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Wie Niva ihren Ball rettete



Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie früh es noch ist. Meine Frau schläft noch tief und fest, die Kinder ebenfalls, und Inge sowieso. Normalerweise stehe auch ich am Samstag sehr viel später auf. Aber heute kommt ja gegen Mittag Niva mit ihren Frauchen Birgit und Filicia zu Besuch, und bevor sie da sind, will ich unbedingt noch das gestrige Gespräch zwischen Inge und Niva für euch abschreiben.
Ich habe die verschmierten Zettel alle vor mir liegen und hoffe nur, dass mir beim Abschreiben nicht schlecht wird. Mir war nämlich die ganze Nacht ziemlich übel. Vermutlich waren die fünf Leberwürste, die ich gestern gegessen habe, doch eine zu viel. Aber ich will euch nicht lang- weilen. Abgesehen davon geht es euch auch gar nichts an, ob mir ein bisschen schlecht ist oder nicht, und jetzt setzt euch gefälligst hin und hört mir zu, was Inge gestern mit ihrer einzigen Hundefreundin am Telefon gesprochen hat.
Ich habe gerade geschlafen, als Niva gestern anrief. Darum weiß ich nicht, wie oft es schon geklingelt hat, bevor ich aufgewacht bin. Nachdem ich aber aufgewacht bin, hat es noch siebenundfünfzig Mal geklingelt, bis Inge abgenommen hat.
„Hallo Inge, hier ist Niva!“, hat Niva gerufen.
„Wie geht’s dir?“
„Sehr müde“, hat Inge gesagt.
„Sehr müde!“, hat Niva gerufen. „Das ist ja sehr schön. Und wo bist du?“
„Zu Hause natürlich, in meinem Körbchen.“
„Ich bin auch zu Hause“, hat Niva gesagt, „aber rate mal, wo ich gerade war?“
„Woher soll ich das wissen!“, hat Inge jetzt geschimpft. „Ich bin müde und will schlafen. Mich interessiert überhaupt nicht, wo du gerade warst. Vielleicht hast du wieder mit Birgit und Felicia einen Ausflug im Auto …“
„Falsch!“, hat Niva laut dazwischen gerufen. „Aber einmal lasse ich dich noch raten.“
„Entweder“, hat Inge gesagt, „du erzählst mir sofort kurz und knapp, wo du gerade warst, oder ich lege auf.“
„Gut“, hat Niva eingelenkt, „also, weil du es unbedingt wissen willst. Ich war in der Badewanne.“
„Pfui!“, hat Inge gerufen, und ich hörte bis in mein Zimmer, wie sich ihr Fell knisternd sträubte. „Dann bist du ja ganz nass!“
„Woher weißt du das denn?“
„Weil ich eins plus eins zusammenzählen kann.“
„Das ist ja auch nicht so schwierig“, hat Niva gesagt und eine Pause eingelegt. „Gib mir ein bisschen mehr Zeit“, fuhr sie nach einer Weile fort. „Dann rechne ich dir das auch im Handumdrehen aus. Also warte mal: Eins plus eins ist …“
„Niva!“, hat Inge ihre Freundin jetzt barsch unterbrochen. „Ich will überhaupt nicht warten, bis du ausgerechnet hast, was eins plus eins ist. Ich will heute meine Ruhe haben. Außerdem ist mir allein die Vorstellung, dass du nass bist, schon unangenehm.“
„Aber das siehst du doch gar nicht“, hat Niva sich jetzt verteidigt. „Genau dafür sind doch Telefone da, dass man auch mal mit jemandem sprechen kann, der ein bisschen nass ist. Eklig ist es nur, wenn man jemanden am Telefon hat, der schlecht aus dem Mund riecht.“
Inge, das war bis in mein Arbeitszimmer hinein zu spüren, hat eine Weile sehr angestrengt nachgedahcht. „Was willst du eigentlich?“, hat sie schließlich gefragt.
„Ich wollte dir nur erzählen, dass ich noch lebe. Deshalb komme ich dich morgen besuchen.“
„Ich habe bereits gehört, dass du mich morgen besuchen kommst.“
„Aber du wusstest nicht, dass ich noch lebe.“
„Doch!“, hat Inge gesagt. „Das habe ich schon erraten, als das Telefon so lange geklingelt hat.“
„Wie kannst du dir denn da so sicher sein? Vielleicht sprichst du ja gerade mit meiner Wiedergeburt.“
„Dann müsstest du ja gestorben sein.“
„Warum denn nicht? Es kann doch sein, dass ich letzte Nacht, ohne es zu merken, gestorben bin, und dann genau als das wiedergeboren wurde, was ich vorher war.“
„Das ist mir jetzt wirklich zu blöd!“, hat Inge geschimpft. „Ich lege gleich auf.“
„Das ist überhaupt nicht blöd!“, hat Niva protestiert.
