mein altes Leben zurückkehren.
Ich griff nach meinem Handy und wählte Dannys Nummer. Viel lieber wäre ich persönlich zu ihm gegangen, doch er war vier Stunden entfernt.
„Daniel Waterman.“
„Hi Danny, ich bins.“
Die Wand an meinem Rücken war hart und rau, dennoch presste ich bin fast dagegen, in der Hoffnung, sie würde vielleicht nachgeben und mich unter sich begraben. Dann hätte ich diese Probleme los. Ich fühlte mich sowieso, als wäre eine Wagenladung Ziegel vom Himmel auf mich gefallen.
„Hannes? Oh mein Gott, unser Sternchen ruft an. Wie geht es dir, Mann?“
Ich bemühte mich um einen unbeschwerten Tonfall.
„Ich kann nicht klagen. Wie läuft es bei euch so?“
Ich hörte ein leises Geräusch, so als hätte Danny einen Stuhl zurück geschoben. Ein paar Schritte, das Klappern einer Türe und erst dann erhielt ich meine Antwort.
„Wir spielen Tristan und Isolde nächstes Jahr. Das Stück dieses Jahr ist super gelaufen, John ist klasse. Danke noch mal, dass du ihn uns empfohlen hast.“
„Klingt nicht so, als würdet ihr mich vermissen.“, sagte ich mehr mitleiderregend, als ich es wollte. Aus irgendeinem Grund trieb mir die Tatsache Tränen in die Augen, die ich wegwischte, noch bevor sie an den Wimpern hängen bleiben konnten.“
„Es tut mir leid, Alter, aber das tun wir beruflich wirklich nicht. Du machst einen großartigen Job bei Sins of a Hero Und wir haben uns gut damit arrangiert, dass Hollywood dich abgeworben hat und du nicht mehr zurückkommst.“
Ich rutschte an der Wand hinunter, auch wenn mein Rücken lautstark protestierte.
„Es ist schön zu wissen, dass ihr es ohne mich schafft. Aber ich wäre zurückgekommen. Das wäre ich wirklich.“
Damit legte ich auf und schaltete das Handy ab. Klirrend flog es in die Ecke.
Ich bemerkte Valentin noch rechtzeitig, um meine Tränen zurück zu halten.
„Die im Theater wollen mich auch nicht mehr. Scheint so, als würden sich grade alle um mich reißen.“
Satons muskulöser Körper landete neben mir auf dem Boden und seine Hand unsicher auf meiner Schulter.
„Ich will keine Lüge leben.“
Valentin schwieg, zupfte an seinem Shirt herum.
„Ich habe mein ganzes Leben lang den Leuten etwas vorgespielt und jetzt habe ich mehr Angst vor der Wahrheit als vor der Lüge.“
„Und deshalb beschließt du, gleich mit der nächsten Lüge weiter zu machen?“, fragte ich sarkastisch.
Verlegen zuckte Valentin mit den Schultern und sah dann zur Seite. „Ne bessere Alternative gibt’s nicht… zumindest nicht im Moment mit dem ganzen Stress mit Lisa…“
„Also bin ich praktisch selber dran schuld oder was?“ Ich war wirklich sauer. Sauer, weil man mich da einfach so hineingeworfen hatte und sauer, weil ich scheinbar überhaupt nichts daran ändern konnte.
„Ich bin auch nicht scharf darauf, von einem verlogenen Leben ins nächste zu hüpfen! Ich bin ehrlich gesagt nicht mal scharf auf dieses verfluchte Outing! Aber Celines Beziehung zerbricht daran und Lisa ist mehr Stress in der Schwangerschaft ausgesetzt als es gut für sie ist! Wenn es eine bessere Lösung gäbe, glaub mir, dann würden wir jetzt nicht darüber diskutieren!“
Ich starrte ihn frustriert an. „Und dann reicht dir vorerst kein normales Outing oder was? Inzwischen sind Schwuchteln doch ziemlich akzeptiert.“ Ich boxte ihm in die Schulter.
Saton lachte auf. „Irgendwas an deinem Satz hat mich gerade wahnsinnig ermuntert.“, sagte er sarkastisch. „Glaubst du nicht, dass es eine Herausforderung wäre, auf das Spiel einzugehen?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Lisa hat es nicht verdient, dass ihr Privatleben von den Medien so auseinander genommen wird. Und du bist nicht das Arschloch der Nation“
Wieder zuckte ich nur. „Vielleicht muss ich dieses Mal einfach nur an mich und nicht an die Anderen denken.“
Valentin lehnte den Kopf an die Wand und starrte zur Decke. Dann wandte er sich wieder mir zu.
„Wie sehen deine Alternativen aus? Jemand der einfach hinschmeißt hat in Hollywood keine Chance mehr.“
Ich verfluchte ihn für jedes seiner Worte, weil sie wahr waren. Ich hatte keinen Job, wenn ich jetzt rausgeschmissen wurde. Außerdem hätten nicht nur die Fans zu leiden. Wenn ich jetzt ging, käme das einem Schuldgeständnis gleich und Lisa würde weiterhin die Hölle durchqueren.
Waren das genug Gründe, um auf eine Beziehung mit einem Kerl einzugehen?
„Überlege es dir“ Saton richtete sich auf. „Ich warte im Konferenzraum.“
„Und?“, fragte mich Mr. Kay erwartungsvoll. Ich zuckte nur mit den Schultern und setzte mich wieder auf meinen Platz. Die PR-Männer tuschelten miteinander, während ich unruhig mit den Fuß auf und ab tippte. Ich konnte Hannes Reaktion voll und ganz verstehen. Mir gefiel die Vorstellung, so zu tun, als ob ich mit ihm zusammen wäre auch nicht besonders gut.
Ich hatte mich für das Outing entschieden, um Celine zu helfen und der Lügerei endlich zu entkommen. Dabei startete ich damit nur schon die nächste Lüge.
Und verdammt, ich war irre nervös, bei der Vorstellung, dass bald alle wissen sollten, was ich so lange vor mir und anderen versteckt hatte.
Als die Tür aufging schoss mein Blick fragend zu Hannes und mein Herzschlag beschleunigte sich rasant.
„Ich machs“, brummte Hannes, an den Türrahmen gelehnt und warf mir einen stechenden Blick zu.
Mr. Kay und David nickten nur, während die PR-Männer zufrieden grinsten. Zögernd betrat er den Raum und ließ sich mit ein wenig Abstand zu mir auf den Stuhl fallen. Man wollte unbedingt noch die Einzelheiten besprechen. Ob das wirklich der passende Augenblick war bezweifelte ich zwar, aber das würden wir ja dann merken.
Ich legte meinen Kopf in den Nacken und stieß angespannt die Luft aus.
„Dann müssen wir uns nur noch einfallen lassen, wie wir die Bombe platzen lassen“, seufzte ich.
„Ich hab da schon ne Idee“, meinte David grinsend.
Der Dreh bei Sins of a Hero hatte bereits seit einigen Tagen wieder angefangen. Hannes war zum Dreh zurückgekehrt und das Set wurde tagtäglich von Paparazzi bombardiert, die ein Statement vom Rabenvater haben wollten.
Hannes hatte sich in der Pause in irgendeinen Raum gekrochen und weil wir gleich weiter drehen wollten, war ich losgegangen um ihn zu suchen.
Schließlich fand ich ihn und trat zögernd in den leeren Raum, ließ die Tür einen Spalt breit offen. „Alles klar bei dir?“, erkundigte ich mich.
Die Stimmung zwischen uns beiden war seltsam, seit wir wussten, dass wir ein Liebespaar spielen sollten.
Hannes sah auf und fuhr sich nickend durch die Haare. „Ich schätze ich hab mich an den Medienrummel immer noch nicht gewöhnt. Geschweige denn an den Plan“
Ich sah ihn verschmitzt an und zuckte dann mit den Schultern. „Ich würde Lügen, wenn ich sagen würde ich hätte keinerlei Bedenken. Aber es hätte mich schlechter mit der Partnerwahl treffen können“
Hannes lachte auf und sah mich belustigt an. „Tut mir leid, aber du hast für meinen Geschmack einfach ein Glied zu viel, wo es nicht hingehört“
Ich wollte gerade etwas erwidern, als mich das Klingeln meines Handys aus der Ruhe riss.
Nur zwei Worte. „Er kommt“. Mein Herz beschleunigte seinen Rhythmus drastisch und ich schluckte trocken.
„Was ist?“, fragte Hannes und ich hielt ihm als Erklärung nur mein Handy hin. „Oh“, war alles, was er dazu sagte.
Ich kratzte mich verlegen am Kopf und sah ihn fragend an. „Also… sollen wir?“
Ich hatte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst und nickte schließlich, trat ein paar Schritte auf mich zu und blieb wieder stehen.
Meine Hand zitterte, als ich sie in seinen Nacken legte und ihm in die Augen sah. Die Situation war viel zu skurril um wirklich wahr zu sein.
„Kein zurück mehr, hmm?“, brummte er.
„Beiß mir nicht die Zunge ab, ich warne dich“, erwiderte ich nur.
Er lachte auf, bevor ich meine Lippen auf seine legte.
Unsicher fühlte ich mich, wie ein verdammter Schuljunge. Mein Herz schlug nervös in meiner Brust, als ich zögernd meine Zunge in seinen Mund schob. Aus den Augenwinkeln sah ich eine Bewegung an der Tür, doch bevor ich mich dem zuwenden konnte spürte ich, wie sich Hannes Hände auf meinen Rücken legten und mich an sich zogen. Er erwiderte meinen Kuss, drängte meine Zunge zurück und ließ seine bestimmt zwischen meine Lippen gleiten.
Anscheinend hatte Hannes beschlossen mir auf keinen Fall die Oberhand zu lassen. Wären meine Sinne nicht vollkommen auf das Geschehen an der Tür konzentriert, hätte ich den leichten Blitz der Handykamera wohl kaum bemerkt. Gleich darauf hörte man sich schnell entfernende Schritte und wir lösten uns voneinander.
Nervös biss ich mir auf die Lippe als ich zu der Tür starrte. Hoffentlich ging Davids Plan auch wirklich wie gewünscht auf.
David hatte die Idee gehabt, uns von John Stone erwischen zu lassen. Es war bereits bekannt, dass er zuständig dafür war, dass die Medien von Hannes und Lisa erfahren hatten, aber man hatte noch keine Beweise um ihm zu kündigen. Mit dieser Aktion wollten sie, mal wieder, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
David hatte doch wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Sich geplant inflagranti von dem Typen erwischen lassen, der schon Lisa und mich an die Presse verraten hatte. Die Paparazzi sozusagen mit ihren eigenen Waffen schlagen und die Gerüchte selbst in die Welt setzten. Warum zur Hölle habe ich darauf nur eingelassen.
Doch irgendwie war Sins of a Hero es wert. Die letzten Drehtage hatten trotz der Paparazzi an allen Eingängen wirklich Spaß gemacht und nachdem wir unser Kuckucksei ins Nest gelegt hatten, würde ich mich auch endlich wieder mit Lisa treffen können.
Jedenfalls stand ich jetzt mit Valentin in diesem blöden Abstellzimmer und wartete darauf, dass der Maulwurf eintraf. Ich war wirklich versucht gewesen, Kyle anzurufen und Küssen zu üben, schließlich hatte ich lange nicht mehr mit einem Kerl rumgemacht. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt verraten durfte, was wir beabsichtigten und Kyles Freund wäre die Aktion wohl auch nicht recht. Also stürzte ich mich unvorbereitet ins Abenteuer.
„Du bist Schauspieler, verdammt. Das ist nur Teil deines Jobs.“
Ich schielte zu Valentin hinüber. Unser Gespräch war platonisch gewesen, dabei hätte ich wirklich Unterstützung brauchen können. Aber was hätte er sagen können? Schließlich saß es im selben Boot. Nur das es ihm wohl kaum etwas ausmachen dürfte, einen Kerl zu küssen. Wenn doch, dann war er hier falsch, dann war das alles hier falsch… War es das nicht sowieso?
Am liebsten hätte ich jetzt auf meinen Boxsack eingedonnert, statt hier zu sein.
Valentins Handy klingelte. Eine Sms. Es war soweit.
Die schweren Schritte waren wie das klacken der Klappe am Set. Jetzt fehlte nur noch das: „Take 1, and go.“
Unsere Lippen trafen sich und nach erstem Unbehagen vertieften wir den Kuss, ich zog Valentin näher. Schließlich sollte die Sache ja echt wirken. Ich ignorierte das Klicken des Auslösers, so wie ich am Set die Kamera ignorierte. Wenigstens war Saton ein guter Küsser. Ein ausgesprochen Guter sogar.
Am nächsten Morgen waren wir in der Zeitung, das Bild nahm beinahe den ganzen Promiteil ein. Darunter:
Valentin und Hannes, das unerwartete Traumpaar.
Als dieses Foto gestern Abend im Internet aufgetaucht ist, haben es viele für eine Montage gehalten. Allerdings sind unsere Reporter von der Echtheit überzeugt. Sind Valentin Saton (23) und Hannes Bennett (27), die beiden Mädchenträume aus Sins of a Hero ein Paar? Haben Sie deswegen auf die Gerüchte um ihre Freundinnen mit Ablehnung reagiert? Bis jetzt kann nur spekuliert werden, ein offizielles Statement der Schauspieler oder des Managements liegt derzeit nicht vor.
Die Fans jedenfalls sind begeistert. Im Internet wird schon lange von einer Beziehung der beiden Serienstars geträumt, vielleicht werden diese Träume jetzt erfüllt. Promiexpertin Mary Crow zeigt sich begeistert über das Foto, dass Saton und Bennett beim innigen Kuss zeigt.
„Dieses Bild bestätigt mein Bild von Hannes Bennett, den ich mir nie als einen Mann vorgestellt habe, der eine Frau einfach sitzen lässt. Ich wünsche den Beiden viel Glück und den Mut für ein Coming Out. Und ich weiß, dass viele Fans genau so denken.“
Wir schließen uns diesen Wünschen an und hoffen auf noch mehr leidenschaftliche Momente in dieser Beziehung.
„Ich kann immer noch nicht glauben. Du hättest mir ruhig sagen können, dass du mit Hannes was am laufen hast“, meinte Celine lächelnd und stellte den Kaffee vor mir auf den Tisch. „Hast du den Zeitungsartikel überhaupt schon gelesen?“
Als ich den Kopf schüttelte, sprang sie auf und kam gleich darauf mit der Zeitung zurück.
Ich saß im Schneidersitz auf dem Sofa in Celines Wohnung, auf meinem Schoß den Zeitungsartikel des Fire-Magazin über Hannes und mich. Das Bild, wie wir uns küssten nahm beinahe ein dreiviertel der ganzen Seite ein. Wir waren überraschend überzeugend gewesen und ich war froh, dass man mir nicht angesehen hatte, wie nervös ich gewesen war.
Ich wusste nicht wirklich, ob ich mich darüber freuen sollte, dass nun die ganze Welt wusste, dass ich schwul war. Besser gesagt vermuteten sie es, schließlich hatten wir noch nichts dergleichen bestätigt. Man hatte es für besser gefunden, die Gerüchte erst einmal hochkochen zulassen, bevor wir uns dazu äußerten. Sollte der Schuss nach hinten losgehen, hatten wir so immerhin noch die Möglichkeit, zu behaupten, dass Bild wäre ein Fake. Auch, wenn ich dann weiterhin den Hetero spielen müsste.
Wenigstens zweifelte man mittlerweile meine Beziehung zu Celine an.
„Das wars dann wohl, mit dem ewigen Traumpaar, was?“, meinte sie und stieß mich mit ihrer Schulter an.
„Sieht ganz so aus“, seufzte ich und begegnete ihrem fragenden Blick.
„Bist du nicht froh darüber, dass es endlich raus ist?“
„Weiß ich noch nicht“, gab ich zu und zuckte die Schultern. „Muss mich wohl erst einmal daran gewöhnen“
Sie nickten nur, grinste mich dann breit an und setzte sich mir auffordernd gegenüber. „Und jetzt erzähl. Wie lange läuft das schon mit dir und Hannes?“
Verdammt. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. „Weiß nicht“, wich ich der Frage aus und zuckte auf ihren ungläubigen Blick hin verlegen mit den Schultern. Ich spürte, dass meine Wangen brannten, während ich mich um Kopf und Kragen log.
Irgendwie heil aus dem Gespräch rausgekommen, ließ ich mich wenige Stunden später in meinem Hotelzimmer auf das große Bett fallen. Ich hatte meine Wohnung für ein paar Tage verlassen müssen, da die Papparazzi ein Durchkommen unmöglich machten.
Ich starrte mit leerem Blick an die Decke, während die Gedanken in meinem Kopf kreisten. Ich war jetzt mehr oder weniger offiziell geoutet. Das erst mal in meinem Leben in aller Öffentlichkeit, und nicht nur vor drei besonderen einzelnen Personen. Die Reaktionen darauf waren weit auf positiver als ich befürchtet hatte. War das kein gutes Zeichen?
Während ich so darüber nachdachte, machte sich langsam doch Erleichterung in mir breit. Zumindest in dieser Hinsicht musste ich nicht mehr lügen, musste nicht mehr aufpassen, wie ich manche Männer in den Clubs ansah. Ich musste keine Angst mehr haben, erwischt zu werden und von der Welt als unmännlicher Schwanzlutscher gesehen zu werden. Zumindest nicht mehr in diesem Ausmaß, das ich mir zusammen gesponnen hatte, seit ich wusste, dass ich nun einmal auf Männer stand. Auf richtige Männer mit allem drum und dran und ich war selbst einer. Kein Weichei, dass sich von jedem männlichen Wesen flachlegen ließ, dass hatte ich in den Jahren davor bereits bewiesen.
Ich musste beinahe lachen, als ich bemerkte, dass ich mich mit dem letzten Satz wohl selbst beruhigen wollte. Wie sah mich die Welt jetzt? Hatte sich die Einstellung mir gegenüber geändert? Mit höchster Wahrscheinlichkeit. Aber mir blieb wohl nichts anderes übrig, als es auf mich zukommen zu lassen.
Ich seufzte. Meine letzte Beziehung war bereits über 3 Jahre her, damals war ich 19 gewesen. Die Heimlichtuerei hatte dann aber dafür gesorgt, dass das ganze ein unschönes Ende genommen hatte. Danach war dann Sins of a Hero gekommen und damit die Sache erledigt gewesen.
Als ich noch weiter darüber nachdachte, besserte sich meine Laune schließlich langsam. Mal ehrlich, unser Plan war bescheuert, aber es hätte mich auch viel schlimmer treffen können, als dazu gezwungen zu werden, mehr Zeit mit Hannes zu verbringen. Ich mochte ihn ohnehin und nach meinem Outing musste ich ja mal wieder Kontakte zur Männerwelt aufnehmen. Natürlich machte ich mir bei Hannes selbst wenig Hoffnung, aber ich rechnete auch nicht damit, dass das Theater so lange anhalten würde. Nachdem die Gerüchte aufhören würden, würden wir uns eben „trennen“ und dann würde ich weiter sehen.
Wahrscheinlich war das Ganze für ihn wesentlich schwerer, schließlich stand er ja nicht einmal auf Männer.
Ich wurde schließlich von meinem Handy aus den Gedanken gerissen, als es einen Anruf ankündigte.
„Saton?“, meldete ich mich und rieb mir müde über die Augen. Es war ganz schön spät geworden.
„Hallo Liebster“, meldete sich Hannes am anderen Ende, seine Stimme troff vor Ironie. Er war definitiv noch angepisst.
„Hey…“, ich setzte mich auf und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Ich wusste nicht so recht, wie ich jetzt mit ihm umgehen sollte, beschloss aber schließlich, dass ich einfach so tun würde, als gäbe es diese „Beziehung“ überhaupt nicht. „Alles okay bei dir?“, erkundigte ich mich, als es am anderen Ende der Leitung still blieb.
„Hast du Zeit zu reden? Wir sollten vielleicht noch ein paar grundlegende Dinge klären… Am besten heute noch…“
Ich nickte, bevor mir einfiel, dass er das ja nicht sehen konnte. „Ja klar… Soll ich gleich rüber kommen?“
Jetzt hörte ich ihn seufzen und schließlich vernahm ich sein zögerlich von sich gegebenes „Ja“.
„Dann bis gleich, Schatz“, flötete ich übertrieben sehnsuchtsvoll und hörte ihn endlich lachen.
Ich klopfte an Hannes Tür und mir wurde nur wenig später geöffnet. Ich trat in das Zimmer, das sich kaum von meinem Unterschied, wenn man von den umher liegenden Klamotten absah, die definitiv nicht meine waren.
„Wir sind noch nicht einmal einen Tag zusammen und müssen schon über unsere Beziehung sprechen. Na das sind Aussichten“ Ich setzte mich ihm seufzend gegenüber, als er auf das Sofa deutete.
Gerade als Hannes zum Sprechen ansetzte, klopfte es an der Tür. Er stand auf und öffnete dem unerwarteten Besucher.
„Da bin ich seit so vielen Jahren dein bester Freund und dann muss ich über die Zeitung erfahren, dass Hannes Bennett jetzt doch auf den Mann gekommen ist. Und als ob das nicht genug wäre, schnappt er sich nicht irgendeinen Kerl, nein es ist Valentin Saton, einen der momentan heißesten Männer des Universums!“, plapperte Kyle sichtlich aufgebracht und schien mich erst jetzt wahrzunehmen. „Von Valentin hab ich’s ja eh schon vermutet, aber dass du mir so eine Information verschweigst…“ Er schnappte erst einmal nach Luft, bevor er sich aufs Sofa warf und funkelte Hannes böse an.
Hannes hatte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst und die Arme vor seiner Brust verschränkt, während er mir einen Hilfe suchenden Blick zuwarf.
Aber noch bevor ich etwas sagen konnte, winkte Kyle versöhnlich ab und grinste uns breit an. „Ihr könnt es ja wieder gut machen: Ich will Details!“ Einladend klopfte er auf die Sitzfläche des Sofas.
Hannes brummte etwas unverständliches, als er sich neben mich setzte. „Fangen wir erst einmal harmlos an“, Kyle grinste über das ganze Gesicht. „Seit wann seid ihr zusammen?“
Hannes sah mich auffordernd an, offensichtlich erwartete er von mir, dass ich das Reden übernahm. Na super. „Weiß nicht“, wich ich der Frage aus, wie schon vorhin bei Celine und stieß schließlich seufzend den Atem aus, als Kyle mich fragend ansah. „Ein paar Wochen, schätze ich…“ Hannes nickte nur bestätigend und grinste in sich hinein. Jaja, mach dich nur lustig über mich, Idiot.
„Und wie kam es dazu?“, nahm uns Hannes bester Freund weiter ins Kreuzverhör und schlug elegant seine Beine übereinander.
„Hat sich halt so ergeben“, murmelte ich, als Hannes mich schon wieder auffordernd ansah. Wenn er erwartete, dass ich dieses seltsame Gespräch jetzt alleine führte, hatte er sich aber geschnitten.
„Und?“, fragte Kyle und grinste breit. Hannes neben mir warf ihm nur einen bösen Blick zu, woraufhin sein Grinsen nur noch breiter wurde.
„Und was?“, fragte ich und sah verwirrt zwischen den beiden hin und her.
„Hattet ihr Sex?“, platzte Kyle heraus und ich spürte, dass mir das Blut in den Kopf schoss. Der Kerl nahm ja wirklich gar kein Blatt vor den Mund.
Als sich im Raum Stille ausbreitete war schließlich nur Kyles Lachen zu hören. „Kommt schon, mir könnt ihr’s doch sagen. Wir sind doch unter Schwuchteln! Mich interessiert eh nur, wer von euch oben und wer unten liegt“, meinte er grinsend.
„Kyle“, knurrte Hannes warnend.
Grinsend legte ich meine Hand auf sein Knie. „Komm schon Schatz, hab dich nicht so. Wir sind doch unter Schwulen“, nahm ich Kyles Satz auf und wurde dafür mit einem Ich-bring-dich-sowas-von-um-Blick gestraft.
„Soll ich raten?“, fragte Kyle und beugte sich enthusiastisch nach vorne. „Sorry Hannes, aber so wie du reagiert hast…“, ein schelmisches Grinsen stahl sich auf sein Gesicht.
„Wir haben nicht miteinander geschlafen“, knurrte Hannes und ich nahm seufzend meine Hand von seinem Knie.
„Spielverderber“
Davids Plan war aufgegangen und zwar zu hundert Prozent. Die gleiche Sendung, die mich noch vor Tagen schlecht gemacht hatte, äußerte sich sehr positiv gegenüber des neuen schwulen Traumpaars, ebenso wie das FireMagazine und seine Konkurrenten. Ich hatte ja nicht daran geglaubt.
Und jetzt, wo ich die Zeitung vor mir hatte, wurde mir bewusst, welchen Schock meine Eltern, Emma und Kyle erlitten haben mussten. Ich hatte ihnen noch nichts davon gesagt aber ich beschloss, es noch vor meinem "Outing" zu tun.
Am Freitag musste ich nicht arbeiten, eine „Sin und seine Loverin“-Szene wurde gedreht und ich hatte wirklich nicht das Bedürfnis da zuzusehen. Schließlich war er mein Kerl, oder? Bei den Gedanken musste ich Lachen, worauf mich mein Sitznachbar im Flugzeug seltsam ansah. Der ältere Herr hatte von Sins of a Hero wohl noch nie etwas gehört, jedenfalls kannte er mich nicht. Im Gegensatz zu den zwei Mädchen einige Reihen weiter vorne. Sie kicherten die ganze Zeit und immer mal wieder leuchtete für Sekunden der Blitz ihrer Handykameras auf. Ich grinste ihnen zu. Immer die Gute-Laune-Maske tragen, dass war vor der morgigen Beichte das Wichtigste. Und das, obwohl mein Arsch auf Grundeis ging. Vor dem Fernsehouting stand der Besuch bei meinen Eltern an.
Fuck. Welcher Heterotyp musste sich schon outen, obwohl er noch auf Brüste stand? Und warum war ich nicht auf die Idee gekommen, vor der Bildaktion mit meiner Mutter zu reden? Es konnte ihr nicht entgangen sein, was über mich, über uns, geredet wurde, schließlich war sie eine dieser Frauen, die sich wirklich für den Klatsch aus den Magazinen interessierten. Der einzige Makel einer perfekten Frau.
Zwei Stunden später verließ ich den Flughafen, mein neuer, persönlicher Bodyguard Shane direkt hinter mir. Schon von Weitem konnte ich den alten, grasgrünen Lieferwagen meines Vaters sehen. Und komplementär dazu, die roten Locken meiner Mutter. Es fehlte ja nur noch, das sie auf und ab hüpfte und zu winken anfing. Sie tat es. Meine Mum, diese große, schlanke Frau mit ihren knallig lackierten Fingernägeln und den bauchlangen Ketten winkte Wind, die eine Hand noch auf die Wagentür gelegt und hüpfte. Mein Vater war im Gegensatz zu ihr die Ruhe in Person, kaum größer als sie, aber mittlerweile doppelt so breit.
Wir kamen am Wagen an und ich war mir sicher, dass Shane hinter der Sonnenbrille die Augenbrauen hochzog. Ich dagegen war froh, meine Eltern nach so einer Ewigkeit wieder zu sehen, auch wenn ich wirklich Schiss hatte. Schließlich war ich auf ein Outing nicht vorbereitet. Wer wirklich schwul war konnte so was wenigstens vor sich her schieben und die richtigen Worte finden. Am liebsten würde ich ihr einfach sagen, dass das alles nur ein Trick war. Nur das würde den Managern überhaupt nicht gefallen.
„Hallo mein kleiner Fernsehstar.“
Meine Mum fiel mir um den Hals, während mein Vater mir nur die Hand auf die Schulter legte.
„Lilly, du erwürgst ihn noch.“
„Egal.“, brummte meine Mum, den Kopf an meiner Schulter vergraben.
Sie löste die Umarmung ganz plötzlich und wandte sich Shane zu, der wie ein Schrank hinter mir stand.
„Du musst Valentin sein. Ich habe das Bild gesehen. Es freut mich dich kennen zu lernen.“
Sie fiel auch ihm um den Hals.
„Ähm, Mama. DAS ist mein Bodyguard, nicht mein... Freund.“
Lilly Bennett trat einen Schritt zurück.
„Das... das hätte ich erkennen müssen.“
Das wirklich erste Mal in meinem Leben sah ich meine Mutter sprachlos und peinlich berührt.
„Kein Ding, Mrs. Bennett. Bis auf die Glatze und die Tattoos sehe ich Mr. Saton wirklich zum verwechseln ähnlich.“
Shane lachte tief und ehrlich und meine Mutter stimmte ein, von Verlegenheit war keine Spur mehr zu hören.
Mein Vater räusperte sich.
„Wir sollten nach Hause fahren, bevor die Mädchen dort drüben noch in Ohnmacht fallen.“
Zwanzig Minuten später saßen wir im hellen Wohnzimmer meiner Eltern, das im Gegensatz zu meiner flippigen Mutter so richtig süß und spießig war, mit kleinen Möbeln und Blumentapeten. Ich liebte es.
Draußen auf der Terrasse standen Shane und mein Dad, während Lilly mir gegenüber saß. Ich kam mir wie ein Kind, das etwas ausgefressen hatte. Zwar konnte ich mir nicht vorstellen, dass meine Mutter etwas dagegen hatte, vor allem nicht nach der Reaktion auf Shane, aber trotzdem war das hier eine komische Situation.
„Du liebst also Männer.“ Noch immer war das Gesicht meiner Mutter das freundliche Strahlen, das ich von früher kannte.
„Also...ja, zumindest liebe ich Valentin.“
Meine Mutter strich mir eine Locke aus der Stirn und schob sie wieder unter meine Mütze.
„Tja, und der ist ja wohl ein Mann, mein Schatz.“
Ich musste lächeln und das war noch nicht mal geschauspielt. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich meine Mutter, meine ganze Familie einfach so belog.
„Hey, schau nicht so geknickt. Du weißt, ich liebe dich, egal wie du dein Leben gestalten willst und dein Vater denkt genau so. Wenn wir auch etwas geschockt waren, es gerade über die Zeitung zu erfahren. Ich meine, das Bild ist heiß. Und mein zweiter Gedanke war: Verdammt habe ich einen schönen Sohn.“
Ich drückte sie an mich.
„Ich liebe dich auch, Mum.“
Lilly küsste meine Wange und ich wusste, das ihr Tränen über die Augen liefen. Tränen der Freude, nicht der Trauer über ihren schwulen Sohn.
„Und jetzt sag mal, wie gefällt dir der Sex. Ist es sehr anders?“
„Mum... das Gespräch ist hiermit beendet.“
Ich knuffte sie in die Schulter.
Nicht einmal vier Tage nach unserem „Outing“ bekamen wir auch schon Einladungen verschiedener Magazine und Fernsehsendungen, um aus erster Hand zu erfahren, was es mit den Gerüchten und dem Foto auf sich hatte.
Mr. Kay und David hatten sich erst einmal mit den PR-Leuten beratschlagt, bevor sie irgendwo zusagten und warum auch immer schien ihnen „Talk with Tara“ die beste Lösung. Wahrscheinlich, weil einfach genug Leute sich für diese Sendung interessierten.
Nun saß ich also in der Garderobe, mit wild klopfendem Herzen, während eine Maskenbildnerin mir für den Fernsehauftritt die Augenringe einer durch zu viel Grüblerei viel zu kurze Nacht überschminkte.
Hannes saß neben mir und machte auf mich einen vollkommen entspannten Eindruck, während ich versuchte, mir meine höllische Nervosität nicht anmerken zu lassen. Mir war richtig übel. Das war mir schon lange nicht passiert. Aber kein Wunder, schließlich outete ich mich heute live und in Farbe ganz offiziell vor der ganzen Welt.
Ich konnte im Spiegel mir gegenüber selbst sehen, dass ich ziemlich düster drein sah. Ich sah einfach nur verdammt übermüdet aus.
Ich biss mir innerlich auf die Zunge, während ich mir zum hundertsten Mal überlegte, was ich überhaupt sagen sollte. Bei meinem Glück würde Hannes mich wieder das Reden übernehmen lassen.
Schließlich war die Maskenbildnerin auch mit mir fertig und ich war mit Hannes allein. Seufzend legte ich den Kopf nach Hinten und fuhr mir durch die Haare, die die Maskenbildnerin zuvor noch fein säuberlich gerichtet hatte.
Ich würde heute sterben. Ganz sicher.
Ich sah auf die Uhr. Immer noch fast 20 Minuten. Anscheinend hatte Tara heute mehrere Gäste bei sich in der Show. Hoffentlich waren die wieder verschwunden, wenn wir dran kamen.
Ich bemerkte Hannes Blick auf mir, ignorierte ihn jedoch. Ich war mir sicher, dass er merken würde, wie nervös ich war, sobald ich mit ihm redete. Denn dann würde ich damit nicht mehr aufhören. Irgendwann hielt ich es auf dem Stuhl nicht mehr aus und stand auf. Planlos lief ich ein wenig umher und lehnte mich schließlich seufzend an die Wand.
Ohne es zu merken wippte ich mit meinem Fuß auf und ab, während ich meinen Blick nicht von der Uhr losreißen wollte.
„…tin. Huuuuhuuuu“ Erschrocken zuckte ich zusammen, als sich eine Hand in mein Sichtfeld schob.
Überrascht sah ich Hannes an, der mit einem belustigten Grinsen vor mir stand.
„Kann es sein, dass du leicht, aber nur ganz leicht aufgeregt bist?“
Ich gab ein undefinierbares Brummen von mir und fuhr mir erneut durch die Haare. Meine Handflächen waren feucht. Verdammt. Noch 10 Minuten.
Soweit ich wusste war jetzt Werbepause und danach waren wir dran. „Hast wohl echt ein Problem damit, dich zu outen, hmm?“, hakte er weiter nach.
„Sonst hätte ich ja nicht so lange damit gewartet“, gab ich schlecht gelaunt zu, lehnte meinen Kopf gegen die Wand und schloss die Augen.
„Jetzt mach dir mal nicht so einen Kopf“ Ich spürte Hannes Hand auf meiner Schulter. „Bisher waren die Reaktionen doch gar nicht so schlecht. Und überhaupt, wenn jemand nervös sein sollte, dann ja wohl ich“ In seinen Worten schwang wieder leichter Groll mit, wie jedes Mal, wenn er über den „Plan“ sprach. „Immerhin muss ich als stolzer Hetero gleich der Welt gestehen, dass mein Herz Valentin Saton gehört“
Ich seufzte und warf ihm einen zerknirschten Blick zu. „Du weißt, dass ich das hier auch nicht wirklich freiwillig mache, oder?“
Ich schielte zur Tür, die einen Spalt breit offen stand und entdeckte aus den Augenwinkeln heraus Tara, die gerade mit einer Setmitarbeiterin zu sprechen schien, aber die ganze Zeit zu uns rüber starrte. Mir wurde bewusst, dass Hannes Hand immer noch auf meiner Schulter lag.
Ich seufzte. Das hier würde gleich schwer genug werden und es lag eine Menge daran, dass wir überzeugend vor den Kameras waren. Live war das um einiges schwieriger als auf einem Foto.
Mein Arm legte sich um seine Seite und zog ihn vor mich. Sein misstrauischer Blick bohrte sich in mein Gesicht. Er hatte Tara anscheinend nicht bemerkt.
Bevor er reagieren konnte, hatte ich mich zu ihm gebeugt und meine Lippen auf seine gelegt. Ich spürte, wie seine Arme nach oben schossen, sich auf meinen Brustkorb legten und mich wegdrücken wollten. Ich biss ihm in die Lippe, woraufhin er überrascht zusammen zuckte, aber wenigstens seine Gegenwehr einstellte.
Ich schob langsam meine Zunge zwischen seine Lippen und legte schließlich meine Lippen an sein Ohr. „Tara beobachtet uns“, wisperte ich.
Ich spürte, wie sein Körper sich versteifte, nur um sich langsam wieder zu entspannen. Zögernd legten sich seine Arme um mich.
Er roch verdammt gut und ich konnte seinen Herzschlag an meiner Brust spüren. In dem Moment beschloss ich, ihn ein wenig zu ärgern. Langsam küsste ich mir einen Weg von seinen Lippen zu seinem Ohr, biss leicht in das Ohrläppchen, woraufhin er wieder zusammenzuckte. Hehe.
Meine Lippen wanderten weiter zu seinem Hals. Ich ignorierte, dass sich seine Finger angespannt in meine Arme krallten.
„Entspann dich mal“, grinste ich an seinem Hals. „Du weißt, dass wir da draußen gleich verdammt überzeugend sein müssen? Am besten wir fangen damit doch schon einmal an“
Grinsend knabberte ich an der Stelle, wo seine Halsschlagader leicht hervor trat und hörte ihn unterdrückt keuchen. „Ist da jemand am Hals empfindlich?“, fragte ich belustigt, bevor ich dann doch von ihm abließ. Schließlich hatten wir gleich einen Auftritt. Aber meine Nervosität war im Moment wie weggeblasen!
Die Tür ging auf und eine der Mitarbeiterinnen trat herein. „Mr. Saton, Mr. Bennett, würden sie mich bitte zum Studio 3 begleiten würden?“
Verdammt. Schon war die Nervosität wieder da und schlug mir mit einem Vorschlaghammer in den Magen.
Irgendwie war ich froh darüber, dass unser Outing bei Tara stattfinden würde. Wir kannten sie von der Sendung zuvor. Auch das Studio war uns vertraut. Ich saß auf derselben Stelle des Sofas wie damals, nur das Valentin mir dieses Mal näher auf die Pelle rückte.
Meine Hände zitterten leicht. Während die Kuss-Aktion in der Garderobe ihn wohl beruhigt hatte, war ich nun nervöser als je zuvor in meinem Leben. Meine Mutter und meine Schwester saßen vor den Fernsehern, mit letzterer hatte ich nur kurz telefoniert. Wie kam mein lieber Freund eigentlich auf so eine blöde Idee, Tara schon vor der Show so eine Show zu liefern? Jetzt brauchte sie ja nur noch sagen: Ich habe euch beim Knutschen erwischt, ihr braucht nicht mehr zu leugnen.
„In zehn Sekunden sind wir auf Sendung.“
Während des Countdowns raste mein Puls, mein Versuch, ein Lächeln zu erzwingen wäre beinahe gescheitert. Dennoch riss ich mich zusammen, wozu war ich den Schauspieler?
Wenigstens ging es Valentin nicht besser, hatte er verdient.
Mit Ende des Countdowns setzte der Applaus ein, Tara versuchte auf ihre charmante Art, das Publikum zu beruhigen.
„Liebe Gäste im Studio und vor den Fernsehern, willkommen zurück bei Talk with Tara. Sie kennen meine jetzigen Gäste bestimmt noch von einer der letzten Sendungen. Doch dieses Mal sind Valentin Saton und Hannes Bennett nicht gekommen, um über Sins of a Hero zu reden, sondern um die Gerüchte über ein Foto zu klären, das im Internet aufgetaucht ist.“
Auf einer riesigen Leinwand hinter uns tauchte das berühmt berüchtigte Bild auf.
„Die Szene vorhin hätte bessere Bilder abgegeben.“, schoss es mir durch den Kopf und ich musste beinahe grinsen. Eigentlich sollte ich mich nicht beschweren. Valentin hatte keinen Mundgeruch, seine Haare waren nicht fettig und ich mochte sein After-Shave. Brüste wären zwar ganz schön gewesen, aber man hätte es schlimmer treffen können.
„Jungs, ihr seid mit diesem Schnappschuss in aller Munde, mehrere Prominente haben sich positiv über eure Homosexualität geäußert. Nun ist nur noch eine Frage offen. Was ist an der Sache dran?“
Absolute Stille im Studio. Jetzt war es soweit.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, während Hannes und ich von den Scheinwerfern angestrahlt wurden. Es war mucksmäuschenstill, das Publikum wartete darauf, dass Hannes oder ich etwas dazu sagten.
Meine Kehle fühlte sich trocken an und ich räusperte mich, bevor ich mit einem gespielt selbstsicherem Lächeln in die Kamera sah, die auf mich gerichtet war. Tara grinste bereits wissend.
„Dieses Foto hat uns ehrlich gesagt selbst ganz schön überrascht…“, kommentierte ich das eingeblendete Bild und konnte nur hoffen, dass ich überzeugend war. „Und alle, die bis dato an einen Fake geglaubt haben, muss ich leider enttäuschen. Das Foto ist echt und ich bin seit ein paar Wochen mit Hannes Bennett zusammen“ Ich war selbst erstaunt, wie fest meine Stimme war und wie einfach mir die Lüge über die Lippen kam.
Das Publikum schien sprachlos, nur Tara war nicht überrascht. Natürlich nicht, schließlich hatte sie uns ja bereits live und in Farbe gesehen.
„Valentin, du giltst ja bereits seit einer langen Zeit als wahr gewordener Weiberheld, denkst du, deine Fans sind enttäuscht von dir?“
Ich schüttelte den Kopf und lächelte wieder fachmännisch. „Natürlich ist mir klar, dass wir uns mit dieser Beziehung nicht überall Freunde machen. Aber ich denke allein an den Reaktionen der letzten Tage kann man sehen, dass ich die besten Fans der Welt habe und ich bin froh, dass die meisten sich nicht daran stören“
„Trotzdem wirst du in Zukunft auch mit Anfeindungen zu kämpfen haben müssen. Hattet ihr überhaupt geplant, die Öffentlichkeit einzuweihen?“ Damit richtete sie sich an Hannes.
Der schüttelte den Kopf. Er wirkte etwas blass, was aber außer mir wahrscheinlich kaum jemandem auffiel. „Nein, eigentlich wollten wir uns so schnell nicht outen. Wir sind ja noch nicht lange zusammen und vor allem hatten wir zurzeit viel mit dem Gerücht meiner angeblichen Vaterschaft zu tun“
„Böse Zungen behaupten, das Timing wäre zu perfekt und du würdest mit deiner Beziehung zu Hannes versuchen die Aufmerksamkeit von dieser Vatergeschichte wegzulocken. Ist an diesen Gerüchten etwas dran?“
„Das ist vollkommener Blödsinn“, mischte ich mich verärgert ein und wie selbstverständlich legte ich meine Hand auf sein Knie. „Wenn Hannes diese Frau geschwängert hätte, würde er auch dazu stehen, aber nur wegen ein paar Fotos, wo sie zusammen essen oder sich zur Verabschiedung umarmen gleich darauf zu schließen, dass er der Vater wäre ist lächerlich. Es sei denn, man wird neuerdings schwanger, wenn man sich umarmt“
„Spricht da die Eifersucht?“, grinste mich Tara nicht ganz ernst gemeint an. Ich grinste zurück und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht“
„Viele eurer Fans waren überrascht, als sie das Foto sahen. Schließlich waren bis vor kurzem noch alle überzeugt, dass du eine glückliche Beziehung mit Celine führst, mich eingeschlossen“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich war nie mit ihr zusammen. Die Gerüchte haben sich nur hartnäckig gehalten“
„Hättest du das nicht mit einem Outing beenden können?“
Mein Herz machte einen Satz und nickte nur langsam. Diesmal sprang Hannes für mich ein. „So ein Outing ist, gerade in der breiten Öffentlichkeit nicht einfach. Wären wir nicht sozusagen enttarnt worden, hätten wir diesen Schritt immer noch nicht gemacht, einfach weil wir uns mit der Reaktion unseres Umfeldes unsicher waren“
Ich warf ihn nur einen dankbaren Seitenblick zu, als Tara sich auch schon wieder ihm zuwandte.
„Apropos Umfeld, ich habe gehört, deine Eltern wusste noch gar nichts von eurer Beziehung. Was haben deine Eltern zu deinem plötzlichen Outing gesagt? Haben sie Valentin bereits kennen gelernt?“
„Meine Eltern haben beide sehr gelassen reagiert. Und nein, sie kennen Valentin leider noch nicht, aber das wird natürlich nachgeholt“ Seine Hand legte sich auf meine. So schlecht waren wir gar nicht.
Ich biss mir auf die Lippe. Verdammt, an Hannes Eltern hatte ich ja gar nicht gedacht. Es war bestimmt nicht leicht, vor seinen Eltern so zu tun, als wäre er schwul. Gut, dass ich das Problem nie gehabt hatte.
„Plant ihr zusammen zu ziehen?“, erkundigte sie sich und lächelte uns warm an.
Ich zuckte überrascht zusammen und ich spürte, wie Hannes den Druck seiner Hand verstärkte.
„Ich… Also…“, stotterte ich herum und zuckte dann mit den Schultern. „Darüber haben wir ehrlich gesagt noch nicht nachgedacht. Ging ja jetzt doch alles ganz schön schnell“, rettete ich die Situation und ließ langsam die Luft aus meinen Lungen, als sie das Gespräch weiter führte.
Endlich neigte sich die Sendezeit dem Ende zu.
„Vielen Dank, dass ihr hier wart, Valentin und Hannes, ich wünsche euch alles Gute für eure Zukunft und wir werden bestimmt auf dem Laufenden bleiben, wie es bei euch weitergeht. Euch liebe Zuschauer, danke ich natürlich fürs Einschalten, bis zum nächsten Mal zu Talk with Tara!“
Der Kameramann gab uns ein Zeichen, dass die Kameras aus waren und meine gerade Körperhaltung fiel ein wenig in sich zusammen. Verdammt war das anstrengend gewesen.
Ich lehnte mich zurück und schoss kurz die Augen. Das Wochenende war anstrengend gewesen. Jedes Medium, dass sich mit Hollywoodstars und Popsternchen beschäftigte, richtete seinen Blick auf uns. Die Manager sollten Recht behalten, die Reaktionen waren nur positiv, zumindest offiziell. Doch all die Glückwünsche und das Arschkriechen, man würde unseren Mut und unsre Offenheit bewundern, waren auch anstrengend. Nicht so sehr seelisch, mehr körperlich.
Noch heute Abend nach Drehschluss stand ein Interview an, das erste, in dem ich mich alleine den Journalisten stellen musste. Schließlich hatten Saton und ich uns geoutet, dennoch waren noch keine Details über unsere Beziehung an die Öffentlichkeit gelangt. Das sollte geändert werden.
Wir hatten die ganze Nacht in Valentins Zimmer gehockt und Kleinigkeiten ausgearbeitet. Wie wir uns angenähert und verliebt hatten, der erste Kuss und so weiter. Jetzt waren meine Augenringe metertief, weil ich kaum eine Stunde Schlaf gehabt hatte.
„Mr. Hollywood.“
Curts Stimme schien mir seltsam ruhig.
„Na?“
Ich schloss meine Augen wieder. Verdammt war ich müde.
„Ich dachte, du bist einer der Vernünftigen. Aber Hollywood macht immer jemand anderen aus den Menschen, das habe ich gleich am Anfang festgestellt.“
Ein Schulterzucken meinerseits und ein Schnauben von ihm.
„Aber dass du dich jetzt plötzlich in den Arsch ficken lässt, hätte ich nicht erwartet.“
Ich tat gelangweilt, obwohl es mich wirklich ärgerte. „Seit wann geht es dich was an, wie ich meine Sexualität auslebe?“
Ich konnte mir vorstellen, dass er gerade vor Wut rote Flecken am Hals bekam und zog es vor, meine Strategie der geschlossenen Augen beizubehalten. Dass sein Körper sich anspannte spürte ich, ohne ihn sehen zu müssen.
„Und nein, Mr. Bennett ist nicht nur eine Schwuchtel, er hat sich auch noch Saton als Ehemann ausgesucht, das größte Arschloch, das in Los Angeles über die roten Teppiche wandelt.“
Meine Lider klappten auf, ich erhob mich beton langsam und trat nah an meinen anfänglichen Freund zu. Beinahe berührten sich unsere Brustkörbe.
„Dir ist bewusst, dass so ein Satz schneller im FireMagazine zitiert wird, als du ihn aussprechen kannst? Da das Management komplett hinter uns steht, würde ich dir abraten, dich noch einmal so zu äußern.“
Ich brauchte keine Antwort, ließ ihn einfach stehen. Innerlich zogen sich meine Organe zusammen, weil mein Blut so brodelte. Wie schön, dass mein Boxsack zu Hause auf mich wartete, die treue Seele. Aber erst galt es das Interview zu überstehen.
Mir saß eine Journalistin gegenüber, deren Namen ich nicht richtig verstanden hatte. Aber da Mr. Kay sie hier rein gelassen hatte, ging es wohl in Ordnung, dass sie mich im Namen des FireMagazine löcherte. Nur von Clara Hawks würde ich mich nie mehr interviewen lassen, da konnte sie nackt Handstand machen und mit den Füßen wackeln, wenn gleichzeitig Fingerpuppen auf ihren Zehen steckten.
Bei der Vorstellung musste ich lachen und Mrs. „seltsamer, unverständlicher Name“ sah das wohl als Zeichen, dass sie loslegen konnte.
„Mr. Bennett. Nach ihrem Auftritt bei Talk with Tara haben die Fans von Sins of a Hero unseren E-Mailaccount vollkommen überflutet. Es gingen tausende Nachrichten ein, ich selbst habe viele von ihnen gelesen. Keine einzige war in irgendeiner Weise gegen sie oder Valentin Saton gerichtet. Vielmehr haben ihre Fans viele, viele Fragen gestellt. Ich habe mir die häufigsten heraus gesucht und würde sagen, wir können anfangen, wenn sie bereit sind.“
Ich lächelte, suchte eine bequeme Position auf meinem Stuhl und nickte ihr zu.
„Gerne.“
Das Management hatte die komplette Hotelbar sperren lassen, nur die Journalistin und etwa ein halbes Dutzend Fotografen waren hier. Und natürlich Shane, der wie eine Mauer an der Tür stand und wirklich unheimlich aussah mit diesem Blick der sagte: „Hände weg von meinem Promi oder ihr werdet zu Hackfleisch verarbeitet.“
„Fast sechshundert Mal wurde nach ihrem ersten Kuss mit Valentin gefragt.“
Ich zog die Augenbrauen hoch. So oft? Dass der Homo-Hype solche Ausmaße haben könnte, hätte ich nicht einmal nach dem Comic gedacht. Für einen Moment überlegte ich, eine süße, romantische Geschichte über den Kuss zu erzählen, dann entschied ich mich für die Wahrheit.
„Wow, wie war unser erster Kuss... Naja, es war so, wie es immer ist, wenn man jemand zum ersten Mal küsst. Ungewohnt trifft es wohl ziemlich. Ich wusste nichts über seine Gefühlslage und war selbst noch ziemlich verwirrt. Aber es hat sich gut angefühlt und es ist mehr daraus geworden.“
„Und wo war das, in welcher Situation?“
„Ich bin ein Mann, meine Dame, ich bin dafür programmiert, Hochzeitstage zu vergessen. Das mit dem ersten Kuss war glaube ich an einem Wochenende, ich war bei Valentin zu Besuch. Da ist es passiert, ich war erst mal überfordert.“
Die Journalistin schrieb eifrig und irgendwie fing es an, mir Spaß zu machen, das blaue von Himmel herunter zu lügen. Schließlich tat die Presse den ganzen Tag nichts anderes, das hatten die Idioten jetzt davon.
„Ist Valentin ihr erster Freund?“
Die Frage kam ziemlich schnell und ich wusste nicht, ob die Fans das wissen wollten oder ob die Frau sich dafür interessierte. Wohl eine Mischung aus beidem.
„Ja. Ich habe mich vor Mr. Saton für einen Hetero gehalten. Aber sehen sie sich ihn an, allein der Anblick ist ziemlich überzeugend, oder?“
Ich hörte einige der Fotografen lachen und auch die Journalistin grinste wissend.
„Nun ja, sagen wir, es ist für uns Frauen immer noch schwer, diesen Verlust zu ertragen. Schließlich ist Valentin Saton ein Sexgott in unseren Augen. Aber es ist uns lieber, als dass er irgendwann eine Frau findet, mit der wir nicht konkurrieren können.“
Unterbrochen wurde ihr Redefluss nur von meinem. „In meinen Augen auch.“ an der Stelle mit dem Sexgott. Wieder lachten die Fotografen und ich war mir sicher, dass auch Shane gegrinst hatte.
„Sie wirken viel gelöster, als in den letzten Tagen. Ist es ein gutes Gefühl, sich nicht mehr zu verstecken?“
„Es ist ein gutes Gefühl, sich nicht mehr die ganzen Vorwürfe wegen der Vaterschaft anhören zu müssen. Das mit dem Verstecken war nicht so sehr mein Problem, schließlich wurde mir erst vor ein paar Wochen klar, dass ich Männer liebe. Valentin hatte damit länger zu kämpfen, aber das sollte er ihnen genauer erzählen. Ich denke, dass ich auch viel lockerer bin, weil ich das erste Mal, seit wir zusammen sind, nur meine Beziehung im Kopf habe und nicht mehr den ganzen anderen … Müll.“
Sie nickte wissend. „Das kann ich verstehen. Knapp dreihunderfünfzig Fans wollten wissen, wie lange sie beide denn jetzt ein Paar sind.“
„Morgen ist unser einmonatiges, wenn man das so nennen kann.“
Sie lächelte und malte sich wohl gerade die romantischsten Dinge aus. Sie war mir ja irgendwie sympathisch.
„Feiern sie?“
Jetzt musste ich tatsächlich lachen.
„Ich verleihe Valentin vielleicht eine Medaille, weil er es so lange schon mit mir aushält. Etappensieg.“
„Gibt es am Ziel dann den Verlobungsring?“ Wohl wieder keine Frage der Fans, jedenfalls hatte sie nicht auf ihren Notizzettel gesehen.
„Darüber mache ich mir keine Gedanken. Vielleicht in zehn Jahren, aber nicht nach dreißig Tagen.“
Sie wandte den Blick schnell ab, weil ich wohl ein wenig genervt geantwortet hatte. Aber ganz ehrlich, heiraten? Und dann noch einen Mann? Und dann noch nach einem Monat?
„Hundert siebzig Fans, vor allem die Mädchen wollten wissen, ob es Liebe auf den erstem Blick war.“
Ich zog die Augenbrauen hoch.
„Das kann ich mit einem klaren Nein beantworten. Ich war überzeugter Hetero, jedenfalls hatte ich zuvor glückliche Beziehungen mit Frauen. Klar sieht Valentin toll aus und ist ein netter, lustiger und fürsorglicher Mann, das war mir gleich klar. Nur Liebe will ich das nicht nennen, zumindest nicht von Anfang an.“
„Was haben sie an Valentin lieben gelernt?“
Mir kamen die Worte über die Lippen, als hätte ich einen Text auswendig gelernt. Man, das war wirklich lustig, wie sie mir jedes Wort ohne einen Zweifel glaubte.
„Es ist schwer zu sagen, was man an einem Menschen liebt, weil sich Liebe aus so vielen Dingen zusammensetzt. Ich weiß nur, dass es viele kleine Dinge an Valentin sind, die ich sehr schätze und die ihn ausmachen. Und von diesen Dingen lerne ich jeden Tag neue kennen. Wenn sie einen Satz als Antwort wollen, wäre dieser: Ich liebe an Valentin, dass er so vielseitig ist und niemals langweilig wird.“
Wischte sie sich gerade eine Träne der Rührung aus dem Augenwinkel?
„Was sind ihre Kosename füreinander?“
Kosename? Fuck!
„Ähm, Kosenamen haben wir eigentlich keine. Er mag es, in bestimmten Situationen, Mr. Saton von mir genannt werden. Aber das steht auf einem anderen Papier.“
Jetzt wurde die Dame doch tatsächlich rot.
„Ich danke ihnen für ihre Offenheit und wünsche ihnen und ihrem Freund viel Glück.“
Ich nickte und verabschiedete mich. Noch einmal wurden Fotos gemacht, dann war ich er
löst.
Der Artikel wurde unter den Titel: „Hannes Bennett und Mr. Saton“ veröffentlicht.
Ich parkte das Auto in der Tiefgarage und nahm den Aufzug zu meiner Wohnung. Shane positionierte sich vor meiner Wohnungstür. Insgeheim tat er mir ja leid. Ewig herumstehen und ab und zu ein paar Papparzzi nach draußen befördern. Aber er hatte es sich ja so rausgesucht.
Ich war gerade fertig mit duschen und hatte mich in Jogginghose und Schlabberpulli vor den Fernseher gesetzt, als er klopfte.
„Hannes, Lisa Ben ist hier.“
Ich sprang auf. Wegen der Vaterschaft hatten wir es vermieden, uns zu sehen und ich freute mich wahnsinnig darauf.
Ich öffnete die Tür und sie fiel mir um den Hals. Schon der erste Blick sagte mir, dass es ihr wirklich gut ging.
„Hallo ihr Süßen, kommt rein.“, begrüßte ich sie und schloss die Tür hinter meiner ehemaligen Maskenbildnerin.
„Wie geht es dir? Glückwunsch wegen Valentin. Ich hätte das ja nie gedacht, aber ihr seit ein tolles Paar.“ sprudelte Lisa los.
Ich schenkte ihr ein Wasser ein und sie ließ sich auf das Sofa fallen. Von ihrem Babybauch sah man kaum etwas, unter ihrem schwarzen T-Shirt zeigte sich nur eine minimale Wölbung, die ein außenstehender wohl nicht bemerkt hätte.
„Naja, das mit Valentin war für mich auch überraschend. Ich hätte nicht gedacht, dass ich ...etwas mit einem Typen anfange.“
Mein ursprüngliches Satzende, dass ich mich in ihn verliebt hätte, verkniff ich mir. Ich hasste es, sie anzulügen und wollte die Sache auf das minimalste reduzieren.
„Wie geht es dir überhaupt? Du siehst happy aus.“
Sie nippte an ihrem Wasser.
„Naja, die letzten Wochen waren hart. Erstmal musste ich verarbeiten, dass ich bald zu zweit bin und das für die nächsten achtzehn Jahre, mindestens. Und dann die Sache mit den Reportern, die mir überall aufgelautert haben. Ich habe sogar über Abtreibung nachgedacht und in manchen Momenten war es nur der Gedanke an den Skandal, den die Presse lostreten würde, der mich davon abgehalten hat.“ Lisa schluckte und sah mich aus glänzenden Augen an.
„Aber jetzt, da sich der Blick der Öffentlichkeit auf dich und Valentin gelegt hat und ich wieder durchatmen kann, freue ich mich wahnsinnig auf das Baby. Ich wollte immer Kinder, eigentlich nicht so früh, aber man kann das Leben eben nicht planen.“
Ich wandte kurz den Kopf ab, um mich zu sammeln. Abtreibung. Wegen mir. Das war hart.
„Meine Mum und ich haben schon in meinen alten Kinderklamotten gekramt, falls es ein Mädchen wird. Ich will gar nicht wissen, was es wird und ich lasse mir das vom Arzt auch nicht vorher sagen. Ich freu mich so, wirklich.“
Jetzt, wo ich ihr glückliches Gesicht sah, wusste ich wieder, warum ich mich auf die Sache mit Valentin eingelassen hatte.
