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Prolog: ~Wie alles begann~




„Das kannst du nicht wirklich getan haben… Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist!“
Die Stimme der schwarzhaarigen Frau war zittrig und ihre goldenen Augen mit den katzenhaften Pupillen starrten ungläubig zu dem jungen Mann vor ihr, der sie aus nicht minder goldfarbenen Augen herablassend anblickte.
Selene fiel auf die Knie. Das konnte er nicht wirklich getan haben! Das durfte nicht wahr sein, dass ihr Liebster nicht nur sie, sondern das gesamte Volk der Antiken Drachen verraten hatte, in dem er seine Seele den Dämonen verschrieben hatte.
Alles nur wegen dem Schatz! Der Kette, die Selene um ihren Hals trug. Alles nur um diesen Schatz in die Finger zu bekommen!
Die Drachengöttin sank auf die Knie. Ihre knielangen Haare verteilten sich dabei fächerförmig über dem Boden und Tränen standen in ihren Augen.
„Ich hätte nie gedacht, dass du soweit gehst, Kyoumaru… nie. Was hat dich nur so verändert? Dass du dich mit den Dämonen verbündest… unseren schlimmsten Feinden! Warum…?“
Einige Tränen fielen auf den Boden. Der junge Mann, namens Kyoumaru trat auf Selene zu.
Selene sah zu ihm auf. Sie sah in seine Augen, hatte das Gefühl, seine mintgrünen beinahe hüftlangen Haare, würden im Wind wehen, obwohl hier im Palast, in diesem großen Saal, mit seinen weißen Wänden, dem weißen Boden und den schwarzen Statuen in Drachenform, totale Windstille herrschte.
„Es tut mir Leid, liebste Selene.“, flüsterte Kyoumaru beinahe emotionslos.
„Ich habe dich geliebt…“, flüsterte Selene und ihre Augen schimmerten feucht.
„Oh, glaub mir. Ich dich auch… Aber ich brauche diesen Schatz. Ich brauche diese Kraft. Warum gibst du ihn mir nicht einfach?“, antwortete Kyoumaru und machte noch einen Schritt näher, in die Richtung seiner einst so geliebten Selene.
„Warum? Ich verstehe es nicht. Ich verstehe nicht, wieso du das tust!“, rief sie verzweifelt. „Ich trage den Schatz, um unsere Welt und alles Leben zu schützen. Die Menschen, die Tiere und du-“
„Pah! Die Menschen? Das ist dumm Selene! Ich sehe nicht ein, warum wir diese niederen Kreaturen beschützen sollten! Menschen sind nichts weiter als Schmarotzer, die noch dazu schon immer unsere Art gejagt haben, nur weil sie Angst vor uns Drachen haben. Warum sollten wir sie also weiterhin beschützen? Sieh dir diese verdorbene Welt an! Wenn du mir den Schatz gibst, werde ich dafür Sorgen, dass sie von allem Schlechten befreit wird. Keine Menschen mehr, keine Monster, keine Dämonen. Wir zwei zusammen könnten bis in alle Ewigkeit in Frieden leben!“, fiel ihr Kyoumaru ins Wort.
„Aber das ist falsch! Wir Drachen sind die mächtigsten Wesen auf der Erde. Wir sind den Göttern unterstellt! Unsere Aufgabe ist es, diese Welt zu schützen! Warum willst du nicht verstehen…“
Selene sah Kyoumaru verzweifelt an, doch seine Miene blieb unverändert.
„Wenn du nicht begreifen willst…“, flüsterte er, „, dann habe ich keine Andere Wahl…“
Seine Augen leuchteten kurz und mächtige schwarze Schwingen, wie die eines riesigen Vogels, wuchsen aus seinem Rücken empor, seine Arme wurden etwas länger und bedeckten sich mit schwarzen Schuppen, seine Hände wurden zu klauenbewehrten Pranken, jede Kralle davon so scharf wie ein zweischneidiges Schwert. Er konnte sich nicht mehr ganz verwandeln, da er seine Seele den Dämonen verschrieben hatte, doch das war nicht mehr von Bedeutung. In dieser neuen Form war er stärker denn je und Selene konnte das spüren. Selbst wenn die Göttin sich in einen Drachen verwandeln würde, sie hatte keine Chance.
Sie wollte nicht gegen den Mann, den sie liebte, kämpfen. Sie würde sich nicht wehren, wenn er sie jetzt tötete. Sie ließ es auf sich zukommen. Seinen Angriff, als sie fühlte, wie seine Klauen sich in ihren Körper bohrten.
Er stand vor ihr und sah sie mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an. „Warum hast du dich nicht verwandelt? Warum hast du dich nicht gewehrt?“
Selene blickte in seine goldenen Augen und lächelte leicht, während Blut aus ihrem Mundwinkel ihr Kinn hinunter rann.
„Weil ich dich liebe.“, flüsterte sie. „Ich werde es immer tun…“ Sie küsste ihn kurz. „, aber ich werde nicht zulassen, dass du den Schatz so einfach bekommst.“
Kyoumarus Augen weiteten sich für einen Schreckensmoment, als Selene mit letzter Kraft einen Zauberspruch in einer Alten Sprache flüsterte und die Kette mit dem Roten Stein in Form eines Sterns, um ihren Hals, zu glühen begann und dann verschwand.
Kyoumaru stand da und konnte sich nicht rühren, als er begriff, dass der Schatz verschwunden war und seine große Liebe nun leblos in seinen Armen lag.
Was hatte er nur getan?…
Er musste den Schatz finden, er musste diese Welt bereinigen, er musste Selene wiederbeleben… irgendwie…
Die nächsten Tausend Jahre würde er nachdem Schatz suchen, nicht ahnend, dass in genau Tausend Jahren etwas großes passieren würde…



