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Lynia – Leben ist, was einem begegnet, wenn man auf seine Träume wartet


Ich überquerte die Dickens Avenue und lief an den frisch geschnittenen Hecken vorbei, die rechts und links neben der Straße aufragten. Ein Junge mit einem Skateboard zog auf der anderen Seite an mir vorüber. Er passte nicht in diese feine Gegend.
Ich hielt an.
127 Dickens Ave. Da war es.
Ich öffnete die Gartenpforte und betrat das große, weiße Herrenhaus, in dem mein Vater sein Büro hatte. Das wichtigste in seinem Leben. So kam es mir jedenfalls vor.
Seine Sekretärin Lory saß an ihrem Schreibtisch in dem Raum vor Dads Büro und notierte sich irgendetwas in ihr kleines, dickes Notizbuch.
Lory war ein Prachtstück. Als Dad sich einmal mit einem Brieföffner die Hand aufgeschlitzte und laut aufgeschrieen hat, ist sie mit ihrem Schuh bewaffnet hineingestürmt, um ihn zu verteidigen. Dabei hatte sie geschrieen wie ein Ninjakrieger.
Ich räusperte mich.
„Ist Dad da?“
„Er telefoniert.“
Ich stellte keine weiteren Fragen sondern ging weiter bis zu Dads Tür. Sie war aus kostbarem Holz und mit einer Türklinge, von der ich befürchtete, dass sie aus Gold war. Aus Ehrfurcht zog ich den Saum meines Sweatshirts über meine Hand, bevor ich sie hinunterdrückte.
Dad saß an seinem glänzenden Schreibtisch, den Telefonhörer in der Hand und einen Kuli vor sich liegen. Auf seiner Stirn bildete sich eine tiefe Denkfalte.
Ich setzte mich still auf einen Stuhl gegenüber von ihm und wartete, das Briefkuvert in meinem Schoß fest umklammert. Ich strich über die englische Briefmarke und hunderte von Fragen wirbelten durch meinen Kopf.
Dad diskutierte weiter mit dem Typen auf am anderen Ende der Leitung. Seine Stimmung hatte sich in den letzten dreißig Minuten drastisch gehoben. Die Denkfalte war verschwunden und er lächelte gewinnend. Entweder er hatte wieder eine Firma gekauft, oder der Kaffeestand um die Ecke machte doch nicht zu.
Ich kannte niemanden der so süchtig nach Kaffee war wie Dad. Vielleicht war er deshalb so ein Arbeitstier, weil er soviel Koffein in sich hatte.
Endlich legte er auf und strahlte mich an.
„Wir haben die Firma!“, informierte er mich. Also doch kein Kaffee mehr. Würde er jetzt endlich anfange, seine Kaffeemaschine hier im Büro zu nutzen?
„Super.“, murmelte ich so enthusiastisch wie möglich. Er stand auf und tigerte hinter seinem Schreibtisch auf und ab. Seine Schritte waren federnd und leicht und er murmelte geistesgegenwärtig Geschäftszahlen vor sich hin. Plötzlich hielt er an und sah mich schief an.
„Was gibt’s denn überhaupt, Lynia?“, fragte er.
Ich überschlug in Gedanken meine Chancen, ihn von meinem Vorhaben zu überzeugen. Er war gut gelaunt, hatte gerade eine Firma gekauft und in Gedanken so weit weg, dass er mir wahrscheinlich kaum zuhören würde – meine Chancen standen nicht schlecht.
„Darf ich nach London?“, fragte ich leise und versuchte meinen Hundeblick. Mit meinen tiefblauen Augen klappte das meistens ganz gut.
„Was willst du da?“ Zögernd schob ich ihm den Brief hinüber.
Er besah sich skeptisch den Absender. Seine Miene versteifte sich.
„Olivia hat mir geschrieben.“, murmelte ich. „Sie lädt mich vor diesen Sommer zu sich ein.“
„Auf keinen Fall.“, sagte er sofort in scharfem Ton. Ich zuckte zusammen.
„Warum nicht?“
Er suchte angestrengt nach Worten.
„Sie ist einfach nicht gut für dich.“
Ah. So war das also. Die Elternmasche mal wieder. Er meinte mal wieder genau zu wissen, was gut für mich sei, und was nicht. Wie immer.