Im Schneidersitz saß ich auf einem der Stühle in Hannes Garderobe, während er für den Dreh hergerichtet wurde. Ich war bereits fertig.
Mit einem Kaffee in der Hand und dem Fire-Magazine auf dem Schoß blätterte ich verschlafen durch die Seiten, auf der Suche nach dem Interview, dass Hannes vor ein paar Tagen gegeben hatte.
Ich konnte aus den Augenwinkeln immer wieder sehen, wie mich Pete über den Spiegel immer wieder musterte. Ich ignorierte ihn und warf dafür Hannes einen kurzen Blick zu.
Der starrte nur konzentriert in den Spiegel und sah verdammt müde aus.
Endlich hatte ich den Artikel gefunden und begann, ihn durchzulesen. Ich nippte an dem Kaffee und verzog hin und wieder schmunzelnd den Mund.
„Es ist schwer zu sagen, was man an einem Menschen liebt...blabla... Ich weiß nur, dass es viele kleine Dinge an Valentin sind, die ich sehr schätze und die ihn ausmachen. Und von diesen Dingen lerne ich jeden Tag neue kennen... Ich liebe an Valentin, dass er so vielseitig ist und niemals langweilig wird“, las ich vor und sah, wie Hannes rot wurde und mich aus zusammengekniffenen Augen anfunkelte, während ich ihn nur breit angrinste. „Hast du sehr schön gesagt. Was denn für Dinge, Schatz?“
„Deine große Klappe auf jeden Fall nicht. Die ist schon einmal ein Scheidungspunkt“, brummte er.
Ich streckte ihm noch immer grinsend die Zunge raus, las weiter und trank von meinem Kaffee.
Er mag es, in bestimmten Situationen, Mr. Saton von mir genannt werden. Aber das steht auf einem anderen Papier.
Ich verschluckte mich am Kaffee vor Lachen und Hustete wie verrückt. Pete war zusammengezuckt und hatte Hannes prompt vor Schreck einen roten Strich quer übers Gesicht gemalt.
Mit Tränen in den Augen schaffte ich es endlich, den verdammten Kaffee herunter zu schlucken und schnappte immer noch lachend nach Luft.
„Mr Saton? Das ist dein Kosename für mich?“, fragte ich und wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln.
„Ich dachte mir, dass Vollidiot nicht so gut ankommt“, gab Hannes ungerührt zurück, hatte aber ebenfalls ein Grinsen um die Lippen. Pete unterdrückte offensichtlich ein Kichern, konnte aber ein belustigtes Zucken seiner Lippen nicht verbergen, als er versuchte den roten Strich wieder von Hannes Gesicht zu entfernen, dem eigentlich nur einen lange Schramme seitlich vom Gesicht geschminkt werden sollte.
Grinsend legte ich das Heft zur Seite und ging zu Hannes. „Ich liebe dich auch“, meinte ich, immer noch belustigt und küsste ihn flüchtig auf die Wange.
Gut das Pete da war, sonst hätte er wahrscheinlich irgendwas nach mir geworfen.
-Einen Monat später.-
„Ihr müsst zusammenziehen.“
Keine Frage, kein Vorschlag, kein gut gemeinter Rat, sondern ein zu folge leistender Befehl. Hannes hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte auf den Tisch.
„Muss das sein?“, brummte er. „Allzu lang wird dieses Theater doch eh nicht mehr laufen“
„Ja muss es“, erwiderte David schlicht. Mein Manager sah ziemlich gestresst aus, was ausnahmsweise nicht an mir lag. Zumindest nicht, soweit ich wusste.
„Wir haben bereits einen Termin beim Makler für euch ausgemacht“, fügte Mr. Kay hinzu.
„Na super!“, knurrte Hannes. Er schien wütend.
Ich runzelte die Stirn. Okay, ich hatte geahnt, dass das jetzt dann bald kommen würde, aber es nervte mich dann doch, dass sie uns kein bisschen Freiheit einräumten. „Haben wir bei der ganzen Sache auch ein minimales Mitspracherecht?“
„Natürlich“, wandte David überrascht ein. „Ihr könnt euch die Wohnung aussuchen!“
„Juhey“, brummte Hannes sarkastisch.
Als die Manager gegangen waren, schielte ich Hannes vorsichtig von der Seite aus an. Hannes war zurzeit extrem schlecht gelaunt und ich vermutete, dass es ihn langsam ziemlich nervte, den Homo zu spielen.
„Verfluchte Scheiße“, fluchte er schließlich und sprang vom Sofa. Unruhig tigerte er hin und her.
„Hannes, beruhige dich mal“, lenkte ich ein. Sofort schoss sein Blick zu mir und er sah mich mit zusammengekniffenen Augenbrauen an. Ich zuckte hilflos mit den Schultern. „Komm schon, wenn das sowieso nicht mehr so lange dauert, können wir ja bald wieder auseinander ziehen. Und so ein unangenehmer Mitbewohner bin ich auch nicht... hat zumindest meine alte Mitbewohnerin vor vier Jahren noch behauptet“, fügte ich mit einem schiefen Grinsen hinzu.
„Darum geht es doch gar nicht!“, knurrte er. „Dass wir zusammenziehen sollen bedeutet doch nichts anderes, als dass wir diesen Scheiß noch länger mitmachen sollen!“
Wir hatten einen Monat Lüge hinter uns. Händchenhalten auf der Straße, Küssen in Fernsehtalkshows und Turteln am Set. Von Celine oder Lisa sprach niemand mehr, zumindest nicht im Zusammenhang mit uns. Zugegebener Maßen, es war zum Teil wirklich lustig, die Reaktionen der Menschen zu beobachten und auf dem Gebiet Sarkasmus und Humor waren Valentin und ich ein Dream-Team, aber zusammen zu ziehen ging dann doch zu weit. Welches gewöhnliche Paar wagte diesen Schritt denn schon nach zwei Monaten? Warum also wir.
„Ich verstehe noch nicht mal, was die davon haben. Unsere Probleme haben sich in Luft aufgelöst, warum also nicht auch unsere Beziehung?“
Ich ließ mich auf Valentins Sofa fallen und starrte ihn von unten an.
Er atmete geräuschvoll aus.
„Da gibt es viele Gründe für. Erstens will das Management warten, bis Lisas Kind auf der Welt ist, damit...“
„Bis das Kind auf der Welt ist? Das sind noch sechs verdammte Monate.“ Ich kickte gegen den Tisch und vergrub dann mein Gesicht in den Händen. So viel Spaß machte die ganze Sache dann doch nicht.
Valentin ignorierte meinen Ausraster und sprach weiter.
„Zweitens sind die Einschaltquoten seit unserem Outing viel höher und der Verkauf der ersten Staffeln hat sich fast verdoppelt. Die Homos unterstützen ihresgleichen.“
Ich sprang auf und stand plötzlich Brust an Brust mit Valentin.
„Dir ist bewusst, dass wir beide jetzt sechs Monate lang keinen Sex haben werden? Wir dürfen noch nicht mal mit Anderen flirten. Ich hatte schon in den Monaten vor unserem „Outing“, wie du es nennst, kaum mehr Spaß mit Frauen und jetzt soll ich noch ein halbes Jahr darauf verzichten? Und das ist noch eines der geringeren Probleme.“
Saton zog nur die Augenbrauen hoch. „Du hast dich darauf eingelassen und Lisa damit ziemlich geholfen, das hast du mir gegenüber immer betont. Außerdem kommen wir doch gut aus.“
Lange sagte niemand was, weil ich krampfhaft versuchte, mein Gemüt abzukühlen.
Dann legte ich meine Hand auf Valentins Schulter.
„Hast ja Recht, ich bin selber schuld. Aber sobald sie von uns verlangen, dass wir einen Live-Porno drehen sollen, bin ich raus.“
Damit ließ ich meinen kichernden Kollegen stehen und machte mich auf den Weg nach Hause.
Zwei Tage später war es bereits so weit. Unsere Manager hatten wirklich keine Zeit verschwendet. Anscheinend sollten wir den Umzug so schnell wie möglich bewältigen. Bereits beim Telefonat mit dem Makler hatten wir festgestellt, dass unsere Wohngeschmäcker weit auseinander gingen, so dass wir heute sehr viel zu tun hatten.
Wir stiegen aus dem Auto aus und ich legte Hannes meinen Arm um die Hüfte, als uns ein junger Makler mit falsch aufgesetztem Lächeln bereits entgegen eilte.
„Mr. Saton, Mr. Bennett, wir haben ja telefoniert“, sagte er professionell freundlich und reichte uns die Hand. Sein Händedruck war angenehm fest. „Es freut mich, sie kennenzulernen, mein Name ist Daniel Marron“
Damit begann unsere Wohnungstour auch schon direkt. Die erste Wohnung war eine helle Penthousewohnung mit hohen Decken und großen Fenstern, die noch mehr Licht hereinließen. Das Bad war eingerichtet mit hellen Fließen und einer großen, freistehenden Wanne. Die Räume waren offen und größtenteils durch Bögen in der Wand miteinander verbunden, nur zum Eingangsbereich, Schlafzimmer und Bad gab es verschließbare Türen.
Mir gefiel die Wohnung, allerdings war sie Hannes Worten nach „zu steril“ und hatte keinen „Charakter“, weshalb wir uns die nächste Ansahen.
Bei dieser handelte es sich um eine Altbauwohnung mit kleineren Fenstern und dunklem Holzboden, der das Licht zu verschlucken schien. Alte Leuchter hingen an der Wand und sogar die Wände schienen das Licht aufzufangen.
Nur eines hatten die Wohnungen gemeinsam: Sie waren viel zu groß und ich fühlte mich ein wenig verloren, in diesen riesigen, leeren Räumen.
Während Hannes begeistert in den dunklen Zimmern herum wuselte hielt sich meine Begeisterung in Grenzen.
„Die ist toll“, meinte Hannes schließlich und ich schüttelte den Kopf.
„Viel zu dunkel. Oder willst du Depressionen bekommen?“
„Wozu gibt es Lampen?“, gab Hannes zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Siehst du doch, dass die nicht viel bringen. Die Lampen sind viel zu schwach, der Boden fängt fast alles auf“
„Nur weil du auf so sterile, neumodische Wohnungen stehst....“
So ging die Diskutiererei weiter und der Makler schien langsam zu verzweifeln, weil wir uns nicht einig werden konnten.
Wir vertagten das ganze auf den nächsten Tag, aber auch da lief es nicht viel besser.
„Nein, wir werden hier nicht einziehen!“, rief ich aus, als wir schon wieder in so einem dunklen Kasten standen. „Was hast du denn immer mit deinen dunklen Wohnungen? Die sind doch viel zu düster!“
„Sagt der Richtige, mit seinen kalten Räumen! Die haben überhaupt nichts gemütliches an sich!“, zickte er zurück.
Als ich den leicht angenervten Blick des Maklers bemerkte packte ich Hannes am Arm. „Entschuldigen Sie uns für einen Moment“, lächelte ich ihn an und zog Hannes in einen der Nebenräume.
Genervt fuhr ich mir durch die Haare, als sich Hannes von mir losriss. Ja, wir waren beide schon ziemlich angepisst.
„So langsam müssen wir uns mal entscheiden“, gab ich zu bedenken.
„An mir liegt es nicht!“, knurrte er. „Aber ich ziehe nicht in so eine leblose Wohnung! Kann ja sein, dass du das so gewohnt bist, aber...“
„Ist ja gut, ich hab's verstanden“, unterbrach ich ihn, bevor das jetzt ausartete. Schweigend standen wir uns gegenüber, Hannes die Arme vor der Brust verschränkte und ich mit meinen Händen in meinem Nacken verschränkt.
„Wir lassen das“, knurrte ich schließlich.
Sein Blick schoss zu mir. Misstrauisch warf er ein: „Aber du hast unsere zwei Daddys gehört, wir...“
„...sollen zusammenziehen ja! Aber ganz ehrlich: Wir werden uns sowieso nicht einig. Also: Wann ziehst du bei mir ein?“
„Bei dir? Warum soll ICH bei DIR einziehen? Wie wärs, wenn du zu mir zeihst?“
Verdammte Zicke. Betont langsam atmete ich aus. „Weil ich zufällig von Mr. Kay weiß, dass deine Wohnung eigentlich nur eine Übergangslösung ist, weil sie eigentlich angeblich viel zu klein ist und zu schlecht zum Sichern. Deshalb ziehst du zu mir, ich habe keine Lust, dass diese dämlichen Papparazzi meine Sachen durchwühlen!“
Ich konnte sehen, wie Hannes mit den Zähnen mahlte, sein Kiefer trat trotzig hervor. Mit einem widerwilligen Knurren stimmte er schließlich zu.
Ich setzte ein strahlendes Lächeln auf. „Dann wäre das ja geklärt“ Ich öffnete die Tür und ließ Hannes vor.
Manchmal sind Paparazzi wie kleine Kinder, man kann sie mit kleinen Dingen so einfach von den Großen ablenken. Valentin und ich setzten uns in einen nahe gelegenem Park und hielten Händchen, während mein Hab und Gut aus der einen in die andere Wohnung geschafft wurde und keiner bekam letzteres mit. Ich versteckte mein Gesicht hinter einer riesigen Sonnenbrille und pflanzte meinen Kopf auf Satons Schoß. So lag ich da, schaute in den Himmel und verfluchte mal wieder unsere Manager. Am schwersten fiel es mir, meine Schwester, meine beste Freundin, anzulügen, jedes Mal wenn sie mich besuchen kam oder auch nur in die Zeitung schaute.
Valentin beugte sich zu mir hinunter und drückte mir kurz die Lippen auf den Mund. Sofort ging das Blitzlichtgewitter von neuem los.
„Du kannst es einfach nicht lassen, oder?“, flüsterte ich und hätte ihm am liebsten sein Grinsen aus dem Gesicht geprügelt. Gleichzeitig kannte ich das Spielchen schon und wusste, wie sehr ihn eine gereizte Entgegnung von mir erheitern würde. Also beließ ich es dabei.
„Nein, das kann ich nicht.“
„Mr. Bennett, könnten sie für uns die Brille abnehmen?“
Ich zog nur die Augenbrauen hoch und ignorierte sowohl diese als auch alle folgenden Bitten.
Mein Handy klingelte und während ich ran ging, spielte Valentin mit meinen Fingern, streichelte meine Handinnenflächen.
„Hallo Schwesterherz.“
„Hey Hannes, Kyle und ich kommen am Wochenende nach Hollywood. Hast du Zeit für uns.“
„Klar, immer. Aber... ich wohne jetzt bei Valentin, also...“
„Wow, das ist wirklich cool. Du warst doch eh mehr bei ihm als zu Hause, oder?“ Ich zog schon wieder die Augenbrauen hoch und versuchte, Saton so gut wie möglich zu ignorieren.
„Ja, es war auch ziemlich spontan, weil ich kaum mehr Klamotten bei mir hatte und dann haben wir einfach beschlossen, dass er ein Stück seines Kleiderschranks frei räumt.“
„Dann frag ihn mal, ob es okay ist, wenn wir sein Gästezimmer beziehen. Uns reicht auch ein Bett.“
Im Hintergrund hörte ich meinen besten Freunde lachen.
„Saton, macht es dir was aus, wenn Kyle und Emma am Wochenende bei uns pennen.“
„Natürlich nicht.“
Ich knuffte ihn in die Schulter.
„Eurem Besuch steht nichts im Wege. Wir lassen euch am Flughafen abholen. Bis Freitag.“
Ich legte auf und Satons Grinsen wurde immer breiter. Wieder beugte er sich zu mir hinunter und sprach an meine Lippen.
„Dir ist bewusst, dass du jetzt die Couch räumen und in mein Bett ziehen musst, oder?“
Vor Schreck wäre ich beinahe von der Bank gefallen.
Gähnend schlug ich die Augen auf und rieb mir das Gesicht. Hannes und ich waren gestern noch im „Hollywood“ gewesen und ich hatte ein bisschen über meinen Durst getrunken. Ein Glück hatten wir heute frei.
Seufzend streckte ich mich, bevor ich auf die Uhr sah. Es war fast Mittag. Brummend stand ich auf und lief Richtung Tür. Kaffee.
Fluchend stolperte ich und konnte mich am Sofa gerade noch abfangen. Als ich über die Schulter sah, erkannte ich den Übeltäter: eine Lederjacke.
Ach stimmt. Hannes wohnte ja jetzt hier. „Hast du Stolperfallen ausgelegt, oder was?“, brummte ich, als er mich verschlafen ansah.
„Wollte nur sicher gehen, dass ich nachts nicht überfallen werde“, konterte er zurück und rieb sich ebenfalls über die Augen.
Ich gab ein unbestimmtes Brummen von mir und rappelte mich wieder auf. Als ich Richtung Küchentheke ging blieb ich blinzelnd stehen.
Wow. Ich blinzelte nochmal. „Hast du ne Party gefeiert?“
„Ich hatte Hunger“, kam es vom Sofa. „Übrigens, ist dir bewusst, dass du so gut wie überhaupt nichts zum Essen da hast? Gut, dass die Möbelpacker meinen Kühlschrankinhalt auch noch mitgenommen haben“
„Ich bin ja auch so gut wie nie da“, gab ich zurück und blickte auf das Tellerchaos. Ich war zwar kein Ordnungsfanatiker, aber... okay, doch war ich. Zumindest ein bisschen.
Während Hannes auf den Sofa liegen blieb machte ich mich daran, die Teller in die Spülmaschine zu räumen, die soeben eingeweiht wurde. Seit ich hier wohnte hatte ich vielleicht drei Mal hier gegessen und für einen Teller lohnte sich die Maschine einfach nicht.
„Bist du in der Früh immer so wach“, brummte er.
„Nein. Normalerweise nicht. Aber normalerweise ist meine Wohnung auch nicht Opfer eines Anschlags“
„Jetzt übertreib mal nicht“ Ich zuckte zusammen, als Hannes plötzlich hinter mir stand und mir eine Kaffeetasse hinhielt. „Trink und ich mach das. Konnte ja nicht ahnen, dass ich zu einem Putzteufel ziehe“
Ich setzte mich auf einen der Barhocker und musterte ihn unauffällig, während er weiter einräumte und sein Chaos beseitigte. Er trug nur eine Jogginghose, so dass ich freie Sicht auf seinen Rücken hatte, unter dessen Haut sich die Muskeln je nach Bewegung anspannten.
„Du hast ein Tattoo“, stellte ich fest und Hannes nickte nur.
„Ja, schon eine ganze Weile“
Stumm verfolgte ich mit meinen Augen die schwarzen Linien, die sich in einem eleganten Muster von seiner linken Schulter bis zu seiner Wirbelsäule über seine glatte Haut schlangen.
„Cool“ Mehr sagte ich nicht dazu und trank von meinem Kaffee.
„Wo sind die Taps für die Spülmaschine?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Hab die noch nie verwendet“
Hannes warf mir einen überraschten Blick zu. „Noch nie?“
Ich schüttelte den Kopf. „Bin ja kaum hier. Und wenn lohnt sich die Spülmaschine nicht“
Hannes wirkte schockiert. „Du hast so ne große Wohnung und willst mir sagen, dass du, wenn du zuhause bist immer alleine hier bist?“
Ich schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Celine ist öfter hier, aber da ich ja, wie du gemerkt hast, eh nie was zu essen hier habe, habe ich sie meistens irgendwohin eingeladen“
Ich war zwar ein großer Fan des geordneten Chaos, aber dafür bestand ich immer auf frisches Essen, möglichst auch noch gesund. Das dürften wohl zwei Streitpunkte zwischen Saton und mir sein. Obwohl, ich konnte ihn ab heute bekochen und er vielleicht meinen Drang, alles in der Gegend herum zu schmeißen etwas bändigen. Wir mussten das Beste daraus machen.
„Deal: Ich gehe nachher mit Shane einkaufen und du bringst die Bude soweit auf Vordermann, dass Kyle und Emma morgen ohne Gefahr durch den Flur laufen können.“
Valentin sah mich etwas entgeistert an.
„Du willst, dass ich mich durch dieses Durcheinander grabe?“
Ich grinste.
„Dazu sage ich nur drei Dinge. Erstens: So viel Chaos konnte ich noch gar nicht anrichten, ich bin erst seit einem Tagen hier. Zweitens: Ich muss dafür mal wieder gegen Paparazzi kämpfen, die unbedingt herausfinden wollen, was für ein Duschgel wir benutzen. Drittens: Dafür sind wir ein Paar, Schatz.“
Grinsend ging ich vor dem Spüllappen in Deckung, der da auf mich zu geflogen kam. Tja, Saton, ich schlage dich mit deinen Waffen. Das mit der Pärchen Kiste kann ich genau so gut wie du.
Ich griff nach meinem Handy und rief meinen Bodyguard an. Eine halbe Stunde später wurde ich abgeholt, Valentin hatte sich schon in der Abstellkammer vergraben.
„Ciao, Babe.“
Ein Mittelfinger war seine Verabschiedung für mich.
Mein erster Blick fiel auf die Uhr und ich war schlagartig wach. Verdammt, viertel vor zwölf, gleich würden Julian und Markus mit Kyle und meiner Schwester hier ankommen. Ich schwang mich von der Couch und zuckte zusammen, als ich Valentin an der Küchentheke sitzen sah.
„Wäre zu viel verlangt gewesen, mich zu wecken, oder?“, sagte ich unfreundlicher, als ich es gewollt hatte.
„Ich sehe dir eben so gern beim Schlafen zu.“, hauchte Saton und ich musste grinsen.
„Okay du Romantiker. Dann mach mir wenigstens einen Tee.“
Mein Mitbewohner grinste und schob mir nur eine Tasse zu.
„Ich hab an alles gedacht, schließlich will ich ja nicht, dass du komplett ins offene Messer läufst. Du musst nämlich noch dein Bettzeug hier wegschaffen.“
Ich fluchte leise, packte meine Decke und das Kissen und starrte zu meinen Schlafplatz zurück.
„Ciao, geliebte Couch. Ich werde dich vermissen, aber dieser Idiot dahinten will dich mir einfach so wegnehmen. Aber ich schwöre dir, ich komme zurück.“
Valentin seuftzte theatralisch und ich tapste mit einem letzten wehmütigen Blick in Satons Schlafzimmer. Dort legte ich die Bettwäsche ordentlich zusammen (was mir wirklich schwer fiel) und zog mich dann hastig um. Kaum stand ich wieder bei Valentin in der Küche und hatte meinen ersten Schluck Tee genommen, als es klingelte.
„Unsere Gäste sind hier. Schade, ich hätte dich gerne noch länger als Idiot bezeichnet.“
Grinsend ging ich zur Tür und wurde von Emma beinahe umgerannt. Sie stürzte in meine Arme, als hätte sie mich seit Jahren nicht mehr gesehen. Auch Kyle hinter ihr wirkte ganz hibbelig, während sowohl Markus als auch Julian die Szene mit einem Grinsen betrachteten.
„Paket abgeliefert, wir ziehen uns zurück.“, feixte Julian und ich winkte den Beiden zu, als sie die Treppe hinunter liefen.
Kyle war dabei, Valentin zu begrüßen.
„Weißt du, seit ich weiß, dass du schwul bist, finde ich dich noch heißer. Aber zu deinem Glück bin ich meinem Freund treu.“
Valentin hatte sich noch immer nicht ganz an diese offene Art von Kyle gewöhnt und schien etwas überfordert, trotzdem verstanden sich die Beiden ganz gut. Und mir zog sich mal wieder das Herz zusammen, wenn ich daran dachte, dass ich hier die tollsten Menschen der Welt schamlos belog.
Ich lag im Bett und starrte an die Decke. Im Wohnzimmer hörte ich Emma kichern. Ich versuchte zu ignorieren, dass Valentin gerade neben mir unter die Decke schlüpfte. Hiermit hatten wir noch eine Grenze überschritten. Verdammt noch mal, langsam kam mir die Beziehungskiste wirklich wahnsinnig real vor. Ein gemeinsamer Job, eine gemeinsame Wohnung und jetzt auch noch ein Ehebett. Nichts in meinem Leben fand mehr ohne Valentin statt und auch wenn er ein netter Kerl war, als Geschwür an meinem Arsch wollte ich ihn nicht kleben haben. Aber nun gut, es hatten bestimmt schon andere Schauspieler eine Fake-Beziehung durchgestanden, also würden wir das auch hinbekommen.
„Gute Nacht.“
Valentin drehte sich von mir weg und war schnell eingeschlafen. Im Wohnzimmer hörte ich Emma und Kyle leise flüstern, dann war alles still. Verdammt, ich würde einfach glücklich sein, jetzt wo meine Schwester und mein bester Freund hier waren. Nach der Zeit würde ich mich schon an den Mann in meinem Bett gewöhnen.
Ich tat als würde ich schlafen, während ich verdrängte, wie lange es her war, dass ein Mann in meinem Bett gelegen hatte. 3 Jahren und 8 Monaten. Verdammt.
Hannes verlagerte unruhig sein Gewicht. Ich spürte jede seiner Bewegungen. Ich spürte auch die angespannte Stimmung, die überall in der Luft war, ähnlich wie der angenehme, würzige Geruch seines Duschgels.
Aus dem Wohnzimmer konnte man Kyle und Emmas leise Stimmen hören, ohne wirklich zu verstehen, über was die beiden da sprachen.
Wieder drehte sich Hannes herum und stieß ein leises Seufzen aus. Wahrscheinlich grübelte er wieder über irgendwelche düsteren Gedanken. Mir war nicht entgangen, dass diese ganze Lügengeschichte ihm ganz schön aufs Gemüt schlug. Okay, ich mochte diese Lügerei auch nicht, aber um ehrlich zu sein genoss ich Hannes Gesellschaft. Die Wohnung, die selbst für zwei Leute noch viel zu groß war, wirkte nicht mehr ganz so drückend leer.
Aber die Tatsache, dass er seine Freunde und seine Familie belog belastete ihn, auch wenn er kein Wort darüber verlor.
Im Nebenzimmer wurde es nun leise. Ich starrte in der Dunkelheit an die Wand und fragte mich, wie lange unsere „Beziehung“ wohl noch anhalten würde.
Schließlich stieß Hannes einen gemurmelten Fluch aus und ich spürte seinen prüfenden, strengen Blick in meinem Rücken.
Ich widerstand den Drang, mich unter seinem musternden Blick unwillkürlich anzuspannen und schloss die Augen.
Irgendwann drehte er mir endlich den Rücken zu und spürte, wie die Müdigkeit meine Gedanken langsam beiseite schob.
Als ich am Morgen aufwachte, wollte ich mich verschlafen zur Seite drehen, wurde jedoch von einem stetigen Druck unten gehalten.
Verwirrt schlug ich die Augen auf und hob den Kopf. Hannes lag auf dem Bauch, seinen Kopf auf meine Brust gelegt. Sein Arm lag locker über meinem Bauch und meine Hand an seinem Rücken.
Ich schmunzelte. „Aber ich soll auf meiner Seite des Bettes bleiben, ja?“, murmelte ich, seine nur halbwegs scherzhaft gemeinte Warnung in meinem Ohr.
Ich beschloss, ihn nicht zu wecken. Er sah immer noch müde aus und wer wusste schon, wie lange er gestern noch wach gelegen hatte.
Also ließ ich meinen Kopf wieder sinken und starrte an die Decke. Ich spürte seinen warmen Atem an meiner Brust und schauderte. Deprimiert stellte ich fest, dass der letzte richtige Körperkontakt auch schon an die vier Jahre her war.
Verdammtes Hollywood. Aber ein Glück konnte ich das nach dieser Geschichte ja endlich nachholen.
Träge verlagerte sich das Gewicht auf meiner Brust, Hannes schlug müde die Augen auf und wandte verwirrt seinen Kopf zur Seite, als würde er sich erst einmal orientieren müssen…
Dann riss dann erschrocken die Augen auf.
Ich grinste ihn nur breit an. „Morgen“
Er starrte mich düster an. „Hättest du mich nicht wecken können?“
„Wollte ich nicht“, meinte ich nur schulterzuckend.
Ich wollte dich nicht wecken????
Ja, tut mir leid, der ganze Raum stand schon lichterloh in Flammen, aber du hast so schön geschlafen, da wollte ich dich nicht wecken. Wahnsinnig guter Vergleich zu der Situation eben.
„Weißt du, es gibt Menschen die es durchaus verstörend finden, in den Armen eines Kerls aufzuwachen.“
Noch bevor Valentin darauf etwas antworten konnte, klopfte es leise an der Tür und Kyle öffnete sie vorsichtig. Mein verdammter Kopf lag immer noch auf Satons Brust. Es dauerte eine Schrecksekunde bis ich begriff, dass das gut war.
„Morgen ihr Turteltauben, ich wollte euch nicht stören.“, er grinste breit. „Naja, eigentlich schon...“
Valentin grinste und schlang den Arm enger um mich.
„Ich fahre zum Bäcker, kann ich euch was spezielles Mitbringen.“
Nachdem Valentin ganz gewöhnliche Brötchen bestellt und ich meine Wunschliste herunter gerattert hatte, verließ mein bester Freund das Zimmer wieder. Im Hinausgehen drehte er sich noch einmal um.
„Ganz ehrlich, Jungs. Ich hatte mir erhofft, mehr zu sehen. Nun gut, bei Hannes wäre das sowieso nichts Neues.“
Damit war er verschwunden und ich dem verwirrten Valentin die Geschichte über meine erste Erfahrung mit einem anderen Mann schuldig.
„Was mein er damit?“ Valentin musterte mich halb misstrauisch, halb belustigt.
Ich lehnte mich gegen die Wand hinter dem Bett.
„Schau mich nicht so an, ich erzähl es dir ja.“
Ich holte tief Luft.
„Kyle und ich kennen uns schon seit ein paar Jahren. Meine Freundin hat sich von mir getrennt und ich bin sofort in eine Kneipe und hab die Trennung mit meinem guten Freund Scotch verarbeitet.“
Ich starrte auf meine Fingernägel, nicht, weil es mir peinlich war, wie Kyle und ich uns kennen gelernt hatten, sondern weil mir es peinlich war, dass genau Valentin neben mir saß und mich mit seinen Blicken durchbohrte.
„Kyle hat mich dort an der Bar angesprochen und naja, unser Gespräch endete in den Toilettenräumen mit seinem Rücken an der Wand. Ich erspare dir Details.“
Jetzt grinste Saton.
„Also hatte mein heißgeliebter Hetero-Freund etwas mit einem Mann?“
Ich nickte, überzeugt davon, dass meine Wangen knallrot waren.
„Jap. Man muss alles Mal ausprobiert haben.“
„Ich bin ja etwas enttäuscht, dass ich nicht der erste Mann war, den du geküsst hast.“
Ich stand auf und schlüpfte in mein T-Shirt.
„Aber du bist der letzte, das verspreche ich dir.“
Er grinste noch immer, als ich das Zimmer schon verließ.
Wir frühstückten ausgiebig. Kyle hatte Brötchen geholt und im Supermarkt Nuss-Nougat-Creme, Konfitüre und Orangen gekauft. Dazu weich gekochte Eier und Gemüsesticks. Ich sollte wirklich eine Fake-Beziehung mit Kyle führen, da würde ich wenigstens nicht verhungern.
Valentin schien es auch zu schmecken und ich beschloss, dass es so ein Samstagsfrühstück jetzt jede Woche geben würde, schließlich musste Saton auch meine Zickereien wegen zu viel Körperkontakt ertragen.
Eine viertel Stunde später war die Küche wieder im klinisch reinen Zustand und nach einer gemeinsamen runde Zähne putzen in unserem riesigen Bad, was sage ich, Badetempel, brachen wir auf, Valentin und ich mit Mütze und Sonnenbrille, damit man uns wenigstens die ersten fünf Minuten nicht erkannte.
Zusammen mit Shane bildeten wir eine lustige Runde, vor allem weil auch der Bodyguard heute in Jeans gekleidet war und viel lockerer wirkte. Klar, in den ersten Wochen war er über vorsichtig gewesen, einen Star zu Babysitten war etwas ganz anderes als Türsteher in einem Club zu sein. Inzwischen hatte mein persönlicher Bodyguard seine Routine gefunden und war weniger angespannt.
Es war irgendwie ironisch, dass wir eine Stunde später in einem dieser Busse saßen, die Touristen durch Hollywood fuhren und an den Häusern der Berühmtesten anhielten. Valentin und ich lachten uns heimlich ins Fäustchen, so schlimm erging es uns noch nicht.
Mit von der Partie waren erstaunlich viele Senioren und so blieb uns eine Autogrammstunde erspart.
Nachdem wir sämtliche Sehenswürdigkeiten von Hollywood abgeklappert hatten, schlenderten wir durch die Straßen. Nur zwei Paparazzi hefteten sich an unsere Fersen, was eine der Omis aus dem Bus ziemlich irritierte.
Kyle und Emma gaben sich ganz professionell, sie taten einfach so, als würden da keine Männer mit riesigen Kameras hinter uns stehen und jeden Schritt dokumentieren.
Ich beneidete sie dafür.
Saton hatte einen Arm um meine Hüfte gelegt und wir warfen immer wieder Blicke in die Schaufenster. Hin und wieder verschwand Kyle in einer der Boutiquen und kam gefühlte Stunden später wieder heraus, freudestrahlend.
Als wäre sein Kleiderschrank nicht schon voll genug.
Immer wenn unsere Verfolger glaubten, Valentin würde mir etwas wahnsinnig Romantisches ins Ohr flüstern, beschwerte er sich nur über den Shopping-Wahn meines besten Freundes.
Mein Lächeln war nicht verliebt sondern zustimmend.
Plötzlich rutschten Satons Finger in meine hintere Hosentasche und lagen damit mitten auf meinem Arsch. Ich versuchte mein Erschrecken zu verbergen, küsste ihn, weil ich nicht wusste, wie ich sonst hätte reagieren sollen.
Valentin grinste mich feixend an und ich hätte ihn am liebsten getreten, schon wieder.
Genau in diesem Moment kam Kyle mit einer riesigen Tüte aus einer Tür, selbst Emma hinter ihm schien allmählich genervt.
Wir zogen weiter zum Pub Valentins Hand noch immer dort, wo er sie zuletzt hingelegt hatte. Das mit dem Frühstück musste ich mir noch mal überlegen.
Am nächsten Tag stand in der Zeitung:
Valentin Saton und Hannes Bennett genießen gemeinsam mit Freunden ihr freies Wochenende. Die beiden wirken noch immer wie frisch verliebt (Hallo, das klingt nach dreißig Ehejahren und nicht nach zwei Monaten Beziehung)
Das Warten auf die interne Shopping-Queen wurde mit süßen Küssen belohnt, die Turteltauben lassen sich auch von Fotografen nicht aus der Ruhe bringen. (Von wegen, ich bin nur ein guter Schauspieler)
Kaum nachdem Kyle und Emma wieder gefahren waren, hatte Hannes auch sein Sofa wieder bezogen. Nicht, dass mich das wirklich störte, aber irgendwie hinterließ es einen schalen Geschmack.
Ich schob das seltsame Gefühl, als ich aus meinem Zimmer trat und Hannes auf dem Sofa schlafen sah, einfach auf den Alkohol, den wir vier gestern noch zu uns genommen hatten.
Gähnend machte ich mich an der Kaffeemaschine zu schaffen und hob Hannes Jacke vom Boden auf. Wirklich, konnte er nicht wenigstens ein kleines bisschen Ordnung halten? Ja ich hatte eine Putzfrau, aber die Arme hatte mit den großen Räumen eh schon genug zu tun.
Aus den Augenwinkeln entdeckte ich mein Handy auf dem großen Glastisch vor dem Sofa, das aufgeregt blinkte. Anscheinend hatte ich es gestern vergessen.
Zehn Anrufe von David. Ich runzelte die Stirn, als es auch schon klingelte. Im gleichen Moment bekam ich eine SMS.
-Steh vor deiner Tür du Pappnase! Mach auf, wenn du schon nicht ans Handy gehst! D.-
Schlaftrunken richtete sich Hannes hinter mir auf, als es nochmals klingelte. „Was wollen die hier, mitten in der Nacht?“
„Es ist fast Mittag, du Schlafmütze“
Mit gerunzelter Stirn öffnete ich die Tür und ließ David herein.
„Ihr habt ja einen verdammt tiefen Schlaf. Ich hab zehnmal… War zur Hölle macht Hannes auf dem Sofa?“ Sein Ton wechselte von leicht amüsiert zu gereizt.
Hannes runzelte die Stirn. „Krokodile jagen. Nach was sieht es denn aus?“
Davids Blick schoss zwischen ihm und mir hin und her, bis ich mir schließlich angespannt mit der Hand übers Gesicht fuhr. Was mich anging: Ich wollte jetzt erst einmal meinen Kaffee.
„Das geht so nicht, Jungs! Wenn das jemand mitbekommt ist die ganze Story im Arsch! Wie kommt das denn, wenn Hannes auf der Couch pennt?“
Vorsichtig schielte ich über den Rand meiner Kaffeetasse rüber zu Hannes, der aussah, als würde er meinem Manager gleich den Kopf abbeißen. Wut spiegelte sich in seinem Gesicht und eine ordentliche Ladung Frust.
„Was zur Hölle wollt ihr denn noch von mir?“, knurrte er. „Erst soll ich den Homo geben, okay hab ich kein Problem damit, ich wohne mit Valentin zusammen, zugegeben: ich habs mir schlimmer vorgestellt, aber zur Hölle, ich werde nicht mit einem Kerl das Bett teilen, irgendwo hört es ja wohl auf!“
Ich unterdrückte ein Seufzen, ignorierte den kleinen Freudenhüpfer meines Herzens über Hannes kleines Zugeständnis.
David rieb sich seufzend mit Zeigefinger und Daumen an der Nasenwurzel, als ob er Kopfschmerzen hätte. „Ständig diese Diskussionen! Ich bezweifle, dass Valentin im Bett über dich herfallen wird. Und Fakt ist: Kommt das raus kannst du dir deinen Welpenschutz knicken und es wird überall in den Medien sein, dass du durch deine gespielte Homosexualität Valentin was vor gemacht hättest und dich vor der Vaterschaft drücken wolltest! Was meinst du, was dann los ist!“
Ich hielt mich da raus. Hannes war sowieso schon nicht gut auf mich zu sprechen, hatte sich gestern Abend noch ganz schön aufgeregt, weil ich ihm beim Shoppen so „an die Wäsche“ gegangen bin. Ich hatte nicht viel gesagt und seine Schimpftirade über mich ergehen lassen, ich hatte im Endeffekt meinen Spaß gehabt. Und verdammt nochmal, nach vier Jahren Durststrecke durfte ich es ja wohl mal ausnutzen, mich mit einem Mann zu zeigen. Auch wenn der eigentlich hetero war.
Irgendwann hatten die beiden endlich fertig gezankt, Hannes hatte mit viel Fluchen nachgegeben und David hatte uns noch zwei Einladungen für irgendein wichtiges Charity-Event hingeworfen, die in seinem Büro gelandet waren und war dann gegangen.
Ich vermied es, Hannes anzusprechen, in seinem Inneren kochte es. Trotzdem stand ich auf und stellte vor ihm eine besonders große Tasse Kaffee ab. Aufmunternd klopfte ich ihm auf die Schulter und ging dann ins Bad. Ich brauchte jetzt erst einmal eine Dusche.
Als ich aus der Dusche zurückkam, saß Hannes immer noch mit der Tasse Kaffee in der Hand auf dem Sofa. Seufzend rieb er mit seiner Hand über seinen Nacken und starrte vor sich auf den Boden.
„Alles okay bei dir?“, fragte ich zögernd nach. Er sah auf und wollte seinen Kopf mir zu drehen, verzog aber dann schmerzhaft das Gesicht und wandte sich mit seinem gesamten Oberkörper mir zu. Ich runzelte die Stirn.
Er zuckte mit den Schultern. „Auf den Auftritt deines Managers hätte ich auch verzichten können“
„Das dachte ich mir schon. Und sonst?“
Jetzt sah er mich fragend an und wandte sich schließlich unter meinem musternden Blick ab. Er schien seinen Hals nicht wirklich bewegen zu können, aber da er nichts sagte, hakte ich nach: „Nackenschmerzen?“
„Ja“, brummte er. „Kann mich fast nicht bewegen“
Ich betrachtete ihn von der Tür aus, die Hände in den Taschen meiner Jeans begraben. „Naja, ab heute darfst du ja in einem weichen Bett schlafen“
Der Blick, der mich traf war praktisch eine Morddrohung. Zornig erwiderte ich seinen Blick. „Du tust, als hätte ich dich vergewaltigt, als Kyle und Emma hier geschlafen haben! Hab ich irgendwas gemacht? Nein! Also stell dich nicht so an, verdammt nochmal! Auf einem zwei Meter breiten Bett kann man sich ja wohl aus dem Weg gehen, oder?“ Wütend starrte ich ihn an. Er tat immer so, als wäre nur er derjenige, der sich in dieser beschissenen Situation wiederfand! Ich log auch viele Menschen an und musste zudem noch seine Launen aushalten!
Überrascht sah er mich an. Frustriert stieß ich die Luft aus. Ich wusste, warum ich heute so schlechte Laune hatte. Trotz des kleinen Streites, den Hannes und ich gestern gehabt hatten, hatte ich diese Nacht von Hannes geträumt. Und das beunruhigte mich. Ich hoffte, dass es bei dem einen Mal blieb, da ich das Ganze nicht noch komplizierter machen wollte. Außerdem hielt ich Hannes abweisende Art heute einfach nicht aus.
Hannes fluchte leise, lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Angespannt saß er da, die Augen zusammengekniffen.
Seufzend ging ich auf das Sofa zu und setzte mich neben ihn. Bevor er etwas sagen konnte, lagen meine Hände auf seinen Schultern und drückten vorsichtig in die versteiften Muskeln. Zischend zog er die Luft ein, aber scheinbar eher aus Überraschung, da ich nicht fest genug zugedrückt hatte, als dass ich ihm hätte wehtun können. Er war hart wie ein Brett, kein Wunder, dass er Schmerzen hatte.
„Zieh dein Oberteil aus“, bat ich. Als ich nicht reagierte, verdrehte ich genervt die Augen. „Ich will dir helfen, Mann, also runter damit“
Zögernd schälte er sich reichlich steif und umständlich aus dem T-Shirt und warf es, zu meinem Missfallen, einfach auf den Boden.
Er sagte nichts, als meine Hände an seine Schultern zurückkehrten und die harten Muskeln mit kreisenden Bewegungen kneteten. Unbewusst lehnte sich der Mann mir entgegen.
Langsam wurden die steifen Schultern nachgiebiger und ein leises Seufzen entkam ihm.
„Leg dich mal auf den Bauch“ Sein Blick schoss zu mir, doch er kam meiner Aufforderung nach. Na sieh einer an.
Während ich meine Beine links und rechts neben seine Hüfte platzierte und mich über ihn lehnte, kam mir auf einmal wieder die Story mit Kyle in den Sinn. Um mich abzulenken knetete ich die Muskeln weiter. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich freute, dass er etwas mit einem Mann gehabt hatte. Einerseits hieß das, dass er diesbezüglich wohl keine Probleme hatte. Andererseits hatte er auch klar gemacht, dass es bei dem einem Mal wohl bleiben würde. Was meine Frustration aus irgendeinem Grund nur noch weiter steigerte. Wahrscheinlich lag es einfach daran, dass ich nach meinem Outing noch genauso eingesperrt und festgenagelt war wie davor.
„Woher kannst du das so gut?“, murmelte er, sogar seine Stimme klang entspannt und riss mich damit aus meinen Gedanken.
„Vor vier Jahren hatte ich eine Physiotherapeutin als Mitbewohnerin. Sie verstand sich wirklich aufs Muskeln kneten, war ja auch ihr Job. Auf jeden Fall hat sie mich praktisch ihrer persönlichen Massageschule unterworfen, da das ihrer Meinung nach jeder Mann können muss“, meinte ich lächelnd.
„Hattest du was mit ihr?“
Ich verzog den Mund. „Ich bin schwul, falls du das vergessen hast“
„Ich bin auch hetero und hatte was mit Kyle“, gab Hannes ungerührt zurück.
„Ich aber nicht. Sie wollte zwar was von mir, aber ich hab sie immer abblitzen lassen“
„Wusste sie, dass du schwul bist?“
Ich schüttelte den Kopf. „Das wusste damals so gut wie niemand. Ich war eigentlich noch nie wirklich geoutet. Hab mir zu große Gedanken um die Meinung anderer gemacht“
Ich ließ von seinen Schultern ab und Hannes seufzte verhalten. „Besser?“, fragte ich nach, als er vorsichtig seinen Hals nach links und rechts bewegte.
„Ja, viel besser. Danke Mann“, freundschaftlich schlug er mir auf die Schulter.
Ich schloss den letzten Knopf meines Hemdes und zog den Sakko über den blauen Stoff. Trotz dieser ungewohnten Kleidung konnte ich das Grinsen nicht von meinem Gesicht verbannen. Und das, über was ich mich so freute stellt sogar die Tatsache in den Schatten, dass David mich gezwungen hatte, wieder in Valentins Bett einzuziehen.
Wir würden auf eine Charity -Veranstaltung gehen und Wohltätigkeitsevents sind so ungefähr das Beste, was man tun kann, wenn man zu viel Geld hat.
Ich hatte schon immer viel gespendet und erst, als Satons Manager mit der Veranstaltung heute Abend ankam, wurde mir klar, dass ich jetzt, als waschechter Promi, wirklich was bewegen konnte, wenn ich mich auf den richtigen Galen zeigte und für die tolle Organisationen spendete. Verdammt, ich hatte wirklich gute Laune. Und das, obwohl ich auf meine geliebte Mütze verzichten musste und mein Haar ausnahmsweise mal zu einem winzigen Zopf zusammen gebunden trug.
Valentin wartete mit Markus und Julian im Wohnzimmer, selbst die Bodyguards wirken irgendwie herausgeputzt.
Noch immer mit einem breiten Grinsen schlang ich die Arme um Valentin und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Man, solche Tage sollte es öfters geben.
Mein „Freund“ schien sichtlich verwirrt, Julian und Markus grinsten verschwörerisch.
„Komm, Bärchen, ich bin fertig, wir können los.“
Für das Bärchen fing ich mir tatsächlich einen Stoß in die Rippen ein.
Ich war selbst etwas erstaunt über meine gute Laune, genoss es aber, mir mal keine Gedanken über irgendetwas zu machen. Mir war es auch egal, ob Valentin meine Hand hielt oder mir ab und zu einen Kuss auf die Stirn drückte. Wir kamen am Hintereingang an, der von Horden von Bodyguards gesichert wurde, die Limo fuhr gleich weiter, nachdem wir ausgestiegen waren, Julian und Markus direkt hinter uns.
Wir wurden von Frauen begrüßt, die wie Mrs. Howard immer geschäftig hin und her hetzten, Klemmbretter und Smartphones in der Hand. Später im Fernsehen würde man davon nichts mehr sehen.
Es war bereits andere Prominenz vor Ort, die Frauen kamen uns entgegen, Küsschen links, Küsschen rechts, der ein oder andere Kerl klopfte uns auf die Schulter.
Das war wieder weniger mein Ding, aber es war ja für einen guten Zweck. Nachher würden Interviews stattfinden, die Leiter der Organisationen würden Reden halten und dann gab es noch eine „Posen auf dem roten Teppich“ Aktion.
Ich lächelte charmant, während ich fremden und mir bekannten Personen die Hände schüttelte, Hannes immer neben mir. Das war unser erster öffentlicher Auftritt als Paar. Glückwünsche wurden mit falschem Lächeln ausgesprochen, dass einem irgendwann schlecht davon wurde, sinnloser Smalltalk mit vielen Leuten betrieben, die man entweder nicht kannte, oder übertriebene Höflichkeit entgegenbrachten.
Ich mochte diese Veranstaltungen nicht sonderlich. Aber Hannes lockerte meine Stimmung etwas. Auch, wenn wir nicht wirklich zusammen waren, fühlte es sich dennoch gut an, ihn an meiner Seite zu haben und nicht allein unter diesen Heuchlern zu stehen.
Meine Hand lag die ganze Zeit über an Hannes Hüfte, mein Griff war vielleicht ein wenig zu fest, aber ich war froh, wenn die künstliche Sympathie vorbei war, und sich jeder um sein Zeug kümmerte.
„Hey, Mann“, eine Hand lachte krachend auf meiner Schulter und Thomas grinste mich breit an. „Freut mich, dass du endlich die Kurve gekriegt hast“ Er war der Erste, bei dem ich überzeugt war, dass er es genauso meinte. Grinsend musterte Thomas Hannes, der ihn diskret aus den Augenwinkeln beobachtete. „Und dann hast du noch so einen süßen Fang gemacht“
Er hatte offensichtlich gute Laune, zwinkerte ihm zu und warf Hannes damit aus dem Konzept. Ich lächelte, während sich ein seltsames Gefühl in mir breit machte und zog Hannes näher an mich. „Ja und wie du richtig erkannt hast, ist das mein Fang“
Thomas lachte. „Keine Panik. Ich bin mittlerweile selbst in festen Händen“ Schließlich reichte er Hannes endlich die Hand. „Thomas, freut mich“
„Hannes“, entgegnete dieser etwas wortkarg, lächelte aber freundlich.
„Du bist noch ziemlich neu in dem Geschäft, nicht wahr? Dein erstes Event?“
Hannes nickte. „Zumindest in der Größenordnung. Aber sehr viel anders als die kleineren ist es hier auch nicht“
Thomas lachte. „Nein, im Endeffekt sind alle Veranstaltungen gleich. Nur das heute alle so tun können, als ob sie sich für die Armen interessieren“ Er zwinkerte mir zu und hob dann verabschiedend die Hand. „Naja, ich muss dann mal weiter. Noch ein paar Hände schütteln. Viel Spaß euch zwei noch, vielleicht sehen wir uns ja nochmal“
„Ihr kennt euch wohl gut, was?“, fragte Hannes neben mir, sein Blick schweifte über die Glimmer-Welt Hollywoods.
Ich nickte. „Einer der wenigen hier, die ich leiden kann“
„Charity-Events sind doch was tolles“, meinte Hannes überzeugt. „Da wird das Geld wenigstens mal sinnvoll ausgegeben“
Ich schnaubte und fing mir einen bösen Blick von Hannes ein. „Die allermeisten hier interessieren sich in aller erster Linie für sich selbst. Diese Events sind nichts weiter, als ein Statussymbol. Jeder versucht mehr zu spenden als der andere, um sein Mitgefühl und seine Gütigkeit auf eine große Plakatwand zu kleben. Morgen erinnert sich kaum einer von denen mehr an irgendeine der Organisationen, während sie ihren Champus trinken“, raunte ich so leise, dass nur er mich hörte, während ich weiter lächelte.
Hannes hatte die Lippen zusammengepresst und warf mir einen finsteren Blick zu und löste sich von mir. „Gehörst wohl auch dazu, was?“ Ich hatte ihn mit mir etwas in den Schatten gezogen, damit wir kurz unsere Ruhe hatten.
„Tut mir leid, ich wollte dich damit nicht aufregen“ Innerlich trat ich mir gewaltig in den Hintern, dafür dass ich Hannes seine gute Laune verdorben hatte. „Ich möchte nur nicht, dass du mit falschen Ansichten hier rein rennst. Ist so schon schwer genug“
„Danke, aber ich kann mir gut meine eigene Meinung bilden“, brummte er und hatte sich mittlerweile den anderen Gästen abgewandt.
Ich biss mir auf die Lippe und fluchte innerlich. Ich Idiot.
„Das heißt, du spendest heute Abend nichts?“, fragte er nach einiger Zeit in der wir uns angeschwiegen hatten.
„Doch sicher. Nichts spenden kann man hier nicht bringen. Aber keine großen Summen. Ich will mich nur nicht auf diesen lächerlichen Marathon einlassen. Meistens merke ich mir die Organisationen und schicke dann nochmal mehr Geld nach ein paar Wochen“
Hannes nickte nur und ich sah ihn aus den Augenwinkeln aus an. Er hatte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Ich fand es schade, dass wir uns zurzeit öfter in die Wolle bekamen, weil ich mich eigentlich gut mit ihm verstand und ihn wirklich mochte. Aber nun gut, gerade eben war ich selber schuld.
„Hör zu, es tut mir wirklich leid, ich wollte dir nicht die Laune verderben“, versuchte ich es nochmal, mit gesenkter Stimme und zuckte hilflos mit den Schultern, als er nicht reagierte. „Ich…“
„Schon gut“, winkte er ab. „Ich habs ja eigentlich schon gewusst. Hab nur gehofft, dass dem nicht der Fall wäre. Also mach dir keinen Kopf“
Ich lächelte erleichtert, bevor ich meiner Aufmerksamkeit wieder dem Event zuwendete. Meine Hände ließ ich vorerst trotzdem bei mir, ich wollte nichts heraufbeschwören.
Ich versuchte meine gute Laune zu bewahren, was allerdings nach Valentins „Gute Laune Totschlag“ so gut wie unmöglich war. Er wusste doch selbst ganz genau, dass ich in letzter Zeit selten gut drauf war. Naja, besser als mich nackt ins Haifischbecken springen zu lassen.
Er war schon schwer in Ordnung, vor allem weil er mich in den letzten Minuten körperlich in Ruhe lies. Das dankte ich ihm, in dem ich mich jetzt an ihn ran machte.
„Mr. Bennett, einen Kommentar zu ihrer Beziehung. Sie gehen ja sehr offen mit ihrer Homosexualität um, wie sind die Reaktionen darauf?“
Ein junger Journalist drängte sich in unser Blickfeld.
Ich zog die Augenbraue hoch.
„Ich denke, dass es heute nicht um meine oder irgendeine andere Beziehung gehen sollte, sondern um die Kinder in der Welt, die in Armut leben.“
Valentin an meiner Seite nickte zustimmend in die Kamera.
Der Journalist setzte zur Widerrede an.
„Hören sie, ich gebe heute nur einen Kommentar über mein Liebesleben ab und das ist folgender, also schaun sie genau hin.“
Damit zog ich Saton an mich und küsste ihn, mit Zunge und allem Drum und Dran.
Dann schoben wir uns, Valentin grinste breit, an dem Kerl vorbei zu den Vortragssälen.
Ich bekam das Grinsen einfach nicht mehr aus meinem Gesicht. Meistens war ich derjenige, der vor den Kameras auf körperliche Nähe mit Hannes ging und dass er mir gerade vor den Kameras die Zunge in den Hals gesteckt hatte bedeutete doch, dass er sich langsam mit der Situation abfand, oder? Ich hoffte es zumindest, ich sah nicht gerne dabei zu, wie er sich deswegen fertig machte.
Allerdings bekam meine Laune bald schon wieder einen Dämpfer. Ich rannte direkt in Curt als ich um eine der vielen Säulen im Saal bog, der zwar einen auf Tolerant machte, aber seine dummen Sprüche vor mir doch nicht lassen konnte. „Reicht dir wohl nicht, deinen Freund antatschen zu können, was?“, knurrte er so leise, dass nur ich ihn hören konnte und rückte sich das Sakko gerade, dass durch unseren Zusammenstoß verrutscht war.
Ich wollte mich eigentlich kommentarlos abwenden, doch er packte mich am Arm und hielt mich zurück. „Hör mir mal gut zu, kleines Sternchen“, knurrte er und zog mich mit in eine Ecke, wo uns die Reporter wohl nicht sehen würden. „Nicht, dass du schon von vornherein ständig Aufmerksamkeit auf dich gezogen hast, denkst du nicht, dass du es mit dieser Homo-Geschichte übertreibst?“, ich riss mich von seinem schmerzhaft festen Griff los und rieb mir den Arm, als ich mich erneut abwandte. Den Scheiß brauchte ich mir nicht anzuhören. „Hey, komm schon, bleib doch kurz da! Valentin!“, wieder packte er mich am Arm und sah hob jetzt beschwichtigend die Hände. „Hör zu, Kleiner, ich weiß doch, dass du ein ganz normaler Mensch bist, auch wenn wir unsere Schwierigkeiten hatten. Wir sind doch bisher in der Arbeit meistens ganz gut klar gekommen? Und ich weiß, du machst dir Sorgen, weil sich die Medien für kurze Zeit auf Hannes und seine Vaterschaft gerichtet haben, aber hey, die Medien verlieren nicht das Interesse an dir, es gibt also keinen Grund, den Homo zu spielen!“
„Du denkst ich habe mich nur geoutet, um Aufmerksamkeit zu bekommen?“, fragte ich entrüstet.
Er zuckte mit hilflos mit den Schultern. „Du warst doch so lange mit Celine zusammen! Komm schon, du kannst mir ruhig sagen, dass da was lief! Und das mit Hannes… er ist doch noch ganz neu im Business. Ich bin sicher, er hat dich dazu überredet, richtig? Er wollte eben auch mehr in den Gesprächen der Zeitungen sein, dass versteh ich ja auch. Aber die Sache mit Hannes… das ist doch echt widerlich! Das musst du doch einsehen? Außerdem ist das auch nicht wirklich gute Werbung für unsere Serie, immerhin spielen wir keine Schwulen-Soap, oder?“
Ich kniff wütend die Augen zusammen. „Hör gut zu Curt, denn ich sage es nur ein einziges Mal: Ich war mit Celine nie zusammen! Ich war die ganze Zeit über schwul! Ich habe die ganzen verdammten vergangenen drei Jahre auf Männer gestanden und daran wird sich auch nichts ändern! Wenn du ein Problem damit hast, dann ist das nicht meins! Und für wen hältst du mich, dass ich mich überreden lassen würde, mit Hannes zusammen zu sein, damit er mehr Aufmerksamkeit bekommt? Das haben weder er noch ich nötig, verstanden? Schönen Abend noch“ Zornig ließ ich meinen „Kollegen“ hinter mir. Heilige Scheiße, er hatte mich ja schon oft aufgeregt, aber bisher hatte ich wenigstens daran geglaubt, dass sich das irgendwann nochmal bessern würde. Dabei war er in den ersten zwei Staffeln wirklich gut mit ihm ausgekommen.
Ich ging hoch zum Buffet, zu dem man über ein paar Stufen kam, die auf einen runden, ca zehn Meter breiten Podest führten, der einmal um den Kreisförmigen Saal verlief. Man hatte so einen einwandfreien Blick auf die große runde Fläche, auf denen sich der Großteil der High-Society befand.
Dankbar nahm ich ein Cocktail-Glas entgegen, das mir eine der Kellnerinnen auf einem Tablett anbot. Sie waren so gekleidet, wie man es eben erwartete: Weiße Bluse, schwarzer, knielanger, enger Rock und eine schwarze Schürze, dazu die Haare elegant hochgesteckt.
