Der Sprachlehre ist es bis heute nicht gelungen, eine verbindliche Definition für das Wort und den Satz zu finden.
Wie ließe sich da kurz erläutern, was Reportage ist?
Was ist die Reihung von Wörtern, Sätzen und Sachverhalten?
Ist ihr Eigenstes Verschmelzung von Faktum und Vision – oder ist sie bloß das überraschende Mittel, Nächst Nähe sichtbar zu machen?
Ein Fernrohr auf den Kosmos der Straße, eines Hauses, spielender Kinder oder eines Menschenauflaufs gerichtet, die Erheblichkeit der Dinge zeigend?
Reportage ist nicht nur objektiver Tatbestand und Vision, die immer subjektiv ist, nicht nur Relevanz dieser zweifachen Tatsächlichkeit, sondern – in ihren glücklichen Fügungen – auch Sinnebene einer unerwarteten Identifikation:
Was der Leser erfährt, glaubt er nicht nur selbst und so erlebt, sondern auch so und nicht anders dargestellt zu haben
Heinrich Lauer
Das Gleichnis von den Bäumen
Holzkirchen in der Maramuresch
Holz gefügt auf Holz. Fußboden und Dach, Pfeiler und Wand, Fenster.
Auch der Schmuck ist aus Holz. Selten eine Rosette, meist Kerben, durch die der innere Bau des Materials, Faserung und Maserung sichtbar werden.
Aus echtem Holz, wie man sagen dar. Aus Holz, das Holzwürmer nicht scheuen. Und da ist kein Nagel, kein eiserner Nagel drin. Hölzerne ja, Holznägel, das geht, die sind richtig, die halten den Bau zusammen. Von draußen gesehen sind es die höchsten, die es gibt, die höchsten Holztürme der Welt.
Der Kirchturm von Surdesti hat 54 Meter, sieht aus wie die schönste Fichte aller Berge. Drinnen aber ist´s nicht viel größer als in einer Bauernstube. Und sieht auch so aus. Man könnte wohnen drin. Neben den Stickereien in hellem Leinen fehlen gerade nur die prallen Kissen und ein Tisch und eine Bank, die wären da recht am Platz.
Durch das Fenster, es ist ebenfalls klein geraten, dringt mehr Licht, als der Schein hier durchließe; es ist nicht zum Rausschauen gemacht, aber das ist auch nicht nötig, hier kommt alles von draußen herein,ein Zweig des Nussbaumes, etwas Wolke und der volle Duft von Heu, das noch am Vormittag Gras im Kirchgarten war.
Cuhea, Ieud, Rozavlea heißen sie.
Vor allem Ieud. Im Tal der Iza, die fließt oben in die Theiß, sind sie gelegen. Ieud hat die älteste Holzkirche des Landes; sie steht seit 600 Jahren da. Holzgotik wollen das manche nennen. Aber das ist eine Umschreibung. Wörter umschreiben hier überhaupt.
Holzgotik – das könnte aus der Ferne auf den Schattenriss passen, nicht aber auf das greifbare Detail.
Von Bauern ist das alles gemacht und fast alles ausschließlich mit dem Beil.
Wer über diese Schwellen getreten ist, spürt, das es die Art dieses Holzes der Maramuresch ist, unter kluger Menschenhand das zu werden, was es hier geworden ist.
Die Gotik der Tanne und Fichte, das Gleichnis aller aufrechten Bäume.
Land mit wachsenden Dimensionen
Reiseeindrücke aus dem Donaudelta
In diesen Hochsommertagen erwies sich das große Abflussrohr Europas doch als zu klein. Die rapide Schneeschmelze in den Alpen und die verregneten Vorsommer Wochen im Karpaten Raum machten sich auch am Pegelstand von Tulcea und Sulina höchst bemerkbar. Die Donau stieg und stieg. Sie steigerte sich zu einem Superstrom.