Hope – A vida é como uma montanha-russa


“Willst du mit? Im See schwimmen?“, fragte ich. Hastig stopfte ich mein sonnengelbes Badehandtuch in meine Tasche und setzte meine Sonnenbrille auf. Meine dunklen, langen Haare ließ ich offen.
Meine Zwillingsschwester Faith schüttelte ablehnend den Kopf.
„Nein, danke. Viel zu kindisch.“, murmelte sie und klimperte kurz mit ihren vielen Armbändern, als sie sich von mir abwandte und weiter ihre E-Mails las. Die Abneigung und Verachtung in ihrer Stimme verletzte und kränkte mich.
Was war bloß aus uns geworden?
Früher war Faith genauso wild gewesen wie ich. Wir waren immer zusammen gewesen, unzertrennlich. Aber seit Anfang der High School war sie so anders. So seelenlos und zickig.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Wir du willst.“
Ich warf einen letzten Blick auf ihren überfüllten Schminktisch, bevor ich in meine Flipflops schlüpfte und losrannte.
Es viel mir leichter den Kopf abzuschalten, wenn ich rannte. Das stechende Gefühl, dass mich jedes Mal bedrückte, wenn ich mit Faith sprach, verschwand mit jeden Schritt ein bisschen mehr. Als ich am See ankam und Lynia und Jo am Ufer erblickte, war mein herz wieder so leicht wie eine Feder.
Lynias hellblonde Haare leuchteten mir schon entgegen. Es schien, als würden sie alle Sonnenstrahlen aufsagen. Sie war Schwedin. Ihre ganze Familie war hellblond, blauäugig, schrecklich nett aber auch schrecklich naiv. Außer ihrem Vater, der ein ziemlich trickreicher Firmenhändler war, glaubte ihre ganze Familie stets an das gute im Menschen. Lynia war die Reinkarnation von Nettigkeit und Gutglaube.
Jo trug immer noch ihre Fußballschuhe, die sie nach dem Training am liebsten gar nicht mehr auszog, weil sie sie so toll fand. Ihre hellbraunen Haare hatte sie am Hinterkopf zu einem Zopf zusammengebunden.
„Hey!“, lachte ich im Vorbeirennen, zog im Laufen meine Shorts und mein T-Shirt aus und sprang sofort ins kühle Wasser. Ich genoss das Prickeln der aufsteigenden Bläschen auf meiner Haut und ließ mich treiben.
Als ich auftauchte, schwammen Jo und Lynia neben mir und lachten. Ich lachte mit.
Wir wussten ohne etwas zu sagen, dass wir in diesem Moment glücklich waren.
Wir schwammen eine Weile und legten uns dann am Ufer in die Sonne und redeten über dies und das.
Jo erzählte von ihrem Fußballspiel und lustigen Geschichten ihrer ganzen Zoccerfreunde. Lynia erzählte, dass sie nach London zu ihrer Großmutter Olivia wollte.
„Ich dachte dein Dad erlaubt es nicht?“, bemerkte ich.
„Tut er auch nicht.“, sagte Lynia geheimnisvoll.
„Du haust ab?“, fragte Jo mit leuchtenden Augen. Sie liebte aufregende Geschichten.
„Genug Geld hab ich.“, sagte Lynia und zuckte mit den Achseln. Das war ja auch klar, schließlich war ihre Familie stinkreich. „Und rausschleichen kann ich mich problemlos. Morgen geht’s los. Dann ist endlich Sommer.“
Ich grinste.
„So kenne ich dich gar nicht, Lyn.“, bemerkte ich.
„Es ist Zeit, dass ich mich mal wehre.“, sagte Lynia schlicht und lächelte. Jo und ich tauschten einen erstaunten Blick.


Jo – Ich habe einfach keine Zeit, mich zu beeilen


„Santorin.“ Ich sah entschlossen von unserem alten Globus auf, der früher mal meinem Urgroßvater gehört hatte. „Ich will nach Santorin.“
„Nach Griechenland?“, fragte Seth. Ich nickte.
„Ich würde lieber nach Australien.“, meinte er und legte sein Sandwich beiseite. „Nach Sydney.“
„Okay!“ Ich lachte. „Komm, wir kaufen Flugtickets, fliegen nach Santorin und dann nach Australien.“
„Wenn du das Geld hast.“ Er lachte auch.
„Wir überfallen einfach eine Bank.“, sagte ich schlicht.
Ich schwang mich von der Küchenanrichte, auf der ich meinen Hintern platziert hatte, schubste den Globus an und stoppte ihn wieder mit dem Finger.
„Und danach nach Namibia!“, lachte ich.
„Ich hol schon mal schwarze Klamotten raus.“, scherzte er und verdrehte die Augen.
„Vergiss die Spielzeugpistolen nicht!“, gab ich zurück und streckte ihm die Zunge raus. Er saß immer noch auf der Anrichte, die Fußballschuhe noch an den Füßen. Unser französisches Hausmädchen Julia würde einen Wutanfall bekommen, aber sie war nicht da, also war das egal.
Eigentlich war Julia unnötig.
Fand ich.
Dad, Nate und ich kamen bestens alleine aus, schon seit Jahren. Aber vor ein paar Monaten hatte er dann auf einmal plötzlich behauptet, er würde den Haushalt nicht mehr schaffen. Eigentlich war das ja auch wahr. Niemand hatte viel Zeit, wenn er in seinem Job irgendwelche Leute beschützen müsste.
Aber egal wie viel ich protestierte, Dad hatte mich nicht beachtet.
Also hatten Nate und ich jetzt Julia am Hals.
Ich nahm mir eine Erdbeere und warf das grüne Blätterzeugs, dass am Ende übrig blieb, einfach in den Blumentopf, der im Wohnzimmer stand, um meine Freiheit noch ein bisschen mehr auszukosten.
Die nächste Erdbeere warf ich unserer Hündin Maggie zu, die sich genüsslich darüber hermachte.
„Was machst du diesen Sommer?“, rief Seth aus der Küche.
„Fußballspielen!“, rief ich zurück.
„Sonst nichts?“
„Julia nerven?“, riet ich.
„Mal ernsthaft!“
Ich verdrehte die Augen.
„Nicht viel. Entspannen eben.“
Ich lehnte mich an eine Wand und schloss die Augen. Ja, einfach entspannen.
Ich wäre liebend gerne nach Santorin, Sydney oder Namibia – aber das ging nicht.
Also blieb ich hier, an der Küste Marylands.


Hope – wahre Freundschaft kommt am schönsten zur Geltung, wenn es ringsherum dunkel wird.


Julia: Âllo?
Ich: Hey, hier ist Hope.
Julia: Ah, la petite Hopé!
Ich (knurrend): Klein war ich vor fünf Jahren.
Julia: Excuse moi?
Ich: Vergessen sie’s. Ist Jo da?
Julia: Ah, la petite Jo!
Ich (Augen verdrehend und ziemlich sarkastisch): Oui, la très, très petite Jo. Ist sie da?
Julia: Oui, sie ist wirklisch très petite!
Ich (fast brüllend): Julia! Ist Jo da??
Julia: Non.
Ich: Wissen sie wo sie ist?
Julia: La petite Jo?
Ich (-lege auf-)
Julia: Âllo?


