Cover

GEWINNSPIEL:

Wir verlosen 5 Exemplare von "Der Narr und das Mädchen". Um mitzumachen, beantworte die Gewinnfrage am Ende der Leseprobe. Teilnahmeschluss: 30.04.11

Leseprobe



Für Rosemary
1

»Wie, Freunde, heißt dies Land?«
London, 22. April 1601



VIOLETTA

Habt ihr schon mal erlebt, wie eine Stadt geplündert wird? Habt ihr schon mal erlebt, was da geschieht?
Habt ihr das Blut gesehen, die Schreie gehört, den Rauch auf dem Wind gerochen?
Ich stand auf dem Wehrgang und sah sie kommen. Venezianische und uskokische Piraten, der Abschaum des Meeres, miteinander verbündet, um unsere herrliche Stadt zu stürmen. Ich sah den roten Blitz der Gewehre, den weißen Rauch, ich spürte, wie die Mauern bebten.
Ich sah, wie Schiffe gerammt und in tausend Splitter gesprengt wurden. Ich sah, wie große Galeeren Feuer spuckten, wie das Feuer sich gleich einem lodernden Teppich über den Decks ausbreitete, wie es Männer zu Fackeln und Segel zu zerfetzten lodernden Flaggen machte.
Die brennenden Schiffe segelten weiter und steckten auch andere in Brand, bis unsere Flotte nur noch aus rauchenden Schiffsrümpfen bestand, die sich in der reißenden Strömung drehten wie verkohlte Walnussschalen.
Der Ansturm wollte nicht aufhören. Mit Rampen auf Türmen über dem Bug der anführenden Galeeren brachten sich die Invasoren auf gleiche Ebene mit unserem Wehrgang. Wir beschossen sie ohne Unterlass mit Steinen und Pfeilen, doch die großen Schiffe näherten sich in einer langen Reihe, wobei jede Rampe mit der des Nachbarschiffes verbunden war. Man konnte von einem Ende der Flotte zum anderen rennen. Sie sind schlau, diese Venezianer. Die Schiffe knallten gegen die Mauern, machten an den Felsen fest, brachten ihre Krieger mit uns auf Augenhöhe. Männer sprangen von den Rampen auf den Wehrgang und ließen Strickleitern hinab für diejenigen, die noch unten waren. Kurz darauf krabbelten sie in schwarzen Schwärmen an den Mauern hoch.
Von landwärts regneten Feuerkugeln auf die Stadt herab, zerstörten Häuser und Kirchen. Die Dächer waren in dichte Rauchschwaden gehüllt; Flammen schossen empor, und ringsum prasselten mit füchterlichem Getöse Dachziegel zu Boden und erstickten die Schreie der Menschen, die im Innern der Häuser gefangen waren und bei lebendigem Leibe verbrannten.
Sie hatten die Stadtmauern durchbrochen. Die Tore standen offen. Der Feind strömte herein und trieb die Menschen über den Stradun. Die breite Hauptstraße wimmelte schon von all jenen, die dem Trampeln der Stiefel und den zischenden Schwertern zu entkommen suchten.
Die Menge wurde auf die große Piazza getrieben, gefangen wie ein Fisch im Netz. Die Kathedrale würde ihnen keine Zuflucht bieten. Das große Westportal lag zersplittert am Boden. Überall verstreut lagen verschmutzte Kleidungsstücke. Heilige Buchseiten wehten umher und klebten im Blut, das in Rinnsalen über die Stufen und hinaus auf das weiße Marmorpflaster lief. Kaum war die Piazza voll, begann das Morden. Die Schreie der
Verzweiflung, das Heulen und Flehen vermischten sich zu einem einzigen, unablässigen Schrei.