In diesem Landstück, das schon unter normalen Verhältnissen zu einem guten Teil aus Wasser besteht, hatte man auf den bisschen festen Boden das Gefühl, auf einem Stück schwimmender Scholle zu sein. So gewaltig strömten die Hochwasser des halben Kontinents an der Hafenmole von Tulcea vorbei. Oben aber brannte die Sonne. Gut, dass es nun nicht mehr regnete. In diesem Licht sah das fließende Ungeheuer, namens Donau, nicht mehr so bedrohlich aus. Drüben, am anderen Ufer , wo das Wasser bis zu den Treppen der kleinen Häuser stand, vergnügten sich Kinder damit, aus der Haustüre direkt in den Kahn zu springen. Und unser weißes Motorschiff, die „Mihai Viteazu“ aus Maliuc, sah in der frisch gewaschenen Morgensonne fast wie eine Jacht aus. Gegen 9 Uhr tutete sie einige mal heftig mit ihrem lauten Organ, unter dem Heck wirbelte es mächtig auf, und das Land begann vorbeizugleiten.
„Das Land“, sagen wir. Damit ist jener Baumstreifen gemeint, der seiner Ausrichtung nach das Ufer unterhalb von Tulcea bezeichnen dürfte. Bis zur Achsel stehen die weiden im Wasser; Kapitän Iwan Kornenko bestätigt aber die Richtigkeit unserer Vermutung: „Ja, dort ist die Uferlinie.“ Hinter den Bäumen, linker Hand soweit der Blick reicht, wieder Wasser.
„Mächtig groß ist eure Donau heute“, bemerkten wir, obwohl das ganze überflüssig ist.
Der Kapitän ergreift aber den Unterhaltungsfaden: „Ja, so habe ich sie schon lange nicht mehr gesehen. Eigentlich ist es hier nicht mehr die ganze Donau; der Chilia-Arm hat uns einige Meilen aufwärts schon einen guten Teil weggeführt.“
Am Strömungskanal unserer Wasserstraße tauchen die ersten Deltasiedlungen auf. Kleine hell getünchte Häuser mit blauem Fensterrahmen. Die Fenster voller Blumentöpfe. In den Höfen stellenweise Wasser, die meisten Gärten ganz überflutet. Auf höhergelegenen Tennen, davon ein Stück in Zimmergröße, stehen Kühe und Schweine aneinandergedrängt. Manchmal sind auch ein paar Hühner dabei.
Groteske tierische Sorglosigkeit: praktisch sind nur Stehplätze vorhanden, aber der Hahn findet es für angebracht, wohl gelaunt herüber zu krähen: „Guten Morgen, feines Wetter heut`; freut euch, wir leben noch!“
Kapitän Kornelko hat ein zustimmendes Lächeln dafür: „Er hat recht – die Donau fällt bereits.“ Der Steuermann bestätigt: So kritisch war die Lage schon Lange nicht mehr.. Es geht hart an der Katastrophe vorbei. 1941 war das letzte derartige Hoch – aber das war im Frühjahr, also war man darauf gefasst. Diesmal kam es anders. Im Hochsommer, wo gewöhnlich Tiefstand ist, stieg das Wasser der Donau stellenweise sechs Meter über seinen Normalstand! Das ist seit über 70 Jahren nicht vorgekommen.
Delta - Forschung
Wieder teilt sich die Donau. Heißt sie hier noch Donau? Links mündet das Wasser in den Sulina – Kanal, rechts schiebt sich das braune, quirlende Element in den Sf. - Gheorge – Arm. Schnurstracks zieht jetzt die „Mihai Viteazu“ ihre nassen Furchen in Richtung Sulina. Am Rande von Zeit zu Zeit wieder die säuberlichen Häuser, die wie nach einem Bad in der Donau frisch gewaschen dastehen. Über dem Schiffsmast die ersten Vogelzüge. Reiher, Kraniche – wüsste man nur, wie sie alle heißen! Dann Wildenten, Taucher, Blesshühner und die vielen Rohrspatzen. Durch ihr Lärmen kommt es uns erst zum Bewusstsein, dass die ersten ausgedehnten Schilf Wälder das Ufer säumen. Das ist Delta – Urlandschaft.
Auf einmal sind helle moderne Gebäude am Ufer. Diesmal ist es ein richtiges Ufer. Nachdem man schon ein wenig in Deltastimmung war und mit jedem Schritt die weitere Verdichtung der Wildnis erwartete, stehen unvermittelt die hellen Fassaden städtebaulicher Architektur vor uns. Unser Schiff beschreibt einen Bogen, macht schließlich eine Kehrtwendung, um dann gegen die Strömung zu schwimmen.