Irgendwo, weit weg und genau 1000 Jahre später fuhr die 15-jährige Ashika Mitsuno in jenem Moment erschrocken aus dem Schlaf hoch…

Kapitel 1: Ryosuke Harukaze


Irgendwo, weit weg und genau 1000 Jahre später fuhr die 15-jährige Ashika Mitsuno in jenem Moment erschrocken aus dem Schlaf hoch…



Sie atmete schneller als geplant und einige Strähnen ihrer knielangen schwarzen Haare fielen ihr ins Gesicht.
Was war das nur für ein seltsamer Traum gewesen? Warum träumte sie nur von so was? Von zwei fremden Menschen in seltsamer mittelalterlicher Kleidung… oder halt! Waren das überhaupt Menschen? Nein, dieser junge Mann mit den langen ganz hellen grünen Haaren, hatte sich doch verwandelt… Ihm waren Flügel gewachsen und lange Krallen… Was hatte das alles nur zu bedeuten…? Und was hatte es mit diesem Schatz auf sich, weswegen er diese Frau, die er scheinbar geliebt hatte, umgebracht hatte?
„Ähm… Ashika-chan, alles okay bei dir?“
Ashika zuckte zusammen und wandte sich ihrer besten Freundin Kizuna Aihara zu, die sie mit einem ziemlich besorgten Blick aus ihren hellblauen Augen bedachte.
„Ähm, ja“, lachte Ashika peinlich berührt, als sie merkte, dass nicht nur Kizuna sie verwirrt und gleichzeitig besorgt anschaute, sondern schlichtweg die gesamte Klasse.
Sie blickte zur anderen Seite neben sich und bemerkte die rubinroten Augen ihres besten Freundes, Hatsuharu Imamoto, der von allen nur „Haru“ genannt wurde, die nicht minder verwirrt aussahen.
„Du bist eingeschlafen.“, sagte er langsam. „,Kizuna und ich wollten dich wecken, aber du bist einfach nicht aufgewacht. Du hast nur im Schlaf geweint und … wer ist eigentlich Kyoumaru?“
Ashika schluckte: „Ich… Ich weiß nicht.“ Sie hatte doch tatsächlich im Schlaf gesprochen! Wie peinlich! Und das auch noch bei diesem merkwürdigen Traum!

„Ist dir nicht gut, Mitsuno-san? Möchtest du vielleicht lieber vor die Tür gehen und dort weiterschlafen? Ich hatte gehofft, du würdest dich jetzt, wo bald die Aufnahmeprüfungen für die Oberschule bevorstehen, besser auf den Unterricht konzentrieren, anstatt von Drachen und Dämonen zu träumen..“, sagte die Lehrerin halb schmunzelnd, halb streng.

Drachen und Dämonen?

