(Viastra – 226 Jahre n. R. Siebter Tag der Erprobung)
Valandra schritt durch den großen Tempel, Angst hatte sie keine, denn sie kannte die Gefahren, die hier lauerten. Die Geister hatten sie ihr verraten. Sie sog tief den Atem ein, sammelte die Magie um sich herum und lächelte der lauernden Gefahr ins Gesicht, während sie von Blitzen umspielt wurde. Es war lange her, dass sie einen echten Tempel betreten hatte und als sie eintrat, stutzte sie. Das Bauwerk schien voll und ganz aus schwarzem Stein geschlagen worden sein. Es gab keine Übergänge zwischen den verschiedenen Steinen, sodass es so aussah, als hätte man einen Berg von innen ausgehöhlt.
„Ahh, die große Schamanin stattet uns einen Besuch ab.“, erklang die kalte Stimme des Priesters der dunklen Sonne, doch Valandra verspürte keine Furcht vor dem nahenden Unheil.
„Ich wollte mir nur eine Tasse Zucker borgen.“, rief Valandra in die Dunkelheit, die nur zu einem kleinen Teil von den Blitzen erhellt wurde. Die Dunkelheit füllte sich wieder mit Stille, bis ein aufflackern magischer Energie ihre Aufmerksamkeit erregte. Mit einem lauten FAP ging einer der Zunderkrüge in hellem Feuer auf. FAP, FAP, FAP, weitere drei Feuer erhellten die Dunkelheit vor ihr. Um sie herum herrschte noch immer die Namenlose Dunkelheit vor.
„Es war ein Fehler her zu kommen Schamanin.“, sprach die Stimme des Priesters der dunklen Sonne noch immer aus der undurchdringlichen Dunkelheit. Lediglich Umrisse des Mannes konnte sie sehen, eine im Feuerschein matt schimmernde Krone lag auf seinem Kopf, während er auf seinem Thron saß, den Kopf mit der Hand abgestützt, lediglich ein kleiner Teil seines Gesichtes im Licht des flackernden Feuers erhellt, der Rest des Gesichts in Dunkelheit gehüllt.
„Es war ein Fehler hier zu sein, wenn ich komme Priester.“, gab Valandra zurück und lächelte sanft in die Dunkelheit herein.
„Großmutter, was geschah dann?“, fragte Dianere gespannt, doch ihre Großmutter lächelte lediglich.
„Tja… Das weiß niemand so wirklich, es ist die letzte von vielen Geschichten der unerschrockenen Schamanin Valandra.“, erklärte ihre Großmutter mit einem Schmunzeln, der Federschmuck in ihrem Haar wehte leicht im Wind hin und her, der sie immer umgab, egal was passierte.
„Aber das geht doch nicht, die Geschichte ist doch noch nicht zu ende.“, meckerte Dianere und ihre Großmutter lachte gutmütig.
„Ich habe ja auch nicht gesagt, dass die Geschichte bereits beendet ist, nur, dass es ab hier verschiedene Versionen dessen gibt, was passiert ist oder passiert sein könnte.“, lachte die greise alte Frau und wuschelte dem 6 Jährigen Mädchen durchs Haar.
„Dann erzähl weiter Oma, bitte…“, quengelte Dianere und ihre Großmutter lachte und schüttelte gutmütig den Kopf. „Nein Dianere, für heute ist es genug, die letzten Geschichten von Valandra werde ich dir erzählen, wenn du alt genug bist, sie zu verstehen.
„Was soll das heißen?“, fragte Dianere trotzig und ihre Großmutter lachte.
„Das bedeutet, dass du zwar ein schlaues Kind bist, aber manche Dinge einfach nicht für die Ohren von Kindern bestimmt sind. Ich werde dir den Rest der Geschichte erzähle wenn du Älter ist, wenn du die Erprobung gemeistert und dein Totem errungen hast.“, lächelte ihre Großmutter und Dianere schaute sie missmutig an.
„Sind die Geschichten um Valandra denn wahr?“, fragte Dianere letztendlich und ihre Großmutter grinste breit.
„Das mein Kind, wirst du selbst entscheiden müssen, wenn du soweit bist.“, lachte ihre Großmutter und Dianere kicherte.
„Wenn das so ist, entscheide ich, dass sie wahr sind und wenn ich groß bin, werde ich es genauso machen wie Valandra und den Stamm verlassen um die Welt zu entdecken und Abenteuer erleben. Glaubst du, dass sie es mir erlauben werden?“, gab Dianere zurück und lächelte ihre Großmutter fragend an. Ihre Großmutter dachte darüber nach und lächelte dann.
„Nun, es ist ohne Frage ein eigenartiger Wunsch, aber einer neuen Schamanin wird nachdem sie ihr Totem empfangen hat von den Stammesältesten ein Wunsch gewährt. Es ist zwar noch nicht oft vorgekommen, aber ich bin mir sicher, dass sie dir nicht verwehren werden zu gehen, wenn es dein aufrichtiger Wunsch ist. Wenn du es dann überhaupt noch möchtest.“, lächelte die alte Frau und Dianere setzte erneut dieses Lächeln auf, was so aussah, als hätte sie auf einen Schlag ihr ganzes Leben neu durchgeplant. Die alte Frau seufzte und erhob sich von ihrem Stuhl.
„Wieso sollte es denn nicht mehr so sein, wenn ich groß bin?“, fragte Dianere und die ihre Oma lächelte leicht.
„Erinnerst du dich daran, als du Piratin werden wolltest?“, fragte ihre Oma und Dianere verzog das Gesicht, als würde sie sich an etwas besonders schlimmes erinnern.
„Piratinnen tragen Ringe im Gesicht und kacken ins Meer…“, erklärte Dianere peinlich berührt, als wären dies allein die Gründe dafür, dass sie diesen Traum aufgegeben hatte, ihre Großmutter lachte ergriffen und wuschelte ihr erneut übers Haar. Dann küsste sie ihre Stirn und verließ das Zimmer mit einem Lächeln.
"Gute Nacht meine kleine Abenteurerin.“, erklärte sie und winkte ehe sie die dünne Tür leise zu zog.
„Gute Nacht Großmutter…“, seufzte Dianere und blickte an die Zimmerdecke. Sie würde es allen zeigen, sie würde allen beweisen, dass ihre Träume nicht nur Träume waren. Sie würde die Welt entdecken und Abenteuer erleben. Genauso wie Valandra, denn das war ihr großer Traum und sie würde nicht zulassen, dass ihr jemand diesen Traum verdarb. Sie würden es alle sehen.
(Zaviria – 239 n. R. 16ter Tag des dritten Sommermondes)
Ein Schrei gellte durch die Dunkelheit, so laut, dass Sianthra vom Kräuter Pflücken hochschreckte und kurz vergaß warum sie hier war. Diese Chance Mondkrähe zu sammeln, würde sie so schnell nicht mehr haben. Mondkrähe war der Name für eine bestimmte Kräutergattung, die sie um Mitternacht pflücken musste. In einer Vollmondnacht. Natürlich verschwanden diese Kräuter nicht, wenn die Sonne wieder aufging, aber ihre magische Wirkung steigerte sich exponentiell, wenn man sie mitten in einer Vollmondnacht pflückte. Sobald diese Kräuter von der Erde getrennt wurden, behielten sie ihre magische Wirkung, sogar wenn sie getrocknet oder gekocht wurden. Diese Kräuter waren nicht nur natürliche Magiespeicher, sondern sie nutzten diese Magie um ihre eigene Wirkung zu steigern, was wahrhaft bemerkenswert war. Sie schaute in ihren Beutel, der halb voll war. Sie würde vielleicht noch 5 Minuten haben, bis Mitternacht vorüber war und die Wirkung der Kräuter allmählich wieder abnehmen würde. Schnell beugte sie sich wieder herunter und schnitt mit ihrem Klappmesser weitere Kräuter von der Erde frei. Erneut gellte ein Schrei durch die Nacht, doch Sianthra ließ sich nicht beirren Kraut um Kraut schnitt sie ab und verstaute sie im Beutel, der sich innerhalb der fünf Minuten auf drei Viertel der Fülle steigerte. Das musste erst einmal bis zum nächsten Vollmond reichen. Sie wischte die Klinge des Klappmessers am festen Leder des Beutels ab und verstaute es in einer schmalen Lederscheide am Gürtel, dann band sie den Lederbeutel mit den Kräutern an ihrem Gürtel fest und schaute zum Mond hinauf. Erneut gellte ein Schrei durch die Nacht und diesmal fluchte Sianthra und setzte sich in Bewegung, sprang über die schmalen Gräben, welche die Felder säumten, die ihr in den letzten Jahren so bekannt geworden waren. Die Nacht in dieser Gegend hielt viele unschöne Überraschungen bereit und nur die wenigsten davon fanden an der frischen Luft statt und waren obendrein erfreulich. Wer hier überleben wollte, sollte in der Nacht im Haus bleiben und laute Geräusche, solange sie nicht von zerbrochenen Fenstern her rührten, nach Möglichkeit ignorieren. Sie gehörte zu den Menschen, die bei lauten Geräuschen generell als erstes die Tür aufriss. Nicht weil ihr Leben ihr nichts bedeutete, sondern weil sie es als Teil ihrer Berufung betrachtete zu helfen. Sie war die Kräuterheilerin des kleinen Ortes und zwar die Sorte Kräuterheilerin, die auch zupacken konnte, wenn es hässlich wurde. Das hatten sowohl zudringliche Männer, wie auch die Bestien der Nacht in der Vergangenheit zu Genüge am eigenen Leib erfahren. Sie sprang über einen besonders breiten Graben, der ihr zeigte, dass sie dem Stadtzentrum näher kam, als der Schrei erneut erklang. Mit schnellen Schritten schlich sie geduckt und so leise wie möglich auf die Quelle der Schreie zu. Auf dem Feld stand eine junge Frau, die gerade dazu ansetzte einen erneuten Schrei gen Himmel zu schicken, als ihr Sianthra einen leichten Schlag gegen den Hinterkopf verpasste, der sie inne halten ließ.
„Wonda, willst du sterben? Warum schreist du Nachts hier draußen so rum?“, zischte Sianthra und Wonda drehte sie mit vor Schreck geweiteten Augen zu ihr um. Der Grund für ihr Gekreische lag einige Meter von ihr entfernt im Gras und bewegte sich nur unter Krämpfen. Ein nackter Mann lag auf dem Feld vor ihr und blutete aus mehreren tiefen Wunden, die seine Brust bedeckten.
„Sianthra, Gott sei Dank, was soll ich nur tun, er lag da und ich…“, begann Wonda wie üblich viel zu laut zu plappern.
„Du könntest erstmal den Mund halten und ihn tragen helfen.“, erklärte Sianthra ruhig und Wonda blickte sie an, als hätte sie, sie gerade darum gebeten nackt über eine Wasseroberfläche zu tanzen.
„Was?“, fragte Sianthra genervt davon, dass Wonda so verdammt zimperlich war.
„Er… Er ist nackt.“, erklärte sie, als würde es alles erklären. „Und du bist dämlich. Du hast drei Kinder, also tu nicht so als hättest du noch nie einen nackten Mann angefasst.“, erklärte sie und schenkte ihr einen vielsagenden Blick, der ihr selbst in dieser Dunkelheit ganz klar zeigte, dass Sianthra sehr genau wusste, dass vielleicht eines davon wirklich von ihrem Gatten stammte. Wonda schluckte und zischte verächtlich. Sianthra ging auf den Mann zu. Ein bernsteinfarbener Glanz lag in seinen Augen und eine der Wunden auf seiner Brust begann allmählich wieder damit sich zu schließen. Das war nicht gut.
„Wonda, nimm seine Füße und kein Wort zu niemanden, bis wir genaueres wissen.“, stieß Sianthra hervor und musste innerlich grinsen. Natürlich, diese Frau darum zu bitten die Klappe zu halten war ungefähr so sinnvoll wie der Versuch einem Sanddämonen mithilfe von Essstäbchen Vernunft einzuprügeln. Wahrscheinlich würde morgen jeder einzelne Dörfler bereits vor dem Aufstehen darüber Bescheid wissen, dass Sianthra einen nackten Mann bei sich zuhause beherbergte. Was auch sonst, als Kräuterheilerin hatte sie ohnehin schon den Ruf weg, sich von jedem Mann besteigen zu lassen, der nicht bei drei auf dem Baum war, also störte es nicht.
„Ganz ruhig, ich will dir helfen.“, flüsterte sie so, dass nur er sie hören konnte. Der aggressive Glanz in seinen Augen ließ allmählich nach und er verzog von Schmerz erfüllt das Gesicht. Fürs erste würde der Mann sie nicht angreifen und sie bezweifelte stark, dass ihr Klappmesser gereicht hätte um sich und Wonda vor diesem Mann zu verteidigen, selbst wenn er verletzt war, wie in diesem Fall. Gut, dass er sich entschieden hatte friedlich zu bleiben. Sie zog zwei Blätter aus einer der zahlreichen Taschen ihres Mantel und steckte sie ihm zwischen die Lippen.
„Kauen, nicht runterschlucken, es hilft gegen die Schmerzen und lindert mögliche Entzündungen.“, erklärte sie ruhig und der Mann begann wiederwillig zu kauen, als Sianthra seine Arme packte um ihn anzuheben. Wonda, die sich noch immer zierte ihn anzufassen brachte Sianthra zum Seufzen.
„So macht das Abschleppen echt keinen Spaß, kannst du laufen, wenn ich dich stütze?“, fragte sie und schmale Reste von Wunden an seinen Beinen wiesen darauf hin, dass die Wunden, die er dort zuvor gehabt hatte bereits wieder verheilt waren. Er versuchte aufzustehen, Blut spritzte aus zwei der tieferen Wunden auf seiner Brust, allerdings, würde er da durch müssen, jedenfalls, wenn Wonda nicht allmählich damit anfing sich daran zu erinnern, dass alle Menschen, auch Männer, nackt das Licht der Welt erblickten. Der Mann ächzte, als er sich vollständig erhob. Sianthra griff sich seinen Arm und schlang ihn um ihre Schulter.
„So hast du dir das erste Date bestimmt nicht vorgestellt.“, seufzte sie und schüttelte den Kopf. Der Mann brachte ein raues Husten hervor, was wohl zuerst ein Lachen sein sollte. Versagt.
„Wonda, du solltest nachhause zu deinem Mann gehen, dein nächtliches Date wird nicht auftauchen nur Idioten laufen um diese Zeit hier draußen rum.“, erklärte sie und grinste dann.
„Idioten, nackte Männer und Kräuterkundige.“, verbesserte sie und Wonda ließ einen Laut der Entrüstung erklingen. Sianthra war sich sicher, dass sie diese Entrüstung spätestens Morgen zu spüren bekommen würde. Wonda war eine ausgewachsene Labertante, die ohne täglich das eine oder andere Gerücht in die Welt zu setzen oder Klischee zu bedienen nicht leben konnte. Furchtbar. Nur Gut, dass die Meisten der Dorfbewohner sie mittlerweile zu gut kannten um alles zu glauben, was Wonda so erzählte. Sie stieß einen Seufzer aus, als das Gewicht des Mannes sich erhöhte. Das Beruhigungs- und Schmerzmittel, was sie ihm gegeben hatte machte ihn benommen, würde ihn aber nicht einschlafen lassen. Noch nicht.
„Was machst du heute Nacht hier draußen und warum bist du nicht pelzig, wie deine Freunde?“, fragte sie und schaute den Mann an, der sie aus seinen bernsteinfarbenen Augen ansah.
„…Keine Freunde…“, brachte er mit schwacher Stimme hervor. Na klasse, ein Risiko also.
„Ein einsamer Wolf hm?“, fragte Sianthra und lächelte leicht, während sie ihn mehr stützte. Er roch nach Gras und der leichte metallische Geruch von Blut stieg ihr in die Nase. Außerdem war da dieser andere, vorherrschende Geruch, den Sianthra nicht einordnen konnte.
„…Tötest… mich jetzt?“, krächzte er und Haley grinste boshaft.
„Falsche Adresse, ich bin eher für das andere Ende der Interpretation. Ich werde dich nicht töten, wenn du mir versprichst, dass du die Bewohner dieses Dorfes nicht in Gefahr bringst.“, entgegnete sie und der Mann schnaubte.
„Ich…“, begann der Mann und hustete. Sianthra legte ihm einen Finger auf die Lippen.
„Liebesbekundungen und Lobpreisungen kannst du loswerden, wenn du dich ausgeruht hast, versprich mir nur, dass du nicht pelzig wirst, ansonsten muss ich dich außer Gefecht setzen und ich bin mir nicht sicher, ob du das überlebst. Erneut vermischte sich ein Krächzen mit einem Husten aus dem Hals des Mannes. Mit einem breiten Lächeln ahmte sie sein ächzen nach.
„Klingt es so, wenn einer wie du verreckt? Sollte ich mich beeilen?“, fragte sie und grinste breit. Erneut ein Husten und Krächzen.
„Glaub mir, wenn ich dir sage, dass du auf diesem Acker hier nicht sterben willst. Die Käfer hier sind wahnsinnig groß, die schlucken dich in einem Stück herunter, wenn sie es drauf anlegen.“
„Wunden … heilen… bereits…“, brachte er heraus, was ihm sichtlich Mühe machte.
„Das ist gut und schlecht. Die Vollmondphase hat schließlich grade erst begonnen und ich kann es wirklich nicht gebrauchen, wenn du anfängst innerhalb meines Hauses dein Revier zu markieren.“, erklärte sie mit einem Anflug von Ernsthaftigkeit, was ihrem zärtlichen Lächeln zuwider sprach.
„Noch …Weit?“, fragte er und sie lachte leise.
„Nein, da vorne. Du musst dir mein Gerede nicht mehr lange anhören, keine Sorge.“, entgegnete sie und er schnaubte.
„Sprich weiter… Hält… Wach.“, brachte er hervor und Sianthra versuchte mit den Schultern zu zucken, was ihr gründlich misslang. Das mit dem Schulterzucken funktionierte deutlich besser, wenn man keinen Mann von ca 90 Kilo, versuchte auf der Schulter zu stützen.
„Mein Name ist Sianthra, kannst mich Sia nennen, wenn dir mein Name zu lang ist. Wie heißt du?“, gab sie zur Antwort und lächelte ihn an, während sie ihm auf ihre Hütte zu torkelte, die etwas abseits stand, wie es sich für eine echte Kräuterkundige gehörte. Nur die uncoolen Kräuterfrauen wohnten direkt im Dorf. Zuviel Trubel, zu viele Männer und Kinder, die über ihren Kräutergarten trampelten.
„Jiro…“, erklärte er ruhig und versuchte sich an einem Lächeln, was ihm gründlich misslang.
„Das konnte ich schon fast ernst nehmen, schön dich kennen zu lernen. Weißt du, normalerweise lerne ich die Leute, die ich zu mir nachhause einlade erstmal kennen, aber anscheinend muss unsere flüchtige Bekanntschaft erstmal auf mehr Informationen bei fortgeschrittener Genesung warten. Wenn man bösen Zungen wie der von Wonda glaubt nehme ich allerdings Gage, ehe ich einen Mann zu mir nachhause einlade.“, grinste sie und musste über ihre eigene Offenheit lächeln.
„Keine… Hure… Riechst nicht wie eine… Sie allerdings…“, erklärte er ausgezehrt und Sianthra musste lachen. Na klasse. Jetzt wusste sie schon wieder mehr über Wonda, als ihr lieb war.
„Wie riecht denn eine Hure?“, fragte sie neugierig und erneut dieses röchelnde Lachen, allerdings schien es allmählich besser zu werden.