Mit gemäßigtem Rattern nähern wir uns der Anlegestelle: Maliuc. Gleich hinter der Brücke erkennen wir, wer der Herr des Hauses ist: „Institut für Schilf Forschung“ heißt es auf dem Firmenschild, das wie ein Triumphbogen die Pforte überbrückt.
Können ein Dutzend Häuser eine Stadt bilden? Ja sie können es. Stadt ist schließlich nicht nur eine quantitative, sondern, eine qualitative Ansammlung von Häusern, Licht, Wasser und städtischem Wohnkomfort. Auch der Wirkungsstil hat urbanistischen Charakter; geräumige moderne Laboratorien, wie sie sich in einer Hauptstadt des Schilfes geziemen.
Ing. Daniel Cornelia, der Leiter des jungen Stützpunktes einer ebenso jungen Forschung, macht uns einleitend mit der Tatsache bekannt, dass unser Land auf diesem Gebiet eine im Welt Maßstab erstmalige Einrichtung geschaffen hat.
Seit hier eine industrielle Auswertung des Schilfes in die Wege geleitet wurde, teilt die Wissenschaft nicht mehr den landesüblichen Begriff von dieser Vegetationsform der Sumpflandschaft. Schilf ist also nicht das, „was von selbst wächst“, sondern ein hochwertiger Rohstoff, dessen Wachstum beeinflusst, gefördert und kontrolliert werden kann.
Es hat also alles seinen guten Zweck, wenn man im Laboratorium Tausende Boden und Wasserproben auf ihre biologischen Wirkungseigenschaften untersucht, wenn man sie mit Düngemitteln mixt, um eine noch produktivere Wachstumsbasis zu schaffen. Und es hat auch seinen guten Grund, wenn ökonomische und biologische Forschungen im Gange sind, die darauf ausgerichtet sind, die Reichtümer des Deltas bestens zu erschließen, ohne dabei aber das naturkundlich so außerordentlich besondere Profil dieser Landschaft zu stören oder gar zu zerstören.
Das Donaudelta soll unter allen Umständen in großen Teilen das Delta der Fauna und Flora bleiben.
Für Leser mit statistischen Neigungen sei jedenfalls festgehalten, dass die Schilf Verwertung seit 1956 organisiert betrieben wird. Die erste Ernte brachte damals 7000 Tonnen. Die Quote hat sich infolge der industriellen Arbeitsweise so sehr gesteigert, dass 1964 schon die millionste Tonne Schilf auf einem der großen Lastkähne nach Chiscani ins Zellulose Werk verschickt werden konnte.
„Daraus wird feinste Zellulose“, versichert Direktor Cornel. Dies sei aber nicht der einzige Wirtschaftsnutzen des Schilfes, erläutert uns der Forscher.
„Durch die Verarbeitung des Schilfes werden viele Wälder von der Axt verschont oder zu einem hochwertigeren Erzeugnis verarbeitet.“
Ausflug mit Simon
So wie sich die Bestimmung des Schilfes veränderte, wandelte sich auch die Bestimmung des Menschen im Delta – in diesem Land ohne Boden. Jahrhunderte lang war das Schilf da, um zu Dächern, Zäunen und Matten verarbeitet zu werden. Oder es verfaulte. Die Menschen aber waren Fischer und Jäger.
Heute ist es anders.
Iwan Artimow beispielsweise, der uns in der Schaluppe der Forscher auf eine Ausflug zum Fortuna – See mitnahm, ist heute Schiffsmechaniker. Und sein Bruder Simiom, ein munterer elfjähriger Junge, der gerade Ferien hat und uns zu seinem Vergnügen begleitet, will – wie er uns bedeutete - „noch etwas Großartigeres als der Bruder“ werden. Vielleicht gar Ingenieur.
Die Verwandten und Bekannten haben alle irgendwie etwas mit der Schilf Gewinnung zu tun: Mechaniker, Schnitter, Transportarbeiter, Hilfspersonal.
Aber auch die Fischerei hat hier heute ganz neu Formen angenommen.
Nach kurzer Fahrt verlässt unsere Schaluppe den braun lehmigen Sulina – Kanal und biegt in einen Kanal ein, der zwischen Weiden und Schilf glasklar hervorquillt. Eine halbe Stunde weit ist dieser schöne Deltasee. Einige Quadratkilometer groß ist seine Fläche. Klares Wasser wie in einer Badewanne. Frische Seerosen an seichteren Stellen.