Seufzend ließ ich meinen Blick über die Menge streifen. Hin und wieder kamen alte bekannte Gesichter auf mich zu, schüttelten mir die Hände und redeten mit mir über belanglose Dinge. Jedes Mal wurde auch die Sache mit Hannes und mir angesprochen und wie toll sie das doch fanden. Bei ein paar Leuten glaube ich das auch, ein paar weitere konnte ich richtig gut leiden. Aber bei mindestens der Hälfte wusste ich, dass es gelogen war, aber nur wenige von ihnen ließen entsprechende Kommentare fallen. Hier ging es eben viel ums zwischen den Zeilen lesen.
Mein Blick viel auf Hannes, der ein paar Meter entfernt auf der großen Fläche stand und sich angeregt mit einem jungen Mann unterhielt. Neugierig musterte ich seinen Gesprächspartner. Er war vielleicht ein wenig älter als ich, hatte blonde, kurze Haare und strahlend blaue Augen. Alex Thomson, ein kleines Muttersöhnchen, das keinerlei Talent besaß, aber durch das Geld seines Vaters eben berühmt war. Er war so etwas wie die männliche Paris Hilton und die Schlampe von Hollywood. Soweit ich mitbekommen hatte kümmerte er sich wenig darum, ob er Männlein oder Weiblein in sein Bett bekam, solange derjenige gut aussah. Dafür und für seine kleinen Eskapaden mit dem guten alten Freund Kokain brachten in häufig in die Schlagzeilen mancher Zeitschriften. Sonnyboy schien irgendeinen Witz gemacht zu haben, denn ich sah Hannes lachen. Ich spürte, wie sich mein Gesichtsausdruck verfinsterte.
Ich schnappte mir das nächste Glas und beschloss, das Ganze im Auge zu behalten. Immerhin war Hannes ein erwachsener Mann und durchschaute den Kleinen hoffentlich bald.
Sehr zu meinem missfallen verhielt der sich heute ausgesprochen normal und schien mit Charme nur so um sich zu werfen. Und er flirtete ganz offensichtlich und ungeniert mit Hannes. Bekam der das denn nicht mit??? Nun, offensichtlich nicht.
In mir kochten der Frust und die Wut hoch. Nicht, dass ich eifersüchtig war, natürlich nicht. Aber wenn ich so offensichtlich mit ihm flirten würde, würde Hannes mich hinterher windelweich prügeln! Zornig holte ich mir das nächste Glas und wimmelte weitere Gesprächspartner schnell wieder ab.
Angespannt merkte ich, dass ein paar Leute die beiden schon neugierig musterten. Ich stand mittlerweile selbst auf der großen Fläche, ein paar Meter hinter den zwei Männern an eine der vielen Säulen gelehnt mit einem weiteren Drink in der Hand. Verdammt Hannes, mach doch die Augen auf! Der Kerl baggert dich total an!!
Als ich sah, wie der kleine Arschkriecher Anstalten machte, seine Hand auf Hannes Hintern zu legen, war es vorbei. Sofort war ich bei den beiden und lächelte charmant. „Da bist du. Ich hab dich schon gesucht“, lächelte ich und legte selbstverständlich meinen Arm um seine Hüfte. Ich lächelte Alex mühsam unbekümmert an, auch wenn das Lächeln meine Augen nicht erreichte. Dieser grinste mich nur herausfordernd an.
„Ich war die ganze Zeit hier und hab mich mit Alex unterhalten“, gab Hannes zurück und lächelte seinen Gegenüber an.
„Aber das weiß er doch“, entgegnete Alex und sah mich belustigt an, während Hanns überrascht eine Augenbraue in die Höhe zog. „Immerhin stand er schon die ganze Zeit hinter uns und hat wütend zu uns rüber gestarrt“
Hannes Blick schoss zu mir. Ich kniff drohend die Augen zusammen und starrte die kleine Mistkröte an. „Ist wohl ganz eifersüchtig geworden, dein Freund. Dabei haben wir uns nur unterhalten?“
Ein drohender Laut verließ meine Kehle, worauf hin sich Hannes bestimmt aus meiner Umarmung befreite.
„Naja. Wir sehen uns Hannes, war schön dich kennenzulernen“, dabei reichte Alex ihm die Hand und sah ihm fest in die Augen. „Ich hoffe wir sehen uns mal wieder, wenn dich dein Alphamännchen nicht beschattet“, er zwinkerte verschwörerisch, warf mir einen weiteren belustigten Blick zu und verschwand endlich.
„Wir gehen“, knurrte Hannes, packte mich am Arm und zog mich Richtung Ausgang. Mir sollte das nur Recht sein, mir war die Lust sowieso vergangen.
Unsanft schubste er mich auf den Beifahrersitz, setzte sich hinters Steuer und raste an dem verdutzten Portier vorbei in die Nacht.
„Bist du vollkommen durchgeknallt?“, fuhr Hannes mich an, kaum, dass wir in meiner Wohnung standen „Brauch ich etwa deine Erlaubnis, um mit anderen Männern zu reden, oder was?“
„Wenn sie dich so offensichtlich anbaggern, dass morgen wahrscheinlich jede Zeitung darüber Bescheid weiß, ja!“
„Du bist doch paranoid! Er hat mich nicht angebaggert, wir haben nur geredet! Nicht jeder verdammte Mann auf dieser Welt ist schwul, ist dir das klar?“
Ich stieß ein zorniges Knurren aus. „Die Leute haben schon geguckt verdammt, so offensichtlich hat er dich angebaggert! Nur weil du es nicht gerafft hast und dich von dem Sunnyboy um die Finger hast wickeln lassen…“
„Selbst wenn er mich angebaggert hätte, könnte ich noch immer flirten mit wem ich will!“
„Nicht wenn die ganze Welt denkt, wir wären zusammen, Idiot!!! Hast du Lust auf den nächsten Betrugs-Skandal? Ich nämlich nicht! In der Öffentlichkeit sind wir zusammen, also benimm dich auch so!“
Hannes packte mich an den Schultern und knallte mich mit dem Rücken gegen die Wand, sodass es mir die Luft aus den Lungen drückte.
„Jetzt hör mir mal gut zu!“, knurrte er bedrohlich ruhig. „Du benimmst dich hier wie ein eifersüchtiges Mädchen, dass von ihrem Freund betrogen wurde, deswegen sage ich dir das jetzt nur einmal: Wir sind nicht zusammen! Das ganze Schmierentheater spiele ich nur mit, weil ich damit Lisa helfe, bis sie ihr Kind auf die Welt gebracht hat! Danach bin ich weg, verstanden? Also lass mich mit dieser Eifersuchts-Scheiße in Ruhe! Weißt du, was ich glaube? Du bist einfach frustriert! Frustriert, weil du dich an den Gedanken von mir als deinen Freund mittlerweile gewöhnt hast. Aber weißt du was? Daraus wird nichts! Ich bin hetero, verstanden?“
Bevor ich wusste, was ich tat lagen meine Lippen entschlossen auf seinen, mein Herz klopfte heftig gegen den unerträglichen Schmerz in meiner Brust an.
Fluchend stieß Hannes sich von mir weg und starrte mich zornig an. „Wir sind hier nicht in der Öffentlichkeit! Also lass deine verdammten Finger von mir!“
Wütend stürmte er zur Tür und schlug sie krachend zu. Scheiße. Verdammte Scheiße.
Das warme Wasser entspannte meine müden Muskeln und sorgte dafür, dass ich wieder einigermaßen klar denken konnte. Verdammt, langsam stieg mir Hannes zu Kopf. Seufzend lehnte ich meine Stirn gegen die kalte Fliesenwand und ignorierte mein heftig schlagendes Herz.
Scheiße… Warum musste er mir auch so nahe kommen? Natürlich war ich eifersüchtig gewesen! Und natürlich war mir längst klar, dass ich es in der Öffentlichkeit nicht nur ausnutzte, ihn zu berühren oder zu küssen, um ihn zu ärgern… naja, zumindest nicht immer. Sondern hauptsächlich, weil ich ihn nur dann berühren konnte, ohne das seine Faust in meinem Gesicht landete.
Fuck, ich war voll verknallt.
Und Hannes war mal wieder wütend auf mich ab gedüst. Verdammte Scheiße.
Um mich von meinen düsteren Gedanken abzulenken, versuchte ich an irgendetwas anderes zu denken. Natürlich funktionierte das nicht. Je länger ich unter der Dusche stand, desto mehr sank meine Laune. Warum zur Hölle verliebte ich mich ausgerechnet in meinen heterosexuellen Kollegen, der mich eh schon hasste, weil er so tun musste, als wären wir ein Paar.
Deprimiert stieg ich aus der Dusche, als ich das Klingeln des Telefons aus dem Wohnzimmer hörte. Ich tat, als würde ich es nicht hören, doch als es minutenlang hartnäckig weiterklingelte, gab ich schließlich auf.
Seufzend wickelte ich mir ein Handtuch um die Hüften, rubbelte mir notdürftig die Haare trocken, um das Wasser nicht durch die ganze Wohnung zu tragen und hastete dann zum Telefon.
„Saton“, brummte ich in den Hörer.
„Ah, Valentin! Es ist schön, dich auch einmal kennenzulernen, auch wenn es nur über das Telefon ist“ Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Wurden die Anrufe nicht eigentlich gefilter? Eigentlich konnte man hier nur anrufen, wenn die Nummer… „Ich bin Hannes Mutter“, fügte sie hinzu.
Oh. Ich durchkramte mein Hirn nach halbwegs sinnvollen Worten und gab es dann auf. „Tut mir leid, Mrs Bennett, Hannes ist überhaupt nicht da…“
„Ach das macht überhaupt nichts“, fiel sie mir sofort ins Wort. „Ich wollte mich sowieso schon ewig einmal mit dir unterhalten. Aber bisher hat Hannes mich immer davon abgehalten“ Ich runzelte nur die Stirn. „Er findet, ich rede zu viel“ Ich bezweifelte, dass es daran lag. Und um ehrlich zu sein war ich froh, über ihre Redefreudigkeit. Denn ich hatte keine Ahnung, was ich zu der Frau, die wir beide belogen, weil ihr Sohn angeblich eine Beziehung mit mir hatte, sagen sollte.
Ich räusperte mich. „Naja ich bin auch relativ viel unterwegs…“
„Ja, das habe ich bereits festgestellt“, wurde ich wieder unterbrochen. „Ihr beiden habt wirklich einen anstrengenden Job. Hannes bekomme ich ja auch noch kaum zu Gesicht. Ich hoffe ja, dass ihr beide nicht zu viel um die Ohren habt. Gerade über die Weihnachtsfeiertage sollte man nicht arbeiten“
„Nein, da hat das Studio auch zu… Außerdem ist die Staffel ja auch bald zu Ende“, gab ich zurück und setzte mich auf das Sofa. Ich hatte das Gefühl, dass das Gespräch noch ein wenig dauern könnte.
„Das ist schön. Dann sehe ich meine Sohn auch mal wieder“
„Ich werde es ihm ausrichten“, antwortete ich freundlich. Wenn er mir nicht vorher noch den Kopf abriss.
Jetzt klang Mrs. Bennett überrascht. „Möchtest du denn nicht mitkommen?“
Überrascht zog ich die Augenbrauen nach oben und fühlt mich seltsamerweise gerührt. Ich wusste gar nicht mehr, wie lange ich schon Weihnachten alleine vor dem Fernseher verbracht hatte. „Valentin? Wenn du schon bei deiner eigenen Familie bist, ist das natürlich okay!“
Ich räusperte mich rasch, weil meine Kehle plötzlich ganz trocken war. „Ich… Wenn ich darf, natürlich…“
„Selbstverständlich doch! Immerhin bist du der Freund meines Sohnes! Du bist bei uns herzlich Willkommen“
Ich schloss kurz die Augen. Mein Kopf pochte. „Das… Danke. Ich sag Hannes Bescheid. Und ich komme natürlich gerne mit“ Wenn er es denn erlaubte.
„So ist es gut“, antwortete Hannes Mutter zufrieden. „Wir sehen uns dann! Machs gut und gib meinem Sohn einen Kuss von mir!“ Dann legte sie auf und ließ mich schmunzelnd zurück.
Als Hannes nach mehreren Stunden immer noch nicht wieder da war, machte ich mir langsam Sorgen. Nicht, dass ich besonders scharf darauf war, ihm gleich wieder zu begegnen…
Mein Handy kündigte eine SMS an, also rappelte ich mich seufzend auf und kramte es aus meiner Tasche.
-Hey, hol mal deinen Liebsten ab. Ich glaube er hat ein bisschen zu viel getrunken. Sind in der Blue-Bar. Kyle-
Ich fluchte. Ich hatte selbst schon auf der Veranstaltung genug getrunken, dass ich nicht mehr unbedingt Auto fahren wollte, also beschloss ich, zu laufen. Es war ja nicht sonderlich weit und im schlimmsten Fall musste Kyle mir eben beim Tragen helfen, auch wenn er sich dann vielleicht einen Fingernagel abbrach. Wenig belustigt dachte ich an die Schlagzeilen, die es wohl dann geben würde.
Gerade, als ich in der Nähe der Bar angekommen war, fing es an wie aus Eimern zu gießen. Auch das noch. Fluchend lief ich schneller und sah schon von weitem Kyle mit Hannes vor der Bar stehen. Kyle hatte seinen Arm um Hannes Hüfte gelegt und schien ihn zu stützen, während Hannes mir düster entgegen starrte. Allerdings schien er nicht mehr viel mitzukriegen.
Fluchend stellte ich fest, dass Hannes nur ein T-Shirt anhatte und zog kurzerhand die Jacke aus. „Da, zieh die an“
„Ich will deine Jacke nicht“, entgegnete er lallend und schüttelte träge den Kopf.
„Du wirst krank, bis wir zuhause sind!“
„Du auch“, murmelte er.
Ich verdrehte die Augen. „Ich habe aber wenigstens noch nen Pulli an! Und so schnell werde ich nicht krank, jetzt zieh die verdammte Jacke an!“
Wiederwillig ließ er sich von Kyle in die Jacke helfen. Obwohl er kaum gerade stehen konnte, wehrte er sich dagegen, sich von mir stützen zu lassen, also liefen wir seeehr langsam nach Hause, da ich höllisch aufpassen musste, dass er nicht hinfiel.
Als wir endlich daheim waren, waren meine Klamotten bis auf die Haut durchgeweicht und auch Hannes ging es nicht besser.
Ich ließ ihn den Vortritt bei der Dusche, als ob das die Situation irgendwie entschärfen könnte. Aber eigentlich war es auch egal, wenn er wieder nüchtern war, würde er sich daran nicht mehr erinnern können und immer noch stock sauer auf mich sein.
Seufzend ließ ich mich mit nassen Sachen aufs Bett fallen, während ich darauf wartete, dass Hannes endlich im Bad fertig wurde. Nach einer Weile spürte ich, dass ich müde wurde und schloss seufzend die Augen. Lange konnte er ja nicht mehr brauchen, dann konnte ich auch endlich pennen gehen.
„…tin… lentin…Valentin!“ Meine Lider schienen unendlich schwer, als ich die Augen öffnete. Mein Kopf tat höllisch weh, was wahrscheinlich an dem Alkohol von gestern lag. Wahrscheinlich hatte sich der Sekt nicht mit dem Wein, und der Wein nicht mit dem Scotch vertragen.
„Na los, steh endlich auf. Wir kommen zu spät“, knurrte Hannes und verließ den Raum schon wieder. Ja, er war immer noch sauer.
Meine Arme zitterten, als ich mich hochstemmte und der Raum drehte sich. Was zur Hölle… Langsam setzte ich mich auf, was mein Kopf protestierend hinnahm. Stöhnend vergrub ich das Gesicht in den Händen und atmete langsam durch. Gott war mir schwindelig... Schwankend stand ich auf, stützte mich schnell an der Wand ab und lief wackelig auf die Tür zu.
Hoffentlich brachte mich die Dusche wieder auf die richtige Bahn… Ich öffnete die Schlafzimmertür und konnte Hannes an der Kaffeemaschine rumwerkeln sehen. Gereizt drehte er sich zu mir um, als ich in der Tür stehen blieb, weil sich wieder alles drehte.
„Wir haben nicht den ganzen Tag… Alles okay bei dir?“, plötzlich wirkte sein Blick besorgt.
„Klar“ War das meine Stimme gewesen? Leise, kratzig und heiser…
„Mist! Hey, mach keinen Scheiß!!!“, ich sah Hannes auf mich zu eilen und verstand nicht wirklich was los war, spürte erst, dass sich mein Gewicht nach vorne verlagerte, als Hannes mich erschrocken auffing und mich vor einer unsanften Landung bewahrte.
Ich kniete vor ihm am Boden, mein Kopf lehnte kraftlos an seiner Brust und auch wenn ich ihn heben wollte schien er plötzlich viel zu schwer, als dass es mir möglich war.
„Tut mir leid“, krächzte ich, versuchte mich aufzurappeln, aber es wollte mir nicht gelingen. Schwach hing ich also in seinen Armen und kam mir dabei natürlich überaus männlich vor. Verdammte Scheiße…
„Deine Klamotten sind ganz feucht! Bist du etwa damit eingepennt?“
Scheiße. Bin ich? Ich stöhnte gequält, als mich mein Schädel am Denken hinderte. Irgendwie brachte ich meine zitternden Beine dazu, mein Gewicht zu tragen, als Hannes mir vorsichtig aufhalf.
Umständlich manövrierte er mich zum Bett und beförderte mich zurück auf die Matratze. Mir war höllisch heiß, mein Gesicht schien zu brennen. Ich seufzte erleichtert auf und schloss die Augen, als ich seine kühle Hand auf meiner Stirn spürte.
„Scheiße, du brennst ja!“
Ich goss das heiße Wasser über den Teebeutel und räumte meine Sauerei dann weg. Nicht das der arme Valentin mit Erkältung noch in der Küche herum räumen musste. Früher hatte ich immer meine Schwester umsorgt, wenn sie krank war und auch wenn mein Schädel wegen des gestrigen Alkoholgenusses etwas schmerzte, hatte ich ihn ins Bett gesteckt und ihm eine Wärmflasche gemacht. Eigentlich war er ja selbst schuld. Irgendwie wäre ich gestern auch ohne ihn nach Hause gekommen.
Mit dem Tee in der Hand ging ich zurück ins Schlafzimmer.
„So, mein Junge, dein Erkältungstee. Den trinkst du jetzt und dann schläfst du dich gesund.“
ich hörte Valentin unter den ganzen Decken dumpf lachen. „Ja, Mama.“, murmelte er und ich verließ nur grinsend den Raum. Wenn er wieder gesund war, mussten wir uns trotzdem über die Sache von gestern unterhalten. Es war mir einfach zu blöd, dass ich mich nicht mal mit anderen Leuten unterhalten konnte, ohne dass sich Valentin und die Presse dafür interessierten. Bei dem Theater gestern waren ja Frauen und ihre Eifersucht weniger kompliziert.
Ich setzte mich auf die Couch und schaltete den Fernseher ein. Solche Momente hatte es in letzter Zeit zu wenig gegeben.
Eine Werbepause später kam ein in Decken gepackter Valentin mit seiner Teetasse an geschlurft und ließ sich neben mir auf das Sofa fallen. Er sah wirklich nicht gut aus.
„Kann nicht schlafen.“, brummte er und kuschelte sich in seinen selbsternannten Umhang. Wir sagten nichts, starrten nur in die Flimmerkiste. Irgendwie hatte das etwas Vertrautes und ich musste insgeheim grinsen. Wir stritten und versöhnten uns schon wie ein altes Ehepaar.
Valentin war auf der Couch eingeschlafen, irgendwann hatte ich den Fernseher abgeschaltet und hatte mich in die Badewanne verkrochen. Ein paar Stunden später wachte mein Mitbewohner wieder auf und sah schon viel besser aus.
„Na, wie geht’s dir?“, frage ich ihn und machte noch ein Wasser für Tee warm.
Saton setzte sich auf und fuhr sich durch die Haare. „Der Schönheitsschlaf hat wohl was gebracht. Die Kopfschmerzen sind schon weg.“
„Dann können wir uns ja wegen gestern unterhalten.“
Valentin ließ sich nach hinten fallen. „Oh, sie sind plötzlich wieder da.“
Doch auf seinem Gesicht lag so etwas wie ein Grinsen.
Ich setzte mich samt Teetasse zu ihm.
„Sei ehrlich. Warst du eifersüchtig?“
Saton kuschelte sich in seine Decke und sah mich aus großen Augen gespielt unschuldig an.
„Raus mit der Sprache“
„Nein. Es ging auch nicht um mich. Dieser Kerl gräbt jeden an, ob Männlein oder Weiblein. Und ich weiß, was sofort in der Zeitung steht, wenn du dich länger mit ihm unterhältst.“
Ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht und seufzte auf.
„Ich wünsche mir einfach, dass es niemanden interessiert, mit wem ich rede.“
Saton legte die Hand auf meine Schulter. „Dafür ist es zu spät. Jetzt ist der Pakt mit dem Teufel schon unterschrieben.“
„Oh ja, das ist er.“, stimmte ich ihm zu. Ich hatte mir das ganze einfacher vorgestellt.
Ich machte mich auf dem direkten Weg in die Garderobe und ließ mir von Pete die Haare machen. Zwar hatte ich noch viel Zeit, eine Stunde, um genau zu sein, aber ich genoss es, dass mein Stylist mich unterhielt. Shane wartete oben in der Lobby, doch mein Bodyguard war weniger gesprächig, da war mir eine quasselnde Tunte lieber.
Erst quatschten wir über belangloses, dann sah er mich über den Spiegel plötzlich ernst an.
„Ich bin in einem Verein für Schwule und Lesben. Wir finden es toll, wie die Gesellschaft mit eurer Beziehung umgeht. Und wie ihr mit der Gesellschaft umgeht, völlig unbeirrt von den Kameras und den homophoben Kommentaren, die euch drohen. Ich... ich wollte mich ihm Namen aller Homosexuellen bei euch bedanken. Wenn die Menschen lernen sollen, dass wir nicht anders sind, als sie selbst, dann tun sie das von Schauspielern und Musiker, Prominenten eben.“
Ich musste tatsächlich lächeln, das war wirklich zu viel der Ehre.
„Wir sind nur frisch verliebt und es ist uns egal, wer daran Teil hat. Wir sind keine Superhelden, Pete. Aber danke.“
Er sah mich mit einem Blick an, der wohl „Oh doch.“ heißen sollte, sagte aber nichts.
Und mein schlechtes Gewissen kam zurück. Kein Superheld spielte allen etwas vor, auch nicht, wenn es wohl einen guten Effekt hatte. Da heiligte kein Zweck die Mittel.
Zehn Minuten später schlenderte ich über das Set, beobachtete Lara, die Frau, die Sins Freundin spielte, die sich an eine kalte Mauer presste und verzweifelt versuchte, nicht entdeckt zu werden.
Diese Szene würde tödlich enden und Sin in ein tiefes Loch stürzen. Valentin hatte also zu tun.
Wo steckte der eigentlich? Ich lief suchend durch die Gänge und fand Saton im Raum für die Kleidung. Curt war bei ihm.
„Wer glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid? Eure tolle Beziehung ruiniert den Ruf der Serie, wir sind doch keine Propaganaplattform für Schwuchteln.“
Valentin schien so viel Homophobie eher lächerlich als bedrohlich zu finden, er zog als einzige Reaktion nur die Augenbrauen hoch.
„Gott hasst Schwuchteln.“
Jetzt musste ich lachen und Curt wirbelte zu mir herum.
„Wenn du Gott als unseren Schöpfer siehst und glaubst, er heißt Homosexualität nicht gut, warum hat er sie dann erschaffen?“
Ich trat noch näher an Curt heran, der den Mund zwar geöffnet, aber nichts geantwortet hatte. Touché.
„Nur weil du den Bösewicht spielst, brauchst du nicht auch in der Realität voller Hass sein. Das ist schlecht für dein Herz. Und du bist ja auch nicht mehr der Jüngste. Und jetzt verschwinde, du weißt schon, FireMagazine und so.“
Valentin hinter Curt lachte auf. Unser Kollege rauschte aus dem Raum.
Saton packte mich rechts und links am Kiefer und zog mich für einen Kuss an sich. Er lachte an meine Lippen.
Das war kein gespielter Kuss sondern ein „Danke für deine große Klappe.“ Ich erwiderte seine Umarmung. Wenn schon einen Boyfriend, dann ihn.
Neben all diesen privaten oder eben weniger privaten Dingen war ja auch noch die Arbeit. Sie war wirklich in den Hintergrund gerückt, gerade für mich. Denn Rafael Lacroix war in den Episoden, die wir gerade drehten, weniger wichtig. Also blieb ich oft alleine zu Hause oder ging nur für wenige Stunden zum Set. In diesen Wochen fühlte ich mich wirklich einsam in der leeren Wohnung, wenn nicht einmal Valentin hier war. Dabei war ich es ja gewohnt, alleine zu wohnen. Langsam bestätigte sich für mich die Vermutung, dass die Menschen in Rampenlicht oft die einsamsten sind.
Ich wollte nach Hause, zu meinem Boot. Keine Kameras am Morgen, wenn man nur die Haustür öffnet, keine ständigen Begleiter, wenn man seine Schwester trifft. Das hatte nichts mehr mit Schauspielerei zu tun, nicht für mich. Ich sehnte mich nach wahrer Nähe, nach echten Freunden und nach Dingen, die ich selbst nicht begriff. Diese Sache musste so schnell wir möglich nach der Geburt von Lisas Kind beendet werden, sonst würde ich noch verrückt werden.
Ich klappte meinen Laptop auf und surfte ein wenig im Internet. Irgendwann stieß ich auf DEN Comic. Inzwischen war er viel länger, die Zeichnerin hatte inzwischen sogar ein Buch herausgebracht, gesponsert natürlich von unserem Management. Und beinahe drei Millionen Menschen hatten die Website für gut befunden, dagegen waren die 50000 Dislikes und die Hassbriefe, die wir erhalten hatten, nichts.
Eine halbe Stunde später holte mich Shane ab und brachte mich zum Set. Die nächsten drei Tage waren wieder anstrengend, dann waren endlich Weihnachtsferien.
Ich lag faul auf dem Sofa herum und sah fern. Ich hatte heute frei und da es langsam kälter wurde, nutzte ich das voll aus um mit einer Tasse Kakao auf dem Sofa rumzuliegen.
Zumindest bis die Tür aufgestoßen wurde und ein überarbeiteter Hannes durch die Tür kam.
„Guten Abend, Liebling, wie war dein Tag?“, flötete ich ihm mit übertrieben weiblicher Stimme entgegen.
Er grinste müde und warf seine Lederjacke in eine Ecke, was ich mit einem Seufzen zur Kenntnis nahm. Ich war allerdings gerade so faul, dass es mir eigentlich egal war.
„Wo ist das Telefon?“, kam es aus dem Schlafzimmer, wo er gerade vermutlich seine Jeans gegen eine Jogginghose austauschte.
„Keine Ahnung, ich telefoniere kaum damit… wieso?“
„Ich muss meine Mutter noch wegen Weihnachten anrufen…“, brummte er, während er sich aus dem Kühlschrank eine Cola holte und sich dann neben mich auf das Sofa warf.
„Oh… hab ich dir das noch nicht gesagt?“, fragte ich vorsichtig.
„Was?“
Ups. „Deine Mutter hat vor ein paar Tagen angerufen, ob du denn zu Weihnachten zuhause bist und soo… hab ihr gesagt, dass du kommst… und naja… du sollst mich mitnehmen. Mütterliche Anweisung“
Er blinzelte. Zweimal. Dreimal. „Was?“ Ich schielte ihn von der Seite an. Seine Haare hingen ihm wirr im Gesicht, während seine grünen Augen mich anstarrten. Verdammt, sah er gut aus…
„Schwiegerma will mich kennenlernen“, gab ich hastig zurück und wandte mich ab.
Er fluchte. „Nicht mal über Weihnachten kann ich ehrlich sein“
Ich verdrehte die Augen. „Nach fast vier Monaten solltest du dich eigentlich langsam daran gewöhnt haben“
Verärgert stieß er die Luft aus und funkelte mich an. „Keine Ahnung ob du weißt, wie es ist seine Familie anzulügen, aber glaub mir: Es ist verdammt scheiße! Und über Weihnachten erst recht“
„Nein weiß ich nicht, aber es wird auch nicht leichter. Also find dich damit ab“, gab ich ungerührt zurück und stand auf, um mir ebenfalls eine Cola zu holen. Musste ich mir das Gejammer jetzt jedes Mal anhören, wenn irgendetwas anstand? „Deine Eltern haben es soweit doch gut aufgenommen, dass du mit einem Mann zusammen bist, niemand hat dich deswegen verstoßen und in ein paar Monaten trennen wir uns sowieso wieder“ Bei dem Gedanken wurde mir irgendwie ganz flau im Magen.
Er schwieg und starrte mit ärgerlich zusammengekniffenen Augen auf seine Cola Dose. Ich beobachtete ihn nachdenklich und setzte mich schließlich wieder zu ihm. Natürlich konnte ich verstehen, dass er nicht besonders scharf darauf war, über die Feiertage seiner Mutter offen ins Gesicht lügen zu müssen. Aber… „Du machst es dir nur unnötig schwer, wenn du das Ganze dauernd von dir stößt und du nur daran denkst, dass du deine Familie belügst. Versuch die Situation doch einfach mal so zu akzeptieren wie sie ist. Glaub mir, dass macht es sehr viel leichter“
Als er nichts erwiderte seufzte ich theatralisch und legte meinen Kopf zurück. „Wirklich, man könnte meinen, ich wäre vier Jahre älter als du, als umgekehrt… ich meine ich bin vernünftiger, erwachsener…“
„Eingebildeter“, ging er auf meine nicht ganz ernst gemeinte Aussage ein und grinste mich schief an.
In den nächsten Tagen kamen Valentin und ich besser aus als zuvor, wir lachten noch immer über Curts blödes Gesicht. Seine homophoben Kommentare konnten wir schon gar nicht mehr ernst nehmen. Was für ein verbitterter Mann.
Weihnachten rückte näher und so langsam mussten wir über Geschenke für meine Eltern, meine Großeltern und meine kleine Cousine nachdenken. Auf Paparazzi beim Shoppen hatte ich keine Lust, also setzten wir uns mit dem Laptop aufs Sofa und kauften im Internet ein. Dabei waren Valentins Ideen wenig hilfreich, aber sehr amüsant. Für meine Oma sollte es nach ihm eine riesige Unterhose mit gelben Punkten geben, ich entschied mich dennoch für eine Webcam für ihren PC, damit wir uns zumindest über Video sehen konnten. Schließlich war Violet der tollste Mensch auf der Welt und ich würde sie wohl noch öfters zum ausheulen brauchen.
Wir fanden in drei Tagen mehr Gemeinsamkeiten als im letzten halben Jahr, zum Beispiel liebten wir beide Fantasy-Filme und verabscheuten diese Liebes-Komödien. Also machten wir es zum Ritual, jeden Abend zusammen fern zu sehen, wenn nicht einer von uns am Set war.
Es war eine tolle Zeit.
Sin beugte sich über die Leiche. Er hatte so viele Tote gesehen in dieser elenden Stadt, doch er hatte geglaubt, ihre Unschuld könnte nie mit dem Dreck in Berührung kommen, der hier in jeder Straße lauerte. Sie war tot und egal wer sie getötet hatte, Sin würde sich rächen. Hass und Trauer schnürten ihm die Kehle zu und während er ihre kalten Lippen küsste, verfluchte er Gott für diese Schandtat.
„Du musst hier weg, sie sind auf dem Weg hier her.“
Rafael trat aus dem Schatten, tiefe Ringe unter den Augen.
Als er ihn sah, brach die dünne Wand, die Sins Wut zurück gehalten hatte. Dieser Mann war der Sohn seines Feindes und er hatte geglaubt, der junge Lacroix wäre sein einziger Vertrauter.
„Verschwinde, dreckiger Verräter. Du bist nicht besser als ihre Mörder. Verschwinde, oder ich töte dich.“
Rafael ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er ging auf Sin zu, packte den Freund an den Schultern und zog ihn in die Schwärze der Gasse.
„Hör mir zu. Du bist vielleicht das einzig Gute in dieser Stadt. Wenn du dich von deinem Hass zerfressen lässt, sind alle verloren. Ich bin nicht dein Feind, auch wenn mein Vater es ist. Ich stehe auf keiner Seite. Ich will nur, dass du lebst, auch wenn du sie verloren hast. Also geh, bevor sie hier sind.“
Sin wandte sich ab. Er kniete ein letztes Mal neben ihr und verschwand dann in der Dunkelheit, sein Blick verschwommen und sein Herz von Trauer gelähmt.
„Du bist das einzig Gute in dieser Stadt. Lebe, auch wenn sie tot ist.“
Ich fluchte leise vor mich hin und stopfte ein weiteres T-Shirt in meine Reisetasche. Bei Valentin war das mit dem Packen natürlich eine geordnete Aktion gewesen. Jetzt lehnte er grinsend im Türrahmen und sah mir zu, wie ich eine Schublade nach der anderen durchwühlte. Normalerweise konnte ich mit Chaos ja gut umgehen, jedoch nicht mit seinen blöden Sprüchen.
„Liebling. Statt hier blöd in der Gegend herum zu stehen, könntest du doch das Abendessen machen.“
Valentin zog die Augenbrauen hoch. „Du bist doch hier der Koch.“
Wieder stieß ich genervt Luft aus und ging auf ihn zu. Ich umarmte ihn und legte meine Hände auf seinen Hintern. Dann flüsterte ich ihm direkt ins Ohr.
„Du hast jetzt folgende Optionen. Du gehst sofort in die Küche und schmierst uns ein paar Brote oder ich übernehme das. Dann bleibt mein Koffer aber ungepackt und ich muss bei meiner Mum im Gästezimmer nackt schlafen. Und glaub mir, das Bett ist sehr eng für zwei.“
Es lief tatsächlich ein Schauern durch seinen Körper und ich wandte mich grinsend ab. Knallrot im Gesicht wandte sich Valentin ab und zehn Minuten später stand tatsächlich ein Teller mit Brötchen auf der Küchentheke. Vielleicht würde ich ihm irgendwann verraten, dass ich meinen Pyjama als erstes eingepackt hatte.
Am Morgen nach dieser kleinen Racheaktion packen wir unsere Sachen in Valentins Auto und ich ließ mich auf den Beifahrersitz fallen. Eine Woche mit Mamas guten Essen und den lustigen Stammtischgeschichten.
Marcus und Julian würden uns hinter her fahren und dann ihre eigenen Familien besuchen. Auf der Rückfahrt dasselbe. Valentin setzte sich, schnallte sich an und schloss die Tür. Zwanzig Minuten später waren wir auf dem Highway. Stille hatte sich im Wagen ausgebreitet. Saton war schon den ganzen Morgen still gewesen und das hatte nichts mit meiner Aktion vom Vorabend zu tun. Er war aufgeregt, selbst wenn er das niemals zugeben würde. Während dem Fahren trommelte er nervös auf dem Lenkrad herum und jeder, der den kleinsten Fahrfehler machte, wurde zur Schnecke gemacht, auch wenn nur ich das mitbekam. Es fehlten nur noch die Kinder auf dem Rücksitz, die quengelnd fragten, ob wir bald da wären. Ich überlegte, wie ich Valentin beruhigen konnte, es fiel mir aber nichts Schlagkräftiges ein.
„Meine Mum ist toll. Sie hat irgendwas von einem alten Hippie. Sie plappert wie ein Wasserfall. Ganz im Gegensatz zu meinem Dad. Obwohl, wenn der mal loslegt, ist er kaum zu bremsen. Wohl, weil er bei seiner Frau nie zu Wort kommt.“
„Dann hab ich es mit dir wohl gar nicht so schlimm getroffen?“
Ich musste lächeln.
„Hattest du je das Gefühl?“
Jetzt schüttelte er den Kopf.
„Insgesamt könnte man sagen, wir sind ein ziemlicher Chaotenhaufen. Emma ist wohl die einzige Vernünftige. Unsere Prinzessin.“
„Deine Schwester ist wirklich toll. Du kannst froh sein, jemanden wie sie und Kyle zu haben.“
Ich lehnte mich im Sitz zurück und schaute aus dem Fenster. Außer Lärmschutzmauern war nichts zu sehen.
„Bin ich auch.“ Ich schluckte, weil ich wusste, dass er außer Celine kaum jemanden hatte.
Wir schwiegen die komplette Fahrt lang. Es war kein unangenehmes Schweigen, sondern bei all den Blitzlichtern und Paparazzi eine der wenigen Momente, an dem man seinen Gedanken nachgehen konnte. Und die von Valentin waren wohl gerade bei seinem ersten Familientreffen.
Ich stieß angespannt die Luft aus, als wir auf den Kiesweg fuhren, der auf den Hof von Hannes Eltern führte. Das hier war mein erstes Familienfest seit… naja… überhaupt.
Eine Frau lief aufgeregt winkend auf das Auto zu und ehe das Auto ganz stand, war Hannes schon aus dem Auto gesprungen und lief auf seine Mutter zu.
Während die beiden sich glücklich in den Armen lagen, holte ich den Blumenstrauß von der Rückbank, den wir in LA noch gekauft hatten. Ein Glück hatte er die Fahrt ohne Probleme überstanden.
„Und du musst Valentin sein“, rief die Frau auch schon aus, kam auf mich zu und zog mich in ihre Arme.
Überrascht riss ich die Augen auf und brachte gerade noch so ein. „Ja“, heraus. Hannes stand im Hintergrund und grinste mich belustigt an. Neben ihm stand nun auch ein Mann mittleren Alters, dessen Haare bereits anfingen grau zu werden.
„Es freut mich wahnsinnig dich endlich kennen zu lernen!“, sagte sie und man hörte an ihrer Stimme, dass jedes Wort stimmte, während sie mich immer noch an sich gedrückt hielt.
„Und mich erst“, gab ich lächelnd zurück. „Die hier sind übrigens für Sie“ Ich überreichte ihr den Blumenstrauß und wurde bereits in die nächste Umarmung gezerrt.
„Vielen lieben Dank! Du bist als Schwiegersohn jetzt schon akzeptiert“
„Jetzt lass den Jungen doch erst mal ankommen“, mischte sich Hannes Vater ein und reichte mir lächelnd die Hand. Sein Händedruck war fest und er klopfte mir fest auf die Schulter. Ich war froh, dass er nicht ganz so emotional war, wie seine Frau. „Ich hoffe ihr hattet eine gute Fahrt? Es ist ja doch ein gutes Stück mit dem Auto…“
„Lief alles prima“, meldete sich Hannes zu Wort. „Valentin hat mir praktisch ein Ohr abgekaut, so gesprächig war er“ Wieder grinste er mich breit an. Es war schon überraschend, wie Hannes innerhalb von wenigen Sekunden seinen Gemütszustand von halb komatös zu vollkommen aufgedreht ändern konnte.
Hannes Mutter viel ihrem Sohn schon wieder um den Hals, während ich mit seinem Vater die Koffer aus dem Auto lud.
„Ihr könnt eure Sachen direkt in Hannes altes Zimmer bringen. Das Bett ist sehr eng, aber ihr könnt euch im Notfall bestimmt auch stapeln“, plapperte Hannes Mutter weiter und zwinkerte mir zu. Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss und konzentrierte mich lieber auf den Kiesweg.
In dem kleinen Zimmer angekommen brachte Hannes Vater, der sich mir als John vorgestellt hatte, seine Mutter Lilly irgendwie dazu, uns für die nächsten zehn Minuten erst einmal ankommen zu lassen, wofür ich ihm sehr dankbar war.
Während ich ein paar Sachen in das angrenzende Bad räumte und Hannes seine Klamotten in den leeren Regalen verstaute, war er so aufgedreht und gut gelaunt wie noch nie.
„Und, wie findest du meine Eltern?“, fragte er schließlich grinsend.
Ich lächelte etwas erschöpft und zuckte dann mit den Schultern. „Sehr nett… Habe ich aber nach deinen Erzählungen auch nicht anders erwartet… Deine Mutter ist sehr… nun… lebhaft“
Sein Grinsen wurde noch breiter. „Dein Blick war klasse, als sie dich umarmt hat. So richtig schön überfordert“
Ich zuckte nur lächelnd mit den Schultern. „Hab halt nicht mit nem halben Überfall gerechnet“, nuschelte ich und warf dann einen skeptischen Blick auf das enge Bett das ich mit Hannes teilen sollte.
Viel Platz war da wirklich nicht. „Mal sehen, wie wir uns da heute Abend reinstapeln, was?“, hörte ich plötzlich seine Stimme an meinem Ohr und zuckte erschrocken zusammen.
Er grinste mich nur frech an, zwinkerte mir übermütig zu und war dann im Bad verschwunden, um schnell zu duschen.
Scheiße. Wie sollte ich die nächsten Tage nur überleben?
Am Tag unserer Ankunft machten Valentin und ich einen kleinen Spaziergang durch das Dorf, in dem ich aufgewachsen war. Niemand fragte auf der Straße nach Autogrammen, weil mich alle schon als kleinen Jungen gekannt hatten. Diese Unbeschwertheit tat wirklich gut. Ich führte Saton zu meiner Grundschule, die natürlich längst geschlossen hatte, am Laden meiner Tante vorbei, die Antiquitäten verkaufte und dann in den angrenzenden Wald. Die Nacht war mild und der Himmel klar. Fern von den Lichtern der Stadt konnte man sogar die Sterne sehen und wir starrten beide wie gebannt nach oben.
„Du musst eine tolle Kindheit gehabt haben.“
Ich nickte nur und musste mich zusammen reißen, um nicht von meinen Abenteuern zu schwärmen. Das wäre ihm gegenüber nicht fair.
„Ich werde schon nicht neidisch, wenn du mir mehr erzählst.“
Durchschaut. Und zwar so richtig.
„Es war ein ziemliches Abenteuer, hier aufzuwachsen, nahe beim Wald. Wir haben hier Stunden verbracht und später, als wir älter waren, sogar gezeltet. Ich war ein eher ruhiges Kind, hab viel beobachtet und geträumt. Aber trotzdem war ich bei jedem Ausflug und jeder Blödelei dabei, selbst wenn ich nicht viel gesagt habe.“
Fast konnte ich uns Jungs lachend und kreischend durch den Wald laufen hören. Aber diese Tage gehörten der Vergangenheit an.
Wir sahen weiterhin in den Himmel, standen unbewegt da, ich die Hände in den Hosentaschen, er die Arme um sich geschlungen.
„Es ist mir schwer gefallen, hier weg zu gehen, aber ich wollte um jeden Preis Schauspiel studieren. Und eine Uni gibt es hier nun mal nicht, nur eine durchaus talentierte Theatergruppe.“
Valentin lächelte. „Ich wollte als Kind immer Feuermann werden. Tja, und jetzt verdiene ich zehnmal so viel und laufe nicht Gefahr, mir den Arsch abzufackeln. Das Leben ist schön.“
Wir lachten beide auf.
„Wir sollten langsam zurück. Sobald ich zu Besuch bin, glaubt meine Mum, ich sei noch ein kleiner Junge und sie müsse sich Sorgen um mich machen. Außerdem wird es morgen anstrengend, wenn meine Tanten anreisen. Am Abend ist die ganze Bande bei uns zu Hause. Wir feiern Weihnachten immer am Abend, meine Mum hat das durchgesetzt, weil es in Deutschland so Brauch ist.“
Wir liefen durch den Wald zurück zum Haus und während der ganzen Zeit genoss ich die frische Luft, den klaren Sternenhimmel und die Anwesenheit meines Begleiters, der still neben mir ging.
Ich lag neben Valentin auf dem schmalen Bett und starrte an die Decke. In diesem Zimmer hatte ich meine ganze Kindheit und Jugend lang gelebt und noch immer verband ich hiermit Heimat. Auf dem Hausboot war es schön gewesen, aber so weit weg von meiner Familie. In Hollywood war man nie alleine, zumindest zum Schein. Innerlich dagegen konnte eine Seele in dieser Gesellschaft verkümmern und vertrocknen, ohne dass es jemand bemerkte. Besuche bei meiner Familie oder die Stunden mit Kyle und Emma waren wie Wasser und verhinderten genau das. Weihnachten zu Hause zu feiern hatte wieder etwas Normales, Friedvolles.
Ich schwelgte beinahe wie ein kleines Kind in Vorfreude auf den morgigen Abend. Emma würde morgen anreisen, ebenso meine Großeltern mütterlicherseits und die Mutter meines Dads. Meine Tante wohnte im selben Ort, die Onkel kamen von nahe gelegenen Dörfern hier her.
Meine Mutter liebte es, für alle zu kochen und stand bestimmt jetzt noch in der Küche. Helfen durfte dabei höchstens ihre Schwester, niemand sonst.
Von unten war leises klappern zu hören, draußen fuhr ein heftiger Wind durch die Bäume und ließ ihre Blätter ein zischendes Lied singen. Valentin neben mir atmete tief und gleichmäßig. Mitten hinein in diese Stille drängte sich ein störender, piepsender Laut. Ich grummelte und wollte mich weg drehen, doch dann wäre ich mit Saton zusammen gestoßen. Also schlüpfte ich so leise wie möglich aus dem Bett und fischte mein Handy aus der Hosentasche.
„Bennett.“, brummte ich.
„Hallo Hannes. Tut mir leid, wenn ich so spät anrufe, aber ich brauche jemanden zum reden.“
Lisa. Ich war schon lange nicht mehr bei ihr gewesen.
„Einen Moment, Süße.“, flüsterte ich und schlich so leise wie möglich aus dem Zimmer. Die Tür quietschte leise, Saton drehte sich im Bett um und schlief weiter. Zum Glück.
Im ehemaligen Zimmer meiner Schwester, in das sie ab morgen wieder einziehen würde, ließ ich mich in den Sessel fallen und nahm das Handy wieder ans Ohr.
„So, jetzt können wir in Ruhe reden. Valentin schläft nur schon.“
„Entschuldigung, ich wollte dich nicht wecken.“
Ich blickte auf die Uhr. Es war erst elf, eigentlich keine unchristliche Zeit, zumindest in Hollywood.
„Ich war noch wach. Wie geht es euch?“
Sie seufzte leise. „Ich mache mir manchmal Gedanken, wie es für das Kleine wird, ohne Vater aufzuwachsen. Aber ich hab es auch geschafft.“
„Eben. Und ich komme euch ganz oft besuchen, wegen des männlichen Einflusses und so.“
Lisa kicherte leise.
„Traust du mir das mit männlich nicht zu?“, fragte ich gespielt entrüstet.
Sie lachte nur weiter und beantwortete meine Frage somit.
„Nun gut. Dann eben weniger männlicher Einfluss. Ich werde dem Kleinen Kochen und Backen beibringen, und mit ihm oder ihr ins Disneyland fahren...“
„Was Väter eben so machen.“, kicherte sie und ich stimmte ein.
„Ich sollte dich wirklich öfter anrufen. Meine Stimmung war auf dem Nullpunkt und sobald ich mit dir quatsche...“
Ich dachte an unsere vielen Stunden am Set und die Tonnen Kaffee, die wir zusammen getrunken hatten. Es war wirklich schade, dass in Hollywood für echte Freunde kaum Zeit war. Die Leute, mit denen man sich dort blicken lassen sollte, hatten ebenfalls mindestens eine Million auf dem Konto und halb so viele Schönheitsoperationen hinter sich. Botox for life.
„Ruf an, wann immer dir danach ist, Lisa. Für dich habe ich immer Zeit. Gut, vielleicht nicht, wenn ich gerade unseren wagemutigen Superhelden unterstütze, aber du weißt ja, das drehen auch warten beinhalten. Und zwar zu mindestens fünfzig Prozent, wenn man ein Nebencharakter ist.
Ich setzte mich bequemer hin, quetschte das Telefon zwischen Ohr und Schulter und betrachtete die pinke Tapete im Zimmer meiner Schwester.
„Das würde ich wirklich gern machen. Meine Mum, sie kümmert sich toll um mich, aber sie arbeitet auch und irgendwie fühle ich mich manchmal allein. Ich bin zwar erst im sechsten Monat, aber ich habe schon jetzt Angst, raus zu gehen. Mein Rücken schmerzt wie Hölle aber ich möchte wegen dem Kleinen natürlich keine Schmerztabletten nehmen.“
„Ich komme mal vorbei und massiere dich.“
Wieder lachte sie, ich hörte wie sie langsam aufstand und ein paar Schritte ging.
„Das solltest du deinen Freund nicht hören lassen.“
„Stimmt auch wieder.“ Den hatte ich natürlich mal wieder vergessen. Ich gähnte und kuschelte mich tiefer in den Sessel.
„Ich will dich nicht länger vom Schlafen abhalten. Ich wünsche euch schöne Weihnachten und ich melde mich bei dir.“
„Euch auch schöne Weihnachten. Und ruf wirklich an. Sonst tu ich es.“
„Das klang wie eine Drohung. Gute Nacht Hannes.“
„Gute Nacht, Lisa.“
Damit legte sie auf und ich erhob mich aus dem pinken Plüsch.
Wie zur Hölle hatte Emma es so lange in diesem Zimmer ausgehalten? Solche Tapeten traute ich sonst nur Kyle zu.
Hastig verließ ich die rosa Hölle und schlich in mein Zimmer zurück.
Valentin hatte das ganze Bett eingenommen, noch immer schlief er wie ein Engel. Ich seufzte und quetschte mich in das schmale, freie Eck. Jetzt war ich ihm noch näher als zuvor.
Als ich die Augen aufschlug war Hannes Gesicht nur Millimeter von meinem entfernt. Schlaftrunken musterte ich ihn in der Dunkelheit, bevor mein Verstand aus der Traumwelt langsam wieder bei mir ankam und ich erschrocken zurück wich.
Himmel... Müde fuhr ich mir über das Gesicht und stellte fest, dass ich im Schlaf einen Großteil des schmalen Bettes für mich beansprucht hatte. Schnell rutschte ich ein wenig zur Seite, um Hannes mehr Platz zu machen und sah auf die leuchtende Anzeige des Digitalweckers auf dem kleinen Nachtisch.
Es war bereits kurz nach sieben, jedoch war es draußen noch finsterste Nacht. Vielleicht lag das auch an den dunklen, schweren Vorhängen.
Unten konnte ich seine Mutter schon beschäftigt arbeiten hören.
Ich schluckte ein paar Mal, weil meine Kehle ganz trocken war und lehnte mich vorsichtig über Hannes, um nach der Wasserflasche zu angeln, die irgendwo neben seiner Seite des Bettes stand.
Mein Oberkörper berührte seinen, doch ich ignorierte mein dummes, schneller schlagendes Herz gekonnt. Hannes murmelte etwas und fuhr sich müde über das Gesicht.
Dann starrte er mich mit glasigen Augen an. Ups. Auf einmal munter riss er die Augen auf und schob mich grob von sich. „Was zur Hölle machst du denn da?“
Endlich fanden meine Finger die Wasserflasche und hoben sie triumphierend in die Höhe. „Tadaa!“ Unter seinem misstrauischen Blick setzte ich die Flaschen betont unbekümmert an die Lippen und trank zügig. Was für ein Timing. „Du wolltest die Flasche bei dir bunkern“, meinte ich schließlich unschuldig, als er mich immer noch anstarrte. „Selber schuld“
Er grummelte irgendetwas Unverständliches und seufzte müde. „Wie viel Uhr ist es?“
„Kurz nach sieben“
„Warum in Gottes Namen bist du mitten in der Nacht wach???“
„Na um dich heimlich überfallen zu können, warum sonst?“, antwortete ich und zuckte unschuldig mit den Schultern.
Entsetzt blinzelte er und ich lachte. „Okay, schlaf weiter. Ich glaube für diese Art Humor bist du noch nicht wach genug“
Auf einmal lag ich auf dem Rücken, über mir Hannes, der mich an den Schultern in die Matratze drückte. „Ich bezweifle, dass du mich überfallen könntest“
Ich starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen und klopfendem Herzen an, bevor ich ihn von mir drückte. „Wer weiß“, murmelte ich nur und stand auf.
„Sag nur unser Langschläfer ist schon munter?“, gähnte Hannes. Ich zuckte nur mit den Schultern, wandte ihm den Rücken zu und lief auf den Schrank zu um mich umzuziehen.
„Kann nur nicht wirklich schlafen. Außerdem waren wir gestern ja schon viel früher im Bett als sonst. Wenn wir drehen hab ich viel weniger Schlaf. Und jetzt penn endlich weiter. Müde bist du nämlich unerträglich und immerhin trudelt heute dein ganzer Clan hier ein“
„Bist du nervös?“
„Unsinn“ Natürlich. Höllisch nervös sogar. Aber das musste er ja nicht wissen. „Ich schau mal, was meine Schwiegermutter so treibt. Vielleicht kann ich ihr ja zur Hand gehen. Und du musst keine Angst haben, dass ich dich überfalle“ Ich grinste ihn breit an und zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
Er streckte mir nur die Zunge raus und drehte sich demonstrativ um. Stumm musterte ich seinen kräftigen Rücken, bemerkte, dass ich ihn beinahe sehnsüchtig anstarrte und verließ schnell das Zimmer.
Wie oft hatte ich nicht Leuten erklärt, dass sich Schwule nicht sofort auf jeden Mann stürzten, den sie zu Gesicht bekamen? Jetzt war ich nicht besser und glaubte schon, Valentin würde sich an mich heran machen. Es war ja wohl auch nicht einfach, wenn man gemeinsam in einem so schmalen Bett schlief. Weder für ihn wie für mich.
Ich schob meine Reaktion auf den wenigen Schlaf und drehte mich im mittlerweile leeren Bett herum.
Zwei Stunden später kam ich frisch geduscht und in meinem etwas peinlichen Weihnachts-T-Shirt, das ich vor Jahren von meiner Mutter geschenkt bekommen hatte, in die Küche.
Etwas überrascht blieb ich stehen. Valentin stand da tatsächlich neben meiner Mutter und schnitt Gemüse. Sie hatte ihn in ihre heilige Küche gelassen und er durfte sogar mithelfen.
„Morgen Mum, Schätzchen.“
Ich küsste Lilly auf die Wange und Valentin kurz auf den Mund.
„Guten Morgen, mein Großer. Valentin war schon früh auf und da habe ich mir gedacht, er könnte ja helfen. So als Einstand in die Familie.“
Ich lächelte. Diese Szene war wirklich familiär und Saton schien sich wohl zu fühlen.
„Süße Idee, Mum. Wann kommen den die Anderen?“
Sie putzte sich die Hände ab und goss Wasser in einen Topf.
„Emma hat angerufen, sie ist bald da. Oma Violet und Opa Herbert fahren mittags los und Oma Theresa kommt zusammen mit Josef und Melinda.“
Ich nickte und stibitzte Valentin eine Möhre vom Teller.
„Ich werde mal nach Papa sehen. Ihr kommt ja ohne mich zurecht, wie ich sehe.“
Damit verließ ich die Küche in Richtung Garten.
Es hatte mich einiges an Überredungskunst gekostet, Hannes Mutter davon zu überzeugen, mich bei den Vorbereitungen helfen zu lassen und nur zögernd hatte sie mir ein paar Aufgaben zugetraut. Gut, dass ich nach den Jahren in Hollywood das Kochen nicht verlernt hatte.
Irgendwie fühlte ich mich verpflichtete dazu, ein bisschen was zu dem Fest beizutragen, da ich mich ja mehr oder weniger in das Familienfest eingeschlichen hatte. Außerdem konnte ich mich so ein bisschen ablenken und meinen eigenen Gedanken nachhängen. Das hier war mein erstes richtiges Weihnachtsfest, wie man es im Rahmen der Familie feiern sollte.
Natürlich war damals im Kinderheim Weihnachten auch gefeiert worden, aber das war irgendwie immer etwas anderes gewesen. Die Betreuer, die an dem Abend da waren, hatten einfach nur beim Losen verloren und mussten auf uns aufpassen, statt mir ihrer eigenen Familie zu feiern. Dementsprechend war die Laune von den Meisten auch gewesen.
Die Großen hatten dann immer dafür gesorgt, dass Weihnachten für die Kleinen wenigstens irgendwie etwas Besonderes wurde. Zumindest die, die nicht ganz abgerutscht und unzurechnungsfähig waren.
Ich war nicht oft in Familien vermittelt worden, eigentlich nur drei Mal. Mit drei, mit fünf und mit acht Jahren. Jedes Mal war ich vor dem großen Weihnachtsfest wieder im Heim gelandet, weil die Frau dann doch schwanger geworden war, weil sie es sich mit einem Kind einfacher vorgestellt hatten, oder weil ich einfach nicht so gewesen war, wie sie mich eigentlich haben wollten.
Jedes Mal war ich danach am Boden zerstört gewesen und mein „großer Bruder“ Sergej hatte mich jedes Mal versucht zu trösten. Ich verzog schmerzhaft das Gesicht, als ich mich an ihn erinnerte.
„Gibst du mir bitte mal die Kartoffeln?“, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.
Ich reichte Lilly besagtes Gemüse und fragte mich, wer zur Hölle all das essen sollte. Wir kochten gerade an fünf verschiedenen Gerichten. FÜNF!
„Ich hoffe eure Familie hat mindestens seit einer Woche nichts mehr gegessen“, lächelte ich, als ich ihr auch noch den Salzstreuer reichte.
„Du wirst schon sehen, die sind wie die Heuschrecken. Außerdem hat man immer lieber ein bisschen zu viel zu essen, als zu wenig. Ist das bei euch etwa anders?“
Ich nickte nur und wandte mich wieder dem Teig zu, den ich grade durchknetete.
„Wenn du möchtest kannst du dich dann auch langsam fertig machen. Ich denke Emma wird bald eintrudeln, dann hilft sie mir mit dem Rest“
„Ich bin wohl nicht gut genug für Ihre Küche, was?“, stichelte ich schmunzelnd und kassierte dafür einen leichten Klapps gegen den Hinterkopf.
„Lässt du wohl das Siezen sein? Da komm ich mir ja vor wie eine Fremde!“
„Entschuldige“, gab ich lächelnd zurück. Als sich Lilly umdrehte musterte ich stumm ihren Rücken, während ich den seltsamen Druck in meiner Brust ignorierte. Es war seltsam, so selbstverständlich aufgenommen zu werden.
„Alles okay bei euch?“ Hannes lehnte in der Tür und musterte mich fragend.
„Alles super“, grinste ich zurück. „Wir haben genug zu essen für drei Jahre und deine Mutter erträgt mich in ihrer Küche nicht länger und will mich vertreiben“
„Du Lügner“, schimpfte Lilly lachend und schlug mit dem Handtuch nach mir, dem ich geschickt auswich. „Und jetzt mach dich schon fertig! Emma ist in spätestens einer Stunde da!“
„Aye aye“, gab ich zurück und ging an Hannes vorbei, dessen Blick ich weiterhin auf mir spürte und mir einen heiß-kalten Schauer nach dem anderen über den Köper jagte.