„Später…“, seufzte er und Sianthra nickte. Später war eine gute Idee. Vollständige, zusammenhängende Sätze waren ihr deutlich lieber. Sie sog tief den Atem ein, als sie ihren Arm ausstreckte um die Türklinke herunter zu drücken und die Tür zu öffnen. Sie führte ihn zu einem Gästebett, dort legte sie ihn behutsam ab.
„Ich…“, begann er erneut. Sianthra schüttelte den Kopf und blickte ihn an.
„Ruh dich aus, werde nicht pelzig. Wir unterhalten uns Morgen.“, erklärte sie und streckte sich, ebenfalls müde, ihr entging nicht, dass er sie anstarrte.
„Was?“, fragte sie und der Mann schüttelte etwas beschämt den Kopf. Sie kramte in ihren Taschen herum und legte zwei Pastillen auf den Tisch neben dem Gästebett und lächelte.
„Falls du pelzig werden solltest, nimm diese Dinger, das ist ein starkes Beruhigungsmittel und dürfte dich eine Zeit lang lahm legen, wenn es drauf ankommt.“, erklärte sie und lächelte, der Mann erwiderte ihr Lächeln so gut er es vermochte und seufzte dann, als Sianthra Verbandszeug aus einer Schublade zog.
„Nicht nötig…“, stieß er hervor und lächelte.
„Ich weiß, dass eure Regenationsfähigkeiten stark sind, aber das ändert nichts daran, dass die Wunden sich sehr langsam schließen und du mir hier alles vollblutest, wenn ich es nicht verbinde, also mach keinen Ärger und füge dich deinem Schicksal.“, lächelte sie und begann damit seine noch übrigen Wunden zu verbinden. Ihr Blick war der einer jeden Kräuterkundigen oder Heilerin. Teilnahmslos auf die Wunden und deren Beseitigung fixiert. Sie nahm zwar nach wie vor wahr, dass er nackt war, aber es interessierte sie nicht. Sie hatte in ihrem Leben viele Männer gekannt und war nicht mit wenigen von ihnen intim geworden, trotz bestimmter Ereignisse in ihrer Vergangenheit. Trotz allem, war sie jetzt eine reine Heilerin, so jungfräulich, wie frisch gefallener Schnee… Jedenfalls wenn der Schnee gerne oben drauf lag. Sie seufzte und befestigte den Verband, den sie fachmännisch umgelegt hatte.
„Also gut. Auf die Heilkräuter kann man bei dir erstmal verzichten. Wenn du etwas brauchst ruf einfach, die Hütte ist recht klein, ich sollte dich also notfalls hören.“, erklärte sie mit einem breiten Lächeln. Er nickte und legte sich auf das Bett, sie war ihm eine Decke zu.
„Hier, falls dir in deinem Adamskostüm zu kalt wird.“, erklärte sie und verließ den Raum ohne ein weiteres Wort.
Der Geruch sprach für sich selbst, genauso wie die Klänge, die durch den dichten Nebel aus Zigarettenrauch zu ihr hinüber wehten. Es war unglaublich, dass der Geruch schwitzender Männer den Geruch von Zigaretten und anderen Genussmitteln entgegenwirken konnte, aber offensichtlich war es mehr als nur möglich. Val lehnte an einer Holzbank, welche die Absperrung zwischen ihr und der Menge und der tobenden Menge um sich herum ausmachte. Lachend sprang ein barbrüstiger Mann über eine der Holzbänke und präsentierte die Muskeln seines Oberkörpers, während er einen tiefen Schluck aus einer Bauchigen Flasche nahm, die eine alkoholische Flüssigkeit enthielt, deren Geruch sogar ohne Weiteres zu ihr hinüber wehte.
„Pass mal auf Püppchen, erst hau ich dich weg und dann knall ich dich weg… Kapiert?“, brüllte der Mann und Val verdrehte die Augen, während er seine Flasche auf dem Rand der Holzbank alias Ringbegrenzung stellte. Ihr Blick vom dichten Zigarettenqualm benebelt lächelte sie dem Mann entgegen. Muskulöser Oberkörper, kantiger Kiefer und eine eher drahtige Statur, er schien öfter hier zu kämpfen, denn die Menge jubelte ihm zu. Sie seufzte leicht und wischte sich mit einem weißen Taschentuch die Stirn ab. Es war viel zu warm hier drinnen, oder lag das einfach nur an der dicken Luft? Sie stieß sich von der Holzbank ab und lächelte, das Taschentuch noch immer in der Hand haltend. Der Mann kam langsam auf sie zu und hob die Fäuste, seine Brust- und Bauchmuskulatur glänzte im Schein des Lichts vor Schweiß und Val lächelte leicht. Sie selbst trug lediglich eine Hose und einen BH. Eine Art Restwürde, den die Organisatoren dieser Kämpfe weiblichen Kämpfern zugestanden. Wo auch immer der Sinn darin lag, dass alle Kämpfer hier prinzipiell oberkörperfrei kämpften.
„Sag mal Puppe… wann hast du das letzte Mal geduscht? Muss ein Weilchen her sein, ich habe dich schon gerochen, bevor ich dich gesehen habe.“, lächelte Val und hob ebenfalls die Fäuste.
„Sei mal nicht so vorlaut Schlampe, du wirst mir nach her noch den Schweiß ablecken, wenn ich mit dir fertig bin.“, grinste er und Val grinste verschlagen.
„Na da bin ich ja mal gespannt.“, entgegnete sie und tupfte sich erneut den Schweiß von der Stirn. Der Gong erklang und erneut wurde die Meute um sie herum unruhig. Der Kampf begann. Stinker begann den Angriff, war nicht anders zu erwarten. Val grinste und warf ihm das Taschentuch ins Gesicht, was sich direkt vor seiner Nase entfaltete und ihm somit für wenige Sekunden die Sicht nahm. Genug Zeit für Val um unter seinem Angriff hindurch zu tauchen und seinen verschwitzten Arm zu packen. Ein schneller, harter Schlag folgte gegen den Ellbogen. Ein lautes Krachen, was in einem noch lauteren Geschrei unterging, was Stinker ausstieß, als er die Folge des Schlags wahrnahm. Val ließ drei schnelle Angriffe auf ihn hageln. Ein Schlag gegen die linke Niere, einer gegen den Solarplexus und einer gegen den Kehlkopf. Röchelnd brach der Mann zusammen und hielt sich mit dem einen Arm, den er zu bewegen noch fähig war den Hals, während er krampfhaft versuchte Luft zu holen. Sie hatte darauf geachtet, dass sie den Kehlkopf mit ihrem Angriff nicht einquetschte, was tödliche Folgen gehabt hätte, jedoch würde der Schlag in den Solarplexus noch eine Zeit lang verhindern, dass er richtig Luft bekam. Er ging in die Knie und Val lächelte ihn an.
„Jetzt wo ich dich weg geknallt habe, was habe ich wohl als nächstes vor?“, fragte sie lächelnd und verließ einfach den Ring, indem sie über eine der Bänke sprang, nachdem der Ringrichter den Kampf zu ihren Gunsten entschieden hatte. Sie verbeugte sich noch einmal kurz, dann verließ sie die weitläufige Halle, ohne dass sie jemand ansprach. Starke Frauen hatten einen Nachteil. Die meisten Männer rechneten sich Chancen bei Frauen aus, die sie ohne weiteres überwältigen konnten, Val würde niemand leichtfertig zu überwältigen versuchen. Viel mehr, würden sich die meisten Männer bei einer Auseinandersetzung mit ihr eher dafür entscheiden schleunigst das Weite zu suchen. Mit langsamen Schritten durchquerte sie den kleinen Umkleideraum, der nicht für Frauen, sondern größtenteils für Männer gedacht war. Es gab nur den einen, also nutzte sie ihn mit. Ein Grund mehr, warum die solche Veranstaltung in der Regel früher verließ als alle anderen. Es ließ sich schwer erklären, warum sie dem Topkandidaten der nächsten Kämpfe die Nase gebrochen hatte, vor allem nur aus dem Grund, weil er ihr nachgepfiffen hatte. Sie hasste das. Mit einer schnellen geübten Bewegung öffnete sie den Verschluss des BHs an ihrem Rücken und er glitt herunter. Sofort fischte sie einen neuen aus dem kleinen Spint und zog ihn an, ehe sie sich ein Top überzog. Normalerweise hätte sie sich noch den ganzen Schweiß weg geduscht, aber sie neigte dazu sich beim Duschen Zeit zu lassen und es war eine unsagbar schlechte Idee nackt zurück in einen Raum voller männlicher Kämpfer zu stolzieren um sich wieder an zu ziehen. Sie würde zuhause duschen. Ein Umstand, der ihr deutlich lieber war, wenn sie genauer darüber nachdachte. Sie streifte die kurze Hose ab, die sie zu Kämpfen trug und schlüpfte in ihre bequeme Straßenhose und schloss den Gürtel, an dem links und rechts ein Halfter hing, die sie nun mit geschickten Bewegungen zwei Dolche steckte. Die Dolche glänzten im matten Licht der Umkleidekabine und waren alles andere als gewöhnlich. Sie waren einschneidig, leicht gebogen und an der unteren Klinge gezackt um notfalls damit sägen zu können. Sie sog tief die Luft ein. Keine gute Idee, zwar war sie früher als die übliche Meute hier, allerdings lag der abgestandene Gestank von schwitzenden Männern noch immer in der Luft.
„Guter Kampf, aber du solltest verschwinden, ehe die Meute zurückkommt. Du hast da grade einen beliebten Kämpfer ins Krankenhaus geschickt.“, erklärte die junge zierliche Frau, die für die Versorgung von Wunden zuständig war. Ihr hellbraunes Haar hatte sie zu einem praktischen Dutt hochgebunden und unter dem zugeknöpften Kittel lag ein hübsches Kleid. Val würde wohl nie verstehen, warum die junge Frau sich für die Versorgung von Wunden und Verletzungen bei Straßenkämpfen hergab, obwohl sie ohne Weiteres ein eigenes Hospiz leiten konnte. Die junge Heilerin war mehr als nur genial, aber da war eine Sache, die Val immer wieder irritierte. Pheia, die junge Heilerin war normalerweise äußerst schüchtern und zurückhaltend, vielleicht auch nur zurückhaltend, aber wenn sie Verletzungen und Wunden behandelte entwickelte diese Frau ein so unheimliches Selbstbewusstsein, dass es schon fast beängstigend war. Das galt auch für Männer, denn keiner wagte es die junge Ärztin anzufassen und das obwohl sie wirklich mehr als nur schön und niedlich war. Sie konnte einem Mann ins Herz treffen, ohne dass sie es wahrnahm. Das war ihr Ding, ihr Naturell, genau wie das heilen. Das bei ihr so selten jemand zudringlich wurde lag zur einen Seite daran, dass sich die meisten Männer vor dem Dolch fürchteten, den sie stets an ihren Oberschenkel schnallte und damit sorgsam unter Kleid und Kittel verborgen hielt und andererseits an ihrer Fähigkeit der Wassermagie, die sie oftmals nutzte um schwere Wunden zu heilen. Ihr gegenüber war Pheia anfangs auch sehr misstrauisch gewesen, doch sie hatten sich schnell angefreundet. Val hatte nichts dagegen tun können, die tollpatschige und andererseits ernste Art der jungen Frau musste man einfach gern haben.
„Bist du später noch im Hellhounds Inn?“, fragte Pheia und Val lächelte leicht.
„Ein oder fünf Drinks kann ich sicherlich noch mit einbauen.“, grinste Val und Pheia schenkte ihr ein leichtes Lächeln. „Du weißt doch ganz genau, dass ich keinen Alkohol trinke. Aber auf ein bis fünf Gläser Wasser oder Saft wäre ich dabei.“, grinste die junge Heilerin.
„Ach Mann Pheia… du bist manchmal eine solche Langweilerin…“, seufzte Val mit gespielter Entrüstung. Irgendwie hatte sie sich in den Kopf gesetzt die jungfräulich wirkende Hülle, die Pheia umgab eines Tages zu knacken und sie komplett abzufüllen. Bis zu diesem Tag würde jedoch noch einige Zeit ins Land ziehen müssen.
„Ich weiß ja, dass du es nicht so meinst.“, erklärte Pheia mit einem zärtlichen Lächeln auf den Lippen und kam langsam auf sie zu.
„Soll ich mir nochmal mögliche Verletzungen ansehen bevor…“, begann sie, rutschte auf einem am Boden liegenden Handtuch aus und fiel Val, die innerhalb eines Sekundenbruchteils reagiert hatte in die Arme. Val grinste sie an und streichelte ihr durch das braune Haar.
„Du willst dir also nochmal eine kostenlose Probe meiner nackten Schönheit einholen, bevor du mich später abfüllst um mich dir vollkommen willenlos und gefügig zu machen?“, brachte Val leise und zärtlich hervor, sofort sprang die Heilerin auf, lief feuerrot an und starrte Val an.
„Nein, also wirklich, wie schaffst du es nur immer alles was ich tue und vorschlage falsch zu deuten?“, stieß sie mit vollkommen rotem Gesicht hervor. Val grinste sie breit an.
„Das ist ein spezielles Talent, Süße.“, seufzte Val erneut mit diesem zuckersüßen und zugleich zweideutigen Klang in der Stimme. Pheia schüttelte seufzend den Kopf, als sie erkannte, dass Val sie lediglich auf den Arm nahm.
„Du bist echt süß, wenn du so ein Tollpatsch bist.“, grinste Val und ging an ihr vorbei.
„Warte… deine Verletzungen…“, begann Pheia erneut, doch Val schüttelte lediglich den Kopf.
„Nicht der Rede wert… Ein paar Prellungen und hier und da ein paar Schrammen, nichts weltbewegendes. Du weißt doch, dass mir keiner der Kämpfer hier das Wasser reichen könnte und abgesehen davon wären die Sorgen bei bewaffneten Kämpfen deutlich angebrachter. Mach dir keinen Kopf, ich komme klar. Ich warte im Hellhounds Inn auf dich, falls du später noch Lust auf das eine oder andere Gläschen haben solltest Süße.“, entgegnete Valery mit freundlichem Klang in der Stimme. Pheia schüttelte Lächelnd den Kopf.
„Du bist wirklich unverbesserlich Val, dann bis später… Und bitte hör auf mich Süße zu nennen, das verwirrt mich. Ich bekomme dann immer den Eindruck, dass du mich aufreißen und abschleppen willst.“, seufzte Pheia und Val musste sich ein breites Grinsen verkneifen.
„Na, möglicherweise liegst du mit der Annahme ja gar nicht mal so falsch.“, antwortete Val mit einem leichten Lachen auf ihre These, dann fiel die schwere Tür der Umkleidekabine hinter Val ins Schloss, sodass sie nicht verstehen konnte, was Pheia entgegnete, jedoch deutete das leichte Scheppern hinter der Tür darauf hin, dass sie erneut auf dem gleichen Handtuch ausgerutscht war. Das leichte und zaghafte Fluchen, was hinter der Tür erklang beruhigte Val und festigte sie in ihrer Auffassung der Tatsachen. Nein Pheia hatte sich nicht verletzt und ja, Val konnte jetzt von hier verschwinden ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Sie liebte die tollpatschige Art der jungen Heilerin. Diese Eigenschaft machte sie in ihren Augen einfach wahnsinnig niedlich.
Vehrzamir, der Mond des Chaos hing als große rote Scheibe am nächtlichen Himmel und erhellte die Welt um Nethar herum im roten Licht. Zalmar und Khesor, die Monde von Ordnung und Reinigung hielten sich mit ihrem Licht geizig zurück. Es schickte sich einfach nicht, dass Ordnung und Chaos zur gleichen Zeit vollständig am Himmel standen und ihr Licht spendeten. Für die meisten Menschen wäre es nun stockfinstere Nacht, denn sie sahen lediglich das Licht des Allmondes Lunar, der den meisten Menschen als einziger Mond Licht spendete. Lunar jedoch ruhte im Augenblick hinter einer dicken Wolkenwand, was ein Segen für viele Gestaltwandler sein musste, denn wenn Lunar nicht sichtbar war konnte er nicht seine komplette Kontrolle über die animalischen Instinkte der Gestaltwandler ausüben. Nethar allerdings war kein normaler Mensch, er war ein Hexenmeister dritten Kreises, was bedeutete, dass ihnen höhere Magie zu Gebote stand als den meisten anderen Menschen. Während Magier ihre komplette Magie Tagsüber über das Licht der Sonne aufnahmen, geboten Hexenmeister über die Magie der Monde, die sie die ganze Nacht mit ihrer vollen Energie versorgten. Natürlich luden sich auch Magier über die Nacht hinweg mit Magie auf, sodass sie diese auch während des Tages nutzen konnten, allerdings hatten sie dann die gleichen Probleme wie Magier in der Nacht. Begrenzte Reserven. Nethar lächelte und sog das Licht Vehrzamirs tief in sich auf. Der Mond des Chaos nahm sofort Einfluss auf seine Gedanken, drohte sie ins Chaos zu stürzen, doch das schwache Rinnsal des Lichts von Zalmar, dem Mond des Chaos hielt alles in einem gebrechlichen Gleichgewicht. Es war eine angenehme Nacht und er genoss es in leicht chaotischen Gedanken zu schwelgen. Chaos machte kreativ, während zu sehr von der Ordnung getrübte Gedanken das Umfeld eher auf die Idee brachten den betroffen möglichst schnell aufgrund einer Zwangsstörung in eine Nervenheilanstalt einweisen zu wollen. Als Hexenmeister hatte man es wirklich nicht leicht. Magier hatten es dann schon deutlich einfacher. Sie nahmen einfach die Macht entgegen, die ihnen die Sonne bereitwillig zur Verfügung stellte. Die Magie der Sonne verfügte über viele verschiedene Eindrücke, Weltanschauungen und Gefühle, sodass immer ein gewisses Gleichgewicht im Inneren des Magiers herrschte. Eine Tatsache, die viele Magier glücklich machen sollte. Es gab Nächte an denen verschiedene Monde gar nicht zu sehen waren und ihre Macht nicht abgeben konnte. Wenn der Mond des Chaos allein am Himmel hing erfüllte ihn die Magie des Chaos allein und das konnte gefährlich für ihn und sein Umfeld werden. Doch Nethar hatte es satt darüber nachzudenken. Er sollte glücklich darüber sein, den dritten Kreis gemeistert zu haben. Die Kreise der Hexenmeister stellten in der Gesellschaft ihren Rang dar und gaben zeitgleich Auskunft über die Macht eines Hexenmeisters. Hexenmeister des ersten Kreises sahen zum Beispiel des Nachts nur einen der Monde, was sie besonders anfällig für das Element ihres Mondes machte und sie zugleich angreifbar machte. Sollte ihr Mond denn nämlich eines Nachts nicht am Himmel stehen war es ihnen nicht möglich Magie aus ihm zu ziehen. Sehr unpraktisch. Nethar konnte drei der neun Monde sehen, was ihn schon deutlich sicherer machte, jedoch lange nicht unangreifbar. Nethar seufzte, trotz der Tatsache, dass sie die Domäne ihres Mondes exakt spüren konnten und somit dazu in der Lage waren sehr viel genauere Zauber zu weben, als zum Beispiel normale Magier, blieb ihnen eben doch ein gewisser Nachteil gegenüber ihren Brüdern und Schwestern der hellen Seite, wie sie sich selbstironisch selbst betitelten. Er sollte nicht weiter darüber nachdenken. Warum zerlegte sein Verstand alles immer wieder in Grundlehren, sobald er über bestimmte Dinge nachdachte? Er stieß einen Abgrundtiefen Seufzer aus.