Schilf am Rand und allerhand Wassergeflügel, darunter Rohrspatzen, die – was die akustische Kulisse betrifft – die Bühne beherrschen. Über uns ein Zug Pelikane.
„Die suchen sich neue Plätze“, belehrt uns der kleine Simion. „Ihre Wohnplätze sind überschwemmt.“
An einer Stelle des lehmigen Ufers legen wir an. Ruhige, glasige Strömung. Hier badet es sich so gut, wie in keinem anderen Fluss Europas. Die Wasser des Inns und der Isar, der Theiß und des Alts haben sich hier zu einer kristallenen aquatischen Vielheit vereinigt. Durch tausend Filter ist die Donau hier gegangen. Sie hat sich in eigenem Wasser gewaschen. Unten, auf dunklem Grund – Fischschwärme.
Simion wirft die Angel aus. Er zählt eine ganze Reihe von Fischarten auf, die man hier angeln kann. Aber keiner beißt an.
„Heute wollen sie nicht“, meint er, „kein guter Tag zum Angeln.“
„Ein großer Theoretiker ist er“, informiert uns der älterer Artimow, „für alles findet er eine Erklärung.“
Die richtigen Fischer - er deutet mit der Hand in östliche Richtung - ´, die gibt es bei „Mila 23“ ( Meile 23 heißt die Fischersiedlung ). Dort versteht man sich richtig auf die Art, Fische zu fangen und zu zu bereiten.
Was die Zubereitungsart betrifft, entgegnen wir, verstehe man das auch in Tulcea recht gut. Eine „Sarmura“ gibt es dort, dass der Magen Feiertag hat.
Und wieder von Fischen
Nach einigen Stunden bergab hat der Dampfer, ein altes, aber sehr rüstiges Fahrzeug, Sulina erreicht. Plötzlich glitzert es dunkel hinter dem Schiff.
Dies große dunkle Glitzern ist das Meer. Hier hat der große Fluss sein Ende. Hier wird das viele Wasser zum Meer.
Aus dem Meer, ja aus allen sieben Meeren kommen hier Schiffe herein.
Das Tor ist weit geöffnet. Und Nea Alexandru, ein alter Schiffer aus Sulina, versichert uns, dass es auch tief sei – was in diesem Fall noch wichtiger ist. Jedenfalls sind hier schon ganz richtige Riesen durchgefahren.
Der schwerste, den Nea Alexandru gesehen hat, war ein indischer 15 000-Tonner mit Fracht für Galatz.
Unser Dampfer, die „Abrud“, liegt morgens um vier bereits unter Dampf. Das Deck zittert von der Aufregung der Schiffsmaschine, die jetzt Kraft sammelt für die anstrengende Fahrt gegen den Strom. Um fünf beginnen sich dann die beiden Schrauben kräftig zu drehen – 12 Stunden vor uns liegt Galatz.
Eine recht bunt gemischte Bevölkerung ist auf dem Schiff. Neben rumänisch wird viel ukrainisch gesprochen. Dann gibt es in Sulina auch viele Griechen, wie man sagt. Die Besatzung des Pilot Schiffes beispielsweise besteht aus einem Rumänen, einem Griechen, einem Russen und einem Türken. Alle sind gebürtige Sulineser. Auf unserem Schiff gab es neben diesen Repräsentanten der Delta – Bewohner noch einen slowakischen Journalisten, der aus Bratislava an der Donau hergekommen war, um zu sehen, wo sein heimatlicher Fluss seinen Endpunkt hat; und einen Zeitungsschreiber gab es, der auf Materialsuche für eine Reportage das Delta durchstreifte.
Stromaufwärts vergeht die Zeit langsamer. In größeren Abständen scheinen jetzt Ortschaften zu liegen. Aber in der Siedlung Crisan wo ein weiterer Kanal aus dem Schilf Djungel einmündet, kommt eine menschliche Ladung an Bord, die uns die Zeit verkürzen sollte. Wir sitzen an einem Tisch und schlummern ein wenig vor uns hin. Da hört man auf einmal ein Gläser Klingeln, und als wir die Augen öffnen, hält man uns ein Glas entgegen: „Trinken Sie junger Freund, davon vergeht der Schlaf.“
Wohl ein Dutzend Leute sitzen um den langen Tisch und lassen es sich wohl sein. Unser Freund mit dem dargereichten Morgentrunk stellt sich vor: Tiberiu Groza, Baumeister.
