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Was sind denn das für merkwürdige Figuren auf dem Bild?
Irgendwie scheinen sie miteinander verwachsen zu sein. Sind das zwei Frauen? Fest steht: Beide tragen Röcke wie Balletttänzerinnen. Der eine Rock ist weiß, der andere grün und rot. Unter den Röcken schauen vier Beine heraus, zwei in weißen Stiefeln und zwei in blauen. Aber welcher Rock gehört zu welcher Frau? Und was machen die da überhaupt? Kämpfen sie miteinander? Oder tanzen sie?

Das Bild heißt NEGERTANZ. Es wurde wahrscheinlich 1911, also vor etwa hundert Jahren, gemalt. Damals wurden Menschen mit schwarzer Hautfarbe »Neger« genannt. Aber sind die zwei Tanzenden denn dunkelhäutig? Eigentlich nicht. Durch den Bildtitel wissen wir nur, dass hier getanzt wird. Und der Mann, dessen Kopf, Schultern und Hände unten ins Bild hineinragen, ist wohl der Dirigent einer Musikkapelle, die wir nicht sehen, nach deren Melodie die Personen aber tanzen.
Wenn wir uns die beiden Tänzerinnen genau anschauen, können wir auch diesen Beine-Salat auseinanderhalten: Die grün gekleidete Frau mit dem roten Band in ihren langen Haaren trägt den grün-roten Rock und weiße Stiefel. Mit einem Bein steht sie auf Zehenspitzen, das andere hat sie an der Partnerin vorbei schwungvoll nach vorn geworfen.
Die Partnerin mit kurzen Haaren trägt ein blaues Oberteil, passend zu den blauen Stiefeln, und dazu einen weißen Rock. Sie steht mit einem Bein auf dem Boden, die Zehen- spitzen des anderen berühren ihn nur. Beide Tänzerinnen fassen sich an den Händen, doch scheint es, als würde die kurzhaarige die langhaarige festhalten.

Die Kunst der »Naturvölker«


Warum aber heißt dieses Bild NEGERTANZ? Den Maler Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) können wir nicht mehr fragen. Er ist schon vor vielen Jahren gestorben. Aber wir wissen einiges über ihn. Er wollte nicht mehr alle Dinge so malen, wie wir sie sehen, also so, wie sie ein Fotoapparat abbildet. Vielmehr versuchte er seine Gefühle und die Gefühle anderer darzustellen. Das war gar nicht so einfach. In der deutschen, italienischen und französischen Kunst, die er kannte, fand er dafür keine Vorbilder. Aber in den Völkerkundemuseen, in denen Kunstwerke von Afrika- nern, Menschen aus der Südsee und aus anderen fernen Ländern ausgestellt waren, entdeckte er ganz viele Anregungen.
All diese Völker nannte man damals »Naturvölker«. Nur weil sie nicht dieselben gefährlichen Waffen hatten, weil sie keine Dampfmaschine kannten, nicht an den christ- lichen Gott glaubten und vollkommen anders lebten, meinten die Menschen in Europa, dass sie auf einer niedrigeren Stufe ständen, also weniger wert wären als die Europäer.
Es gab aber auch einige Menschen, die die Lebensweise der »Naturvölker« bewunderten. Sie sehnten sich nach einem einfachen, ursprünglichen Leben. Und sie glaubten, dass die »Naturvölker« viel glücklicher seien als sie selbst. Die Menschen in Afrika, Südamerika oder in der Südsee lebten in einer üppigen Natur, in der fast immer die Sonne schien. Dort war es warm und angeblich so friedlich wie im Paradies. Auch die meistens aus Holz geschnitzten Gegenstände wie Figuren, Masken und Gefäße bewun- derten diese Europäer. Und sie waren begeistert von der fremden Musik, die ebenfalls den »Naturvölkern« zugerechnet wurde. Doch diese Musik stammte von den in Nordamerika lebenden Schwarzen, die dort über Jahrhunderte als Sklaven gehalten worden waren.
Das Sklavendasein hatte nun wirklich nichts mit einem paradieshaften Leben zu tun. Doch die Europäer brachten damals vieles durcheinander, und »Neger« erschienen ihnen in jedem Fall näher an der Natur, ganz egal, wo und wie sie lebten – in Afrika oder im damals von Europa beherrschten Nordamerika.
Zu den Bewunderern gehörte auch Ernst Ludwig Kirchner. Er war von der Kunst begeistert, die er im Völkerkunde- museum kennenlernte. Und für ihn gehörte die »Neger- musik« aus Nordamerika dazu. Es stimmt, dass die Tänze zu dieser Musik viel freier und mit viel mehr Gefühl getanzt wurden als die Tänze in den Ballsälen Europas. Dort gab es genaue Regeln, wie man seine Füße zu setzen hatte und der Mann seine Tanzpartnerin anfassen durfte. Auch das Ballett im Theater musste sich an ganz bestimmte Regeln halten.
Kirchner gehörte zu einer Gruppe von Malern, die zusammen arbeiteten und sehr ähnliche Vorstellungen über Kunst hatten. Doch auch diese Maler, die ihre Gruppe brücke nannten, waren mit ihrer Begeisterung für den Tanz und für die Kunst außerhalb Europas nicht allein. Es gab noch viele andere Künstler, die genauso dachten. Einige von ihnen lebten in Deutschland, andere in Frankreich, Italien, Russland … Sie alle stellten sich die fernen Länder paradiesisch vor. Etwas früher hatte ein Franzose über viele Jahre tatsächlich auf einer Insel in der Südsee gelebt und war dort auch gestorben. Sein Name war Paul Gauguin.