‚Los Nethar, fokussiere deine Gedanken.‘ Entschlossen schlug er die Augen auf und erblickte die Welt erneut im Rot des Chaosmondes, was ihn erneut dazu brachte darüber nachzudenken alles um sich herum in Schutt und Asche zu legen. Das Rinnsal des blauen Lichts des Mondes der Ordnung half ihm dem Wahnsinn des Chaos etwas zu entkommen. Das beruhigende Licht rief seinen Geist zur Ordnung, während er langsam durch die nächtliche Gegend schlenderte. Er hatte einen Auftrag und er würde ihn erfüllen. Dazu allerdings sollte er seine Gedanken in geraden Bahnen halten. Sein Auftrag war einfach, eine Lapalie gerade zu, dass man einen Hexenmeister des dritten Kreises dazu anwies, jedoch war er einer der wenigen, die den Mond des Chaos überhaupt sehen konnten. Somit war er einer der einzigen die den Fluch, der auf der Farm des Bauern lag überhaupt auflösen konnte. Aus Chaos gewobene Zauber oder Flüche konnten nur von fähigen Chaoswebern oder Ordnungswebern gelöst werden und da der Mond der Ordnung heute Nacht nur schwaches Licht und damit schwache Magie bot musste man eben Nethar ausschicken. Der 23 Jährige Hexenmeister sollte sich wohl geehrt fühlen eine solche Aufgabe übernehmen zu dürfen, aber viel lieber hätte er geschlafen. Warum mussten die Besitzer der Farm auch gerade dem Fluch eines Chaoswebers zum Opfer fallen?
‚Damit du dich beweisen kannst und jetzt denk nicht drüber nach und vermassele es nicht.‘, meldete sich seine nervige innere Stimme zu Wort, die ihn einfach nicht allein lassen konnte. Man hatte ihm von Anfang an gesagt, dass Hexenmeister, die zwei Gegensätzliche Mächte nutzen konnten zwar sehr stark werden konnten aber noch öfter dem Wahnsinn anheimfielen als normale Hexenmeister und deshalb auf sich selbst achtgeben sollten. Er hatte es sich ja nicht ausgesucht sowohl Ordnung wie auch Chaos nutzen zu können. Als er es seinen Lehrmeistern erklärt und bewiesen hatte war er sofort in den dritten Kreis der Magie aufgenommen worden, doch zur gleichen Zeit war er in die Gefahrenstufe 9 eingestuft worden. Die Gefahrenstufe, denen auch potenziell wahnsinnige Hexenmeister eingestuft wurden. Er hätte nie gedacht, dass sein sich allmählich zersetzender Verstand sich mit einer nervigen inneren Stimme bei ihm melden würde. Er atmete tief durch und schritt weiter durch die, in rot getauchte Dunkelheit. Es war nicht mehr weit bis zur Farm und allmählich begann Nethar sich zu fragen ob der Fluch der gewoben worden war um dem Bauern zu schaden wohl der Magie des Chaos oder der Magie der Ordnung entsprang. Wenn es nach ihm ginge würde er weder das eine noch das andere zerschlagen, denn in Nächten wie dieser, in den denen sein Verstand eine Tauchfahrt in den ewigen weiten des Wahnsinns unternahm, welchen das Chaos ihm diktierte gehörte er nicht gerade zu den motiviertesten Leuten. Die ewige Logik der Ordnung war ihm schon lieber, obwohl er sich unter dem Einfluss des Ordnungsmondes immer dabei ertappte alles zwanghaft ordentlich zu rücken und aufzuräumen. Eine sowohl nützliche, wie auch störende Eigenschaft. Erneut ließ er das rote Licht in sich strömen, soweit, bis es allmählich schwierig wurde das Chaos seiner Gedanken im Griff zu halten. Mit langsamen Schritten ging Nethar weiter und erkannte die Abzäunung der Farm. Sein Blick wechselte ins magische Spektrum und sah das, was er erwartet hatte. Die ganze Fläche der Farm leuchtete in einem Elementaren Blau und Nethar musste sich ein Lächeln verkneifen. Der Farmer dürfte sich als erster darüber aufregen, dass seine Karotten geordnet in Reih und Glied wuchsen und generell gerade wuchsen. Eine Sache auf die dieser Fluch zwangsläufig Einfluss nahm. Ordnung war Ordnung und bei allem, was sie anrichten konnte musste sie bestimmte Kriterien erfüllen. Mit einem tiefen Atemzug ließ er die rote fluoreszierende Magie des Chaosmondes durch sich fließen und begann damit einem Gegenfluch zu murmeln. Der Fluch, der gewoben worden war schlampig ausgeführt worden. Solche Flüche waren recht einfach zu zerschlagen, man musste nur genug chaotische Energie durch das Geflecht der Ordnung fließen lassen und allmählich würde sich das magische Flechtwerk von selbst auflösen. Mit ruhiger Gelassenheit streckte Nethar eine Hand aus und murmelte weiter an seinem Gegenfluch, währen er spürte, wie seine Augen sich allmählich in die rote Farbe des Chaos hüllten. Er konnte sehen was er tat, konnte sehen, wie sich zarte Fühler von chaotischer Energie durch das Flechtwerk der blauen Ordnung fädelte und dem gewobenen Fluch ganz allmählich seinen Sinn nahm. Er musste aufpassen. Ordnungsflüche neigten dazu, zu platzen, wenn man sie zu schnell ihres Sinnes beraubte. Eine Begebenheit, die je nachdem wie stark der Fluch bereits aufgelöst worden war verheerende Auswirkungen haben konnte. Rot und Blau vermischten sich vor seinen Augen zu einem unnachgiebigen Lila und er konnte sehen, wie sich beide Flechtwerke, die ineinander verflossen waren allmählich auflösten. Nethar atmete tief durch und sah sich um, während Faden um Faden aus dem Flechtwerk heraus gewoben wurde und sich allmählich in der Unendlichkeit der Nacht in Nichts auflöste. Erneut ließ er seinen, vom Chaos getrübten Blick über das magische Spektrum gleiten, seine Gedanken wirr und chaotisch, aber zielgerichtet suchend. Er schluckte und sein Blick verharrte an einem Punkt am Rande der Farm, die noch immer blau leuchtete. Ein Sicherungspunkt. Wenn es den einen gab, würde es mehrere Ordnung setzte auf Redundanz. Nethar wob Chaosmagie hinein, doch der Sicherungspunkt zersprang nicht, wie er es sollte. Immer mehr Magie schleuste er hinein, während sein Verstand immer mehr in den chaotischen Gedanken versank. Immer mehr Chaos nahm sein Körper auf, schwelgte darin und schmerzte unter dem Einfluss des Wahnsinns. Er stieß ein Ächzen aus, während er immer mehr Chaos in den magischen Sicherungspunkt fließen ließ, der aber keine Anstalten machte zu zerspringen. Hier stimmte etwas nicht. Wenn dieser Sicherungspunkt nicht zersprang würde das magische Flechtwerk des Fluchs innerhalb kurzer Zeit wieder entstehen und all seine Arbeit wäre für die Katz gewesen. Schweiß rann über seine Stirn, das Chaos seiner Gedanken wurde schwerer zu begreifen. Lange würde er das nicht mehr durchhalten. Das konnte nicht sein, es war unmöglich, dass ein Überbleibsel magischer Energie der Ordnung reiner geballter Chaosmagie standhielt. Das eine sollte das andere aufheben, aber warum tat es das nicht? Er sackte auf die Knie und seine innere Stimme lachte.
‚Zu schwach… Großes Können, gefährlich für Andere… aber so schwach. Du bist erbärmlich.‘, rief die Stimme und Nethar fluchte. Er würde herausfinden müssen woher dieser Sicherungspunkt seine Kraft nahm, aber so würde er das nicht schaffen. Er blockte den weiteren Zugang zur Magie des roten Mondes und ließ alles, bis auf das letzte Rinnsal der chaotischen Magie in das kleine, blaue Geflecht fließen, als seine Gedanken allmählich wieder klarer wurden blinzelte er und schaute in den Himmel. Das Blau des Mondes der Ordnung war schwach und wurde vom roten Licht des Chaosmondes überlagert, doch die Magie und die Macht war nach wie vor vorhanden. Er nickte entschlossen und sog so viel Macht der Ordnung in sich hinein, wie er konnte. Seine Gedanken drehten sich und krampfhaft erbrach er sich auf das Gras direkt vor sich. Er hatte gewusst, dass es keine gute Idee war seine Gedanken innerhalb kürzester Zeit vom einen Extrem ins andere wechseln zu lassen, doch in diesem Moment hatte er keine große Wahl. Er fluchte, während er noch immer würgte und seine Gedanken sich in einem chaotischen und zugleich geordneten Karussell drehten. Chaos und Ordnung wirkten aufeinander wie Krieg und Frieden. Wenn der Verstand so lange in die Macht des Chaos gehüllt war und die Gedanken ein chaotisches Wirrwarr annahmen, war es äußerst unangenehm, wenn die Ordnung dieses Chaos packte und auf einen Schlag umzuordnen versuchte. Letztendlich aber ergab sich das Wirrwarr des noch vorhandenen Rots der überwiegenden Ordnung der blauen Magie und seine Gedanken beruhigten sich. Erneut fluchte er, aber er spürte wie die kalte Logik der Ordnung seinen Verstand in ihrem Griff hielt wie ihn zuvor die Leidenschaft des Chaos gepackt gehalten hatte. Er sog tief die Luft ein und betrachtete das magische Geflecht des Sicherungspunktes im Licht des Mondes der Ordnung. Es war so wunderschön, das gleichmäßige ruhige und symmetrische Muster des magischen Flechtwerks. Es war zu schön um vernichtet zu werden und er ertappte sich beim Gedanken daran einfach wieder zu gehen und der Ordnung ihren Lauf zu lassen. Nein. Deshalb war er nicht hier, er musste sich losreißen. So nützlich es auch war Begebenheiten aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, er wusste, dass er im Einfluss der Ordnung keine Möglichkeit hatte etwas so schönes wie des dieses magische Geflecht zu zerstören. Wie also sollte er hier heran gehen? Erneut sog er tief die Luft ein, ließ seine Gedanken schweifen. Ordnung war der dreh und Angelpunkt der Welt und… Nein, so kam er nicht weiter. Er studierte das magische Geflecht des Sicherungspuktes und versuchte es mit einer anderen Absicht. Nicht zerstören… Nein Nethar, begreife die Schönheit und die Gleichmäßigkeit des Geflechts und versuche heraus zu finden, woher es seine Macht bezieht. Seine Augen tauchten sich in ein unnachgiebiges Blau und erlaubte der Ordnung seinen Verstand zu reinigen. Das Geflecht war so aufgebaut, dass es sich beständig selbst mit Energie versorgte. Der magische Kreislauf innerhalb des Punktes war beeindruckend. Die Magie floss in einem perfekten Kreislauf, was die Energie immer wieder komplett neu entstehen ließ, sobald sie den Kreislauf passierte. Im roten Licht des Chaos hatte sein Verstand dieses Werk nicht begreifen können. Es war nun so vollkommen logisch, dass er das Geflecht nicht auflösen konnte, wenn er die Magie einfach in die Mitte des Geflechts pumpte, denn sobald die Chaosmagie den Kreislauf passierte wechselte sie in die Macht der Ordnung. Beeindruckend. Er zog einen Notizblock aus der Tasche und begann das Geflecht so Detailgetreu wie möglich auf den Block zu übertragen um es später besser studieren zu können, dann saugte er wieder die Chaosmagie Verzahmirs in sich hinein und seine Gedanken wurden erneut wild durcheinander geworfen. Schmerzen bildeten sich in seinem Kopf und er musste sich zusammenreißen um nicht zu schreien und zeitgleich zu kotzen. Er hasste es, wenn das passierte. Er biss die Zähne zusammen und legte etwas chaotische Energie in die Randpunkte des Geflechts. Es wirkte. Die Ränder des Flechtwerks färbten sich lila und das Siegel, wie auch der Kreislauf korrumpierten und zerplatzten. Der Knall war nicht laut und ungefährlich, wenn man die Größe des Siegels bedachte. Nicht einmal ein kleiner Punkt Magie blieb dort zurück. Mit zusammen gebissenen Zähnen und starr wirkenden Schritten suchte er das Gebiet rund um die Farm nach weiteren Ankerpunkten ab, löste sie auf und sackte kraftlos auf die Knie, als er den letzten zerplatzen ließ. Verdammt nochmal. Wer auch immer diesen Fluch ersonnen hatte war ein Genie. Es wunderte ihn, dass die Sicherungs- und Ankerpunkte des Flechtwerks so viel stärker waren als das Geflecht des Fluches selbst. Hatte man dem Fluchwirker hier etwa unter die Arme gegriffen? Er schüttelte den Kopf. Keine gute Idee. Würgend übergab er sich vor sich auf das dichte Gras und dankte seinen Beinen dafür so unnachgiebig zu sein. Würde er hier vollkommen zusammen sacken würde er unwürdig in seiner eigenen Kotze landen. Er atmete schwer, während ein zäher speichelfaden sein Kinn hinunter lief. Er hasste solche Nächte. Ganz langsam entließ er alle Magie aus seinem Kreislauf, beobachtete wie im magischen Spektrum rote und blaue Funken aus seiner Aura stoben und die Welt um ihn herum farblich umgestalteten. Verdammt nochmal.
Der Duft verschiedenster Kräuter hing in der Luft. Pestweide, Himmelsklee, Totenkraut, Teufelsnessel, Blutahorn und noch so viele mehr, jedoch war ein Geruch deutlicher und überlagerte alle anderen. Wolfswurz. Jiro nieste seines zurückgewonnenen Geruchssinns wegen und richtete sich blitzschnell auf dem Bett auf. Wo war er? Sein Blick fiel auf seine Brust, die blankes Fleisch darbot, jedoch hatte sich dieses Fleisch an manchen Stellen leicht verfärbt. Rosafarbendes neues Fleisch hatte sich an mehreren Stellen seiner Brust neu gebildet, wo zuvor Wunden geklafft hatten, die charakteristisch für Klauen und Krallen waren. Sein Clan hatte Wunden gerissen und sein Fleisch gekostet, ehe man ihn endgültig vertrieben hatte. Er schnaubte und versuchte sich zu erinnern. Seine Blicke suchten das Innere des Raumes ab, überall an der Decke hingen Kordeln, an denen man Kräuter zum Trocknen aufgehängt hatte, das jedenfalls erklärte den Geruch nach verschiedensten Kräutern in diesem Haus. Ein leichtes Trappeln, kaum hörbar, gefolgt vom leichten Knarren der Bodendielen. Ein lautes Pfeifen ertönte und übertönte alle anderen Geräusche, wer auch immer sich in diesem Haus bewegte, er oder sie hatte die Schritte eines Diebes oder eines Assassinen. Normalerweise klangen Schritte für ihn eher wie trampeln, als wie ein leichtes trappeln. Er Seufzte und lächelte leicht. Wo war er hier nur wieder herein geraten? Sein Kopf dröhnte und sein Magen rebellierte vor Hunger. Das war normal. Die Regeneration seiner Zellen ging zwar schnell von Statten verbrannte dabei aber Unmengen an Kraft und vor allem Kalorien. Sein Zustand war der feuchte Traum eines jeden Emotional angegriffenen Teenagers.
Sich selbst verletzen zu können, keine Narben davon zu tragen und dabei abnehmen zu können, das konnten nicht viele von sich behaupten und schon gar keine normalen Menschen. Der Geruch von heißem Wasser änderte sich leicht, nahm den aromatischen Geruch von Tee an. Das Geräusch eines sich nähernden Herzens ließ ihn aufhorchen. Das Raubtier in ihm erwachte und er schämte sich dafür, dass ihm das Wasser im Mund zusammenlief, als sich das rhythmische Klopfen näherte. Die Klinke wurde herunter gedrückt und in der Tür stand eine Frau. Erinnerungen flammten siedend heiß in seinem Kopf auf und er musste die Augen schließen. Er schüttelte den Kopf. Er konnte sich erinnern, diese Frau hatte ihn gefunden und mit hierher genommen, sie hatte sich um seine Wunden gekümmert und sie verbunden… Warum waren da also keine Verbände?
„Hallo, du bist also wach?“, begann die junge Frau, ihr Name war… Sianthra? Ja, Sianthra. Sie blickte ihn erwartungsvoll an, vielleicht sollte er etwas sagen.
„Danke für deine Hilfe…“, begann er und sie zuckte lediglich mit den Schultern.
„Was ist passiert?“, fragte sie ruhig und blickte ihm in die Augen.
„Was meinst du?“, antwortete er mit einer Gegenfrage, als wüsste er nicht, worauf sie hinaus wollte.
„Ich meine damit, dass nicht jeden Tag ein Wolf aus seinem Rudel verbannt wird. Du siehst nicht aus, als seist du der Alpha gewesen, außerdem wärst du jetzt tot, wenn es so wäre, Herausforderer lassen den amtierenden Alpha nie am Leben.“, erklärte sie mit einer Ruhe in der Stimme, die ihm einen Schauer über den Rücken warf. Seine Blicke glitten über sie herüber, sie trug zweckmäßige Kleidung, ein einfaches Hemd und eine Hose, beides etwas ausgebeult und abgetragen. Er würde es figurabtötend nennen. Er seufzte.
„Was interessiert es dich?“, entgegnete Jiro mit leichter Frustration in der Stimme.
„Es interessiert mich insofern, dass ein einsamer Wolf in der Nähe meines Wirkungsbereiches einen Gefahrenfaktor darstellt, mit dem ich rechnen muss. Falls dein Alpha vor hat noch weitere Wölfe zu verbannen steigt das Gefahrenpotenzial exponentiell und ich habe eigentlich recht wenig Lust mich auf die Jagd nach einsamen Wölfen zu machen, die meine Leute bedrohen.“, antwortete sie emotionslos. Verdammt nochmal, diese Frau war so kalt, dass es ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Dazu kam, dass ihr Geruch irreführend war. Ihr Körper war so sehr von aromatischen Kräutern umgeben, dass Jiro nicht einmal einen Anflug von ihrem normalen Körpergeruch an ihr wahrnehmen konnte. Nicht einmal ein Hauch von Schweiß hing in der Luft, was ihn ziemlich verwirrte. Es war praktisch, wenn man Aufregung, Angst und Leidenschaft am Geruch unterscheiden und wahrnehmen konnte. Die Tatsache, dass sie einfach nach nichts roch, machte ihn nervös. Nur nichts anmerken lassen.
„Ich glaube nicht, dass der jetzige Alpha vorhat noch weitere Wölfe aus dem Rudel zu werfen. Du kannst also beruhigt sein.“, brachte Jiro hervor und zuckte mit den Schultern.
„Das ist schon mal ein Lichtblick und was ist mit dir? Was wirst du tun?“, fragte sie noch immer mit dieser Ruhe in der Stimme, die ihn absolut nervös machte.
„Ich… Keine Ahnung, ich muss mich erstmal mit der Tatsache arrangieren, nicht mehr zum Rudel zu gehören.“, erklärte wahrheitsgemäß und seufzte leicht. Es war eine gute und eine berechtigte Frage. Er konnte sie darum bitten darüber hinweg zu sehen, dass er ein Werwolf war, aber würde sie ein solches Risiko eingehen? Sie kam ihm als Kräuterkundige sehr verantwortungsvoll vor, was die Sache nicht gerade einfacher machte. Welche Kräuterkundige würde schon zulassen, dass sich ein Wolf unter ihren Schäfchen bewegte. Keine wirklich passende Analogie, wenn er darüber nachdachte. Sie war keine Priesterin. Kräuterkundige Frauen sahen ihre Dorfgemeinschaft oft mehr als ihre Kinder, als alles andere. Eine interessante Begebenheit, wenn man darüber nachdachte, dass viele ihrer Kinder deutlich älter waren als sie. Aber Alter spielte hier wohl weniger eine Rolle als Erfahrung, ihre Augen hatten etwas seltsam Starkes an sich, sie strahlten eine Lebenserfahrung aus, die Frauen in ihrem Alter nur selten hatten. Sie war vielleicht Anfang 20, aber, wenn sie einen so ansah, wie in diesem Moment wirkte sie deutlich älter.