Ashika war noch verwirrter. Hatte sie wirklich die ganze Zeit im Schlaf geredet?
„D-Drachen…?“ Sie blickte zu Kizuna, die mit einem Finger als eine Strähne, ihrer kinnlangen rosanen Haare um diesen herumzwirbelte.
„Ja. Du hast auch irgendwas von Drachen geredet im Schlaf und von Monstern, Dämonen und etwas von wegen, die Welt beschützen und dass du diesen Kyoumaru so liebst.“
Einige in der Klasse fingen nun laut zu lachen an.
Ashika lief knallrot an. „Ich… ach keine Ahnung. Ehehe“

Sie wollte nichts mehr sagen und blickte wieder zur Tafel. Doch eigentlich sah sie die Tafel gar nicht. Ihre Gedanken waren zu voll mit dem, was sie eben geträumt hatte. Sie konnte sich einfach nicht erklären, warum sie so etwas geträumt hatte. Sie war vorher noch nie in der Schule eingeschlafen und vor allem nicht so urplötzlich und noch nie hatte sie so intensiv geträumt. Ihr war fast, als hätte sie diese gesamte Situation vor einer Ewigkeit schon einmal erlebt. Außerdem… warum sah die junge Frau in ihrem Traum ihr so verdammt ähnlich?
Sie seufzte und blickte zum Fenster, worin sich die Strahlen der Sonne brachen und sich im gesamten Raum verteilten. Sie konnte die feinen Staubpartikel in der Luft durch das einfließende Licht sehen. Ihr war klar, dass sie zuhören sollte, wenn sie die Prüfung für die Oberschule machen und bestehen wollte. Immerhin wollte sie später, so wie viele andere japanische Schüler, nach der Schule studieren und ganz groß rauskommen. Als richtige Business-Frau!
Verwirrt und gelangweilt zupfte sie am Matrosenkragen ihrer rot-schwarzen Schuluniform und wartete auf das Ende des Unterrichts, um mit Kizuna und Haru genauer über den Traum zu sprechen.

Nach schier endlos langen Minuten ertönte endlich, das von allen lang ersehnte Läuten der Schulglocke.
Ashika stand auf und packte ihre Tasche. Gerade wollte sie zusammen mit den anderen rausgehen, als die Lehrerin sie alle aufhielt.
„Einen Moment. Setzt euch bitte noch einmal hin. Ich will euch noch etwas mitteilen.“, sagte sie.
Genervt ließ sich Ashika noch einmal auf ihren Platz fallen und sah, wie ihre Mitschüler es ihr gleichtaten.
„Heute morgen wurde mir mitgeteilt, dass wir Morgen früh einen neuen Schüler bekommen, der erst vor kurzem mit seinen Eltern wieder nach Japan, hierher nach Tokyo gezogen ist.“, erklärte die Lehrerin schnell.
Ashika wirkte nun noch etwas verwirrter, als zuvor.
Ein neuer Schüler, so kurz vor den Abschlussprüfungen? Was dachte sich der nur dabei, erst jetzt sich hier an dieser Schule anzumelden. Da hätte er doch noch warten können oder eben schon früher nach Tokyo ziehen sollen

, dachte sie.