„Natürlich ist das blöd!“, hat Inge wütend gerufen. „Du willst dich doch nur wieder wichtig machen! Außerdem wird man nie als das wiedergeboren, was man vorher gewesen ist. Es kann sich auch niemand aussuchen, als was er wiedergeboren wird. Ein Schaf kann zum Beispiel als Blatt oder Grashalm wiedergeboren werden oder eine Schnecke als Käsebrot oder eine Biene als Schwein. Der Einzige“, fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, „von dem ich sicher weiß, als was er wiedergeboren wird, ist mein Herrchen. Mein Herrchen“, verkündete sie feierlich, „wird nämlich als großer, stolzer Löwe wiedergeboren.“
„Ich“, hat Niva jetzt gerufen, „würde am liebsten als Osterbär wiedergeboren werden. Dann würde ich immer alle Geschenke für mich behalten.“
„Du“, hat Inge böse gesagt, „wirst ganz sicher als Hund wiedergeboren.“
Bis in mein Arbeitszimmer hinein konnte ich hören, wie Niva am anderen Ende der Leitung schluckte. „Solche Scherze macht man nicht“, sagte sie schließlich. Ihre Stimme war ganz belegt.
Auch Inge hat gemerkt, dass sie etwas zu weit gegangen war, denn nach einer Weile hat sie gesagt: „Es tut mir leid, Niva.“
„Wirklich?“, hat Niva mit noch belegter Stimme gefragt.
„Wirklich“, hat Inge geantwortet, und da sie ja weiß, wie sie ihre Freundin wieder aufmuntern kann, fügte sie hinzu: „So, Niva, und jetzt erzähl mir endlich, warum du heute in die Badewanne musstest. Du glaubst gar nicht, wie gespannt ich auf deine Geschichte bin.“
„Inge!“, hat Niva begeistert gerufen. „Das wollte ich dir schon die ganze Zeit erzählen. Also pass auf! Ich weiß ja nicht, ob es bei euch auch geregnet hat, aber bei uns hat es schon am Morgen ganz fürchterlich geregnet. Trotzdem hatte Felicia richtig gute Laune. ‚Weißt du was, Niva’, hat sie zu mir gesagt, ‚ich muss heute erst später zur Arbeit, und deswegen lassen wir uns auch von dem Regen nicht abhalten, sondern machen uns einen schönen Vormittag im Park.’ Dann hat sie meinen Ball aus der Kommode genommen und los ging’s.
Ich hatte überhaupt keine Lust, bei dem Regen hinauszugehen. Also bin ich einfach liegen geblieben. Felicia hat sich zu mir hinabgebeugt und die Leine an meinem Halsband befestigt. Dann hat sie mich aus der Wohnung hinaus bis in den Park gezerrt.
Im Park habe ich mich, nachdem Felicia mich von der Leine gemacht hatte, schnell unter einen Baum geflüchtet. Felicia ist mir aber sofort hinterhergekommen.
‚Guck, Niva, hier ist dein Ball’, hat sie gesagt und den Ball dann mit großem Schwung auf die Wiese geworfen.
Ich habe dem Ball natürlich nachgeschaut. Er lag ziemlich entfernt im nassen, hohen Gras. ‚Wo ist der Ball!’, hat Felicia immer wieder ganz aufgeregt gerufen. Ich habe es ihr aber nicht verraten, und schließlich hat sie ihn dann auch selbst wieder gefunden.
Sie spielt eigentlich viel lieber mit Bällen als ich. Es ist nur schade, dass sie keinen eigenen Ball hat.
Sie hat den Ball dann noch zweimal geworfen und auch beide Male zurückgebracht.
Danach hat sie sich zu mir hinuntergebeugt, und natürlich dachte ich, weil wir uns einen schönen Vormittag machen wollten, sie würde mich jetzt hinter den Ohren kraulen. Stattdessen aber hat sie mir plötzlich den Mund aufgerissen und den Ball ganz tief hineingestopft. Zuerst glaubte ich, dass sie wollte, dass ich den Ball für sie verstecke.
Ich sah mich um und überlegte, wie ich ihr die größte Freude machen könnte. Dann bin ich mit dem Ball ganz tief in das nächste Gebüsch gekrochen und habe ihn dort unter einem Laubhäufchen versteckt.
Das ist jetzt mal eine richtig schwere Suchaufgabe, habe ich gedacht.