FESTE

Ich packte sie. Ich schleppte sie vom Wehrgang weg. Sie wollte bleiben, wollte bis zum Ende kämpfen, aber ihr Vater, der Herzog, befahl mir, sie wegzubringen. Ihm war klar, dass sie keine Gnade fände. Er wollte nicht erleben, wie seine Tochter vor seinen Augen vergewaltigt wurde, bevor ihm die Augen ausgerissen wurden.
Er schickte seinen Knappen, den jungen Guido, mit uns, dem er das gleiche Schicksal ersparen wollte.
Wir liefen runter in die Gewölbe. Von dort aus hoffte ich, einen der Tunnel nehmen zu können, die raus zu den Festungsmauern führten, doch aus Richtung der Mauern hörte man das Rumpeln rollender Fässer. Das elende Pack war schon da. Die Vorhut mit ihrem Schießpulver, die Vorbereitungen trafen, um sich den Weg zum Turm freizusprengen.
Ich führte die beiden hoch, wo die Luft zum Schneiden dick war von verbranntem Fleisch und Asche, die wie Schnee zur Erde fiel. Die Schlacht war weitergezogen und die Straßen waren verlassen, aber nicht leer, wenn ihr versteht, was ich meine, und es war unmöglich, ihren Blick davor zu schützen. Sie hat Dinge gesehen, die ein Mädchen in ihrem Alter nie hätte sehen dürfen.
Was den Menschen da befällt, ist ein Wahn. Niemand war verschont worden. Männer, an Ort und Stelle niedergemetzelt, Frauen vergewaltigt und zum Sterben zurückgelassen, Kinder und Babys zerstückelt. Nur die Tiere streunten noch herum, aber lassen wir das …

Wir fanden keinen Weg aus der Stadt. Wir saßen in der Falle wie Ratten in einem Kornspeicher. Kennt ihr das, wenn man Hunde reinlässt, um die Ratten zu jagen? Sie töten, bis sie sich kaum noch auf den Beinen halten können, und dann töten sie weiter.
Im Osten ließ das schrille Wehgeschrei einer Frau mit einem Mal nach. Im Westen glühte der Himmel nicht nur vom Sonnen- untergang. Der Herzogspalast stand in Flammen. Noch immer waren Rufe und Schreie zu hören, allmählich nur noch vereinzelt und wie aus weiter Ferne. Es entstand eine Atempause, als Venezianer und Piraten mit dem Plündern begannen oder in den Wirtshäusern und Tavernen die Fässer aufbrachen, doch wenn zum Stehlen nichts mehr da war, würden sie damit aufhören und wieder rausgehen in die Straßen, nur diesmal betrunken, und das Gemetzel würde weitergehen, bis nichts mehr da war zum Töten.
Wir rannten durch die verwinkelten Gassen und krumme Treppen hinauf, die rutschig waren von Blut.
Wir wollten zu Marijita, aber sie lag tot inmitten ihrer Vögel. Sie hatte sich ihr eigenes Leichentuch gewebt.

VIOLETTA
Wie ist es dazu gekommen? Damit ihr versteht, muss ich ganz von vorne anfangen …


2

»So voller Wahnsinn ist die Raserei, die Liebe heißt«



Herr William Shakespeare, Dichter, Schauspieler und manchmal auch Magier, war nach einer besonders schlechten Aufführung eines seiner Stücke auf dem Heimweg vom Theater. Das Publikum war nur langsam zur Ruhe gekommen, war unhöflich und missgelaunt gewesen und hatte immer wieder gepöbelt, gebuht und gezischt und mit Schalen und Flaschen geworfen, und nicht zu knapp. Und das auch noch zu Recht, wo doch diejenigen, deretwegen sie gekommen waren, steifbeinig und schwerfällig waren, erst viel zu spät auf die Bühne kamen und dann gar nicht mehr aufhören wollten.
Die Heldin hätte sich dringend rasieren müssen, und ihr männliches Gegenstück war hölzerner als die Zweige und Äste des »Waldes«, den er durchstreifte. In der Truppe waren einige krank, ein paar der besten Schauspieler lagen darnieder, aber war das ein Grund? Wozu machte er sich überhaupt die Mühe zu schreiben, wenn jeder Hohlkopf von einem Schauspieler glaubte, einfach drauflosplappern zu können, was ihm gerade in den Sinn kam?
Will war noch vor dem Ende gegangen. Wie das ausfallen würde, war klar; nach dem heruntergeratterten Epilog würde wieder endlos und übermütig herumgehopst, ob nun das Stück so etwas rechtfertigte oder nicht.
Die gegenwärtige Inszenierung war zwar eine Komödie,
aber diese alberne Tanzerei tat ihr alles andere als gut.
Beim Gedanken daran ärgerte er sich noch mehr, während er am Bärengehege mit seinem penetranten Tiergeruch vorbeiging. Hier reichte schon ein wütendes Knurren oder ein qualvolles Jaulen, und das Publikum brüllte. Die Tiere ernteten mehr Applaus als ihre menschlichen Gegenstücke im Globe.
Mit gesenktem Blick lief er weiter über den mit Kot übersäten Boden und steuerte auf seine Unterkunft gleich neben dem Clink-Gefängnis zu. Als er unmittelbar an der Kirche St. Mary Overie um die Ecke bog, stieß er auf eine Menschenmenge.
Ein bärtiger Mann, der aussah wie ein Spanier, schrummelte auf einer Zither, und ein Mohr trommelte auf ein paar umgedrehten Eimern, aber die beiden waren es nicht, die die Aufmerksamkeit der Menge auf sich zogen. Sämtliche Köpfe waren in eine Richtung gewandt; aller Augen ruhten auf einem kleinen mageren Mann.
Da stand er, mit nacktem Oberkörper, in einer schwarzen Strumpfhose, das weiße Gesicht eine konzentrierte Maske, bewegte den Kopf in alle Richtungen und balancierte diverse Gegenstände auf seiner Stirn: einen Holzstab, eine bemalte Kiste und darauf einen Stuhl. Auch die Menge bewegte gebannt die Köpfe mit jeder seiner Bewegungen mit, als wollte sie ihn damit unterstützen.
Er nickte leicht und die Menge schnappte nach Luft, denn sie war überzeugt, dass nun alles zu Boden fallen würde, aber so war es nicht. Der Narr begradigte den wankenden Aufbau und sein Assistent, in einem ausgebeulten weißen zanni