Etwas später, nach Unterrichtsschluss, bogen sie in die Straße ein, wo Ashika wohnte. Ihre Eltern wohnten in einem richtig traditionellen japanischen Haus, mit einem kleinen hübschen Garten, einer Veranda und sogar einem Teich, mit einer kleinen Steinbrücke, sowie einem kleinen Holzschrein.
Vor dem großen Eingangstor blieben Ashika, Haru und Kizuna stehen.
Ashika kannte die zwei schon seit dem Kindergarten und beide wohnten gerade Mal ein paar Häuser weiter von Ashika entfernt.
Ashika blickte zu dem Haus gegenüber, was vor kurzem eigentlich noch relativ schäbig ausgesehen hatte. Es war ein großes Einfamilienhaus, im europäischen Stil und ihr fiel auf, dass es frisch gestrichen worden war und allgemein einige Erneuerungen bekommen hatte.
Vor dem Haus standen einige große Umzugswagen und Männer brachten Möbel in das Haus.
„Was ist da drüben los?“, fragte Ashika etwas verwirrt.
„Ich glaube, in das Haus sind vor kurzem neue Leute gezogen. Nur, es muss viel renoviert werden, weil es so lange leer stand.“, antwortete Kizuna.
„Was für Leute? Warum ist mir das gar nicht aufgefallen.?“
„Vielleicht, weil sie zurzeit noch nicht in dem Haus wohnen, sondern es nur renovieren und einrichten lassen. Ich schätze, die Familie, die dort reinzieht, wird wohl gerade noch in einem Hotel wohnen.“, erklärte Haru lächelnd.
Kizuna lachte: „Am Ende ist es die Familie von dem Neuen, den wir Morgen bekommen!“
„Hoffentlich nicht.“, antwortete Ashika trocken.
„Ach komm. Du kennst ihn nicht einmal und beschwerst dich schon.“, kam es von Kizuna und Haru grinste: „Typisch Ashika-chan.“
„Hoffentlich sieht der Neue richtig, richtig gut aus.“, seufzte Kizuna und fing damit an, zu rätseln, ob der Neue wohl einem ihrer vielen Lieblingsschauspieler- oder Sänger ähnlich sah. Sie zählte dabei immer wieder die Namen auf. Die meisten davon waren J-Rock oder Visual Key Sänger mit sehr femininem Gesicht und blasser Haut.
Nun musste Ashika lachen. Das war wiederum typisch Kizuna.
Haru rollte nur mit den Augen und schaffte es schließlich, Kizuna aus ihrem Traumland zu holen, indem er ihr in die Seite piekste.
Kizuna gefiel das gar nicht und schnell waren Beide in einen Streit verwickelt.
Ashika belächelte die Szenerie nur. Sie war das schon von ihren zwei besten Freunden gewohnt.
Sie schüttelte den Kopf und dachte an ihr erstes gemeinsames Jahr an der Mittelschule. Sie musste leicht schmunzeln. Es war schon seltsam, dass Kizuna und Hatsuharu wirklich mal für fast ein ganzes Jahr zusammen gewesen waren. Auch wenn es nur eine "Kinderbeziehung" gewesen war. Nun waren sie es leider nicht mehr und den Grund dafür, hatte Kizuna Ashika nicht verheimlicht: Haru war eigentlich schon die ganze Zeit in Ashika verliebt und obwohl er wusste, dass es eigentlich aussichtslos für ihn war, konnte er den kleinen Funken Hoffnung, den er in sich trug, nie ganz aufgeben.
Nachdem Ashika eine Weile der Streiterei, ihrer beiden Freunde, zugeschaut hatte, ging sie dazwischen, indem sie sich von Kizuna und Haru verabschiedete.

Regen peitschte am nächsten Tag gegen die Fensterscheiben der Klasse 1, des 2. Jahrgangs, in der Shibuya-High.
Fuma Genjo, von allen nur „Genjo“, genannt, blickte genervt nach draußen.
Eigentlich hatte er vorgehabt, Geschichte zu schwänzen, aber bei diesem Mistwetter, hatte er es dann sein lassen und musste sich nun das eintönige Gerede seiner steinalten Geschichtslehrerin antun, von der er sich sicher war, dass sie eigentlich schon längst in ein Museum gehört hätte.
Gelangweilt fuhr er sich durch sein grasgrünes, kurzes, windschnittiges Haar. Dann trommelte er mit den Fingerspitzen auf seinem Tisch herum.
Wann war endlich Pause? Er hatte keine Lust mehr. Sein Kopf brummte immer noch von seinem Saufgelage, dass er am Abend zuvor mit ein paar Kumpels wieder gehalten hatte. In der Fensterscheibe spiegelte sich sein Gesicht und er konnte nun den blauen Fleck erkennen, den er sich bei der gestrigen Prügelei, etwas unterhalb der linken Schläfe zugezogen hatte.
Aber was machte das schon großartig aus?
Dieser kleine Jammerlappen hatte bekommen, was er verdient hatte.
Hätte er sein Maul nicht soweit aufgerissen und ihm schön seine Kohle gegeben, dann hätte dieser kleine Waschlappen sich den Krankenhausaufenthalt erspart.