Lynia – Ohne Freunde möchte niemand leben, auch wenn er alle übrigen Güter besäße.


Dass ich Moms Kreditkarte gestohlen hatte, um mein Flugticket zu bezahlen, machte mich vielleicht kriminell, aber das war mir im Moment ziemlich egal.
Sie konnte froh sein, dass ich Economyclass gebucht hatte.
Ich hatte mit Absicht kein Rückflugticket gekauft. Erstens wusste ich nicht genau, wann ich zurückkehren wollte, und zweitens kam ich mir so viel mehr vor, wie in einem richtigen Abenteuer.
Mein Koffer war gepackt und lag versteckt unter meinem Schreibtisch, wo er vom Mond beschienen wurde. Der Brief mit Olivias Adresse lag unter meinem Kopfkissen.
Ich zog mir die Bettdecke bis zum Kinn, damit Mom nicht merkte, dass ich noch Jeans und Sweatshirt anhatte.
„Gute Nacht, Lyn!“, rief Mom und steckte den Kopf kurz in mein Zimmer rein.
„Gute Nacht.“, murmelte ich. Sie schloss die Tür und ihre Schritte verklungen langsam.
Ich wartete noch eine viertel Stunde, bis Mom den Fernseher angeschaltet hatte. Dann schlug ich meine Bettdecke zurück und schlich leise zu meinem Kleiderschrank.
Die vielen alten Betttücher, die ich nun zu einer langen Leine zusammengebunden hatte, hatte ich auf dem Dachboden gefunden. Die würde keiner vermissen.
Zum Glück war mein Fenster direkt über der Veranda. Ich ließ meinen Koffer vorsichtig hinunter. Dann schulterte ich meine Tasche, stopfte den brief hinein und knotete die Betttücher am Fensterrahmen fest.
Ich atmete tief durch.
Die Luft war klar und warm. Sie roch nach Sommer.
Wie würde die Luft in London wohl riechen? Nach Regen? Nach feuchtem Gras?
Langsam kletterte ich an dem Seil hinunter. Es war leichter als gedacht. Schon bald stand ich auf dem Verandadach und starrte hoch zu meinem Zimmerfenster.
„Bis bald.“, murmelte ich und griff nach meinem Koffer. Er fiel fast lautlos ins hohe Gras, als ich ihn in den Vorgarten warf. Danach schloss ich meine Augen und sprang selbst.
Ich schrie laut auf, als ich landete. Aber nichts tat weh. Ich öffnete meine Augen.
Ich war glücklich im Gras gelandet, nur ein paar Zentimeter vom Gartenzaun entfernt.
Dann fiel mir wieder ein, dass ich geschrieen hatte.
Hastig schnappte ich mir meinen Koffer und rannte los. In der nächsten Straße versteckte ich mich hinter einem Baum und wählte die Nummer des Taxidienstes.
In meinem Magen kribbelte es vor Aufregung und Sorge.
Ich dachte an den Zettel, den ich eigentlich Dad in sein Büro hatte legen wollen.

Lieber Dad,
ich denke, ich habe ein Recht darauf, meine Großmutter zu sehen.
Lynia

Ich hatte ihn so kurz wie möglich halten wollen, weil ich immer noch sauer auf ihn war. Aber dann fiel mir ein, dass sie mich wahrscheinlich zurückholen würden, wenn sie wüssten wo ich war. Also hatte ich den Zettel wieder zerrissen und persönlich in den Altpapiercontainer geworfen.
Das Taxi kam und ich stieg ein.
Der Taxifahrer schwieg die ganze Zeit. Er sah merkwürdig aus, mit seinem Schnurrbart und dem wirren Blick.
Ich war froh, als ich am Flughafen ausstieg.
Ich schlängelte mich zu einem der Schalter durch, wo ich mein Gepäck abgab, und versuchte dann, durch die dichte Menschenmenge hindurch zu meinem Gate zu kommen. Gate 4.
Eine Meute grinsender Chinesen lief in mich hinein und entschuldigte sich auf Chinesisch. Eine alte Frau mit einem riesigen, lila Sonnenhut ging so langsam vor mir, dass ich ganz kribbelig wurde.
Ich war ziemlich spät dran. Fast schon zu spät. Die Leute versammelten sich schon vor dem uniformierten Typen, der die Tickets kontrollierte und scharrten unruhig mit den Hufen.
Ich stellte mich hinten an und wartete darauf, dass ich drankam. Der Karteneinreißer – Typ sah mir kurz in die Augen als er mein Ticket nahm. Ich hatte schon Angst, er würde erraten, dass ich mir Moms Kreditkarte geborgt hatte, aber er ließ mich durch. Hastig lief ich durch den niedrigen Tunnel mit dem stinkenden Fußboden und stieg ins Flugzeug ein.
Mein Platz war leicht zu finden. Ich setzte mich und schaltete sofort meinen iPod ein. Ich beachtete die Stewardessen nicht, die einem die Fluchtwege zeigten. Ich beachtete den hageren alten Mann nicht, der sich neben mich setzte.
Erst als ich Maryland unter uns hinweg gleiten sah, bemerkte ich, dass wir los geflogen waren. Ich konnte unser Haus sehen. Wann würden sie wohl herausfinden, dass ich nicht mehr da war?


Jo – Macht ist immer lieblos. Liebe niemals machtlos.