Felicia war auch ganz aufgelöst, als ich wieder aus dem Gebüsch herauskam. Wahrscheinlich hat sie sich selbst nicht zugetraut, den Ball wieder zu finden. ‚So ein Mist!’, hat sie gerufen und mit dem Fuß aufgestampft. ‚Ich gehe nie wieder mit dir Ball spielen’, hat sie gesagt und sich drohend vor mir aufgebaut. ‚Niva!’, hat sie gebrüllt. ‚Bring sofort den scheiß Ball zurück!’ Irgendwann hat sie sich dann doch in das Gebüsch hineingezwängt. Statt den Ball aber mit der Nase zu suchen, hat sie mit dem Fuß kräftig gegen jedes Laubhäufchen getreten.
So findet sie den Ball nie, habe ich gedacht. Doch auf einmal kam der Ball mit großer Wucht und in hohem Bogen aus dem Gebüsch geschossen.
Es war aber so, dass gerade in diesem Moment ein alter Herr den Weg entlang kam. Dieser Herr war so vornehm, dass er sogar ein Wägelchen hinter sich herzog, auf dem er seine Tasche transportierte.
Der Ball schlug einmal auf und plumpste dann direkt in die Tasche auf dem Wägelchen.
Zuerst dachte ich, das ist ja auch nicht so schlimm, dann ist der Ball halt weg. Dann aber dachte ich, dass Felicia bestimmt traurig sein wird, wenn der Ball weg ist.
Also bin ich zu dem alten vornehmen Herrn hingelaufen und habe ihn ein Stück des Weges begleitet. ‚Entschuldigung’, habe ich höflich zu ihm hinauf gesprochen. ‚Ich will sie selbstverständlich nicht stören, aber unser Ball ist durch einen Zufall in ihre Tasche geraten. Felicia wäre über den Verlust des Balles bestimmt sehr betrübt, und deshalb würde es uns eine große Unterstützung sein, wenn sie die Freundlichkeit besäßen, kurz stehen zu bleiben, um den Ball aus ihrer Tasche wieder in unseren Besitz zu übergeben.’
Der alte vornehme Herr jedoch war sich viel zu fein, um sich mit mir zu unterhalten. Er hat nicht einmal zu mir hinab gesehen, geschweige denn, dass er stehen geblieben wäre. Also hab ich mich ihm in den Weg gestellt, bin wild auf und ab gesprungen und habe immer wieder laut ‚Halt!’ gerufen.
‚Hau ab!’, hat der alte vornehme Mann zurückgerufen. Er sah jetzt auch gar nicht mehr vornehm aus, sondern grimmig und böse. ‚Gehört das Monster zu Ihnen?’, hat er Felicia gefragt, die jetzt aus dem Gebüsch zu uns geeilt kam.
Felicia hat nur genickt, und dann hat sie ihre Stimme streng gegen mich erhoben. ‚Aus, Niva!’, hat sie immer wieder gesagt.
Ich habe ihr aber nicht gehorcht. ‚Felicia!’, habe ich stattdessen immer wieder gerufen und mit dem Kopf auf das Wägelchen gedeutet. ‚Da ist der Ball!’
Doch auch Felicia wollte mich nicht verstehen. Also habe ich Anlauf genommen und bin mit voller Wucht gegen das Wägelchen gerannt.
Das Wägelchen ist auch sogleich samt Tasche umgefallen, und ein Teil des Inhalts aus der Tasche kugelte den Weg hinunter.
‚Da ist der Ball!’, habe ich noch freudig gerufen und bin ihm hinterher gesprungen. Doch als ich ihn voller Stolz zwischen den Zähnen hatte, ist er mir sogleich zerplatzt, und eine eklige Flüssigkeit lief mir aus dem Mund. Sie hat geschmeckt wie dieser Matsch, der überflüssiger Weise unter der Salami auf der Pizza ist. Wie heißt denn dieses runde Gemüse noch mal, aus dem Mann diesen Matsch macht? Du weißt doch solche Dinge immer, Inge. Inge!“, hat Niva jetzt gerufen. „Inge!“, hat sie noch mal gerufen. „Inge!“, hat sie mit voller Kraft in den Hörer geschrien.
„Ja, was ist denn?“, hat Inge gefragt und klang ganz verschlafen.
„Wie heißt denn jetzt dieses Gemüse?“
„Welches?“
„Na dieses runde.“
„Radieschen?“, hat Inge mit einem Gähnen gefragt.
„Richtig!“, hat Niva gerufen. „Ich habe doch gewusst, dass du solche Dinge weißt. Ich habe also in ein Radieschen hineingebissen.“
„Warum hast du denn in ein Radieschen hineingebissen?“, hat Inge jetzt zurückgefragt.
