Daniil Charms:
Seltsame Seiten.
Ausgewählte Gedichte und Geschichten für Kinder.
Illustriert von Vitali Konstantinov.
Für Kinder ab 8 Jahren.
Zum Autor:
Daniil Charms, 1906 in St. Petersburg geboren und 1942 in Haft getorben, ist einer der wichtigsten russischen Schriftsteller der Moderne. Er gehört zu den Mitbegründern der Künstlervereinigung "Oberiu" udn wurde aufgrund seiner künstlerischen Haltung politisch verfolgt. Einzig das Schreiben von Kinderliteratur bot ihm eine Existenzgrundlage. Das Spiel mit Fantasie und Realität und der Hang zum Grotesken und Absurden, die Charms Werk auszeichnen, machten ihn in Russland für Generationen von Kindern zum Lieblingsautor.
Leseprobe
Die siebzehn Pferde
Bei uns im Dorf starb ein Mann und hinterließ ein Testament. Darin hieß es:
Meinem ältesten Sohne vermache ich 1/2 meines Besitzes, meinem mittleren Sohne vermache ich 1/3 meines Besitzes, und meinem jüngsten Sohn vermache ich 1/9 meines Besitzes.
Als der Mann starb, besaß er nur 17 Pferde und sonst gar nichts. Und die Söhne gingen daran, die 17 Pferde unter sich aufzuteilen.
"Ich", sagte der Älteste, "nehme mir die Hälfte aller Pferde. Also 17:2, macht 8 1/2." - "Wie soll das gehen, 8 1/2 Pferde?", fragte der Mittlere. "Du wirst doch kein Pferd in Stücke schneiden wollen?" - "Stimmt auch wieder", sagte der Älteste. "Für euch sieht es übrigens nicht esser aus. 17 lässt sich weder durch zwei noch durch 3 noch durch 9 teilen!" - "Puh. Was machen wir nun?" - "Ich kenne da einen klugen Mann", sagte der Jüngste, "mit Namen Iwan Petrowitsch Genialow, der weiß uns bestimmt zu helfen." - "Na schön, dann bestell ihn mal her", ließen die anderen Brüder sich darauf ein. Der Jüngste ging und kam bald darauf wieder mit einem Mann zu Pferde, der eine kurze Pfeife schmauchte.
"Das hier ist Iwan Petrowitsch Genialow", stellte der Jüngste ihn vor. Und die Brüder klagten Genialow ihr Leid. Der hörte sie an und sprach: "Nehmt einfach mein Pferd dazu, dann habt ihr 18, die könnt ihr wunderbar teilen."
Und die Brüder gingen daran, die 18 Pferde unter sich aufzuteilen.
Der Älteste bekam 1/2, also 9 Pferde, der Mittlere bekam 1/3, also 6 Pferde, und der Jüngste bekam 1/9, also 2 Pferde.
Als die Brüder ihre Pferde zusammenzählten: 9 + 6 + 2, da kamen 17 Pferde heraus. Derweil bestieg Iwan Petrowitsch das achtzehnte, welches ihm gehörte, und zündete sich sein Pfeifchen an.
"Zufrieden?", fragte er die Brüder, die aus dem Staunen nicht herauskamen, und ritt seiner Wege.
Tag der Veröffentlichung: 06.11.2009
Alle Rechte vorbehalten