Ich hörte wie ein paar Typen über irgendetwas lautstark lachten und verdrehte die Augen. Es war Chase Martin, der mit ein paar seiner blöden Prügelkumpel am Rand des Fußballplatzes stand.
Chase war etwas älter als ich und spielte in der Jungenmannschaft. Heute hatten die Jungen- und die Mädchenmannschaft parallel Training. Eigentlich mochte ich das. Ich fand es sowieso doof, dass man Jungs und Mädchen hier trennte.
Aber heute war Chase da.
Und ich konnte es kaum ertragen, in sein arrogantes Gesicht zu blicken.
Sonst schwänzte er das Training immer.
Warum war er dann heute da?
Ein weiteres grölendes Lachen ertönte, dann ein Pfeifen, als Jannett Coleman an ihnen vorbeilief.
Ich schraubte heftig meine Wasserflasche zu.
„Hey, Cohen!“, rief Chase zu mir hinüber. Ich schirmte meine Augen vor der Sonne ab und hob eine Augenbraue. „Gib mir mal meine Flasche rüber!“
„Hol sie dir selbst!“, rief ich zurück.
Einer seiner bulligen Freunde trat vor und sah mich abschätzend an. Es war Ethan.
„Vielleicht solltest du dem besten Spieler dieser Stadt mal ein bisschen Respekt entgegen bringen.“, sagte er mit bedrohlicher Stimme. Ich hob auch die zweite Augenbraue und schnaubte verächtlich.
„Vielleicht sollte der ‚beste Spieler’ erstmal lernen, wie man einen Ball fängt.“, entgegnete ich. Bevor irgendjemand reagieren konnte, schoss ich gegen einen Fuball, der vor mir lag. Er traf Chase mitten in seine Weichteile und er fiel stöhnend auf die Knie.
Seine Freunde brüllten vor Lachen, Ethan eingeschlossen.
Ich lächelte gewinnend und ging zufrieden davon. Das hatte er verdient, dieser arrogante, egozentrische Idiot.
Unsere Trainerin pfiff und ich trabte zu ihr hinüber.
Die ganze Stadt war sonnendurchflutet. Am Himmel schwebten nur ein paar kleine Schärfchenwolken vorbei, die die Sonne nicht daran hinderten auf uns herab zu scheinen. Es war ziemlich heiß. Megan Forest hatte bereits ihre Wasserflasche über ihrem Kopf entleert.
Ich warf einen kurzen Blick zu der Mannschaft der Jungs, die schon spielte. Ich sah Seth, der im Mittelfels stand.
Chase schoss gerade ein Tor. Er war gut, das war wahr. Aber war er der beste?
Wir wurden in zwei Gruppen geteilt und sollten gegeneinander spielen. Ein Trainingsspiel.
Wie immer wurde ich in den Sturm gesetzt, dort wo ich gut war.
Es machte Spaß zu spielen. Die Anwesenheit von Chases Freunden, die uns zusahen, spornte mich noch zusätzlich an. Drei von fünf Toren katapultierte ich auf mein Konto.
„Jo, raus! Jodie, rein mit dir! Zackig!“, brüllte unsere Trainerin Diana über den Platz.
Das lief immer so. Wenn ich mehr als zwei Tore geschossen hatte, nahm sie mich raus, weil sie meinte, die anderen müssten auch mal drankommen.
Ich setzte mich auf die Bank und trank einen Schluck aus meiner Flasche. Das Adrenalin pochte immer noch in meinen Adern und meine Beine kribbelten.
„Du bist ’ne gute kleine Spielerin.“, sagte plötzlich jemand neben mir.
Es war Chase. Er wurde offensichtlich auch rausgenommen.
„Klein?“, wiederholte ich leicht verärgert.
Er lachte nur.
Dann holte er sein Handy aus der Hosentasche und hielt es hoch, um irgendwelche SMS zu lesen. Das Logo der teuersten Handymarke, dich ich kannte, blinkte in der Sonne.
„Komm schon.“, stöhnte ich.
Er sah mich verwirrt an. „Was?“
„Halt’s doch noch höher, damit alle sehen können, wie reich dein Daddy doch ist.“, giftete ich.
Chase verdrehte die Augen.
„Er ist eben reich.“, entgegnete er.
„Muss man damit denn gleich so angeben?“
„Nutze das, was du hast.“
„Ego.“
„Kleine.“
In dem Moment pfiff Diana durch ihre Trillerpfeife und ich rannte mit Wut im Bauch zu ihr.
Mir fiel auf, dass er kein Wort über den Vorfall von vorhin verloren hatte. Wahrscheinlich war es ihm nur peinlich. Typisch, für sowas steht er dann nicht gerade!


Hope - Sesam öffne dich.