Inzwischen war unser Wohnzimmer schon voller Leute. Nur mein Onkel Josef und seine Frau Melinda fehlten noch. Theresa, die Mutter meines Dads, wohnte bei den beiden im Haus und würde mit ihnen im Auto kommen. Während Oma Violet Valentin mit offenen Armen empfangen hatte, würde das bei Theresa wohl weniger einfach werden. Sie war ziemlich gläubig und Homosexualität stand bei ihr ziemlich weit oben auf der Liste der Verführungen der Teufels. Ich liebte meine Oma, aber sie würde an Saton keinen Gefallen finden. Naja, an Weihnachten würde sie zumindest nicht offensiv gegen ihn vorgehen, hoffte ich.
Meine Mutter servierte Häppchen, keiner verlangte von ihr, sich so viel Arbeit zu machen, mein Dad unterhielt sich mit seinem Schwiegervater und meine Oma hatte Valentin unter Beschlag genommen und redete permanent auf ihn ein. Ihre ehemals roten Haare waren noch genauso lockig wie die meiner Mutter, nur inzwischen grau. Und Valentin schien genau so begeistert von ihr, wie ich.
„Na, Brüderlein.“
Emma lehnte sich an mich und betrachtete ebenfalls unsere Familie, wie sie sich um den Christbaum scharte. Auch ihr Blick blieb an Saton und Violet hängen.
„Er passt schon jetzt hier her. Und zu dir passt er sowieso.“
Ich schlang den Arm um sie und drückte sie an mich.
Und auch wenn ich in diesem Moment irgendwie glücklich war, es mochte an der weihnachtlichen Stimmung liegen, verursachte diese Aussage einen Stich in meiner Brust. Jetzt war es offiziell, ich log meine komplette Familie an.
Ein Klingeln unterbrach meine düsteren Grinch-Gedanken.
„Ich geh schon.“, rief ich und öffnete die Haustür.
Während Josef und Melinda mich freundlich begrüßten, schien Theresa schon jetzt schlecht gelaunt.
Die Anspannung in mir ließ langsam nach. In Hannes Familie schien soweit keiner ein Problem damit zu haben, dass ich mit ihrem Enkel, Neffen, Cousin, was auch immer, zusammen war. Naja, „zusammen“ war.
Hannes Oma, Violet, hatte mich sofort mehr oder weniger in Beschlag genommen. Ihre Ähnlichkeit mit Hannes Mutter war beinahe beängstigend und hätte ich nicht sofort anhand der lockigen Haarpracht erkannt, dass Lilly ihre Tochter war, wäre mir die Erkenntnis wohl spätestens bei ihrem unbändigen Redefluss gekommen.
Sie quetschte mich über jede Kleinigkeit aus, wie wir uns kennen gelernt hatten, seit wann ich mit ihrem Enkel zusammen war… Und auch allgemeine Dinge, zum Beispiel wie das Leben in Hollywood so war.
Als es erneut klingelte, sah ich auf. Hannes eilte bereits zur Tür und kam mit drei weiteren Besuchern zurück.
Die ältere Frau, die wohl Theresa sein musste, suchte mit ihren Augen ab und blieb mit ihrem Blick schließlich an mir hängen.
Ich konnte ihren Blick beim besten Willen nicht freundlich nennen, als sie auf mich zukam und ich mich hilfesuchend nach Hannes umsah. Aber der war schon wieder davon gewuselt.
„Sie sind also dieser Valentin“, gab die alte Frau von sich und schürzte die Lippen.
„Live und in Farbe“, gab ich zurück und tat so, als würde ich ihr Missfallen über diese Tatsache nicht bemerken.
Bevor Theresa noch etwas sagen konnte, rief Lilly zum Essen und so trudelte die ganze Meute brav in das gewaltig große Esszimmer. Es war nicht zu übersehen, dass Lilly der Mensch für solche großen Familienfeiern war. Alles war schön geschmückt und Kerzen brannten auf dem langen Tisch.
Während sich alle nach und nach ihre Plätze suchten, blieb ich in der Tür stehen und beobachtete die lachenden Menschen, die ihre Späße miteinander trieben. Ein flaues Gefühl machte sich in mir breit.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter und ich zuckte zusammen. „Na, alles klar, Kleiner?“, fragte Hannes gut gelaunt und bedeutete mit einem Kopfnicken Richtung Tisch mich auch endlich zu setzen. „Meine Mom ist sehr ungeduldig, wenn es ums Essen geht“, grinste er als er sich erwartungsvoll die Hände rieb. „Glaub mir, du wirst ihr Essen lieben! Und wenn nicht schläfst du im Keller“
Ich grinste und hob eine Augenbraue. „Da hab ich wenigstens mehr Platz, als in dem kleinen Bett“ Dann sah ich fragend in Richtung Küche. „Sollten wir ihr nicht tragen helfen?“
„Du Gentleman. Aber ja, du hast Recht. Also los!“ Und schon hüpfte er Richtung Küche. Er hüpfte wirklich. Himmel, war Hannes gut gelaunt. Das war ja unheimlich… Aber er schien eben ein Familienmensch zu sein. Kein Wunder, dass er sich so viele Gedanken machte, weil er sie anlog…
Ich schüttelte den Kopf und folge ihm. Das war nicht mein Problem, immerhin wusste er selbst, was er tat.
Nachdem wir heiß mit Lilly diskutiert hatten, die uns bei aller Liebe nicht helfen lassen wollte und wir es schließlich doch geschafft hatten, die Töpfe von A nach B zu transportieren, saß ich nun neben Hannes, mir gegenüber Theresa und Violet.
Die beiden Frauen waren so unterschiedlich, wie es anders nicht sein konnte. Violet war aufgeschlossen, freundlich, lustig und durch ihre herzliche Art wirkte sie viel jünger, als sie höchst wahrscheinlich war. Und Theresa war… nun ja… eben das komplette Gegenteil. Zumindest mir gegenüber. Aber welche Oma war auch begeistert, wenn sie den „festen Freund“ ihres Enkels kennen lernte?
„Ich hoffe es schmeckt dir, Valentin? Du bist wahrscheinlich ganz andere Standards gewohnt, oder?“, fragte mich gerade Lilly lächelnd.
„Immer diese Stars mit ihren Sonderwünschen“, brummte Theresa. „Als ob unser Essen schlechte wäre, als ihrs!“
Ich warf der Frau einen verwirrten Blick zu, nicht sicher, ob sie mich damit gemeint hatte, oder sich nur allgemein aufregte, bevor ich Lilly beruhigend zulächelte. „Glaub mir, ich hab schon lange nicht mehr so gut gegessen“
„Willst du damit sagen, ich koche schlecht?“, fragte Hannes gespielt pikiert nach und zog eine Augenbraue in die Höhe.
Ich hob abwehrend beide Hände hoch. „Das hab ich nie behauptet“
Lachend stieß er mich mit dem Ellenbogen an und richtete sich dann an seine Mom. „Glaub mir, so viel besser ist das Essen in Hollywood auch nicht. Nur teurer. Sehr viel teurer“
Ich nickte bestätigend und griff nach dem Weinglas.
„Macht es deiner Familie eigentlich nichts aus, dass du über die Feiertage bei uns bist?“
Ich setzte das Glas wieder ab und räusperte mich kurz, während Hannes mich seitlich anschielte.
Das war definitiv die falsche Zeit und der falsche Ort, um mein verkorkstes Familienleben auszupacken, also verneinte ich schlicht.
„Wie feiert ihr bei euch eigentlich Weihnachten?“, hackte nun Violet nach.
Ich starrte auf meinen Teller, während ich überlegte, was ich sagen sollte. „Naja… Ehrlich gesagt hab ich seit ich 18 bin kein Weihnachten mehr gefeiert… Also von dem her“, ich zuckte lächelnd mit den Schultern.
„Wie kommt Ihre Familie eigentlich damit klar, dass Sie nicht normal sind?“, fragte Theresa pikiert nach.
Überrascht zuckte ich zusammen. „Wie meinen?“
„Ich meine, diese…diese Schwulensache“ Ihre Stimme klang abfällig.
Hannes warf ihr einen warnenden Blick zu, doch Voilet hatte sich bereits eingemischt. „Wie soll die Familie schon reagieren? Er ist immer noch derselbe liebe Junge, oder etwa nicht? Alles andere spielt keine Rolle“
„Du kannst doch nicht behaupten, es wäre egal, dass er mit Männern… das ist abnormal, gegen die Natur. Und es ist abstoßend“
Ich seufzte resigniert. Solche Gespräche hatte ich ein Glück noch nie führen müssen, abgesehen von den kleinen Streitereien mit Curt.
„Dann bin ich also auch abstoßend“, stellte Hannes kalt fest.
„Um zurück zum Thema zu kommen“, fuhr ich dazwischen, damit kein Streit ausbrach und lächelte Theresa täuschend echt an. Hollywood ich liebe dich dafür. „Sie wissen es nicht“ Das war zumindest nicht ganz gelogen.
„Kaum vorstellbar, wo es doch schon durch die Medien ging. Ihre Eltern scheinen sich ja nicht sehr für Sie zu interessieren? Aber das ist, in Anbetracht der Umstände auch kein Wunder, denke ich“
Ich spürte, wie sich meine Hände auf dem Tisch verkrampften, während ich meinen aufkommenden Ärger mühsam hinunter schluckte und die Frau mir gegenüber mit abweisender Miene anstarrte. Sie hatte ja keine Ahnung, wie dünn das Eis war, auf dem sie sich gerade bewegte.
„Theresa!“, empörte sich jetzt auch Lilly, während Hannes Vater ihr einen betretenen Blick zuwarf.
„Ich denke nicht, dass es Ihnen zusteht über meine Familienverhältnisse zu urteilen“, gab ich kühl zurück.
„Worum denn nicht? Immerhin haben Sie meine Familie auch mit hineingezogen, indem sie meinen Enkel mit dieser… Sache angesteckt haben“
„Wir reden doch nicht von einer Krankheit!“, empörte sich Hannes.
„Hannes Schatz, ich denke nicht, dass du bei klarem Verstand bist, um darüber momentan zu urteilen. Aber keine Sorge, ich mache dir keine Vorwürfe. Der Schönling wird dich garantiert verführt haben, wo du doch ganz alleine warst, in diesem Hollywood. Aber man kann ja auch nichts anders von diesen verzogenen Promikindern erwarten. Deren Eltern haben eben meistens einfach nicht genug Interesse an ihren Kindern, um ihnen die nötigen Wertevorstellungen beizubringen. Sie sehen also, Valentin, dass ich Ihnen keines falls die Schuld an all dem gebe“
Fassungslos sah Hannes seine Großmutter an, als sähe er sie das erste Mal. „Ich habe Hannes nicht gezwungen, mit mir zusammen zu sein“, knurrte ich gefährlich leise, da ich kurz davor war zu platzen.
Bemüht ruhig atmete ich aus, als sich Hannes Hand beruhigend auf meine vor Wut bebende Faust legte.
Mittlerweile war der ganze Tisch verstummt und folgte offensichtlich verwirrt der Unterhaltung.
„Vielleicht nicht bewusst, nein. Aber sie müssen doch einsehen, dass diese… Sache sich mittlerweile ausgebreitet hat“
„Also jetzt wird es doch wirklich lächerlich“, regte sich Hannes auf.
Violet schüttelte verständnislos den Kopf. „Lass die Jungen doch in Frieden! Wir leben im 21. Jahrhundert, es hat sich viel getan seit unserer Jugend und man muss auch bereit sein, sich der Zeit anzupassen“
„Ich möchte meinen Enkel nur vor solchen… Leuten schützen“, gab Theresa pikiert zurück und musterte die andere Dame abschätzend.
„Ich denke Hannes weiß sehr gut, auf welche Leute er sich einlassen darf und auf welche nicht“, gab nun auch Lilly von sich und lächelte mich entschuldigend an.
„Meinst du nicht, es wäre wichtiger Hannes zu unterstützen, als seinen Freund hier bloß zustellen?“ Ich warf Violet einen dankbaren Blick zu und wandte mich dann wieder Theresa zu. „Es ist meiner Meinung nach nichts falsch daran, wenn zwei Menschen sich lieben“
„Gott hat nicht Mann und Frau erschaffen, damit…“
Entnervt verdrehte Violet die Augen. „Ich wusste es. Ihr gottesfürchtigen Leute seid so unglaublich verbohrt in unwichtigen Kleinigkeiten, dass ihre euren eigenen Grundsatz der Nächstenliebe nicht versteht!“
Während nun auch die restlichen Gäste an Tisch in die hitzige Diskussion einfielen, blieb ich stumm sitzen.
„Wenn ihr mich fragt, hat Valentin den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen, weil er genau weiß, dass es nicht richtig ist, was er da tut! Und wahrscheinlich legt seine Familie auch keinen Wert mehr auf seine Gesellschaft!“, entfuhr es Theresa schließlich zornig, da sie Mühe hatte sich zu verteidigen.
Ich starrte sie nur stumm an, bevor ich steif auf stand, um ihr nicht an die Kehle zu springen. „Ich muss schnell an die frische Luft“, gab ich gequetscht von mir, bevor ich den Raum verließ. Ich wollte mir nicht anmerken lassen, wie sehr mich ihre Worte getroffen hatten und wie scheiße weh sie taten.
Wie konnte sie es wagen, derart über meine Familie zu sprechen, wo sie doch absolut überhaupt keine Ahnung hatte!
Heftig sog ich die eiskalte Nachtluft in meine Lungen, während ich blind in die Dunkelheit lief um einen klaren Kopf zu bekommen.
Theresa war wirklich das komplette Gegenteil von Hannes restlicher Familie.
„Valentin!“, ich drehte mich um, als ich Hannes hinter mir hörte.
Aufgewühlt und nicht wirklich zu einem klaren Gedanken fähig, schob ich meine deprimierenden Gedanken nach hinten und lächelte ihn zerknirscht an. „Tut mir leid, dass sich jetzt alle da drinnen streiten. War wohl doch keine so gute Idee mitzukommen“
Er blinzelte fassungslos, bevor er verärgert die Luft ausstieß. „Hörst du wohl auf, dich deswegen zu entschuldigen!“, fuhr Hannes mich wütend an. „Schlimm genug, dass du dir diesen Dreck anhören musstest, jetzt gib dir nicht auch noch die Schuld daran!“
Prüfend musterte er mich, als ob er sicher gehen wollte, dass ich nach dieser Aktion okay war. Doch ich hatte bereits eine unbekümmerte Miene aufgesetzt.
„Ach was. Ich hätte mir ja denken können, dass deine Oma nicht gerade begeistert ist, wenn ihr Sohn seinen festen Freund vorstellt. Gott sei Dank ist Violet da ein bisschen toleranter“
„Jetzt entschuldigst du sie auch noch“, empörte sich Hannes und schüttelte verständnislos den Kopf. „Wenn das da eben deine Oma gewesen wäre, die so über meine Familie gesprochen hätte, hätte ich sie umgebracht! Und du reagierst total gelassen, während ich sie gerade zur Sau gemacht habe, was das für eine Aktion war! Warum hast du ihr nicht gesagt, dass du keine Familie mehr hast, die sich da großartig drüber aufregen kann?“
Jetzt zuckte ich doch zusammen.
„Dann hätte sie sich in Grund und Boden geschämt und die Klappte gehalten und hätte sich dir gegenüber nicht so benommen!“, fuhr Hannes unbeirrt weiter.
Ich zuckte nichts sagend mit den Schultern. „Weil ich nicht bemitleidet werden will. Sie soll ihre Meinung ruhig kundtun, das ist mir egal. Aber ich hasse es, wenn sich Leute zusammenreißen und versuchen, nett zu mir zu sein, weil ich ihnen leid tue“
Hannes glotzte mich überrascht an und schüttelte dann erneut den Kopf. Entschieden packte er mich an der Schulter und zog mich kurz in seine Arme. „Idiot“, brummte er.
Zuerst wollte ich ihn von mir schieben, aber schließlich ließ ich mich doch gegen ihn sinken und vergrub mein Gesicht seufzend an seinen Hals.
Nach einer Weile ließ der entsetzliche Druck in meiner Brust nach, während ich mich auf Hannes Atem an meiner Schulter und das Heben und Senken seiner Brust an meiner konzentrierte.
„Kommt ihr, ihr Turteltauben?“, ertönte Lillys heitere Stimme hinter uns. „Wir wollen langsam Geschenke auspacken!“
Als Hannes sich von mir löste schlug er mir freundschaftlich auf die Schulter und ging dann Richtung Haus.
Seufzend quittierte ich den Anflug von Sehnsucht und schüttelte über mich selbst den Kopf. Idiot.
Es war bereits halb drei morgens, als sich die Letzten verabschiedeten. Theresa, Josef und Melinda waren nach der Aktion meiner Oma noch in der Nacht nach Hause gefahren, der Rest der Familie war bei meiner Tante und in unseren Gästezimmern untergebracht worden. Morgen würden wir noch ein Weihnachtsfrühstück zu uns nehmen, so wie jedes Jahr.
An Weihnachten packte mich immer diese seltsame Sentimentalität. Inzwischen wohnte ich so weit von meiner Familie weg und sah sie viel zu selten. Also genoss ich solche Tage mehr als alles andere, vor allem wenn auch noch weihnachtlicher Zauber in der Luft lag. Auch nach dem Streit meiner Großmütter.
Wir hatten zusammen gesessen, Wein getrunken und Geschenke ausgepackt. Von mir hatte Valentin ein Armband aus Leder bekommen, das in der Mitte eine Metallplatte hatte. Unten war das Datum eingraviert, an dem wir angeblich zusammen gekommen waren. Auch wenn diesem Tag keine Bedeutung zugeschrieben war, fand ich das Armband schön und Saton konnte es tragen, ohne dass man die Gravierung sah. Und ich war überzeugt, Tränen in Valentins Augen gesehen zu haben. Nicht meines Geschenkes wegen, sondern weil er so etwas wie dieses Weihnachten noch nicht erlebt hatte. Trotz der Tiefpunkte.
Meine Hochstimmung hielt auch noch an, als wir in mein altes Zimmer gingen. Am liebsten hätte ich getanzt. Valentin kommentierte das mit einem belustigten Grinsen.
„Dich gut gelaunt zu erleben, ist wirklich DIE neue Erfahrung des Abends.“
Er nahm seine Zahnbürste und das Handtuch und wollte sich ins Bad aufmachen.
„Pass bloß auf, sonst ist die Erfahrung gleich vorbei.“, grinste ich und folgte ihm auf den Flur.
Überraschenderweise war das Bad sogar frei und wir machten uns fertig für die Nacht.
Eine viertel Stunde später hockte Saton auf dem Bett und ich vollzog die seltsame Prozedur, mich vor ihm bis auf die Boxershorts auszuziehen, um schlafen zu gehen.
„Das war ein tolles Fest.“
Ich nickte, lächelte ihm zu.
„Meine Familie ist schon eine verrückte Bande, nicht wahr?“
Valentin nickte. „Aber das hatte ich erwartet, wo ich Emma und dich kenne.“ Valentin fuhr sich durch die Haare. „Danke, dass ich dabei sein durfte. Ich meine, wir haben früher im Heim auch Weihnachten gefeiert, aber mehr, weil alle das getan haben. Bei euch hat das mit Zusammenhalt zu tun. Mit dem Weihnachten, wie man es feiern sollte“
Er stand auf und ich nahm in spontan in den Arm. „Frohe Weihnachten, Saton.“, flüsterte ich und für eine Weile standen wir einfach nur so da. Dann legte ich meine Hände an seine Wangen und drückte kurz meine Lippen auf seinen Mund.
Für einen Moment schien Valentin vollkommen perplex, dann zog er die Augenbrauen hoch. „Für was war der jetzt?“, fragte er.
„Dafür, dass du manchmal gar nicht so unerträglich bist. Und weil Weihnachten ist.“ Ich lächelte, schob mich an ihm vorbei und legte mich ins Bett.
„Tja, heute schlaf ich an der Wand. Dann kannst du mich nicht noch mal halb aus dem Bett werfen.“
Mit diesem Kommentar versuchte ich nur zu verbergen, dass ich irgendwie gerührt war.
Die goldenen Lichter am Baum vor unserem Haus fielen ins Zimmer und direkt auf Valentins Gesicht. Es war noch dunkel draußen der Mond verbarg sich hinter einer Wand aus Wolken. Nur dieses Licht durchbrach die Dunkelheit. Ich konnte nicht schlafen. Zu viel war geschehen. Der Streit meiner Großmütter. Für einen Moment dachte ich darüber nach, wie Theresa wohl reagieren würde, wenn ich in ein paar Jahren wieder mit einer Frau ausgehen würde. Seltsamerweise konnte ich mir das im Moment nicht vorstellen. Der Rückhalt von Violet, meiner ganzen restlichen Familie, zeigte mir, dass es nicht schlimmer wäre, wenn ich hier wirklich mit meinem Geliebten liegen würde. Valentin fügte sich in meine Familie ein, meine Mutter vergötterte ihn, Emma sowieso.
Ich seufzte, wollte mich bewegen, fand aber keinen Platz dazu, weil wir versuchten, so weit wie möglich auseinander zu liegen und keiner von uns deswegen mehr als eine Fingerspitze bewegen konnte. Wenn wir näher zusammen rücken würden...
Ich lachte bei dem Gedanken auf, kroch unter der Decke hervor, krabbelte über Valentin und aus dem Bett. Dann schlich ich hinüber zu Emmas Zimmer und klopfte leise. Nach einiger Zeit hörte ich dumpf die Stimme meiner Schwester.
„Ja?“
Ich öffnete die Tür und nickte ihr zu. Sie hatte ihre Nachttischlampe angeschaltet. Ihr Haar war verwuschelt, die Augen noch halb geschlossen.
„Tut mir leid, dass ich dich so spät wecke. Aber ich kann nicht schlafen.“
Sie fuhr sich über die Augen und hob die Decke. Ich legte mich neben sie.
„Das nächste Mal weckst du deinen Freund. Nach dem Sex kannst du dann bestimmt schlafen.“
Ich boxte sie in die Schulter. „Du kommst auf Ideen. Daran hab ich noch gar nicht gedacht.“
Als ich andeutete, aufstehen zu wollen, hielt sie mich am Arm fest.
„Jetzt bleibst du hier. Lass den armen Kerl schlafen, ich bin ja schon wach.“
Grinsend kuschelte ich mich unter die rosafarbene Decke. Meine Finger strichen darüber. Emma war eine richtige Prinzessin gewesen als Teenager. Und Mum war sentimental genug, sie daran zu erinnern, indem sie das Bett mit Emmas Lieblingsbettwäsche überzogen hatte.
„Es ist immer noch irgendwie zu Hause hier.“
Ich strich über Emmas Haare. „Das wird es immer bleiben. Weil es der schönste Ort ist, an dem ein Kind aufwachsen kann. Wenn ich mal selbst Kinder habe, möchte ich, dass sie so oft wie möglich hier her kommen.“
Emma drehte sich zur Seite. Inzwischen war der Schlaf aus ihren Augen gewichen.
„Hast du dich mit Valentin darüber unterhalten? Ich meine, für euch wird es ja schwer, Kinder zu bekommen. Also schwerer, als für ein Heteropaar.“
Ein Lächeln stahl sich über meine Lippen, bitter und voller Wut. Sie war so naiv, das hier zu glauben. Alle waren das. Ich log. An Weihnachten.
„Aber es ist eine Lüge, mit der sich fast alle wohlfühlen.“, schoss es mir durch den Kopf. Und niemand würde davon erfahren. Es würde einfach heißen, Saton und ich hätten uns getrennt und irgendwann würde ich eine Frau finden und Kinder haben. So einfach war das.
„Dafür ist es noch zu frisch zwischen uns.“, antwortete ich, konnte Emma nicht ansehen und musterte stattdessen die Decke.
Sie räusperte sich.
„Das mag jetzt kitschig klingen, aber in meinen Augen seid ihr ein Traumpaar. Ich meine... Ihr seid nicht diese nervigen Turteltauben, die nur Knutschen und sich Rosen kaufen. Ich... ich spüre, dass ihr irgendwie füreinander bestimmt seid.“
„Du klingst kitschig, Schwesterherz.“, murmelte ich und stand auf. Das Gespräch wurde mir unangenehm. Wenn Emma so einen Kommentar fallen ließ, meinte sie es auch so. Schließlich hatte mir meine Schwester schon oft Freundinnen ausreden wollen und war damit immer richtig gelegen.
„Ich geh dann mal meinem Freund sagen, dass wir für einander bestimmt sind.“
Emma verschränkte die Arme vor der Brust.
„Du machst dich lustig über mich. Ich meine das ernst.“
Als ich sie auf die Stirn küssen wollte, drehte Emma sich weg.
„Ich mach mich nicht lustig, Süße. Es ist nur... ich bin eben kein Romantiker, okay?“
Meine Schwester lächelte schon wieder. „Ich weiß.“
Dieses Mal ließ sie sich küssen.
„Gute Nacht, Hannes.“
„Gute Nacht.“
Damit löschte sie das Licht und ich schlich im Dunkeln nach draußen.
Dort stieß ich mit meinem Dad zusammen.
Der grinste mich an.
„Jaja, ich werde alt. Keine Nacht kann ich mehr durchschlafen, ohne das meine Blase mich nervt.“
Ich legte meine Hand auf seine Schulter.
„Könnte schlimmer sein, oder?“
Er nickte. „Stimmt. Man sollte nie klagen.“
Ich wandte mich ab. „Gute Nacht, Dad.“
„Gute Nacht mein Sohn.“
Gerade wollte ich meine Zimmertür öffnen, als er sagte: „Ich mag Valentin, er ist ein netter Kerl. Ich hoffe nur, dass Emma jetzt lesbisch wird, damit ich wenigstens eine Schwiegertochter bekomme.“
Ich lachte auf.
„Das musst du mit ihr besprechen.“
Mein Vater seufzte. „Ja, das muss ich wohl. Gute Nacht, Hannes.“
Ich schlüpfte in mein Zimmer und neben Saton ins Bett.
Ganz toll. Meine Familie wollte meinen Fake-Freund am liebsten adoptieren. So war das nicht geplant gewesen.
Als ich aufwachte, fühlte ich mich wie gerädert. Ich war ewig nicht eingeschlafen, sogar als sich Hannes nach seinem nächtlichen Ausflug wieder zu mir gelegt hatte, war ich noch wach gewesen und hatte über den Abend gegrübelt.
Jetzt stellte ich fest, dass Hannes mit seinem Rücken an meiner Brust lag und ich meine Arme um seinen Körper geschlungen hatte.
Ohne nachzudenken vergrub ich mein Gesicht in seinen Haaren und atmete tief ein. Ich mochte seinen Geruch. Und nach dem gestrigen Abend hatte ich irgendwie das Bedürfnis, nach ein bisschen Körperkontakt.
Widerwillig löste ich mich vorsichtig von ihm und betete, dass Hannes tief genug schlief, um die Erektion die gegen seinen Hintern drückte nicht zu bemerken.
Gerade als ich so weit von ihm abgerückt war wie es das Bett zuließ und überlegte, wie ich mich am besten unbemerkt ins Bad schlich, regte sich Hannes neben mir und streckte sich gähnend.
„Wie spät ist es?“, nuschelte er und die Tatsache, dass ich noch lebte sagte mir, dass er von meiner peinlichen Lage nichts mitbekommen hatte.
„Kurz vor zehn“, murmelte ich und versuchte, mir von meiner Verlegenheit nichts anmerken zu lassen. Heimlich ins Bad zu schleichen hatte sich damit wohl erledigt, denn ich war mir sicher, dass die Beule in meiner Hose auffallen würde. Verdammt.
Hannes setzte sich in den Schneidersitz auf und berührte dabei zufällig meine Körpermitte.
Während ich innerlich fluchend ein Stöhnen unterdrückte starrte mich Hannes mit hochgezogener Augenbraue an.
„Valentin Saton, sag mir, dass du dir irgendetwas in die Hose gestopft hast, um mich zu ärgern!“ Seine Stimme klang zwar streng, jedoch hatte ich das Gefühl, dass er eher belustigt war. Das war aber auch kein Wunder, wenn ich auch nur halb so rot geworden war, wie mein Gesicht sich gerade anfühlte.
Ich nuschelte etwas Unverständliches und schloss gequält die Augen.
„Was?“
„Ich sagte: Fick dich!“
„Das Bett ist wohl doch viel zu eng, wenn dir neben mir so heiß wird“, witzelte Hannes und überging meinen geistreichen Einwand.
Ich fand das ganze überhaupt nicht komisch und warf ihm einen wütenden Blick zu.
„Was?“, fragte er breit grinsend. „Der Druck schlägt dir aufs Gemüt, was?“
„Hannes!“, rief ich gequält. „Könnten wir aufhören, uns über meine Erektion zu unterhalten?“
„Warum? Wirst du etwa noch wuschiger?“
Ich vergrub mein Gesicht stöhnend in meinen Händen. Vielleicht funktionierte es ja, und Hannes quatschte meine Lust tot?
Wer konnte Valentin schon den Ständer verdenken? So eine Morgenlatte war ja bei Männern nichts Ungewöhnliches. Saton hatte in den letzten Monaten genau so wenig Sex gehabt wie ich (davon war ich zumindest überzeugt) und wie ein Troll sah ich ja auch nicht unbedingt aus. Jedenfalls schien es meinem Freund wahnsinnig peinlich zu sein und ich wechselte schnell das Thema. Trotzdem konnte auch ich nicht ganz vergessen, dass wir uns beim Aufwachen ziemlich nah gewesen waren. Diese Tatsache sollten wir wohl auf das schmale Bett schieben. Das war wohl der Vorteil daran, nach Hollywood zurückzukehren: Unser breites Bett, in dem wir nicht mal Körperkontakt zu haben brauchten. Ich schlüpfte aus dem Bett, er folgte mir auf dem Fuße. Genau in diesem Moment klopfte meine Mum an der Tür und noch während sie eintrat, zog ich Valentin fest an mich und drückte einen Kuss auf seine Lippen. Es war wohl ein schöner Kuss (er fühlte sich auch schön an, das leugnete ich ja nicht), denn ich hörte das verzückte Geräusch, das meine Mutter ausstieß.
„Guten Morgen, Jungs. Ich wollte euch nicht stören, aber wir machen uns in einer halben Stunde auf zum Weihnachtsfrühstück.“
Wie meine liebe Mutter so war, blieb es nicht bei dem einen Satz, sondern plapperte fröhlich darauf los. So lange sie sprach blieb ich ganz nah bei Valentin stehen, um gewisse Körperregionen zu verdecken. Valentin schien dabei ganz schön ins Schwitzen zu kommen. Nicht, dass Lilly es mitbekommen hätte, aber ich kannte Saton lange genug, damit mir so etwas auffiel.
„Okay, Mum. Wir duschen kurz und kommen dann nach unten.“
„Natürlich. Bis gleich. Und Valentin? Es ist schön, dass du da bist.“
Damit war sie verschwunden.
Ich ließ nicht von Valentin ab, weil ich so sehr lachte, dass ich mich an ihm fest halten musste.
„Es ist ja schön, dass du dich so sehr amüsierst. Würdest du trotzdem loslassen, damit ich duschen kann? Und zwar kalt?“
Unter glucksenden Lauten quetschte ich auch ein „Ja“ heraus, ließ ihn los und Valentin flüchtete beinahe ins Bad.
Das Weihnachtsfrühstück verlief harmonisch und ohne Zwischenfälle, was wohl daran lag, dass Theresa nicht mehr da war. Gegen Mittag verabschiedeten sich die Ersten (es flossen sogar zwei oder drei Tränen) und auch wir machten uns auf den Weg. Emma fuhr mit uns. Ich würde Valentin zu Hause rausschmeißen, meine Schwester heimfahren und noch zwei oder drei Tage bei ihr bleiben. Dann konnte ich auch mit Kyle und seinem Freund feiern.
Ich hatte Angst gehabt, meine Mutter würde Valentin erdrücken, aber jetzt, da er neben mir im Auto saß, schien mit seinen Atemwegen noch alles in Ordnung zu sein. Emma war auf der Rückbank eingeschlafen und auch ich war wahnsinnig müde, musste mich aber auf das Fahren konzentrieren. Aus dem Radio dröhnte Rock aus den 80ern und ich trommelte auf dem Lenkrad mit.
Valentin starrte aus dem Fenster, als wäre es ihm unangenehm, ein Gespräch mit mir anzufangen.
„Es muss dir nicht peinlich sein.“, sagte ich in die Stille und er lachte auf.
„Dir wäre es natürlich überhaupt nicht unangenehm.“, kam die gepresste Antwort.
Ich blickte kurz über meine Schulter, um mich zu vergewissern, dass Emma schlief.
„Meinst du, mir ist so was noch nicht passiert im letzten halben Jahr? Ich bin nur rechtzeitig aus dem Bett gekommen, damit du es nicht bemerkst. Das war halt in meinem alten Kinderzimmer nicht möglich, also mach dir nichts draus.“
Jetzt grinste Saton, vermutlich weil er gerade darüber nach dachte, wie ich Tag für Tag mit einer Erektion aus dem Schlafzimmer geschlichen war. Was wir doch für eine seltsame Beziehung führten.
„Wo sind wir.“, brummte Emma von der Rückbank. Saton lehnte sich zu mir herüber und küsste mich auf die Wange.
„Noch etwa eine halbe Stunde bis Hollywood.“, antwortete ich meiner Schwester. Emma fuhr sich durch die Haare.
„Ihr seid einfach so niedlich.“, flüsterte sie und grinste.
In dem Moment fasste ich den Entschluss, dass ich sie keinen Moment mehr länger anlügen konnte.
Emma schloss die Haustüre ihrer kleinen Wohnung auf und ich stellte ihre Tasche im Flur ab. Mein Abschied von Valentin war kurz gewesen, damit wir keine Aufmerksamkeit erregten. Weitere Stunden Autofahrt später, dieses Mal mit Emma am Steuer, waren wir endlich angekommen.
„Komm rein. Ist nicht so groß wie euer Schloss, aber für kleine Mädchen reicht es.“
Ich wuschelte ihr durch das Haar.
„Du weißt doch. Es geht mir nur ums Geld. Deswegen werde ich auch ins teuerste Hotel der Stadt ziehen, solange ich hier bin.“
Sie grinste, drückt auf einen Knopf an ihrem Anrufbeantworter und hörte die Nachrichten ab. Mum hatte sie angerufen, um zu fragen, ob Emma schon los gefahren war. Eine Freundin wünsche frohe Weihnachten und Kyle bestätigte unser Treffen in einer Stunde. Mir war auch keine Stunde Ruhe gegönnt.
„Willst du was trinken?“
„Einen starken Kaffee bitte. Ich hab nicht viel geschlafen.“
Emma lachte wissend, ging voraus in die schwarz-weiß geflieste Küche und hantierte an der Kaffeemaschine herum.
„Dieser böse Valentin. Mum hat erzählt, dass ihr heute früh gekuschelt habt.“
Ich starrte zu Boden. Das war Weihnachten, das Fest der Liebe. Lügen hatten hier nichts zu suchen.
„Wir müssen deswegen noch reden. Wegen Valentin, meine ich.“
Sie drehte sich zu mir um, der forschende Blick einer Frau lag auf ihrem Gesicht.
„Was ist los?“
Ich kickte einen fiktiven Ball vor mir hin und her.
„Ich...Ich würde es lieber sagen, wenn Kyle auch da ist.“
Emma ließ mich nicht aus den Augen. Sie nahm das Handy aus der Hosentasche und Sekunden später nahm Kyle ab. Sie schaltete auf Lautsprecher.
„Hey Queen. Wie sieht's aus, kannst du schon früher vorbei kommen?“
Mein bester Freund lachte.
„Gerne. Dann muss ich nicht mehr im Coffeeshop bei dir gegenüber sitzen und warten, dass ich nicht viel zu pünktlich bin. Ich brauche noch fünf Minuten.“
Damit legte Emma auf.
„Er ist gleich da. Man... ich hab jetzt Angst, dass ihr euch irgendwie gefetzt habt. Oder... oder du verarscht mich und ihr wollt heiraten. Oder doch Kinder...“
Jetzt hüpfte sie auf und ab.
„Ja, Kinder. Sag mir, dass es daran liegt.
Ihre Euphorie machte mich traurig.
„Mit einem Kind hat es zu tun. Gute Nachrichten es sind aber wohl eher nicht.“
Meiner Schwester starrte auf das Handy in ihrer Hand. „Beeil dich, Kyle, oder ich sterbe vor Neugier und Sorge.“, beschwor sie es.
Als es klingelte, stürmte Emma in den Flur und ich ließ mich auf das Sofa fallen. Nicht einen Moment länger wollte ich lügen, aber diese Lüge aufzudecken fiel mir nicht leicht. Sie würden mich dafür hassen.
Klye trat ein. Er trug passend zu meiner Stimmung graue, zerfetzte Jeans und ein schlichtes, graues T-Shirt. Wenn er auch top gestylt war, hatte er es heute, anders als sonst, nicht übertrieben.
„Hallo, Großer.“, murmelte er und schloss mich in den Arm. Emma musste ihm wohl schon erzählt haben, dass etwas nicht stimmte. Weiber.
„Was ist schief gelaufen im Paradies? Und das an Weihnachten?“, fragte er.
Ich atmete tief aus.
„Setzt euch zu mir. Ist eine lange Geschichte. Macht euch Popcorn, wenn ihr wollt.“
Emma und Kyle krabbelten rechts und links neben mir auf das Sofa, wie zwei Hunde, die sabbernd auf ein Leckerli warteten.
Vier Augen musterten mich und ich rutschte nervös hin und her.
„Hört auf damit. Ich fühle mich, wie bei einer Polizeikontrolle.“
Fast Schuldbewusst kuschelte Emma sich an mich. Kyle drückte meine Schulter.
„Tut mir leid. Was ist denn los, Süßer?“
Ich schluckte.
„Ihr wisst doch von der Sache mit Lisa? Das alle geglaubt haben, ich wäre der Vater?“
Emma schrie schrill auf. Vor Freude.
„Bist du der Vater?“
Ich schüttelte den Kopf, konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
„Nein. Aber das wollte mir ja niemand glauben.“
Damit erzählte ich jedes kleine Detail. Als ich einmal zu reden angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören. Die ganze Zeit über starrte ich wie ein Schuldiger vor Gericht auf meine Hände, wollte ihre Reaktionen nicht sehen. Ich endete, sah erst Emma, dann Kyle an. Beide wirkten bedrückt und enttäuscht, doch im ersten Moment konnte ich keine Wut erkennen. Wenigstens etwas.
Mein bester Freund räusperte sich. „Das heißt, kurz zusammen gefasst, dass das süßeste Paar, das ich neben Jim und mir kenne, in Wirklichkeit gar kein Paar ist.“
Nicken. „So ist es.“
Emma wischte sich tatsächlich eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Es tut mir leid, dass ich euch angelogen habe, über so einen langen Zeitraum hinweg.“
Meine Schwester richtete sich ein Stück auf und strich mir über die Wange.
„Das musstest du. Das ist wie Schauspielen, nur ohne Drehbuch. Ich bin dir nicht böse... Es ist nur, dass ich irgendwie das Gefühl habe, ich verliere meinen Glauben an die Liebe. Ich meine, ihr beide... das ist der Traum eines jeden schwulen Jungen... und so mancher Mädchen, wie der Comic zeigt. Und jetzt...“
Ich legte meine Hand an ihren Kopf, zog sie näher zu mir und küsste sie auf die Stirn.
„Wir sind schon eine heiße Konstellation, ich weiß.“
Kyle strich mir über die Hand.
„Und ich war schon dabei, Jim für einen Vierer zu begeistern.“
Jetzt musste ich lachen und Kyle küsste mich auf den Mund.
Ich schaute zu ihm auf. „Gerade fällt mir auf, dass ich es mag, Männer zu küssen...“
Kyle grinste und wir fingen alle zu lachen an. Das war besser gelaufen, als ich vermutete hätte.
Ein Eisklumpen löste sich aus meinem Herzen, während ein Anderer erst anfing, zu gefrieren.
„Aber mal ganz ehrlich.“, warf Emma nach einer Weile ein: „Wie ist es für dich, ihn zu küssen? Ihr habt sogar mich mit eurem Geknutsche überzeugt.“
Ich nahm den letzten Schluck von meinem Kaffee, er war inzwischen kalt.
„Ich bin Schauspieler. Es ist für mich einfach Tag für Tag so, als würde ich auf der Bühne stehen oder Filmküsse üben.“
„Aber Valentin gefällt es?“
Kyle setzte sich wieder gerade hin und musterte mich neugierig.
„Keine Ahnung, da musst du ihn fragen. Aber nur weil er schwul ist, heißt das ja nicht, dass er auf mich steht. Das wäre mir ziemlich unangenehm.“
Kyle grinste. „Also ich kenne keinen schwulen Kerl, der nicht auf dich steht. Schau dich doch an. Du siehst so heiß aus, wenn du dich nicht immer hinter diesen lässigen Klamotten und den Mützen versteckst. Obwohl dich die Mode-Zeitschriften für den Gammel-Look feiern.“
Ich schüttelte den Kopf. „Setz' mir bloß nicht den Floh ins Ohr, Saton würde auf mich stehen. Sonst kann ich nie wieder normal mit ihm reden, geschweige denn für die Paparazzi posen.“
„Ich bin ja schon still. Aber du bist wirklich der Traum aller feuchten Jungenträume. Was glaubst du, warum ich dich vor Jahren angegraben habe?“
Ich legte meine Finger an seine Stirn und schnipste. Mit einem lauten „Au, zum Teufel“, zuckte Kyle zurück.
„Schminke dir das Geschleime bloß ab, mein Freund.“
Emma kicherte: „Lass es gut sein, Kyle, da kann jemand mit Komplimenten deiner Art nicht umgehen.“
Das wollte ich gar nicht können.
Ich blieb drei Nächte bei Emma. Sie schien mir wirklich nicht böse zu sein, nur enttäuscht. Außerdem heilt sie mir immer wieder Vorträge darüber, wie falsch Hollywood doch war und das den Menschen doch nur etwas vorgespielt wurde. Kein Wunder wenn die Reichen und Schönen sich irgendwann in die Hände von Drogendealern und Schönheitschirurgen begaben, weil sie den Druck und den Schein der heilten Welt nicht mehr ertrugen.
Jetzt saß ich im Auto auf dem Weg zurück in diese Hölle und jegliches weihnachtliches Gefühl war aus mir gewichen. Natürlich respektierte ich Emmas Meinung und wollte auch, dass sie diese laut aussprach. Allerdings begriff meine Schwester wohl nicht, dass sie mit ihrer Aussage eine Angst in mir geweckt hatte. Die Angst, nie wieder aus meiner Rolle des Hannes Bennett, des schwulen, glücklichen Schauspielers ausbrechen zu können. Ich liebte das Theater, aber ich wollte nicht, dass mein Leben eines war. Dieser Stein war jedoch zum Rollen gebracht worden und riss bereits ganze Lawinen mit sich nach unten.
Mein Handy riss mich aus meinen düsteren Gedanken.
„Bennett.“, brummte ich.
„Frohe Weihnachten, Sie Sonnenschein. Kay hier.“
„Morgen.“
„Die Weihnachtsferien sind vorbei. Es gibt Morgen einen Job für ihren Geliebten uns sie.“
Ich zog die Augenbrauen hoch, bemerkte zu spät, dass mein Manager das nicht sehen konnte.
„Einen Job?“
„Natürlich. Nur vom Schauspielen wird man nicht reich. Die Wirtschaft baut auf Werbung auf. Also werden Mr. Saton und sie modeln. Für das Queer and Proud.“
Tatsächlich fiel mir das Handy aus der Hand. Ich? Modeln? Hilfe!
Während Hannes seine Zeit bei Emma und Kyle verbrachte, hatte ich mich mit Celine getroffen. Sie nahm gerade ein neues Album auf, deshalb hatte sie zurzeit viel zu tun und wir hatten uns nur selten gesehen. Es war schön zu sehen, dass sich die Situation zwischen ihr und Chris sichtlich entspannt hatte, die beiden wirkten wieder richtig glücklich.
Da sie jedoch am nächsten Tag gleich weiter zu Chris Eltern gefahren waren, hatte ich die letzten zwei Tage alleine in meiner großen Wohnung verbracht.
Früher war das ganz normal gewesen, aber jetzt drehte ich beinahe durch! Nach den Weihnachtsfeiertagen in Hannes Familie kam mir die gewaltig große Wohnung nämlich noch sehr viel leerer vor, als zuvor. Ich hatte immer noch ein komisches Gefühl im Magen, wenn ich an dieses familiäre Miteinander dachte, das für Hannes so normal gewesen war und insgeheim beneidete ich ihn darum.
Ich hatte viel zu viel Zeit nachzugrübeln und konnte nicht aufhören, das Weihnachten mit Hannes mit all den Weihnachten davor zu vergleichen, was mich nicht wirklich weiter brachte und mich nur zusätzlich deprimierte, da mir klar war, dass es zumindest für mich so eine Gelegenheit nicht mehr geben würde.
Ich schüttelte den Kopf über meine eigene Sentimentalität. Ich hatte mich doch vorher nie an dieser Familiengeschichte gestört, oder daran, dass ich alleine gewesen war.
„Weil du es nicht anders kanntest“, mischte sich eine vorlaute Stimme in meinem Kopf ein, die ich schnell zur Seite schob, während ich mich schlaflos auf die andere Seite drehte und auf das leere Bettende starrte.
Scheiße, ich vermisste Hannes… Nein. Ich sehnte mich nur ein wenig nach Gesellschaft.
Oh Gott, wie ich mich damit selbst belog. Und wie ich ihn vermisste. Nicht seine Gesellschaft, sondern ihn. Seine Stimme, seine Sprüche, sogar seine miese Laune. Und das nach zwei lausigen Tagen!
Genervt drehte ich mich erneut um und starrte aus dem riesigen Fenster auf die hell erleuchtete, niemals schlafende Stadt.
Ich dachte an Theresas Worte zurück und überlegte, wie meine Eltern wohl reagiert hätten, wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte, mich bei ihnen zu outen…
Verärgert über mich selbst schüttelte ich energisch den Kopf. Meinen Vater kannte ich nicht und meine Mutter hätte sich dafür nicht interessiert. Und selbst wenn, war die Sache sowieso erledigt und nicht mehr zu ändern. Ende der Geschichte! Nur wegen einem Weihnachtsfest konnte ich mich doch nicht so aus der Bahn werfen lassen!
„Saton, diese Familienkiste tut dir nicht gut“, maulte ich mich selbst an und ließ ich die Rollläden herunter um die bunten Lichter der Stadt auszusperren.
Wenigstens würde ich Hannes morgen wieder sehen. Ich schmunzelte. Was er von dieser Model-Geschichte wohl hielt?
Der nächste Tag kam viel zu schnell, wie ich gähnend feststellen musste, als mein Wecker mich aus dem Schlaf riss.
Mit geschlossenen Augen tastete ich umständlich nach dem modernen Foltergerät, als dieses plötzlich aufhörte zu klingeln.
„Guten Morgen“
Hannes war wieder da. Ich hoffte, dass ich ihn in meiner Müdigkeit nicht zu erleichtert ansah, als ich mich aufsetzte. „Morgen“
Hannes grinste breit. „Die Wohnung ist schon wieder so unheimlich ordentlich… Gut das ich jetzt wieder da bin, um das Ganze zu unterbinden“
Ich seufzte übertrieben. „Emma wird ihre Wohnung nach deinem Besuch wahrscheinlich Grundsanieren müssen?“
„Hey! Ich bin doch kein randalierender Rockstar!“
Ich zuckte nichts sagend mit den Schultern. „Übrigens holen uns die Jungs gegen zehn ab“ Ich schielte auf die Uhr. „Also in eineinhalb Stunden. Wie lange bist du eigentlich schon hier?“
„Ich bin irgendwann mitten in der Nacht gekommen. Da hat die Prinzessin ja bereits geschlafen wie ein Stein“ Mit hochgezogener Augenbraue sah er mich spöttisch an.
Ich packte ihn an der Hüfte, zog ihn nah zu mir und erwiderte sein hämisches Grinsen. „Mal sehen ob du immer noch so eine große Klappe hast, wenn wir gleich vor den Kameras stehen, Schatz“
Damit ließ ich ihn los und ging erst einmal in Richtung Badezimmer.
Zwei Stunden später saßen wir bereits in den Umkleiden. Es war ein ganz schöner Kraftaufwand gewesen, Hannes davon zu überzeugen, seine heißgeliebte Mütze während des Shootings abzusetzen, aber schließlich hatte er sich murrend ergeben.
Jetzt saß er vor mir auf einem Stuhl, wie ich in schwarze Jeans gekleidet und war sichtlich nervös.
Als die Dame vom Set endlich fertig war, unsere Gesichter abzupudern und wir alleine waren lächelte ich ihn aufmunternd zu.
„Wir haben das doch schon mal gemacht. Beim Outing, du erinnerst dich?“
Hannes schnaubte. „Als ob ich das vergesse. Ich hasse das trotzdem. Wenn ich nur vor der Kamera stehen soll und man mich anglotzt. Beim Spielen stört mich das ja nicht. Aber so?“
Ich grinste breit. Gott sei Dank hatte ich mich nach meinem Tief gestern Abend seit Hannes Ankunft wieder gut erholt und immerhin war das hier mein Job, was mir das letzte bisschen Selbstsicherheit zurückgab.
„Wir wollen dann loslegen?“, informierte uns eine junge Frau mit großen blauen Augen, die schon die ganze Zeit Hannes anstarrte und offensichtlich versuchte mit ihm zu flirten.
„Finger weg“, dachte ich düster und freute mich gleichzeitig, vor ihr gleich eine Show abliefern zu dürfen.
Resigniert seufzend stand Hannes auf und ging vor mir durch die Tür, die ich für ihn aufgehalten hatte.
Mein Herz schlug heftig in meiner Brust, während uns der Fotograph (ein ziemlich berühmter noch dazu) erklärte, was er von uns erwartete.
Er wollte tatsächlich ziemlich heiße Aufnahmen machen und Hannes war offensichtlich nicht sehr begeistert davon. Nun… ich dafür umso mehr.
Ich stieß ihn aufmunternd mit meiner Schulter an, als sich der Fotograph seiner Kamera zuwandte und wir von einer Dame vor die weiße Wand mit den vielen Scheinwerfern dirigiert wurden, die für das perfekte Licht sorgten.
Der Fotograph saß direkt neben einem weiteren Scheinwerfer, so dass es schwer war, in seine Richtung zu sehen, ohne zu blinzeln. Aber dieser war eh noch beschäftigt damit, seine Kamera einzustellen.
Schließlich nickte er zufrieden und sah uns auffordernd an. Das war wohl das Startsignal. Sanft zog ich ihn an der Hüfte zu mir und Hannes presste seine Lippen auf meine. Die Kamera klickte und Hannes spannte sich merklich an.
„Hannes, entspann dich doch ein wenig“, rief der Fotograph.
Hannes erwiderte meinen Kuss, drängte meine Zunge zurück und übernahm das Ganze, schien jedoch nicht ganz bei der Sache zu sein. Anscheinend taugte ihn das Modeln tatsächlich nicht wirklich.
„Das wirkt nicht echt“, schimpfte es von der Kamera.
Hannes runzelte ärgerlich die Stirn.
Ein paar Fotos später schnaubte der Fotograph ärgerlich und blickte hinter seiner Kamera hervor. „Verdammter Mist, kannst du nicht einmal deinen Freund küssen? Wenn du dich so immer anstellst wundert es mich, dass sich Valentin noch keinen Ersatz gesucht hat“ Wütend schüttelte er den Kopf. „Ich mach ne Pause, momentan ist das Zeitverschwendung. Valentin, sieh zu, dass du deinem Freund ein bisschen einheizt, sonst friert mir noch die Linse ein!“
Kaum hatte die Crew die Tür hinter sich geschlossen, stieß Hannes verärgert die Luft aus den Lungen. „Was für ein eingebildeter Arsch! Was erwartet der denn, hmm? Ich bin Schauspieler und kein verdammtes Aktmodell!“
„Vom Akt sind wir noch lange entfernt, mein Lieber“, gab ich grinsend zurück. Der giftige Blick, den er mir zuwarf ließ mein Grinsen jedoch sofort wieder im Keim ersticken.
Die Panik stieg in mir hoch. Verdammt noch mal, ich konnte Valentin nicht leidenschaftlicher oder echter küssen. Bis jetzt hatte uns doch auch jeder die Pärchen-Masche abgenommen. Aber Fotografen besaßen einen anderen Blick auf die Dinge, das war schließlich ihr Beruf. Das dieser Kerl dazu noch ein Arschloch sein musste, war doppeltes Pech. Was, wenn die ganze Aktion aufflog? Hier vor den Augen aller Kameraassistenten und Stylisten, nur weil ich einen Kuss vermasselte?
Mein Herz raste und ich zwang mich, tief auszuatmen. Valentin legte seine Hände auf meine Schultern. Er sagte nichts, dafür war ich ihm dankbar. Worte beruhigten mich in so einer Situation überhaupt nicht.
Ich straffte meine Schultern, schluckte die Panik herunter und rauschte aus der Garderobe direkt zu diesem Vogel, der an seiner Kamera herum bastelte. Saton folgte mir auf dem Fuße, als ahnte er, dass ich gleich einem gewissen Halbaffen an die Kehle gehen würde. Objektiv betrachtet konnte der Fotograf ja nichts dafür. Es war nur die Angst in mir, die ich verdrängte, indem ich ihm die Schuld an meinem Versagen zuschob. Hätte jemand genau das zu mir gesagt, hätte ich ihn oder sie wohl verprügelt.
„Wissen sie, Mr. Ich habe niemanden um diesen Job gebeten. Wenn sie also meinen, ich könnte meinen Freund nicht leidenschaftlich genug küssen, dann machen sie es doch selbst besser.“
Er schaute wie ein Frosch, während Valentin sich köstlich über meine Wut amüsierte.
„Na los.“, blaffte ich.
Das schien den Stolz des Blonden zu verletzen, denn er ließ von seiner Kamera ab, trat ins Scheinwerferlicht zu Saton und küsste ihn mit einem auffordernden Blick in meine Richtung. Ich ließ mich provozieren, obwohl ich selten aggressiv war. Denn obwohl ich ihn aufgefordert hatte, reagierte ich jetzt mit Besitzansprüchen. Um das Wort Eifersucht zu vermeiden.
Saton war mein Fake-Freund. Also stieg ich über ein auf dem Boden liegendes Stativ, packte den Fotografen am Handgelenk und zog ihn von Valentin weg. Der Kerl schien immer noch sichtbar amüsiert. Wütend und in meinem Stolz verletzt zog ich Saton an den Hüften zu mir und lies sein Grinsen unter meinem Kuss ersterben.
Besitzergreifend. So konnte man den Kuss beschreiben. Mit Lippen und Zunge eroberte ich Valentins Mund und nach einer kurzen Zeit der Überraschung erwiderte er mein Drängen. Ich musste gestehen, dass all meine Abneigung gegen den Fotografen und meine „Ich-kann-es-besser“-Haltung bald in den Hintergrund rückte und ich mich etwas in dem Kuss verlor. Valentins Hände vergruben sich in mein Haar, meine Hände lagen noch immer an seiner Hüfte, strichen über seine Seiten und legten sich dann auf seine Brust. Zugegeben, küssen konnte Saton ja. Und wenn es Spaß machte, war es doch egal ob Mann oder Frau.
Im Hintergrund klickte die Kamera.
Als wir uns nach Minuten voneinander lösten, atmeten wir beide schwer.
„Wow, Baby, das war heiß.“, flüsterte Valentin mir grinsend ins Ohr.
„Wenn du mich noch einmal Baby nennst, töte ich dich.“, flüsterte ich drückte ihm einen Kuss auf das Ohr. Erst jetzt begriff ich, dass die Menschen am Set klatschten. Auch der Fotograf sah zufrieden aus.
„Dankesehr. Wir haben auf jeden Fall ein paar gute Bilder.“
Er kam auf uns zu, reichte uns nacheinander die Hand. „Mit ihren Managern wird dann besprochen, welche Fotografien veröffentlicht werden.“
Bei mir blieb der Kerl stehen.
„Und ich weiß übrigens, dass sie beide ein tolles Paar sind. Ich wollte nur, dass sie sich mehr ins Zeug legen, Mr. Bennett.“
Ich zog die Augenbrauen hoch, nahm Valentins Hand und zog ihn in Richtung Garderobe.
Jetzt wurde ich mir bewusst, dass ich mir wohl noch in ein paar Monaten diese Geschichte anhören durfte.
Während mich Hannes an der Hand hinter sich herzog, schlug mir das Herz bis zum Hals und mir war unglaublich warm. Ich hatte keine Ahnung gehabt, wie ich reagieren sollte, als der Fotograph mich plötzlich geküsst hatte und bevor ich überhaupt darüber nachdenken hätte können, hatte Hannes mich schon um den Verstand geküsst. Scheiße, dieser Kuss hatte mich völlig aus der Bahn geworfen. Hoffentlich hatte das keiner mitbekommen?
Jetzt hatte sich die Tür zur Garderobe hinter uns geschlossen und Hannes fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
„Dieses Arschloch! Wenn er mich provozieren will, bitteschön, aber deswegen muss er dir ja nicht gleich an die Wäsche gehen! Warum hast du denn nichts gesagt? Nicht, dass jetzt irgendwelche Gerüchte entstehen, nur weil er meint, dir die Zunge in den Hals stecken zu müssen!“, aufgebracht tigerte er auf und ab und ich konnte mir ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
„Ich glaube nicht, dass irgendwelche Gerüchte aufkommen werden. Er hat ja gesagt, dass er dich nur ärgern wollte, damit ist die Sache vom Tisch. Außerdem hat es ja gewirkt“
„Trotzdem war das nicht in Ordnung! Oder findest du das etwa okay, wenn dich irgendein Kerl einfach küsst?“
„Ist mein geliebter Freund etwa eifersüchtig?“ Natürlich war das nicht ernst gemeint, aber als kurz ein peinlich berührter Ausdruck über Hannes Gesicht huschte, runzelte ich fragend die Stirn.