„Ich weiß nicht, was ich tun werde. Es ist im Augenblick vieles möglich. Ich weiß nicht, ob ich unter normalen Menschen leben kann. Ich habe mich zwar eigentlich recht gut unter Kontrolle aber Vollmondnächte sind immer gefährlich, wenn man nicht im Rudel jagt.“, antwortete er und schaute die junge Frau ernst an.
„Das klingt, als wolltest du es versuchen unter Menschen, normalen Menschen, zu leben.“, stellte sie fest und Jiro zuckte mit den Schultern.
„Warum sollte ich es nicht versuchen? Immerhin bin ich auch ein Mensch, jedenfalls zum Teil.“, grinste er beschämt und Sianthra musterte ihn misstrauisch.
„Ein paar Bedingungen habe ich.“, gab sie seufzend zurück, offensichtlich war es ihr nicht recht, dass er blieb. Wer wollte es ihr auch verübeln.
„Du tötest und frisst keine Menschen, auch nicht wenn sie sich aus der Dorfgemeinschaft verirrt haben. Du wirst nicht damit anfangen verheiratete Frauen zu verführen oder wahllos Mädchen zu schwängern. Und Nummer drei…“, begann sie und atmete tief durch.
„An Vollmondnächten wirst du dich bei mir melden, damit ich dich im Keller in Ketten legen kann. Ich brauche keinen wildgewordenen Werwolf, der jede Vollmondnacht umher streift und gewissenlos Menschen tötet.“, vollendete sie standhaft und schaute ihn vollkommen ernst an. Er nickte leicht.
„Ich verstehe. Gut. Aber ich habe keinerlei Besitztümer, ich habe kein Geld um mich hier irgendwo nieder zu lassen, noch eine Möglichkeit schnell welches zu verdienen. Verdammt, ich habe nicht mal Klamotten.“, stieß er hervor und kam sich mit einem Mal erbärmlich vor. Die junge Frau warf sich ihr langes schwarzes Haar zurück, sodass es ihr nicht erneut in die Augen fiel. Sie seufzte und blickte ihn an, er saß noch immer im Bett, zur Hälfte mit einer Decke bedeckt. Er hätte wenigstens jetzt gerne gestanden, aber es war möglicherweise nicht die beste Idee sich jetzt in seiner vollen Nacktheit zu präsentieren.
„Die Holzfäller suchen noch kräftige Leute und du kannst sicherlich in einem der Häuser der alleinstehenden Frauen unterkommen, gegen eine kleine… Aussteuer.“, entgegnete sie ruhig und grinste etwas zu dämonisch für seinen Geschmack. Hatte sie gerade wirklich vorgeschlagen, dass er sich prostituieren sollte, bis er auf eigenen Beinen stehen konnte?
„Was ist mit dir? Brauchst du noch jemanden, der dir bei der Arbeit hilft und dir anderweitig unter die Arme greift?“ , fragte er ohne jeden Hintergedanken, doch sie grinste nur breit.
„Für einen kleinen One Night Stand, bin ich immer zu haben, das können dir einige bezeugen, aber ich habe keine Verwendung für jemanden, der noch nie in seinem Leben Kranke versorgt oder mit Kräutern gearbeitet hat, außerdem benötige ich das Zimmer hier für Verletzte.“, entgegnete sie ruhig und Jiro blickte sie verblüfft an. Er hatte diese Frau offensichtlich falsch eingeschätzt. Der Drang der Bestie, etwas zu fressen wurde mit dem Drang nach Paarung ersetzt. Er hasste es ein Werwolf zu sein. Offenbar konnte sie in seinen Augen ablesen, was er dachte, denn sie grinste und kam mit verführerisch hin und her wogenden Hüften auf ihn zu. Ihre Hand glitt über seine Wange, dann tippte sie ihm gegen die Stirn.
„Allerdings schlafe ich nicht mit Patienten und im Augenblick bist du mein Patient.“, grinste sie finster, der Wolf in ihm heulte auf. Verdammt nochmal. Jiro atmete tief durch, überwand den animalischen Trieb, der ihn zu der Vorstellung zwang, sich mit ihr zu paaren. Es war so lange her gewesen, dass er das letzte Mal unter Menschen gelebt hatte, sein Wissen über Medizin beschränkte sich auf das herausschneiden von Silber aus Gestaltwandlerfleisch und Gestaltwandler starben eher selten an Blutverlust, obwohl sie bei seinem Vorgehen immer eine Menge davon eingebüßt hatten.
„Punkt für dich… Ich habe keine Ahnung von Medizin, vor allem nicht, was Menschen angeht.“, seufzte er und versuchte ihren Kommentar somit möglichst elegant zur Seite geschoben zu haben.
„Aber soll ich mich wirklich bei irgendeiner Frau hier einnisten?“, fragte er und schaute sie an. Sie zuckte mit den Schultern.
„Wonda hätte bestimmt noch einen Platz frei, immerhin ist sie was Männer angeht schon immer ein barmherziger Samariter gewesen.“, erklärte Sianthra und Jiro verzog das Gesicht.
„Was das nicht die Frau, die so herumgeschrien hat, als sie mich gefunden hat und dich subtil als Schlampe bezeichnet hat?“, fragte Jiro ruhig und Sia grinste.
„Nein, das würde sie niemals tun. Natürlich würde sie auch keinem Mann ihre Hilfe oder eine Unterkunft verwehren, jedenfalls nicht, wenn er gut genug aussieht.“, lächelte sie ironisch und zuckte mit den Schultern.
„Danke für die Blumen, aber ich glaube der Anblick meines nackten Körpers war gestern schon zu viel für sie und ich bezweifle, dass ihr Mann erfreut darüber wäre, wenn seine Frau einen nackten, gut aussehenden Mann zu sich nachhause einlädt.“, seufzte er gekünstelt und Sia gluckste.
„Diese Frau ist die mit Abstand größte Schlampe im ganzen Dorf. Sie überholt sogar Irina und das möchte was heißen, immerhin verurteilt Wonda sie ständig dafür, was sie tut.“, lächelte Sia schulterzuckend und ein Lächeln stahl sich auf Jiros Lippen.
„Na dann, aber es bleibt ein weiteres Problem… Ich kann doch nicht wirklich nackt im Dorf herum laufen, oder?“, fragte er und erneut grinste Sianthra. Sie deutete auf das Fußende des Bettes, an dem eine Hose und ein Hemd lagen. Wenigstens etwas.
„Wieso hast du Männerkleider hier?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue und sie lächelte zaghaft. „Ich bin die Kräuterkundige des Dorfes, ich behandle alle, die sich an mich wenden und manchmal… kommt selbst meine Hilfe zu spät. Ich bitte die Angehörigen des Verwundeten oder Kranken immer ein paar Klamotten her zu bringen, für alle Fälle. Wenn jemand stirbt holen seine Angehörigen diese Klamotten zumeist nicht mehr ab.“, erklärte sie und etwas finsteres mischte sich in ihren Blick.
„Also ist das die Kleidung eines Toten?“, fragte Jiro unruhig, etwas daran störte ihn gewaltig. „Für die Kleidung eines Lebendigen bist du zu bedürftig schätze ich.“, erklärte sie wieder mit einem Grinsen. Jiro stieß den Atem aus.
„Mit anderen Worten: Jiro, suche dir eine Arbeit und kaufe dir beim Schneider ordentliche Kleidung, wenn du genug Geld verdient hast.“, entgegnete Jiro mit einem breiten Grinsen. Sia nickte mit mütterlichem Stolz in ihrer Mimik. Verdammt nochmal. Was stimmte mit dieser Frau nur nicht?
„Ich bin so stolz auf dich. Deine Kombinationsgabe ist beeindruckend.“, erklärte sie lächelnd und ihr Tonfall zeigte, dass es sich bei ihrer Aussage um pure Ironie handelte. Punkt für sie.
„Also gut…“, begann er und stand auf. Die Decke rutschte von seiner Hüfte, ehe er nach der Hose greifen konnte.
„Ganz ruhig, ich bin Arzt.“, erklärte sie trocken und irgendwas in ihrem belustigtem Blick löste das Gefühl in ihm aus, dass sie ihr ganzes Leben lang darauf gewartet hatte diesen Satz in einer solchen Verbindung nutzen zu können.
„Witzig.“, stieß Jiro sarkastisch und schüttelte den Kopf.
„Danke. Ich arbeite dran.“, gab sie grinsend zurück. „Also? Was ist gestern passiert, warum lagst du blutend und nackt auf dem Feld?“, fragte Sianthra ruhig und Jiro stieß den Atem erneut aus.
„Also gut… Ich habe den Alpha des Rudels heraus gefordert. Er hat getrickst, ich habe meine Herausforderung zurückgezogen und wurde verstoßen, aber da der Alpha nun mal schon immer ein unfassbares Arschloch war, hat er mir einfach seine fünf seiner Elitewölfe hinterhergeschickt um zu verhindern, dass ich ihn nochmal herausfordere.“, erklärte Jiro ruhig und grinste dann. Sollte sie doch ihre eigenen Schlüsse ziehen.
„Ich dachte immer, dass das zurückziehen einer Herausforderung für den Kampf um die Alpharolle endgültig sei. Es gibt nur ein Rudel hier in der Nähe und das sind die Sturmklauen. Ihr Alpha ist nach meinem letzten Informationsstand ein grausamer Tyrann mit Namen Valoran, er hat zwei Söhne. Rivor, der jüngere Bruder und Jiro. Seine Elite besteht aus 20 hohen Gestaltwandlern und du willst mir erzählen, dass du fünf von ihnen getötet hast? Sohn des Alphas hin oder her, aber das ist lächerlich.“, erklärte sie und Jiro riss die Augen auf, woher wusste sie so viel über sein Rudel? Sein ehemaliges Rudel.
„Ich habe nie gesagt, dass ich sie getötet habe.“, erklärte Jiro und war noch immer in Gedanken, hatten sie einen Spion in den Reihen des Rudels? Seine Gedanken rollten zurück, sie hatte sofort gewusst was er war, als sie ihn gefunden hatte… Hatte sie auch sofort gewusst wer er war, als er ihr seinen Namen genannt hatte? Sias Blick war kühl und berechnend.
„Die Elite von Valoran ist dem Alpha des Rudels verpflichtet und muss alles tun, was er befiehlt, egal wie unangenehm der Befehl ist. Ich glaube kaum, dass er seinen Wölfen sagt: ‚Lauft ihm hinterher und jagt ihm einen gehörigen Schrecken ein.‘, der Auftrag war zu töten und das hatten sie vor. Und bevor du mir jetzt damit kommst, dass du entkommen bist, vergiss es. Die Nase eines Werwolfs ist um ein Vielfaches stärker, als die eines Menschen und sie hätten dich mit den Verletzungen, die du gestern hattest auf jeden Fall aufgespürt und getötet. Der einzige Weg einen Elitewerwolf von seiner Spur abzubringen ist ein Haufen Wolfswurz oder ihn umzubringen und Werwölfe würden niemals ihre eigenen Sinne betäuben um andere von seiner Spur abzubringen.“, erklärte sie und für einen Augenblick klang es so, als dozierte sie. Wer war diese Frau?
„Woher weißt du so viel?“, stieß er hervor und blickte Sia finster an.
„Kenne deine Gegner, bevor sie zu Gegnern werden.“, entgegnete sie und lächelte leicht.
„Das erklärt das allgemeine Wissen über Werwölfe, aber nicht das Wissen über das Rudel.“, erklärte er und schaute sie finster an.
„Ich habe sehr gute Ohren?“, versuchte sie es nochmal, Jiro wiederstand sichtlich dem Drang auf den Boden zu Spucken.
„Ich meine es ernst.“, stieß er aus, er musste es wissen, wenn sich ein Spion im Rudel bewegte musste er es wissen und… Ja… Was? Er gehörte dem Rudel nicht mehr an. Er war ein Niemand, ein einsamer Wolf, jedenfalls jetzt. Was würde er aus seinem Leben machen? Er konnte sich nicht vorstellen sein Leben als Holzfäller zu fristen oder sich durch zu schnorren. Eher würde die Hölle zufrieren, als dass er sich dazu zwang Bäcker zu werden. Jeder ist seines eigenes Glückes Schmied hieß es doch so schön, aber wie würde er sein eigenes Glück schmieden? Blümchen pflücken und etwas über ihre Wirkung lernen?
„Es spielt keine Rolle, weder für meine Quelle, noch für dich. Fakt ist, dass dein Vater andere schicken wird um zu tun, was die anderen nicht konnten und dann ist das Dorf in Gefahr.“, erklärte Sia kühl und blickte ihn finster an. Verdammt, daran hatte er nicht gedacht. Sie ging ein verdammt hohes Risiko für ihn ein, aber warum?
„Dann sollte ich gehen.“, brachte er hervor und schaute sie ernst an.
„Mach dich nicht lächerlich. Das nächste Mal wirst du nicht überleben.“, erklärte Sia ruhig und schaute ihm in die Augen.
„Was interessiert es dich? Ich bin ein einsamer Wolf, ein Verstoßener.“, fragte er und schaute sie noch immer ernst an. Ihre steinerne Miene brach mit einem Lächeln auf.
„Ich schwöre bei allen Göttern und deren Schöpfern, dass ich jeden vor Not, Leiden, Krankheit und drohender Gefahr nach besten Wissen und Gewissen verteidigen werde und ihnen mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln beistehen und helfen werde. Ich schwöre die Kunst, die ich erlernte nicht dazu zu nutzen Leid und Not zu säen und schwöre, dass ich niemanden schaden werde. Ich schwöre bei meiner Familie und meinem Meister , das mir zuteil gewordene Wissen mit anderen zu teilen, wenn sie es wünschen und dies ohne ein Entgelt dafür zu fordern…“, begann sie monoton klingend, aber lächelnd.
„Soll ich weiter reden? Ich übersetze es für dich. Ich schwöre jeden davor zu bewahren blindlings in sein Verderben zu rennen.“, erklärte sie dann mit einem Stirnrunzeln.
„Du kommst mir mit dem Eid der Heiler?“, fragte er verdutzt und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Klar, vernunftloses Pflichtbewusstsein siegt immer vorne.“, entgegnete sie ruhig und Jiro wusste nicht so ganz, was er von der ganzen Sache halten sollte.
„Aber wenn ich hier bleibe, bringe ich andere in Gefahr und das Wohl vieler…“, begann Jiro und starrte sie an.
„… wiegt schwerer als das eines Einzelnen. Aber tut es das auch, wenn der zurück gelassene dazu bestimmt ist viele vor dem Tod zu bewahren? Es wird immer Verletzte und Tote geben, der Tod holt sich stets seinen Tribut ob jetzt früher oder später spielt keine Rolle. Sorge nur dafür, dass du das Opfer, was andere möglicherweise für dich bringen würdigst und es ihnen würdig vergiltst.“, entgegnete sie ruhig und erwiderte seinen Blick standhaft. Jiro konnte nicht glauben, was er da hörte. Meinte sie das ernst? Sie weigerte sich ihn in sein Verderben rennen zu lassen und brachte damit dieses ganze Dorf in Gefahr?
„Was würde der Rest des Dorfes davon halten?“, fragte er irritiert und blickte sie an.
„Tu etwas um ihr Vertrauen zu verdienen und diese Männer und Frauen würden dich mit letzter Kraft und einer Mistgabel vor dem Leibhaftigen selbst verteidigen. Vergiss nicht, dass dies hier ein Dorf ist, was zusammen gewachsen ist und alle miteinander verbinden. Das Rudel greift das Zuhause eines jeden Menschen hier an. Würden sie kommen um ihre Kinder oder Frauen zu rauben würden diese Männer in den tiefsten Schlund der Hölle hinab steigen um sie zurück zu holen. Das hier ein Dorf voller Helden und keiner von ihnen würde es bereuen jemanden vor Unheil zu verteidigen, selbst dann, wenn es bedeutet, dass sie deshalb leiden müssen.“, erklärte Sia mit einem solchen unerschütterlichen Vertrauen in diese Leute, dass es Jiro einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Menschen konnten unmöglich so sein. Nicht einmal ein Rudel von Werwölfen würde einen Einzelnen verteidigen, wenn das bedeuten würde, dass sie alle verletzt, wenn nicht sogar getötet werden könnten.
„Ich will nicht, dass das Dorf einen Preis zahlt, den ich alleine entrichten muss. Ich werde nicht zulassen, dass sie mit mir Seite an Seite kämpfen und sterben.“, brachte Jiro hervor und Sia grinste breit.
„Ich habe auch nie gesagt, dass sie das tun werden. Wir beide werden uns dem entgegenstellen. Aber das Dorf wird dir bis dahin ein Zuhause bieten. Geh, Such dir eine Arbeit hier im Ort und komm wieder her. Du kannst hier schlafen, wenn du keinen Blödsinn machst.“, erklärte Sia mit ruhiger Stimme.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll…“, begann Jiro, unsicher ob er eine solche Behandlung tatsächlich verdient hatte.
„Dann hör auf zu reden. Wir haben nicht viel Zeit.“, entgegnete Sia, drehte sich um und verließ das Zimmer, wies ihn dabei allerdings mit einer Handbewegung an ihr in den nächsten Raum zu folgen. Sie zeigte auf einen Träger mit verschiedenen Fläschchen, die trübe, klare und farbige Flüssigkeiten enthielten. Auf dem Korken jeder Flasche hing ein Zettel.
„Bring das hier zu den entsprechenden Leuten und lerne das Dorf etwas kennen. Ich glaube bis auf ein paar Ausnahmen wirst du meine Meinung bald teilen.“, erklärte sie ruhig und reichte ihm den Träger mit den Fläschchen. Jiro schaute sie an, dann nickte er.
Pheia streckte sich gähnend, während sie Val nachsah, die mal wieder mit irgendeinem Typen quatschte. Der Typ hatte halblanges dunkelbraunes Haar unter dem ständig etwas zu zucken schien, dazu trug er eine, wie Pheia fand, geschmacklose Bikerjacke mit der Aufschrift „Hellhound International – Wir tun es auch im Dunkeln.“. Aus einer leicht entfernten Ecke bohrte eine offensichtlich genervte junge Frau ihm ihre Blicke in den Rücken, während sie auf irgendetwas herumkaute. Sie hatte hellbraunes Haar eine atemberaubende Figur und trug dazu lediglich einen kurzen Rock und ein Shirt, über dem unpassender Weise ein dunkler Kapuzenmantel hing. Eine seltsame Modekollektion. Pheia entschloss sich dem ungleichen Paar keine weitere Beachtung zuteilwerden zu lassen und konzentrierte sich auf das Getränk vor sich. Klares Wasser auf dessen Oberfläche eine Limettenscheibe schwamm. Sie hatte die ganze Nacht ein Auge auf ihr Getränk haben müssen um zu verhindern, dass Val ihr Wasser durch eine andere klare Flüssigkeit tauschte die unter Umständen eine andere Wirkung auf sie haben konnte. Mit einem Seufzen ließ sich Val ihr gegenüber nieder und starrte etwas verstört in ihren Drink.
„Kannst du dir das vorstellen? Der Kerl ist maximal 25 und sagt mir, er sei zu alt für mich.“, erklärte sie mit einem Kopfschütteln.