„Das habe ich dir doch gerade erzählt“, hat Niva geantwortet. „Ich habe in das Radieschen gebissen, weil es aus der Tasche von dem Wägelchen des alten vornehmen Herrn gekullert ist, das ich umgeworfen habe.“
„Warum wirfst du denn von irgendwelchen alten vornehmen Herren die Wägelchen um?“, hat Inge gefragt. „Dann könntest du ja auch alles andere umwerfen, was auf der Straße steht. Autos, Hunde, Omnibusse oder Polizisten.“
„Ich habe doch das Wägelchen nur umgeworfen, weil mein Ball in der Tasche auf dem Wägelchen steckte.“
„Wie soll denn dein Ball in die Tasche auf dem Wägelchen von einem alten vornehmen Herren kommen?“, hat Inge jetzt gefragt.
„Weißt du was“, hat Niva jetzt leise gesagt, und ihre Stimme klang ganz traurig. „Ich glaube, du hast mir gar nicht richtig zugehört.“
„Wie kommst du denn darauf!“, hat Inge laut geschimpft. „Das ist ja fast unverschämt! Natürlich habe ich dir zugehört. Du hast das Wägelchen umgeworfen und dann in das Radieschen gebissen.“
„Ja, und dann ist mir der ganze Saft mit den ekligen Kernen aus dem Mund gelaufen.“
„Radieschen haben keine Kerne“, hat Inge wieder unterbrochen.
„Natürlich haben Radieschen Kerne!“, hat Niva jetzt wütend gerufen, „Sie sind mir doch aus dem Mund gelaufen!“
„Du hast ja Recht“, hat Inge gesagt, die es nicht mag, wenn ihre Freundin wütend wird. „Und was geschah dann?“
„Felicia war wieder ganz aufgebracht. ‚Um Gottes willen!’, hat sie gerufen und sich die Haare gerauft. Der alte Mann hingegen hat sich ganz ruhig die Hände gerieben. ‚Ich kann doch davon ausgehen, dass Sie mir den Schaden begleichen werden’, hat er gesagt.
‚Natürlich können Sie davon ausgehen’, hat Felicia sofort geantwortet und dabei mit Augen, die vor Wut gebrannt haben, zu mir gesehen.
Der alte vornehme Herr hat genickt und sich wieder die Hände gerieben. Felicia hat sich auf den Boden gekniet und wieder begonnen, alles, was aus der Tasche gefallen war, wieder einzusammeln. ‚Niva’, hat sie dabei immer wieder durch die Zähne gezischt, ‚komm sofort zu mir!’
Ich habe aber gedacht, dass es bestimmt klüger ist, wenn ich ihr dieses Mal nicht gehorche. Deswegen bin ich in einiger Entfernung auf der Wiese sitzen geblieben, habe in die Luft geguckt und so getan, als ob ich Felicia nicht hören würde.
Plötzlich zerplatzte etwas auf meiner Stirn, und im selben Augenblick war mein ganzes Gesicht mit einer zähen Flüssigkeit überklebt.
‚Die Eier’, hörte ich die Stimme des alten vornehmen Herrn, ‚zahlen Sie mir aber auch.’
‚Natürlich!’. Rief Felicia völlig außer sich zurück, und schon im nächsten Moment warf sie ein zweites Ei nach mir. Dem zweiten folgte ein drittes und dann noch eins und noch eins, und ich weiß nicht, wie viele noch.
Dann hat sich Felicia neben den alten vornehmen Herrn gestellt. ‚So’, hat sie ihn gefragt, ‚was bin ich Ihnen jetzt schuldig?’
Der alte vornehme Herr hat irgendwas mit den Fingern gerechnet. ‚Hundert Euro’, hat er dann gesagt.
‚Hundert Euro!’, hat Felicia gerufen. ‚Wie kommen Sie denn da drauf?’
Der alte vornehme Herr hat ein ernstes und nachdenkliches Gesicht gemacht. ‚Es ist doch alles futsch’, hat er gesagt. ‚Das Gemüse ist futsch, die Eier sind futsch, der Waschmittelbeutel ist zerplatzt und die Butter ist auch futsch. Außerdem habe ich gerade gesehen, dass die Tasche einen Riss bekommen hat und das linke Rad vom Wägelchen angeknackst ist.’
‚Die Tasche und das Wägelchen’, hat Felicia gesagt, ‚das ist doch total morscher Ramsch. Ich gebe Ihnen für alles vielleicht zehn Euro.’