Endlich klingelte es zur Pause. Genjo stand auf, warf sich seine Schultasche über und steckte die Hände in die Taschen, seiner schwarzen Hose. Das schwarze Jackett seiner Uniform stand offen und das weiße Hemd drunter, hatte er bis zum Brustansatz aufgeknöpft. Eine Krawatte, die normalerweise dazu gehörte, trug er nicht. Genervt trabte er in Richtung Klassenausgang und rempelte einige seiner Mitschüler an. Einer Schülerin, die sich gerade bückte, um den Boden mit einem Taschentuch sauber zu wischen, weil ihr Getränk ausgelaufen war, fasste er im Vorbeigehen kurz an den Hintern und murmelte „Ich steh auf ‚Hello Kitty‘.“
Das Mädchen lief knallrot an, drehte sich rasendschnell um und rief Genjo lauthals „Lustmolch!“ hinterher.
Doch Genjo grinste nur dreckig und verließ den Raum.
Als er den Pausenhof betrat, blickte er kurz zur Mittelschule rüber, die gegenüber der Oberschule stand, auf die er ging. Er lächelte kurz verschlagen.
Hoffentlich würde er Ashika Mitsuno heute mal erwischen.
Es hatte aufgehört zu regnen. Immerhin etwas.
Genjo begab sich zu seinem Lieblingsort, dem Schuldach, der Shibuya-High.
Oben angekommen lehnte er sich an das Geländer und fischte eine Zigarettenpackung aus seiner Hosentasche.
Er zündete sich eine Zigarette an und zog einmal tief an dem Glimmstängel.
Das tiefe inhalieren des Rauches beruhigte seine Nerven ungemein und er atmete erleichtert aus.
Eine Stunde mehr, mit diesem Fossil von Lehrerin und er hätte mal wieder die Nerven verloren. Dabei hatte er schon einige Verwarnungen und konnte sich kaum noch eine leisten, falls er nicht von der Schule fliegen wollte.
Und das würde er, spätestens jetzt, wenn ihn ein Lehrer beim Rauchen erwischen würde, denn erstens war er noch minderjährig und zweitens war es auf dem Schulgelände sowieso verboten.
Ein Glück also, dass sich nie eine Lehrkraft hier oben hin verirrte.
Andererseits, ob man ihn nun von der Schule schmiss oder nicht, war Genjo eh egal.
Eigentlich würde er sogar lieber arbeiten, als hier herumzuhängen.

Aber… er hatte es ihr versprochen. Versprochen, dass wenigsten er etwas aus seinem Leben machen würde. Nein, er wollte nicht so enden wie sein alter Herr, der seine Mutter und ihn hatte sitzen lassen, als Genjo zehn Jahre alt gewesen war. Er wollte wenigstens diese verdammte Oberschule hinter sich bringen. Das war er seiner armen, kranken Mutter, die daheim im Bett lag und die kaum laufen konnte, schuldig.

„Genjo-senpai? Hast du schon wieder den Unterricht geschwänzt?“
Genjo löste sich von der Sicht auf den Pausenhof, den man vom Schuldach aus hatte und wandte sich zu der Stimme um, die ihn aus seinen Gedanken gerissen hatte.
„Miyako-chan!“, grinste er und zog extra stark an seiner Zigarette. Dabei achtete er nicht darauf, ob er den Rauch dem Mädchen vor sich, direkt ins Gesicht pustete.
Miyako Tachibana drehte sich instinktiv in die andere Richtung.
Sie hatte hüftlange, rote Haare, die sie in zwei langen Rattenschwänzen trug. Ihre schwarze Schuluniform saß so korrekt an ihr, wie es sich gehörte.
Sie seufzte schwer. „Du solltest endlich mit dem Rauchen aufhören. Du bist noch minderjährig und wenn dich ein Lehrer erwischt, fliegst du wirklich von der Schule!“
In ihrem Gesicht stand Besorgtheit geschrieben.
Miyako war ein Jahr jünger als Genjo und kannte ihn schon sehr lange. Die zwei wohnten nicht weit voneinander entfernt und waren früher gut befreundet gewesen. Hatten immer miteinander gespielt. Miyakos Eltern hatte ihr Umgang mit Fuma Genjo gestört. Sie waren wohlhabende, wichtige Leute, arbeiteten beide als Politiker. Als Genjos Vater ihn und seine Mutter hatte sitzen lassen, brach der Kontakt nach einer Weile ab und Genjo änderte sich komplett. Wollte nichts mehr von ihr wissen. Erst jetzt, in der Oberschule, waren sie sich wieder begegnet.
Und Miyako mochte es nicht, dass er sich nun schlimmer verhielt, als je zuvor. Er war schon früher ein Raufbold gewesen, aber wenigstens nett. Dass er nun so drauf war, hatte sie an ihrem ersten Tag an der Oberschule, als ihm auf dem Flur begegnet war, total schockiert.