„Tja, im Hellhounds Inn findet man eben alle möglichen seltsamen Gestalten…“, seufzte Pheia mit einem breiten Lächeln. Das wenigstens entsprach der Wahrheit. Das Hellhounds Inn war genau auf einem Schnittpunkt der magischen Strömung erbaut worden. Durch eine magische Explosion vor ein paar Jahren war aus der Bar etwas wahrhaft besonderes geworden. Die magische Explosion hatte das Gasthaus nicht vernichtet, wie man es erwartet hätte. Nein. Diese Explosion hatte das angesagte Gasthaus nur noch viel beliebter gemacht, denn seit dieser Explosion hatte nicht nur das Zollamt großes Interesse an diesem Ort, sondern auch eine Vielzahl anderer Personen aus anderen Welten. Die magische Explosion hatte das Gasthaus so zu sagen in eine andere Dimension geschleudert, eher gesagt in eine Vielzahl anderer Dimensionen. Dieses Gasthaus existierte in vielen verschiedenen Welten. Die Besucher des Gasthauses bekamen nur selten etwas davon mit, dass es sich mit diesem Etablissement anders verhielt, als mit anderen Gasthäusern… Sie merkten es frühestens dann, wenn sie im volltrunkenen Zustand aus Versehen den falschen Ausgang des Gasthauses benutzten und in einer völlig fremden Umgebung landeten. Da niemand hier jemanden dieser Erfahrung berauben wollte, redete einfach niemand über diesen kleinen aber feinen Unterschied zu anderen Gasthäusern.
„Ich glaube er hat ne Freundin.“, erklärte Pheia und warf einen unauffälligen Blick zu der jungen Frau, die dem Ziel von Vals Begierde noch immer ihre Blicke in den Rücken bohrte wie es andere wohl mit Messern getan hätten. Val blickte zu der jungen Frau und grinste. Der Blick der jungen Frau wurde kalt, als sie Vals Blick bemerkte, die ihr verführerisch zuzwinkerte. Nahezu sofort wandte die junge Frau ihren Blick wieder ab und Pheia musste kichern. Diese ganze Situation war so verkorkst und seltsam, dass sie einfach nicht mehr anders konnte.
„Was denn?“, fragte Val, während sie einer Eingebung durch äußerliche Einflüsse folgend in ihr Gekicher einstimmte.
„Ich weiß nicht, was du meinst.“, schloss Pheia grinsend, während sie ahnungslos tat. Val zuckte mit den Schultern.
„Da versteh einer die Ärzte…“, seufzte sie und Pheia grinste.
„Unmöglich, es sei denn du kennst dich mit toten Sprachen aus.“, erklärte sie mit ihrem besten „hochnäsige Lordschaft-Stimme“, was Val erneut zum Kopfschütteln brachte.
„Sag mal Pheia… Warum suchst du dir hier niemanden? Ich habe noch nie gesehen, wie du mit einem Mann zusammen warst… Fehlt dir nicht was? Ich meine okay, du bist eine Ärztin, die unter anderem dafür sorgt, dass Teilnehmer bei illegalen Kämpfen auch noch in der nächsten Runde tierische Prügel beziehen können, aber trotzdem wäre es gar nicht so schlecht für dich, dich einfach mal gehen zu lassen. Verstehst du was ich meine?“, begann Val und Pheia schenkte ihr ein geheimnisvolles Lächeln, dann zuckte sie mit den Schultern.
„Vielleicht hab ich ja einfach noch nicht die richtige Person getroffen.“, grinste sie und versuchte mit einem verruchten Tonfall von der Tatsache abzulenken, dass sie gerade puterrot angelaufen war. Wie sie es hasste, über dieses Thema zu reden.
„Kann es sein, dass du mehr auf Frauen stehst? Das wäre für mich absolut okay, ich würde dir auch helfen eine Frau aufzureißen.“, ereiferte sich Val und Pheia spürte wie sie mit einem Schlag noch röter wurde.
„Ähm also…“, begann sie, doch Val war schneller.
„Das wäre für mich wirklich okay, wir sind Freundinnen und es würde meinem Ego keinen Abbruch tun, wenn mir auch ab und zu mal eine Frau auf Arsch oder Ausschnitt glotzt, aber… Ich weiß nicht… Du kommst mir immer so einsam vor.“, setzte Val ihren Redeschwall fort und endete in einem abgrundtiefen Seufzer. Pheia hatte absolut keine Ahnung, wie sie darauf reagieren sollte.
„Ich ähm… Ich glaube ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, aber wenn ich mit Jemanden schlafe, möchte ich das auch ein zweites und drittes Mal tun können ohne es zu bereuen… Verstehst du?“ , erklärte Pheia etwas scheuer, als geplant. Val schaute sie zärtlich an.
„Du suchst also die große Liebe?“, fragte sie mädchenhaft und Pheia schlug ihr spielerisch gegen die Schulter. „Dumme Kuh…“, seufzte sie und Val grinste breit.
„Tut mir leid… das passt zu dir, du bist einfach niedlich. Lass dir von mir nichts einreden und folge deinem Ideal. Aber solltest du irgendwann mal Lust auf was schnelles Schmutziges haben, sag mir Bescheid…“, erklärte Val freundlich und lief dann ebenfalls kurz rot an.
„Also dann… helfe ich dir jemanden zu finden. Nicht, dass du das falsch verstehst…“, beeilte sie sich nachzuholen und Pheia kicherte erneut.
„Du bist manchmal auch ziemlich niedlich.“, grinste sie und Val zog gespielt die Nase in die Höhe und gab einen Laut von sich, der sehr stark an ein adliges
„Püch.“ Mit der Aussage: ‚Das ist doch alles unter meiner Würde…‘, erinnerte. Pheia grinste noch breiter.
„Na was jetzt? Gehen wir dir die große Liebe suchen?“, fragte Val spielerisch und Pheia seufzte.
„Ich glaube nicht, dass ich meine wahre Liebe an so einem Ort finde.“, erklärte sie leichthin und Val zuckte mit den Schultern.
„Wieso? Du bist doch auch hier, warum also nicht deine große Liebe?“, entgegnete Val mit süffisantem Lächeln. Erneut seufzte Pheia.
„Lass gut sein, ich bezweifle, dass ich hier jemanden finde, mit dem ich etwas anfangen würde.“, gähnte Pheia und Val blickte sie an.
„Nicht sehr damenhaft.“, gab Val zurück.
„Gut, ich bin auch keine Dame.“, lächelte Pheia schulterzuckend.
„Gib den ganzen Männern hier doch mal eine Chance, du kannst nicht wissen, wer sie sind und kannst nicht wissen ob jemand darunter ist, der dich interessiert.“, ermunterte sie Val, doch Pheia schüttelte den Kopf.
„Ich bin nicht wie du, Männer stehen nicht auf mich.“, versuchte Pheia es erneut.
„In einem Punkt hast du Recht. Du bist nicht wie ich, du bist deutlich besser und ich wette, dass dich mir jeder normal denkende Mann vorziehen würde. Sieh dich doch mal an… Du bist wirklich hübsch, süß, freundlich und dazu kommen deine Maße, jedes Model würde dich beneiden, sie müssten nur noch 12 Kilo abnehmen und schon könnten sie sich drei Jahre von einer Agentur ausbeuten lassen.“, erklärte Val und Pheia stieß ein scharfes Lachen aus.
„Du hast was gegen Modelagenturen oder?“, erkundigte sich Pheia und Val schüttelte amüsiert den Kopf.
„Nein. Ich habe etwas gegen dumme Frauen, die sich ausnutzen lassen und ihrem Körper sowas antun. Essen gehört zum Leben.“, entgegnete sie Schulterzuckend und schaute Pheia an.
„Jetzt sei keine Langweilerin und tu was Verrücktes.“, stieß sie hervor und blickte Pheia erneut tief in die Augen. Pheia seufzte abgründig und legte kurz den Kopf auf die Tischplatte.
„Kannst du dir nicht einfach jemanden suchen und gut?“, fragte Pheia seufzend.
„Quatsch, ich lasse meine Freundinnen nicht ungef… also ich lasse sie nicht zurück, außerdem spüre ich sinkenden Wiederstand.“, grinste Val listig und Pheia zuckte mit den Schultern.
„Also gut… Drei Typen, wenn der dritte nichts ist, lässt du mich mit dem Mist in Ruhe.“, gab sie letztendlich nach und Val rückte mit dem Stuhl näher an sie heran, dann legte sie den Arm um sie und schaute sie an.
„Gut… Ich suche die Kandidaten aus, immerhin würdest du dir aus der ganzen Menge ohnehin nur die Loser raussuchen.“, schnurrte sie dicht an ihrem Ohr, sodass ihr Atem an ihrem Ohr kitzelte. Sie erschauderte und spürte wie ihr eine Gänsehaut über die linke Seite huschte.
„Sag mal… warum bin ich eigentlich mit mir befreundet?“, fragte sie und Val lächelte zaghaft.
„Natürlich wegen meiner ausgezeichneten Menschenkenntnis und weil ich dich aus deinem Schneckenhaus raushole, Schnecke.“, erklärte sie wohlwollend, während sie aufstand um Kandidat Nummer 1 zu suchen. Vielleicht hätte sie doch was trinken sollen. Es dauerte nicht lange, bis Val mit einem , für sie, wie es schien, geeigneten Kandidaten zurück kehrte.
„Das ist Melvin, er ist ein Barde.“, erklärte Val mit einem Augenzwinkern. Bei Gott, ein Barde? Womit hatte sie das verdient? Val beugte sich leicht zu ihr herunter und schnurrte ihr einen Satz ins Ohr: „Barden haben meistens viel Erfahrung und… geschickte Finger.“ Wieso ausgerechnet sie?
„Seid gegrüßt, edles Fräulein, sagt mir was führt eine so entzückende Blume wie euch in dieses Gasthaus?“, begann der Barde mit einem Singsang und einer angenehmen Tenorstimme. Nicht mal wenn die Hölle zufriert. Sie hörte Val kichern, was für eine Witzfigur hatte sie das ausgesucht? Okay Pheia… sei nett und freund…
„Unkrautvernichter…“, kam es aus ihrem Mund, ehe sie sich bremsen konnte. Ups.
„Verzeihung?“, begann der Barde wieder und Pheia atmete tief durch.
„Ich bin nur zufällig hier…“, log sie und schaute den jungen Mann an. Er hatte langes braunes Haar, was oben etwas gedrückt schien. Anscheinend war er es gewohnt eine Mütze zu tragen. Er hatte leichte Bartstoppel und das Gesicht eines jungen Buben.
„Ahh… Ich verstehe, ihr seid hier um des Lebens Freuden zu erfahren.“, brachte der Barde hervor und Pheia musste sich zusammen reißen um nicht lautstark zu seufzen. Die Freuden des Lebens also? Seine Bekanntschaft zählte sie nun erstmal nicht dazu.
„Bestimmt.“, schloss Pheia etwa steif und Val konnte sich nicht mehr zurück halten. Sie prustete los, versuchte aber sich schnell wieder in den Griff zu bekommen.
„Entschuldigt, ich musste grade an was Witziges denken.“, erklärte sie, bedachte Pheia aber mit einem schelmischen Blick.
„Eure Schönheit motiviert mich ein Lied für euch zu schreiben.“, schleimte der Barde weiter und Pheias Stirn fühlte sich allmählich stark zu der Tischplatte hingezogen.
„Das ist aber schön, wie wäre es, wenn ihr das Lied schreibt … ähm… da hinten… zum Beispiel. Künstler brauchen doch ihre Ruhe.“, gab Pheia zurück und zeigte auf die hinterste Ecke der Schankstube und somit auf einen freien Tisch.
„Ich werde bestimmt noch eine Weile hier sein.“, beendete sie ihre Aussage und lächelte so gut es eben ging. Der Barde schien die Absicht hinter ihrer Aussage erkannt zu haben, denn er zog eine Schnute.
„Wohl an denn, ich werde das Lied der Lieder für euch schreiben und euch zeigen, was in Melvin dem Barden steckt. Barden werden es noch in Jahrhunderten singen und spielen.“, erklärte er und erhob sich, dann zwinkerte er Pheia zu und verschwand zu dem freien Tisch.
„Was hab ich dir jemals getan?“, frage Pheia trocken, während Val erneut zu lachen begann. Sie schlug mehrfach sanft auf den Tisch und Pheia schüttelte leicht den Kopf.
„Können wir gehen bevor Melvin sein Innerstes nach außen kehrt und wir in von einem Tsunami aus oralen Fäkalien und Obszönitäten überrollt werden?“, fragte Pheia hoffnungsvoll und schaute Val an, die sie, wer hätte es gedacht wieder angrinste. Dumme Kuh.
„Auf keinen Fall, das werde ich mir nicht entgehen lassen.“, lachte Val und stand auf um den nächsten Kandidaten zu holen. Sie steuerte Zielstrebig auf eine kleine Gruppe zu, die aus zwei wahnsinnig attraktiven Frauen und einem ebenfalls nicht unattraktiven Mann bestand. Val packte ihn am Arm und zog ihn unter Protest der beiden anderen Frauen aus der Gruppe, die Val hasserfüllt anstarrten, während der Mann einfach nur verwirrt wirkte, als Val auf ihn einredetete und ihn zu Pheia brachte.
„Hallo Pheia, mein Name ist Rylar, deine Freundin sagte du seist auf billigen Sex aus.“, erklärte der Mann, der wirklich wahnsinnig gut aussah. Pheia funkelte Val finster an, die nun total verdutzt aussah. Pheia verstand. Er hatte gelogen. Sie errötete.
„Nein… Ich…“, sie schaute an ihm vorbei zu den beiden Frauen, mit denen er zuvor gesprochen hatte. Eine von ihnen war kleiner als die andere, hatte glattes schwarzes Haar und eine traumhafte Figur. Sie schaute sie teils belustigt, teils eifersüchtig an, während die andere, etwas größer mit hellbraunen Haaren aus ihrem Hass keinen Hehl machte. Sie starrte Pheia finster an und Pheia schämte sich allmählich.
„Sag mal… deine Freundin starrt mich so an…“, erklärte Pheia etwas abwesend und Rylar schaute kurz zurück, dann lächelte er sie wieder an. „Ach, keine Sorge, solange sie dich nicht durch das Zielfernrohr ihres Gewehrs anstarrt ist alles in Ordnung.“, erklärte er kurz angebunden und sie konnte spüren, wie Val neben ihr, am anderen Tisch erbleichte.
„Also? Was ist los? Hast du eine Wette verloren? Du bist nicht der Typ Frau, der in einem Etablissement wie diesem nach männlicher Gesellschaft sucht.“, fragte Rylar mit einem verschmitztem Lächeln.
„Nein… Ich habe nur den Bitten einer Freundin nachgegeben.“, entgegnete Pheia, noch immer puterrot im Gesicht. Rylar schenkte ihr ein Lächeln. Sie würde lügen, wenn sie sagte, dass er nicht irgendwie ihren Geschmack traf, er war mit seinen harten Zügen, dem kurzen dunklem Haar und den Augen, bei denen man das Gefühl hatte in einen Feuersturm zu blicken auf seine eigene, unnachahmliche Art attraktiv. Doch sie schämte sich, sie wollte ihn niemandem ausspannen und das würde sie auch nicht.
„Geh zurück, deine Freundin wartet auf dich und ich möchte nicht auf einer, bestimmt viel zu langen Liste landen, die sie nach und nach mit Zielfernrohr und Gewehr abarbeiten möchte.“, lächelte Pheia zuckersüß, was Rylar etwas zu verwundern schien. Er lächelte leicht.
„Komm doch später mit deiner Freundin nochmal vorbei und rede mit ihr, du wirst sehen, dass sie keine schlechte Person ist.“, entgegnete Rylar mit einem Lächeln.
„Danke für das amüsante Speed Dating.“, fügte er dann grinsend hinzu, was ihre Wangen erneut heiß werden ließ. Er erhob sich, nickte sowohl ihr, wie auch Val noch einmal zu, ehe er zurückging. Verdammt Pheia, beruhig dich. Val grinste sie wissend an und stach sie mit einem Finger wohlwollend in die Rippen. Ja okay, sie war nicht immun gegen bestimmte Wesenszüge von Männern.
„Das war gemein…“, erklärte sie und schaute dem jungen Mann nach.
„Was?“, fragte Val irritiert und Pheia schaute sie an. „Hol das nächste Mal niemanden, der bereits mit einer anderen Frau spricht.“, erklärte Pheia kurz angebunden und Val zuckte mit den Schultern.
„Du meinst, weil das mit Melvin, dem größten Barden unserer Zeit so gut geklappt hat?“, spottete Val grinsend.
„Du weißt, was ich meine.“, erklärte Pheia, eine Chance hatte Val noch, dann hatte Pheia ihre „Schuld“ getilgt.
„Sag mal Val… Bei wie vielen Männern, mit denen du etwas hattest… Bei wie vielen war es etwas Echtes… etwas Ernstes?“, hörte Pheia sich fragen und bereute es sofort. Die Frage war zu persönlich und Val sah mit einem Mal zerknirscht aus.
„Ich… Es tut mir leid.“, erklärte Pheia und schaute scheu zur Seite.
„Muss es nicht… Die meisten Männer waren einfach nur Vergnügen… Vielleicht waren es alle. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es mal anders war. Vielleicht bin ich eine Schlampe, vielleicht bin ich jemand, der Angst hat, wahrhaft Gefühle zu entwickeln…“, seufzte sie und zuckte mit den Schultern. Sie sah so aus, als würde sie tatsächlich über diese Eine, zugegebenermaßen sehr persönliche Frage, tatsächlich sehr genau nachdenken. Hatte Pheia bei ihrer sonst so toughen Freundin einen wunden Punkt gefunden?
„Val…“, begann Pheia von neuem , doch Valery schüttelte einfach nur den Kopf.
„Ein Mann steht noch aus, also mal sehen, wie gut ich deinen Geschmack wirklich einschätzen kann.“, erklärte sie und ging mit schnellen Schritten auf die Bar zu.
Der Bartresen war hart, seine Wange schmerzte, aber er ließ sich nichts anmerken. Vor ihm stand ein Drink. War es ein Whisky oder war es Rum? Er konnte es kaum noch sagen. Nachdem er den Fluch gebrochen hatte war er zu energiegeladen gewesen um tatsächlich noch schlafen zu können, außerdem war es für ihn schon immer schwer gewesen, tatsächlich zu schlafen, wenn der Mond des Chaos ohne das ausgleichende Licht der Ordnung hell am Himmel stand. Es war ein seltsames Gefühl hier unter all diesen Menschen zu sitzen und zu wirken, als würde man schlafen, aber die Erschöpfung verlangte allmählich nach ihrem Tribut, vor allem nach der Menge Alkohol, die er intus hatte. Er war nicht betrunken, der Mond des Chaos warf alles viel zu sehr durcheinander, als dass er sich wirklich richtig betrinken könnte. Viel eher würde er erst am nächsten Tag tatsächlich herausfinden, wie dicht er wirklich war. Im Augenblick fühlte er sich einfach nur müde. Ein leichtes Klopfen erklang neben seinem Kopf. Er seufzte und rollte seinen Kopf so auf dem Bartresen, dass er auf der Stirn lag, statt auf der Wange.
„Ist schon Sperrstunde?“, fragte Nethar müde und unterdrückte ein Gähnen.
„Nein.“, erklärte eine weibliche Stimme… Seltsam so einen Klang hätte er dem bärtigen Barkeeper gar nicht zugetraut. Es klopfte erneut und diesmal heftiger.
„Der ist weggetreten.“, erklärte eine ruhige, tiefe Männerstimme dicht vor ihm. Warum konnten sie ihn nicht einfach schlafen lassen?
„Ich wette der tut nur so…“, erklärte die weibliche Stimme erneut. Na klar. Er halluzinierte. Keine Frau würde sich tatsächlich für jemanden interessieren, der halb tot auf einem Bartresen vor sich hin vegetiert.
„Ruhe… Ich will weiter schlafen…“, murmelte er und jemand kniff ihm in die Schulter.