Als wir sieben Jahre alt waren haben Faith und ich einmal bei Grandma in dem kleinen Tümpel am Waldrand nach Fröschen gesucht. Als wir einen gefunden hatten, hatten wir ihn auf die Hand genommen und Grandma gezeigt. Die hatte gelacht und uns gesagt, wir sollen ihn wieder freilassen, weil er sonst seine Familie verlieren würde.
Wir hatten Frosch Ferdinand, wie wir ihn königlich getauft hatten, wieder zurück in seinen Tümpel gesetzt, wo er davon gehüpft war.
Vor zwei Monaten waren wir wieder zu Grandma gefahren. Faith war maulend mit mir zum Tümpel gegangen. Wahrscheinlich nur, weil es sonst auch nichts Spannenderes bei Grandma in Virginia gab.
Ich hatte wieder einen Frosch gefangen. Er sah so ähnlich aus wie Ferdinand, nur irgendwie grüner. Ich nannte ihn Stanley.
Faith hatte angeekelt das Gesicht verzogen, wie eine Barbiepuppe.
Ich hatte gelacht und dem Frosch einen Kuss gegeben, als wäre er ein Prinz.
Innerlich aber hatte mich ihr Verhalten traurig gemacht. Wie hatte sie sich doch verändert. Die Beschreibung „Barbiepuppe“ passte jetzt so gut zu ihr. Leider.
Ich musste an Ferdinand und Stanley denken, weil mein kleiner Bruder Lewis gerade mit einem Stofffrosch herumspielte. Er warf ihn in die Luft und fing ihn wieder auf. Jedes Mal wenn er ihn fing, lachte er so niedlich, wie nur kleine Kinder es konnten.
Ich lächelte und widmete mich dann wieder meinem Buch.
Faith saß auf der anderen Seite des Sofas und lackierte sich ihre Nägel. Rosa.
Ich sah sie von der Seite an. Weil sie praktisch genauso aussah wie ich, konnte ich mir leicht vorstellen wie ich dort meine Nägel lackieren würde. Ich würde mir nicht gefallen, so aufgetakelt und voll mit Make-up.
„Was?“ Faith sah mich genervt an.
„Nichts.“, sagte ich leise.
Wir waren immer etwas verschieden gewesen, aber so verschieden waren wir noch nie. Während ich in einem schlabberigen Fan-T-Shirt von einem Konzert herumlief, trug sie selbst zu Hause öfters Schlauchoberteile und enge T-Shirts.
Es klingelte und ich stand auf um zu öffnen.
Brad, Faiths neues Freund stand vor der Tür. Ich stemmte eine Hand in die Hüfte.
„Brad.“, sagte ich hart.
„Hope.“ Jeder Blinde würde sehen, dass wir uns nicht besonders mochten.
Er sah so beknackt aus wie immer. Blonde, leicht gewellte Surfermähne, Shorts und kein Oberteil. Er sah aus wie ein Hochstapler – so wie immer.
Hinter unserem Gartenzaun sah ich schon seine Gang herumstehen. Seine Gang, in der jeder entweder ein Macho oder so hirnverbrannt war, dass er nicht mal wusste was ein Macho überhaupt ist.
Einer von ihnen war Chase Martin, der Typ mit dem superreichen Vater.
„Ist Faith da?“, fragte Brad, die Hände tief in den Taschen seiner Shorts vergraben. Er sah mich abschätzend an.
„Warte hier.“
Ich drehte mich um.
„Faith!“, rief ich ins Wohnzimmer. „Dein Depp ist da!“
Ich spürte förmlich, wie sie die Augen verdrehte.
Faith kam in ihrem rosa Sommerkleidchen angelaufen, warf sich in Brads Arme und küsste ihn.
„Ich geh mal eben brechen.“, sagte ich angewidert. Bei jedem anderen Typen – meinetwegen, aber nicht bei Brad.
Faith und Brad schlenderten davon, hinüber zu den anderen, und ich schloss die Tür.
Langsam ließ ich mich an ihrer Innenseite hinunterrutschen und legte das Gesicht in meine Hände.
Ich hatte einen riesigen Kloß im Hals.
Es tat so weh.
Zu sehen, wie sich jemand so veränderte.
Zu merken, dass man sich in seiner Gegenwart auf einmal unwohl fühlte.
Zu realisieren, dass man sich aneinander gar nicht mehr so viel bedeutete.
Es tat weh zu sehen, wie fröhlich ich bei meinen Freundinnen und wie verkrampft ich mich bei meinem Zwilling verhielt.


Lynia – Kein Kerl der Welt ist es wert, seine beste Freundin im Stich zu lassen.


Als ich vor der Globestreet 54 stand, bekam ich zum ersten Mal Zweifel.
Vielleicht war Olivia eine alte, bösartige Schreckschraube, völlig verbittert und grantig?
Nein, bestimmt nicht. Ihr Brief hatte so nett geklungen.
Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass ich sie heute zum ersten Mal sah. Seit ich denken konnte waren sie und mein Vater im Streit. Sie reiste das ganze Jahr über herum und genoss ihr Leben, während mein Vater immerzu arbeitete. Sie warf ihm vor, er würde sich nicht genug um seine Kinder kümmern, und er warf ihr vor, sie hätte nichts aus ihrem Leben gemacht.
Dad hatte schon zwei Mal auf meinem Handy angerufen, aber ich hatte ihn weggedrückt.
Mein kleiner Londonausflug kam mir vor wie ein richtiges Abenteuer.
Zögernd trat ich auf die rote Haustür zu und klingelte.
Mein Herz pochte laut und ich warf einen letzten Blick auf die Spitze des Big Bens, die man von hieraus am Horizont erkennen konnte, bevor die Tür aufging.
Eine alte Dame stand vor mir, in Jeans und einem roten Pullover. Sie hatte schulterlanges, grau-weißes Haar und blaue Augen, so wie ich. Sie sah weise aus, aber auch sehr lebendig.
„Hi, Olivia – ich meine … Grandma.“, stammelte ich.
„Lynia!“, hauchte sie und nahm meine Hand. In ihren Augen schimmerten Tränen. „Es ist so schön dich zu sehen.“
Sie bat mich herein, kochte Tee und lächelte dabei die ganze Zeit vor sich hin.
Ich kam mir vor, als hätte ich die Welt gerettet, so lieb war sie zu mir.
Sie hatte ein schönes, helles Haus. Es gefiel mir sehr.
„Hat dein Vater dich einfach fahren lassen?“, fragte sie, als wir uns auf ihr Sofa gesetzt hatten. Ich zuckte leicht zusammen.
„Ähm … natürlich.“, log ich.
Ich kam mir unglaublich blöd dabei vor, sie gleich am ersten Tag zu belügen.