Hannes schüttelte jedoch sofort abwehrend den Kopf. „Unsinn. Ich finde es nur dreist. Ich meine, er weiß ja nicht, das zwischen uns eigentlich nichts…“
Schnell war ich bei ihm und verschloss mit meiner Hand seinen Mund. „Nicht so laut! Oder willst du, dass man dich bis auf den Flur hört, Idiot?!“
Ungeduldig stieß er meine Hand weg und reckte herausfordernd sein Kinn hervor: „Was ich sagen wollte: Ich finde es verdammt dreist, einen Mann zu küssen, von dem man genau weiß, dass er vergeben ist, wenn der Freund daneben steht! Auch wenn wir eigentlich nicht zusammen sind“, fügte er mit gesenkter Stimme hinzu, um meiner Warnung nach zu kommen. „Oder willst du mir sagen, es stört dich nicht, wenn dir irgendein Mann seine Zunge in den Hals steckt?“
Ich zuckte nur mit den Schultern und sah zur Seite. „Naja, ich muss gestehen, wenn du danach jedes Mal so küsst, soll er mir die Zunge in den Hals stecken, sooft er will“
Überrascht sah er mich an und schüttelte dann lachend den Kopf. „Valentin, du machst mich fertig“
Ich boxte ihm in die Seite.
Ich hockte mal wieder auf einem dieser tollen Sofas, die es uns Promis besonders angenehm machen sollten, Interviews zu führen. Natürlich gehörte zu so aufreizenden Fotos auch Text und den sollten Saton und ich jetzt liefern. Ein Artikel über ein schwules Pärchen im Blitzlicht der Kameras. Blöd war nur, dass Valentin und ich getrennt interviewt wurden und er mir nicht zur Seite stehen konnte. Ich hasste es, wenn er nicht hier war, seine Erfahrung nahm mir sonst die Anspannung. Wenigstens wurden keine Foto- oder Filmaufnahmen mehr gemacht und mein neuer Lieblings-Feind war nirgendwo zu sehen. Sein Glück.
Ich fummelte an den Ärmeln meines langen, grauen Pullovers herum, solange sich der Journalist noch mit seinem Redakteur unterhielt. Endlich setzte er sich mir gegenüber, eine junge Frau brachte Kaffee für ihn und eine heiße Schokolade für mich. Koffein hätte mich nur unnötig nervöser gemacht. Nach der Aufregung vorhin war ich sowieso nervös genug. Was, wenn man uns das Schauspiel nicht mehr abnahm? Wenn meine Worte für diesen Mann nicht überzeugend genug waren? Vermutlich war er selbst schwul, wenn er hier arbeitete und das Jonglieren mit Worten war sein Beruf. Außer das er ein grandioser Schauspieler und ein guter Freund war, konnte ich von Valentin ja kaum schwärmen. Naja, nicht echt zumindest.
Nachdem sich mir alle wichtig erscheinenden Personen vorgestellt hatten, verabschiedeten sich die Meisten wieder und der Journalist Mike Lee und ich blieben allein zurück. Nach den typischen Anfangsfloskeln stellte er die ersten Fragen. Über die Weihnachtsfeiertage, die Serie und so weiter. Dann kam eine etwas anspruchsvollere Frage.
„Sind sie wie jedes andere Paar?“
Für mich war die Frage schnell beantwortet. Nein. Wir lieben uns nicht mal, wir tun das nur für eure Unterhaltung. Also sind wir nicht wie andere.
„Die einfachste Antwort wäre zu sagen: Jeder Mensch ist anders, also auch jedes Paar. Aber wir wollen das hier ja nicht einfach, oder?“ Ein hoffnungsvoller Blick in Mikes Richtung, doch der grinste nur und schüttelte den Kopf.
„Okay. Die komplizierte Antwort: Im privaten sind wir sicher wie viele Paare. Wir lachen viel, streiten ab und zu. Natürlich sind wir uns doch unsere gemeinsame Arbeit noch enger zusammen geschweißt, schließlich sehen wir uns beinahe 24 Stunden am Tag. Was an uns anders ist: Niemand hätte wohl erwarten, dass gerade wir beide zusammen kommen würden. Wir selbst haben es wohl am wenigstens erwartet.“ Wieder lachte ich.
„Sind sie wie andere, obwohl sie schwul sind?“
„Anders und Schwul gehören doch für viele immer noch in einen Satz, oder?“
„Gute Gegenfrage. Es ist ihre erste Beziehung zu einem Mann, oder?“
„Beziehung ja. Und bis jetzt ist es die Erfüllenste meines Lebens.“
Kyle war ein wahnsinnig ehrlicher und gleichzeitig neugieriger Kerl. Genau das war mein Todesurteil, denn als Kyle bei uns anrief, nahm Valentin ab und die Beiden unterhielten sich für eine Weile. Ich selbst stand grinsend am Türrahmen, weil mein bester Freund meinen angeblichen festen Freund mal wieder zum Lachen brachte. Und dann fiel eine Frage, die niemals hätte ausgesprochen werden sollte.
„Sag mal Valentin, schaust du eigentlich anderen Männern hinterher, wo Hannes ja nicht dein richtiger Freund ist?“
Fuck. Da hatte ich doch ganz vergessen, Saton zu sagen, dass ich Kyle und meine Schwester eingeweiht hatte. War Valentin gerade noch schön gebräunt gewesen, nahm sein Gesicht jetzt eine erst käsige Färbung an, die ihm überhaupt nicht stand.
„Ähm bitte? Wie meinst du das jetzt?“, stotterte er und seine Augen fixierten mich mit einem Du-bist-sowas-von-tot-Blick.
„Na, Hannes hat uns natürlich eingeweiht. Reichlich spät, meiner Meinung nach. Aber keine Angst, Häschen, ich kann schweigen wie eine tote Tunte.“
„Aber auch erst, wenn das mit dem tot eingetroffen ist.“, versuchte ich zu scherzen und jetzt wurde Valentin rot. Beängstigend.
„Kyle. Wir rufen dich zurück, ich habe da etwas mit meinem Mitbewohner zu klären.“
Damit legte er auf, die wohl einzige Methode, um Kyle zum Schweigen zu bringen.
„Ich...“
„Bist du verrückt?“
„Verrückt nach dir, Baby.
Er explodierte. Fast erwartete ich, gleich die Überreste seines Körpers an den Wänden und den Wohnzimmermöbeln kleben zu sehen.
„Dein Baby steckst du dir gleich mal sonst wo hin. Wir haben verdammt noch mal tausend Formulare unterschrieben, dass wir NIEMANDEM, ich betone das NIEMAND, erzählen werden, was hier läuft. Und du rennst zur größten Tratschtante der Welt und erzählst ihm einfach so, dass wir gar kein Paar sind? Spinnst du?“
Ich konnte seine Wut verstehen, ich hatte gegen die Regeln verstoßen. Aber trotzdem, er brauchte mich nicht anzuschreien, als sei ich ein kleines Kind. Wusste er überhaupt, wie ich mich in dieser Situation fühlte?
„Fahr einen Ton runter, Saton. Ja, ich habe es Kyle und auch Emma erzählt. Aber weißt du warum? Weil ich gelitten habe, jede Sekunde in den letzten Monaten, weil ich die Menschen, die ich liebe, anlügen musste? Es war wie eine Befreiung für mich.“
Valentin wanderte vor der Fensterfront hin und her, sein Hände zu Fäusten geballt, während ich mich kein Stück bewegt hatte.
„Für dich also? Es geht dir ja sowieso immer nur um dich.“
Ach ja? Das glaubte er also? Das wir dieses Theater für mich veranstalteten?
„Und für wen haben wir die ganze Show angefangen? Ja wohl für dich. Damit du dich outen kannst und gleichzeitig nicht als einsame Schwuchtel dastehst, sondern den heißen Freund gleich mitlieferst. Also um wen geht es dann hier?“
„Es hat ja auch überhaupt nichts mit Lisa zu tun und mit deiner Naivität, dich so oft öffentlich mit ihr zu zeigen.“
„Vielleicht hätte ich sogar eine Chance mit ihr gehabt. Aber nein, ich habe dich Schwuchtel an der Backe.“
Saton blieb stehen und atmete tief aus. Plötzlich war seine Stimme ganz ruhig.
„Weißt du Bennett, manchmal machst du mich so wütend, dass ich gar nicht mehr weiß, was ich sagen soll.“
Ich machte einen großen Schritt auf ihn zu.
„Du sagst nichts, weil ich Recht habe. Und weil du keine Ahnung hast, wie ich mich fühle, wenn ich der ganzen Welt erzähle, ich würde einen Kerl vögeln, obwohl ich auf Möpse stehe?“
Jetzt lachte der Scheißkerl. Er lachte wirklich, hatte sogar Tränen in den Augen.
„Ich kenne mich ja auch kein Stück damit aus, wie es ist, seine Sexualität verstecken zu müssen. Ist klar.“
Ich verringerte den Abstand zwischen uns, packte ihn am Kragen seiner Jacke.
„Dann müsstest gerade du mich doch verstehen. Ich hab mich eben bei Kyle und Emma geoutet, wenn du es so willst. Weil ich einfach nicht auf Sachen wie diese stehe.“
„Was für Sachen?“
„Solche.“
Damit küsste ich ihn. Es war kein sanfter Kuss wie die vor der Kamera, nein, meine Lippen pressten sich fest auf seinen Mund, meine Hand hielt sein Kinn fest umklammert. Sein Stöhnen war irgendwo zwischen Überraschung und Schmerz. Dann stieß er mich von sich.
„Du stehst also nicht darauf. Dafür machst du das ganz schön oft.“
„Weil es mein Job ist, Wichser.“
Er schnaubte verächtlich.
„Ich sehe hier weder Kameras noch Fans.“
„Och, einen Fan hatte die ganze Geschichte.“
Damit packte ich ihm in den Schritt.
Und fühlte eine Beule.
Ich sagte ja: Fan.
„Du bist nur sauer auf mich, dass ich es Emma und Kyle verraten habe, weil jetzt dein kleiner Traum zerplatzt, indem du dir vorstellst, dass wir beide tatsächlich ein Paar sind. So ist es doch, oder? Du stehst total auf mich. Ich nehme dir das nicht übel, aber schlag es dir aus dem Kopf, Kleiner. Nur weil ich der Einzige bin, der sich dir annimmt, liebe ich dich noch lang nicht.“
Das war hart. Ihm unter die Nase zu reiben, dass er allein war.
Seine Faust rammte sich in meinen Bauch. In seinen schwarzen Iriden kochte glühend heiße Lava.
„Du arrogantes Arschloch.“
Ich wich kurz zurück, hielt mir den Bauch. Dann packte ich ihn erneut an der Jacke, riss sie ihm vom Körper.
„Ich dich auch, Baby.“, hauchte ich. Meine Stimme klang so falsch, dass ich selbst kurz darüber nachdachte, mich deswegen zu übergeben. Doch die Wut machte mich unberechenbar und… geil. Wer hatte eigentlich Gefühle erfunden? Da braucht man keine Bomben mehr, Hormoncocktails waren viel effektiver, wenn es darum ging, Dinge in die Luft zu jagen.
Ich presste mein Becken gegen seins, wollte ihn ganz nah bei mir haben und ihm gleichzeitig am liebsten den Hals umdrehen. Warum war ich überhaupt wütend auf ihn? Ich baute doch die ganze Scheiße hier.
Unser Kuss fiel noch weniger gefühlvoll aus, als der Erste. Lippen rutschten ab, Zähne stießen aneinander. Und noch während ich Saton an die Wand drückte, wusste ich, dass ich Sachen gesagt hatte, für die ich mich entschuldigen musste.
Ich knallte mit den Rücken gegen die Wand, schnappte keuchend nach Luft und ignorierte den dumpfen Schmerz.
Zornig funkelte Hannes mich an, sein Gesicht nur Millimeter von meinem entfernt. „Weißt du überhaupt, was du da sagst?“, fuhr ich ihn an.
„Was denn, hab ich Recht?“, erwiderte er provozierend und grinste spöttisch.
Dann lagen seine Lippen hart auf meinen und seine Zunge schob sich grob zwischen meinen Lippen durch.
Ich erwiderte seinen zornigen Blick. Das hier war ein Machtkampf, den ich nicht verlieren würde und keine leidenschaftliche Knutscherei, also drängte ich seine Zunge knurrend zurück und biss ihm in die Unterlippe. Ich schmeckte Blut, aber das war mir momentan egal. Arschloch spielen konnte ich auch.
Augenblicklich löste sich Hannes von mir und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, bevor er mich rückwärts stieß und ich ins Wohnzimmer stolperte. Sofort griff er grob nach meinem T-Shirt und zog es mir unsanft über den Kopf. Dass er es nicht einfach entzwei riss war auch schon alles.
Ich würde sicherlich nicht nachgeben, nicht dieses Mal. Also packte ich ebenfalls sein T-Shirt und warf es wenig später in die Ecke. Normalerweise war ich ja immer versucht, Streitigkeiten schnellstmöglich aus dem Weg zu schaffen, aber nicht diesmal. Dafür war das Ganze zu weit gegangen und zu persönlich geworden.
Noch bevor wir das Schlafzimmer erreicht hatten, hatten wir auch unsere Jeans hinter uns gelassen.
Keuchend landete ich auf den Bett und sehr zu meinem Missfallen war Hannes sofort über mir, Arme und Beine links und rechts von meinem Körper, damit ich nicht so leicht entkommen konnte.
Wütend starrte ich zu ihm hoch. „Und jetzt, hmm?“, knurrte ich.
Ohne zu zögern schob er mir die Zunge in den Mund, schob sich zwischen meine Beine und presste mich fest in die Matratze, als ich Anstalten machte, ihn unter mich zu bringen. „Vergiss es, Kleiner“, fauchte er und biss mir seitlich in den Hals. Ich biss mir auf die Lippe um keinen Ton von mir zu geben und hinterließ bei dem Versuch ihn von mir zu drücken nur einen langen tiefen Kratzer in seiner Brust, als ich abrutschte.
Erbittert stemmte ich meine Hände gegen seine Schultern um ihn von mir runter zu schieben.
Als ich plötzlich seine Hand an meinem Hintern spürte, erstarrte ich. Hannes Blick war triumphierend, gierig und immer noch blitzte die Wut in seinen Augen, was mich keines Falls beruhigte. Nur langsam kam die Information, was hier gerade geschah in meinem von der Wut benebelten Kopf an: Wenn du jetzt nichts machst…!
Energisch schob ich ihn von mir runter, sprang aus dem Bett und lehnte mich schwer atmend gegen den Schrank. „Okay, wir sollten wieder runterkommen!“
Hannes kniete auf dem Bett und starrte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an, stand auf, kam auf mich zu und lehnte sich gegen mich, sodass mein Rücken gegen den kalten Schrank gedrückt wurde.
„Und wenn ich nicht will?“, knurrte er, seine Lippen nur Millimeter von meinen entfernt und packte mich an den Hüften.
Ich schluckte trocken, während ich den Blick seiner stechenden Augen standzuhalten versuchte, aus denen die Wut plötzlich vollkommen verschwunden zu sein schien „Dann haben wir wohl ein Problem“
„Wirklich?“ Seine raue Stimme ließ mich schaudern
Ich stöhnte gequält und schloss die Augen. „Ja wirklich“
„Noch ein wenig überzeugender, Saton und ich hätte dir fast geglaubt“ Sein warmer Atem strich mir übers Gesicht und brachte mich beinahe um den Verstand.
„Ja… ich mir auch“ Ich küsste ihn und diesmal war die Wut dahinter verschwunden.
Seine Hände wanderten über meine Brust, fuhren an meinem Rücken herab und hinterließen überall wo sie mich berührten eine heiße Spur. Keuchend bog ich mich ihm entgegen, als sich seine Finger meiner Körpermitte näherten. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich darauf freuen oder davor fürchten sollte, auf was wir da gerade zusteuerten.
Ich stöhnte laut auf, als sich seine Faust um meinen Penis schloss und er leicht zudrückte. Mein Körper drückte sich wie von selbst gegen die kalte Schrankwand.
„So empfindlich?“
Ich presste die Lippen aufeinander, um keinen Ton von mir zu lassen. „Hey Kleiner“, raunte es an meinem Ohr und ließ mich schaudern. „Das war keine Kritik“
Langsam zog er mich mit sich, weg von der Wand, immer näher Richtung Bett. Noch konnte ich das Ganze beenden, aber wollte ich das überhaupt? Würde ich jemals wieder die Gelegenheit bekommen, Hannes derart Nahe zu kommen?
Mein Herz schlug heftig gegen meine Brust, als er mich auf die Matratze schob, seine Brust an meinem Rücken. Mit seinen Zähnen knabberte er an meinem Hals, saugte an der Haut und hinterließ sein dunkles Zeichen. Ich fühlte mich seltsam, wie ich da unter ihm kniete, auf Armen und Beinen.
Seine Hände strichen beruhigend an meinen Seiten auf und ab, als ob er meine Nervosität bemerkte. Als sich seine Hand erneut um meinen Schwanz legte und die andere zu meinem Hintern wanderte, hielt ich die Luft an. „Wie lange ist es her?“
„Was?“
„Das du nen Mann bei dir im Bett hattest“
Ich verkrampfte mich, als ich seinen Finger an meinem Eingang spürte. Verdammt, ich war noch nie passiv gewesen!
„Sag schon“, seine Hand schloss sich fester um meinen Penis.
„V-Vier Jahre“, brachte ich keuchend hervor.
„Was???“ Sein Gesicht tauchte vor meinem auf. „So lange?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Dann fing Hollywood an und da war ich ja dann der Hetero“, murmelte ich und sah ihn herausfordernd an.
Er blinzelte ungläubig. Dann seufzte er und küsste mich. „Dann wird’s ja mal wieder Zeit“
Unbewusst spannte ich mich an, als ich etwas Kaltes, Glitschiges an meinem Hintern spürte.
„Was…“
Zischend stieß ich die Luft aus, als Hannes einen Finger in mich schob. Es fühlte sich unangenehm an und ich verspannte mich unter ihm. Seine andere Hand war immer noch an meinem Schwanz und lenkte mich von dem komischen Gefühl ab.
Hannes beugte sich über mich, ich konnte seinen heißen Atem auf meiner Schulter spüren, bevor seine Lippen diese berührten.
Langsam entspannte ich mich und kurz darauf schob Hannes einen zweiten Finger in mich.
Ich hörte seinen keuchenden Atem an meinem Ohr. „Sorry Valentin, wenn ich noch länger warte, platze ich“
Damit zog er die Finger aus mir und schob seinen Penis in mich.
Mit einem lauten Stöhnen bog ich meinen Rücken durch und verkrampfte mich. „Fuck… das tut weh… nicht so schnell“, presste ich hervor.
Seine Haut fühlte sich heiß auf meiner an, als sein Körper sich gegen meinen drückte und mich mit den Schultern auf die Matratze zwang. „Entspann dich ein bisschen, es wird gleich besser“
Ich hatte meine Fäuste in das Lacken gekrallt und hielt die Luft an. Seine Lippen suchten meine und küssten mich, während seine Hand weiter meinen Schwanz streichelte. Seine Zunge wanderte über meinen Hals auf meinen Rücken, seine andere Hand strich beruhigend über meine Seite, während er sich langsam weiter schob.
Ich knirschte mit den Zähnen und versuchte, den Schmerz zu ignorieren, der sich durch meinen Körper zog und zugegebener Maßen heftiger war, als ich erwartet hatte. Scheiße, Hannes war definitiv eine Nummer zu groß!
Ich presste mein Gesicht in das Kissen, die Lippen zu einem schmalen Strich verzogen. Als er endlich ganz in mir war ließ ich langsam die Luft aus meinen Lungen.
„Alles gut Kleiner. Bist das wohl nicht mehr so gewohnt, was?“, Hannes Stimme klang heißer vor Lust und keuchte. „Scheiße, das fühlt sich gut an“
Stöhnend zuckte ich zusammen, als er sich zurückzog und sich langsam in mir zu bewegen begann. Das schmerzhafte Ziehen ließ langsam nach und die Erregung drängte sich in den Vordergrund.
Keuchend schnappte ich nach Luft. „Hannes, ich…“ Seine Lippen brachten mich zum Schweigen, während er immer kräftiger zustieß.
Stöhnend schlang er seinen freien Arm um mich, um mich fester an sich zu drücken, die andere an meiner Hüfte, wo er mich festhielt.
Unser Stöhnen wurde immer lauter, während heiß-kalte Schauer meinen Körper durchzuckten. Scheiße, mein Körper fühlte sich an, als wolle er verbrennen.
Ich umfasste mich selbst, rieb mich um endlich zum ersehnten Höhepunkt zu kommen. Mit einem Geräusch, das einem Wimmern gleich kam presste ich mich gegen ihn, als die Lust wie Blitze durch meinen Körper zuckte und mich zitternd kommen ließ.
Hannes hinter mir stieß einen heißeren Schrei aus, als ich mich um ihn verkrampfte und zuckte unkontrolliert, als auch er kam.
Schwer atmend lag ich unter ihm, während sich mein heftig schlagendes Herz nur langsam beruhigte. Fuck, was war hier eigentlich gerade passiert? Sein Arm war immer noch fest um meine Brust geschlungen, sein keuchender Atem traf meinen Nacken. Ich zuckte zusammen, als er sich aus mir zurückzog und sich mit den Händen über das Gesicht fuhr. Er zog sich das Kondom ab, von dem ich keine Ahnung hatte, wo das überhaupt herkam und warf es in den Müll. Kalte Luft strich über meinen Rücken. Ich zitterte. Nicht wegen der Kälte, sondern weil ich verdammt nochmal Schiss hatte, was jetzt passieren würde. Würde er jetzt nicht auf Abstand zu mir gehen? Schließlich war er ja hetero. Meine Brust zog sich schmerzhaft zusammen, bei dem Gedanken, dass er mich jetzt noch mehr von sich stoßen würde.
„Verdammter Mist“
Ich sagte gar nichts, versuchte irgendwie meine wirren Gedanken zu ordnen, die in meinem Kopf herrschten und ignorierte den ungewohnten dumpfen Schmerz. Es fühlte sich an, als ob er immer noch in mir wäre.
„Das hätte nicht passieren dürfen“ Nein, hätte es nicht. „Scheiße, Valentin sag doch auch mal was!“
„Hätte nicht passieren dürfen, blabla. Ist es aber und jetzt ist es eh schon zu spät. Ich hab keine Lust zu streiten, Hannes“, brummte ich und setzte mich auf. Kurz verzog ich das Gesicht.
„War ja klar, dass es dich nicht stört. Schließlich bist du ja auf deine Kosten gekommen“ Der hämische Klang seiner Stimme ließ die Wut von vorhin mit aller Macht zurückkehren.
„Willst du mich jetzt dafür auch noch verantwortlich machen? Du hast Recht, ganz brutal hab ich dich auf die Matratze gedrückt und mich dir aufgezwungen“, fuhr ich ihn an. „Du hast auch ganz furchtbar unfreiwillig gewirkt“
„Tu doch nicht so, als ob du nicht darauf gewartet hättest, seit wir das Traumpaar spielen!“ Die pure Verachtung in seiner Stimme tat höllisch weh.
Fluchend sprang ich aus dem Bett, lief ein paar Schritte hin und her und funkelte ihn dann wütend an. „Hör auf dich wie ein Kind zu benehmen, verdammt! Du hattest von vornherein die Wahl, ob du dich auf die Sache einlässt oder nicht!“
„Ja, ich war vorhin ja auch voll bei klarem Verstand“
„Ich rede nicht vom Sex, Idiot! Ich rede von dem ganzen Theater hier! Du hattest von vornherein die Wahl, ob du dich auf diese Pärchen Sache einlässt, oder ob du das Set verlässt und wartest, bis sich der Sturm von alleine legt! Wie lange hätte das gedauert, bis sich keiner mehr dafür interessiert hätte? Höchstens vier Wochen? Aber nein, du hast dich für die Pärchen Kiste entschieden! Es war deine eigene Wahl, verdammt, ich hab dich nicht dazu gezwungen!“
„Es war doch dein Outing, weshalb…“
„ES WAR DIE SACHE MIT LISA!“, brüllte ich ihn an. „Es dreht sich nicht alles immer nur um dich, es tut mir furchtbar Leid! Mein Outing hätte ich auch ohne dich wunderbar hinbekommen, ohne jetzt einen nörgelnden Pseudo-Hetero bei mir zu haben, der mich zum Sündenbock macht! DU bist der ältere von uns Hannes! Also benimm dich auch so! Hör auf anderen die Schuld für deine Entscheidungen zu geben, nur weil das Ende nicht so ist, wie du es dir erwartet hast!“ Ich zwang mich ruhig auszuatmen. Ich zitterte vor Zorn und ich hatte keine Lust, dass das ganze schon wieder eskalierte. Ich fühlte mich miserabel.
„Ich konnte doch nicht wissen, dass das ganze so lange dauert!“, rief er aus.
„Ach, du weißt erst seit ein paar Wochen, dass es 9 Monate braucht, ein Kind auf die Welt zu bringen? Glückwunsch! Weißt du was? Ich tu dir einen Gefallen! Ich ruf bei David an und sage ihm, dass wir Schluss machen! Ich habe mein Ziel mit dem Plan nämlich schon längst erreicht, ich steh die Scheiße hier nur noch durch, damit du und Lisa eure Ruhe mit diesem Vaterschaftsmist habt! Aber wenn dich das so unglaublich unglücklich macht, dann halt nicht! Das ist nämlich genau genommen nicht mein Problem sondern deins!“
„Was führst du dich denn auf, wie eine unterfickte Jungfrau? Bist wohl schon länger nicht mehr hart dran genommen worden, oder was?“ Ich wusste, dass er damit nur vom Thema ablenken wollte und trotzdem waren seine Worte wie ein heftiger Schlag in den Magen.
„Fick dich, Hannes! Bei dir dreht sich doch sowieso alles nur darum, dass du nicht mehr zum Ficken kommst. Eigentlich solltest du doch jetzt zufrieden sein, oder? Nach unglaublich langen 6 Monaten!“ Schneidend kalt war meine Stimme und zitterte vor Wut und Schmerz. Himmel, bekam er eigentlich mit, was er mir in den letzten Stunden alles an den Kopf geworfen hatte?
In der Zwischenzeit hatte ich mich angezogen, packte mein Handy und lief Richtung Tür.
„Verdammt, Valentin, wo willst du jetzt hin?“
„WEG!“ Und damit knallte ich die Tür hinter mir ins Schloss.
Keine halbe Stunde später klingelte ich an Celines Tür. Mir war kalt, ich war ohne Jacke losgerannt: Chris öffnete die Tür.
„Hey, Valentin. Was machst du denn um die Uhrzeit hier?“
„Valentin?“, hörte ich von hinten aus der Wohnung die Stimme meiner besten Freundin. Lächelnd kam sie auf die Tür zu, doch ihr Lächeln erstarb, als sie mein Gesicht sah. „Scheiße Süßer, was ist passiert?“
„Kann ich ein paar Tage bei euch wohnen?“ Meine Stimme klang erbärmlich.
„Komm erst mal rein“, brummte Chris, der wohl auch langsam mitbekommen hatte, dass irgendwas nicht stimmte.
„Gab es Ärger bei dir und Hannes? Beziehungskriese?“, fragte Celine und zog mich zu ihr auf das Sofa, während sich Chris verzog. Dafür war ich auch ganz dankbar, einen Mann konnte ich in dem Moment wirklich nicht gebrauchen.
„Ich liebe ihn“
Verwirrt sah sie mich an. „Das ist doch normal, oder nicht? Immerhin seit ihr seit fast fünf Monaten zusammen?“
Ich schüttelte den Kopf. Scheiße. Aber wenn Hannes seine Leute eingeweiht hatte, warum sollte ich das nicht dürfen? Wen hatte ich denn außer Celine, der ich mich anvertrauen konnte? „Ich glaub ich muss dir da zuerst was sagen… Du weißt doch noch, das Hannes die Sache mit der Vaterschaft angehängt wurde?“ Celine nickte. „Naja…“ Ich seufzte und fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. „Ich bin eigentlich gar nicht mit Hannes zusammen. Das Management fand es nur geschickt, mein Outing und das Problem mit Hannes Vaterschaft unter einen Hut zu bringen. Wir kommen zusammen, ich bin geoutet und keiner denk, Hannes sei der uneheliche Vater eines Kindes“
Celine blinzelte. Dann stand sie auf, ging zum Schrank, holte eine Flasche Wodka und zwei Gläser. „Ich glaube das wird heute ein längeres Gespräch“
Ich schielte zu ihr rüber. „Bist du arg böse auf mich?“
Sie schüttelte den Kopf und hielt mir ein Glas hin. „Ich weiß doch wie das Ganze läuft. Ein bisschen enttäuscht bin ich schon, dass du mich angelogen hast, aber ich weiß ja, wie das Management in der Beziehung sein kann.
Aber nun erzähl mal. Du bist also mit Hannes nicht zusammen, aber liebst ihn? Wo ist das Problem, sag es ihm doch?“
Ich presste die Lippen aufeinander und nahm einen großen Schluck von dem Alkohol. „Wir haben heute gestritten“
„Oh“
„So richtig heftig“ Ich seufzte. „Er hat seiner Schwester und Kyle das erzählt. Also das wir nicht zusammen sind. Da bin ich sauer geworden, weil wir gefühlte zehn Kilo Papier unterschrieben haben, dass wir niemanden auch nur ein Sterbenswörtchen verraten. Und dann sagt er es auch noch der größten Tratsch Tante, die ich bisher kennen gelernt habe“ In allen Einzelheiten schilderte ich meiner besten Freundin den Streit, während wir ein Glas nach dem anderen leerten. Irgendwann hatte ich zu heulen angefangen und saß ihr jetzt wie ein Häufchen Elend gegenüber nachdem ich ihr von dem Sex und dem darauf folgenden Streit auch noch berichtet hatte. „Scheiße Celine, ich liebe ihn doch! Was soll ich denn machen? Ich will bei ihm sein aber kann ihn nicht ertragen, wenn er bei mir ist, weil er mich in den Wahnsinn treibt! Er kann mich doch nicht für alles verantwortlich machen!“
Seufzend setzte sie sich hinter mich, die Beine links und rechts von meinen Hüften, damit ich mich an sie lehnen konnte. Ihre schlanken Arme schlangen sich um meine Brust, als sie ihren Kopf auf meine Schulter legte.
„Süßer, warum suchst du dir auch ausgerechnet einen Hetero aus?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte ich und ignorierte den salzigen Geschmack der Tränen, als ich das nächste Glas herunter kippte.
Die Wohnung war dunkel, als ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen ließ. In den letzten Tagen war ich Valentin so gut es ging aus dem Weg gegangen. Er war sowieso viel mit der Arbeit beschäftigt, während Raphael Lacroix weiterhin keine große Rolle spielte und ich nur noch selten zum Set fahren musste. Während mich diese Tatsache eine Weile lang geärgert und auch gelangweilt hatte, war ich im Moment froh darüber. Normalerweise lief ich vor meinen Problemen nicht davon, aber ich wollte Saton einfach nicht ins Gesicht sehen müssen.
Wir hatten Sex gehabt. Sex, der wohl für keinen von uns große Bedeutung haben würde, auch wenn es Spaß gemacht hatte, mit ihm um die Oberhand zu kämpfen. Dass es überhaupt so weit gekommen war, schob ich auf die Tatsache, dass wir seit einem halben Jahr wie die Mönche lebten, obwohl wir ja offiziell eine Beziehung führten. Bis auf das wir uns nicht liebten, waren wir wohl jetzt ein echtes Pärchen. Ich schüttelte den Kopf. Wo war ich da hinein geraten? Mir hätte von vornherein klar sein müssen, dass ein Leben außerhalb von Hollywood und möglichst weit weg von diesem Kerl viel einfacher gewesen wäre. Vielleicht hätte mich das Management gefeuert, wenn ich bei ihrem grandiosen Plan nicht mitgespielt hätte, aber wenigstens wäre ich dann noch Hannes Bennett und nicht die Puppe in irgendeinem Spiel.
Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich machte kein Licht, tappte im Dunkeln ins Badezimmer und machte mich rasch fertig für die Nacht. Meine Kleidung ließ ich einfach auf dem Boden liegen, Saton würde sich freuen.
Wenn man vom Teufel sprach. Ich hörte den Schlüssel in der Tür, Sekunden später wurde diese geöffnet und Schuhe fein säuberlich in das dafür vorgesehene Regal gestellt. Ich lehnte mich an den Türrahmen und betrachtete Valentin dabei, wie er seine Jacke aufhängte und in die Küche ging. Obwohl ich mich ein wenig dagegen sträubte, folgte ich ihm. Wir sollten reinen Tisch machen, sofort.
Er stand am Kühlschrank, hatte eine Flasche Saft geöffnet und trank daraus.
„Hey. Du bist doch der Ordentliche von uns. Also nimm dir ein Glas.“
Valentin erschreckte sich nicht, er hatte mich längst bemerkt aber geflissentlich ignoriert. Sein Arm wanderte nach oben, ebenso sein Mittelfinger.
Vom Sofa stand ein kleiner Faden an der Naht ab. Ich zwirbelte ihn zwischen den Fingern. Erst jetzt begriff ich, dass ich nervös war. Weil ich zugeben musste, dass er recht hatte? In fast allem?
„Es war nur Sex, Bennett. Nur Sex. Weil ihr es beide nötig hattet. Mit Kyle hast du auch geschlafen, trotzdem seid ihr weiterhin befreundet.“
War das jetzt das Engelchen oder das Teufelchen auf meiner Schulter?
„Können wir reden?“
Mein Kollege drehte sich um, zog die Augenbraue hoch. „Was, wenn ich nicht reden will, Kleiner?“
Ich zupfte weiter an dem Faden herum. Man, vor ein paar Tagen noch der Macho und jetzt das kleine Kind, das Kekse geklaut hatte und jetzt bei der Mutter beichten musste.
„Komm schon Saton.“
Valentin stellte die Flasche zurück und ließ sich dann auf dem Sofa nieder.
„Hast ja Recht, Bennett. Schieß los.“
Irgendwann würde die Couch auseinander fallen, wenn ich die Naht länger malträtieren würde.
„Ich könnte jetzt sagen: Ich habe mich nur auf die Sache eingelassen um meinen eigenen Problemen aus dem Weg zu gehen. Aber du weißt ja, Fehler eingestehen ist nicht so mein Ding, also...“
„Schon klar. So seit ihr Heten eben.“
„Naja, vielleicht liegt es auch an meiner Familie. Schlechte Gene und so.“
„Schiebe das ja nicht deiner Mutter in die Schuhe, dazu ist sie viel zu lieb.“
„Viel zu lieb, ja. Und ich lüge sie an. Das macht mich am meisten kaputt an der Sache.“
Wieder zog Valentin die Augenbraue hoch. „Kann ich verstehen. Das rechtfertigt aber nicht, was zwischen uns passiert ist.
„Nein.“ Jetzt zupfte ich an einem Kissen herum.
„Gott, Hannes kannst du bitte das Sofa in Ruhe lassen?“ Ich klang harscher als gewollt, aber er machte mich unglaublich nervös mit seinem Gezupfe.
„Sorry“
Ich seufzte und legte meinen Kopf in den Nacken.
„Du warst die letzten Tage nicht da?“
„Bei Celine“
Er nickte stumm.
„Und du?“
„Kyle und Emma“
„Celine weiß es jetzt auch“ Ich starrte immer noch an die Decke.
„Was?“
„Das wir kein richtiges Paar sind“
„Du hast es ihr erzählt?“
Ich funkelte ihn zornig an, da er doch tatsächlich empört klang. „Willst du gleich den nächsten Streit anfangen? Dann leg los, ich hör dir gerne zu“
„Nein… schon gut“ Er seufzte. „Aber sie erzählt es keinem?“
„Dann hätte ich es ihr nicht gesagt“
Stille.
„Hör zu. Valentin, es tut mir leid, okay? Was ich gesagt habe… das war nicht ernst gemeint! Natürlich glaube ich nicht, dass du in mich verliebt bist, weil sich sonst keiner dir annimmt“
Ich zuckte bei seinen Worten erneut zusammen.
„Ich war nur wütend weil… naja… keine Ahnung! Ich hab einfach das Gefühl ich kann nichts mehr machen, ohne dass nicht die ganze Welt davon weiß! Ich bin es gewohnt, frei zu sein und tun zu können was ich will! Das alles… erdrückt mich grad einfach ein bisschen und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll… und dann noch diese Schwulengeschichte, ich steh einfach nicht auf Männer!“
„Damit hattest du vor drei Tagen am wenigsten Probleme“
Er wurde tatsächlich rot.
„Ja… also… Das mit dem… na du weißt schon…“ Er seufzte. „Das hat doch nichts zu bedeuten oder?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein“
„Gut… heißt das, zwischen uns ist wieder alles gut?“
Ich hatte die Lippen aufeinander gepresst und starrte vor mich auf den Boden. Ich wollte nicht nachtragend sein, aber verdammt nochmal, das war nicht so einfach! Ich wollte es nicht zugeben, aber der Streit hatte mich ganz schön verletzt. Oder vielleicht auch eher die Tatsache, dass er mich gefickt und danach mehr oder weniger weggeworfen hatte? Keine Ahnung.
„Valentin?“
Ich fluchte verhalten und nickte. „Ja, schon in Ordnung“
„Irgendwie klingst du nicht sehr überzeugt“
Das tat er wirklich nicht. Irgendwie beruhigte mich das, denn jetzt konnte ich mir sicher sein, dass ich mit der Person Valentin Saton gesprochen hatte, nicht mit dem Schauspieler.
„Naja, du hast Sachen gesagt, die nicht spurlos an mir vorbei gegangen sind.“, gab Saton zu, sah mich dabei direkt an.
„Hmm.“
Ich war mir meiner Schuld bewusst. Ihn erst anbrüllen, dann vögeln und dann wieder anbrüllen. Hannes, du bist ein wirklich guter Freund. Ein echter Sympathisant. Juhu. Dabei stehst du diese Sache noch viel weniger durch, wenn du ihn nicht an deiner Seite hast.
„Hilft es dir, wenn ich zugebe, ein Arsch zu sein?“ Ich blickte ihn übertrieben hoffnungsvoll an, er musste tatsächlich grinsen. Wie konnte ich ahnen, dass hinter diesem Lächeln der Schauspieler steckte?
Ich stand auf und ging in die Küche.
„Irgendwelche Wünsche fürs Abendessen?“
Gut so, einfach nicht mehr drüber reden. Arschloch.
„Tob' dich aus.“, antwortete Saton und verschwand im Badezimmer.
Während ich Gemüse schnitt und Fleisch anbriet, schwirrten meine Gedanken noch immer um den Streit. An den Sex wollte ich gar nicht denken, sonst würde mein schlechtes Gewissen nur noch größer werden. Quatsch. Nur weil er schwul war, musste er ja nicht auf mich stehen. Also hatte ich seine Gefühle ja nicht großartig verletzt. Und warum sollten wir keinen Sex haben? Schließlich waren wir ein Paar, Männer, die nun mal ihre Bedürfnisse hatten. Zudem fand ich den Sex mit Kerlen gar nicht so schlecht und Valentin ging es wohl nicht anders. Welche andere Chance gab es schon für uns Spaß zu haben, außer miteinander?
Ich bemerkte gar nicht, dass Saton schon mit dem Duschen fertig war und den Tisch deckte. Auch er schien in Gedanken, er hatte die Stirn in Falten gelegt.
Das Essen verlief weitestgehend schweigend, aber die Stille war nicht so unangenehm, wie erwartet.
„Alles klar?“
Ich nickte, legte mein Besteck auf den Teller und stand auf. Abräumen? Später.
„Alles klar. Hab das Gemüse ein bisschen versalzen, findest du nicht?“
„Finde ich nicht.“
Er sah mich nicht an, stocherte im Blumenkohl herum.
„Manche Dinge hätten einfach nicht passieren dürfen.“, stellte ich fest.
„Ich habe keine große Lust darüber zu reden. Also sagen wir einfach: Männer haben ihre Bedürfnisse und belassen es dabei, okay?“
Ich war überrascht, das von ihm zu hören.
Als ich das Gefühl hatte, meine Stimme würde wieder einigermaßen funktionieren, antwortete ich: „Männer haben ihre Bedürfnisse.“
Ich spürte sein Grinsen, auch wenn ich ihn nicht ansah. Er stand auf, boxte mir in die Schulter, als er mit dem Geschirr in Richtung Küche verschwand. Ich folgte ihm mit den Töpfen, wollte ihm nicht noch mehr auf den Geist gehen. Er stand an der Arbeitsfläche, räumte die Teller und das Besteck in die Spülmaschine.
Da war irgendetwas anderes in seinen Augen. Etwas, das mich verwirrte, faszinierte und das ich nicht beschreiben konnte.
Als wären wir Magneten, saugten sich erst unsere Blicke aneinander fest, wie magnetisch angezogen ging ich auf ihn zu, dann näherten sich unsere Münder wie von selbst. Ja, okay, Bedürfnisse. Aber das war doch unsere Entschuldigung für Vergangenes gewesen, nicht der Freifahrtschein für weitere sexuelle Abenteuer.
Seine Lippen waren heiß. Und dieses Mal raste keine Wut durch meinen Körper, sondern reine Lust. Warum ließ ich mich schon wieder auf meine Gefühle ein, wenn ich selbst nicht begriff, was sie bedeuteten? Das hatte schon beim letzten Mal nur ins Chaos geführt. Ein Wunder, dass Valentin überhaupt noch mit mir redete. Er hätte alles Recht dazu, es nicht zu tun. Und jetzt gab er sich mir erneut hin, dieses Mal auf eine vorsichtige, erkundende Art und Weise. Ich beendete unseren Kuss, setzte ihn auf der Haut seines Halses fort, dort wo ich ihn vor zwei Tagen noch grob gebissen hatte.
Ich spürte das Blut in ihm kochen, leise stöhnend reagierte er auf meine Liebkosungen. Verdammt. Nicht schon wieder. Für einen Moment schaltete sich mein Verstand ein, ich riss mich los.
Schwer keuchend machte ich ein paar Schritte nach hinten.
„Sorry“, stammelte ich und verschwand im Schlafzimmer. In dieser Nacht schlief er auf der Couch.
Ich saß bei uns auf dem Sofa, Kyle und Emma neben mir und hatte keine Ahnung, dass Valentin gerade ein ähnliches Gespräch durchmachen musste.
Kyle war herein gekommen und hatte ein Magazin mit den Worten „Bei mir warst du nie so leidenschaftlich“ auf den Tisch vor mir geknallt. Da waren die Fotos von Valentin und mir.
Oh Mann. Bei Kyle hatte ich es noch auf den Alkohol schieben können. Aber am Tag dieser Aufnahmen war ich total nüchtern gewesen, daran gab es keinen Zweifel. Jeder andere, der von dem Vertrag wusste, hielt mich jetzt wohl für einen noch besseren Schauspieler als zuvor, aber Kyle und Emma kannten mich zu gut, konnten hinter jede Maske blicken, die ich mir aufsetzte. Meistens war ich darüber froh, jetzt brachte es mich fast um den Verstand. Als wäre ich nicht schon verwirrt genug, weil mich dieser verdammte Kerl anzog. Wie lange konnte ich vor mir selbst noch die Ausrede aufrechterhalten, ihn nur zu begehren, weil ich keine andere Wahl hatte? Hoffentlich so lange, bis die gelebte Lüge vorbei war. Der Plan danach: Eine Frau finden, Kinder kriegen. Valentin vergessen.
„Hallo? Jemand zu Hause?“, Kyle wedelte vor meinem Gesicht herum.
„Klar. Sicher.“, antwortete ich zu hastig.
Jetzt stand Emma auf und ging vor mir in die Hocke. Ihre Hände legten sich auf meine Knie.
„Du musst doch selbst zugeben, dass diese Fotos sehr... echt aussehen, oder?“
Ich schluckte, zwang mir ein Lächeln auf.
„Tja, ich bin ein genialer Schauspieler. Sonst hätten sie mir die ganze Sache nicht zugetraut. Ich muss eben sehr echt wirken.“
Kyle seufzte auf. „Gerade bist du aber kein genialer Schauspieler, Schatz.“, flüsterte er und nahm mich in den Arm.
Schnell machte ich mich los. "Du zweifelst an meiner Kompetenz in meinem Beruf? Was bist du denn für ein bester Freund.“ Übertheatralisch klammerte ich mich an meine Schultern, versuchte, die beiden vergessen zu lassen, weswegen sie da waren.
„Das tut er nicht.“, warf Emma ein. „Er kennt dich nur viel zu gut, um sich von deinen Fähigkeiten täuschen zu lassen. Und das geht mir ebenfalls so.“
Meine Verzweiflung, nicht aus der Situation heraus zu kommen, machte mich wütend. Ich sprang auf.
„Was wollt ihr hier eigentlich erreichen?“, rief ich aus und ging ein paar Schritte ich Richtung Küche, mit den Händen fuhr ich mir grob über das Gesicht.
Emma hatte sich erhoben. „Naja, Valentin und du, ihr seid so ein tolles Paar. Wir wollen nicht, dass du vor irgendwelchen Gefühlen davon rennst.“
Dieses Mal brüllte ich.
„ICH HABE KEINE VERDAMMTEN GEFÜHLE FÜR VALENTIN SATON.“
Da war das Geräusch des Schlüssels im Schloss zu hören.
Hannes war beim Dreh und ich lag auf dem Sofa bei Celine, meinen Kopf auf ihrem Schoß. Ihre Hand fuhr durch meine Haare, während sie die Bilder in diesem Schwulenmagazin durchblätterte, das heute erschienen war.
Chris hatte es gesehen und mitgenommen. „Kam mir total bescheuert vor, wie die Verkäuferin mich angegafft hat“, hatte er gemurmelt und uns das Heft gereicht. „Als hätte ich mir nen Porno geholt“ Jetzt schielte er genauso in die Zeitschrift.
„Willst du die Fotos gar nicht sehen?“, fragte Celine und hielt mir das Heft vor die Nase.
Nein, eigentlich nicht. Ich wusste, dass ich auf den Fotos meine Gesichtsausdrücke ohne Chance kontrollieren konnte. Ich wollte gar nicht wissen, wie offensichtlich ich ihn ansah.
„Na los sieh es dir an, Mann“, drängelte jetzt auch Chris, also seufzte ich und starrte auf das Titelbild.
Verdammt, der Fotograph war wirklich gut, ohne Zweifel.
Wir standen hinter der schlichten weißen Wand, ab den Schultern war das Bild abgeschnitten. Hannes eine Hand lag in meinem Nacken, seine andere an dem Kragen meines T-Shirts um mich scheinbar zu sich zu ziehen. Sein Blick lag auf meinen Lippen, als ob er es nicht erwarten konnte, mich zu küssen. Ja, er war schon ein guter Schauspieler. Mein Blick war genauso verliebt wie ich befürchtet hatte. Scheiße.
Celine musterte meinen Gesichtsausdruck. „Dich hat es schon ganz schön erwischt, oder?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Kann man wohl nichts dran ändern“
Ich schlug den Artikel auf, in dem noch ein paar mehr Fotos abgedruckt waren. Das halbe scheiß Heft war voll davon.
Die Bilder waren verdammt heiß, ohne Frage. Ich seufzte und legte das Heft zur Seite. „Das Bild ist schon ziemlich eindeutig oder?“, murmelte ich hoffnungslos.
Hoffentlich deutete Hannes meinen Gesichtsausdruck ebenfalls als schauspielerische Glanzleistung.
Celine nickte seufzend. „Aber hast du seinen Blick gesehen?“
Ich nickte.
„Und?“
„Was und?“
„Na fällt dir nichts auf?“
„Was soll mir denn auffallen?“
Chris seufzte und stand auf. „Der ist total scharf auf dich, Mensch!“
„Er kann halt gut schauspielern“, murmelte ich und richtete mich auf.
„Das glaubst du doch wohl selber nicht“, brummte Chris abfällig.
„Wie auch immer…Ich geh dann langsam mal…“
Celine nickte nur und brachte mich zur Tür. Kurz bevor ich die Wohnung verließ, schlang sie nochmals die Arme um mich. „Wenn was ist ruf mich an, ja?“
Ich seufzte. Ich war doch kein Weib. Ich nickte aber und ging dann.
Gerade als ich den Schlüssen ins Schloss stecken wollte hörte ich Hannes brüllen: „ICH HABE KEINE VERDAMMTEN GEFÜHLE FÜR VALENTIN SATON!“
Ich schloss auf und betrat die Wohnung, das wohl bekannte Brennen in meiner Brust ignorierend.
Als ich ins Wohnzimmer kam, sahen mir die drei bereits entgegen. „Du vielleicht nicht, aber er schon“
Hannes Blick schoss zu mir.
„Ich weiß gar nicht worum es hier überhaupt geht“, brummte ich, da Kyle wahrscheinlich eh davon ausging, dass ich den Zusammenhang nicht verstand.
„Ist nicht so wichtig. Ich glaube ihr beiden geht jetzt besser“
Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Warf er gerade tatsächlich seine Schwester und seinen besten Freund raus?
Ergeben standen die beiden aus, unterhielten sich noch eine halbe Ewigkeit im gesengten Tonfall vor der Tür, bevor diese ins Schloss fiel und er ins Wohnzimmer zurückkam.
Ich saß mittlerweile auf dem Sofa, das dämliche Heft wieder in der Hand und starrte erneut auf das Titelbild. Ich wollte ihn nicht ansehen.
Er ließ sich neben mich fallen und starrte ebenfalls auf das Cover.
„Stimmt das?“
„Was stimmt?“ Ich legte das Bild weg und rieb mir die schmerzenden Schläfen.
„Das du mich liebst“
Ich sagte nichts sondern starrte nur auf meine Hände. In meinem Gesicht brannte die Scham.
Fluchend sprang er auf und tigerte vor mir auf und ab. „Man Valentin! Warum hast du denn nichts gesagt verdammt?“
„Wozu denn?“, murmelte ich. „Ist ja nicht so, als ob es was bringen würde“
„Scheiße, du weißt doch, dass ich hetero bin!“
„Drum hab ich doch nichts gesagt“, rief ich verzweifelt. „Ich weiß doch, dass es nichts bringt. Jetzt wirst du nur noch mehr Probleme damit haben, diese Pärchen-Kiste durchzustehen! Und ich… Fuck!“
Ich warf die Zeitschrift in die Ecke und vergrub mein Gesicht in den Händen. „Es tut mir leid, Hannes…“
Tut mir leid, dass ich schon wieder fluchen musste. Valentin war in mich verliebt. Verdammt.
Jetzt kam ich mir vor, wie das größte Arschloch auf der Welt. Streiten, vögeln, fallen lassen, sich versöhnen, ihn küssen, ihn wieder fallen lassen. Und bei all dem auf seinen Gefühlen herum trampeln.
„Muss es nicht. Mein Verhalten tut mir noch mehr leid, Saton.“
Er raufte sich die Haare, sah noch verzweifelter aus als sonst.
„Ich verspreche dir, mich so beschissen wie möglich zu verhalten, damit du dir das mit dem verliebt sein noch mal überlegst.“, versuchte ich einen Scherz zu machen und er grinste sogar.
„Dabei wünsche ich dir viel Glück. Um meinetwegen.“
Saton starrte auf das Heft, das er wütend von sich geworfen hatte. Es war auf einer Doppelseite aufgeschlagen, eine Nahaufnahme, ein leidenschaftlicher Kuss.
Er sprang hastig auf.
„Bin duschen.“, murmelte er und verschwand.
Ich zitterte, als ich unter der Dusche stand. Warum musste ich mich auch ausgerechnet in ihn verlieben? Jetzt würde er mir nur noch mehr aus den Weg gehen. Mich noch mehr hassen als sowieso schon. Er war doch eh schon so genervt von mir.
Als ich aus der Dusche rauskam, fühlte ich mich auch nicht sehr viel besser. Ich zog mich rasch um und stand dann eine halbe Ewigkeit vor der Badezimmertür. Ich wollte Hannes nicht sehen. Ich atmete tief ein und lief ins Wohnzimmer.
Hannes saß immer noch auf dem Sofa und sah mir entgegen. Verflucht. Ich griff nach meiner Jacke.
„Valentin!“ Da war ich schon aus der Tür draußen. Orientierungslos lief ich durch die Gegend, den Kopf voll mit schrägen Gedanken, die alle Hannes betrafen.
Scheiße, wieso hatte er mich auch gestern noch geküsst. Wieso schon wieder? Ich stand mittlerweile in irgendeiner Bar, saß in einer Ecke und trank Wodka. Warm floss er meine Kehle herunter und benebelte meine Sinne.
Irgendwann hatte ich meinen Kopf auf meine Arme auf den Tisch gelegt und starrte trübselig in das Glas.
„Hey. Du bist doch Valentin Saton, richtig?“
Ich sah auf. Vor mir stand ein junger Mann mit kurzen, braunen Haaren und dunklen Augen.
„Sorry, aber bin nicht in Stimmung, um irgendetwas zu unterschreiben oder so“, brummte ich.
„Das seh ich“ Der junge Mann schob einen Stuhl zurück und setzte sich mir gegenüber. Als der Kellner ankam zeigte der Mann auf mein leeres Glas. „Noch einen, bitte. Und mir können Sie gleich einen mitbringen“
Nachdenklich sah ich den Mann an, hatte mich ein Stück weit aufgerichtet. Er lächelte mich an und reichte mir die Hand. „Ich bin Jack“
Ich ergriff seine Hand, der Händedruck war fest. „Hey“
Neugierig musterte er mich. „Und? Warum sitzt du hier so alleine?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hatte keine Lust auf Gesellschaft“ Ich lallte.
„Hatte?“ Er lächelte.
Plötzlich saß er neben mir, mein alkoholisiertes Hirn hatte die Bewegung kaum wahrgenommen. „Weißt du, dass du viel besser aussiehst, als im Fernsehen?“ Verwirrt und ein Stück weit überrumpelt sah ich ihn an. Baggerte er mich an? Unstet huschte mein Blick über sein Gesicht. Auf einmal legte er seinen Arm um meine Hüfte.
Hannes kam mir wieder in den Sinn und die Tatsache, dass ich ja offiziell mit ihm zusammen war. Halbherzig schob ich seinen Arm zur Seite. „Wie du ja dann auch aus dem Fernsehen weißt, hab ich einen Freund“
„Und warum lässt er dich hier ganz alleine sitzen?“, fragte er und hielt meinen Blick fest. „Er scheint sich nicht sehr gut um dich zu kümmern“
Ärgerlich rückte ich von ihm ab. „Das geht dich nichts an“
„Ich wollte dich nicht verärgern. Es scheint dir nur nicht sonderlich gut zu gehen und ich frage mich, warum sich dein Freund dann nicht um dich kümmert?“
Ich erwiderte nichts, starrte wieder in mein Glas, das schon wieder halb leer war.
„Hey. Hast du Lust woanders hin zu gehen?“
„Zum Beispiel?“
Er lächelte wieder. „Komm einfach mit“ Er zog mich am Arm hoch und lehnte sich gegen mich, als ich vom Alkohol berauscht, zu kippen drohte. „Du hast wohl schon ein bisschen was getrunken, was?“ Er lachte. Sein Lachen klang angenehm.
Es dauerte nicht lange, bis wir vor einem Club standen, in dem ich davor noch nie war, aber ich war zu betrunken, um darüber nachzudenken, ob das eine gute Idee war.
„Hier wird dich wahrscheinlich niemand erkennen“, rief er mir zu, als wir drinnen waren. „Die Stars treiben sich hier selten rum“
Das Licht flackerte über die tanzende Menge und ich sah mich um. Es sah aus, wie in den Clubs in denen ich war, bevor ich berühmt geworden war. Wir schienen mitten auf der Tanzfläche zu stehen.
Ich zuckte zusammen, als ich plötzlich Jacks Körper hinter mir spürte, der sich an mich drückte. „Hey, willst du tanzen?“ Seine Hände lagen an meinen Hüften, seine Lippen an meinem Ohr. Was zur Hölle tat ich da, ich kannte ihn gar nicht?
Und doch bewegte ich mich vor ihm zum Takt der Musik, den Körper des fremden Mannes hinter mir, der sich an mir rieb. Ich spürte seine Lippen über meinen Hals wandern und sehnte mich nach dieser Nähe. Einfach nur nach Nähe, egal wer da hinter mir stand.
Erst kam ich mir lächerlich vor, weil ich Valentin überall suchte, als wäre ich eine verzweifelte Mutter und er mein dreijähriger Sohn. Aber irgendwie hatte ich im Gefühl, dass er etwas anstellen würde. Ich wusste selbst, wie es sich anfühlte, in so einer Situation zu sein. Als mir das letzte Mal das Herz gebrochen worden war, hatte ich mich auf Kyle eingelassen. Im Nachhinein keine schlechte Sache, aber Valentin war nun mal offiziell vergeben und die Presse lauerte überall da, wo man sie nicht vermutete.
Als ich Saton endlich entdeckte, verschwand er gerade mit einem anderen Typen in einem kleinen Club, der wenig seriös wirkte. Genau so wie der Kerl. Es war mehr Zufall, dass ich die beiden entdeckte, mir war zunächst der leicht schwankende Mann aufgefallen. Erst, als eine kreischende Stimme seinen Namen rief, realisierte ich, dass es sich um meinen Freund handelte. Verdammt, was hatte der schon alles intus?
Ich überquerte hastig die Straße, setzte gegenüber den Leuten auf der Straße aber ein freundliches Gesicht. Das führte dazu, dass ich mehreren jungen Damen Autogramme geben musste, ein Mädchen wollte ein Foto mit mir und ich hatte das Gefühl, sie würde gleich in Ohnmacht fallen.
Endlich im Club und auf der Tanzfläche angekommen, entdeckte ich Saton im Arm eines anderen Mannes, der wohl Gefallen an ihm gefunden hatte. Das ich auf die beiden zuging und Valentin in meine Arme zog, lag nicht daran, dass ich unseren Ruf retten wollte, sondern weil ich eifersüchtig war. Dieser Kerl sollte sich bloß nicht einbilden, bei Valentin eine Chance zu haben, er war schließlich in mich verliebt. Ich bedachte den Fremden mit einem bösen Blick, legte die Hände auf Satons Gesicht und küsste ihn. Seine Lippen schmeckten noch scharf vom Schnaps, der Alkohol ließ ihn meinen Kuss gierig erwidern. Er schlang seine Arme um mich, flüsterte meinen Namen, wenn ich die Lippen kurz von ihm löste, um Luft zu holen. So standen wir eine ganze Weile da, einander küssend, verschlingend. Ich fand erst die Kraft, mich von ihm zu lösen, als ich hörte, wie die Leute klatschten und ich von ersten Blitzlichtern geblendet wurde.
„Ich bringe dich heim, Babe“, flüsterte ich und zog Saton mit mir nach draußen.
Der Heimweg war weniger spektakulär. Ich verfrachtete uns in ein Taxi, Saton lehnte an meiner Schulter, dann brachten Shane und ich ihn nach oben, wobei er sich beinahe verzweifelt an mich klammerte. Wenigstens redete er nicht, sonst hätte er sich wohl noch verplappert.