Genjo blickte Miyako nur weiterhin grinsend an, dann antwortete er, ohne auch nur auf ihre zweite Frage einzugehen, direkt auf die erste: „Nein, hab nicht geschwänzt. Hatte es zwar vorgehabt, aber dieses Mistwetter hat mir die Laune total verdorben….“, dann grinste er noch etwas mehr, „aber in der nächsten Doppelstunde, haben wir Sport. Da werde ich mich garantiert nicht blicken lassen.“
Miyako ließ den Kopf hängen. „Dass kannst du nicht machen…“, murmelte sie, „deine Noten sind schon im Keller! Warum reißt du dich nicht endlich zusammen, wenn du deiner Mutter helfen willst? So machst du ihr doch nur noch mehr Kummer!“
Genjo tat einige Schritte auf Miyako zu und packte sie am Kragen. Die Zigarette warf er dabei achtlos zur Seite.
„Halt deine kleine, neunmalkluge Klappe!“, zischte er wütend, „ich kann machen, was ich will! Da lass ich mir doch nicht von einer kleinen, miesen Streberin, die noch dazu eine Klasse unter mir ist, vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe!“
Miyako wirkte total verängstigt und schluckte schwer. „G-Genjo-senpai…“
Er ließ sie ziemlich unsanft los und drehte sich um, um seine Zigarette aufzuheben.
Dann drehte er sich noch einmal um.
„Ich hasse besserwisserische Weiber! Zeig demnächst mal mehr Respekt gegenüber einem Senpai, dumme Gans!“

Genjo verließ gereizt das Schuldach und Miyako sank auf die Knie. Tränen standen in ihren Augen.
„Fuma-kun…“, murmelte sie und einige Tränen tropften ihre Wangen hinab.
Warum tat er das nur? Warum machte er sich sein ganzes Leben mit Alkohol, Zigaretten und Prügeleien kaputt? Warum war er nur so ein… ein…
Sie konnte es nicht in Worte fassen, was er nun geworden war.
Sie zog ihre Beine ganz nah an ihren Körper und vergrub ihr Gesicht in ihrem Schoß.
Leise und still weinte sie vor sich hin.
Eigentlich hätte sie gleich Mathematik gehabt, ihr Lieblingsfach. Doch nun war ihr auch nach Schwänzen zumute.
Hätte sie als Kind doch nur schon geahnt, was mal aus Fuma Genjo werden würde, hätte sie sich nie, niemals in ihn verliebt…

Die Pause war zu Ende und Ashika Mitsuno hockte sich auf ihren Platz, als sie die Tür zum Klassenzimmer rein kam. Etwas später folgten auch Kizuna und Haru.
Nach und nach füllte sich die Klasse mit neugierigen Schülern. Grund der Neugierde war, dass nun, nachdem er noch lange beim Direktor gewesen war, endlich der neue Schüler die Klasse betreten würde.
Ihre Klassenlehrerin kam als Erste rein und legte einen Stapel Bücher auf dem Pult vor sich ab.
„Nun, wie ihr sicher wisst, wird nun gleich euer neuer Mitschüler die Klasse betreten und ich hoffe sehr, dass ihr ihn freundlich empfangen werdet.“, sagte sie und rückte sich ihre Brille zurecht.
Kaum hatte sie das getan, klopfte es an der Tür.
„Du kannst reinkommen, Harukaze-kun.“
Im nächsten Augenblick betrat ein Junge von etwa knapp sechzehn Jahren die Klasse. Er grinste kurz und zwinkerte auf dem Weg zur Tafel einigen Mädchen zu, was dazu führte, dass die Mädchen zu kichern und zu seufzen anfingen.
Vor der Tafel machte er halt.
„Guten Tag, die Damen!“

, sagte er in einer Sprache, die Ashika nicht verstand, aber als „Deutsch“ einordnete.
Er lachte, aber Ashika beachtete ihn nicht sonderlich.
„Entschuldigt mich.“, sagte er schließlich auf japanisch, „ich habe mit meinen Eltern die letzten zehn Jahre in Deutschland gelebt, deswegen verzeiht mir, wenn ich manchmal einfach deutsch rede. Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass ich wieder in Japan bin. Aber ich freue mich, euch alle kennen zu lernen.
Er kratze sich verlegen am Kopf und lachte.
Kizuna piekste Ashika mit ihrem Bleistift an. Sieht der nicht wahnsinnig gut aus?“, flüsterte sie und errötete.
Ashika sah in jenem Moment auf, als dem Neuen einfiel, dass er vergessen hatte, seinen Namen zu nennen: „Ach ja. Ich heiße übrigens Harukaze Ryosuke!“

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Tag der Veröffentlichung: 30.01.2012

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