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Geheimnis des Saturn

 

 

Mors Dockel, ein norwegischer Hilfsdiplomat im Außendienst hatte schon immer davon geträumt als Astronaut einmal fremde Welten zu entdecken, oder zumindest doch irgendwelche Geheimnisse im All zu lüften. Durch vielerlei Umstände, wie etwa einen flüchtigen Vater oder zu leise sprechende Lehrer hatte es bei ihm jedoch nur zu einer sehr mittelmäßigen Schulbildung mit sich anschließender Diplomatenlaufbahn gereicht. Eine nachfolgende Zusatzausbildung, die ihm Quasselqualitäten auf höchstem Niveau vermittelte, bescherte ihm zwar den von vielen Diplomaten erfolglos angestrebten Bachelor-Abschluss in „Internationales Herumgeeiere und Taktieren“, ließ ihn aber doch mit seinem Leben immer unzufriedener werden. Bis zu dem Augenblick als er in seiner Tageszeitung die Anzeige fand „Furchtloser Raumfahrer gesucht“.

Beim Vorstellungsgespräch erfuhr Mors, dass der Initiator dieser Anzeige, ein sechzigjähriger Leiter einer Laienspielgruppe, bei einem Waldspaziergang eine Erscheinung hatte, die ihm einen Auftrag erteilte. Eine in gleißendem Licht stehende kaum beschreibbare Person erklärte ihm, dass auf alle Fragen, selbst für die bisher ungestellten, im All Antworten zu finden wären. Und zwar an einem bestimmten Ort. Deshalb sollte er sich auf den Weg zum Saturn machen um dort alles über den Sinn des Lebens zu erfahren und Erklärungen für alle ungelösten Probleme der Menschheit zu finden.

Da er zu Hause einen Kanarienvogel zu versorgen hatte und sich deshalb nicht selber auf die Reise machen konnte, sah sich der Leiter also umgehend nach geeignetem Personal um. Leider blieb eine sofortige Anfrage bei der NASA nach einer Kooperation unbeantwortet. Ein eigenes fast fertiges Fluggerät stand dem Erscheinungsgehabthabenden zwar zur Verfügung und in seinem Keller hatte er auch noch einen alten Hyperantrieb liegen, aber ein geeigneter Astronaut fehlte eben noch. Auch alle Mitglieder seiner Theatergruppe litten entweder unter Höhen- oder allgemeiner Flugangst oder hatten selber Kanarienvögel zu Haus. Was blieb, war also das Inserat. Mors war natürlich begeistert, und sah endlich seinen Traum doch noch in Erfüllung gehen. Noch am selben Abend bestellte er sich beim Versandhaus für internationale Artikel einen schicken Raumanzug mit farblich dazu passendem Helm und bereitete sich mental auf den Flug vor. Da der Theaterleiter in Sachen Technik ein rechter Fuchs war, gelang es ihm, den Hyperantrieb innerhalb kürzester Zeit zu überholen und ihm sogar durch etwas Tuning noch mehr Leistung zu entlocken. Auf dem Wege zum Saturn war ja kaum mit Polizeikontrollen zu rechnen, sodass er auch überhaupt kein schlechtes Gewissen dabei hatte, dass die im All geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen damit überschritten werden konnten.  

Mors traf jedenfalls mit Feuereifer seine persönlichen Vorbereitungen, wie etwa einen Postnachsendeantrag zu stellen und freute sich schon auf den etwa vierwöchigen Flug. Vom Raumschiff selber war er zu Beginn etwas enttäuscht. Es erinnerte ihn an eine ausgetrocknete Salatgurke und bot tatsächlich nur einer Person Platz. Den Rest nahm seine gesamte Ausrüstung ein, die aus einem Backofen, etwa sechshundertzehn aufbackbaren Brötchen feinster Sorte, einem Fass sich nie leerender Limonade und einem Paar ölgehärteter Schlittschuhe bestand. Trotzdem verlief der Start reibungslos.

Mors hatte sich gerade hingesetzt, als auch schon der Mond an seinem Fenster vorüberzog. Ui, dachte er sich, das geht ja fein los. Weil die Navigations-CD „Alle Sonnensysteme dieser Welt“ sämtliche Steuerbefehle lieferte, brauchte Mors sich um nichts weiter kümmern und konnte in Ruhe aus dem Fenster sehen. Der Flug verlief sehr ruhig, und weil das Raumschiff mit Hyperantrieb flog, somit also größere Strecken viel schneller überwand, brauchte er auch nur alle fünf Tage schlafen zu gehen. Als er so eines Tages mal wieder erwachte, blinkte auf seinem Display aufgeregt eine Textzeile „Sie haben eine Nachricht erhalten. Wollen Sie sie lesen?“