Endlich lag er auf dem Sofa. Ich ging zum Küchenschrank und nahm eine Flasche Whiskey heraus, den hatte ich mir nach der Aufregung verdient. Ich trank aus der Flasche, nur ein paar kleine Schlucke, dann stellte ich sie zurück und wandte mich wieder Valentin zu. Er hatte mich nicht aus den Augen gelassen, auf seinem Mund lag ein seltsames Lächeln.
„Du warst eifersüchtig.“, murmelte er und grinste noch breiter.
„Falsch.“, sagte ich und deutete auf ihn. „Ich habe verhindert, dass morgen in der Zeitung steht: Valentin Saton betrügt seinen Freund.“
Jetzt sah er aus, wie ein kleines Kind, dass keine Schokolade bekam.
„Aber du liebst mich doch auch... ein kleines Bisschen.“
Ich lachte auf. „Natürlich liebe ich dich ein kleines Bisschen. Du bist ein guter Freund, Saton.“
„Du hast Babe gesagt.“, warf er ein und versuchte, aufzustehen. Ich ging auf ihn zu, half ihm auf und schälte ihn aus der Lederjacke.
„Für die Fans.“, antwortete ich. „Und jetzt komm, ich bringe dich ins Bett.“
Saton nickte langsam und ich half ihm ins Schlafzimmer. Dort zog ich seine Jeans und das T-Shirt aus und drangsalierte ihn zum Bett. Valentin machte nicht mal Anstalten, mir dabei zu helfen.
Langsam wirkte der Whiskey und mein Verstand fing an, ein paar wirre Gedanken zu spinnen.
Ein halbnackter Kerl war dabei nicht sonderlich hilfreich.
Beim Bett angekommen wollte ich ihn auf Matratze legen, doch bei meinem Glück landete ich auf ihm im Bett. Valentin gluckste, dann sah er mich an und sein Gesicht wurde erst Ernst, dann lustvoll. Wir küssten uns, ehe ich es begriffen hatte, streichelten einander, ohne dass ich meinen Händen Einhalt gebieten konnte. Im Rausch des Alkohols und der Zärtlichkeiten entledigte ich mich meiner Klamotten, um mehr von seiner Wärme auf meiner Haut spüren zu können.
„Du lässt dich schon wieder auf ihn ein. Das bricht ihm das Herz.“, rief mein Verstand.
„Egal.“, antwortete der Alkohol. Er gewann. Ich wollte Valentin küssen und liebkosen und in ihm sein, jetzt. Egal was war und was kommen würde.
Meine Lippen wanderten über seinen Hals, hinunter zur Brust. Während ich seinen Geruch in mich aufnahm, der meinen Verstand noch mehr vernebelte und meine Lust steigerte, krallte er seine Hände in mein Haar.
„Du musst mich nicht lieben Bennett. Wir können trotzdem...“, er keuchte auf, als ich meine Hand unter seine Boxershorts gleiten ließ. „...trotzdem Sex haben.“
Ich kam zu ihm hoch, versiegelte seine Lippen mit einem weiteren Kuss.
„Der Meinung bin ich auch.“
Wieder Küsse. Sanft, wild, neckend, verzehrend. Meine Hand in seiner Hose, seine auf meinem Rücken. Stöhnen, Keuchen, das leise Quietschen des Bettes, als er mich unter sich brachte.
„Kondom.“, presste ich heraus.
„Bin negativ.“, kam die Antwort. Saton packte mein Gesicht, zog es für einen Kuss an sich.
„Nur Sex. Keine Liebe.“, flüsterte er. Dann führte er mich in sich ein, ließ sich auf meinem Schoß nieder und entlockte mir ein lustvolles Stöhnen. So eng, so heiß.
Er fand einen langsamen Rhythmus, quälte mich mit seiner Trägheit. Im Rausch küsste ich den Schweiß von seiner Brust, krallte die Hände in seine Hüften. Als er kam, nutzte ich den Moment, um ihn unter mich zu bringen. Ich brauchte nur wenige Stöße, um selbst zu fliegen, blieb danach auf ihm liegen, fuhr mit den Händen seine Arme entlang, drückte Küsse auf seine Brust.
Valentin hatte die Augen geschlossen.
„Du liebst mich doch.“, flüsterte er, dann war er eingeschlafen.
Dieses Mal gab es ein Aufwachen im Arm des anderen, mit brummendem Schädel und verklebtem Körper. Trotzdem, im Dämmerlicht des Halbschlafes konnte es nichts Schöneres geben, als warme, weiche Haut unter den Fingern, das gleichmäßige Atmen einer anderen Person. Ich drückte meine Lippen auf den Arm, auf dem mein Kopf ruhte, fuhr mit den Fingern über die muskulöse Brust...
Und wurde wach. Oh nein, verdammt. Es ist wieder passiert.
Nur langsam wurde ich wach, mein Kopf dröhnte fürchterlich. Stöhnend rieb ich mir über die Schläfen. Irgendetwas lag schwer auf meiner rechten Seite und als ich die Augen aufschlug, stellte ich fest, dass Hannes halb auf mir lag.
Komisch… was zur Hölle war passiert? Hannes sah mich ziemlich peinlich berührt an, aber ich hatte keinen Plan wieso.
Langsam richtete ich mich auf und Hannes rutschte schnell von mir weg. Zischend fuhr ich zusammen. Fuck, mein Arsch brannte wie Hölle.
„An was erinnerst du dich noch?“, kam die zögernde Frage, als mir ätzend an den Hintern langte und entsetzt auf das Sperma an meinen Fingern starrte.
„An gar nichts… Scheiße Hannes, was ist passiert?“
„Ich… also wir…. Schon wieder, ich meine…“
„Du hast mich schon wieder flachgelegt?“, entgeistert sah ich ihn an. „Und dann noch ohne Gummi?“
Abwehrend hob er die Hände. „Du hast gesagt du bist gesund! Außerdem hast eigentlich du, ich meine... Kannst du dich an gar nichts mehr erinnern?“
Ich runzelte die Stirn. Ich war aus dem Haus gegangen, war in irgendeiner Kneipe gelandet… dunkel drängte sich die Silhouette eines Mannes in meinen Verstand und ich erinnerte mich, dass ich mit ihm in einen Club gegangen war. Keine Ahnung welcher es war. Dann war Hannes gekommen und…
Ich grinste ihn an. „Du hast mich im Club geküsst“
Er verdrehte die Augen. „Von allen Dingen, die gestern passiert waren, erinnerst du dich daran?“
Ich nickte. „Du hast mich mit dem Typen im Club gesehen, bist eifersüchtig geworden und hast mich geküsst“
„DAS ist deine Interpretation“, knurrte er.
„Achja?“, amüsiert lehnte ich mich zu ihm rüber. „Ich erinnere mich nicht mehr zu genau, aber soweit ich mich erinnern kann, hast du mich an dich gezogen. Mir langsam die Zunge in den Hals geschoben, damit der Kerl das auch ja sehen konnte. Ich hab dich festgehalten. Irgendwann hast du die Augen geschlossen und den Typen ignoriert, der in der Zwischenzeit übrigens schon gegangen war. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass du aufgehört hast, als er weg war“ Mein Gesicht war jetzt nur noch Zentimeter vor Hannes, der mich mit großen Augen ansah. Mein Herz schlug mir heftig gegen die Brust. „War es nicht ungefähr so?“
„So ungefähr“, gab er zu.
Ich sah ihn nachdenklich an und schüttelte dann den Kopf. Ich stand auf und ignorierte den seltsamen Schmerz in meinem Hintern. Ob ich mich daran jemals gewöhnen würde?
„Woran?“
Fuck, hatte ich das laut gesagt?
„Woran gewöhnen?“
Scheinbar. Ich seufzte. „Der Sex“
„Was ist damit?“
„Ich war davor nie passiv und das ist… komisch irgendwie“ Ich konnte ihn nicht ansehen. Gott, was wir für Themen hatten! „Themenwechsel!“, rief ich in den Raum.
„Wie, du warst davor nie passiv?“ Hannes sah mich an wie ein Ufo.
„Denkst du, ich lasse mich von jedem Kerl ficken?“, patzte ich ihn an. Trotzig schob ich das Kinn vor, als er dicht vor mir stehen blieb und mich zwang, ihn anzusehen.
„Heißt das, bei mir ist es was anderes?“
Unsicher huschte mein Blick über sein Gesicht. Dann schnaubte ich ärgerlich und schob seine Hand weg. Was zur Hölle wollte der von mir? Der machte mir doch immer Vorträge, dass er ja hetero war blablabla und jetzt? „Das zweite Mal zählt nicht, ich war besoffen und kann mich nicht erinnern. Und das erste Mal, da lag es wohl an dem blöden Streit“
„Oh“ Klang er etwa enttäuscht?
Ich schimpfte mich innerlich einen Dummkopf. Ich wollte mir doch nur irgendwelche Hoffnungen einreden. Aber da gab es keine! Hannes war hetero… naja wahrscheinlich eher bi, aber trotzdem hatte er kein Interesse an mir! Das hatte er ja gestern laut und deutlich durch die Wohnung gebrüllt. Was stellte ich mir denn vor, eine Beziehung mit Hannes? Lächerlich.
„Du hast gestern gesagt, es sei dir scheiß egal, ob ich dich liebe oder nicht, dass wir trotzdem… also du weißt schon… Gilt das immer noch, oder hast du ein Problem damit? Denn ehrlich gesagt mag ich den Sex mit dir, Saton. Und das Ganze dauert bestimmt noch lange genug. Ich bin kein Mönch im Zölibat!“
Ich sah ihn mit zusammengepressten Lippen an. Dann seufzte ich. „Von mir aus, Bennett. Aber lass die Finger von mir, wenn ich besoffen bin. Ich will mich wenigstens daran erinnern. Und jetzt geh ich duschen“
Damit verzog ich mich Richtung Bad.
Ich stelle das Wasser an und wollte das Handtuch aufheben, das wohl aus dem Regel gefallen war. Fluchend hielt ich inne. Als ich in den großen Spiegel sah, fiel mir das kleine Rinnsal Blut an der Innenseite meines rechten Oberschenkels auf. Gott, warum konnte ich mich bloß nicht erinnern, was letzte Nacht passiert war?
Ich schlüpfte unter das heiße Wasser und wusch mir Schweiß und Spuren einer Nacht vom Körper, von der ich nichts mehr wusste.
Seufzend lehnte ich meine Stirn gegen die kalten Fliesen und versuchte, den Abend Revue passieren zu lassen. Nach dem Kuss...
Hannes hatte mich nach Hause gebracht und ins Bett verfrachtet… danach…
Urplötzlich schoss mir die Hitze ins Gesicht. Ich hatte…
„Nun, dass erklärt natürlich einiges“, brummte ich und stieg aus der Dusche, trocknete mich ab und schlang mir ein Handtuch um die Hüfte. Ich sollte wohl endlich aufpassen, was und wie viel ich trank.
Freundschaft plus sollte es also sein. War mir recht. Und es war schließlich seine Idee, also trampelte ich ja nicht auf seinen Gefühlen herum. Und hey, jeder bekam was er wollte. Sex. Bei Valentin kam dann noch die Illusion einer echten Beziehung dazu. Was wollte man mehr.
Ich ging in die Küche, kochte Kaffee und machte Waffeln, als Valentin fertig war, verschwand ich unter der Dusche. Der einzige Gedanke, der mich noch quälte war, dass ich ihm seine Jungfräulichkeit genommen hatte. Einfach so, ohne Zärtlichkeit, wie er es verdient hätte. Ich Arschloch. Wie oft hatte ich mir diesen Titel in den letzten Tagen schon gegeben? Jetzt war es zu spät, sich Vorwürfe zu machen. Genossen hatte er den Sex ohnehin.
Ich wusch mir die Haare, föhnte sie und band sie zu einem lockeren Dutt zusammen. Dann stieg ich in meine Jeans und verließ das Badezimmer.
„Wo ist denn mein Depeche Mode T-Shirt?“, rief ich in die Küche, während ich schon meine Schuhe anzog und die Jacke von der Gaderobe nahm.
„In deinem Schrank, wo es hin gehört.“, kam die Antwort.
Ich ging zum Schlafzimmer, zog das Shirt über und marschierte zurück in die Küche. Dort nahm ich zwei der übrig gebliebenen Waffeln, schlüpfte in die Jacke. Valentin stand gegen die Arbeitsfläche gelehnt und frühstückte. Ich sollte ihn wohl lieber nicht fragen, warum er nicht saß. Beim nächsten Mal würde ich vorsichtiger sein.
Beim nächsten Mal. Wie stellte man sich so etwas vor? Hey, Kumpel, ich will ficken, hast du Bock? Ne, jetzt nicht, ich schau grade den Film, danach gerne. Unkompliziert wäre es wenigstens.
„T-Shirt gefunden?“, fragte Saton, obwohl er die Antwort schon kannte.
Ich beugte mich zu ihm. „Ja. Du bist die beste Ehefrau, die man sich vorstellen kann, Schatz.“
Damit drückte ich ihm einen Kuss auf die Stirn, schnell, damit ich noch seinem Tritt ausweichen konnte. Ich flüchtete in den Flur.
„Ich bin am Set, wir sehen uns heute Abend. Und morgen heißt es: Ciao, Rafael Lacroix, dein letztes Stündlein hat geschlagen.“
Und damit auch Ciao Hannes Bennett, letzter Drehtag. Ein Schritt hin zur Normalität.
Rafael Lacroix sank zu Boden. Sins Kugel hatte ihn in die Brust getroffen, doch noch betäubte der Schock den Schmerz. Er würde nicht mehr lange leben.
Der Superheld, der Retter von New Bern, beugte sich über den Gefallenen. In seinen Augen war nichts von der Lust zu sehen, die Rafaels Vater so oft verspürte, wenn er tötete.
„Du hast mich erwischt, Steve.“, flüsterte der Sterbende, die Hände auf die Wunde gepresst.
Der Mann über ihm zuckte zusammen. „Ihr kennt meinen Namen?“, flüsterte er.
Rafael lachte leise auf, doch der Schmerz zuckte durch seinen Körper und ließ ihn wieder verstummen. „Ich kenne DICH, Steve.“, presste er hervor. Nicht einmal im Moment seines Todes verlor er seine Würde, die aristokratischen Züge in seinem Gesicht blieben Stolz.
Sin beugte sich tiefer über den Sterbenden und schon die Maske von seinen Augen. Rafael sah die Überraschung und den Schmerz im Gesicht seines besten Freundes.
„Rafael...“, die Stimme des Helden zitterte. „Wie...?“
„Adrian Lacroix ist mein Vater, Steve.“ Er hustete Blut.
„Ich habe dir vertraut.“
Wieder ein schmerzhaftes Auflachen.
„Du weißt doch, ich stehe immer auf der Seite, die für mich die meisten Vorteile bietet. Nichts gegen deine Qualitäten als Freund....“ Wieder ein Husten, Blut spucken, röcheln.
Sin legte sich die Finger an die Lippen. „Ich will keine Erklärung von dir. Du weißt, dass ich deinen Vater töten werde, wie ich dich getötet habe?“
Rafael hob eine Hand, Blut aus der Schusswunde klebte daran. „Ich weiß, Steve. Ich kenne seine Schwachstelle.“ Eine brüchige, leise Stimme, als spräche man mit einem alten Mann.
Sin ergriff die Hand des alten Freundes, presste sie an seine Wange.
„Garden Avenue.“, flüsterte der Sterbende, ein Lächeln breitete sich über sein Fahles Gesicht aus.
Dann wurden seine Augen ruhig und die Brust würde sich nie wieder für einen Atemzug heben.
„Du hast die richtige Seite gewählt.“, flüsterte Sin und wischte sich Tränen und Blut aus dem Gesicht. Er drückte einen Kuss auf die Stirn, noch war die Haut warm. Adrian Lacroix würde seinen Sohn lächelnd vorfinden.
Kaum hatte ich meine Lippen auf seine Stirn gedrückt, rief der Regisseur lauthals „SCHNITT! Gut gemacht, Jungs!“
Ich erhob mich, als sich Hannes Arm um meine Schultern legte und mich wieder zu sich runterzog. „Das war dann wohl unsere letzte gemeinsame Szene, Saton“
Ich nickte und zwang mich zu einem Lächeln. „Jetzt hast du es endlich hinter dir“ Ich stand auf. Es war ein komisches Gefühl zu wissen, dass unsere Zusammenarbeit damit eigentlich beendet war. Offiziell würde das zwar erst geschehen, wenn die letzte Szene im Kasten war, aber trotzdem…
Ein lauter Donnerschlag durchbrach meine Grübeleien und ein heller Lichtblitz durchzuckte das Studio. Erschrocken fuhr ich zusammen und sprang mit klopfendem Herzen auf. Gott, ich hasse es, wenn sie ihre Donner-Effekte übten!
Hannes kam aus dem Lachen nicht mehr heraus, hielt sich sogar den Bauch, während ich mit zusammengekniffenen Augen den Licht-Techniker anfunkelte.
Während mein Herz einen Marathon lief fuhr ich mir gespielt unbekümmert durch die Haare. Meine Hand zitterte. Der Sack hatte vor Lachen Tränen in den Augen!
„Ich hasse Gewitter“ Kommentierte ich betont schlicht und hielt ihm meine Hand hin, um ihn hochzuziehen, da er immer noch auf dem Boden lag.
Schweigend liefen wir nebeneinander zu den Umkleiden. Irgendwie hing jeder seinen eigenen Gedanken nach.
„Hast du heute Abend schon was vor?“
Überrascht sah er mich an. „Nein. Du etwa?“
Ich zuckte nichts sagend mit den Schultern. „Lust etwas trinken zu gehen? Heute war dein letzter Drehtag. Ich finde, da sollten wir feiern“
„So froh mich los zu werden?“ Er grinste herausfordernd.
„Nein. Ganz und gar nicht“ Ich sah ihn ernst an. Weder jetzt noch später. Schließlich zuckte ich anschließend mit den Schultern. „Aber man kann es ja nicht ändern. Also sehen wir uns gleich am Auto?“
Er nickte und ich grinste ihn schief an, bevor ich in der Garderobe verschwand.
Eine viertel Stunde später saßen wir nebeneinander im Auto.
„Und? Irgendeine Idee, wo wir hinfahren könnten?“, fragte ich während ich aus der Garage fuhr.
„Eine Idee hätte ich. Ist aber n Stückchen weit zu fahren“
Ich sah ihn fragend an. „Naja, da wo ich eigentlich wohne gibt es ne tolle Kneipe. Ich wollte eh morgen hin fahren und nach meinem Hausboot sehen. Mein Kumpel bringt mich um, wenn dem etwas passiert. Und du hast morgen frei, richtig?“
„Hausboot?“
Er nickte. „Na los, steig aus! Ich fahr weiter, dann sind wir schneller. Kenne ein paar Abkürzungen“
Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. „Du, hinter dem Steuer meines Autos?“
„Sieh es als feindliche Schiffsübernahme!“ Grinste er und hielt mir- seinen Zeigefinger an die Kehle.
Ich seufzte. „Na super. Hannes auf Piratenmodus?“
Trotzdem hielt ich am Straßenrand und tauschte mit Hannes den Platz. „Na dann bring mich mal zu deinem tollen Schiff...“
Das tat er auch. Ca. drei Stunden später hielt er an einem Kiel, der nur von einzelnen Straßenlaternen beleuchtet wurde. Die Boote schwankten leicht in den Wellen und zogen an den Tauen, die sie am Ufer hielten. Hannes stieg aus und grinste mich breit an, während ich die Boote musterte.
„Und welches davon ist deines?“
„Komm mit“ Er packte mich am Arm und zog mich hinter sich her auf ein kleines hölzernes Boot zu, das schon etwas älter wirkte, aber genau zu Hannes passte. Er ging auf das kleine Boot zu, klappte den kleinen Steg runter und kramte in seinen Taschen nach dem Schlüssel. Ich wollte ihm folgen, doch er hielt mich zurück.
„Warte kurz“
Von außen hörte ich ihn im Inneren herumpoltern, vermutlich räumte er noch schnell auf. Da ich Hannes Chaos mittlerweile kannte, schien mir das die logischste Erklärung zu sein.
Schließlich erschien sein Kopf wieder in der Tür, sein ganzes Gesicht strahlte.
„Alles an Bord“
„Du hast das Boot vermisst, was?“ Neugierig sah ich mich um, als ich durch die kleine Tür trat. Es war nicht sonderlich groß, vielleicht so groß wie eines der Zimmer in meiner Wohnung, aber wirkte dafür richtig gemütlich. Und für eine Person reichte es vollkommen.
„Ja“ Er räumte einen Stapel Bücher auf ein kleines Regal. „Ist ein bisschen unaufgeräumt… aber du kennst mich ja“
Ich nickte und betrachtete ein paar Fotos, die an der Holzwand über dem Bett befestigt waren. Bilder von seiner Familie und Freunden und scheinbar auch ein paar von Auftritten beim Theater. Auf allen Bildern strahlte er.
„Dir hat das Theater viel bedeutet“
Überrascht sah er mich an. „Wie kommst du plötzlich darauf?“
Ich nickte in Richtung der Bilder. „Dein Gesichtsausdruck. Du wirkst… anders. Nicht so gestresst. Zufriedener“
„War ich auch. Wenn das Ganze hier endlich vorbei ist, geh ich auch wieder zum Theater zurück. Soweit das möglich ist“
Endlich. Ich verzog das Gesicht, sagte aber nichts. „Also, wo ist jetzt diese Kneipe?“
Heimat. Das war mein erster Gedanke, als ich mein chaotisches, inzwischen etwas eingestaubtes Hausboot betrat. Nachbarn hatten ab und zu gelüftet und die Katze gefüttert, sonst war es die ganze Zeit unbewohnt gewesen. Hier in diesem kleinen Raum traf ich auf mein altes Ich, mein armes, ungezwungenes, unabhängiges Ich, das sich von Tiefkühllasagne ernährte und tagelang durchschlief. Irgendwie berührte es mich, Valentin in mein altes Leben und zu Hause zu bringen, ihn, der jetzt der Mittelpunkt meines Lebens war.
Sein Blick wanderte im Boot herum, blieb an den Bildern hängen, die ich aufgestellt hatte.
„Dir hat das Theater viel bedeutet?“
„Wie kommst du plötzlich darauf?“ Er deutete mit dem Kopf auf meine Kommode. Da waren Bilder von Danny und unseren Vorstellungen.
„Dein Gesichtsausdruck. Du wirkst… anders. Nicht so gestresst. Zufriedener“
„War ich auch. Wenn das Ganze hier endlich vorbei ist, geh ich auch wieder zum Theater zurück. Soweit das möglich ist“
Er schien von meiner Antwort enttäuscht zu sein.
„Also, wo ist jetzt diese Kneipe?, wechselte er das Thema.
Ich nahm meine alte Lederjacke vom Haken. (Ich hatte sie schon vermisst und gar nicht daran gedacht, dass ich sie hier hängen hatte lassen) und wir verließen das Hausboot wieder.
Eine Zeit lang gingen wir schweigend nebeneinander her.
„Es war eine wirklich tolle Zeit am Theater. Schauspielen ist auf der Bühne was ganz anderes. Die Interaktion mit dem Publikum, kein Mensch der Schnitt schreit. Das ist toll.“
Saton zog seine Augenbraue hoch. „Ich wusste gar nicht, dass du auch für etwas schwärmen kannst.“
„Einmal im Jahr gönne ich mir den Luxus.“, antwortete ich, schaute hinauf in den Himmel und genoss die frische Luft, weit entfernt vom Großstadtsmog.
„Hannes Bennett. Ich glaube es nicht. Der verlorene Sohn kehrt zurück.“
Ich drehte mich um und stand meinem ehemaligen Chef gegenüber. Dannys Körperfülle hatte zu-, seine Haardichte abgenommen. Er zog mich in eine überschwängliche Umarmung.
„Wie geht es unserem Hollywood-Sternchen? Nein, sag nichts. Ohne dich geht’s bei uns den Bach runter, wir schaffen nur noch ein Stück im Jahr, weil dein Nachfolger eine Lusche ist. Und die Stadt will die Finanzierungen kürzen. Naja, sonst geht’s uns gut, meine Frau hat den fünften Welpen geworfen. Ein Junge. Am Anfang sind sie alle süß.“
So ging es eine ziemlich lange Zeit weiter, wir liefen schon weiter zur Bar, er folgte uns. Die Blicke, die mein Freund und ich uns zuwarfen, waren gleichermaßen belustigt wie auch verwirrt.
Als Danny endlich aufhörte zu sprechen, um Luft zu holen, nutzte ich die Chance.
„Danny, schön dich zu sehen. Das ist mein Freund, Valentin.“
Saton legte seine Hand in meine.
„Ich habe von euch gelesen. Meine Tochter findet Schwule ja unglaublich süß. Ich meine, jeder, wie er meint, aber für mich wäre das nichts. Zu viel Aufregung bei euch in Hollywood. Da lobe ich mir die Ruhe hier.“
Valentin grinste mich an. „Ja, um die Ruhe seit ihr echt zu beneiden.“ Ich stieß ihm in die Seite, doch Danny schien den Sarkasmus gar nicht wahrgenommen zu haben.
„Ich muss dann weiter, Jungs. Melde dich bei mir, Hannes, wenn du mal nichts zu tun hast. Wir finden bestimmt eine Rolle für dich im neuen Stück.“
Er umarmte mich und dann auch den etwas überforderten Valentin und war schneller verschwunden, als man es ihm zugetraut hätte. Und ich konnte nicht mehr aufhören zu lachen. Valentin stimmte ein.
„Du bist wirklich viel glücklicher hier.“, stellte er plötzlich fest, seine Stimme klang dabei irgendwie traurig.
Ich hatte gewusst, dass der ganze Promi-Mist Hannes runterzog. Aber zu sehen, dass es ihm deutlich besser gegangen war, als er noch auf der Bühne des Theaters gestanden hatte, schlug mir irgendwie aufs Gemüt.
Hannes Hand drückte die meine und ich sah überrascht auf. „Jetzt guck nicht so niedergeschlagen. Ja, mein Leben war entspannter, bevor ich nach Hollywood gegangen war, aber es war meine Entscheidung. Ich wollte mir die Chance halt nicht entgehen lassen. Und es ist ja nicht so, als hätte das Ganze nur schlechtes mit sich gebracht. Immerhin hab ich ne Menge Leute kennengelernt“
„Ist nur schwer vorstellbar, dass du tatsächlich gut drauf sein kannst“ Ich grinste ihn schief an, hatte keine Lust jetzt darüber zu reden.
Mit offenem Mund starrte er mich an, bevor er mir seine Hand entzog und mir in die Seite boxte. „Arsch!“, rief er gespielt entrüstet und wuschelte mir gleich darauf gut gelaunt durch die Haare. „Ich kann sehr wohl gut drauf sein, wenn ich will“
„Dann sollte ich wohl dafür sorgen, dass du öfter gut drauf sein willst, was?“
Hannes hielt mir die Tür zur Kneipe auf und ich trat ein. Die Wahrscheinlichkeit hier erkannt zu werden war zwar relativ gering, trotzdem setzten wir uns lieber an einen etwas versteckteren Tisch im hinteren Teil der Kneipe.
Hannes bestellte sich ein Bier und ich blieb bei Cola. Irgendwie liefen mir die Dinge zurzeit zu sehr aus dem Ruder, sobald ich etwas trank.
Wir unterhielten uns über nichts Wichtiges. Seine Zeit beim Theater, der Dreh heute…
„Das ging schneller als ich dachte“, meinte Hannes schließlich und lächelte. „Ich hab doch gerade erst bei Sins of a Hero angefangen“
Ich nickte nur.
„Es stört dich, dass ich am Set fertig bin“, stellte er nach längerem Schweigen fest und trank von seinem Bier.
„Nein. Ich finde es nur schade, dass ich mich jetzt alleine mit Curt rumschlagen muss“
„Lügner“
„Es war doch klar, dass wir nicht endlos lange an der Serie arbeiten werden! In zwei Monaten ist es ganz vorbei, daran kann man halt nichts ändern“, wich ich aus.
„Stimmt. Aber es stört dich trotzdem“
Ich funkelte ihn über den Tisch hinweg an. „Was erwartest du von mir zu hören, Bennett? Du weißt genau, dass mir etwas an dir liegt. Du wirst von mir also nicht hören, ich wäre froh darüber, wenn du, wie du es so schön betonst, endlich aus meinem Leben verschwindest. Aber das weißt du sowieso, also verstehe ich nicht, was du mit deiner Fragerei erreichen willst“
Er sah mich nachdenklich an und setzte erneut die Flasche an seinen Mund, während ich verärgert aus dem kleinen Fenster sah.
„Ich glaube ich will einfach nur herausfinden, wie ernst es dich erwischt hat“
Ich funkelte ihn aus den Augenwinkeln heraus an, während er mich nur unschuldig anlächelte. „Komm schon, ich hab nicht nachgedacht. Nicht sauer sein, okay?“
Ich legte meinen liebsten Blick auf und blieb so lange genau in dieser Haltung sitzen, bis er zu lachen anfing. Ich fiel mit ein und zog ihn für einen Kuss an mich. Naja, eigentlich war es nur ein kurzes Aufeinandertreffen unserer Lippen, doch Valentin sah mich verwirrt an.
Ich erhob mich, drückte noch einmal seine Hand und ging zu der Brünetten hinüber, die an der Bar lehnte und zu uns herüber starrte. Als sie merkte, dass ich auf sie zukam, fing sie zu grinsen an.
„Ich hab davon gehört, dass sie Fans gegenüber sehr freundlich sind, Mr. Bennett, aber ich hatte nicht erwartet, dass sie auf ihren Interviewpartner direkt zukommen. Sue Michael mein Name.“ Unter ihrer freundlichen Maske schien sie ziemlich aufgeregt, sie war jung, wohl noch neu im Geschäft.
Ich setzte mein süßestes Lächeln auf. „Ich will nur verhindern, dass sie die ganze Kneipe auf uns aufmerksam wird. Mein Freund und ich wollen einen Abend zu zweit genießen.“
„Das kann ich verstehen. Das heißt, sie sind nicht an einem Interview interessiert? Ich arbeite nämlich für die örtliche Zeitung und es wäre wirklich etwas Besonderes für unser kleines Blatt, wenn wir mit den Stars reden, die in Hollywood gerade am meisten diskutiert werden.“
„Heute leider nicht, Mrs. Michael.“ Ich wandte mich ab, ließ ihr ein paar Sekunden der Enttäuschung, dann grinste ich sie an.
„Wenn sie wollen kommen wir morgen Vormittag zu ihnen in die Reaktion.“
Sie fiel vor Strahlen fast vom Stuhl. „Ähm, danke. Das ist toll. Warten sie, ich gebe ihnen die Visitenkarte.“ Sue kramte in ihrer Tasche herum.
„Nicht nötig, Mrs. Michaels. Ich habe bei ihrer Zeitung als Student gearbeitet. Da finde ich noch hin.“
Damit ging ich zu Valentin zurück, der mich mit einem fragenden Blick erwartete. Sue saß noch immer strahlend an einer Bar.
„Wenn ich mir die Gespräche unserer Tischnachbarn anhöre, denkt die Hälfte, du hättest den perfekten Anmachspruch rausgehauen und die Dame sehr glücklich gemacht.“
„Ist da wer eifersüchtig?“, ich ließ mich ihm gegenüber auf die Eckbank fallen.
„Eifersucht habe ich nicht nötig, Süßer“, konterte er.
„Das ist gut. Dann muss ich dir ja nicht erzählen, was ich mit der hübschen Lady besprochen habe.“
Er leerte seine Cola und sah mich provozierend cool an. „Nö, musst du nicht.“
Touché.
„Muss ich aber trotzdem. Ich habe uns einen freien Abend beschert, dafür haben wir morgen ein Interview mit der lokalen Zeitung. Und Sue Michael wird wohl sehr bald befördert werden.“
Valentin fing zu lachen an. „Inzwischen macht mir die gute Laune Angst, Hannes. Wir müssen so schnell wie möglich nach Hollywood zurück.“
Ich lehnte mich zurück, nahm einen Schluck aus meiner Flasche.
„Oder nie wieder.“
Es war mitten in der Nacht und natürlich lag ich wach. Auf dem Hausboot war nur Platz für ein relativ schmales Bett, welches wir uns teilten. Ich lag eng an Hannes gedrückt und hatte einen Arm um ihn gelegt, um nicht rauszufallen, da er sich die Wandseite gesichert hatte.
Leider war auf dem Boot kaum Platz um auf ein Sofa oder so auszuweichen.
Aber das hielt mich nicht davon ab zu schlafen. Sondern das dämliche Gewitter, das draußen tobte und das Schiff schaukeln ließ. Ich hasste Gewitter, war dabei schon immer nervös geworden. Und das schwankende Boot machte die Sache nicht besser.
Hannes schlief natürlich tief und fest. Ich fluchte verhalten. Ein Blitz erleuchtete den kleinen Raum und der darauffolgende natürliche Donnerschlag ließ mich zusammenzucken.
Vorsichtig, um Hannes nicht aufzuwecken, krabbelte ich aus dem Bett und betrat die Küche, die nur durch eine dünne Wand vom „Schlafzimmer“ getrennt lag und machte mir mit Hilfe des Schnellkochers einen Tee.
„Saton?“, kam es müde aus der Tür. „Alles okay?“
„Klar“ Mit zitternden Fingern angelte ich nach der Tasse hoch oben im Schrank und hoffte, dass das wackelnde Haus mir nicht das Geschirr entgegenspuckte.
Hannes lehnte am Türrahmen musterte ich neugierig. Ich würde den Teufel tun und mich ihm gegenüber outen. Der hatte schon genug, worüber er über mich lachen konnte.
Der nächste Donnerschlag ließ die Scheiben in den Fenstern erzittern und mir rutschte die Gott verdammte Tasse aus den Fingern. Fluchend ging ich in die Hocke um die Scherben aufzusammeln.
Hannes kam auf mich zu. „Setz dich auf die Bank. Du schneidest dich noch“
„Unsinn, ich mach das“
Seine Hände tauchten in meinem Blickfeld auf und schoben meine zur Seite. „Mach schon. Setz dich hin“
Grummelnd ließ ich mich auf der Bank nieder, während Hannes die Scherben entfernte und sich dann neben mir fallen ließ.
„Ich wusste ja nicht, dass du Gewitter gleich so hasst“
„Jetzt weißt du es“
„Ich hab noch nie nen Erwachsenen gesehen, der Angst vor Gewittern hatte“
„Halt die Klappe, Bennett“
„Das war kein Vorwurf. Mich interessiert es eher, wies dazu kommt?“ Ich schwieg. Als Donnergrollen erneut die Stille zerriss, schloss ich die Augen. „Komm schon, rede! Du weißt sowieso mehr von mir als ich von dir. Ziemlich unfair, findest du nicht?“
„Bist du in Redelaune?“, knurrte ich.
„Immerhin hast du mich geweckt“
„Du kannst auch gerne wieder schlafen gehen“
„Will ich aber nicht“
„Was kann ich dann dafür?“
„Saaaaaaaaaaaton!“
Ein weiterer Donnerschlag. „Als ich sechs oder so war, haben mich ein paar Jungs im Heim auf dem Dachboden eingesperrt. Ich war da den ganzen Tag und die halbe Nacht. Es hat Gewittert und gestürmt und ich bin fast gestorben vor Angst. Irgendein beschissener Schrank ist umgefallen und auf mich drauf gekracht und es hat Ewigkeiten gedauert, bis die Idioten einen von den Heimmüttern gesagt haben wo ich stecke. Seitdem kann ich keine Gewitter mehr leiden. Ende der Geschichte“
„Das ist doch Ewigkeiten her“
„Na und? Du bekommst auch keinen Erwachsenen, der als Kind mal in nen Brunnen gefallen ist dazu, durch nen engen Tunnel zu krabbeln“
Noch ein Donnerschlag. Hannes lehnte sich mit seiner Schulter beruhigend gegen mich.
„Haben die damals öfter sowas abgezogen?“
„Die Großen mit den Kleinen ständig. Und da ich damals noch dem perfekten Beuteschema entsprach, klein und dick, war das halt so“
„Du klein und dick? Schwer vorzustellen“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Wo stand das Heim?“
„Düfte von hier eine Stunde entfernt sein“
„Wirklich?“
„Jop“
Ich sammelte die Scherben auf, kochte uns einen Tee und setzte mich dann zu Saton auf den Küchenboden. Er erzählte mir von seiner Kindheit im Heim, den Sonnen- und Schattenseiten und endlich bekam ich das Gefühl, mehr als nur den Hollywood-Valentin zu kennen. Wenn es draußen donnerte, zuckte er zusammen, doch nach einer Weile zog das Gewitter ab und es regnete nur noch. Das Geräusch der Tropfen auf dem Wasser und dem Teer machte uns schläfrig und wir beschlossen, ins Bett zurück zu kehren.
Als wir an der Eingangstür vorbei kamen, kam mir eine Idee, ich sah Saton verschwörerisch an und rannte dann hinaus in die Nacht. Noch immer regnete es in Strömen und meine Kleidung war nach wenigen Sekunden komplett durchnässt. Doch das Wasser war angenehm warm und so fing ich an, auf dem Kai zu tanzen und zu springen. Das hatte ich als Kind immer gemacht, zusammen mit Emma. Nach einiger Zeit wischte ich mir die Haare aus dem Gesicht und sah zum Boot hinüber. Saton stand nicht mehr in der Eingangstüre. Erst war ich ein wenig enttäuscht, schließlich hatte ich gehofft, ihn mit dieser Aktion wenigstens dazu zu bringen, mich aus zu lachen, dann aber merkte ich, dass er sich wenige Meter weiter selbst im Regen um die eigene Achse drehte. Sein Grinsen reichte vom einen Ohr zum anderen und ich musste feststellen, dass auch er ausgelassener war, als ich ihn je erlebt hatte. Trotz der Themen, über die wir uns unterhalten hatten.
Ich packte seine Hände und wir drehten uns auf dem Asphalt wie kleine Jungen. Irgendwann hingen wir uns lachend in den Armen.
Wir stolperten klatschnass ins Boot zurück, hängten unsere Kleidung über die Heizung und fielen nackt ins Bett. Dieses Mal kam der Schlaf schnell und tief und wir wurden erst von den Sonnenstrahlen geweckt.
Wir betraten die Redaktion der Zeitung und den Leuten fielen die Kinnladen herunter. Entweder hatte niemand Sue Michaels geglaubt, oder diese hatte nichts von unserem Treffen erzählt, um keine Enttäuschung zu erleben. Für Valentin und mich kam es gar nicht in Frage, ein Versprechen zu brechen, aber das konnte die junge Journalistin ja nicht wissen.
Mrs. Michaels kam uns mit hoch rotem Kopf entgegen, bat uns in ein Zimmer, in dem Sessel standen, hetzte wieder heraus und holte uns Kaffee. Die tiefe Entspannung der letzten Stunden setzte sich fort, wir trugen beide ein paar meiner alten Klamotten, weil die Kleider von letzter Nacht nicht getrocknet waren. Und trotz weniger Stunden Schlaf hatten wir gute Laune, scherzten herum und genossen die lockere Stimmung, die auch bald auf Sue Michaels und ihre Vorgesetzten über ging. Tatsächlich durfte die Brünette selbst das Interview führen, sie hatte sich vorbereitet, aber tatsächlich an unserem Kommen gezweifelt, wie sie gestand.
Nach einigen Fragen, die wir oft zu hören bekamen, stellte sie auch Fragen zur Serie, zu unserer Zusammenarbeit und zur beruflichen Zukunft. Dabei ging sie vor allem auf mich ein, gerade weil gestern mein letzter Arbeitstag gewesen war.
„Haben Sie den schon Pläne, Hannes? Eine weitere Serie oder ein Film?“
Ich schluckte. Darüber hatte ich mit Valentin noch gar nicht geredet, geschweige denn mit meinem Manager, der schon verzweifelte, weil ich alle Rollen ablehnte, die er mir vorschlug.
„Ich liebäugele mit der Vorstellung, ins Theater zurück zu kehren, auf die Bretter, die die Welt bedeuten.“ Ich nahm Valentins Hand, drückte sie.
„Das bedeutet, dass sie beruflich getrennte Wege gehen. War das denn besonders schwer für sie?“
Saton und ich tauschten Blicke aus. Er antwortete für uns.
„Hannes ist ein grandioser Schauspieler und toller Kollege. Das spielen mit ihm macht Spaß und ist auch manchmal eine Herausforderung. Und so ist das auch privat. Es war toll, so nahe zusammen zu arbeiten, aber für die Zukunft haben wir andere Pläne.“
Tja, so sah es wohl aus. Wir gingen getrennte Wege, beruflich und bald auch privat.
Zurück im Hausboot warf ich meine Jacke auf das Bett. „Dann hätten wir das auch erledigt… Du willst also definitiv zum Theater zurück?“
„Ja… eigentlich schon“
„Du hast Kay aber noch nichts gesagt, schätze ich“ Ich ließ mich auf das Bett fallen.
„Nein. Wäre also gut, wenn du das noch für dich behältst“
„Ich werde kein Sterbens Wörtchen verraten. Aber du solltest es ihm sagen, bevor das Interview rauskommt, damit er nicht aus allen Wolken fällt“
Er nickte, griff dann nach meinem Arm und zog mich zu sich hoch. „Ich wechsele jetzt mal ganz elegant das Thema“
Er küsste mich und ich seufzte leise. Mal sehen, wie lange es dauern würde, bis ich mich endlich daran gewöhnte, dass Hannes durch diese Freundschaft Plus Sache weniger distanziert war als vorher. Nicht, dass es mich stören würde.
„Ist das deine Art mir zu sagen, ich soll die Klappe halten?“
„Sozusagen“, grinste er und biss mir frech in die Unterlippe. „Ich wollte es nur etwas höflicher rüberbringen“
„Was, wenn ich mir nicht den Mund verbieten lasse?“, brummte ich und schob meine Hände unter sein Shirt um es ihm auszuziehen.
„Dann werde ich dich wohl dazu bringen müssen“
Ich stöhnte auf, als sich sein Bein gegen meinen Schritt drückte. „Ich glaube du unterschätzt mich“
Geschickt wich ich ihm aus und blieb hinter ihm stehen. Seine Schultern hoben und senkten sich heftig. Wie schafften wir es nur, uns in wenigen Minuten derart einzuheizen?
Er sah mich fragend über die Schulter hinweg an, als ich meine Arme um seine Hüfte schlang und ihn an mich zog. Sein Rücken lehnte gegen meine Brust, mein heißer Atem streifte seinen Nacken. Er schauderte, während meine Hände über seinen Oberkörper glitten. Er versuchte, sich in meinem Arm umzudrehen, doch ich hinderte ihn daran, indem ich mein Becken gegen seinen Hintern drückte und meinen rechten Arm fester um ihn schlang.
„Vergiss es. Diesmal bin ich dran“ Er stieß ein tiefes Stöhnen aus, als ich ihm seitlich in die Halsbeuge biss und an der Haut saugte. Seine Hände krallten sich seitlich in meine Oberschenkel, als müsse er sich festhalten. Er beugte seinen Kopf nach hinten, sodass er auf meiner Schulter zu liegen kam, während ich weiter seinen Hals malträtierte. Wahrscheinlich würde ihn morgen an der Stelle ein dunkler Fleck zieren. Er war wirklich empfindlich am Hals.
Das unruhige Heben und Senken seines Brustkorbs verriet, dass er nach Luft schnappte. Ich ließ meine Finger über die heiße, glatte Haut wandern, jeden Zentimeter erkunden, seine Muskeln nachmalen. Langsam bewegte sich meine Hand auf seinen Hosenbund zu, nur um gleich darauf wieder nach oben zu wandern und sich mit seinen Nippeln zu beschäftigen.
Ich sah ihm über seine Schulter hinweg ins Gesicht, ohne von seinem Hals abzulassen, seine Züge waren angespannt, er hatte sich auf die Lippen gebissen und die Augen geschlossen. Erneut biss ich ihn in die empfindliche Stelle, diesmal fester als zuvor und konnte sehen, wie sich seine Brauen zusammenzogen und er ein langgezogenes Stöhnen von sich gab. Grinsend blies ich kalte Luft über die heiße Haut, der Griff an meinen Oberschenkeln wurde fester.
So benahm sich Hannes also, wenn er mal passiv am Geschehen beteiligt war. Seine Hüften hatten sich in der Zwischenzeit selbstständig gemacht, drückten sich gegen meinen harten Schwanz und rieben sich unruhig an mir, als würde es ihm langsam eng in der Hose. Oder rieb ich mich an ihm? Keine Ahnung und völlig unwichtig.
Ich löste meinen rechten Arm, der ihn bis dahin an mich gedrückt hatte, um ihn festzuhalten. Nicht, dass das nötig wäre. Ihm gefiel ganz offensichtlich, was ich da tat, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob er realisierte, was hier gerade geschah. Er öffnete die Augen, sein Blick war etwas überrascht, vielleicht auch ein bisschen abwesend.
Seine Stimme war dunkel und rau geworden, als ich meine Hand langsam wieder nach unten gleiten ließ und er sich stöhnend an mich drückte. Ich löste meine Lippen von seinem Hals, und küsste ihn, ließ langsam meine Zunge in seinen Mund gleiten und öffnete seine Jeans.
Keuchend löste er sich von meinen Lippen. „Du bringst mich um… Ah!“ Seine Hüften zuckten nach vorne, als ich seinen Schwanz fest mit meiner Hand umschloss. Seine Hände krallten sich schmerzhaft in meine Beine, während ich ihn langsam rieb.
Meine eigene Erektion drückte mittlerweile dermaßen fest gegen meine Hose, dass mir selbst feiner Schweiß auf der Stirn stand und mein Atem keuchend über seine heiße Haut blies.
Ich ließ von seiner Brust ab und öffnete meine Jeans, um mir Platz zu machen, rieb mich an seinem Hintern.
Unbewusst hatten wir uns näher Richtung Wand begeben, sodass er sich mittlerweile mit den Armen abstütze, um von mir nicht dagegen gedrückt zu werden. Seine Hose war ihm in die Kniekehlen gerutscht.
Fuck, ich wollte ihn, hier, jetzt, sofort. Aber selbst mein vor Geilheit blankes Gehirn wusste, dass das nicht so einfach war.
Er stöhnte und drückte seinen Hintern fest gegen mein Becken, als ich ihn erneut in den Hals biss. Verdammt, war er empfindlich. Sein Körper bebte und ich spürte, dass er kurz davor war zu kommen.
Also schloss ich meine Faust so fest um seinen Schwanz, dass er genau das nicht konnte. Ein frustriertes Wimmern war seine Antwort.
Er zuckte zusammen, als mein heißer Atem sein Ohr traf. „Du entscheidest, wie weit das hier gehen soll, Hannes“
Ekstase. Lust, in ihrer reinsten Form. Selbstaufgabe in den Armen des Anderen. Das war mehr, als mein Hetero-Hirn vertragen konnte. Und als Valentin mir mit seiner Aufforderung einen Ausweg bot, zerstörte ich den Moment.
„Man, Saton, hättest du einfach weiter gemacht, dann wären wir im Bett gelandet und du in mir. Manchmal wäre es besser, du würdest die Klappe halten.“
Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter, versuchte zu Atem zu kommen, während er mich im Arm hielt, sanfte Küsse auf meinem Hals, die Wangen und meine Stirn drückte. So liebevoll und ohne fordernden Ausdruck in den Augen. Wieder einmal verdiente er mein ganzes Vertrauen, dieser Mann, der so viel mehr war, als ich ihm am Anfang zugestanden hatte und den ich mit jeder Sekunde, die wir miteinander verbrachten, mehr kennen lernte.
Ich schloss die Augen, horchte in mich hinein, konzentrierte mich auf seine Wärme und meine Erregung. Dann wirbelte ich herum, presste meine Lippen auf seine. Ich wollte ihn, ich wollte die Lust, die er mir schenkte. Doch so weit konnte ich nicht gehen. Nicht heute, niemals.
Ich riss die Knöpfe seiner Jeans auf, befreite ihn von dem Kleidungsstück, presste meinen nackten Unterleib an seinen. Unsere Küsse wurden ruppig, fordernd, Zähne stießen aneinander, während wir versuchten, dem anderen näher zu sein, als uns selbst. Die einzigen Geräusche waren unser heftiger Atem, das Stöhnen, seines und meines, das sich zu einem einzigen vermischte und das Klatschen der Wellen gegen das Boot. Das hier war meine Welt. Mein Reich. Hier gab es keine Lügen, keinen Schein, keine Spielerei. Nur uns, voller Lust und Verlangen.
„Es ist ein simples Heim ohne Luxus, doch nirgendwo könnte ich mich mehr wohlfühlen, als hier mit dir. Ich würde das hier alles mit dir teilen.“
Für einen Moment siegte das Herz über den Verstand, nur Satons Lippen auf den meinen hielten mich ab, meine Gedanken laut auszusprechen. Wir fielen auf das Bett, ich hatte nicht mitbekommen, dass wir uns von der Stelle bewegt hatten, so sehr hatten mich die Küsse in ihren Bann gezogen. Er unter mir, mein Becken an seinem, Reibung, die die Lust ins unermessliche steigerte und uns doch keine Erlösung schenkte.
Einen Moment lösten sich unsere Lippen, sahen einander in die Augen. Fast zärtlich berührte Valentin meine Stirn mit seinen Fingern, strich über die Wangen hinunter zum Hals und blieb dort liegen, wo er mich zuvor mit Zunge und Zähnen verwöhnt hatte. Ihm die Führung zu überlassen war etwas, das mich mehr erregte, als ich es mir eingestehen konnte und allein der Gedanke daran, ließ mich fast kommen.
„Es tut mir leid, Saton, aber soweit kann ich nicht gehen.“ Mein Mund presste sich mit Verzweiflung auf seinen, ich umfasste uns, rieb uns zum Höhepunkt. Ich nahm sein Stöhnen in mich auf, als er kam, schluckte es und es berührte mein Herz, ließ es wilder schlagen. Dieser Mann liebte mich. Und ich war zu dumm um mir einzugestehen, dass ich dasselbe fühlte.
Als sich Hannes von mir runterrollte, drehte er sich mit dem Rücken zu mir. Sein Atem ging noch immer schwer, seine von feinem Schweiß überzogene Haut glänzte im Licht.
Ich drehte mich auf die Seite und legte meinen Arm um ihn, zog ihn an meine Brust und breitete die Decke über uns aus. Zu meiner Überraschung stieß er mich nicht weg, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Seine Arme legten sich um meine, als wollte er sie noch fester um sich schließen.
Es war mir klar gewesen, dass er sich mir nicht vollkommen hingeben wollte oder konnte, oder wie auch immer. Ich war ihm auch nicht böse deswegen. Immerhin hatte ich ihm die Wahl gelassen. Wahrscheinlich wäre er hinterher auch ziemlich wütend gewesen, wenn ich das nicht getan hätte.
Sanft küsste ich seinen Nacken, strich mit meinen Fingern über seine erhitzte Haut, während sein Atem ruhiger wurde. Ich wusste nicht, was momentan in ihm vorging, aber ich war klug genug, ihn nicht darauf anzusprechen. Was auch immer es war, er würde es mir nicht verraten.
Ich musste mir eingestehen, dass das Ganze mich optimistischer stimmte. Hätte er sich mir so hingegeben, wenn er wirklich nur rein freundschaftlich für mich fühlen würde? Hätte er dann die Kontrolle abgegeben? Sicherlich nicht. Klar, das ganze war im Endeffekt Wunschdenken. Aber so ein bisschen hoffen durfte ich doch.
Vorsichtig hob ich meinen Kopf um ihm ins Gesicht zu sehen. Sein Blick war nachdenklich auf die Wand gerichtet, seine Lippen zusammengepresst. War wohl besser ihn in Ruhe zu lassen. Ich löste mich von der Umarmung, doch seine Hände hielten mich fest. Also fuhr ich einfach damit fort, über seine Brust zu streicheln.
„Ich liebe dich.“
„Ich weiß“
Als ich aufwachte, lag Hannes noch immer in meinem Arm. Er schlief noch, also versuchte ich mich nicht zu bewegen, um ihn nicht aufzuwecken.
Es war spät nachmittags, eigentlich wollten wir heute zurückfahren. Ich würde einfach noch ein wenig warten und ihn notfalls wecken.
„Bist du wach?“, kam es plötzlich von der vermeidlich schlafenden Person vor mir.
„Ja“ Keine Reaktion. „Bist du… wütend?“
„Nein. Nur müde“
„Willst du lieber noch einen Tag hier bleiben? Wir drehen morgen eine Nacht-Szene, wir können also auch noch morgen Mittag zurückfahren“
„Wir sollten erst einmal duschen und dann sehen wir weiter“
Tatsächlich beschlossen wir nach dem Duschen doch schon zurück zu fahren. Wir saßen nebeneinander im Auto und Hannes schien ein wenig abwesend. Himmel, anscheinend hatte ihn die Nummer ganz schön durcheinander gebracht. Gut, dass ich mich durchsetzen konnte zu fahren. Sonst hätte er noch irgendeinen Unfall gebaut.
„Wenn wir schon in der Nähe sind… darf ich dir was zeigen?“
Überrascht sah er mich an. „Klar. Was denn?“
„Wirst du schon sehen“, murmelte ich und bog die nächste Kreuzung links ab.
Je Näher wir dem Ziel kamen, desto heftiger schlug mein Herz. Meine Hände schlossen sich unruhig um das Lenkrad. Hannes beobachtete mich, die Stirn fragend in Falten gelegt. Keine Ahnung, warum ich es Hannes unbedingt zeigen wollte. Vielleicht, weil ich das Bedürfnis hatte, ihn mehr von mir wissen zu lassen.
„Wo fahren wir hin, Valentin?“ Ich kramte meinen Geldbeutel hervor und reichte ihm ein Bild. Ein graues, nicht sonderlich einladendes Gebäude war darauf zu sehen. Davor ein paar Kinder, die man kaum erkennen konnte.
Wir hielten ein paar hundert Meter vor unserem Ziel. Um uns rum waren nur ein paar Felder, nichts Besonderes. Ich war schon lange nicht mehr da gewesen. Zwar hatte ich, nachdem ich berühmt geworden war, immer wieder Geld dorthin gespendet, aber ich hatte mich nie durchringen können, den Ort wieder zu besuchen.
Wir stiegen aus und ich griff nach seiner Hand. Folgsam ließ er sich hinter mir herziehen, während wir den staubigen Feldweg folgten. Es hatte sich viel verändert, seit ich hier das letzte Mal gewesen war. Hinter einem Hügel tauchte ein großes Grundstück auf, drei große, miteinander verbundene Gebäude standen darauf. Es war angebaut worden. Der abgenutzte, graue Putz war erneuert worden, die Fassade gestrichen. Das große Gebäude in der Mitte war in einem matten, hellen orange gestrichen worden, die zwei kleineren links und rechts in grün und blau. Auf dem orangen Hauptgebäude war in bunten Lettern geschrieben worden: „St. John’s Kinderheim“.
„Das ist das Heim wo du…“ Ich nickte.
„War schon lange nicht mehr hier. Aber schön zu sehen, dass sie mit dem Geld was Sinnvolles angestellt haben“ Wir standen nur noch ein paar Meter von dem Zaun entfernt. Ich sah den herumspringenden Kindern nach, die auf den relativ neuen Spielplatz zu rannten.
„Du hast Geld geschickt?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Irgendetwas Nützliches muss ich damit ja auch tun...“ Ich starrte auf das Tor im Zaun, nicht sicher, ob ich reingehen wollte. Die Versuchung war groß, zu sehen ob die damalige Heimchefin noch da war, die zwar immer ziemlich viel Ärger mit mir gehabt hatte, aber trotzdem eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hatte. Waren noch ein paar von den Kleinen da, auf die ich aufgepasst hatte? Schließlich war es doch noch nicht so lange her…
„Willst du rein gehen?“
„Ich weiß noch nicht… Komisch wieder hier zu sein… eigentlich hab ich dich nur her gebracht weil… keine Ahnung, ehrlich gesagt“
„Du musst nicht reingehen, wenn du nicht möchtest“
„Ja, ich weiß“ Ich wandte mich um zum Gehen.
„Valentin Saton?“ Ich riss den Kopf herum. In der Tür stand die Heimchefin. Sie war um einiges älter geworden, strahlte mich jedoch über das ganze Gesicht an. Ich grinste, während sie auf das Tor zu geeilt kam. Hannes öffnete das Tor und schob mich hindurch.
Kaum war die alte Frau angekommen zog sie mich in die Arme. „Mein Junge! Ich habe drauf gewartet, dass du dich irgendwann blicken lässt! Lass dich ansehen“ Sie nahm mein Gesicht zwischen ihre Hände. „Es ist schön zu sehen, was du aus dir gemacht hast! Und noch schöner ist es, dass du an uns gedacht hast. Wir haben das ganze Heim mit Hilfe deines Geldes umgebaut, wie du sehen kannst!“
„Es freut mich, dass ich euch helfen konnte“
Wir stiegen ins Auto, jeder irgendwie in Gedanken. Das war ein großer Teil aus Valentins Vergangenheit gewesen und ich durfte ein Teil davon sein. Das war ein größeres Zugeständnis, als ihn ins Hausboot einzuladen und intimer, als jeder Sex, den wir gehabt hatten.
Saton setzte sich ans Steuer, ich ließ mich neben ihn fallen und starrte einige Zeit aus dem Fenster, meine Hand auf seinem Oberschenkel, um ihm Nähe zu geben, falls er sie wünschte. Ich wollte nur, dass er wusste, dass ich für ihn da war. Und bis jetzt machte er keine Anstalten, meine Finger weg zu schieben. Der Himmel war wieder zugezogen, ein Gewitter heute Abend war nicht unwahrscheinlich, aber wir würden wohl noch im Trockenen nach Hause kommen. Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Handy und mir kam die Visitenkarte von Sue Michaels in die Finger, die sie mir nach dem Interview gegeben hatte. Das erinnerte mich daran, dass ich noch meinen Manager in meine Pläne einweihen musste.
Ich wählte mit einem Seitenblick auf Valentin seine Nummer, er meldete sich mit der gewohnten geschäftstüchtigen Stimme. „Johannes Bennett. Was gibt’s?“
„Hallo Mr. Kay. Ich wollte sie nur informieren, dass Valentin und ich ein Interview gegeben haben.“
Ich hörte, wie er etwas zu seiner Sekretärin sagte.
„Na und? Solange sie nicht ihre Trennung verkündigt haben...“, er stockte. „Das haben sie doch nicht, oder, Bennett? Das ist gegen die Abmachungen, die wir getroffen haben.“
Ich grinste bei dem Gedanken und nahm schuldbewusst die Hand von Satons Schenkel, obwohl mein Manager sie ja nicht sehen konnte.