Insel unter der Nachttischlampe






Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner oder Paul Gauguin sehnten sich nach dem Paradies. Sie glaubten, es in den fernen Ländern zu finden. Auf Inseln in der Südsee zum Beispiel. Das ist selbst heute noch ganz schön weit weg. Das Paradies kann aber manchmal auch einfach eine Insel sein, wo man keine Hausaufgaben machen muss. Die kann man sich erträumen. Noch schöner ist es vielleicht, wenn sie ganz nah am Bett steht. Du stellst sie unter die Nacht- tischlampe und wirfst kurz vor dem Einschlafen noch einen Blick auf deine Trauminsel. Dann stellst du dir vor, wie du in der kleinen Hängematte liegst, dem Meeresrauschen lauschst und dabei einschläfst.
Um dir so eine Insel zu schaffen, brauchst du einen kräftigen, möglichst flachen Karton aus dem Supermarkt. Wenn du ihn umdrehst, hast du deinen Insel- und Meeres- grund. Nun musst du dich auf die Suche machen nach allem, was du für deine Insel brauchst. Nur du weißt, wie es dort aussehen soll. Wir haben zum Beispiel einen Sandstrand aus echtem Sand gemacht. Dazu muss man die Unterseite des Kartons dick mit flüssigem Kleber bestreichen, Sand- kastensand aufstreuen und dann gleichmäßig verteilen. Ein Teil des Kartons muss allerdings frei bleiben für die Meereswellen.
Die haben wir mit blauer und weißer Farbe auf ein Stück Papier gemalt und auf das noch freie Stück des Kartons aufgeklebt. Die Palmen, die auf der Insel stehen, kannst du mit Zeitungspapier und Tapetenkleister basteln. Aus einem Streifen Zeitungsschine papier rollst du einen Palmen- stamm, den du in den Tapetenkleister tunkst. Für die
Blätter faltest du in Kleister getauchtes Zeitungspapier und klebst es an die Stämme.
Wenn Stamm und Blätter trocken sind, malst du sie an. Einen schmalen Streifen Zeitungspapier haben wir zu einer Wurst gedreht, auch wieder eingekleistert und dann als Ring in unser Meer geklebt. Er dient abends als Halterung für unser Wasserglas auf dem Insel-Nachttisch.
Wenn die Farben gut getrocknet sind, kannst du die Palmen auf den Sandstrand kleben. Wir haben dazu die Heiß- klebepistole benutzt, es geht aber auch mit einem anderen Kleber. Zwischen zwei Palmen gehört natürlich noch eine Hängematte. Die schneidest du dir aus einem Stück Obstnetz. Die Insellandschaft kannst du noch mit echtem Moos, kleinen Steinchen und selbst gefundenen Muscheln ausgestalten.
Auf unserer Insel wohnen alte angemalte Lego-Figuren. Du kannst dir deine Insel bewohner jedoch auch selbst machen: Auf ein längliches Stück Holz malst du oben ein Gesicht und klebst darüber zum Beispiel einen Rest Filzwolle (also ungesponnene gefärbte Wolle, sie heißt auch Märchenwolle) als Haare. Damit ist der Kopf fertig. Den Körper umklebst du mit einem Stück Geschenkband. Das ist das Kleid.
Als Arme und Beine klebst du Zahnstocher- oder Streich- holzstücke an. Aus Zweigen und Blättern kannst du deinen Inselbewohnern noch eine Hütte bauen. Oder du bastelst ihnen ein Surfbrett. Und dann – gute Nacht.