„Hör mal… Meine beste Freundin sitzt da drüben und ist ganz allein… Ich würde das gerne ändern…“, erklärte die weibliche Stimme, die nun klang wie ein schüchternes Mädchen. Wieso immer er.
„In dieser Bar sind ungefähr 100 Männer unterwegs… und du fragst den ersten und wahrscheinlich auch einzigen Mann, der so tut, als sei er total weggetreten, ob er ihr Gesellschaft leisten kann? Was für eine Art Freundin bist du, dass du jemanden wie mich überhaupt fragst?“, erklärte er seufzend und er hörte eine Münze über den Tresen rollen, die offensichtlich von der jungen Frau neben ihm gefangen wurde.
„Okay… Du hast gewonnen, er tut tatsächlich nur so.“, erklärte der Barkeeper und sie schien zu grinsen. Verdammt, warum immer er? Mit müden Augen blickte Nethar auf und schaute die umwerfend aussehende Frau direkt an. Instinktiv zog er eine Augenbraue in die Höhe.
„Okay… Wie viele Wetten musstest du verlieren, bevor du jemanden wie mich ansprichst?“, fragte er und schaute ihr mit deutlichem Misstrauen im Blick an.
„Je nachdem, wie man es sieht… zwei.“, erklärte sie grinsend und widerstand seinem Blick spielend.
„Ich hatte schon mehr ärger für weniger…“, erklärte er ruhig und schaute sie an.
„Gut, dann kommst du also mit?“, fragte sie grinsend und Nethar seufzte.
„Du lässt mich wahrscheinlich nicht in Ruhe weiterschlafen, wenn ich es nicht tue.“, entgegnete er etwas genervt.
„Nein.“, gab sie zurück und erhob sich.
„Also? Kommst du?“, Nethar seufzte leicht, erhob sich dann aber um hinter der jungen Frau her zu gehen. Was die Welt wohl nun wieder für ihn bereit hielt? Schlaf war es jedenfalls nicht. Soviel konnte er sagen. Mit langsamen, fast damenhaften Schritten ging sie auf einen der etwas einsamer dastehenden Tische zu. Am Tisch saß eine hübsche junge Frau. Sie hatte dunkelbraunes Haar hinter dem leicht angespitzte Ohren zum Vorschein kamen, ihre Augen leuchteten in einem reinen saphirblau und sie steckte in einem einfachen hellblauen Kleid. Eine Klamottenwahl, die man normalerweise nicht zum Feiern traf.
Diese Frau hatte etwas Unschuldiges an sich. Nicht, dass ihre Schönheit, daher rührte, dass sie unschuldig wirkte, nein vielmehr betonte dieser Umstand ihre Schönheit noch zusätzlich. Mit ruhiger Gelassenheit ließ Nethar sich gegenüber der jungen Frau nieder und kam sich sofort vor, wie ein Kandidat in einer Spieleshow. ‚Nun meine Damen und Herren… Wird er das Mädchen bekommen oder entscheidet er sich doch mehr für das Gespann aus Pferd und Kutsche?‘, hörte einen imaginären Moderator sagen und er musste sein Bestes geben, bei dem Gedanken nicht breit zu grinsen. Also gut. Er hatte sich darauf eingelassen, dann konnte er genauso gut sein Bestes geben. Irgendwo aus der hintersten Ecke warf ihm ein seltsam aussehender Mann, der etwas auf seinem Musikinstrument, wobei es sich wohl um eine Leier handelte, herumzupfte, finstere Blicke zu. Er warf einen finsteren Blick zurück. Als Hexenmeister war er wohl immer noch zu den finstereren Blicken fähig.
Der Mann erbleichte und widmete sich mit wachsendem Eifer wieder seinem Instrument, als hätte er Nethar niemals seine Aufmerksamkeit geschenkt. Nethar rief sich selbst zur Ordnung und versuchte den Rest chaotischer Energie aus seinem Geist zu verbannen, die Vehrzamir, wie einen Handschuh über den Verstand all seiner Schützlinge warf. Er murmelte etwas und konnte im magischen Spektrum sehen, wie die chaotische Magie aus ihm ausströmte. Vehrzamirs Magie allerdings verpuffte nur sehr selten und der Beweis dafür waren zwei laute Misstöne, gefolgt von einem fassungslosen Aufschrei.
Als Nethar den Blick wieder hob konnte er gerade noch sehen, wie sich die rote Magie um den Baden herum auflöste. Sie hatte dafür gesorgt, dass dem Mann zwei Saiten auf seiner Leier gerissen waren und irgendeine unglückliche Bedienung , indem sie ausrutschte zwei Bierkrüge über dem Mann ausleerten. Vehrzamir hatte ein Bewusstsein und erinnerte sich an jede einzelne Drohung, die gegenüber eines Schützlings geäußert wurde, auch dann, wenn diese nicht in Worte gefasst worden war. Manchmal war Magie so unheimlich einfach, jedoch war dies eher die Ausnahme.
„Hallo.“, erklärte Nehtar mit einem Lächeln, was ihn sofort als absoluten Anfänger, was das Flirten anging auszeichnete. Warum zur Hölle war er jetzt so verdammt nervös?
„Ähm Hi… Du bist doch kein Barde oder?“, fragte die junge Frau, die auf den Namen Pheia hörte.
„Nein, ich bin schlimmer.“, erklärte Nethar und Pheia schaute ihn irritiert an.
„Schlimmer als ein Barde?“, fragte sie nach und Nethar nickte.
„Barden schreiben auf und käuen wieder, was andere erlebt haben. Ich bin der Part, der erlebt. Mein Name ist Nethar und ich bin ein Hexenmeister.“, erklärte er und Pheia blickte ihn gespannt an, als sei er mit einem Mal deutlich interessanter geworden. Möglicherweise konnte dieser Abend ja doch noch interessant werden.
(Viastra – 236 Jahre n. R. Neunter Tag der Erprobung)
Dianere holte tief Luft, lange hatte sie nur für diesen Augenblick gelebt und trainiert. Die Menge um sie herum war merklich stiller geworden. In all den Jahren, in denen sie sich nun schon auf diesen Tag, den Tag ihrer Erprobung vorbereitete, hatte sie nie verstehen können, warum so viele Leute dazu eingeladen wurden den angehenden Schamanen beim Triumphieren oder Versagen zu zusehen. Nach den Geschichten, die sie über diesen Tag gehört hatte war es ein heiliger Moment. Der Augenblick in denen man das erste Kettenglied schmiedete, was sie an den Gott band, der ihr, ihr Totem schenken würde. Sie war aufgeregt, versuchte aber ganz ruhig zu bleiben. Ein Heiliger Tag, ein Heiliger Augenblick.
Sie trat mit festem Schritt und selbstbewusst erhobenen Blick auf die Mitte des Platzes hinaus. Ihr Herz so schwer und voller Sorge, dass sie es kaum fassen konnte. Nun war sie hier und was wäre, wenn keiner der Götter erkannte, dass sie zu etwas nutze war? Wenn sie kein Totem erhielt, wenn die Gottheiten sie nicht berühren würden? Sie würde so werden wie ihre Mutter? Das durfte auf keinen Fall passieren. Ihre arme Mutter… Die Götter hatten sie nicht berührt, hatten sie nicht zur Schamanin gemacht und so war sie dazu verdammt gewesen als halber Mensch in einer Gesellschaft voller ganzen Menschen, ihr Dasein zu fristen.
Sie wusste wie sehr ihre Mutter immer darunter gelitten hatte, nicht von den Göttern berührt worden zu sein. Es war nicht so, dass du dann nichts wert warst oder so etwas. Nein.
Eine Frau, die nicht von den Göttern berührt wurde, wurde von ihrer Familie ernährt und einem Mann gegeben, dem sie Kinder schenken konnte, die hoffentlich die nächste Generation von Schamanen repräsentieren würden. Sie konnte sich gar nicht vorstellen was für ein Druck auf einer unberührten Frau lag, jeder erwartete von ihr Nachkommen zu zeugen und was, wenn diese Nachkommen nicht berührt wurden? Was würde das über sie aussagen?
Dass sie gottlos war? Ihre Familie verflucht war? Ein Mitglied der Familie, das nicht den Segen der Götter erhielt war noch in Ordnung, aber wenn sich der Segen auch ihren Nachkommen versagte? Welcher Schamane würde ein Mädchen wie sie heiraten, wenn sie den Segen nicht empfing? Ihr grauste bei dem Gedanken.
Der Gedanke so zu enden wie ihre Mutter, der Gnade des Stammes voll und ganz ausgeliefert zu sein, machte ihr Angst. Sie durfte hier nicht versagen, aber hatte sie wirklich Einfluss auf das , was geschehen würde? Manche Leute machten ihr Mut, unter anderem ihre Großmutter, die ihr immer sagte:
„Es gibt schlimmeres als eine Frau zu sein, die nicht erwählt wurde, doch in manchen Fällen passiert es, dass die Götter eine Generation einer Familie weniger beachten um ihre Aufmerksamkeit dann voll und ganz der darauf folgenden Generation zu widmen.“ Diese Hoffnung baute sie auf. Möglicherweise konnte sie die Schande, die ihre Mutter auf ihre Familie geladen hatte, indem sie den Segen nicht empfangen hatte, mit ihren Fähigkeiten, die sie empfangen würde ja wieder begleichen?
Vielleicht würden die Götter sie zu einer Kriegerin für Ruhm und Ehre des Stammes machen, vielleicht würde sie auch eine Heilerin werden? Nein, all das war nicht was sie wollte. Sie wollte die Welt sehen. Sie wollte den Stamm verlassen. Sie wollte ihr eigenes Leben führen, nicht im Schatten einer Gemeinschaft, die sie vollkommen verzehren würde. Natürlich war der Stamm ihre Familie, natürlich lebten hier die Leute, die sie liebte, aber ihr ganzes Leben hatte sie sich wie ein Vogel im Käfig gefühlt, sie weigerte sich ihr restliches Leben in der gleichen Illusion von Schutz zu leben. Sie wollte nicht leben wie ihre Mutter, ihr Leben lang in dem Glauben gelassen dem Stamm alles was sie war zu schulden.
Möglicherweise lag es daran, dass sie die Welt außerhalb des Stammgebietes nicht kannte, aber das Gefühl in schutzlos in Ketten da zu liegen ließ sie seitdem sie diesem Traum gehabt hatte einfach nicht mehr los. Dieser Traum in dem sie wehrlos gefesselt auf einer Pritsche lag, die Hände penetrant in das splitternde Holz grabend, suchend nach etwas, was sie nutzen konnte um sich zu befreien, während sich Splitter schmerzhaft in ihre Finger gruben. Dieser Traum verfolgte sie. Nicht jede Nacht, den Göttern sei Dank, jedoch umso mehr in letzter Zeit. Sie sog tief die Luft ein, versuchte die Gedanken, die sie in ihren eiskalten Fängen fest hielten von sich zu stoßen und schaffte es.
„Sei einfach du selbst und stehe mit Stolz vor den Göttern, es wird alles gut werden Kind…“, hörte sie die Stimme ihrer Großmutter in Gedanken, die ihr immer gut zu redete, und sie damit unheimlich motivierte. Was sie sagte hatte sie immer unheimlich beruhigt und sie hatte nie einen Zweifel daran gehegt, dass ihre Großmutter immer genau gewusst hatte wovon sie redete. Sie hatte sie nie danach gefragt, hatte nie Geschichten gehört, doch sie hatte nie einen Zweifel daran gehegt, dass ihre Großmutter eine große Schamanin gewesen war. Der Federschmuck, den sie trug hatte sie immer als solche ausgezeichnet, auch wenn sie wusste, dass sie diesen Federschmuck nur trug um ihrer Enkelin einen gewissen Halt zu geben.
Valandra, ihre große Heldin, aus den Geschichten ihrer Großmutter hatte in den Geschichten immer eben solchen Federschmuck getragen. Der Unterschied lag darin, dass der Federschmuck von Valandra strahlend weiß gewesen war, während der ihrer Großmutter grau war. Sie musste schmunzeln, als sie begriff, dass sie ihre Großmutter mit ihrer großen Heldin verglich. Noch immer war es still, als sie sich auf dem großen Platz herunter beugte um eine Hand voll Sand aufzuheben. Sie erhob sich, streckte die Hand vor sich aus und öffnete die Faust. Der Sand begann aus ihrer sich allmählich öffnenden Faust zu rieseln, wehte sacht im Wind mit, als ihre Stimme laut und stolz erklang. Kaum konnte sie glauben, dass es ihre Stimme war, die sie dort hörte.
„Ich, Dianere, Tochter der Thaka und letzte Erbin meines Blutes, bin bereit für die Berührung der Götter. Ich bin hier um zu erschaffen und zu bewahren, bin hier um zu begleichen und die Welt zu verändern.“, erklärte sie laut und reckte, wie es die Zeremonie verlangte den rechten Arm mit gespreizter Hand gen Himmel.
„Ich Dianere, bin bereit das Urteil der Götter zu empfangen, es zu ehren und mein Leben nach ihrem Willen zu bestreiten!“, stieß sie kraftvoll hervor, als sie die uralte Formel vollendete. Erst geschah nichts, dann kam der Moment, in dem sich ihr Arm in einem kalten Feuer hüllte, das sich rasch über ihren ganzen Körper auszubreiten schien, der Wind schlug ihr entgegen, doch er liebkoste sie mehr, als das er sie schlug.
Das war unmöglich. Doch als sie ihre Hand zurück zog sah sie den Beweis für das, was sie nicht glauben konnte. Auf ihrer linken Handfläche hatte sich ein Wirbel gebildet. Es sah aus wie eine Tätowierung, doch es war lediglich der Anfang, der erste Tupfer der Macht. Der Gott der Stürme hatte sie erwählt und sie würde seine Weihen erfahren. Die Weihen würden mehrere Wochen in Anspruch nehmen und dann würde der große Tag kommen, an dem sie ihren Wunsch äußern durfte.
Erst jetzt wurde ihr etwas klar, das Gewicht der Stille um sie herum. Niemand konnte glauben, welcher Gott sie, die Tochter einer unberührten gesegnet hatte. Sie war die einzige Frau, der seit Jahrhunderten die Weihen der Stürme zuteilwurden. Sie war etwas Besonderes. Die Stammesältesten erhoben sich und applaudierten, der restliche Stamm stimmte grölend und schreiend ein. Würde man ihr, ihren Wunsch wirklich erfüllen?
(Zaviria – 242 n. R. 17ter Tag des dritten Sommermondes)
Sia streckte sich und verzog etwas das Gesicht, als die klare Brühe im Reagenzglas sich allmählich dunkel verfärbte, ein Zeichen dafür, dass sich das destillierte Kräuterextrakt allmählich mit dem Alkohol verband. Jetzt war Vorsicht geboten, zwar musste sich das Gebräu dunkel verfärben, aber sobald die Brühe eine lila Färbung annahm würde der Trank genau das Gegenteil von dem bewirken, wofür sie ihn gebraut hatte. Es handelte sich um eine Medizin, die den Sohn einer der Dorfbewohnerinnen von seinen Krampfanfällen kurieren sollte. Ein Gebräu was zwar schwer herzustellen war, aber Wunder wirkte.
Die Hauptzutat war Mondkrähe, die in einer Vollmondnacht gepflückt worden war. Ihr Glück, dass sie vor kurzem dazu gekommen war diese Kräuter zu sammeln. Die Mutter ahnte noch nichts davon, dass Sia ein Heilmittel für das Leiden des Jungen herstellen konnte. Sie war erst vor kurzer Zeit von der großen Stadt ins Dorf gezogen, weil der Heilkundige der Stadt erklärt hatte, dass die frische Luft außerhalb der Stadt möglicherweise bei der Genesung des Jungen helfen würde. Amateur.
Beim Wissen des Kräuterkundigen der Stadt war es schon fast ein Wunder, dass die Priester nicht versucht hatten dem armen Jungen den Teufel auszutreiben. Seit seinem sechsten Lebensjahr litt der Junge unter immer wieder kehrenden Krampfanfällen, die ihn dazu brachten nachts schreiend zu erwachen.
Seine Mutter verbrachte viel Zeit damit ihrem Sohn die Sabber aus dem Gesicht zu wischen und an seinem Bett zu wachen. Sia hatte die Frau noch nicht oft gesehen, aber es war nicht schwer zu erkennen, dass sie dem Leiden ihres Sohnes viel Zeit gewidmet hatte. Sie hatte tiefe, dunkle Ringe unter den Augen und strahlte eine Müdigkeit und eine Leidensfähigkeit aus, an denen die meisten Frauen hier bereits zerbrochen waren.
Die Kräuterkundigen der Stadt hatten die „Krankheit“ falsch diagnostiziert. Sie hatte sich in einem der wachen Momente des Jungen mit ihm unterhalten und er erzählte ihr, dass seine Krankheit in einem Schacht auf ihn gewartet hatte. Eine seltsame Umschreibung, doch als sie hörte, wo er in der Stadt gewohnt hatte war ihr einiges klar gewesen. In der Nähe eines Hauptbrunnens. Eines Brunnens, der nicht mehr genutzt wurde, weil die Schächte unterirdisch mit dem Abwassersystem eines Alchemie Labors verknüpft waren. Viele der durch Alchemie erschaffenen Wirkstoffe oder Abfallprodukte mussten extra entsorgt werden, weil sie keinesfalls ins Grundwasser gelangen durften.
Ein Abfallprodukt mit Namen Viorkarmin, was bei der Destillation von vielen Kräutersuden entstand jedoch konnte normal durch Abwässer entsorgt werden, da der Verzehr des Wirkstoffes keine Gefahren barg. Allerdings wurde es gefährlich, wenn eine gewisse Menge dieser Substanz in die Blutbahn gelang.
Der Verzehr von Viorkarmin war unbedenklich, da der Stoff im Kontakt mit Magensäure soweit abgeschwächt wurde, dass Nieren und Leber die restlichen Stoffe problemlos ausfiltern konnten. Dabei blieb nur wenig der Verbindung im Blut zurück was sich nach und nach auflöste. Gelang der Wirkstoff jedoch direkt ins Blut konnte er sich anreichern, da die Magensäure die Stoffe, die das ganze resistent gegenüber den Nieren machte nicht vernichten konnte.
In diesem Fall waren kleine Mengen nicht bedenklich, jedoch ein Kind, was zerschrammt in einem Brunnenschacht herum lief, der voll mit diesem Zeug war, würde eine ganze Menge davon aufnehmen.
Der Trank, den Sia gebraut hatte sorgte dafür, dass die Stoffe, die das angereicherte Viorkarmin in seinem Körper für Nieren und Leber unsichtbar machten entsorgt wurden, womit das Gift gefahrlos gefiltert und ausgeschieden werden konnte. Der ganze Prozess würde eine Weile dauern, je nachdem wieviel des Giftes sich in seinem Körper angereichert hatte, doch würde der Trank das Gift früher oder später vollständig aus seinem Körper spülen. Es war ihr unbegreiflich, wie die Kräuterkundigen der Stadt das übersehen konnten. Sie atmete tief durch. Gut für den Jungen, denn die meisten Kräuterkundigen vertraten offenbar die Ansicht, dass eine Arznei, die helfen soll abartig und grausam schmecken musste. Sia war da anderer Ansicht.
Sie drehte sich zu ihrem kleinen Labortischchen um und zog einen frisch geschruppten Keramikmörser mit Stößel vor sich. Sie stellte das Fläschchen mit der Arznei neben den Mörser und zählte drei Blätter Kleeahorn aus einer Ablage ab, die er in den Mörser legte. Sie zerstieß die Blätter zu einem Brei, goss ein wenig Wasser dazu, damit der Brei glatter wurde, nun zog sie einen kleinen Behälter aus einer der zahlreichen Schubladen und ließ drei Teelöffel eines weißen Pulvers in die Schüssel fallen.