Ja, rief Mors erfreut, natürlich. Weil am Steuerpult seines Raumschiffes wenig Raum für aufwändige Schalter oder ähnliches war, geschweige denn Platz für eine Tastatur gewesen wäre, hatte der Eineerscheinunggehabthabende kurzerhand die Kommunikation zwischen Raumfahrzeug und Passagier auf Sprachmodus umgestellt, die aber auch optisch angezeigt wurde und ganz ordentlich funktionierte. Und so erschien umgehend auf dem Display eine längere Botschaft, die mit den scheinbar saturnischen Worten „Slurk glostjak nrtimrkl trzkpll…“ begann. Trotz seiner Diplomatenlaufbahn während der er ihm schon allerlei unverständliches Kauderwelsch untergekommen war, machte sich bei ihm Verwirrung breit und er herrschte ungehalten die Steuerkonsole an.

„Wo bleibt der Synchrondolmetscher…?“

Ein kurzes entschuldigendes Flackern auf dem Display und schon wandelten sich die unleserlichen Worte in verständliche Mitteilungen.

HERZLICH WILLKOMMEN IM EINZUGSGEBIET DES SATURN, WÄHLEN SIE IHRE SPRACHE  

Mors wählte seine Muttersprache und konnte den nun übers Display ziehenden Worten ohne Dolmetscher folgen. Es handelte sich dabei um allgemeine Verhaltensregeln und Anweisungen für das Einschwänken in eine Umlaufbahn, wie etwa nicht Rauchen, nicht zu laut singen, und wenn doch, dann schnell und nur die erste Strophe.

Mors las alles aufmerksam mit und befolgte alle Anweisungen bis zu der Stelle …SCHNALLEN SIE SICH IHRE AUDIOEMPFÄNGER UNTER.

Er stutzte einen Moment, dann fiel ihm aber wieder ein, dass man ja beim Saturn Antworten auf al l e Fragen finden sollte. Also fragte er langsam und deutlich in Richtung Display. „Was ist ein Audioempfänger und w o soll ich ihn hinschnallen?“

Die Wörter verschwanden und ein Strichmännchen erschien auf dem Display. Es nahm zwei andere Striche und steckte sich die unter die Füße um dann mit ausgebreiteten Armen schwungvoll einige Piouretten zu drehen. Mors hatte gleich begriffen, dass das ein Hinweis auf die eingepackten Schlittschuhe sein sollte. Er schnallte sie sich also unter und wartete auf weitere Anweisungen. Das Männchen zeigte ihm nun den weiteren Ablauf und Mors kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sollte das tatsächlich möglich sein? Sein Blick wanderte zum Fenster. Draußen war der riesige Planet zu sehen, der von seinen zahllosen Ringen umgeben war. Allerdings wenn man genauer hinsah…

Mors ging langsam ein Licht auf und er war tief beeindruckt. Es handelte sich nämlich nicht wie von Wissenschaftlern immer behauptet um einzelne Bruchstücke, die zusammen die Saturn-Ringe bildeten, sondern um eine Riesenscheibe, und die vermeintlichen Ringe waren in Wirklichkeit Rillen. Wie eine monströse Langspielplatte lag das Gebilde jetzt ganz nah vor ihm. Und genauso wie ihn die Stimme angewiesen hatte, schaltete er nun auf automatische Steuerung. Das Raumschiff senkte sich und begann exakt über den Rillen mit konstanter Geschwindigkeit seine Kreise um den Planeten zu ziehen.

Dabei hielt es auf den Millimeter genau eine Höhe von einhundertzweiundneunzig Zentimetern über den Rillen ein, die kurioserweise genau seiner Körpergröße plus ausgestreckter Arme entsprachen. Mors zögerte zwar, folgte dann aber genau den weiteren Anweisungen. Er öffnete die Bodenluke und ließ sich langsam hinausgleiten. Nur noch mit den Händen an Griffen unter seinem Raumschiff festgekrallt hing er lang ausgestreckt da und bekam mit seinen Füßen langsam Bodenkontakt. Während ihm der Fahrtwind ordentlich entgegenblies rasteten die Schlittschuhe in die Rillen ein.

„Herzlich willkommen auf dem Saturn…“, erklang es zusammen mit einer Begrüßungsmelodie in Mors’ Körper. Nur ganz kurz machte sich neben der Stimme auch Irritation in ihm breit, dann fiel ihm sein alter Dual-Plattenspieler ein und er schloss die Augen um den weiteren Worten in seinem Innern zu lauschen. Von Fanfaren-Klängen begleitet berichtete die Stimme von der Entstehung des Sonnensystems über die Aufgabe dunkler Materie bei Licht bis hin zum Verhalten von Neutrinos während der Regenzeit. Mors verlor jegliches Zeitgefühl und hörte begeistert zu. Je länger der Vortrag aber dauerte, umso enger wurden die Kreise des Raumschiffes und die vermeintliche Langspielplatte neigte sich ihrem Ende zu. Bedrohlich nahe umrundete er mittlerweile den Saturn. Als er in die letzte Rille zum Planeten einbog, bedankte sich die Stimme für die Aufmerksamkeit und wünschte einen guten Weiterflug.