Die Trauminsel



Paul Gauguin

Paul Gauguin lebte ein für die damalige Zeit außergewöhnliches Leben. Das ging schon mit seiner Geburt am 7. Juni 1848 in Paris los, denn in dieser Zeit kämpften dort verschiedene politische Parteien um die Macht im Staat. Der Vater von Paul, Clovis Gauguin, war Journalist und gehörte zu den Anhängern einer Partei, die nach vielen Kämpfen und Straßenschlachten zu den Verlierern zählte. Einen Monat nach Pauls Geburt wurde der Vater arbeitslos. Ein Jahr später hatte er Angst, verhaftet zu werden. Und so bestieg er mit seiner Frau Aline, der drei Jahre alten Tochter Marie und Sohn Paul im August 1849 ein Schiff, das sie nach Peru bringen sollte. Peru ist ein Land in Südamerika. Eine Reise dorthin dauerte damals vier Monate. Das war mit zwei so kleinen Kindern ziemlich anstrengend.
Während der Fahrt starb Clovis. Aline musste mit den beiden kleinen Kindern die Reise allein fortsetzen. In der peruanischen Hauptstadt Lima lebten zwar Verwandte von ihr, die sie aber nicht kannte und denen sie auch nichts von ihrem Kommen geschrieben hatte. Zum Glück ließen die sehr reichen Verwandten sie trotzdem bei sich wohnen.
Paul erinnerte sich später gern an diese ersten Jahre seiner Kindheit, in denen er ein sorgloses Leben führte. Später behauptete er sogar, er stamme von den süd- amerikanischen Inka ab. Das waren die Ureinwohner von Peru. Natürlich stimmte Gauguins Behauptung hinten und vorne nicht. Schließlich kam es in Peru aber zu Unruhen. Im August 1854 bat Aline darum, nach Frankreich zurückkehren zu dürfen. Fünf Jahre nachdem sie wegen der Unruhen in ihrem Heimatland Frankreich aufgebrochen war, machte sie sich nun mit den Kindern erneut auf die weite Reise. Paul war inzwischen sechs Jahre alt, seine Schwester Marie acht.


Auf der Karte siehst du das Meer zwischen Europa und Südamerika.




Zurück in Frankreich, lebte die kleine Familie zuerst in Orléans, später wieder in Paris. Paul ging in die Schule. Danach fuhr er als Matrose zur See. Wieder kam er nach Südamerika. Die Reise dauerte dreizehn Monate. Genau in dieser Zeit starb seine Mutter. Paul war dreiundzwanzig, als er in einem Bankhaus zu arbeiten begann. Zu dieser Zeit lernte er auch die damals moderne impressionistische
Malerei kennen. Die Bilder gefielen ihm so gut, dass er selbst anfing zu malen.
1872 lernte Gauguin eine junge Frau kennen, die aus Kopenhagen stammte und Mette Gad hieß. Sie heirateten und bekamen in den folgenden neun Jahren fünf Kinder. Paul verdiente viel Geld in der Bank. Die Familie konnte gut davon leben. In seiner Freizeit malte er und bekam Kontakt zu der Gruppe der Impressionisten. Auch wenn Paul Gauguin mit seinen Bildern keinen großen Erfolg hatte, wollte er nur noch malen. Mit 35 Jahren kündigte er seine Arbeitsstelle und glaubte, für die Zeit, bis er von seinen Bildern leben könne, hätte er genug Geld gespart. Doch die Ersparnisse waren bald aufgebraucht, und von den wenigen Bilderverkäufen konnte er seine Familie nicht ernähren. Mette kehrte mit den Kindern nach Kopenhagen zurück.
Es war damals sehr viel ungewöhnlicher als heute, dass ein Mann seine Familie verlässt und die Frau für den Lebens- unterhalt sorgt. Zuerst versuchten wohl auch Mette und Paul, ein gemeinsames Leben zu führen. Doch Mette verstand nicht, warum ihr Mann plötzlich nur noch malen wollte, anstatt wie bisher tagsüber in der Bank zu arbeiten und nur in der Freizeit zu malen. Paul folgte zwar seiner Familie nach Dänemark, doch dort hielt er es nicht lange aus.


Camille Pissaro (1830–1903), der das Bild mit dem Titel blühender Obstgarten malte, wurde später ein guter Freund von Gauguin.