-Kostüm aus der Commedia dell’Arte

, warf eine Puppe in die Luft. Aller Augen folgten der Puppe, die kurz zu schweben schien, ehe sie durch die Luft fiel und genau auf der Sitzfläche des Stuhls landete.
Die Menge klatschte Beifall und jubelte begeistert, als der kleine Puppenkopf nickte und, wie es schien, zum Dank mit der Hand wackelte. Nun riss der Narr den Kopf nach hinten, und der ganze Turm flog erst himmelwärts, bevor die einzelnen Gegenstände fein säuberlich um den Mann herum auf dem Boden zu liegen kamen, wobei die Puppe noch immer auf dem Stuhl saß. Der Narr nahm die Puppe, ein schwarz gekleidetes Abbild seiner selbst, und tat damit, als ob sie sich verbeugte und sich winkend für den Beifall bedankte.
Will blieb stehen, ebenso wie die anderen Zuschauer, und es kamen immer noch mehr Leute hinzu. Aus dem Nichts, auf einem Stück Pflaster, wo zwei Straßen aufeinandertrafen, hatte sich der Narr eine großartige Bühne geschaffen. Jedes Kunststück wirkte noch gewagter, noch unerhörter, noch mehr zum Scheitern verurteilt als das vorhergehende. Und genau das war es, was die Leute so fesselte. Alle warteten nur auf den Moment, in dem der Narr straucheln und die Gegenstände, die er jonglierte und balancierte, fallen lassen würde. Aber es geschah nicht. Stühle wirbelten durch die Luft wie Kinderspielzeug.
Eine Nummer folgte der nächsten. Er befreite sich aus Schlössern und Ketten, die ihn mit Leichtigkeit hätten zerdrücken können. Er verbrannte sich nicht. Schwerter und Dolche hinterließen nicht einmal einen Kratzer auf seiner Haut. Er riss die Menge mit wie die Strömung des Flusses bei Flut. Längst hatte Will aufgehört, dem Narr selbst zuzusehen; es war klar, dass er keinen Fehler machen würde. Stattdessen beobachtete er sein Gesicht. Entsetzen, Angst, Erleichterung, Freude, Glück und Trauer rannen über seine ausdruckslosen Gesichtszüge wie Wasser über einen Felsen, und in den Mienen der Zuschauer spiegelte sich unwillkürlich jedes seiner Gefühle. Will wusste, dass er einen Meister vor sich hatte, einen ganz großen Künstler, vielleicht den besten, den er je gesehen hatte. Als die Vorführung vorbei war und die Menge Beifall klatschte, tat er es ihr nach und warf eine Münze in den Hut, den der zanni