Jo – It’s the Moment of Truth


Nate lenkte seinen Wagen auf den Parkplatz des Supermarktes. Zum Glück hatte er das Verdeck abgenommen, sonst würden wir jetzt weg schmelzen.
Der Parkplatz war voll. Voller als voll. Ich seufzte leise und suchte mit den Augen die Reihen ab.
„Da vorne.“, sagte ich und deutete auf einen freien Platz drei reihen weiter. Mein Bruder nickte.
Gerade als er in die Parklücke fahren wollte, kam ihm jemand anderes zuvor. Ein Motorradfahrer raste in die Parklücke und machte eine Vollbremsung.
„Komm schon!“, rief ich wütend. Was sollte das denn? So ein kleines Motorrad in so einer großen Parklücke? Egoist!
Der Fahrer nahm seinen Helm ab und ich kniff die Lippen zusammen.
„Ich hab ja schon immer gewusst, dass dein Ego so viel Platz braucht.“, rief ich zu Chase hinüber. Er verbeugte sich scherzhaft.
„Ihr wart eben nicht schnell genug.“, entgegnete er lässig. „Euer Pech.“
„Idiot.“, knurrte ich.
„Lass ihn doch.“, murmelte Nate.
„Warum muss ich immer die temperamentvolle von uns beiden sein?“, fragte ich.
„Weil ich darin überhaupt nicht gut wäre.“, sagte Nate lächelnd. Ich versuchte mich zu beruhigen und lächelte zurück.
„Wohl war.“, seufzte ich. Er knuffte mich in die Seite.
Nach fünf Minuten fanden wir doch noch einen Parkplatz. Zwar in der prallen Sonne und direkt neben dem Abfallcontainer – aber wenigstens etwas.
Mom hatte uns zwei zum Einkaufen verdonnert. Sie hätte auch nur einen von uns schicken können, aber der wäre dann unterwegs gestorben. Sie hatte nämlich so viel auf den Einkaufszettel geschrieben – das konnte man alleine gar nicht alles tragen.
Als wie den Supermarkt betraten, kam uns Faith mit drei ihrer neuen Freundinnen entgegen.
Alle trugen kurze Rücke und enge Tops und hatten massenhaft Make-up im Gesicht. Sie sahen unecht aus.
Ich seufzte.
Faith hatte sich so verändert. Jetzt hatte sie schon seit drei Jahren keinen normalen Jeans mehr angehabt, interessierte sich nur noch für Mode und Jungs und hatte sich vollkommen von Hope abgewendet. Das machte mich traurig.
Auch mich würdigte sie keines Blickes mehr. Früher waren wir noch zusammen im Meer geschwommen, aber jetzt redete sie kaum mehr mit mir. Vielleicht war ich ihr nicht cool genug. Aber das war mir egal.
Faith bemerkte mich, rümpfte kaum merklich die Nase und ging unberührt weiter.
Ja, du mich auch

, dachte ich und zeigte ihr in Gedanken den Mittelfinger.


Hope – Warum haben Tintenfische nicht neun Arme?


Lewis spielte im Garten herum und ich saß auf dem rasen und las. Faith lehnte sich lustlos an einen Baum und kaute Kaugummi. Nebenbei bürstete sie sich die Haare und zählte mit, mit wie vielen Strichen sie sie schon gekämmt hatte.
Brad und ihre ach so tolle Clique waren nicht da, also blieb ihr nichts anderes übrig als zu Hause abzuhängen.
Drinnen klingelte das Telefon und ich sprang auf, um dran zu gehen.
„Pass kurz auf Lewis auf, ja?“, rief ich Faith zu.
Es war Tante Ebonie. Sie wollte bald mal wieder zu Besuch kommen. Sie erzählte mir von ihrem Kater und ihrem Garten, aber ich hörte nicht wirklich zu. Tante Ebonie erzählte viel, wenn der Tag lang war. Ich sagte ihr, Mom würde sie zurückrufen.
Gerade als ich aufgelegt hatte, hörte ich ein lautes Aufheulen.
Es kam aus dem Garten.
Ich sprintete los und sah mich draußen erschrocken um.
Lewis lag am Boden, ein Bein merkwürdig angewinkelt und mit geschlossenen Augen. Ich hörte einen gellenden Schrei. Es war meiner.
Faith war ebenfalls aufgesprungen, sie stand immer noch neben dem Baum, Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht.
„Was ist passiert?“, schrie ich und kniete mich neben Lewis.
„Er ist von der Schaukel gefallen!“, sagte Faith.
„Du solltest doch aufpassen!“
Sie schwieg.
Mein Gehirn stellte sich das Knacken vor, dass von Lewis Knochen kam. Ich malte mir das Bild von dem kleinen Jungen aus, der von der hohen Schaukel fiel und schauderte.
Ich legte mein Ohr an die Brust meines vierjährigen Bruders. Er atmete noch, war aber nicht bei Bewusstsein. An der Stirn hatte er eine blutende Platzwunde. Mein Magen drehte sich um.
„Oh mein Gott.“, hauchte ich. „Nur weil du unbedingt deine Haare kämme musstest! Du solltest doch nur fünf Minuten aufpassen! Nur fünf Minuten!“
„Ich-“, fing Faith an, aber ich schnitt ihr das Wort ab.
„Spar’s dir Faith, ich ruf einen Krankenwagen!“, sagte ich scharf und rannte zurück ins Haus.