Die Bretagne

Gauguin war nach einem halben Jahr wieder zurück in Frankreich und versuchte als Maler bekannt zu werden. Aber es klappte nicht. Die Art, wie die Impressio- nisten malten, gefiel ihm nicht mehr. Er wollte nicht malen, wie die Natur in einem bestimmten Augenblick aussieht. Er wollte etwas anderes. Aber er konnte noch nicht genau sagen, was. Und Bilder, mit denen er zufrieden war, gelangen ihm auch nicht. Ein Jahr nachdem Gauguin aus Dänemark zurückgekehrt war, verließ er das teure Paris und ging in die Bretagne. Das ist eine Gegend im Nord- westen Frankreichs, direkt am Meer. Dort sprechen die Menschen ihre eigene Sprache und feiern Feste, die man im restlichen Frankreich nicht kennt. In einem kleinen Ort direkt an der Küste, in Pont-Aven, hatten sich bereits einige andere Künstler niedergelassen. Sie waren von der wilden Landschaft und den dort lebenden Menschen begeistert.
Ihnen schloss sich Paul Gauguin an. In der Bretagne gelang es Gauguin zum ersten Mal, so zu malen, wie
er es sich in letzter Zeit vorgestellt hatte. Er wollte, dass die Farben eine Geschichte erzählten. In einem der ersten Bilder aus Pont-Aven malte er vier bretonische Frauen. Man erkennt sie vor allem an den weißen Hauben, die damals alle Mädchen und Frauen dort trugen. Die Frauen stehen in einem Kreis zusammen und reden miteinander. Jedenfalls heißt der Titel SCHWÄTZENDE BRETONISCHE FRAUEN.


Gauguin nannte das Bild schwätzende
bretonische Frauen.



Doch die Frauen reden eigentlich gar nicht miteinander, sondern beschäftigen sich bis auf eine mit sich selbst. Diese eine, die links steht, stupst ihre Nachbarin an und scheint tatsächlich auf sie einzureden. Die Angesprochene hat die Arme in die Hüften gestemmt und wendet uns den Rücken zu. Rechts von ihr steht eine weitere Frau, die in der einen Hand einen Schuh hält. Mit der anderen macht sie irgendetwas an ihrem Kleid und schaut ganz konzentriert hin. Auch die Frau, die den drei anderen gegenübersteht, schaut nach unten.
Was das Bild damals so außergewöhnlich machte, sind die großen Farbflächen: vor allem die strahlend weißen Hauben, aber auch die roten und grünen Röcke und die gelbe Wiese. Durch sie leuchtet das ganze Bild und wirkt deshalb lebendig. Ähnlich ist das bei einem anderen Bild, das drei tanzende Mädchen zeigt.
Das Bild heißt drei mädchen tanzen eine bretonische
gavotte im heu. Die Gavotte ist ein alter Tanz, der früher an den Höfen der Fürsten und Könige getanzt wurde. Später war er nur noch in der Bretagne verbreitet. Obwohl die Mädchen mit ihren Holzpantinen an den Füßen nicht ausgelassen hüpfen und ihre Röcke auch nicht flattern, sondern ganz gerade herunterhängen, wirkt das Bild kein bisschen langweilig. Das liegt wieder an den Farben, die Gauguin für sein Bild wählte. Die drei Mädchen tragen ziemlich dunkle Kleider. Deshalb leuchten die weißen Kragen und vor allem die Hauben. Auch die roten Blumen, die die vorderen beiden Mädchen angesteckt haben, fallen sofort ins Auge. Und ganz besonders intensiv wirkt das gelbe Heu, das den Boden bedeckt, auf dem die Mädchen ihren Tanz aufführen.



Diese Mädchen tanzen eher langsam.



Die drei Mädchen fassen sich zwar an der Hand, drehen sich aber doch voneinander weg. Sie wirken auch nicht so, als ob sie Lust hätten zu tanzen. Auf dieses Bild war Gauguin besonders stolz, weil es ihm gelungen war, die Lebendigkeit allein durch Farben zu erreichen, nicht durch Bewegung, so wie du es in dem ersten Bild von Kirchner gesehen hast. Aber es gab natürlich auch zu Gauguins Zeit Künstler, die den Tanz anders darstellten. Jules Breton (1827–1906) malte zum Beispiel 1875 ein Bild, auf dem eine Gruppe von Leuten um das Johannisfeuer tanzt.


Am Johannistag tanzen die Menschen um ein großes Feuer.



Am 24. Juni ist der Tag des heiligen Johannes, und an diesem Tag wird in vielen Gegenden Europas gefeiert und ein Feuer angezündet – das Johannisfeuer. Auf dem Bild siehst du im Hintergrund einen hohen Kirchturm. Dort liegt der Ort, aus dem die Menschen wegen des Johannisfeuers auf die Felder gekommen sind. Im Vordergrund des Bildes haben sich sieben junge Frauen an den Händen gefasst. Sie bilden einen Kreis um das Feuer und tanzen. Das erkennst du an ihren schwingenden Beinen und an den flatternden Röcken.


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Texte: ISBN: 978-3827052988
Tag der Veröffentlichung: 06.11.2009

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