„Aber ich habe noch so viele Fragen.“, rief Mors entsetzt so laut er konnte.

„Für weitere Fragen wählen sie bitte die Rückseite…krck krck krck…“

Und schon hob sich sein Raumschiff wie von Geisterhand gesteuert und ging auf eine höhere Umlaufbahn. Enttäuscht kletterte er ins Raumschiff zurück und aß erst einmal Abendbrot, das aus zwei vegetarischen Würstchen einem aufgebackenem VollkornBrötchen und einem Sahnejoghurt als Nachtisch bestand. Der Joghurt hatte allerdings schon einen leichten Nebengeschmack, sodass Mors vermutete, dass die Kühlkette unterbrochen war. Für eine Reklamation aufheben wollte er ihn aber auch nicht, weil er den Kassenzettel nicht mehr hatte und…. ach lassen wir das.

Auf Hilfe hoffend schickte er jedenfalls eine Botschaft an die Erde in der er das Erlebte schilderte. Nicht das mit dem Sahnejoghurt, sondern mit den Saturnringen. Er bat um Rat, wie wohl die Rückseite abzuhören sei. Die Bodenstation, die aus drei Kleingärtnern und einem Hilfsingenieur bestand, riet ihm daraufhin, das Raumschiff nun einfach unter die Ringe zu steuern. Mit einem Handstand könnte er so die Kufen wieder in die Rillen einführen. Mors schlug sich noch schnell vor den Kopf, dass er da nicht selber drauf gekommen war und befolgte dann den Ratschlag. Im Nu hatte er das Manöver ausgeführt, klinkte seine Schlittschuhe wieder in die Einführungsrille und tatsächlich erklang wieder die bekannte Stimme, die ihn zur B-Seite begrüßte. Trotz des Sahnejoghurts, der ihm schwer im Magen lag, erfuhr er nun alles über Schlag-, Wurm- und Schwarze Löcher, bekam noch einmal den Urknall in Stereo zu hören und merkte gar nicht, wie auch jetzt wieder langsam die Kreise immer enger wurden. Gerade als die Stimme über die Erde und den Sinn des Lebens zu sprechen begann, entdeckte er eine hässliche Riefe die quer über die Rillen führte.

„…der Sinn des Lebens besteht eigentlich darin…krxx krxx….der Sinn des Lebens besteht eigentlich darin…krxx krxx…“

Sein Raumschiff hob auch nicht ab, sondern zog in einer scheinbaren Endlosrille weiter seine Kreise und querte immer wieder diesen hässlichen Kratzer. Sollte der womöglich von Menschenhand gemacht sein? Hatten die NASA-Ingenieure nicht die Raumsonde Cassini auf den Saturn stürzen lassen? Hatte dieses Monstrum womöglich die Audiobotschaft dabei unwiederbringlich zerstört? Natürlich war er jetzt erst recht neugierig auf den Sinn des Lebens und protestierte lauthals, nicht zuletzt auch weil seine Arme langsam erlahmten. Aber außer den bekannten letzten Worten und dem darauffolgenden krxx gab es nichts weiter zu hören.

Auch seine Beschwerden bei der Bodenstation richteten weiter nichts aus. Im Gegenteil, wenn es nichts mehr zu hören gab, sollte er umgehend zurückkommen und nicht unnötig Sprit verplempern. Da er es sich natürlich nicht leisten konnte, von seinem kargen Diplomatengehalt den teuren Weltraumsprit selber zu bezahlen, machte er schleunigst kehrt und flog zur Erde zurück. Auch der Eineerscheinunggehabthabende und die Männer der Bodenstation waren natürlich erbost über den Riesenkratzer, konnten aber auch nichts weiter machen. So musste Mors eben unverrichteter Dinge wieder nach Haus gehen.

Seitdem sitzt der enttäuschte Mors Dockel dort neben seinem inzwischen angeschafften Kanarienvogel und lauscht mit einer ausgedienten Abhöranlage des Geheimdienstes ins All, ob nicht vielleicht doch noch zu seinen Lebzeiten irgendwie die Botschaft des Saturn vollständig zu ihm durchdringt. Er jedenfalls wäre auch bereit noch einmal zum Saturn zurückzukehren, denn das erprobte Raumschiff steht aufgetankt startbereit in seiner Gartenlaube.  

 

 

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Impressum

Texte: reiner nawrot
Tag der Veröffentlichung: 25.09.2017

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