Der Herzmonitor piepte immer im gleichen Rhythmus. Lewis hatte Schläuche in der Nase und Nadeln in den Armen. Er war leichenblass
Er hatte einen Schädelbasisbruch und ein gebrochenes Bein.
Ich wimmerte leise.
Wie konnte so ein kleiner Mensch nur solche Schmerzen aushalten. Er war doch noch so klein. Womit hatte er das verdient?
Ich stand auf und verließ leise das Zimmer. Lewis brauchte jetzt Ruhe, sagten die Ärzte.
Im Warteraum setzte ich mich neben dem Snackautomaten auf einen Stuhl und nahm mir eine Zeitschrift. Ich wusste nicht einmal of es die Cosmogirl oder die Vogue war, so abgelenkt war ich.
Bei den vielen Models in der Zeitschrift, musste ich wieder an Faith denken. Früher waren wir ein Team gewesen. Sie hatte meine Bohnen gegessen und ich ihre Erbsen. Wir hatten unseren Freunden Streiche gespielt, weil wir so gleich aussahen.
Jetzt kam es mir so vor als spielten wir gegeneinander. Als würde sie mit aller Macht gegen ihr altes Team ankämpfen.
Und ich fragte mich warum.
Warum?


Lynia – When nothing goes right – turn left!


“Sie wissen nicht, dass ich die anrufe!“, zischte Julie. „Die würden ausrasten, wenn sie das wüssten!“
Meine Schwester klang nervös. Ich stellte mir vor, wie sie sich in ihrem Kleiderschrank versteckte, damit sie keiner hörte. Hatte man in ihrem Kleiderschrank überhaupt Empfang?
„Wo bist du? Lynia? Nein! Sag’s mir lieber nicht, ich kann Dad nicht anlügen.“ Sie murmelte irgendetwas unverständliches, dann fasste sie sich wieder. „Dad hat gesagt, wenn du dich bis heute Abend nicht gemeldet hast, ruft er die Polizei.“
„Was?“ Ich riss die Augen auf. „Nein! Nicht die Polizei!“
In so einer Situation würde ich als Elternteil ganz einfach mal nachdenken. Worüber hatte die Tochter mit ihrem Dad gesprochen? Über die Großmutter, die in England wohnte. Mit was hätte die Tochter denn einen Flug nach Europa bezahlen können? Jedenfalls nicht mit ihrem eigenen Geld. Wir kombinieren also: Sie hat die Kreditkarte gestohlen. Und was macht man dann? Man überprüft, was man gekauft hat. Und da steht dann fein und säuberlich aufgelistet: Hinflugticket nach London.
Aber dazu sind meine Eltern viel zu altmodisch und theatralisch.
„Lyn, echt, ich würde jetzt was unternehmen, bevor es zu spät ist.“ Julie meinte es ernst.
„Ich – okay.“, murmelte ich und legte auf.
Nicht die Polizei.
Ich starrte mein Handy an. Olivia war einkaufen. Gestern Abend hatten wir zusammen ihre Fotos angesehen und über ihre vielen Weltreisen gesprochen. Wir hatten uns bis spät in die Nacht unterhalten, über all das, was sie verpasst hatte.
Ich schluckte und wählte.
„Hallo?“ Dad klang angespannt. Gestresst und angespannt.
„Ich bin’s, Dad.“, sagte ich leise.
„Lynia!“, rief er. „Wo zum Donner noch mal bist du?!“
„In London.“, sagte ich mit fester Stimme. Ich wollte nicht mehr lügen.
„Komm sofort her! Das zieht Konsequenzen mit sich, das sag ich dir! Wenn du nicht sofort wieder…!“ Er ließ den Satz unbeendet. Ich war mir sicher das er irgendetwas im Sinne von: Wenn du nicht sofort wieder herkommst, schicken wir dich in ein Kloster in den Dolomiten, das man nur auf dem Rücken eines Maultiers erreichen kann.
„Dad.“, fing ich an. „Ich finde ich habe ein Recht darauf, meine Großmutetr zu sehen.“
„Und ich habe das Recht, es dir zu verbieten.“
Langsam wurde ich wütend.
„Dad!“, rief ich vorwurfsvoll. „Nur weil du sie nicht ausstehen kannst, heißt das noch lange nicht, dass ich ihr auch die Augen auskratzen muss!“
Wütend legte ich auf. Mein Körper bebte und mein Herz raste.
Ich hasste es, mit meinen Eltern zu streiten.
Und dann brach es aus mir heraus. Schluchzend presste ich ein Kissen an mich und weinte einfach nur. Darüber, dass mein Vater so ein Sturkopf war, und darüber, dass Grandma so viel verpasst hatte, was sie so gerne gesehen hätte.
Und dann weinte ich, weil ich so wütend auf mich war, weil ich hier heulte wie eine Idiotin.


Jo – Was nützt einem all das Geld der Welt, wenn einem die Zeit fehlt?


Ich klatschte mit Jannett High Five und lachte. Hannah hielt unseren Pokal hoch in die Luft.
Es war immer wieder ein tolles Gefühl, ein Spiel zu gewinnen. Besonders wenn man es 7:1 gewonnen hatte.
Es war Sonntag und es dämmerte schon. Unsere Gegner waren deprimiert abgefahren, aber wir saßen immer noch auf dem Fußballplatz und feierten.
Heute Abend wollte Dad für uns kochen. Das tat er sonntags meistens. Solche Tage waren immer lustig. Dann saßen wir zusammen und aßen sein Meisterwerk. Danach sahen wir uns irgendetwas im Fernsehen an und aßen noch haufenweise Gummiwürmer.
Das war so, seit ich denken konnte, und ich hoffte diese kleine Albernheit des Lebens würde sich nie für mich ändern.
Irgendwann beendete Diana das Ganze und wir suchten unsere Sachen zusammen.
Ich war zu Fuß da, also wollte ich nach Hause laufen. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, mich umzuziehen.
Als ich an einem kleinen Bach nahe dem Platz vorbei kam, entdeckte ich eine helle Silhouette am Ufer sitzen.
Neugierig trat ich näher. Der Mond spiegelte sich schon in dem kleinen, plätschernden Bach. Es war Vollmond.
Die Person am Ufer war Chase.
Ohne nachzudenken ließ ich mich neben ihn fallen.
Ich fragte mich warum er hier saß, aber ich fragte nicht nach. Er sah verstimmt und traurig aus, und ich wollte nicht bohren, egal was für ein Arschloch er auch war.
Schließlich rückte er selber mit der Sprache heraus.
„Mein Dad hat ’ne andere. Er zieht nach Vegas.“, murmelte er.
„Tut mir echt leid.“
„Wieso sollte es?“
„Weil ich ein Mensch bin.“
„Wir mögen uns doch gar nicht.“
„Deswegen sind wir noch lange keine gefühlslosen Roboter.“
Ich lächelte ihn an und er lächelte ganz leicht zurück.
Ich sprang auf.
„Komm mit!“, forderte ich ihn auf. Ich hielt ihm meine Hand hin. „Wir haben mit Sicherheit noch einen Teller für dich übrig.“
Er zögerte.
Gerade als ich meine Hand schon wieder wegnehmen wollte, ergriff er sie und stand auf.
Und so kam es, dass der Milliardärssohn Chase Martin mit der Durchschnittsfamilie Cohen Spagetti Bolognese aß, Popcorn aus der Mikrowelle probierte und dabei ganz normal lächelte.