‚Zehn Euro!’, hat der alte vornehme Herr nun geschimpft. ‚Das ist je unerhört. Die Tasche und das Wägelchen sind fast neu. Sie geben mir achtzig Euro und keinen Cent weniger.’
‚Ich gebe Ihnen elf Euro und keinen Cent mehr’, hat Felicia gesagt.
‚Fünfundsiebzig Euro und keinen Cent weniger’, hat der alte vornehme Herr gesagt.
So ging es dann immer weiter, und weil es bald langweilig war, den beiden zuzuhören, ist mir der Ball wieder in den Sinn gekommen.
Er musste noch immer in der Tasche sein. Also bin ich leise zu der Tasche hingeschlichen und habe meinen Kopf in sie hineingesteckt. Ich habe den Ball auch gleich gefunden und ihn in den Mund gesteckt. Doch kaum, dass ich den Kopf aus der Tasche gezogen hatte, hatte Felicia mich auch schon entdeckt. Gerade wollte sie mir einen Tritt in den Po geben, als sie den Ball in meinem Mund erblickte.
‚Der Ball!’, rief sie, und ihr Gesicht nahm einen ganz anderen Ausdruck an. Dann sah sie den alten vornehmen Herren an. ‚Sie Dieb!’, rief sie.
‚Was reden Sie denn da!’, rief der alte vornehme Herr zurück.
‚Ich weiß, was ich rede!’, rief Felicia noch lauter. ‚Meine Niva hat doch gerade unseren Ball aus Ihrer Tasche gezogen. Sie sind ein hundsgemeiner Dieb und können froh sein, dass ich nicht zur Polizei gehe. So, und jetzt sammeln Sie Ihren Mist alleine wieder ein. Komm, Niva!’
Auf dem Rückweg hat Felicia die ganze Zeit stolz zu mir hinabgesehen. ‚Ich wusste gar nicht, wie klug du bist’, hat sie zu mir gesagt. ‚Meine kluge Niva’, hat sie immer wiederholt, und irgendwann hat sie mich sogar auf den Arm genommen und den Rest des Weges nach Hause getragen.
Zu Hause hat sie gleich Wasser in die Badewanne laufen lassen, und wir haben zusammen gebadet. Den Ball hatten wir natürlich mit in der Wanne, und das ist dann auch schon die ganze Geschichte. Aber es ist doch eine unglaubliche Geschichte, oder, Inge? Inge!“, hat Niva gerufen. „Inge!“, hat sie noch mal gerufen. „Inge!“, rief sie mit voller Kraft.
„Ja, was ist denn?“, hat Inge gefragt, und ich hörte, wie sie wieder gähnte.
„Das ist doch eine unglaubliche Geschichte, oder?“
„Ist sie denn schon zu Ende?“, hat Inge gefragt.
„Natürlich ist sie zu Ende.“
„Und warum musstest du jetzt in die Badewanne?“
„Weil mein Kopf von dem Ei, das Felicia nach mir geworfen hatte, ganz verklebt war.“
„Ich dachte, das wäre ein Radieschen gewesen.“
„Aber Inge“, hat Niva gesagt, „in das Radieschen habe ich doch nur gebissen. Pass auf, ich erzähl dir die Geschichte noch mal von vorne.“
Jetzt war Inge hellwach. „Wir sehen uns doch sowieso morgen!“, hat sie gerufen.
„Da hast du auch wieder Recht“, hat Niva nun gesagt. „Das wird bestimmt ein toller Tag. Ich weiß ja, wie sehr du dich immer freust, wenn ich dich besuchen komme. Ich habe auch ganz viele Ideen, was wir alles machen können.“
„Ich auch“, sagte Inge.
„Was denn?“
„Schafen, zum Beispiel.“
„Hast du eigentlich“, hat Niva nach einer kurzen Pause gefragt, „neues Spielzeug?“
„Nicht, das ich wüsste“, hat Inge gesagt und wieder gegähnt. „Ach, doch“, verbesserte sie sich dann. „Ich habe die alte Schlafanzughose von meinem Herrchen bekommen. Die riecht gut.“
„Und was spielst du damit?“
„Ich stelle mir vor, dass sie ein Hund ist, und dann zerre ich an ihr herum.“
„Das ist ja eine tolle Idee!“, hat Niva begeistert gerufen. „Birgit hat auch eine Schlafanzughose. Die hol ich mir sofort aus ihrem Bett und zerfetze sie. Tschüss, Inge!“
„Tschüss, Niva“, hat Inge gesagt, aber da hatte Niva schon längst aufgelegt.


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Texte: erschienen im Bloomsbury Verlag ISBN-13: 9783827053701
Tag der Veröffentlichung: 16.03.2010

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