Sie lächelte und ließ zwei weitere Teelöffel folgen. Zucker konnte man schließlich nie genug haben. Sie zerstieß das ganze so lange, bis der Zucker komplett untergehoben war. Nun füllte sie den Inhalt des Fläschchens in den Mörser und hob die Arznei unter. Behutsam tunkte sie eine Fingerkuppe in den dünnen Brei und leckte sie ab. Sie verzog das Gesicht, ließ noch drei Löffel Zucker folgen und opferte sogar eine Vanilleschote bis das Resultat einen angenehm süßen, ja sogar leckeren Geschmack aufwies.
Zufrieden nickte sie und füllte die zähe Flüssigkeit in ein Gestell, welches mehrere Stahlkugeln aneinander reihte, die oben eine kleine Öffnung hatten. Sie seufzte und ließ die Flüssigkeit abkühlen. Sie würde dem Jungen die Arznei im Verborgenen geben müssen. Seine Mutter vertraute ihr nicht.
Verdammt, sie konnte es ihr nicht einmal verübeln, immerhin hatte sie in der Stadt gelebt und die Kräuterkundler der Stadt hatten ihrem Kind nicht helfen können.
Wieso also sollte die Kräuterheilerin eines kleinen Dorfes mitten in der wohl mit Abstand tiefsten Provinz ihm helfen können. Sie lachte in sich hinein. Ihre Lehrmeisterin hatte dieses Verhalten von Stadtmenschen immer verurteilt, aber ihre Lehrmeisterin hätte einem Holzfäller auch verübelt, hätte er sich beim Holz hacken einen Splitter eingezogen.
Sie war eine liebenswerte Frau gewesen, jedenfalls, wenn man sie näher kannte und über die harte und raue Schale hinweg sehen konnte. Die Hauptsache würde sein, dass das Kind nicht weiter leiden musste. Sie seufzte und ertappte sich dabei, wie ihre Hand über ihren Bauch strich.
Schmerz erfasste sie bei dem Gedanken an die Zeit, in der sie selbst schwanger gewesen war. Es war lange her, eine Aussage, die man ihr bei ihren 22 Jahren immer eher belächelte, als dass man sie glaubte. Noch immer gab sie sich selbst die Schuld daran ihr Kind verloren zu haben.
Natürlich, sie hatte den Vater des Kindes gehasst und er war mit Abstand der schlechteste Mensch, den sie jemals kennen gelernt hatte, aber das Kind, was er in sie hinein gepflanzt hatte war unschuldig gewesen. Eine Träne rollte über ihre Wange, als sie darüber nachdachte, wie sie mit ihren damals 17 Jahren hier her gekommen war und ihre Lehrmeisterin Verita alles getan hatte um ihr Kind noch zu retten, jedoch waren selbst ihre Bemühungen umsonst gewesen.
Sia hatte unter diesem Umstand wahnsinnig gelitten, doch irgendwie war es ihr gelungen es zu verkraften. Irgendwie. Sie unterdrückte ein Schluchzen und wischte sich die Tränen weg. Sie hasste es in ihre weinerliche Phase zurück zu fallen. Sie würde nicht zulassen, dass ein Kind unnötig litt und sich quälte. Sie hatte genug von ihrer Lehrmeisterin gelernt um tatsächlich als eine der besten Kräuterkundigen überhaupt zu gelten. Doch wussten nur sehr wenige wirklich von ihrer Existenz. Und das war auch gut so.
Verita war ständig um Rat gefragt worden und seitdem sie tot war, war die Aufmerksamkeit, die sich auf dieses Dorf gerichtet hatte größtenteils versiegt. Gut für sie, denn ein Versteck sollte nicht berühmt sein. Aus ihr war eine fähige Heilerin geworden, Verita war kurz vor Ende ihres Lebens sogar der Ansicht gewesen, dass sie besser war als sie selbst. Sie war eine der besten Heilerinnen und war froh darüber, dass es niemand wusste. Sie streckte sich und gähnte, während sie der zähen Flüssigkeit beim Erstarren zusah. Es würde nicht lange dauern. Gerade, als sie die Augen kurz geschlossen hatte flog die Tür auf.
„Sia! Wir haben ein Problem.“, erklang Jiros Stimme direkt hinter ihr, sie erstarrte, als sie sich zu ihm wandte und den reglosen, blutverschmierten Körper sah, der über seiner Schulter lag.
„Was ist passiert?“, fragte Sia und bemerkte, dass sie den Mann nicht kannte. Er trug herrschaftliche Kleidung, kam wahrscheinlich aus der Stadt.
„Er war in der Taverne und hat plötzlich angefangen Blut zu spucken. Er riecht nach Eiter, ich habe ihn mir gegriffen und bin sofort her gekommen, seine Eskorte ist genau hinter mir. Werwölfe sind immun gegen ziemlich alle Krankheiten und Infektionen, deshalb ist er hier besser aufgehoben, als in der Taverne.“, erklärte er und erneut flog die Tür hinter ihm auf.
„Im Namen des Königs, was habt ihr mit dem jungen Grafen vor?“, stieß ein massiger, in Wachuniform der Stadt gewandeter Mann, der besorgt zu Jiro blickte. Sias Blick wurde hart.
„Ruhe!“, brüllte sie und schaute den Wächter finster an.
„Sie wagen es..?“, begann der Wachmann, doch Sia schnitt ihm das Wort ab.
„Jiro, bring ihn ins Behandlungszimmer und Ihr…“, sie zeigte auf den Wachmann.
„…stört die Behandlung nicht. Es ist mir egal wer oder was er ist. Im Augenblick ist er mein Patient und ich werde nicht zulassen, dass er mir hier weg stirbt, nur weil Ihr hier Ärger macht. Also entweder haltet Ihr die Klappe und lasst mich meiner Tätigkeit nachgehen oder ich sehe mich gezwungen Euch vor die Tür zu werfen.“, erklärte sie laut, aber mit gebotener Höflichkeit in der Stimme, deren Klang allerdings nicht unterschlug, dass sie ihre Drohung tatsächlich wahr machen würde. Der Wachmann blickte sie verdutzt an, sagte aber nichts weiter. Sia nickte und wandte sich um, folgte Jiro ins Behandlungszimmer und blickte den Mann an.
Er hatte schöne haut, trug edle Kleider, hatte gute Zähne und keinen Schmutz unter den Fingernägeln. Ein Graf, für wahr. Er war blass, seine Lippen von Blut verschmiert. Sie öffnete eines seiner geschlossenen Augen und überprüfte das weiße seiner Augen. Keine Verfärbung.
Sie öffnete seinen Mund und roch an seinem Atem. Der Geruch von Eiter war aufdringlich und Sia legte die Stirn in Falten.
„Wachmann! Hatte er auf der Reise hier her Schwächeanfälle? Hat er möglicherweise ein Bein weniger belastet als ein anderes? Vielleicht, wenn er geritten ist, hatte Momente der Orientierungslosigkeit?“, fragte sie den Wachmann, der ebenfalls das Behandlungsraum betreten hatte. Er schaute sie irritiert an.
„Woher..?“, begann er, doch Sia nahm es als positive Antwort, öffnete einen Schrank, zog einen sauberen Mörser hervor und warf verschiedene Kräuter herein. Dann zog sie eine große glasspritze aus einer Schublade, rannte zum Tisch und blickte den Patienten an.
Mit schnellem Griff zog sie ein Messer und trennte die Oberkleidung des Mannes auf, ehe der Wachmann reagieren konnte. Sein Hals blähte sich beim Atmen nur auf einer Seite auf. Sie zog den Spritzenkolben heraus und stieß die Nadel in Höhe des linken Lungenflügels in seine Brust. Sofort tat der Mann einen tiefen Atemzug. Daran, dass er die er die Augen aufschlug und seine Augen nervös hin und her blickten, während er schnelle, hastige Atemzüge tat erkannte sie, dass er wach war.
„Jiro, halt ihn fest.“, erklärte sie und begann die Kräuter zu zermahlen, dann träufelte sie eine klare Flüssigkeit dazu, bis es einen glatten Brei ergab.
„Beruhigen Sie sich, wenn Ihnen ihr Leben lieb ist, essen sie das. Es schmeckt zwar scheußlich, aber danach wird es Ihnen besser gehen.“, erklärte sie schnell und kam mit der Mörserschale zu dem Adligen hinüber kam, der sich allmählich beruhigte. Tja, keine Bonbons für Adlige, für sie war das Leben bisweilen süß genug. Der Adlige blickte sie finster an, ließ dann aber zu, dass sie ihm die Schale an die Lippen hob und öffnete gehorsam den Mund. Der Brei lief ihm in den Mund, er würgte erst, schluckte es dann aber gehorsam herunter. Er war weniger verwöhnt, als sie es gedacht hatte.
Sie schloss die Augen und murmelte ein paar Worte. Ein Schauer lief ihr quer über den Körper entlang ihrer Tätowierungen, als sich ihre magische Begabung aus dem Schlummer erhob. Sie konzentrierte sich, berührte den Adligen an der Stirn und ließ einen schwachen Puls ihrer Magie durch seinen Körper jagen. Sie atmete auf.
Die Tätowierungen, die an ihrer rechten Handfläche begannen, dann in einer spirale ihren Arm bis zur Schulter verliefen und sich dann weiterhin spiralförmig über ihre Schulter, ihre Brust, den Rücken und ihren Hintern hinab bis zu ihrem linken Fuß wickelten, kribbelten elektrisch.
Sie hatte ihre Magie lange nicht mehr benutzt und hatte auch nicht erwartet es so schnell wieder tun zu müssen, jedoch ergab die Magie für sie ein Bild seines Zustandes. Er würde wieder genesen. Sie hatte instinktiv die richtige Medizin gemischt und den Brei letztendlich mit genug magischer Energie aufgepumpt, dass er die Krankheit schnell kurieren und mögliche Schäden entgehen konnte. Mit einer schnellen Bewegung zog sie Spritze aus der Brust des Mannes, der sie komplett überrumpelt anblickte. Offensichtlich hatte die Medizin bereits jetzt zu wirken begonnen.
Er japste kurz nach Luft, dann jedoch normalisierte sich seine Atmung wieder. Gut. Langsam ließ er sich auf das Polster des Bettes sinken und Jiro ließ ihn los.
„Wow… Es ist lange her, dass ich Lungenzerrfieber in einem solchen Ausmaß gesehen habe… macht Euch keine Sorgen. Die Medizin hat voll angeschlagen. Ruht Euch ein paar Tage aus und Ihr werdet wieder…“, erklärte sie teilnahmslos, während sie die Mörserschale kurz abspülte und erneut damit begann verschiedene Kräuter zu zermahlen.
Diesmal jedoch ließ sie den dabei entstehenden Brei auf eine andere Apperatur laufen, die wie ein Steinbrett mit einer Mulde in der Mitte aussah. Sie verteilte den feuchten Brei in der Mulde und stellte eine kleine Viole unter den kleinen Ausguss, der am einen Ende der Mulde angebracht war. Sie sog tief die Luft ein und holte eine mit Haltegriffen an beiden Seiten versehene Walze hervor die perfekt in die Mulde passte.
Sie schob die schwere Walze mehrfach über den Brei, was jedes Mal einen kleinen Schwall grüner Flüssigkeit in die Viole laufen ließ. Als die Viole einigermaßen voll war verkorkte Sia sie und reichte sie dem Mann, der nun wieder einigermaßen zur Ruhe gekommen, auf dem Bett lag.
„Leert diese Flasche im Laufe der Woche. Ihr solltet davon absehen den Inhalt in einem Zug zu euch zu nehmen. Die Arznei führt bisweilen dazu, dass der Körper restliche Infektionen reinigt und das kann auf einen Schlag ziemlich ungemütlich werden.“, erklärte sie und lehnte sich an einen Schrank, als der Adlige die Viole entgegen genommen hatte. Kurz herrschte Stille im Raum, dann trat der Wachmann auf Sia zu und betrachtete sie argwöhnig.
„Wie kann es sein, dass ich noch nie von Euch gehört habe, Heilerin?“, fragte er und betrachtete Sias Gesicht. Weil keiner von mir wissen soll.
„Möglicherweise weil es bisher einfach noch keinen Anlass gab meine Existenz zur Kenntnis zu nehmen.“, gab Sia zurück und der Adlige erhob sich, schüttelte den Kopf.
„Mein Vater hat dutzende Heiler konsultiert um meiner Krankheit beizukommen, jedoch ist es bisher noch niemanden gelungen, dass ich mich so gut fühle. Das bedeutet, dass Ihr euch entweder besonders gut auf eure Kunst versteht oder aber, dass die anderen Heiler, die mir ihre Aufwartung machten Scharlatane waren.“, entgegnete der junge Adlige.
Wieso hatte sie wieder mit ihrem Wissen protzen müssen? Wieso hatte sie den Adligen nicht einfach sterben lassen können? Weil der Eid der Heiler, den vor ihrer Lehrmeisterin und den stummen und tauben Göttern geleistet hatte, sie band Leben um jeden Preis zu behüten. Man konnte dazu sagen was man wollte, aber für sie war dieser Schwur, auch wenn er nur aus Worten bestand etwas sehr wertvolles. Natürlich konnte sie sich nicht Haarklein an jede Klausel des Schwurs halten, aber so lange sie es konnte, ohne dabei selbst in Gefahr zu geraten würde sie es tun.
„Ich bin eine ganz normale Heilerin, in Dörfern trifft man bestimmte Krankheitsbilder öfter an, als in großen Städten, wieso also lernen etwas zu behandeln womit man es nie zu tun bekommen wird? Es gibt so viele verschiedene Krankheiten, noch mehr Symptome und dutzende Möglichkeiten diese zu heilen oder zu therapieren.
Man kann nicht alles wissen. Nur weil ich etwas erkannt habe, was ein anderer Kollege nicht erkannt hat und wusste, wie man es heilt, macht mich das nicht automatisch zum besseren Heiler.“, erklärte Sia ruhig und der Graf schnaubte verächtlich.
„Hätte ich diesen Anfall in der Stadt gehabt wäre ich gestorben. Die Ärzte und Kräuterkundigen der Stadt hätten mich lieber ersticken lassen, als mir, ohne Genehmigung meines Vaters und drei anderer Ärzte eine Spritze in die Brust zu rammen, so wie Ihr es getan habt. Ich danke Euch.“, entgegnete der Adlige und Sia blickte ihn etwas irritiert an. Er hatte sich bedankt? Das waren ja ganz neue Töne von Adligen, normalerweise hielten es Adlige für selbstverständlich, dass man ihr ach so wertvolles Leben rettete. Sia musste sich eingestehen, dass sie in diesem Moment nicht genau wusste, wie sie damit umgehen sollte.
„Ähm… gern… geschehen…?“, gab sie zur Antwort und der Graf kicherte und versank gleich darauf in einem rauen Hustenkrampf. Nicht gefährlich aber, wahrscheinlich ziemlich unangenehm. Die Wache sprang sofort auf und begann seinen Herren zu schütteln.
„Hoher Herr? Ist alles in Ordnung?!“, rief die Wache, erschrocken von dessen Hustenkrampf. Noch immer hustend begann der Graf zu nicken und lächelte. „Besser als lange nicht mehr.“, erklärte er mit rauer Stimme. Gut die Behandlung war also auf bestmögliche Art angeschlagen.
„Ihr solltet euch trotz Allem etwas ausruhen, es wird etwas dauern, bis die Krankheit auskuriert ist.“, erklärte Sia mit dem dominanten Ton einer Kräuterheilerin.
Der Graf schaute sie an, wie ein Kind seine Mutter, wenn es im Begriff war sich aufgrund von Dummheiten zu entschuldigen. Sia zog eine Augenbraue hoch. Eine ihrer Kindheitsfreundinnen hatte einen Hund, der immer genau so geguckt hatte, wenn er irgendwo sein Geschäft erledigt hatte, wo er es nicht hätte tun sollen. Kurz überlegte sie zu fragen ‚Wo ist das Häufchen, Graf.‘, jedoch besann sie sich eines Besseren und setzte ein formloses Lächeln auf.
„Was tut ein Graf in unserem Dorf?“, stellte sie die Frage, die sie wohl am meisten beschäftigte. Normalerweise beehrten Grafen die kleineren Dörfer, wenn überhaupt mit Boten oder notfalls auch Geldeintreibern, kamen aber nicht persönlich vorbei, vor allem nicht mit einer so kleinen Eskorte. Der Graf lächelte.
„Nun… Ich wollte mir die Dörfer rund um die Stadt einmal ansehen. Das war so offensichtlich gelogen, dass Sia sich ein Grinsen verkneifen musste.
„Die nächste Stadt ist Tage entfernt, also? Was wollt ihr hier?“, fragte sie erneut und der Blick des Grafes verfinsterte sich.
„Nun… Eigentlich bin ich hier, um mir ein Bild zu machen, mein Vater ist sehr alt und sehr krank und ich werde die Lehnsherrschaft für sein Gebiet erben… Allerdings… Könntet ihr vielleicht etwas ändern.“, erklärte der Graf und Sia zog eine Augenbraue in die Höhe.
„Was soll das heißen?“, fragte sie missmutig und konnte sich schon denken, was er als nächstes sagen wollte. Obwohl es sie wohl noch mehr verblüffen würde, würde er es tatsächlich sagen.
„Nun mein Vater geht auf die 70 zu und ist sehr schwach, jedoch habe ich gehört, dass Menschen deutlich älter werden könnten. Bei Ihm wäre es wahrscheinlich auch möglich, wenn diese Krankheit nicht wäre.“, gab er zurück und schaute Sia vielsagend an.
Es verblüffte sie tatsächlich. Normalerweise brannten die Kinder von Grafen darauf die Lehnsherrschaft ihres Vaters zu erben, aber dieser Mann schien nicht an der Macht und vor allem nicht an der damit einhergehenden Verantwortung interessiert zu sein. Es geschahen noch Zeichen und Wunder, aber letztendlich musste es immer eine Ausnahme geben, welche die Regel bestätigte nicht wahr?
„Ich kann hier nicht weg. Ich bin für jeden einzelnen Mann, jede Frau und jedes Kind in diesem Dorf verantwortlich…“, erklärte sie, doch der Graf lächelte und schüttelte leicht den Kopf.
„Ich würde einem Teil meines Volkes niemals die Geborgenheit eines Heiler wegnehmen oder vorenthalten, ich rede von einem kurzzeitigen Tausch.“, grinste der Graf und Sia blickte ihn verständnislos an.
„Was für eine Art Tausch soll das sein?“, fragte sie misstrauisch und der Graf grinste noch breiter. „Wenn Ihr mit mir zusammen in die Stadt zurück kehrt, werde ich im Gegenzug einen Heiler und zwei seiner Auszubildenden hier her schicken um die Stellung zu halten, solange Ihr weg seid.“, erklärte der Graf und lächelte leicht. Er war noch immer blass und seine Augen waren noch immer von dunklen Ringen unterlaufen, aber man merkte gleich, dass dieser Mann es ernst meinte.
„Ich sehe hier nur Vorteile, für beide Parteien, Ihr lernt etwas über das Leben in der Stadt und die Krankheiten, die dort an der Tagesordnung sind, wie auch deren Heilung und Therapierbarkeit. Im Gegenzug lernen die Heiler in der Stadt über Krankheiten, die auf dem Land und in Dörfern üblich sind.“, ergänzte er danach schnell und Sia würde lügen, würde sie sagen, dass sie nicht verblüfft war.
„Was ist, wenn ich Euren Vater nicht heilen kann?“, fragte Sia misstrauisch und erwartete einen gewaltigen Haken an der Sache. Der Graf zuckte mit den Schultern.