„Keine Angst. Ich habe die Zeitung nur informiert, dass ich wohl nach Sins of a Hero zum Theater zurück kehren werde. Mit der Idee liebäugle ich schon eine ganze Weile und der Aufenthalt in meiner alten Heimatstadt hat meinen Entschluss gefestigt.“
Kay gab wieder Anweisungen.
„Sie wissen, dass dies ein ungewöhnlicher Weg ist. Sie könnten es in Hollywood zu viel bringen bei ihrem Aussehen und Talent.“
„Sie schmeicheln mir ja mehr als mein Freund. Und ja, ich weiß, es ist ungewöhnlich, aber für mich das Richtige.“
„Und es erklärt, warum sie so vielversprechende Rollen abgelehnt haben. Gut, Mr. Bennett, es ist ihre Entscheidung. Ich hoffe nur, ich bleibe weiterhin ihr Manager.“
Ich zog einen Faden aus meinem Pullover und schaute auf die Straße.
„Den werde ich wohl weiterhin brauchen. Berühmtheit wird man nicht mehr so schnell los, wenn man sie mal hat.“
Kay lachte laut, obwohl ich meine Aussage für alles andere als lustig hielt.
„Da haben sie Recht, Bennett. Da haben sie Recht.“
Damit legte ich auf und warf seufzend das Handy in meine Tasche zurück.
Ich hatte das Gefühl, Lisa schon ewig nicht mehr gesehen zu haben. Jedenfalls sah sie jedes Mal ...wie sagt man das... größer aus. Also ihr Bauch. Sie hatte Mitte März ihren Geburtstermin, also in wenigen Wochen. Sie sah klasse aus, so schön schwanger. Als ich auf ihrem Sofa saß, und mich mit ihr über Schwangerschaftsstreifen, unterhielten, dachte ich darüber nach, dass ich genau dieses Leben einmal wollte. Eine Frau, Kinder. Das wäre einfacher gewesen, als sich auf die Sache mit Valentin einzulassen. Aber hinterher war man ja immer schlauer.
„...naja, auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass ich das mit der alleinerziehenden Mutter hin bekomme. Ich will auch so schnell wie möglich wieder arbeiten, meine Oma kann dann auf die Kleine aufpassen.“
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. „Die Kleine? Du weißt, dass es ein Mädchen wird?“
Sie lächelte und ich konnte Tränen in ihren Augenwinkeln sehen. „Ja. Ich bekomme eine kleine Prinzessin.“ Sie strich über ihren Bauch, schaute zu mir auf und nahm dann meine Hand.
„Du kannst sie spüren, wenn sie mich tritt, genau da.“, sie legte meine Finger auf die Stelle und ich spürte tatsächlich die kleinen Erhebungen unter ihrer Bauchdecke.
„Wie wird sie heißen?“
„Hanna.“
„Hanna.“, flüsterte ich und strich über die glatte Haut ihres Bauchs. „Hier spricht dein Onkel Hannes.“
Lisa lächelte. Ich auch.
„Es tut mir leid, dass ich euch so lange nicht besucht habe. Ich hoffe, wir können in Zukunft mehr Zeit miteinander verbringen, jetzt, wo ich mit dem Dreh fertig bin.“
„Das wäre schön.“
Sie stand auf, nahm einen Haargummi von einem Schränkchen und band sich die Haare nach hinten.
„Ein Freund von mir hat ein Fotostudio. Ich könnte für ihn die Models schminken. Das wäre eine Anstellung ohne Trubel.“
„Ich glaube, das ist das Beste so. Ich wollte dir keinen Ärger machen.“
Sie lächelte, setzte sich wieder zu mir.
„Das hast du nicht. Nachdem Valentin und du eure Beziehung öffentlich gemacht hattet, haben die Paparazzi das Interesse an mir verloren. Naja, zu größten Teilen. Und wenn Hanna auf der Welt ist und wir einen Vaterschaftstest vorgelegt haben, wird sich auch das im Sand verlaufen.“
„Das hoffe ich.“, flüsterte ich, zog sie an mich und küsste ihren Scheitel.
„Hast du schon darüber nachgedacht, was du bei der Taufe trägst, wenn du Taufpate bist?“, fragte Lisa und sah mich mit großen Augen an.
„Du willst, das ich Taufpate werde?“
Sie nickte.
„Dann werde ich das coolste Outfit aller Zeiten anziehen.“
„Das glaube ich sofort.“, Lisa tippte auf meine Lederjacke. „Die längeren Haare stehen dir übrigens.“
„Naja, vor allem ärgern sie Valentin mehr, wenn sie im Waschbecken hängen bleiben.“, machte ich das Kompliment zu nichte, weil ich schlecht darin war, eines anzunehmen.
Lisa kicherte und legte die Beine auf den Wohnzimmertisch. Ihre ganze Wohnung war schon kindgerecht eingerichtet und ich fühlte mich total wohl. Gleichzeitig wurde mir bewusst, wie viel das alles gekostet haben musste. Und als Maskenbildnerin verdiente man auch in Hollywood keine Millionen. Noch dazu hatte Lisa lange nicht gearbeitet.
„Wenn du finanzielle Hilfe brauchst, sagst du es mir. Versprochen?“
„Das ist mal ein Themenwechsel.“ Sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter. „Wir kommen ganz gut zurecht. Aber ich sage Bescheid, das schwöre ich. Hoch und heilig.“
Sie lächelte wieder.
DoomTV war ein individueller Sender, den ich gerne mal guckte, weil nicht ständig Werbesendungen und Hollywood-Themen liefen. Naja, jetzt lief schon etwas über Hollywood. „Lügenspiel“, eine Dokumentation über alles, was Sänger und Schauspieler ihren Fans vorgaukelten. Falsche Brüste, falsches Lächeln, falsche Gefühle.
„...macht auch vor Beziehungen nicht halt. Wer im Fernsehen ein gutes Paar abgibt, soll es auch im Leben werden. Dabei wird keine Rücksicht auf die Gefühle der Beteiligten genommen, Hauptsache der Klatsch bleibt in Wallung. Bestes Beispiel hierfür: Hannes Bennett und Valentin Saton. Der Zeitpunkt für ihr Outing ist perfekt gewählt und hat von anderen Dingen abgelenkt. Glücklich über den Schein sind beide wohl nicht, was dieses Bild hier zeigt.“
Ich schaltete aus. Konnte mein genervtes Gesicht, das der Bildschirm zeigte, nicht ertragen.
Ich hatte alles kaputt gemacht.
Vielleicht sahen nur etwa hundert Leute diesen Sender um diese Urzeit und nur ein Viertel glaubte den Vorwürfen. Das waren immerhin fünfundzwanzig. Und wenn die es weiter erzählten...
Ich musste kreidebleich sein, denn als Valentin aus dem Bad kam, sah er mich besorgt an.
„Halloween ist vorbei. Warum verkleidest du dich als Gespenst?“
Beinahe hätte ich gelacht.
Saton zog die Augenbrauen hoch, als ich nicht reagierte und ließ sich neben mich fallen.
„Hast du schon mal darüber nachgedacht, was passiert wenn das alles raus kommt?“
Jetzt starrte Valentin mich an.
Ich wusste im ersten Moment nicht, was ich auf Hannes Frage antworten sollte. Hatte Kyle sich verplappert? War das nur eine rhetorische Frage und eigentlich wussten bereits alle Bescheid?
Trotzdem blieb ich überraschender Weise ruhig. „Gibt’s einen bestimmten Grund für die Frage?“ Ja die Frage klang lauernd. Das war sie auch.
„Nein… eigentlich nicht. Obwohl… ich weiß nicht, nein. Ich hab gerade nur so eine komische Doku gesehen, die sich mit vorgegaukelten Beziehungen in der Promiwelt beschäftigt hat… und die haben uns als Beispiel genannt“
„Bitte?“
„Naja… ich sah auf einem Bild wohl nicht so ganz glücklich aus…“
Ich seufzte, als ich wieder ins Wohnzimmer ging und fuhr mir über das Gesicht. „Nicht jeder kann rund um die Uhr glücklich gucken. Ich bin mir sicher, von mir gibt es auch Bilder, wo mir nicht die Sonne aus dem Arsch scheint“
„Aber hast du dir nie Gedanken darüber gemacht?“, hakte er nach.
„Doch natürlich. Und ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich in Hollywood ausgedient hätte und wieder irgendwo als Kellner jobben müsste. Du hättest wohl auch ein kleines Problem, aber wahrscheinlich würdest du im Theater schon irgendwie unterkommen. Und außerdem macht es keinen Sinn sich damit zu beschäftigen, wenn es soweit kommt können wir eh nichts dagegen tun“
Hannes verzog das Gesicht. Ich zog mit einem verschwörerischen Grinsen die Augenbraue in die Höhe. „Wenn es dir dann besser geht können wir die auch wegen Rufmord anzeigen“
Er lächelte. „Witzbold“
Ich drückte ihm meine Lippen auf den Mund. „Das war mein Ernst“
Es war ein großer Fehler, Kyle einen Schlüssel für die Wohnung zu geben. Das hätte ich wissen müssen, aber es nervte mich einfach, wenn mein bester Freund immer von den Bodyguards angekündigt werden musste. Naja, eigentlich hätte auch ein Schlüssel an Emma gehen sollen, aber die beiden kamen ja sowieso immer im Doppelpack. Dass er jetzt unangekündigt auftauchen würde, hatte ich nicht erwartet.
Ich saß auf der Theke in der Küche, löffelte mein Müsli und hörte Musik. Es war echt schön, endlich mal ein paar freie Tage zu haben, nur in Jogginghosen zu Hause zu sitzen und Mr. Axl Rose zuhören.
Mein lieber Mitbewohner und Freund durfte noch jeden Tag brav zum Set stiefeln, am Wochenende würden wir zu meinen Eltern fahren, mein Dad hatte Geburtstag. Jetzt war Valentin im Bad und wie jeden morgen saß ich hier, um ihn zu verabschieden. Das war wohl das Einzige, was mir nicht so schnell langweilig werden würde. Und zur Entschädigung bekochte ich ihn jeden Tag.
Saton kam aus dem Bad, knöpfte gerade sein Hemd zu.
„Das macht dir Spaß, oder?“, fragte er, als er mein Grinsen sah.
„Ein Bisschen vielleicht.“ Ich nahm einen Schluck Kaffee, um meine Schadenfreude zu verstecken, Saton steckte seine Schlüssel ein, räumte ein paar Überreste meines Frühstücks auf und kam dann auf mich zu.
„Dein Grinsen kannst du dir sonst wo hin stecken. Ich gehe nämlich gerne in die Arbeit. Mein Job macht mir wirklich Spaß.“
„Ach so ist das. Wie konnte ich nur denken, das die Schauspielerei weniger befriedigend sein könnte, als der Müßiggang.“
„Das ist sie aber.“ Valentin kam näher, nahm mir die Tasse aus der Hand und stellte sie neben mir auf die Theke. „Wo wir gerade bei Befriedigung sind...“, jetzt hatte er dasselbe Grinsen auf dem Gesicht, wie ich zuvor.
„Ja...?“
Die Antwort auf meine Frage war ein Kuss, den ich nach einem kurzen Moment der Überraschung erwiderte. Seine Hand legte sich auf meinen Hals, verharrte dort, während seine Lippen die meinen liebkosten.
Meine Finger fuhren unter sein Hemd, legten sich auf den warmen Körper, streichelten die glatte Haut.
„Wenn deine Arbeit so befriedigend ist, solltest du jetzt gehen.“, flüsterte ich.
Die Antwort war ein unverständliches Murmeln, dann küsste er mich weiter, seine Hände fuhren über meine Arme und die Brust. Wie konnte ein Mann da schon widerstehen? Außerdem war Valentin derjenige, der den Ärger bekommen würde.
Ich intensivierte den Kuss, zog Saton näher zu mir, schlang meine Beine um seinen Unterleib und die Arme um seinen Hals.
Gerade wollte ich mich seinem Hemd entledigen, als ich die Gestalt im Augenwinkel wahrnahm.
Beinahe wäre ich rückwärts von der Küchentheke gefallen.
„Hi, Jungs. Sorry für die Störung.“ Jetzt war wohl Kyle derjenige mit dem größten Grinsen von allen.
Ich musste ein knallrotes Gesicht haben, versuchte in meiner Panik, meine Umklammerung zu lösen, was gar nicht so einfach war. Jetzt wäre es definitiv einfacher, ich hätte ihm nicht die Wahrheit über unser Abkommen gesagt. Seltsamerweise schien Valentin die Situation nicht annähernd peinlich zu sein, er löste sich ganz einfach von mir, schloss den obersten Knopf seines Hemdes und nahm seine Tasche vom Küchenstuhl.
„Ich bin dann mal in der Arbeit. Wir sehen uns Kyle.“
Damit war er weg und ich mit einem besten Freund allein, dessen neues Lieblingsoutfit die Neugier war.
„Du musst mir einiges erklären.“, sagte Kyle, legte seine Sonnenbrille auf den Wohnzimmertisch und machte sich auf der Couch breit, als wäre er ein Kind, das auf seine Gute-Nacht-Geschichte wartete. Er klopfte neben sich auf das Polster und ich setzte mich widerwillig, meine Kaffeetasse fest umklammert.
„Du machst mit dem Typen rum, mit dem du zusammen bist, aber nur, weil Hollywood es so will und den du eigentlich gar nicht liebst. Und eigentlich bist du hetero. Das sind die Fakten, wo bleibt die Erklärung.“
„Gibt es so etwas wie Schweigepflicht für Schauspieler?“, fragte ich und sah ihn mit mitleiderregendem Blick an.
„Nein. Nicht existent.“
„Verdammt.“, murmelte ich. Und dann erzählte ich ihm die ganze komplizierte Sache mit Valentin und mir. Kyles Kiefer klappte immer weiter nach unten.
„Das heißt, ihr versteht euch gut, wohnt zusammen und vögelt. Was unterscheidet euch von einem echten Paar?“
Uff.
„Kyle, weißt du, ich mag Valentin wirklich, aber auf Dauer stelle ich mir meine Zukunft einfach mit einer Frau und Kindern vor. Das wir mit einander schlafen hat den ganz einfachen Grund, dass ich auch meine Bedürfnisse habe, aber mit niemand anderen kann, weil ich ja offiziell einen Freund habe. Ihm geht’s genau so.“
Kyle nahm betont langsam seinen Puder aus der Tasche und tupfte sich das Gesicht ab.
„Wenn du meine Meinung wissen willst: Valentin ist super nett. Und heiß. Und du bist auf dem besten Weg, dich in ihn zu verlieben.“
Natürlich hatte ich Kyles Aussage dementiert, ihn geradewegs für verrückt erklärt und er hatte irgendwann das Thema gewechselt. Doch er kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich ihm insgeheim mehr Recht gab, als ich es wollte. Irgendwann verabschiedete er sich wieder, wollte noch bei anderen Freunden vorbei schauen. Ich blieb allein auf dem Sofa zurück und genoss es plötzlich gar nicht mehr, nichts zu tun zu haben. Denn ich machte mir jetzt Gedanken darüber, was Kyle gesagt hatte. Was wäre so schlimm an einer Beziehung mit Valentin?
Nein, das geht in die falsche Richtung. Frau. Kinder. Das ist der Plan.
Auf dem Hausboot hat sich das alles so einfach und richtig angefühlt und jetzt macht es alles noch komplizierter. Vorbei. Bald ist es vorbei.
In dem Café um die Ecke gab es die besten Muffins der Welt und obwohl ich auch selbst welche backen konnte, kaufte ich oft dort ein. So auch diesen Morgen. Und ich trug sogar Jogginghosen, so sehr genoss ich schon das Leben ohne Job. Es ging mit mir bergab.
Gerade verließ ich mit einer Tüte Muffins das Café, als jemand meinen Namen rief. Nach der Zeit gewöhnte man sich ja an diese Dinge und außerdem war Shane ja in der Nähe. Doch diese Stimme kannte ich.
„Jeanne Davidson.“, grinste ich, da war sie mir schon um den Hals gefallen. Shane kam näher, doch ich gab ihm ein Zeichen, dass er sich keine Sorgen machen musste. Jeanne und ich waren zusammen in der Schule gewesen und hatten auch während des Studiums Kontakt gehalten. Das letzte Mal hatten wir uns vor drei Jahren gesehen, noch ab und zu geschrieben.
„Was machst du in LA?“
„Wir haben hier eine Kanzlei aufgemacht und ich wohne seit einem Monat hier.“
Sie sah mich von unten bis oben an und auch ich musterte sie. Ihre roten Locken hatte sie zu einem strengen Dutt nach hinten gebunden. Sie sah geschäftstüchtig aus und doch waren ihre Augen noch immer so frech wie früher.
„Du siehst gut aus.“ Jeanne sprach meine Gedanken aus.
„Das gebe ich so zurück“
Es war wirklich toll, Jeanne wieder zu sehen. Wir gingen zu uns in die Wohnung und ich gab ihr den Muffin, den ich eigentlich für Valentin gekauft hatte, aber ich musste ja ein guter Gastgeber sein. Wir quatschten wie in alten Zeiten, sie erzählte mir von ihrem Exfreund, einen meiner Kumpels an der Highschool, der in der Wirtschaft ziemlich erfolgreich war und vor dem sie sich vor einem halben Jahr getrennt hatte. Dabei gab es schon Pläne für eine Hochzeit.
„Bei dir läuft es ziemlich gut, oder? Ich meine, die Zeitungen sind voll von euren strahlenden Gesichtern.“
Ich schluckte. Stimmt, da war ja was. Ich hatte einen Freund.
„Valentin ist ein toller Kerl.“
„Finde ich auch.“
Saton stand in der Tür, eine Tüte Muffins unter dem Arm.
Ich musterte die Frau, die da auf meinem Sofa saß neugierig. Sie hatte ein schlankes Gesicht, grüne Augen und sah aus, als ob sie gerade von der Arbeit kam. Scheinbar irgendetwas, wo sie seriös wirken musste. Keine Ahnung warum, aber die Frau war mir unsympathisch.
Ich hing meine Jacke in die Garderobe, legte die Muffin Tüte auf den Tisch. Scheinbar war Hannes auf die gleiche Idee gekommen, die Krümel und die zwei Muffinpapierchen deuteten zumindest darauf hin. Ich reichte ihr die Hand.
„Valentin Saton, hallo“
„Jeanne Davidson. Schön Sie kennenzulernen. Ich bin eine alte Schulfreundin von Hannes“
„Ahja“ Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor ich mich neben ihn auf das Sofa setzte. „Er hat noch nie von Ihnen erzählt“
Jetzt schaltete sich Hannes ein. „Wir haben leider keinen so engen Kontakt mehr miteinander. Aber wir haben uns regelmäßig geschrieben“
Soso.
„Können wir uns duzen?“, sie lächelte mich charmant an.
Ich nickte. Sie war nett. Und hübsch. Was zur Hölle machte sie hier in unserer Wohnung?
Ich rief mich zur Besinnung. Es gab keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Es war eine alte Schulfreundin, die Hannes getroffen hatte. War doch normal, dass man sich dann unterhielt oder?
Hannes neben mir schien ein wenig unruhig, was aber vielleicht daran lag, dass zwischen ihr und mir Schweigen eingetreten war und keiner wirklich wusste, was er sagen sollte.
„Ich geh erst einmal duschen. Der Dreh war anstrengend, mir tut alles weh“
Hannes nickte nur, während ich mir aus dem Schlafzimmer Klamotten holte und ins Bad lief. Während ich mich mühsam auszog hörte ich durch die Tür gedämpft die Stimmen von Hannes und dieser Jeanne. Irgendwie hatte ich kein gutes Gefühl bei der Frau, ich wusste nur nicht wieso. Warum brachte er sie einfach in unsere Wohnung? Er hatte sie schon ewig nicht mehr gesehen, man schleppte doch nicht einfach irgendeine Freundin von früher in die Wohnung seines Freundes, oder?
Das warme Wasser floss über meinen verspannten Körper. Wir hatten eine Szene gespielt, in der es regnete. Ich war stundenlang mit kaltem Wasser begossen worden, während ich an irgendwelchen Gebäuden herumkletterte. Jeder einzelne Muskel brannte. Zudem war ich dank des ätzenden Wassers auch noch abgerutscht und war mit der Schulter gegen die Mauer geprallt. Kurz und gut: Es war sowieso nicht mein Tag. Vielleicht reagierte ich deshalb so abweisend auf diese Frau.
Als ich wieder aus dem Bad kam, war sie verschwunden. Hannes räumte gerade die zwei Gläser und die Muffinpapierchen weg.
Er drehte sich zu mir um, hatte eine Augenbraue nach oben gezogen. „Freundlich warst du ja nicht gerade“
Ich verzog das Gesicht. „Ich weiß, tut mir leid. War heute ein anstrengender Tag“
„Und da hast du beschlossen, sie mit nacktem Oberkörper zu begrüßen“
Ich warf ihm einen genervten Blick zu. Tatsächlich taten meine Schultern einfach weh. Ich hatte die Arme kaum heben können, um mir dieses dämlich T-Shirt anzuziehen. „Eifersüchtig?“, brummte ich, eigentlich kaum ernst gemeint.
„Nein, aber du scheinbar“
Sollte ich Valentin bestätigen, dass es einen Grund für ihn gab, eifersüchtig zu sein? Schließlich war Jeanne eine attraktive Frau, dazu noch intelligent und humorvoll und ich war lange Zeit in sie verknallt gewesen. Aber Jeanne stand auf erfolgreiche Männer. Das war ich jetzt.
Saton zog die linke Augenbraue hoch. „Erstens ist sie ja nicht mehr da. Zweitens kann es dir doch egal sein, ob ich eifersüchtig bin. Ich kann es ja verstehen, dass du dich schon mal umschaust, jetzt wo du bald Single bist.“ Sein Ton klang überhaupt nicht verständnisvoll und ich bereute, Jeanne nicht einfach in ein Café eingeladen zu haben, dann wären wir wenigstens von Valentin ungestört gewesen. Und als schwuler Mann durfte man mit einer Frau doch bestimmt Kaffee trinken gehen, ohne dass die Presse Kopf stand. Hoffte ich.
„Ich danke dir für dein Verständnis, Valentin.“, brummte ich und nahm eine Packung Nudeln aus dem Vorratsschrank.
„Ich mache uns Pasta.“, erklärte ich mein Handeln.
„Dann kannst du ja deine zukünftige dazu einladen. Romantisches Dinner mit Kerzenschein und deinem aktuellen Freund. Da steht sie sicher drauf.“
Das hätte er sich sparen können.
„Weißt du Saton, ich habe vor, mich an die Verträge zu halten, bis das Kind auf der Welt ist. Was ich danach tue, geht dich überhaupt nichts an.“
Eine Schranktüre knallte und ich spürte Satons Wut wie Feuer in meinem Nacken.
„Ach, und in den Verträgen gibt es sicher einen Paragraphen, der festlegt, dass wir ficken müssen.“
„Nein, Mr. Saton, das ist eine Sonderleistung, die ich Ihnen biete. Weil ich ein netter Mensch bin. Du solltest der letzte sein, der sich darüber beschwert.“
Glas zersplitterte auf den Fliesen.
„Du bist so ein Arschloch, Bennett.“
Warum kam mir das jetzt bekannt vor?
„Und genau darauf stehst du wohl.“
Plötzlich war er mir ganz nah. Ich stand noch immer da, die Packung Nudeln in der Hand.
„Dir geht es doch genau so. Du gibst es nur nicht zu.“
Es wurde ganz still, wir starrten einander in die Augen, voller Wut. Sein heißer Atem auf meinen Lippen. Wir wussten beide, worauf das hinaus lief. Streit, Sex, Versöhnung. Ein gutes Rezept, das uns aber nicht weiter brachte, vor allem nicht so kurz vor unserer Trennung.
„Weißt du, Saton. Ich wünsche mir, dass wir nach alle dem Freunde bleiben. Also werde ich jetzt gehen und wir beruhigen uns erst mal.“
Damit trat ich von ihm weg, legte die Nudeln auf den Herd und ging in den Flur. Als ich die Wohnung verließ, stand Valentin noch immer in der Küche und starrte mich an.
Seit dem Streit in der Küche hatte ich nicht mehr wirklich viel mit ihm geredet. Ehrlich gesagt war ich ihm aus dem Weg gegangen. Ich hatte momentan genug Stress beim Dreh, da wir hinter dem Zeitplan lagen und Curt momentan alles daran setzte, um mich schlecht dastehen zu lassen, da konnte ich seine arrogante Arschloch-Art nicht gebrauchen. Und ich hatte keine Lust, mir anhören zu müssen, dass ich ihm ja im Endeffekt dankbar sein musste, wenn er sich mir annahm. Zumindest war das so bei mir angekommen.
Hannes schien das Ganze entweder nicht zu stören, oder er nahm es nicht so ernst. Zumindest hatte er sich heute ganz unbeschwert mit mir unterhalten.
Vielleicht lag das aber auch an dem Ziel, dass wir mit dem Auto gerade ansteuerten. Als wir dieses Mal zu Valentins Eltern fuhren, war ich nicht einmal halb so nervös wie beim letzten Mal. Ich freute mich, seine Familie wiederzusehen, vor allem seine Mutter. Auf der Rückbank lag der Blumenstrauß für sie, auf meinem Schoß das Geburtstagsgeschenk für seinen Vater. Da wir beide nicht sonderlich einfallsreich darin waren, Geschenke zu finden hatte es ewig gedauert, bis uns was halbwegs Vernünftiges eingefallen war.
Hannes tippte gut gelaunt den Rhythmus des Songs aus dem Radio auf dem Lenkrad mit und grinste vor sich hin. Es war offensichtlich, dass er sich darauf freute, nach Hause zu fahren. Er war eben ein richtiger Familienmensch.
Ich sah auf seinen Hals. Der Knutschfleck, dem ich ihm vor einer Woche auf dem Hausboot gemacht hatte, war immer noch leicht zu sehen. Wahnsinn, wie viel in der Zwischenzeit schon wieder passiert war.
Ich starrte aus dem Fenster, während die Landschaft an mir vorbeizog. In zwei Tagen hatte ich selbst Geburtstag, aber ich hatte das noch nie wirklich gefeiert. Celine hatte mich zwar immer gezwungen, mit ihr an dem Tag irgendwas zu machen, aber eigentlich machte ich mir nicht viel daraus. Vielleicht, weil ich es auch einfach nicht gewohnt war. Da Hannes in der Richtung auch nichts erwähnt hatte, schätzte ich nicht, dass es dieses Jahr anders laufen würde. Zwar ein bisschen schade, aber war halt so. Dafür freute ich mich darauf, zu sehen wie Hannes Familie Geburtstage normalerweise feierten.
Wir fuhren samstagmorgens los, mein Vater hatte Geburtstag und wir würden mit der Familie Kaffee und Kuchen und abends Mamas legendäres Hühnchen genießen. Und morgen war schon Valentins Geburtstag, allerdings ließ ich ihn in dem Glauben, ich wüsste nichts davon. Er sagte auch nichts, im Heim hatte man wohl selten zu solchen Anlässen gefeiert, trotzdem hatte ich im Laufe des Abends das Gefühl, dass mein Freund sich das Zusammensitzen in der Familie auch für seinen Ehrentag wünschte. Wir ließen ihn zappeln. Es war auch eine Art der Entschuldigung von mir, manchmal vergriff ich mich bei der Wortwahl ihm gegenüber. Er war ein toller Kerl, sah gut aus und war der loyalste Mensch, den ich kannte. Er sollte nicht glauben, dass ich ihn nur ausnutzte, das hatte er nicht verdient.
Mein Vater freute sich riesig über die Kreuzfahrt, die Saton und ich ihm geschenkt hatten, zusammen mit meiner Mutter würde es zum Mittelmeer gehen und danach zu entfernten Verwandten nach Deutschland, die sie schon ewig nicht mehr gesehen hatten.
Meine Mutter servierte zwei verschiedene Torten und einen trockenen Kuchen für die, die nur etwas Kleines essen wollten. Es freute mich zu sehen, wie gut Valentin in die Familie aufgenommen wurde (meine Großmutter war natürlich die Ausnahme) und wie gut es ihm tat, meine Liebsten um sich zu haben. Es tat mir leid, dass er in seiner Kindheit nie so etwas erleben durfte.
Es wurde viel gelacht und alte Geschichten ausgegraben, Emma erzählte von ihrem neuen Freund, der heute leider noch nicht dabei sein konnte. Hoffentlich war es endlich eine ernste Beziehung, ich gönnte es meiner Schwester. Natürlich nahm sie mich kurz zur Seite um mich über das auszufragen, was Kyle gesehen hatte (ihr erinnert euch an unsere Knutscherei in der Küche), doch ich würgte sie mit der Ausrede ab, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt für so ein Gespräch sei.
Je näher Mitternacht rückte, um so öfters sah Saton auf die Uhr und ich war innerlich ziemlich aufgeregt. Ich liebte es, Menschen zu überraschen und er ahnte wirklich nichts.
Um viertel vor zwölf verabschiedeten sich die letzten Gäste und wir räumten all das Geschirr in die Spülmaschine und brachten das Wohnzimmer auf Vordermann. Im Keller wartete eine weitere Torte und im Kühlschrank drei Flaschen Sekt. Kurz vor zwölf klingelte es und meine Mutter schickte Valentin, um die Tür aufzumachen. „Meine Mutter hat ihre Brille liegen lassen. Langsam wird sie senil.“, erklärte sie und schloss die Spülmaschine.
Vor Aufregung knetete ich meine Finger. Hoffentlich würde er sich freuen, dass meine Familie und unsere Freunde vom Set da draußen auf ihn warteten.
Der Abend mit seiner Familie war so, wie ich es mir vorstellt hatte. Es wurde viel geredet und viel gelacht und bis auf Theresa kam ich auch mit allen super klar. Hannes Vater zog mich genauso in die Arme, wie Hannes als er das Geschenk öffnete und seine Mom drückte mir einen dicken Kuss auf die Wange. Hoffentlich würden wir noch ein paar Mal zu seinen Eltern fahren, bevor das ganze endete. Mist. Allein bei dem Gedanken wurde mir schlecht. Hannes dagegen, schien es kaum abwarten zu können…
Ich vertrieb die düsteren Gedanken, schnappte mir wie von Hannes Mutter gebeten Violetts Brille und ging auf die Haustüre zu. Täuschte ich mich oder hibbelte Hannes wie ein kleines Kind auf und ab? Hyperaktiver Kerl.
Ich hatte die Tür noch nicht mal ganz geöffnet, als mir schon schallend „ÜBERRASCHUNG!“ entgegen gebrüllt wurde und ich erschrocken einen Satz zurück machte.
Ich blinzelte. Einmal. Zweimal. Dann fiel mir Celine um den Hals. „Alles, alles Gute zum Geburtstag, Süßer“
Es brauchte ein paar Minuten, bis die Informationen in meinem Hirn ankamen, währenddessen starrte ich sie mit verwirrt gerunzelter Stirn an. Dann fing ich an zu grinsen wie ein dämliches Honigkuchenpferd.
Vor mir stand Hannes Familie, David, Kay, Chris, Kyle und Emma und viele bekannte Gesichter vom Set.
Einer nach dem anderen zog mich an sich um mir zu gratulieren. Irgendwie eine verdammt ungewohnte Situation, mit der ich nicht recht umzugehen wusste. Aber trotzdem konnte ich nicht aufhören zu grinsen, es freute mich wirklich, dass plötzlich so viele bekannte Gesichter da waren. Irgendwie ein gutes Gefühl.
Hannes Mutter kam auf mich zu und zog mich ebenfalls an sich. „Alles Gute, Valentin. Ich bin wirklich froh, dass Hannes dich kennengelernt hat“ Gott, ich liebte diese Frau.
Hannes Mutter scheuchte alle Bekannten ins Haus und das gewaltige Wohnzimmer war schnell mit Menschen gefüllt.
Ich stand eher am Rand, noch nicht so ganz sicher, was ich jetzt genau tun sollte. Ich spürte Hannes Arme, die sich um meine Hüften schlangen und an sich zogen. „Überraschung. Alles Gute, Saton“ Sogar in seiner Stimme war das breite Grinsen herauszuhören.
Ich lehnte mich an ihn. „Elender Hund. Das nächste Mal warn mich vor, bevor ich an einem Herzinfarkt sterbe“
„Dann wäre es ja langweilig“
Ich grinste schief. „Ja, das stimmt. Danke“ Meine Stimme klang ein bisschen kratzig. Komm schon Saton, reiß dich zusammen.
„Nicht sentimental werden, Kleiner“ Ich schloss die Augen, als sein Atem mein Ohr streifte. Verdammte Scheiße. Ich wollte nicht, dass es vorbei ging. Die Wochen, die es noch dauerte, bis Lisa das Kind zur Welt brachte, waren an Händen abzuzählen. Aber ich war wohl der einzige, dem es so ging.
„Hey, es ist das erste Mal, dass ich mit jemand anders außer Celine feiere. Also lass mich.“
Er küsste mich und ich hatte das Gefühl, als würde mein heftig schlagendes Herz einfach meine Brust zerreißen. Scheiße.
Es wurde schon langsam wieder hell, als wir ins Bett gingen. Sogar meine Großmütter hatten bis halb zwei Uhr morgens durchgehalten und sich dann verabschiedet, mit den Leuten vom Set und unseren Freunden ging die Feier noch ein bisschen länger. Das schön aufgeräumte Wohnzimmer sah wieder schlimm aus, Teller stapelten sich überall, aber das würden wir morgen in Ordnung bringen. Valentin strahlte die ganze Zeit über wie ein Honigkuchenpferd und es wärmte mir das Herz, ihn so glücklich zu sehen. Entschuldigung geglückt. Überraschung sowieso.
Unsere Freunde hatten sich in der kleinen Pension eingerichtet, die nur zwei Straßen weiter lag und von guten Freunden meiner Eltern betrieben wurde. Morgen würden wir zusammen brunchen und dann alle nach LA zurück fahren.
Jetzt lag ich neben Valentin im Bett und starrte an die Decke. Er lag so nahe bei mir, den Arm um mich gelegt und schlief wie ein Kind, das Lächeln noch immer auf den Lippen. Und ich war in düstere Gedanken versunken. Vielleicht war es besser, ihm gegenüber ein richtiges Arschloch zu sein, dann würde ihm die Trennung leichter fallen. Und das mit dem Sex war bestimmt keine gute Idee gewesen. Sex war das Natürlichste auf der Welt und machte doch alles komplizierter hinterher.
Darüber mussten wir wirklich reden. So schnell wie möglich. Als Freund wollte ich Saton nämlich auf keinen Fall verlieren. Wie viel er mir bedeutete, war mir heute Nacht wieder klar geworden. Dieses Gefühl der absoluten Freude, weil man einem anderen Menschen etwas Gutes getan hatte hallte noch immer in meinem Herzen nach.
„Du brichst deiner Mutter das Herz, wenn du dich von ihm trennst.“, schoss es mir durch den Kopf. Schließlich war er so gut wie adoptiert.
„Nicht so viel nachdenken... schlafen... früh aufstehen.“, grummelte Saton neben mir und ich musste lächeln. Er schmiegte sich näher an mich und ich drückte ihm Küsse auf das Haar.
„Bester Geburtstag aller Zeiten.“, grummelte es neben mir, dann sah er zu mir hoch, forderte einen Kuss ein, nur um gleich darauf wieder ins Reich der Träume zu versinken.
Ich lag noch lange wach, streichelte seine Haare und sein Gesicht und versuche mir auszureden, wie glücklich er mich machte. Irgendwann schlief ich ein, nur um gefühlte fünf Minuten später von einem Klopfen an der Tür geweckt zu werden.
Meine Mutter streckte ihren Kopf zur Tür herein.
„Guten Morgen, meine Lieben. In einer Stunde kommen die Gäste, es gibt noch viel zu tun.“
Sie trat ans Fenster und schob die Vorhänge zur Seite, ich hob schützend die Hand vor mein Gesicht. Saton dagegen schien etwas wacher zu sein.
„Guten Morgen, Lilly.“, er setzte sich auf. „Ihr müsst euch doch nicht so viel Mühe machen.“
Jetzt war es meine Mutter, die die Augenbrauen hochzog.
„Natürlich müssen wir das. Der Geburtstag meines zweiten Sohnes muss doch gebührend gefeiert werden.“
Damit rauschte sie aus dem Zimmer und ließ einen gerührten Valentin Saton zurück.
Unser ernstes Gespräch würde wohl noch bis morgen warten müssen.
Ich schlief auf der Rückfahrt nach LA im Auto und wachte erst auf, als wir in die Tiefgarage fuhren. Es war bereits dunkel, wir waren spät von meiner Familie los gekommen.
„Deine Mutter ist eine Göttin.“, Valentin grinste mich an, parkte ein und wir machten uns auf den Weg nach oben.
„Tja, wie könnte sie sonst so einen göttlichen Sohn haben.“, erwiderte ich und wir mussten beide lachen. Nach einer Katzenwäsche fielen wir sofort ins Bett und ich beschloss, früh aufzustehen und ihn mit Waffeln zum Frühstück zu überraschen, als Dank dafür, dass er gefahren war.
Um zehn Uhr morgens kam er aus dem Schlafzimmer gestapft und sah herrlich verschlafen aus. Seine Haare waren ein einziges durcheinander und er wirkte etwas unkoordiniert.
„Kaffee ist schon bereit, bis der getrunken ist, halte ich die Klappe.“, rief ich ihm zu und legte die heißen Waffeln auf einen Teller.
„Danke.“, brummte Saton und ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen.
Für eine Weile herrschte genüssliches Schweigen, wir machten uns über Waffeln und Brötchen her und langsam wurde mein Freund wach. Zeit für das ernste Gespräch.
„Ich wollte nochmal mit dir reden wegen unserem Streit letztens.“
Er sah wenig begeistert von seinem Teller zu mir auf, lehnte sich dann im Stuhl zurück.
„Dann leg mal los.“
Ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht und die Haare.
„Diese ganze Sache geht auf ihr Ende zu und ich will es eigentlich nicht komplizierter machen, als es schon ist.“
„Das ist möglich?“, fragte er.
„Ich weiß, dass ich mich falsch verhalten habe. Es war absolut keine gute Idee, dass wir uns sexuell auf einander eingelassen haben. Das macht einen Cut schwerer und ich will dir auch nicht wehtun.“
Er schnaubte.
„Ich bin kein kleines Mädchen, Hannes. Ich weiß, auf was ich mich eingelassen habe.“
Jetzt war ich derjenige, der aufsetzte.
„Man, ich versuche mich gerade dafür zu entschuldigen, dass ich deine Gefühle manchmal mit Füßen getreten habe. Mach mir das doch nicht so schwer.“
Unsere Tischdecke hatte wirklich ein schönes Muster wenn es darum ging, seinem gegenüber nicht in die Augen blicken zu wollen.
„Tja, du bist eben ein Arsch. Aber das wusste ich von Anfang an.“
Ich war erleichtert, ihn grinsen zu sehen.
„Ganz nach der Devise: Ich bleibe mir selbst treu. Aber ernsthaft, Valentin. Wir sollten es bleiben lassen und uns für die letzten Tage einfach wie Freunde verhalten.“
Saton erhob sich und kam auf mich zu. Dann zog er das T-Shirt aus, in dem er geschlafen hatte.
„Wenn du diesem Traumkörper widerstehen kannst.“
Sein Gesicht näherte sich meinem an und ich musste schlucken. Wer war noch mal der Arsch von uns?
Pure Panik. Das war alles, was ich momentan fühlte, während wir uns unterhielten. Warum redete er, als wäre das ganze morgen schon vorbei? Ich wollte ihn nicht vom Ende des Ganzen reden hören, hätte ihn am liebsten angeschrien die Klappe zu halten.
Ich hatte das Gefühl jemand hatte meine beiden Lungenflügel gepackt und hielt sie kräftig zusammengedrückt, sodass ich nicht atmen konnte, während mein Herz scheinbar einfach stehen geblieben war. Er wollte, dass ich einfach so tat, als wäre nichts passiert? Wie zur Hölle stellte er sich das vor?
Irgendwie konnte ich mich zu einem Grinsen zwingen, hoffte, dass er meine Verzweiflung nicht spürte. Warum, warum, warum verdammt? Ich wollte ihn nicht verlieren. Und auch wenn das sowieso der Fall war, würde ich in der Zeit, die wir noch hatten, ganz sicher nicht auf seine Nähe verzichten! Nimm dir was du kriegen kannst, war angesagt.
Ich hatte keine Ahnung, was es bringen sollte, als ich mir das T-Shirt über den Kopf zog, aber verdammt nochmal, ich würde nicht dabei zu sehen, wie er immer mehr auf das Ende zuging.
Ich sah ihn schlucken, als er auf meinen nackten Oberkörper starrte. Ich schauderte. Wie konnte dieses verdammte Arschloch einfach so da sitzen und so tun, als ob es ihn kein bisschen interessierte, dass uns nur noch Wochen blieben, bis Lisa ihr verdammtes Balg auf die Welt brachte und damit den Schlussstrich zog?
Ich legte meine Hände an seinen Hals und zog ihn zu mir hoch. Hatte ich Widerstand erwartet, war keiner vorhanden. Im Gegenteil, er kam mir entgegen, stieß seine Zunge zwischen meine Lippen und küsste mich mit ungeduldigem Verlangen.
Seine Hände lagen an meinem Hintern, während meine ihm das T-Shirt vom Körper zerrten. Freundschaftliches Verhalten am Arsch! Er stöhnte heiser auf, als ich meine Zähne in seinen Hals grub und über die malträtierte Haut leckte. Adrenalin schoss durch meinen Körper und ich wusste nicht, ob das noch von der Panik herrührte oder mit dem kommenden Sex, auf den wir unweigerlich zusteuerten, zusammenhing.
Hannes Hände wanderten gierig über meinen Körper, nestelten ungeduldig an meiner Jeans, ließen es aber doch wieder bleiben und wanderten an meiner Brust hoch, griffen hart in jeden Zentimeter Haut, den er erreichen konnte, zogen mich fest an sich und schoben mich wieder von sich weg, um mehr Platz zu haben. Lippen und Zunge wanderten ungeduldig über meinen Hals zu meinem Mund.
Keuchend starrten wir uns an, als er seine Hände an meinen Hals legte und mich ein Stückchen von sich drückte. In seinem Blick brannte Lust, Verwirrung und irgendetwas, das nach „Scheiß drauf“ aussah.
Als er mich an den Schultern nach unten drückte, zögerte ich nicht einmal eine Mikrosekunde dem Druck nachzugeben.
Hannes fester Griff in meinen Haaren tat weh, als er laut keuchend nach Luft schnappte, während ich seinen Schwanz in den Mund nahm. Aber es gab nichts, was mir im Moment egaler war. Genauso wie ich den aufkommenden Hustenreiz ignorierte, weil er viel zu tief zwischen meine Lippen stieß. Meine rechte Hand lag um seine Hüfte, aber eher um mich festzuhalten, während meine linke mit seinen Hoden beschäftigt war.
Kurz bevor er kam zog er meinen Kopf zurück, zog mich an meinem Arm zu ihm nach oben und drängte mich Richtung Sofa.
Ich hatte vor, mir von ihm das Hirn rausvögeln zu lassen und verdammt nochmal, genau das tat er auch.
Jeanne und ich trafen uns öfters, während ich frei hatte. Ich hatte das Bedürfnis, diese Treffen vor Valentin geheim zu halten, das letzte Mal hatten wir deswegen gestritten, es schien ihm nicht zu gefallen, mich mit ihr zusammen zu sehen.
Mir gefiel die Zeit mit ihr umso mehr. Wir redeten über alte Zeiten, gemeinsame Freunde, die inzwischen dreifache Eltern geworden waren und Nerds aus unserer Klasse, die jetzt erfolgreiche Computerspezialisten waren. Es wurde viel gelacht und noch mehr Süßes vernichtet, es war ein bisschen wie zu Schulzeiten. Nur das sie noch besser aussah und noch mehr Charme besaß als früher. Manchmal erwischte ich mich bei dem Gedanken, dass sie perfekt war.
Wir saßen gemeinsam in einer Bar und tranken zur Feier des Tages (eigentlich war nichts besonderes passiert) Sekt, als mein Handy klingelte.
„Bennett.“, brummte ich.
„Hallo Hannes, ich bins Lisa. Das Baby hatte es eilig und ist zwei Wochen zu früh. Du bist Patenonkel.“
Euphorie pumpte durch meinen Körper und ließ mich so aufgeregt werden wie ein Kind, wenn es die Tür zum Weihnachtszimmer öffnete.
„Oh mein Gott. Lisa, herzlichen Glückwunsch.“
Wir fingen beide gleichzeitig zu heulen an, Jeanne musterte mich kritisch, doch ich ignorierte ihren Blick.
„Ich bin so glücklich, Lisa. Du bist eine Mama. Wann kann ich dich besuchen kommen.“
„Wenn du willst gleich morgen. Jetzt muss ich mich erst einmal von der Geburt erholen.“
„Das ist klar. Dann rufe ich dich morgen an und komme vorbei, um die kleine Hanna zu sehen.“
„Bis dann, wir freuen uns.“
Jeanne musterte mich noch immer, als ich auflegte, und mir eine Freudenträne aus dem Augenwinkel wischte.
„Hast du im Lotto gewonnen, oder warum bist du so glücklich?“, fragte sie.
Mein Grinsen war unumgänglich und ich konnte es nicht unterdrücken, so sehr ich es versuchte.
„Fast. Eine gute Freundin von mir ist Mama geworden.“
Ich sprang auf. „Darauf müssen wir noch einen Sekt trinken.“ Ich winkte dem Barkeeper und bestellte noch zwei Gläser.
Aufgedreht wie ich war, drückte ich Jeanne einen Kuss auf die Lippen. In meiner Euphorie entging mir ihr wissender Blick, den sie mir zuwarf, als ich einen Lappen holte, um mein Chaos zu beseitigen. Böser Fehler.
Das Baby war also da. Die Nachricht war wie ein Schlag mit dem Vorschlaghammer gegen mein Gesicht. Hannes war super glücklich, strahlte über das ganze Gesicht. Wenigstens bekam er so nicht mit, dass ich wie betäubt auf dem Sofa saß. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich nicht wirklich freuen konnte. Aber nur fast.
Als ob es nicht sowieso viel zu schnell vorbei gewesen wäre, jetzt musste dieses Kind auch noch zwei Wochen früher kommen als geplant. So ein Mist.
Ich freute mich für Lisa, wirklich. Wären es andere Umstände gewesen hätte ich mich wahrscheinlich mehr gefreut. Ob man das Kind noch zurückschieben konnte?
„…gehen!“
Ich schüttelte den Kopf um meine Aufmerksamkeit wieder auf Hannes richten zu können. „Bitte was?“
„Ich sagte, morgen müssen wir Lisa und Hanna besuchen gehen!“
Ich nickte widerwillig. Er würde mich so oder so dahin zerren, ob ich wollte oder nicht.
„Ich freu mich so für sie! Jeanne hat sich auch total gefreut!“
Ich stieß ein frustriertes Schnauben aus. „Jeanne?“
„Ja, wir waren heute Sekt trinken“
Ich kam mir vor wie beim Boxkampf. „Und Schlag zwei in die Fresse, wie lange kann er sich noch auf den Beinen halten?“
„Aha“ Ich rieb mir über das Gesicht. Was für ein Tag. Hannes fiel mir um den Hals und ich hielt mich an ihm fest, als ob ich den Lauf der Dinge dadurch irgendwie ändern konnte.
„Ich glaube ich platze gleich vor Freude!“
Mein Kopf platzte auch gleich, aber aus ganz anderen Gründen. „Dann wars das jetzt wohl mit uns“, rutschte mir mein Gedanke heraus und ich spürte, wie Hannes plötzlich ruhiger wurde, sein Griff um mich fester. Nanu?
„Ein bisschen müssen wir mit dem Test noch warten. David meinte ja, es wird sonst zu auffällig. Aber dann… ja“
Ich schluckte schwer. Oh man… Ich drücke ihn fest an mich und küsste ihn auf den Hals.
Er seufzte. „Du musst meine Schwächen auch immer ausnutzen, oder?“
Ich lächelte niedergeschlagen. „Ich wäre doch dumm, wenn ich das nicht tun würde“
Hanna das erste Mal im Arm zu halten war das schönste Gefühl überhaupt. Man hatte schon jetzt das Gefühl, sie würde einem mit ihren großen, blauen Augen tief in die Seele blicken und alle Liebe hervor holen, die dort verborgen war.
Selbst Valentin konnte dem Kindergesicht nicht lange widerstehen und fing bald zu lächeln an.
Seine Stimmung sank erst, als Jeanne das Zimmer mit einem riesigen Haufen rosafarbener Luftballons betrat. Was sie hier machte, verstand ich nicht ganz, vor allem, weil sie Lisa gar nicht kannte, trotzdem freute ich mich, sie zu sehen. Und sie mit der Kleinen auf dem Arm zu sehen, war ein schöner Anblick. Ist es nicht das, was du dir immer vorgestellt hast, Bennett?
Valentins Laune sank mit jeder Minute mehr, soweit, dass sogar Lisa mich besorgt ansah. Mein Blick signalisierte ihr: Es läuft nicht mehr so gut. Dann wäre sie wenigstens nicht ganz so überrascht in wenigen Wochen.
Nach zwei Stunden gingen wir, die kleine Hanna schlief selig an der Brust ihrer Mutter. Valentins griesgrämiges Gesicht ärgerte mich und ich musste mich zusammen reißen, ihn nicht auf offener Straße darauf anzusprechen. Er litt genug, unter der Tatsache, dass wir uns trennen würden und ich auch noch mit Jeanne so gut auskam. Da brauchte er keinen zickigen Mitbewohner. Ich war Schauspieler, da würde ich Rücksicht hinbekommen.
Am Abend besuchte Valentin Celine und ich traf mich mit Mr. Kay und einige Dinge zu klären. Schließlich ging es jetzt auf das Ende zu. Er hatte erfreut geklungen, als ich ihm von Hannas Geburt erzählte und jetzt saßen wir im Wohnzimmer und gingen verschiedene Verträge durch.
„Dir wurden weitere Filmrollen angeboten und ich möchte, dass du dir die Drehbücher ansiehst. Vielleicht ist etwas dabei und du überlegst es dir noch einmal anders.“, sagte er schließlich und legte drei Ordner vor mir auf den Tisch.
„Tut mir leid, aber ich habe mit meinem ehemaligen Chef telefoniert, er wird auch mein zukünftiger Chef sein.“
Kay seufzte übertrieben.
„Erkläre mir eins. Alle wollen nach Hollywood. Du bist hier, warum willst du wieder weg?“
„Weil ich kein Leben für die Öffentlichkeit führen will. Das ist nichts für mich. All diese Lügen, nur für Geld und Aufmerksamkeit, dass ist unerträglich. Ich spiele meinen Eltern eine glückliche Beziehung vor, dass haben sie nicht verdient.“
Kay nickte langsam, es lag so etwas wie Verständnis in seinem Blick.
„Andere würden ihre Eltern verkaufen, um an deiner Stelle zu sein.“, merkte er dann an und strich sich seine Anzugjacke glatt.
„So ein Mensch will ich nicht sein.“, antwortete ich, meine Stimme schärfer als beabsichtigt.
Mein Manager erhob sich, steckte die Ordner zurück in seine Tasche und ging zur Tür.
„Vielleicht sind wir es hier nicht mehr gewöhnt, dass es auch gute Menschen gibt.“ Er zuckte mit den Schultern.
„Wenn ein Mensch hier gut ist, dann Valentin Saton, nicht ich.“, antwortete ich, stand auf und reichte ihm die Hand.
„Mag sein. Ciao, wir sehen uns in ein paar Wochen. Dann bist du schon in Freiheit.“
Ich öffnete die Türe für ihn und lauschte seinen Schritten auf der Treppe, bis sie verklungen waren.
Freiheit. Fühlte sich gerade alles andere als gut an.
Erledigt ließ ich mich auf das Sofa fallen. Ich war gerade erst vom Dreh gekommen und Himmel war ich froh, wenn ich endlich fertig war. Curt machte mich wirklich fertig. Er ließ mich aussehen wie der letzte Idiot, sorgte dafür, dass ich eine Szene nach der anderen verpatzte und hatte es mehr auf mich abgesehen, als jemand davor. Vielleicht fühlte er sich jetzt sicherer, weil er nur noch gegen mich und nicht auch noch gegen Hannes arbeiten musste? Wie auch immer, ich war müde, genervt und frustriert.
Es klingelte. Hannes musste seinen Schlüssel vergessen haben.
Ich lehnte am Türrahmen, mein Arm versperrte der davor stehenden Person den Weg.
„Was willst du hier?“
„Ich bin mit Hannes verabredet“
Jeanne. Ich hasste diese Frau. Und obwohl ich immer versuchte, mich zusammen zu reißen (immerhin hatte ich keinen berechtigten Grund zur Eifersucht) hätte ich sie am liebsten die Treppen heruntertreten.
„Er ist nicht hier“
„Oh? Er sagte mir, wir würden uns hier treffen“ Sie blieb stehen und als ich nicht reagierte schürzte sie beleidigt ihre Lippen und zog eine Augenbraue nach oben. „Willst du mich nicht herein beten?“
„Und warum um alles in der Welt sollte ich das tun?“, fragte ich genervt. „Hannes ist nicht hier“
„Nun, aber er wird sicherlich gleich kommen, wenn wir uns verabredet haben, denkst du nicht?“
„Wenn er gleich kommt kannst du ja vor der Haustüre warten“, knurrte ich und wollte die Tür schließen, doch sie die Schlange kroch zwischen den kleinen Spalt zwischen mir und Haustür. Ich konnte grad noch dem Drang wiederstehen, sie mit meinem Körper gegen den Türrahmen zu schupfen. Das käme in der Presse sicherlich nicht gut.
„Sonderlich höflich bist du ja nicht“ Ihr abschätzender Blick wanderte über meinen Körper. „Oder bist du einer von den schwulen Männern, die mit Frauen nicht gut auskommen?“
„Bist du eine von den Frauen, die erwarten auf Händen getragen zu werden, nur weil du Brüste hast?“, konterte ich gelangweilt.
Sie reckte das Kinn hervor und lächelte dann plötzlich charmant. Nanu? „Tut mir leid, das war ein schlechter Start. Es freut mich, dich zusehen, Valentin“
Ich starrte mit zusammengekniffenen Augen in ihr freundliches Gesicht und ignorierte die mir hingestreckte Hand. Was zur Hölle war das jetzt? Irgendein seltsamer Ausdruck war in ihre Augen getreten, der mir gar nicht gefiel.
„Die Freude ist ganz deinerseits“ Ich drehte mich um und lief ins Wohnzimmer. Super, eigentlich hatte ich duschen wollen. Aber diese Frau würde ich nicht einmal alleine in meiner Wohnung lassen, wenn sie gefesselt und geknebelt an einen Stuhl gebunden wäre.
„Du magst mich nicht“
Ich verdrehte die Augen. „Offensichtlich“
„Warum?“ Sie stellte sich mir in den Weg, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Muss ich jeden Menschen mögen?“
„Nein, aber da ich dir nie etwas getan habe, würde mich dein Grund interessieren. Du hast dich im Krankenhaus auch schon so benommen, als ich gekommen bin“
Ich funkelte sie abschätzend an. Was zur HÖLLE hatte diese Frau vor. Irgendetwas stimmte hier gerade ganz und gar nicht.
„Du hattest dort auch nichts zu suchen. Du kennst Lisa nicht, was zur Hölle machst du also bei ihr im Krankenhaus? Man geht doch nicht zum Babybesuch irgendeiner fremden Frau!“
„Ich war zufällig dort“, behauptete sie. „Mein totkranker Opa liegt in diesem Krankenhaus und ich war auf dem Weg zu ihm“ Sie klang tatsächlich gekränkt
„Aber nicht tot krank genug, um fast zwei Stunden bei einer fremden Frau im Zimmer zu sitzen und Hannes am Arsch zu kleben. Süße, willst du mich verarschen?“
„Du bist eifersüchtig“ Sie klang mitleidig.
„Ich habs nicht so mit Frauen, die sich an meinen Freund ranschmeißen“, gab ich zu und baute mich ebenso vor ihr auf.
„Und welchen Grund hätte ich, einen schwulen Mann anzugraben?“ Glaubte sie tatsächlich ich kaufte ihr das ab?
„Woher soll ich das wissen? Ich weiß nur, dass er mit mir zusammen ist. Also lass gefälligst deine Finger von ihm“
Sie kam einen Schritt auf mich zu, ihr Gesicht schob sich an meins, während sie selbstgefällig grinste. „Nimm es mir nicht böse Valentin, aber Hannes scheint das ganz anders zu sehen. Denkst du wirklich, ich verbrauche meine Energie, mich an einen Mann ran zu schmeißen, bei dem ich weiß, dass es nichts werden wird? Es gibt genug andere, bei denen ich landen könnte, wenn nicht bei Hannes. Aber ein Mann, der ebenso mit mir flirtet wie ich mit ihm… Ja, ich denke da habe ich eine Chance“
Die Wut, die sich in mir aufbaute sorgte dafür, dass Adrenalin durch jede Zelle meines Körpers schoss und mir unglaublich warm wurde.
„Du hast keine Chance bei ihm. Ich bezweifle, dass Hannes sich auf dich einlassen wird. Vor allem nicht, solange wir noch zusammen sind“
„Oh, dann hat er dir nicht von dem Kuss erzählt?“
Ich erstarrte zur Salzsäule. „Was?“ Meine Stimme war rau.
Sie sah mich schockiert an. „Ich dachte er hätte dir davon erzählt“ Noch mehr Mitleid in der Stimme. Diese Frau war eine verdammt gute Schauspielerin.
„Du lügst doch“
„Warum sollte ich das tun, Valentin?“
„Ich glaub dir kein Wort“
Sie seufzte und griff in ihre Tasche und holte ihr Handy raus. „Meine Freundin hat sogar ein Foto gemacht. Sie hat uns gesehen und wollte wissen, ob er mein neuer Freund wäre“
Hannes Lippen auf ihren.
Die Luft wurde knapp. Viel zu knapp. Dann fing ich mich wieder.
„Du miese Hexe, ich meins ernst!“, zischte ich. „Lass die Finger von ihm, sonst…“
„Sonst was? Willst du mir drohen, Valentin? Wirklich? Ich bin Anwältin, das weißt du doch oder? Meinst du, es wäre ratsam in deiner Position einer hilflosen Frau zu drohen? Die Presse ist so herzlos, wenn es um die Fehler scheinbar perfekter Sternchen geht“
„Wer droht jetzt wem, hmm?“
Sie lächelte. „Hannes liebt dich nicht, Valentin. Ich kenne ihn. Er war schon immer hetero. Eine Frau, Kinder ein Haus. Das waren schon immer seine Wünsche. Wie realistisch sind diese Wünsche mit dir zu erfüllen, hmm? Hör zu, ich will dir nicht wehtun, oder euch auseinander bringen. Ich will dir nur ersparen, enttäuscht zu werden. Sie mal, warum sollte er mich küssen wollen, wenn er mit dir glücklich wäre? Wenn er dich lieben würde, warum sollte er sich dann Ersatz suchen wollen?“
Ich schlug ihre Hand weg, die sich verständnisvoll auf meinen Arm legen wollte. Mir war übel. Kotzübel.