Wir dürften wohl nicht sehr intelligent drein geschaut haben. Auf dem Gesicht mochte wahrscheinlich zu lesen sein: Baumeister? Menschenskind , was gibt es denn hier zu bauen? Wo ist denn hier Bauland?
Der Meister schenkt aber wieder ein.
„Wir bauen ein neues Fischereizentrum da drüben in Stipoc. Zuchtanlagen für Sämlinge, Deiche, Laboratorien, Schleusen, Pumpanlagen – was ein Teich wissenschaftlicher Betrieb so alles brauchen kann.“
Also auch die lieben Fische dürfen nicht mehr von selbst wachsen, auch sie müssen durch die Brutmaschine. Wir sagen das dem Meister.
„Natürlich“, entgegnete er.
Das Fischereizentrum von Stipoc soll eine Fläche von 170 000 Hektar ( Wasser ist genügend vorhanden ) umfassen. Im nächsten Jahr wird die Baustelle nach Perisor verlegt. 300 000 Hektar Wasser soll hier unter Kontrolle gebracht werden. Das wird über ein paar Jahre ein großes Fischen werden.
„Bei diesem vielen Wasser gewiss nicht leicht, Grundmauern zu legen?“ interviewen wir ihn.
„Ganz meine Ansicht – wir wohnen auf einem Ponton, das ist jetzt meilenweit der einzige feste Punkt unter den Füßen. Aber wo wir mal Fuß gefasst und etwas hingestellt haben, das steht, dort rücken wir nicht mehr weg. Unseren Beton ist das Wasser nicht gewachsen.“
Seine Kameraden hören nur mit halben Ohr herüber. Doch wenn davon die Rede ist, was sie gebaut haben, dann werden sie gleich hellhörig. Da sind junge Burschen aus Siebenbürgen und aus dem Dobrudscha Festland, die meisten, beispielsweise der lustige von der Partie, Zimmermann Mihai Cuciuc, stammen aus Tulcea. Roman Simonow ist gleichfalls aus der Stadt am Delta Eingang. Heute, zum Wochenende , fahren sie heim – auch die Siebenbürger Jungen. Wer hier weit im Delta arbeitet, erhält von Zeit zu Zeit einen kleinen Urlaub, damit er wieder richtiges Festland unter den Füßen kriegt.
In Tulcea wird das Schiff fast leer. Aber kaum sind die Fahrgäste an Land, kommen um so mehr aufs Schiff. Und dann kommt noch Fracht hinzu:
Ganz moderne Möbel, elektrische Haushaltsgegenstände, darunter auch einige Fram Kühlschränke. Sie sind für Isaccea bestimmt, erfahren wir. Wie in der ganzen Dobrudscha gedeihen auch hier die besten Zuckermelonen Rumäniens. Wenn man diese an einem heißen Julitag in den Fram legt, dann hat der Gaumen wieder Feiertag.
Einige Meilen von Tulcea aufwärts fließt, aus unserer Schau gesehen, die Donau ineinander. Der breite Chilia Arm ist es hier. Nun liegt die Donau in ihrer vollen Breite und Tiefe vor uns. Unmengen Wasser bringt sie und Unmengen Schlamm – Baumaterial für das Delta. Und das wächst täglich und stündlich ins Meer hinaus. Maliuc und Stipoc, aber auch Tulcea zeigen, dass dieses wachstum neue Dimensionen enthällt.
Des Luftschnapp´n is a Freid
Ist Wolfsberg eine Reise wert?
Weinfurter besiegt Schlechtwetter 3:0
Erst wenn man wieder heimfährt, kann man die Dinge auf die Waagschale legen und sehen, ob es sich gelohnt hat. Vorher konnte man nämlich nicht wissen, wie schlecht die Straße von Reschitza nach Wolfsberg und wie gut die Küche von Weinfurter ist.
Nach letzten Erfahrungen mit der zeitgenössischen Meteorologie konnten,auch weder Ausmaß noch Ausdehnung der Schlechtwetterfront erahnt werden, die sich gerade der offiziellen Prognose zum Trotz über den britischen Inseln aufbaute, um gleichzeitig mit uns Kurs auf Wolfsberg zu nehmen; anderseits war es einem gelegentlichen Streifzug Feriengäste nicht möglich, alle landschaftlichen Reize und Höhenluftlichen Feinheiten in ihrer Gesamtheit erfasst zu haben, um der versammelten Schar Ausflugs froher Reisegefährten den Blankoscheck absolutesten Vertrauens in die Verheißungen der vielgepriesenen Banater Familien Sommerfrische in Wolfsberg auszuhändigen.