„Dann ist es eben so, niemand ist perfekt, aber die Entscheidung liegt hier in meiner Hand. Ihn in den Händen von Ärzten und Heilern zu belassen, die ihm in der Vergangenheit nicht helfen konnten, oder sein Leben in die Hände einer Heilerin zu geben, die mir persönlich das Leben gerettet hat.“, erklärte der Graf und Sia glaubte nicht so ganz, was sie da hörte. Wer war dieser Mann? Wäre es nicht sogar vielleicht besser, wenn dieser Mann den Platz des jetzigen Grafen einnahm? Innerlich schüttelte sie den Kopf.
„Wer seid Ihr?“, fragte sie ungläubig und der Graf grinste breit.
„Mein Name ist Vincent van Regales, Sohn des Grafen von Zaviria.“, erklärte er und Sia blinzelte. Der Name Regales war ihr geläufig, aber wieso hatte sie nie von ihm, dem Erben des Grafen gehört?
„Einer von Acht Regales Sprössen? Der Älteste, nehme ich an.“, erklärte Jiro und Sia blickte sich zu ihm um. Der junge Graf nickte kurz und blickte den Werwolf mit einem Lächeln an.
„Ich bitte um Entschuldigung… ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt, dabei hast du mich doch erst her gebracht.“, entgegnete Vincent und Jiro blickte ihn an, als hätte er gerade einem Baby ins Gesicht gefurzt und für die nächste Ladung um ein Feuerzeug gebeten.
„Was? Wieso? Ich.. Ähm…“, begann Jiro komplett aus dem Konzept gebracht, was Sia zum Schmunzeln brachte.
„Hättest du mich nicht hier her gebracht wäre ich wahrscheinlich drauf gegangen und deshalb danke dich dir. Wenn ich bereits der Graf wäre, würde ich dir jetzt einen Titel und Ländereien oder sowas geben, aber bis dahin sollte es erstmal mit etwas Gold getan sein nicht wahr?“, erklärte der Adelssohn mit der typischen Stimme eines Adelssöhnchens, was bereits in der Wiege gelernt hatte, dass sich jedes Problem der Welt mit Geld lösen ließ. Sia wusste wirklich nicht, was sie von ihm halten sollte. Andererseits war Gold genau das was Jiro jetzt brauchte. Er hatte weder Haus noch Job und bis er sich hier etwas eigenes leisten könnte würde er noch eine ganze Zeit lang arbeiten müssen. Jiro blickte ihn fassungslos an.
„Was zur…“, begann er, doch der Adelssohn zog seine Börse aus dem Gürtel und ließ Goldmünzen auf die Hand fallen. Viele Goldmünzen. Verdammt viele Goldmünzen. Mächtig viele Goldmünzen und diese verdammte Börse schien einfach nicht dünner zu werden. Was war hier los? Jiros Augen hatten bereits eine Größe angenommen, die wirklich ungesund aussah, aber Sia konnte nichts dazu sagen, weil ihr die Kinnlade herunter geklappt war. Adlige und ihre finanzielle Magie. Einfach lächerlich. Magier mochten einen Feuerball werfen können, aber Adlige konnten einen Magier kaufen, der den Feuerball in doppelter Größe zurück feuerte. Das Leben verteilte seine Güter ungleich und wirklich nicht fair. Außer vielleicht in diesem Fall, denn der Adlige ließ die Münzen in einen Beutel fallen und reichte diesen Jiro.
Die Wache des jungen Grafen blickte dem Geldbeutel nach, wie man einem lang verschollenen Freund nachschaute, der sich nach einem kurzen Gespräch gleich wieder verabschiedete. Offensichtlich wurde er bei weitem nicht so gut bezahlt. Der Adlige wandte sich wieder an Sia. „Überlegt Euch mein Angebot und lasst es mich wissen. Ich werde noch zwei Tage hier bleiben und mir ein Bild machen. Natürlich bleibt Ihr hier, bis der versprochene Ersatz eingetroffen und zu Eurer Zufriedenheit ist. Die Stadt hat mehr als genug Heiler, den einen oder anderen werden sie dort wohl kaum vermissen.“, begann der Adlige an Sia gewandt, die ihn noch immer etwas perplex anstarrte.
Val grinste, als sie Pheia anblickte, die sich in ihrem Bett rekelte. Langsam wurde sie also wach. Val war schon seit einer ganzen Weile wieder wach, auch wenn ihr Kopf dröhnte, aber es war immer ein willkommenes Ereignis, wenn sie beim Aufwachen nicht alleine war. Pheia hatte sich irgendwann nachts dazu entschlossen mit Val zurück zu gehen, wobei sie sofort auf dem weichen Bett eingeschlafen war.
Zwischen den beiden war nichts passiert, aber das war wahrscheinlich auch besser so. Ihre Freundschaft hatte schon eine ganze Menge einstecken müssen und Morgens nackt neben ihrer besten Freundin aufzuwachen war wohl eher eine der Dinge, die sich Pheia nicht wünschte. Val musste grinsen als Pheia allmählich wach wurde und sie anblinzelte. Val hob die Hand um zu winken und innerhalb eines Sekundenbruchteils färbte sich Pheias Gesicht krebsrot.
„Wa… Was ist gestern Nacht passiert? Ha… Haben wir…“, begann Pheia und unterbrach ihren Wortschwall um Luft zu holen. Val schüttelte lächelnd den Kopf.
„Nein. Wir haben nichts getan, was du bereuen musst…“, erklärte Val grinsend und sah wie Pheia tief ausatmete, als würde ihr eine riesige Last von den Schultern fallen.
„Die harte Phase mit Peitschen und Brenneisen haben wir übersprungen.“, erklärte Val trocken und Pheia sprang mit einem hohen Aufschrei auf und landete auf den Füßen, wobei sie wohl bemerkte, dass sie noch Unterwäsche trug.
Val hatte nicht gewollt, dass ihr Kleid zerknittert, weshalb sie die schlafende Pheia ausgezogen hatte. Ein Umstand der in Anbetracht des dünnen Kleides gar nicht so einfach gewesen war, wie es sich anhörte. Sie hatte sich wirklich Mühe geben müssen das Kleid nicht kaputt zu machen, was ihr allerdings letzten Endes doch gelungen war. Erneut war Pheia rot und stammelte etwas unverständliches, was sich allerdings schnell wieder legte, als sie Vals breites Grinsen sah.
„Duuu…“, stieß sie hervor und Val streckte sich lasziv.
„… bist hinreißend? Wunderschön? Eine Augenweide? Die beste Freundin, die man sich wünschen kann?“, vollendete sie ihren Satz mit einem breiten Lächeln. Pheia stieß die Luft aus und erhob sich und sprang aus dem Bett und stapfte einen Moment im Kreis herum, wohl um ihre überschüssige Anspannung los zu werden.
„Du bist dir doch hoffentlich im Klaren, dass das Folgen haben wird.“, erklärte Pheia mit sanfter, fast einlullender Stimme. Val bemerkte, dass Pheia, wie sie dort vor ihrem Bett herumstapfte deutlich mehr Vorzüge hatte als Val. Kurz hob sich Eifersucht in ihrer Brust, die sie aber gleich wieder los ließ. Pheia war viel zu süß um ihr lange sauer sein zu können.
Pheia kam mit eisigem Blick an ihre Seite des Bettes und blickte sie an. Was zum Henker hatte sie vor? Pheias Finger Schossen innerhalb eines Sekundenbruchteils voraus und trafen Val seitlich an den Rippen. Pheia grinste und Val starrte sie fassungslos an.
„Du wirst doch nicht?“, begann Val mit auf einmal friedfertigem Unterton in der Stimme.
„Oh doch.“, erklärte Pheia und begann ihre beste Freundin zu kitzeln. Das empfindliche Gefühl ergriff sie, brachte sie zum Lachen und zum Strampeln, doch als sie ihre Arme heben wollte um Pheia fest zu halten und von ihren Taten abzuhalten erschlafften sie kraftlos.
Sie hasste es gekitzelt zu werden, aber Pheia zuliebe ließ sie es über sich ergehen, auch wenn es wirklich ein beunruhigendes Gefühl der Machtlosigkeit mit sich brachte. Als sie es endlich schaffte Pheia mit zitternden Armen und noch immer noch verkrampften Lachmuskeln von sich zu schieben lächelte sie diese an, packte sie an den Armen und drehte sie so, dass sie unter ihr zum Liegen kam.
Wenige Zentimeter trennten ihre Gesichter voneinander und sie konnte spüren, wie sich ihre Brüste und Schenkel aneinander schmiegten. Ein unbeabsichtigter Nebeneffekt, aber es half zu erreichen, was Val hatte tun wollen. Pheia errötete und zwar so, dass man nur noch schwer glauben konnte, dass sie abseits ihres Gesichts überhaupt noch Blut besaß.
„Was hast du vor?“, fragte Pheia geistesabwesend, ihre Augen starrten irgendwie unentwegt auf Vals Lippen, dann schloss sie die Augen. Nahm Val das jetzt grade wirklich wahr? Sie schluckte, dachte kurz darüber nach sie tatsächlich zu küssen, kniff ihr aber stattdessen in die Wange.
„Ich habe vor dir die Röte ins Gesicht zu treiben, also nichts Schlimmes. Hör auf so versaute Dinge zu denken.“, erklärte Val mit hochgezogener Augenbraue.
„Es… Tut mir… Also ich hab gar nicht an sowas gedacht!“, erklärte Pheia nach anfänglichem Zögern und blinzelte ihr zu. Val hob erneut eine Augenbraue.
„Ach nein?“, fragte sie um sich zu versichern. Pheia schüttelte deutlich viel zu energisch den Kopf, als das man ihr diese Reaktion wirklich hätte abkaufen können.
„Na gut... Vielleicht ein bisschen.“, seufzte sie und Val grinste sie an.
„Hey… Die Nummer Drei gestern, hat dich gestern wirklich angesprochen oder?“, fragte Val gespannt und Pheia sog tief die Luft ein. „Zwei und Drei… aber Nummer Zwei war zu eindeutig bereits vergeben.“, erklärte Pheia mit einem tiefen Seufzen.
„Nun gut… Also Nummer Drei… Gut… Er schien auch etwas für dich übrig zu haben.“, entgegnete Val mit einem Lächeln und rollte sich von Pheia herunter.
„Ach findest du?“, fragte Pheia etwas verdutzt und lächelte verlegen.
„Klar, wenn nicht müsste er schwul sein. Außerdem hat man es daran gemerkt, wie er mit dir geredet hat.“, grinste Val und Pheia dachte darüber nach, dann seufzte sie.
„Aber ich will jemanden, der mich aufgrund meiner Persönlichkeit liebt und nicht nur, weil ich gut aussehe.“, erklärte Pheia seufzend und Val grinste noch breiter.
„Ich glaube da bist du bei ihm an der richtigen Adresse.“, gab sie zurück und Pheia schaute sie zweifelnd an.
„Klar, denk doch mal darüber nach, der oberflächliche Typ Mensch hätte dir sofort Komplimente für deine Schönheit gemacht, hat er das im Verlauf des Gesprächs einmal getan?“, fragte Val sie und Pheia dachte tatsächlich darüber nach.
„Nein… Jetzt wo du es sagst… Dieser Melvin hat sich sofort auf das Thema gestürzt, wie ein verhungernder Wolf auf ein saftiges Hüftsteak…“, seufzte Pheia und Val grinste breit.
„Glaub mir, Melvin wollte mehr als nur dein Hüftsteak.“, gab Val zurück und Pheia starrte sie an. „Das ist widerlich.“, entgegnete Pheia und verzog angewidert das Gesicht zu einer Grimasse.
„Dieser Nethar ist sich im Thema Liebe jedenfalls sehr unsicher, das hat man gemerkt.“, sagte Val dann mit einem Lächeln.
„Wie kommst du darauf? Mir kam er so vor als hätte er ein solches Gespräch nicht zum ersten Mal geführt.“, hakte Pheia nach und Val zuckte mit den Schultern.
„Sein Verhalten war gut, er war sehr ruhig, aber die Dinge, die er gesagt hat waren eher abwehrender Natur, so als wolle er dich abschrecken, jedoch hat er jedes Mal gelächelt, als du nicht weg gelaufen bist. Denk mal drüber nach. Zuerst, als er dir gesagt hat, dass er ein Hexenmeister ist, dann die Aussage, dass Hexenmeister in Geschichten immer die Bösen sind und nie das Mädchen bekommen… Mir kam das schon alles sehr vorsichtig vor.“, gab Val zur Antwort und Pheia nickte. Ja Verdammt Val, du hast es geschafft, die Kleine interessiert sich endlich für einen Mann.
„Und wenn schon, ich bezweifle, dass ich ihn so schnell wieder sehe.“, entgegnete Pheia und Val zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Du wirst es erleben, solltest du ihn wieder sehen würde ich vorschlagen zu versuchen ihn besser kennen zu lernen, anstatt von ihm davon zu rennen.“, lächelte Val zaghaft und streichelte Pheia zärtlich übers Haar, was sie sichtlich aus dem Konzept brachte.
„Ich… Wieso sollte ich von ihm davon rennen?“, fragte Pheia und schaute bewusst wo anders hin. „Du weißt wieso… Wenn du wirklich jemanden suchst, der sich für dich interessiert und nicht für dein Aussehen, dann musst du dich auch auf ihn einlassen. Wie soll er sich in dich verlieben, wenn du nicht zulässt, dass er dich kennen lernt?“, gab Val zurück und schaute sie tadelnd an. Sie sog tief die Luft ein und lächelte Val an.
„Ja… Du hast wahrscheinlich recht…“, seufzte sie und Val grinste breit.
„Vielleicht? Ich bin deine beste Freundin, ich habe natürlich immer recht.“, schnaubte Val gespielt enttäuscht und Pheia schlug ihr zaghaft gegen die Schulter. Beide lachten leise und Val schaute Pheia tief in die Augen. „Gib dein Bestes, Süße.“, erklärte sie mit einem zwinkern und Pheia stieß den Atem aus.
„Ja Herrin.“, erklärte sie und warf die Arme in die Höhe.
„Meisterin.“, forderte Val mit hochgezogener Augenbraue. „Vergiss es.“, entgegnete Pheia mit einem Lächeln. Val zuckte mit den Schultern.
„Irgendwann wirst du meine Macht anerkennen.“, prophezeite sie, von sich selbst überzeugt.
„Nicht mehr in diesem Leben.“, gab Pheia zurück und schüttelte den Kopf. Val grinste breit.
„Na, wenn du das sagst.“; grinste sie leicht und zuckte mit den Schultern.
Ronin stieß tief den Atem aus, als er die Welt betrachtete. Die Erde war verdorrt, der Himmel seinen Zorn fürchtend verdunkelt und Fäulnis lag in der Luft. Sein Blick ging umher. Nicht hier. Mit langsamen Schritten ging er los, in die Richtung aus der er die Verderbtheit spürte. Ryzalar hatte gesagt, solange er niemanden bestimmt hatte, der seine Arbeit auf dieser Welt tun würde, würde er sich selbst um solcherlei Dinge kümmern müssen. Lästig und Uninteressant.
Ryzalar war ein alter Sack, aber meistens stimmte was er sagte, abgesehen natürlich von Grundlegenden Dingen, in denen natürlich er Recht hatte. Es war nicht so, dass er von sich glaubte immer recht zu haben, sein Vater Ryzalar hielt nur bedauerlicherweise zu sehr an alten Werten und Traditionen fest. Aber wer sollte es dem altem Mann schon verübeln, immerhin hatte er eine Frau geheiratet, die sein genaues Gegenstück darstellte. Es war vorprogrammiert, dass Ryzalar seine Meinung und seine Werte umso stärker verteidigen musste, wenn schon seine Frau ständig gegen ihn war.
Nicht, weil sie ihn nicht mochte, sondern einfach, weil es in ihrer Natur lag Dinge zu hinterfragen. Eine Eigenschaft die unweigerlich zusammen mit dem Stolz seines Vaters auf ihn übergegangen war. Natürlich waren sich seine Eltern gerade bei dem Thema der Müllbeseitigung einig gewesen, was ihn mehr oder weniger dazu zwang dem Umstand zu entsprechen.
Er stieß den Atem aus, sein Ziel war ein kleines Dorf, was vor kurzer Zeit dämonische Aktivitäten aufwies. Nicht stark, viel eher steckte das Ganze noch in den Kinderschuhen und das war auch gut so. Einen richtigen Dämon zu töten war eine unheimlich lästige Angelegenheit und wahrscheinlich wäre das Dorf dann die längste Zeit ein Dorf gewesen.
Ihm war grade nicht danach einen großen Dämonen zu bekämpfen, genau genommen war ihm nie danach. Nicht weil er es nicht konnte, sondern weil es ihm immer etwas leid tat, wenn ein Dorf wegen ihm in Trümmern lag. Kein Vergleich mit dem Umstand, wenn ein Dämon darin wütete, aber immer noch schlimm genug. Das Ergebnis war das gleiche. Viele litten und einige wären tot.
Das Beste war, wenn diese verdammten Dämonen erst gar nicht sein Gebiet betraten. Natürlich hielten sie sich nicht daran. Würden sie das tun, wäre sein Leben wahrscheinlich deutlich einfacher. Er stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. Es wurde Zeit, dass er einen Erzdämon oder so etwas ähnliches kennen lernte. Der könnte ihm möglicherweise helfen diese ganze Scheiße etwas erleichtern.
Andererseits könnte er einfach einen Repräsentanten ernennen, aber würde das wirklich etwas ändern? Er berührte einen Menschen und übertrug ihm Macht?
Was würde dieser Mensch letztendlich mit dieser Macht anfangen? Ihm huldvoll dienen? Das wollte er doch gar nicht. Er hasste Speichellecker, die alles taten, was er befehlen würde. Natürlich wäre das die angenehmste Art… Er befahl jemanden sein Leben aufs Spiel zu setzen und wenn er starb? Was dann? Avatare wären mächtiger je intensiver der Kontakt aussah mit dem er die Segnung vollzog.
Eine Fingerberührung an der Stirn und die richten Worte und ein Avatar war geboren, aber wie stark würde dieser Avatar werden? Natürlich war das Ganze nicht mit der Segnung eines Schamanen zu vergleichen.
Über einem Schamanen sprach man einen Segen und er entwickelte magische Energie aus sich selbst heraus, Avatare wurden tatsächlich von ihren Göttern berührt und direkt gesegnet, was es ihnen ermöglichte mehr Macht aufzunehmen.
Er seufzte. Vielleicht wurde es wirklich Zeit einen Avatar zu ernennen. Wer konnte das schon genau wissen. Seine Schritte führten ihn, noch immer langsam auf das kleine Dorf zu. Die dämonische Präsenz schien von einem kleinen abgelegenen Friedhof zu kommen.
Das Dorf hatte wohl keinen Schamanen, was bedeutete, dass sich niemand dazu verantwortlich fühlte sich diesem Problem anzunehmen. Sein Blick schweifte kurz durch das Dorf und er stutzte. Hatte er da ein Aufflackern von schamanischer Magie gespürt? Nein.
Da war nichts. Ein Schamane konnte sich nicht vor ihm verbergen, selbst wenn er es gewollt hätte. Nein das war nicht ganz richtig. Ein Verstoßener Schamane könnte es tun.
Er stieß den Atem aus. Verdammt. Er wollte nicht noch einen abtrünnigen Schamanen töten müssen. Es würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben. Wie lästig.
Texte: Sven B.
Bildmaterialien: Cover von Schattenengel / Jessica K.
Lektorat: Schattenengel / Jessica K.
Übersetzung: Keine Vorhanden, weil ich Powser in meiner Muttersprache schreibe.
Tag der Veröffentlichung: 08.05.2017
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Meinem ganz persönlichem Schattenengel ;-)