Hope – Es war nicht logisch, es war Liebe.


Ich schlug die Augen auf.
Ich war eingeschlafen.
Im Warteraum.
Ich seufzte.
Meine Zeitschrift war auf den Boden gefallen und mein Bein war eingeschlafen.
Dann bemerkte ich eine Person, die mri gegenüber saß.
Erst dachte ich, man hätte mir einen Spiegel gegenüber gestellt, aber dann sah ich genauer hin.
Es war Faith, in Jeans und einem schlabberigen T-Shirt, kein Make-up im Gesicht und mit ungekämmten Haaren. Sie sah unglücklich und flehend aus.
„Es tut mir so leid.“, flüsterte sie mit Tränen in den Augen. „Ich war so eine Idiotin. Eine gemeine, egoistische Idiotin. Ich war dir kein guter Zwilling.“
Ich dachte einen Augenblick nach, dann stand ich auf und nahm sie in den Arm. Sie drückte mich ganz fest.
„Wir sind Glaube und Hoffnung.“, wisperte ich. „Und das sollten wir auch wahrmachen.“
Eine Weile setzten wir uns nebeneinander hin und knabberten Chips aus dem Snackautomaten.
„Ich hab mit Brad Schluss gemacht.“, murmelte sie.
„Wieso?“, fragte ich und verkniff mir ein grinsen.
„Weil er ein Idiot ist.“, sagte sie. Ich lächelte sie an.
Dann kam der Arzt und fragte nach den angehörigen von Lewis York.
Wir standen auf und starrten ihn an.
War etwas passiert? Hatte sich sein zustand verschlechtert?
Ich sah in Faiths Gesicht und fühlte mit ihr ihre Sorge. Sie gab für alles sich die Schuld.
Ich blickte den Arzt an und suchte nach Anzeichen für eine Nachricht, doch er hatte ein perfektes Pokerface aufgesetzt.
Oh mein Gott – war – war Lewis etwa … tot?
„Es geht ihm besser.“, sagte er schließlich.
Ich atmete erleichtert aus. Faith drückte meine Hand.
„Wo sind ihre Eltern?“, fragte der Arzt.
„Unten in der Mensa.“, murmelte ich. „Können wir zu ihm?“
„Na klar.“, sagte er.
Wir gingen in Zimmer und setzten uns an sein Bett. Er hatte die Augen offen und lächelte uns an.
Ich nahm seine eine und Faith seine andere Hand. Faith hielt immer noch meine Hand fest. So bildeten wir einen Kreis aus Geschwistern. In diesem Moment bestand ich nur aus Liebe.


Lynia – Kleine Taten, die man ausführt, sind besser als große, die man plant.


Es klingelte.
Grandma saß auf dem Sofa, ich in ihrem Lesesessel und wir aßen Frühstück.
„Ich gehe schon.“, sagte ich und stand auf. Als ich die Tür öffnete, bereute ich es sofort.
Es war mein Dad.
Ich machte mich starr, damit die Strafpredigt mich nicht umwehte, aber sie kam nicht.
Ich stutzte.
Dad sah bittend aus.
„Es tut mir leid.“, sagte er ernsthaft. Ich glaube, mir ist vor Schreck die Kinnlade heruntergeklappt.
„Was?“, fragte ich verwirrt.
„Du hast Recht. Es ist dein Recht deine Großmutter zu besuchen. Ich kann dir nicht vorschreiben, wen du zu mögen hast und wen nicht.“
Er nahm mich in den Arm und ich atmete den vertrauten Duft seines Aftershaves ein.
Als Grandma um die Ecke kam und ihren Sohn sah, brach Dad komischerweise nicht in einem Wutanfall zusammen. Er presste nicht mal die Lippen aufeinander.
Er sagte gar nichts, aber das war besser als ein Streit.

Als ich wieder zurück nach Maryland kam, warteten am Flughafen Jo und Hope auf mich. Ich drückte sie ganz fest. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sehr ich sie vermisst hatte.
Wir setzten uns in den nächstbesten Flughafenimbiss und aßen Pommes mit Ketchup.
Jo erzählte von der unglaublichen Charakterwandlung von Chase Martin und Hope von den neuen Erkenntnissen ihrer Schwester. Ich erzählte von Grandma und Dad und von London und England.
Ein aufregender Sommer, würde ich sagen. Voller neuer Erkenntnisse, aber aufregend.


*ENDE*

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.01.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Freunde. Sie sind immer da. Egal ob ich hier bin. Oder weit weg.

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