herumreichte. Der Narr hielt die Puppe hinter seinem Rücken und beide machten eine tiefe Verbeugung, wobei sich der Narr um die eigene Achse drehte und den Blick durch die Menge schweifen ließ.
Sein Publikum begann sich zu zerstreuen und zog durch die umliegenden Straßen und Gassen weiter, nur Will blieb stehen.
»Wie ist dein Name, Meister?«, fragte er.
Der Narr tat, als hörte er ihn nicht. Er zog sich einen schwarzen Kittel über den schweißgebadeten Körper.
Sein blasser Rumpf war geädert und knorrig, die Arme wie Schiffstau. Mit einem Läppchen wischte er sich übers Gesicht, und zum Vorschein kam ein Antlitz, das fast so bleich war wie seine Schminke. Will sah dem Mann dabei zu, wie er herumlief und die Ketten, Keulen und Stöcke und alle benutzten Gegenstände aufsammelte und in die abgewetzte Kiste aus der Balancier- nummer warf. Er war völlig alterslos. Will fand Gefallen an ihm. Er war ein dünner Narr, ein hagerer Narr, ein Narr ohne ein Gramm Fett am Körper, ein Narr, wie ihn Will bewunderte, ganz anders als der dicke Possenreißer, der im Globe auf der Bühne herumsprang. Dieser Narr war ein Narr, wie er im Buche stand.
Der Mann hob die Puppe hoch, nahm die winzigen Arme und Beine ab wie einen Satz Kleider, und zum Vorschein kam ein Narrenstab. Der Kopf war aus Holz geschnitzt und hatte dieselben Züge wie der Narr selbst, den spöttisch verzogenen Mund und die dünne gebogene Nase. Zwei schwarze Steine zwischen halb geschlossenen Lidern glänzten listig und wissend unter der geschwungenen Narrenkappe hervor.
»Mein Name ist Feste.« Der Narr wiegte den Stock vor seiner Brust und verbarg ihm den Kopf, um ihn vor weiterer Betrachtung zu schützen. Er drehte sich um und winkte seinen Kompagnon herbei. »Das ist Violetta.«
Der weißkostümierte zanni

war davongeschlüpft, um sich in einer Gasse in der Nähe umzuziehen, und kehrte als Mädchen im tief ausgeschnittenen Mieder unter einem zartblauen Kleid zurück. Sie schüttelte ihr dunkles Haar aus und trat auf ihn zu. Sie trug das Haar offen und ohne Kopfbedeckung. Um den Hals baumelte ein Anhänger aus silbrigweißer Koralle, zart wie die Finger eines Säuglings.
Will trat auf sie zu und wollte sich vorstellen. Wie zur Warnung hielt der Narr seinen Stock hoch. »Wir wissen, wer Ihr seid.«
»Kompliment euch beiden«, entgegnete Will. »Ihr habt die Menge begeistert. Aber so ein Auftritt ist harte Arbeit. Ihr seid gewiss hungrig … und durstig. Wollt ihr mich nicht in den Anchor begleiten? Es ist nicht weit. Wir könnten zusammen einen Krug Wein trinken und etwas zu Abend essen. Ich lade euch ein.«
Violetta nickte, und der Narr schulterte die Kiste. Die Einnahmen waren zwar gut gewesen, doch eine Einladung zu Essen und Wein sollte man nicht ausschlagen.
Will blickte zurück und vergewisserte sich, dass die beiden ihm folgten, und dann führte er sie am Flussufer entlang zur Schenke. Es waren Fremde, so viel stand fest, aber sie hatten auch etwas Befremdliches an sich. Ein Narr, der niemandes Narr war, und sein Helfer, der in Wirklichkeit ein Mädchen war. Er hatte dieses wohlbekannte Kribbeln am ganzen Leib gespürt. Er witterte hier eine Geschichte, und er irrte sich selten.


Copyright © Bloomsbury Kinderbücher & Jugendbücher





Gewinnspiel



Wir verlosen 5 Exemplare von "Der Narr und das Mädchen" unter allen BookRix-Usern, die folgende Gewinnfrage richtig beantwortet haben:


Zanni ist …




A. Eine Theaterfigur
B. Eine Stadt in Italien
C. der Titel einer Komödie

Um bei der Verlosung teilzunehmen, klicke auf den Button "Zur Verlosung" auf der Buchinfoseite oder schicke die Lösung direkt an den Account von bloomsburykinder

.

Einsendeschluss ist der 30.04.11

Das BookRix-Team wünscht viel Glück bei der Verlosung!


Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Eine Barauszahlung der Gewinne ist nicht möglich. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt und auf BookRix veröffentlicht.

Impressum

Texte: Bloomsbury Kinder ISBN: 978-3827054258
Tag der Veröffentlichung: 24.03.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Leseprobe

Nächste Seite
Seite 1 /