Nun ist die gewaltige Wetterwalze von den Britischen Inseln längst über das Gebiet des Semenik, ja sogar über den Olymp hinaus gerollt und auch wieder zurück ins Reich der Nebel verschwunden.
Und damit ist auch der Urlaub zu Ende.
Zwischen Koffern und Kindern
Wie jeder Anfang ein Ende hat, so hat auch jedes Ende einen Anfang.
Und dieser war, wie gesagt, peinvoll.
Das Präludium spielte sich an der Bahnschranke von Clinic ab, wo der elegante blau - weiße Motorschnellzug aus Temeswar vor einem kleinen reparaturbedürftigen Streckenabschnitt stoppen musste und sämtliche Reisenden mit siebenhundert Koffern und Kindern in einem 500 Meter entfernt stationierten Personenzug umzusteigen hatten.
Am Bahnhof Rechitza wartete bereits der im NW Inserat wiederholt angekündigte Wolfsberger Bus, der sich erstens als viel zu klein, zweitens als für den Personentransport umgebauter LKW mit knochenharter Federung, drittens aber als ein Fahrzeug ohne geeignete Gepäckhalterung herausstellte.
Als was sich die Straße ( Abschnitt Franzdorf – Wolfsberg ) herausstellte, ist nach landläufigen Behelfen des Sprachgebrauches nicht ohne weiteres darzustellen.
Erster Reiseeindruck zwischen sieben Koffern und Kindern eingekeilt: Welche Herrlichkeiten uns da oben auch immer erwarten mochten – diese Reise sind es nicht wert.
Doch der normale Mensch ist mit einer kostbaren Gabe ausgestattet, und diese ist das Vergessen. Es mag auch eine der noch nicht hinreichend erforschten Wirkungen der Höhenluft sein, dass man, dem Käfig auf Rädern entronnen und aus der glücklichen Umschlingung mit den Koffern gelöst, nach den ersten Atemzügen in der Wolfsberger Luft angesichts der Blitz sauberen Häuser, der Geranien in den Fenstern und der grüngelb gemusterten Wiesen und Felder und des dunklen Waldsaums hinter den Dächern , die Schüttel Kur wie den Alptraum empfindet, den ein anderer gehabt haben muss.
Und dann empfängt einen der Chef von Wolfsberg, „da Weinfurta“ persönlich, sagt dass das Zimmer bei den Hausnerischen bereit stehe, dass der Mittagstisch auch soweit wäre – und da weiß man nun sozusagen offiziell, dass der Urlaub begonnen hat, dass man es nun zwei Wochen gut haben wird.
Ein dutzend Spazier- – und Wanderwege
Bei den „Hausleit“ ist kaum jemand zuhause. Alles, bis auf die zwei kleinen Buben ( der Edi und der Franz) und die Nadel, das ist die Großmutter, sind ins Heu.
Neben Kartoffeln, etwas Roggen und Hafer ist das Heu das Hauptobjekt landwirtschaftlicher Beschäftigung. Hier in 1000 Meter Höhe reift der Weizen nicht aus. An Mais oder Paradeis gar nicht zu denken. Diese werden aus der ebene beschafft. Unten auf dem Markt von Reschitza gibt es seit einiger Zeit Trauben und Melonen. In Wolfsberg, in Weidenthal und natürlich auch in Lindenfeld blühen gerade die Linden, und der Mohn hat die unglaublich grünen Gärten mit roten Tupfen besetzt. Im hohen Gezweig hängen die letzten Kirschen, die von den Staren übriggelassen wurden.
Morgens gegen acht wird man von einem Geläut geweckt, das nicht angenehmer sein könnte. Allmählich hört man es kommen, zuerst gehört es noch zum Traum, es kommt immer näher, ohne laut zu werden. Und wenn man es dann aus dem Fenster guckt ist es die Kuherde, die auf die Wiese geht.
Zwischendurch , kommt eine Koppel Pferde herangebraust und Luft Schnapper vergessen den Mund wieder zu schließen und durch die Nase zu atmen, wenn sie wahrnehmen, dass auf einem der galoppierenden Pferden ein Kleiner Bub oder ein Deandl sitzt, dass sich wie zufällig an der Mähne des Tieres fest hält.