Der leise „Pling“-Ton kündigte das Erscheinen einer SMS an und Jeanne sah auf ihr Handy. „Oh, das ist Hannes. Wir treffen uns doch nicht hier. Und er schreibt, er freut sich mich zu sehen“
Ich konnte mich gerade noch zurück halten, meine Faust in ihr Gesicht zu rammen.
„Denk einfach darüber nach, was ich gesagt habe, ja? Schönen Tag noch“
Damit verschwand sie und ließ mich leer und ausgelaugt mitten im Zimmer stehen.
Meine Gedanken rannten, ohne dass ich sie wirklich fassen konnte, während dieses unerträglich heftige Stechen in meiner Brust mir den Atem nahm.
Ich hatte die Hände in die Knie gestemmt und stand nach vorne gebückt da, rang nach Luft. Das konnte doch alles nicht wahr sein?
Der Boden verschwamm vor meinen Augen, mir war schwindelig. Ich ließ mich auf den Boden fallen, die Arme um meine Brust geschlungen, weil es sich anfühlte, als würde ich zerspringen. Es dauerte lange, bis ich merkte, dass ich nicht keuchte sondern schluchzte und dass mir die Sicht nicht verschwamm, weil mir schwindelig war, sondern weil ich weinte.
Verärgert über mich selbst wischte ich mir grob über die Augen. Was hatte ich erwartet? Ich hatte gewusst, dass er mich nicht liebte, dass das Ganze nur Sex gewesen war, nichts weiter. Keine Gefühle, nichts und schon gar keine gemeinsame Zukunft. Ja verdammt, ich hatte es gewusst, aber ich hatte von ihm zumindest genug Anstand erwartet, bis nach unserer "Trennung" zu warten, bevor er sich Ersatz suchte. Gott ich war so dumm, so dämlich. Wieso hatte ich mir überhaupt Hoffnungen gemacht? Ich hatte mich freiwillig darauf eingelassen. Ich war selbst Schuld.
Irgendwie schaffte ich es, mich aus dem Selbstmitleid zu ziehen.
Nein. Ich wusste, warum ich mir Hoffnung gemacht hatte. Weil Hannes immer wieder kleine Gesten von sich gegeben hatte, die mir insgeheim gesagt hatten, dass ich ihm nicht vollkommen egal war. Das das hier nicht nur Sex war.
Aber was spielte das für eine Rolle, was ich wo hineininterpretiert hatte und was davon ernst gemeint war oder auch nicht.
Mir war es die letzten Wochen richtig dreckig gegangen, weil sich Hannes so offensichtlich auf das Ende freute und ich die Zeit nicht aufhalten konnte.
Und ich wusste nur, dass ich nicht zulassen durfte, dass mich das ganze noch mehr kaputt machte. Ich musste einen Schlussstrich ziehen und wenn jetzt nicht der passende Augenblick dafür war, würde er nie wieder kommen.
Meine Hand zitterte wie verrückt, als ich die SMS an David tippte, immer wieder musste ich unterbrechen und mich zwingen zweiter zu schreiben.
Dann schrieb ich noch Celine und holte einen Koffer, Reisetaschen und mehrere Kartons aus der Abstellkammer, legte sie gut sichtbar in den Flur, bevor ich meine eigenen Sachen packte.
Es war vorbei. Endgültig.
Nach meinem Besuch bei Lisa und Hanna, die inzwischen drei Wochen alt war, stieg ich in ein Taxi.
Schon vor Jahren hatte ich Emma und Jeanne einander vorgestellt und jetzt wollten wir gemeinsam essen gehen. Das Restaurant war ziemlich edel und bis vor ein paar Monaten hätte keiner von uns es sich leisten können, hier zu essen. Jetzt war das alles anders. Noch.
Wir lachten viel, doch ich kannte meine Schwester gut genug. Irgendetwas bedrückte sie und als Jeanne auf die Toilette verschwand, sprach ich sie darauf an.
„Darf ich ehrlich sein, Johannes?“, fragte sie und sowohl die Verwendung meines vollen Namens und ihr Ton beunruhigten mich.
„Was ist los, Schwesterherz?“, fragte ich.
„Du weißt, ich bin kein Fan von Klatsch und Jeanne ist eine nette Frau. Aber ich habe gehört, dass sie sich von ihrem Ex getrennt hat, sobald er weniger erfolgreich war. Er soll Verluste gemacht haben und als sie das herausgefunden hat, ist sie abgehauen.“
Jedem anderen würde ich jetzt vorwerfen, zu viel auf Gerüchte zu geben, aber Emma war nicht die Art von Mensch, die Leuten ohne Grund etwas vorwarf oder jedes Geschwätz glaubte. Und sie schien wirklich beunruhigt.
„Ich kann verstehen, dass du dich nach einer Partnerin umsiehst, wenn das mit Valentin vorbei ist. Aber bei dieser Frau wäre ich vorsichtig.“
Ich nahm einen Schluck von meinem Wein.
„Ich danke dir für die Warnung, Emma. Deine Meinung ist mir wichtig, das weißt du. Wir werden einfach austesten, was an der Sache dran ist.“
Sie lächelte. „Danke, dass du mir nicht vorwirfst, eine Klatschtante zu sein.“
„Wenn ich eine Klatschtante kenne, dann Kyle.“, scherzte ich.
Da kam Jeanne auf den Tisch zu. Sie sah wirklich gut aus, trug ein smaragdgrünes Kleid und dezentes Make-up, doch in meinen Augen war sie nicht mehr so schön, wie noch vor Minuten. Gier stand niemandem gut.
„...jedenfalls kann ich wieder bei meinem anderen Job anfangen.“, sagte ich, als ob wir uns schon die ganze Zeit über dieses Thema unterhalten hätten. Jeanne setzte sich und strich mir mit der Hand über die Schulter. Schon den ganzen Abend schien sie gute Laune zu haben, ihre Augen sagten, dass sie bei irgendeiner Sache erfolgreich gewesen war.
„Es ist eher ungewöhnlich, Hollywood freiwillig zu verlassen, findest du nicht.“, ging Emma sofort darauf ein. Wir könnten wirklich Zwillinge sein, dass mit der telepathischen Verständnis funktionierte wirklich gut.
„Ich weiß. Genieße heute noch, in ein paar Wochen kann ich mir so ein Restaurant nicht mehr leisten. Da heißt es dann wieder Imbissbude und Tiefkühlessen.“
Jeanne konnte ihre Gesichtszüge nicht unter Kontrolle halten, für einen Moment klappte ihr Kiefer undamenhaft nach unten und sie hüstelte. Dann war ihr Lächeln zurück, aber in meinen Augen sah es nur noch verlogen aus
„Nun ja, ich habe ja einen Freund, der mich durchfüttern kann.“, sagte ich ganz entspannt und tat so, als hätte ich ihre geschockte Reaktion nicht bemerkt. Doch tief in mir brodelte es.
Falschheit gab es überall. In meiner alten Schulfreundin hätte ich sie als letztes erwartet. Aber so konnte man sich täuschen. Gott sei Dank hatte ich Emma, die mich von Dummheiten abhielt.
Einige Minuten redeten wir weiter, dann erhob Jeanne sich plötzlich.
„Tut mir Leid, Leute, ich muss los. Dringendes in der Arbeit zu tun. Wir sehen uns.“
Schneller als wir schauen konnten, war sie weg.
„Mit einem einfachen Schauspieler kann die Dame wohl nichts anfangen.“, brummte ich. „Zum Glück hast du mich vorgewarnt.“
Emma lächelte und leerte ihr Glas.
„Und ich habe echt lange überlegt, ob ich dich darauf anspreche. Aber Frauen merken das, wenn sie eine falsche Schlange vor sich sitzen haben. Dabei war sie früher so nett.“
Da musste ich meiner Schwester Recht geben. Wir redeten noch lange über das Thema Geld und Gier und darüber, dass mein Verdienst bei Sins of a Hero mich noch lange genug von Imbissbuden verschonen würde, dann verließen wir das Restaurant.
Die Nachtluft war überraschend mild.
Wir machten uns zu Fuß auf den Weg nach Hause, Emma hatte das Auto an der Wohnung stehen und wir würden uns noch einen gemütlichen Abend auf dem Sofa machen, bevor sie nach Hause fuhr. Wir lachten und scherzten viel und bald war die Wut in mir verflogen. Sie wurde abgelöst von einer seltsamen Freude, Valentin zu sehen. Ich würde enttäuscht werden.
Von unten konnte ich sehen, dass das Licht im Wohnzimmer an war, der Rest der Wohnung lag im Dunkeln. Emma und ich lieferten uns eine Wettrennen nach oben, Shane sah uns dabei skeptisch hinter her. In einer anderen Situation wäre mich sicher sein seltsam trauriger Blick aufgefallen. Denn er wusste etwas, von dem ich noch keine Ahnung hatte.
Mein Vorsprung war groß genug, um den Schlüssel aus der Tasche zu kramen und aufzusperren. Ich hetzte in die Wohnung und stolperte beinahe über zwei Kartons, die dort im Flur standen. Daneben mein großer Koffer und eine Reisetasche. Reglos stand ich da und verarbeitete nur langsam, was passiert war. Emma kam durch die Tür.
„Hab dich.“, rief sie lachend, dann erstarrte auch sie zur Salzsäure.
Das waren meine Kartons und Koffer. All mein Hab und Gut. Die hier im Flur standen, konnte nur eine Bedeutung haben. Ich zog aus, noch heute Nacht. Es war vorbei.
„Wusstest du davon?“, fragte Emma, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
„Ich hatte mein Handy nicht an. Das Management muss beschlossen haben, die Sache jetzt zu beenden.“ Anders konnte ich mir das nicht erklären. Hoffentlich war Valentin da und konnte mir erklären, was los war.
„Saton?“, rief ich ins Wohnzimmer und schob mich an meinen Sachen vorbei.
Die Gestalt, die ich erblickte, war nicht mein Mitbewohner, dafür hatte sie zu große Brüste. Celine stand im Raum, einen enttäuschten, wütenden Ausdruck im Gesicht.
„Valentin ist ins Hotel gegangen, er will dich nicht sehen. Deine Sachen habe ich alle gepackt, du kannst sofort gehen. David meldet sich morgen bei dir, die Presse weiß ab dann Bescheid.“
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
„Wie, er will mich nicht sehen... kannst du aufhören in Rätseln zu sprechen. Ich verstehe das nicht.“
Auch Emma schien ratlos, sie war hinter mich getreten und hatte ihre Hand in meine gelegt.
„Es war ziemlich hart für ihn die letzten Wochen und er bevorzugt es, der Sache so schnell wie möglich ein Ende zu setzen. Das Kind ist auf der Welt, deine Zeit bei Sins of a Hero zu Ende und du hast einen neuen Job. Wofür also weiter spielen?“
Celine nahm ihre Tasche vom Sofa und drängte sich an uns vorbei. Ich wollte nach ihrem Arm greifen, sie fest halten und eine Erklärung aus ihr herausschütteln, doch ich hielt mich zurück, ballte meine Finger nur zur Faust.
„Wie gesagt, das Management weiß Bescheid, deine Sachen sind gepackt. Du kannst gehen.“
Damit trat sie aus der Tür und war verschwunden.
Totale Verwirrung machte sich in mir breit, die sich mit Schmerz mischte, als ich begriff, dass Saton und ich geschiedene Leute waren. Tief in mir fühlte sich das an wie das Ende einer richtigen Liebesbeziehung und das nicht, weil ich mich als Schauspieler zu tief in meine Rolle hineinversetzt hatte. Ich begriff erst, dass ich weinte, als Emma mich in den Arm nahm und mir über die Wangen strich. Es war ihr Haar, das meine Tränen auffing, weil ich mein Gesicht darin vergrub.
„Es tut mir leid, Bruderherz.“, sagte sie und küsste meine Wange. Ich richtete mich auf, wischte das Salzwasser weg und straffte meine Schultern.
„Kam jetzt einfach nur überraschend. Aber ich wusste ja, dass es kommt.“
Ihr Blick sagte: Ich kenne dich, Hannes. Versuche jetzt nicht auf toughen Mann zu machen, Valentin bedeutet dir mehr, als du weißt. Sie sagte nichts, sah mich nur eine Weile so an.
„Ich kann deine Sachen im Auto mitnehmen, wenn du willst.“
Ich nickte.
„Danke. Dann nehme ich das Motorrad.“
Emma nahm die Reisetasche, ich den Koffer und wir baten Shane, die Kartons nach unten zu tragen. Ich verließ als letzter die Wohnung, warf noch einmal einen Blick zurück und löschte dann das Licht. Freiheit fühlte sich schmerzhaft an.
Wie ich nach Hause kam, wusste ich selbst nicht. Emma war diejenige, die meine Kleidung zum Hausboot trug, ich stellte nur die Maschine ab und fiel ins Bett. Die Hände meiner Schwester strichen über meine Haare.
„Kann ich was für dich tun?“, fragte sie mit Sorge in der Stimme.
„Nein danke Emma. Ich werde einfach nur schlafen. Kannst du nur Kyle und Mama und Papa Bescheid sagen? Ich will nicht, dass sie es aus den Nachrichten erfahren.“
Ich fühlte ihr Nicken, obwohl ich sie nicht ansah.
„Ich rufe sie an.“
Ich musste eingeschlafen sein, denn er war bereits hell, als mein Handy mich weckte.
David klang sehr professionell, so als wäre in der Beziehung zwischen Valentin und mir Roboter zusammen gekommen, nicht Menschen. Für das Management war es nur Publicitiy, die nichts mit Gefühlen zu tun hatte.
„Valentin wollte es beendet und wir haben jetzt die Meldung über eure Trennung rausgegeben. Interviews wird es keine geben, wir haben bereits Äußerungen von euch an die Presse weiter gegeben, die wir für akzeptabel halten.“
Er war hier der Roboter. Und ich seltsam verletzt.
„Gibt es für mich noch was zu tun?“, fragte ich, um dem Drang zu widerstehen, einfach aufzulegen.
„Nicht das ich wüsste. Wir melden uns, wenn es etwas gibt, die Aussagen zur Trennung bekommst du per Mail, damit du ihnen nicht widersprichst, wenn man dich dazu fragt.“
David räusperte sich.
„Danke für die Mitarbeit Hannes. Ich hoffe, wir hören noch voneinander. Machs gut.“
Aufgelegt.
Ich fuhr mir über das Gesicht. Das letzte Mal, dass Hollywood über mich bestimmte. Insgeheim war ich froh, mir nicht selbst etwas ausdenken zu müssen, warum das glücklichste Promi-Paar nicht mehr existierte. Und das Management hatte sich alle Mühe gegeben. Es klang sogar ein bisschen nach mir.
In der Liebe läuft es nicht immer so, wie man es sich wünscht. Wir haben andere Vorstellungen von der Zukunft.
Wir konnten einander nicht den Freiraum geben, den wir gebraucht hätten. Beruflich und privat so eng verbunden zu sein, war zu viel.
Ich liebe Valentin, aber manchmal ist das nicht genug.
So ging es weiter und ich musste mich durchringen, weiter zu lesen. Hohles Gerede. Offensichtliche Lügen. Unerträglich.
Noch schlimmer, dass ich sie so an meine Eltern weiter gab. Meine Mutter war ganz aufgelöst und fragte zum Schluss, ob sie Valentin trotzdem mal einladen dürfte.
„Das freut ihn bestimmt.“, sagte ich, klang wohl ziemlich scheiße. Sie glaubte aus Liebeskummer, aber es war vor allem das schlechte Gewissen. Und dieses seltsame Gefühl in meiner Brust.
Aber wenigstens hatte Saton jetzt die Möglichkeit, über mich hinweg zu kommen und neu anzufangen. Ihm gegenüber war das die richtige Lösung und er tat gut daran, einfach mal nur an sich zu denken.
Ich trat vor die Tür meines Hausbootes und blickte auf das Wasser. Das war die Rückkehr in mein altes Leben und alles, was ich mir in den letzten Monaten erträumt hatte.
Ich lag auf dem riesigen Hotelbett und starrte an die Decke, taub und blind für alles um mich herum. Trotzdem zuckte ich nicht mal zusammen, als sich eine Hand sanft auf meine Schulter legte.
„Und?“ Meine Stimme war monoton und leblos. Ich hatte definitiv alle Energie für heute aufgebraucht.
„Er ist gegangen“
Ich nickte nur. Das miserable Gefühl wollte nicht weggehen und der Schmerz in meiner Brust wurde stattdessen nur noch schlimmer.
Celine zog mich in ihre Arme. „Es tut mir so leid, Süßer“
Ich nickte wieder. Was sollte ich dazu auch sagen? Mir tat es auch leid, aber es war das Beste. Auch, wenn es sich momentan nicht so anfühlte.
„Hat er etwas gesagt?“
„Nichts“
Ich verzog gepeinigt das Gesicht, weshalb sie schnell hinzufügte: „Zumindest nichts Besonderes, während ich da war. Aber ich bin nur so lange geblieben, wie es nötig war, sonst wäre ich ihm noch an die Gurgel gesprungen“
Ja, sie war tatsächlich ziemlich ausgerastet, als ich ihr die ganze Jeanne Geschichte auf dem Weg zum Hotel erzählen musste. Sie hatte mich nicht fahren lassen wollen. Wenn man bedachte, dass ich hatte kaum einen Satz herausbekommen hatte vielleicht auch besser so.
Ich zuckte nur mit den Schultern. „Es war klar, dass es so weit kommt“ Mein Hals war ganz rau.
„Aber er hätte es dir zumindest sagen können! Er hätte wie ein vernünftiger Mensch Schluss machen können! Oder am besten gar nicht erst mit der Schlampe rummachen!“
Ich zuckte bei dem letzten Wort zusammen. Scheiße tat das weh.
Schweigen. Ihre Hand strich sanft durch mein Haar, während ich weiter an die Decke starrte.
„Ich dachte wirklich, bei ihm hätte es inzwischen auch gefunkt“, murmelte Celine leise.
Ich schloss gequält die Augen. „Celine, bitte…“
Ich würde über den Kerl hinwegkommen. Ich würde über ihn hinwegkommen und mir eine ordentliche Beziehung suchen können. Zumindest hoffte ich das.
Mir wurde furchtbar kalt, als ich an die viel zu große, leere Wohnung dachte.
„Ich werde umziehen“
Überrascht sah sie mich an. „Was?“
„Ich brauch ne kleinere Wohnung. Viel kleiner“
Tja… wenn das mal nicht nach Veränderung schrie.
Wenn man in den nächsten Tagen den Fernseher anschaltete, hörte man in den meisten Programmen etwas von der Promi-Trennung des Jahres. Die Zitate aus der Email wurden Wort für Wort so ausgestrahlt und trotzdem zerrissen sich die Leute über die Gründe die Münder. Mr. Kay schickte mir Fanmails zu, er fand das ganze ziemlich witzig. Mädchen schrieben, dass sie den Glauben an die Liebe verloren hatten, andere bettelten uns an, wieder ein Paar zu werden.
Nach wenigen Wochen legte sich der Sturm und ich konnte ohne Angst vor die Haustür gehen. Meine Anrufe bei Valentin wurden ignoriert, er brauchte wohl Zeit, um Abstand zu gewinnen. Mein Verstand konnte es nachvollziehen, mein Herz störte sich daran.
Wieder mit Danny zu arbeiten, lenkte mich von der Tatsache ab, dass Saton mich ignorierte. Er hatte sich selbst beim Schreiben des neuen Stückes übertroffen und meine Rolle gefiel mir ziemlich gut. Das erste Mal wieder auf den Brettern unserer kleinen Bühne fühlte sich wie heimkommen an und ich freute mich auf jeden einzelnen Arbeitstag. Und es war überraschend, wie viel besser ich auf dem Hausboot schlief, vor allem wenn ein Gewitter das Wasser aufwirbelte und mich sanft in den Schlaf wiegte.
Drei Wochen waren seit der Trennung vergangen, ich hatte mein erstes Interview nach der Trennung geführt und an einem Charity-Event teilgenommen, trotzdem war schon jetzt Normalität in mein Leben zurückgekehrt.
Ich saß in einem Café und genoss meine Mittagspause. Gegenüber an einer Litfaßsäule hing ein Plakat für die kommende Staffel von Sins of a Hero an der wir gearbeitet hatten. Ich nahm mein Handy aus der Tasche. Vielleicht war Saton jetzt bereit, mit mir zu reden.
Es tutete eine lange Weile und ich erwartete, gleich die Mailbox zu hören, doch da brummte eine männliche Stimme ins Telefon.
„Saton.“
Mein Herz machte einen Sprung.
„Hallo Valentin, ich bin es Hannes.“
Er schnaubte und klang nichts sehr begeistert.
„Können wir reden? Das Ganze ging doch sehr schnell vorbei und ich wollte dich fragen warum und ob wir uns mal treffen wollen. Ich meine wir kommen doch gut aus.“
Saton lachte bitter auf.
„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber es wird nichts mit der Freundschaftskiste. Klar kommen wir gut aus, aber für mich war das Alles mehr und das weißt du. Gut also, dass es jetzt vorbei ist, bevor ich dir noch lästig werde. Ciao, Bennett.“
Er legte auf.
Drei Monate später
Heute Abend war Premiere. Noch vier Stunden. Ich stand im Bad vor dem Spiegel und kämmte mir die Haare. Meine inzwischen blonden Haare. Gefärbt für das Stück und irgendwie gefiel es mir. Die Leute erkannten mich nicht mehr so häufig, vor allem, wenn ich keine Mützen mehr trug und manchmal brauchte man eben eine neue Frisur für einen neuen Lebensabschnitt. Für das Theater wäre ja eine Perücke auch eine Möglichkeit gewesen.
Die Vorstellung war ausverkauft, auch wegen mir. Danny gönnte ich diese Tatsache am meisten. Seine Werke verdienten es, gesehen zu werden. Und irgendwann, wenn mein Promi-Bonus verbraucht war, würden die Menschen hoffentlich noch immer das Theater lieben.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen, starrte an die Decke und ging noch einmal meinen Text durch. Hänger durfte ich mir nicht erlauben.
Das fühlte sich an wie vor zwei Jahren. Toller Beruf, beinahe vollkommen ungestört von Paparazzis und Fans. Und das in meinem Herz eine Lücke klaffte, ignorierte ich. Bis jetzt sehr erfolgreich.
Draußen hupte es, ich sprang auf, schnappte mir meine Jacke und eilte nach draußen.
Meine Kollegin wartete in ihrem winzigen und ziemlich alten Auto auf mich.
„Hey Hannes.“, gegrüßte sie mich und ließ mich neben ihr auf den Beifahrersitz fallen.
„Hey Conny. Na, schon aufgeregt.“
Sie lächelte mich an, blickte nach hinten und wendete den Wagen.
„Das kommt erst so in einer Stunde. Noch geht es mir ziemlich gut.“
Bei mir fing das Lampenfieber immer erst fünf Minuten vor der Aufführung an und war dafür umso heftiger.
Dann war es so weit. Die Gespräche der Theatergäste klangen von hier wie Geflüster. Meine Hände zitterten und ich hatte das Gefühl, knallrot anzulaufen, so warm war mir. Endlich ging das Licht im Zuschauerraum aus und Conny betrat für den Prolog die Bühne. Gleich war es soweit. Irgendwie wünschte ich mir, Valentin würde dort draußen im Publikum sitzen.
„... meinen Prinzen zurück in meine Arme.“
Das war mein Einsatz. Ich atmete tief durch und dann trat ich ins Licht der Scheinwerfer.
Es war geschafft. Verschwitzt und glücklich saß ich hinter der Bühne und stieß mit meinen Kollegen auf die gelungene Premiere an. Danny war glücklich und hüpfte herum wie ein Gummiball. Für einen Moment schloss ich die Augen. Das hier war Heimat, das hier waren Freunde, das hier war meine Welt. Eine Welt, die ich gerne mit Valentin teilen würde. Verdammt, wo kamen solche Gedanken immer her.
Die Türe öffnete sich und Kyle in seiner ganzen Skurrilität kam herein. Er fiel mir um den Hals, gratulierte dem ganzen Team für den erfolgreichen Auftritt. Er war es auch, der mich nach Hause begleitete.
„Du bist so schweigsam.“, stellte er fest, nachdem wir schon zehn Minuten unterwegs waren.
„Bin nur erschöpft.“, erwiderte ich und schaute nach oben in den Sternenhimmel.
„Du hast grandios gespielt und trotzdem scheinst du nicht glücklich zu sein. Ich kenne dich gut genug und in den letzten drei Monaten existierst du, aber du lebst nicht. Was ist los?“
Er klang ernst, etwas, das bei Kyle nicht oft vorkam.
„Ich muss mich nur wieder hier einfinden. Das braucht ein bisschen. Mir geht’s gut.“, antwortete ich, eine leichte Schärfe in der Stimme, weil ich nicht wollte, dass er mich so durchschaute.
„Vermisst du Valentin?“
Ich hätte darum herum reden können oder es abschreiten, aber ich sagte nichts, schaute nur in die Nacht. Kyle fragte nicht weiter. Aber ich wusste, dass er genau wusste, wie es um mich stand.
Ich liebte Valentin und vermisste ihn.
Drei Monate war das alles jetzt her. Ich hatte mich bei David durchsetzen können und war in eine wesentlich kleinere Wohnung gezogen, in der es sich nicht ganz so unerträglich leer fühlte. Der Dreh zu Sins of a Hero war abgeschlossen und wir hatten das gebührend gefeiert und war erleichtert gewesen, als Kay mir gesagt hatte, dass Hannes zu der Abschlussfeier nicht kommen konnte.
Mittlerweile wurde ich von Rollenangeboten überrannt, aber ich hatte mich für noch nichts entschieden. Ich hatte keinen Kopf dafür.
Thomas war wieder vom einen zum anderen Tag aufgetaucht, wir hatten viel unternommen und irgendwie war es dazu gekommen, dass wir mehr oder weniger zusammenkamen. Das Ganze war aber nur von kurzer Dauer gewesen, da seine Alkoholsucht, von der sonst niemand etwas gewusst hatte ans Licht kam und ich ihn rauswarf als ihm, wie er behauptete „nur ein einziges Mal und nie wieder“ die Hand „ausrutschte“ als wir uns stritten. Darauf wollte ich mich nicht einlassen.
Seitdem hatte ich keinen Tropfen mehr getrunken. Die Angst, auch so zu enden war zu groß. Ich konnte, so Leid es mir für Thomas tat, nicht behaupten, dass mir das Ende der „Beziehung“ Leid tat. Um ganz ehrlich zu sein war es sowieso nur ein verzweifelter Versuch gewesen, Hannes aus meinem Kopf zu bekommen, was natürlich nicht funktioniert hatte.
Ich stieg aus der Dusche und rubbelte mir die Haare trocken. Celine würde mich gleich abholen, sie hatte gemeint, sie würde mit mir gerne wohin fahren. Wohin und wofür hatte sie mir nicht verraten.
Kaum, dass ich angezogen war klingelte es auch schon an der Tür. Ich öffnete meiner besten Freundin, ohne die ich die letzten Monate wohl durchgedreht wäre und ging mit ihr in die Tiefgarage.
„Wie geht es dir?“
Die vorsichtig ausgesprochene Frage ruhte wohl darauf, dass ich die letzten Tage krank gewesen war und noch ein bisschen fertig aussah. Davon abgesehen, dass ich die Nacht seit langem Mal wieder von Hannes geträumt hatte. Wie lange würde das noch dauern?
Wenigstens hatte er nicht mehr versucht mich anzurufen. Das letzte Mal hatte ich eher aus Reflex abgehoben, ohne auf die Nummer zu sehen und es sofort bereut. Mittlerweile hatte ich alles soweit nach hingen gedrängt, dass es mir wieder einigermaßen gut ging.
„Gut, danke. Und dir?“
„Auch“
Die ganze Fahrt über musterte sie mich sowohl neugierig, als auch besorgt und aufgeregt.
Wohin zur Hölle fuhren wir?
Wir betraten die Eingangstür eines Wohnhauses und liefen die Treppe hinauf. In meinem Kopf tauchten immer mehr Fragezeichen auf.
Zu meiner noch größeren Verwirrung sperrte sie die Tür auf und ließ mich eintreten. Das war definitiv nicht ihre Wohnung. Die sah aus, als sei hier ein Farbeimer explodiert! Ein gigantischer Spiegel hing neben der Tür, als würde die Person, die hier wohnte immer noch einmal ihr Outfit checken müssen, bevor sie aus dem Haus ging, über dem Rand des Spiegels hing eine Federboa.
Celine zog mich am Arm in das Wohnzimmer, das ebenso schräg eingerichtet war.
Eigentlich hätte ich wissen müssen, wer ihr wohnte. Die Tür wurde aufgesperrt und ich hörte Kyles heitere Stimme.
Er kam durch die Tür, gefolgt von einem lächelnden Hannes, dessen Gesichtszüge bei meinem Anblick entglitten und der wie angewurzelt stehen blieb.
Ich für meinen Teil konnte ihn nicht ansehen, starrte den bunten Boden an. Sein Blick brannte sich in meinen Körper. Ich fühlte mich wie vor drei Monaten, als wäre keine Zeit vergangen. Ich musste dem Drang widerstehen, meine Hände in die Knie zu stemmen und langsam durch zu atmen. Mir war schlecht, als hätte mir jemand mit voller Wucht in den Magen getreten.
„Was zum…“ Hannes Stimme. Ich musste ein Schaudern unterdrücken und gleichzeitig wollte ich schreien.
„Was mache ich hier“ Jetzt sah ich meiner besten Freundin geradewegs ins Gesicht. Wenigstens meine Stimme klang normal, wenn auch schärfer und verbitterter als beabsichtigt. Wenigstens zitterte sie nicht, wie meine Hände, die ich jedoch fest zu Fäusten verspannt und in meinen Hosentaschen versteckt hatte.
„Ihr müsst miteinander reden“, das war Kyle.
„Kyle verdammt, was soll das“ Hannes.
„Es geht euch beiden scheiße, seit der Trennung. Und wir haben uns gedacht, wenn ihr miteinander reden würdet…“
Ich unterbrach meine wohl ehemals beste Freundin. „Mir geht es gut. Und ich entscheide selbst mit wem ich reden will und mit wem nicht“
„Ich bitte dich, Valentin! Sieh dich doch mal an, du gehst kaum noch raus, isst kaum noch…“
„Celine!“, fuhr ich ihr hart ins Wort. Ich wollte nicht, dass sie das alles vor Hannes auspackte. Ich wollte nicht, dass er wusste wie sehr mich das immer noch beschäftigte. Er hatte mittlerweile bestimmt längst eine Freundin, die schwanger mit Drillingen war.
Hannes trat unruhig auf einer Stelle, sein Blick hing immer noch an mir. Ich zwang mich aufzusehen. Er war jetzt blond, was zwar nicht schlecht aussah, aber ihn irgendwie anders wirken ließ. Er hatte auch keine Mütze auf. Vielleicht stand seine Neue nicht auf Mützen.
Ich spürte erst, dass ich mir auf die Lippen gebissen hatte, als ich Blut schmeckte. Das hier war keine gute Idee.
Celine und Kyle waren nicht mehr da, wie ich verwirrt feststellte. Ich musste woanders hinsehen. Der Teppich hatte eine interessante Maserung…
„Warum bist du einfach abgehauen? Wieso hast du nicht mit mir geredet?“, kam die raue Frage von der anderen Seite des Raumes. „Warum hast du dich nie gemeldet?“
„Warum hast du nicht gesagt, dass du genug von mir hattest?“, schoss ich zurück, die Stimme fast tonlos, als ob sie nicht wusste, welches Gefühl sie wiedergeben sollte. Und ungefähr so fühlte ich mich auch. Leer.
Überrascht zog er eine Augenbraue hoch. „Wie kommst du darauf“
Ich warf ihm einen sarkastischen Blick zu. „Ich bitte dich. Du hast dich ständig mit Jeanne rumgetrieben, während ich beim Dreh war. Und ich hab ein Foto gesehen, wo ihr euch küsst“
Hannes presste die Lippen zusammen. „Jeanne und ich… da war nie was“
Ich schloss verzweifelt die Augen. „Glaubst du das spielt eine Rolle? Ich konnte nicht mehr mit dir in einer Wohnung sein… Scheiße Mann, du wusstest, dass ich dich geliebt habe! Das wusstest du ganz genau! Ich hab mich auf diese beschissene Freundschaft Plus Sache eingelassen, weil ich dachte, dass ich keine andere Chance hätte, um dir irgendwie nahe zu kommen, ich hab mich immer wieder zurück stoßen lassen, weil du ja ach so hetero bist und bin die letzten Wochen fast gestorben, weil ich die verdammte Zeit nicht aufhalten konnte und wusste, dass ich dich verdammt nochmal verliere! Aber es war dir einfach Scheiß egal! Und dann kommt diese Jeanne, mit der du dich ganz offensichtlich super gut verstehst, mit der du ganz offen rumflirtest und dann auch noch küsst! Meinst du, da stört es mich, ob zwischen euch wirklich was war, oder nicht? Ich hab dich geliebt, verdammt! Ich hab allein den Gedanken nicht ausgehalten, dir gegenüber stehen zu müssen um darauf zu warten, dass du mir sagst, dass du mich jetzt genug gevögelt hast und lieber mit dieser Hexe abhaust!“
Ich fluchte, als mein Vortrag von einem Schluchzen beendet wurde. Das war alles so frustrierend, warum stand ich hier und erzählte ihm das alles? Was hatte das hier für einen Sinn?
Valentin gegenüber zustehen nach so langer Zeit war ein seltsames Gefühl. Einerseits hatte ich so viele Fragen an ihn, doch gleichzeitig wollte ich ihn einfach nur in den Arm nehmen. Ich hatte ihn vermisst. Und jetzt, wo er endlich offen über seine Gefühle sprach, wurde mein schlechtes Gewissen immer größer. Er hatte unter der Sache mit Jeanne schrecklich gelitten und ich Idiot kam auf keine bessere Idee, diese Frau immer wieder in unsere Wohnung zu bringen und vor seinen Augen mit ihr zu lachen und zu scherzen. Bennett, du bist ein Arsch.
Saton sah wirklich fertig aus, was nach so langer Zeit davon zeugte, dass ich ihm wirklich viel bedeutete.
Ich fuhr mir durch die Haare.
„Okay. Wo wir gerade dabei sind.“, ich wagte es, ihm ins Gesicht zu sehen. „Ich erzähle dir jetzt auch eine tragische Geschichte von einem Typen, der nach Hollywood kam und dort quasi in eine Beziehung mit einem Kerl gezwungen wurde, um andere Gerüchte zu unterbinden.“
Jetzt lachte Saton bitter auf. „Hör zu, Hannes. Du hast mir oft genug erzählt, wie schwer es doch für dich war, dich verstellen zu müssen. Blabla, ich kann es nicht mehr hören, okay.“
Er wandte sich zur Tür.
„Warte Valentin. Hör mir bitte kurz zu, die Geschichte geht weiter.“
Ich fasste ihn am Arm, nur ganz leicht, damit er sich jederzeit losmachen konnte, wenn ihm danach war. Schließlich wollte ich ihn zu nichts zwingen. Doch Saton wehrte sich nicht, ein Schauer fuhr durch seinen Körper und auch ich wurde mir der warmen Haut unter meinen Fingern bewusst. Mit einem Fluchen befreite er sich aus meinem Griff.
„Dieser Typ hat sich seinem Fake-Freund gegenüber manchmal ziemlich bescheuert benommen. Die beiden haben irgendwann angefangen, miteinander zu schlafen, nach so langer Zeit des Verzichts war das ja die logische Konsequenz. Die ganze Zeit betonte der Typ, wie hetero er doch war und bandelte sogar mit einer Dame an, der es insgeheim nur ums Geld ging. Das merkte er zu spät. Und während der ganzen Zeit war er zu dumm und verblendet, sich einzugestehen, dass er sich in dich verliebt hat.“
Bei meinem letzten Satz sah ich Saton direkt in die Augen. Es war ausgesprochen. Ich hatte Saton meine Liebe gestanden. Er musste mich für verrückt halten.
Valentin sah mich an. Nichts war auf seinem Gesicht zu lesen, was mir über seine Gedanken Auskunft geben konnte.
„Mein komplettes Vermögen für deine Gedanken.“
Saton machte zwei Schritte auf mich zu.
„Und du glaubst jetzt, wir können wieder auf Pärchen machen, nur weil du plötzlich die fixe Idee hast, doch etwas für mich zu empfinden?“
Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Da war Wut und Glück, nackte Panik und leise Hoffnung. Aber tatsächlich hauptsächlich Panik. Panik davor, dass er sich das alles nur einbildete. Panik, dass er sich doch für Frau und Kinder entscheiden würde und Panik ihn noch einmal gehen lasse zu müssen. Daran würde ich kaputt gehen.
„Ich glaube gar nichts… ich wollte nur… dass du es weißt, du weißt schon“
Hannes sah niedergeschlagen zu Boden. Klar, die Reaktion hatte er wahrscheinlich nicht erwartet.
Abwehrend schüttelte ich den Kopf und wich zurück. „Nein… Nein, Hannes! Ich hab gerade erst akzeptiert, dass du wahrscheinlich schon längst eine Freundin hast und das mit uns einfach nichts werden wird! Und jetzt kommst du und… Das geht nicht! Du willst eine Familie, Frau und Kinder, das hast du mir so oft vorgebetet! Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber das wird mit mir definitiv verdammt schwer! Nicht nur, weil ich keine Frau bin und mich mit Geburten auch eher schwer tue, sondern weil ich kein Familienmensch bin! Ich kenne das alles nicht! Und was passiert mit mir, wenn du feststellst, dass dir das alles nicht genügt und du dir wieder eine Frau suchst?“
Scheiße, ich zitterte wie blöd. Warum zur Hölle kam er jetzt damit an?
„Ich will aber keine Frau. Und das mit den Kindern…“, er zögerte. „Es sitzen doch genug Kinder in den Heimen“
Ich schloss verzweifelt die Augen. Der Wichser fand gerade Ausreden für meine Ausreden!
„Du kannst doch nicht einfach so eine 180 Grad Wende hinlegen! Du kannst doch nicht einfach…“ Scheiße, mein Blickfeld verschwamm und die ätzenden nassen Spuren auf meinen Wangen konnten nur bedeuten, dass ich heulte.
Ich wischte mir wütend über das Gesicht. „Ich mach das nicht nochmal mit, Hannes! Ich bin kein verdammtes Spielzeug! Ich kann nicht so tun, als ob mir das alles nichts ausmacht, wenn du…“, meine Stimme brach.
Nein, so sehr ich mit ihm zusammen sein wollte, es würde nicht klappen. Er würde mir nur vorhalten, dass er ein geregeltes Familienleben für mich aufgegeben hatte, so wie er mir davor vorgehalten hatte, dass er seine Familie für mich anlog. Er würde sich eine Frau suchen, so wie er mit Jeanne angebandelt hatte und würde schließlich einfach gehen, während ich daran kaputt ging.
Oh man. Das hier war schlechter als jede Seifenopfer. Oder besser. Fakt war: Wir liebten einander. Aber wir waren zu blöd, dass hier hin zu bekommen.
„Okay, Valentin. Ich weiß, ich war ein Arsch und ich war blind dafür, wie ich wirklich für dich gefühlt habe und es immer noch tue. Aber hast du wirklich meinen Ausreden geglaubt? Welcher Hetero fängt denn was mit einem Mann an? Nicht nur aus Neugier, sondern gleich mehrmals. Ich habe mir etwas vorgemacht, aber du musst doch gemerkt haben, dass mir viel an dir liegt. Ich... ich war nur so sehr darauf fixiert, eine traditionelle Familie zu haben.“
Ich lehnte mich gegen den Türrahmen.
„Warum machst du es uns so schwer?“
Saton lachte auf.
„Ich mache es uns schwer? Du warst wochenlang in mich verliebt, hast mich gevögelt und dann mit einer Anderen geflirtet. Aber ich mache es uns schwer?“
„Das verzeihst du mir nie, dass ich auf diese dumme Kuh herein gefallen bin, oder? Der Kuss zwischen Jeanne und mir war nur ein Bussi, das ich ihr gegeben habe, als Lisa mir gesagt hat, dass ich Patenonkel bin. Ich hätte auch Mr. Kay geküsst, wenn er mit mir in diesem Café gewesen wäre. Oder meine böse Oma.“
Jetzt musste Saton sogar lachen, vermutlich weil er sich genau das jetzt vorstellte.
„Siehst du. Wir haben denselben Humor, der Sex ist grandios und ich bin außerhalb von Hollywood und muss keine Sekunde mehr Lügen. Warum sollten wir es also nicht versuchen?“
Ein hoffnungsvoller Blick in seine Richtung. Man, in was für eine Lage hatte ich uns da gebracht? Ein „Ich liebe dich“ vor vier Monaten hätte uns viel Liebeskummer erspart. Dummer, dummer Bennett
„Du hast im letzten Jahr viel gelogen, was deine Familie und Freunde betraf. Wer sagt mir, dass das hier alles keine Lüge ist.“
Noch immer sah Saton skeptisch aus.
Einen Moment lang war ich wütend. Jetzt warf er mir Unehrlichkeit vor. Doch es war verständlich. Lügen und Spiel waren die Basis unserer Beziehung gewesen in all der Zeit.
Zwei Schritte und ich war bei ihm.
„Ich liebe dich, Valentin Saton. Ich hab es spät begriffen, vielleicht sogar zu spät. Aber es ist keine Lüge.“
Unsere Gesichter waren so nah. Eine kleine Bewegung und wir würden uns küssen, doch ich war zur Salzsäule erstarrt. Es roch nach Valentin, nach seiner Vertrautheit, die ich in all den Monaten nicht zu schätzen gewusst hatte und von der mir erst jetzt bewusst wurde, wie sehr ich sie vermisst hatte. Jetzt lag es an ihm, mir zu glauben.
Ich hatte die Luft angehalten. Scheiße, scheiße, scheiße! Ich wollte ja! Aber irgendetwas in mir versuchte mich gerade vor einer weiteren Tragödie zu bewahren.
Mein ganzer Körper bebte. Wahrscheinlich würde ich gleich aufwachen und ich läge alleine in meiner neuen Wohnung.
Als sich seine Arme um mich legten stand ich stocksteif in seiner Umarmung. „Es tut mir leid, dass ich nicht gesehen habe, wie schlecht es dir in der Zeit ging. Aber glaub mir, ich liebe dich. Und ich werde nicht so blöd sein und die gleichen Fehler noch einmal machen“
Sein Geruch in meiner Nase brachte mich um. Automatisch legten sich meine Arme um seinen Körper und zogen ihn an mich. Ich vergrub mein Gesicht an seinem Hals. Scheiße.
„Hey du Heulsuse“
„Halt die Klappe, du bist keinen Deut besser!“, schniefte ich und verpasste ihn mit meinem Ellenbogen einen Stoß in den Rücken.
Seine Hand grub sich in meine Haare. Mein dummes Herz klopfte so kräftig gegen meine Brust, dass er es bestimmt spüren konnte.
Seine Arme pressten mich an sich, als ob er befürchtete, dass ich ihn gleich wieder von mir schieben würde. Doch stattdessen erwiderte ich den Druck.
Meine Hände strichen über den großen Männerkörper, bis ich schließlich eine Hand in seinen Nacken legte und ihn endlich, endlich, endlich wieder küsste.
Er seufzte an meinen Lippen, ließ zu, dass ich meine Zungen in seinen Mund schob und seine suchte. Langsam aber sicher wurde meine Sorge von purer Euphorie verdrängt.
Er war wieder hier, ich konnte ihn wieder spüren, seinen gewohnten Geruch einatmen und ihn schmecken. Und verdammt nochmal, der Idiot hatte sich tatsächlich in mich verliebt. Als die Gedanken langsam in meinem Gehirn ankamen musste ich an seinen Lippen grinsen.
„Was?“, fragte er leise, seine Augen huschten über mein Gesicht, als ob er sich genau einprägen musste, wie ich gleich wieder aussah.
Ich schüttelte nur den Kopf, küsste ihn erneut. Wer hätte gedacht, dass der Tag so enden würde?
Das entzückte Quietschen zeugte davon, dass Kyle wieder da war. Widerstrebend löste ich mich von Hannes und sah zu den beiden hinüber, die uns freudig anstrahlten.
„Ich hab doch gesagt das funktioniert“, Kyle hüpfte aufgeregt herum und warf sich dann Hannes um den Hals.
Als unsere Lippen aufeinander trafen, füllte sich das Loch in meinem Herzen. Unvorstellbar, wie ich die letzten Monate ohne ihn ertragen und die Zeit davor so blind hatte sein können. Der Kuss war sanft, so als müssten wir uns erst wieder an das Gefühl gewöhnen, einander nahe zu sein.
Kyles Unterbrechung nervte mich ziemlich, dabei liebte ich ihn gerade dafür, dass er uns zu Aussprache gezwungen hatte. Also ließ ich mich erst von ihm und dann von Celine umarmen, wobei ich fieberhaft überlegte, wie wir die beiden loswerden und endlich allein sein konnten. Wir wollten einander spüren und nahe sein und mit der Aussprache der magischen Wörter war ich bereit, Valentin alles von mir zu geben. Ich war schwul, naja, vielleicht bisexuell, auf jeden Fall liebte ich einen Mann. Keine Fassade mehr, hinter der ich mich versteckte, kein Grund mehr dafür.
Unsere besten Freunde schienen zu spüren, dass wir Privatsphäre brauchten, Celine brach nach Hollywood auf und Kyle fuhr uns zum Hausboot zurück. Zum Glück war keiner der Nachbarn hier um zu sehen, wie Valentin Saton und Hannes Bennett gemeinsam in dem kleinen Boot verschwanden.
Es kam anders, als ich dachte, wir stürzten uns nicht sofort aufeinander, sondern setzten uns auf das Bett, um zu reden. Über die letzten drei Monate, über die Fehler, die wir begannen hatten und auch über die Zukunft. Wie lange würde es dauern, bis die Welt mitbekam, dass wir es noch einmal miteinander versuchten. Ob die Entfernung ein Problem war.
Während der ganzen Zeit streichelte er meine Finger, fuhr sanft über meine Handgelenke und die Oberarme, strich durch mein Haar, das ihm zu gefallen schien. Mit all diesen Zärtlichkeiten machte er mich langsam aber sicher total heiß und irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Ich musste ihn küssen, nackte Haut spüren, sein Gesicht sehen, wenn er sich mir hingab. Langsam fiel ein Kleidungsstück nach dem anderen, machte suchenden und liebkosenden Händen platz. Ich fühlte Satons heißen und schnellen Atem auf der Haut, seine Lippen an meinem Hals, die Hände in meinem Haar und es fühlte sich so gut an, ihm die Führung zu überlassen, nur zu genießen, während er tat, was er am besten konnte.
„Wie wäre es als nächstes mit einer Rolle als Vampir?“, fragte ich mit heißerer Stimme und spielte darauf an, dass er es liebte, meinen Hals und Nacken mit Küssen und sanften Bissen zu liebkosen.
Saton lachte, zog mein Gesicht für einen Kuss an sich und lies sich mit mir auf das Bett gleiten. Sein warmer Körper lag auf meinem, sein Becken rieb gegen meines und entlockte mir ein raues Stöhnen.
„Ich glaube ja, dass mir die Rolle des geheimnisvollen Liebhabers eher auf den Leib geschneidert ist, meinst du nicht?“, flüsterte er mit einem schelmischen Grinsen und küsste meine Antwort fort.
Seine Erregung drückte gegen meinen Bauch und ich schob die Hand zwischen unsere Leiber in Valentins Hosenbund, um sie zu massieren. Valentin stöhnte an meine Lippen.
„Für die Rolle müssten wir wohl beim Casting ins Stechen.“, wisperte ich mit einem Ausdruck in der Stimme, der ihn wissen ließ, dass auch er meinen Liebkosungen nicht widerstehen konnte und dass ich mir dieser Tatsache sehr bewusst war.
Saton beugte sich wieder über mich, seine Zunge fuhr über meinen Hals hinauf zu meinem Ohr.
„Auf den Part freue ich mich schon.“, sagte er.
Ich zog ihn wieder zu mir, küsste ihn mit aller Liebe, allem Vertrauen, dass ich in ihn hatte.
„Hast es wohl vermisst, wie ich dich in die höchsten Sphären der Lust katapultiert habe.“
„Deine Bescheidenheit war schon immer die Eigenschaft, die ich am meisten an dir bewundert habe“, erwiderte Saton und küsste mich tief. Dann griff er zwischen meine Beine, rieb mich, machte mich noch heißer auf ihn. Ich schloss die Augen, gab mich seinen kundigen Händen hin.
Verdammt, war es wirklich schon über drei Monate her, dass ich ihn berührt hatte? Scheinbar.
Keuchend wand Hannes sich unter mir, seine Hände wanderten über meinen Körper, anfangs noch sanft und tasten, mittlerweile ungeduldig und fordernd.
Meine Zunge war zu seiner Brust gewandert, sog an den Brustwarzen und entlockte ihm raue Töne.
Er hatte die Augen geschlossen, das Gesicht wirkte angespannt, als müsse er sich zusammenreißen nicht zu laut zu werden, während meine Hand seinen Schwanz streichelte. Seine Brust hob und senkte sich heftig, sein Atem kam keuchend. Langsam knabberte ich mich mal mehr mal weniger sanft einen Weg nach unten. Ja, ich gab zu, ich hatte Spaß daran ihn mehr zu beißen als zu küssen, aber den Geräuschen, die er von sich gab nach zu urteilen fand er Gefallen daran.
Sein Becken zuckte, als meine Zunge die empfindliche, weiche Haut an der Innenseite seines Oberschenkels neckte und sich für seinen Geschmack wohl viel zu langsam dahin bewegte, wo er mich haben wollte. Ächzend krallten sich seine Hände in meine Haare, als ich mit einem frechen Grinsen in die weiche Haut biss und daran saugte.
„Das kriegst du zurück“, keuchte er und starrte mich herausfordernd an.
Neckend blies ich kalte Luft über die feuchte Stelle und spürte ihn schaudern. „Ich bitte darum“
Keine Sekunde später lag ich auf dem Rücken, seine Hände links und rechts neben meinem Kopf in die Matratze gestützt. Ich griff nach seinen Schultern, wollte ihn wieder unter mich drängen, doch er stemmte sich mit aller Macht gegen meine Arme. Mit einem frustrierten Schnauben sah ich zu ihm auf und gab meinen Widerstand schließlich auf, als mich sein glühender Blick traf.
„Ich habe dich ja gewarnt“ Ich schauderte, bei den leisen, rauen Worten an meinem Ohr. Keuchend schloss ich die Augen, während er sich mit Lippen und Zunge einen Weg zu meinem Mund suchte. Fast schon ungeduldig küsste er mich, bevor er sich langsam aufsetzte.
Mit schelmischem Grinsen leckte er sich lasziv über die Lippen, während er seinen stechenden Blick bedächtig über meinen nackten Oberkörper wandern ließ. Schmunzelnd nahm er die leichte Gänsehaut, die sich unter seiner gierigen Musterung bildete zur Kenntnis und ließ seinen Zeigefinger über meine Brust zu meinem Bauchnabel wandern. Die Berührung war kaum spürbar und ich war mir gar nicht sicher, ob er mich wirklich berührte und trotzdem sandte mein Verstand heiß-kalte Schauer über meine Haut.
„Ich liebe deinen Körper“, brummte Hannes, die Stimme dunkler als sonst. Ich brachte nur ein unbestimmtes ächzen zusammen, da seine unerträglich leichten Berührungen mich verrückt machten. Jedes mal, wenn ich ihm mit meinem Oberkörper entgegen kam, zog er seine Hand zurück, sodass es bei diesem verfluchten Millimeter kleinen Abstand blieb, der mich die Berührung nur durch die Wärme seiner Finger erahnen ließ. Verdammt, ich wollte, dass er mich richtig anfasste, seine Hände auf mir spüren. Stattdessen wandte ich mich unruhig unter ihm, während meine Erektion schmerzhaft gegen den festen Jeansstoff drückte, auf dem Hannes mit seinem Gewicht saß und mir den Schweiß auf die Stirn trieb. Und so wie der Hund mich angrinste, wusste er ganz genau, dass er mich gerade um den Verstand brachte.
Seine Gesichtszüge waren gespielt entspannt, doch seine Brust hob und senkte sich hektisch. Als sich seine Finger federleicht über meine Brustwarze bewegten stieß ich ein tiefes Stöhnen aus. Überrascht zuckte Hannes zurück, als ich mich ruckartig aufsetzte und ihm fordernd meine Zunge zwischen die Lippen schob.
„Hör endlich auf mich zu foltern“, knurrte ich, rieb meinen Unterleib an seinem Hintern und presste meinen nackten Oberkörper gegen seinen.
Er stöhnte tief und ließ kurz seinen Kopf auf meine Schulter sinken, als müsste er sich erst einmal fangen.
„Du kannst ruhig so tun, als ob dich das kalt lässt, wenn ich unter dir liege und wegen dir fast vergehe…“, schnurrte ich an seinem Ohr, spürte ihn schaudern. „… aber ich kaufe dir das keine Sekunde ab“
Ächzend stieß er sein Becken vor, als ich gegen die deutliche Beule vorne in seiner Jeans drückte.
„Was fällt dir ein, einfach so den Spieß umzudrehen, hmm?“, brummte er außer Atem und fast ein wenig vorwurfsvoll und drückte mich wieder rückwärts in die Matratze.
Mit fahrigen Händen nestelte er an dem Reißverschluss meiner Hose, während ich es ihm gleichtat. Gehorsam hob ich meine Hüfte, als er ungeduldig an dem festen Stoff zog und mich von dem nervigen Kleidungsstück befreite.
Dann stieg er aus dem Bett und streifte sich ebenfalls die Jeans ab, bevor er sich wieder auf mich legte.
Seine Lippen pressten sich hart auf meine, seine Finger fuhren fahrig über meine erhitzte Haut.
Stöhnend lag ich unter ihm, gab mich seinen fordernden Küssen hin, während er sanft meine Beine auseinander drückte, um sich dazwischen zu legen. Ich hörte das knisternde Geräusch von Plastik, als er die Kondompackung aufriss.
„Ich hab dich so vermisst, Valentin“
Zischend sog ich die Luft in meine Lungen, als er langsam in mich eindrang und krallte meine Hände in seine Schultern. Ich hörte sein angestrengtes Keuchen an meinem Ohr, während er sich langsam weiter schob. Beruhigend streichelten seine Hände über meinen bebenden Körper, während er mit vor Lust verschleiertem Blick in mein angespanntes Gesicht sah.
Fluchend presste ich meinen Kopf ins Kissen, während der Schmerz stetig zunahm. Ich hatte in der Zwischenzeit meine Augen geschlossen und mein Kiefer mahlte.
Ich hörte Hannes leise lachen und zuckte bei der Stimme an meinem Ohr zusammen. „Bist du aus der Übung?“
Ich warf ihm einen gespielt verärgerten Blick zu. „Ich kann dir nach ein paar Monaten ja auch mal einfach so den Schwanz in den Arsch schieben. Mal sehen wie du reagierst“
Stöhnend bog ich den Rücken durch, als er sich nach vorne beugte und sich so gänzlich in mich schob.
Sanft küsste er mich auf die Lippen. „Tut mir leid. Du weißt ich bin ungeduldig“
„Macht nichts“, brummte ich. „Ich beschwere mich schon, wenn es mir nicht passt“
Sein freches Grinsen erwiderte ich, indem ich ihm die Zunge rausstreckte.
Keuchend schnappte ich nach Luft, als er sich langsam zu bewegen begann. Schweiß stand ihm auf der Stirn, zeugte von der Überwindung, die es ihn kostete, sich zurück zu halten.
Mein Körper entspannte sich langsam, doch Hannes behielt seinen quälend langsamen Rhythmus bei.
„Mach schon“, keuchte ich, drängte ihm meine Hüfte entgegen und schlang meine Beine um ihn.
Stöhnend presste er sein Gesicht gegen meinen Hals, als er den Takt erhöhte, langsam aber sicher auf den Höhepunkt steuerte. Fordernd küsste er mich, während seine Stöße fester wurden.
Hitze jagte durch meinen Körper, machte mich schier wahnsinnig, während sich nackte Haut aneinander rieb. Ich war gerade dabei, Hannes Hals zu reizen, als seine Hand mit hartem Griff meine Erektion umfasste. Aus Reflex biss ich zu, bog den Rücken durch und kam in seiner Hand. Sein heiserer Schrei und das verkrampfen seiner Muskeln zeigte mir, dass auch er über die Klippe gesprungen war.
Nur langsam kamen wir beide wieder zu Atem.
„Wow.“, flüsterte ich, küsste Valentins Ohr und Wange, noch immer schwer atmend. „Das war heiß.“
Unsere Lippen trafen sich zu einem sanften Kuss. Nie wieder wollte ich hier weg.
„Schön, dass du das jetzt auch begriffen hast.“, Saton sah mich von unten an, und auch wenn seine Worte scherzhaft gemeint waren, trafen sie mich.
„Bin schon ziemlich blind gewesen.“, gestand ich murmelnd ein und küsste seine Stirn.
„Durchaus.“ Er grinste.
„Sonst wäre es ja nicht spannend.“
Wieder meine Lippen auf seinen, streichelnde Finger auf meiner uns seiner Haut, Liebkosungen, die ich nie wieder missen wollte.
„Wie lange glaubst du, werden wir Ruhe vor den Paparazzi haben?“
Wir würden fast ein halbes Jahr Vorsprung haben, bevor sie herausfinden würden, dass Valentin und ich wieder ein Paar waren. Ein wundervolles halbes Jahr mit grandiosem Sex, Nachmittage des Nichtstuns auf dem Hausboot und Besuchen bei meiner Familie, die sich riesig freute, dass Saton wieder ein Teil meines Lebens war.
Als sie dann das erste Foto von uns veröffentlichten (die Gefühle waren mit uns durchgegangen und wir konnten froh sein, dass sie uns nur beim Küssen erwischt hatten), drehten die Fans geradezu durch, doch mit Saton an meiner Seite war mir das egal. Und das es die Theaterkasse füllte, war ein positiver Nebeneffekt.
Für jetzt war das Leben perfekt. Und vor allem ehrlich.
Tag der Veröffentlichung: 20.06.2014
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