Am besten wäre es, gleich dem langen Geläut bergauf zu folgen. Es führt bei gemächlicher Steigung hinauf, am Lehrerheim auf einen der grasigen Hügel, der von dem Feriengast aus der Ebene als gar hoher Berg empfunden wird.
Von hier aus hat man nach Osten hin einen Weitblick bis zum Muntele Mic, zum Tarcu und Godeanu. An klaren Tagen muss man auch ein paar Zacken des Retezat sehen. Von der Cuca aus ( eine Wegstunde ) sieht man weit über die Wellungen bis zur Ebene nach Westen hinab. Wer einen Rundblick haben möchte, ist in gemütlichen zwei Stunden auf dem Semenik ( 1447 m ).
Es geht durch Nadel – und Buchenwald – jedes Kind kann da hinauf.
Was man von da oben alles sieht, lässt sich hier gar nicht alles anführen.
Zu Fuß ist man schnell im Tal – mit der Seilbahn noch schneller. Der Franzdorfer Stausee liegt grün ins Bersautal gebettet. Erst wenn man drin ist, sieht man das er Gebirgsklar ist.
Oben aber, rings um Wolfsberg, gibt es ein Dutzend Spazier- und Wanderwege: nach Weidenthal hinüber, zum Prislop, zu den drei Wässern, wo man gerade sehen kann, wie die Temesch genau an ihrem Ursprung nun durch einen Betondamm erhebt, der über das Tal nach Wolfsberg und Weidenthal hin zu einem neuen Stausee werden lassen soll.
Die Wässer hier oben sind übrigens bei weitem nicht nur ihrer drei. Wer nur den ausgetrockneten Butschetsch und seine Nachbarn kennt, wird erstaunt sein, was so ein mittlerer Gebirgsstock wie der Semenik an Wasser hervorbringen kann. Von der Wassermühle bis zur Abzweigung nach Weidenthal sind es wohl 500 Schritt, aber es sind gewiss mehr als 5 Bäche und Rinnen, über die man hinüber muss.
Manchmal ist alle zehn Schritt eine Quelle. Und das rinnt und fließt und plätschert stellenweise auch über Felsenklippen, dass man meint, man geht in einem Bilderbuch spazieren. Und es ist alles hübsch beisammen: Berg, Bach, Wiese und Wald.
Für die Badefreunde hat Onkel Weinfurter sogar ein Schwimmbecken gebaut – der Semenik – Bach fließt mitten durch.
Apropos Weinfurters Küche …
Ja, aber was tut man, wenn das britische Thunderweather über die Cuca heraufzieht, wenn mitten im Juli Londoner Nebel die lange Wolfsberger Straße herauf streicht, wenn man drei, vier oder sogar sieben Tage in den Wolken sitzt, die sich von unten oft als zauberhaft schön, von oben jedoch, oh Feriengast Schreck, als ganz gewöhnlicher Nebel herausstellen?
Ja dann geht man zu den Hausleuten und ersucht sie, in der Feriengast Stube ein zu heizen, denn der Hauch ist nun, nachdem er draußen eingeschnappt worden war, deutlich in der Atmosphäre sichtbar.
Zwischen zwei Regengüssen kann man sich die phänomenale Weinfurter Küche zu Gemüte führen, man kann faulenzen, in der Wolfsberger Chronik lesen und fast all das tun was man 180 Grad östlich und westlich von Greenwich tut, wenn es regnet, unaufhörlich regnet. Apropos Weinfurters Küche. Allerhand, was der Mann, von einem halben Dutzend schmucken Wolfsberger Deandln flankiert, da in seinem Speisesaal ( bei Schönwetter Terrasse mit Ausblick ) auffahren lässt.
Am Morgen beginnt es mit Butter und Honig zu Tee oder Milchkaffee ( wahlweise Speck oder Spiegelei ), zu Mittag eine gute Suppe, ein Schnitzel, herrliche Krumpirn und noch herrlicheren Kraut- oder anderen Salat – jedes Blatt Gemüse wie der Gastronom sagt, nach zehn Anrufen beim Aprozar.
Er hat es nicht leicht, das Menü zusammen zu stellen, das die Feriengäste mit aller Selbstverständlichkeit und unglaublichem Appetit vertilgen.
„Amal bringen se mir an Auto voll Kraut, das andere mal nur Vinete – für morgen haben sie ma Kürbisse versprochen. Hauptsache, es kommt rauf!“ erzählt er.
Jakob Weinfurter, der die Pension in eigener Regie führt, ist nicht nur Verantwortlicher für das leibliche Wohl der Sommerfrischler. Er sorgt auch für die seelisch Labung:
Am Sonntagabend gibt es ein großgezogenes Kulturprogramm, darunter gleich drei possierliche Einakter; „unsre leit woll´n was ham zum Lachen oder zum Weinen“, einige Lieder, die Erich Köstner, von seinem Schwager und seiner Mandoline begleitet, zum Vortrag bringt, darunter auch ein paar würzige Reime auf die Luft Schnapper.
Nachher ist Tanz. Die Musikanten haben grüne Jägerhüte und dicke Backen, und aus ihren Trompeten und Flügelhörnern kommen lauter Ländler und Polkas heraus.
Zweimal in der Woche gibt es Film, sonst aber – wenn man von dem Lärm, den die vielen Gänse am Nachmittag machen, absieht – jene Natur volle Ruhe, wie sie in jedem Prospekt über einen Luftkurort anzutreffen ist.
Wer Zahn- oder Bauchweh hat, wem die üppige Küche nicht zusagt, oder wer wissen will, was das böhmische Wort „Heigen“ bedeutet, meldet sich bei Weinfurter. Weinfurter macht es möglich – außer dem Schönwetter, das eben dem Topor in Bukarest sein Ressort ist.
Nach dem fünften Regentag sind zwanzig Nebel Schnapper ausgerissen.
Wir fragen an, ob so nicht die Wolfsberger Sommerfrische für heuer kaputt gehe.
Darauf der Vetter Weinfurter: „Zwanzich sind fort, und fünfzich sind raufkommen.“
Nur das Meer ist geblieben, wie es war
In Mamaia – Bevor das Baden beginnt
Im April sah es stundenweise nach Sommer aus und Anfang Mai nach November.
Als hätte man die Sonnenuhren um Monate zurückgedreht:
Was heißt aber Sonnenuhren, wo es keine Sonne gab, nur Sand, Sand vielleicht für Sanduhren, darüber Schatten wie vom vorigen Jahr und wellen, ausgefranst vom Wind, der nicht in Richtung Sommer blies.
Es nieselte, es rieselte, es säuselte in den jungen Blättern und es roch gar nicht nach Meer, nein, der Wind kam vom Land, die Wolken liefen, nahmen Richtung Istanbul, rollten über die Dächer der Stadt, zuckten wohl über dem Minarett der Moschee zusammen, um nicht von der Nadelspitze gestochen zu werden oder in der Zinke der goldenen Mondsichel hängenzubleiben und steinerne Schwelle der Hafenmole, mischten sich mit dem Bauch eines Dampfers, der weit draußen mit Geduld, aber vielleicht mit ungeduldigen Matrosen auf die Einfahrt wartete.
Wie anders ist Konstanza in diesen Tagen – wie verändert für den, der es nur aus dem Sommer kennt. Die Grundbeziehung fehlt dieser Stadt, ihre Jahreszeit ist abwesend, ist Vergangenheit oder Zukunft. Es fehlt die Bewegung und Farbe, welche die Stadt zu dem machen, was sie eigentlich ist: Hauptstadt des rumänischen Sommers, die Hauptstadt des kühlenden Badens. Die Gesichter sind in diesen Stunden andere, die Häuser, die Luft, der Duft, das Licht.
Das sind keine Metaphern.
Sehen wir uns bloß die Häuser an: Da ist fast alles in Renovierung, was zum Tourismus Beziehungen unterhält. Natürlich wird überall letzte Hand angelegt, in ein paar Tagen weht schließlich ein anderer Wind und er bringt Leute aus vielen Winkeln des Kontinents.
Zunächst soll er aber Fassaden trockenen und den Duft von Lack,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Heinrich und Uwe Lauer
Lektorat: Uwe Lauer
Tag der Veröffentlichung: 26.01.2017
ISBN: 978-3-7396-9477-1
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Erinnerung an meinen am 14. April 2010 verstorbenen
Onkel Heinrich Lauer