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Leseprobe

David Jackson

Und eiskalt ist die Stille

Nathan Codys Dritter Fall

 

 

Ins Deutsche übertragen von Michael Krug

 

Über dieses Buch

 

 

Der dritte Band der aufregenden Thriller-Serie um den Liverpooler Ermittler DS Nathan Cody

 

Es heißt, man kann sich seine Familie nicht aussuchen. Aber stimmt das wirklich?

Darf ich vorstellen: die Bensons. Ein wirklich nettes Paar. Sie waschen ihr Auto, mähen ihren Rasen und plauschen mit ihren Nachbarn. Und sie haben ein wunderschönes kleines Mädchen namens Daisy.

 

Es gibt da nur ein Problem. Daisy ist gar nicht die Tochter der Bensons. Sie haben sie gestohlen. Und jetzt haben sie beschlossen, dass Daisy einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester braucht…

 

DS Nathan Cody steht vor seinem bisher dunkelsten und schrecklichsten Fall....

 

„Erinnert an Harlan Coben, obwohl meiner Meinung nach Jackson der bessere Autor ist.“ — The Guardian

 

Über den Autor:

 

 

David Jackson kam erst spät zum Schreiben von Krimis und Thrillern, nachdem er einen Großteil seines Lebens damit verbracht hatte, akademische Arbeiten und Berichte zu verfassen. Nach einigen begrenzten Erfolgen bei Kurzgeschichtenwettbewerben reichte er die ersten Kapitel eines Romans bei der Crime Writers Association für die Debut Dagger Awards ein. Zu Jacksons großer Überraschung kam das Buch nicht nur in die engere Auswahl, sondern erhielt die Auszeichnung Highly Commended, was schließlich mehrere Verlage auf ihn aufmerksam machte und zur Veröffentlichung des Thrillers „PARIAH“ führte.

Seitdem hat der Brite zahlreiche weitere Krimis und Thriller geschrieben, darunter zwei Serien sowie den Bestseller „Cry Baby“. Jackson arbeitet in Liverpool an der Universität und lebt mit seiner Frau, zwei Töchtern und einer Kurzhaar-Katze namens Mr. Tumnus auf der Halbinsel Wirral.

 

http://davidjacksonbooks.com/

 

 

 

ATG books

Band 048

Für die englische Originalausgabe: Copyright © 2018 by David Jackson

Titel der Originalausgabe: „Don’t Make a Sound“

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2022 by ATG Books, ein Imprint von Audio-To-Go Publishing Ltd., Headford, Irland

Übersetzung: Michael Krug

Lektorat: Ulrike Gerster

Umschlaggestaltung: Audio-To-Go unter Verwendung eines Motivs von Tama66/ pixabay

ISBN 978-3-96519-048-1

 

Sie finden uns im Internet unter www.audio-to-go.de

 

 

 

 

 

Für Lisa, Bethany und Eden

 

TEIL EINS

1

 

 

»Was hast du vor?«

Die Worte erschrecken ihn. Dann jedoch schnappt Malcolm Benson das mentale Echo des leisen Lachens auf, das er sich nicht verkneifen konnte. Mit nach wie vor belustigter Miene dreht er sich an der Spüle um.

Harriet sitzt mit einem Becher Tee in den kleinen Händen am Tisch. Ihr Lieblingsbecher – der mit Snoopy drauf. Er hat darauf geachtet, ihn ihr an diesem besonderen Morgen zu schenken. Sie hat die Augenbrauen auf ihre bezaubernde Weise hochgezogen. Eine der Eigenschaften, durch die er sich vor dreißig Jahren ursprünglich zu ihr hingezogen gefühlt hat.

Er schnippt Seifenschaum weg, dann tippt er sich mit dem Finger seitlich an die Nase.

»Das würdest du wohl gern wissen, was?«, sagt er.

Damit hat Harriet ihren Verdacht bestätigt und stellt den Becher auf dem Bastuntersetzer ab.

»Du planst irgendwas.«

»Ich plane immer irgendwas«, erwidert er. »Das weißt du. Ich plane und plane.«

Mit leuchtenden Augen sieht sie ihn an. »Und was?«

»Du wirst warten müssen.« Er dreht sich wieder dem Spülbecken zu, taucht die behandschuhten Finger in die Seifenlauge. Malcolm weiß, dass sie ihm gerade ein Loch in den Hinterkopf starrt und seine Gedanken zu lesen versucht.

»Mein Geburtstag ist erst in einem Monat«, lässt sie beiläufig fallen.

Er erwidert nichts.

»Geht’s darum? Hat es was mit meinem Geburtstag zu tun?«

Er sieht sie über die Schulter an. Über fünfzig, und immer noch so voll von kindlicher Unschuld und Begeisterung.

»Es ist ein Geschenk. Aber nicht zu deinem Geburtstag. So lange kann es nicht warten.«

»Malcolm, jetzt spannst du mich auf die Folter. Sag’s mir. Bitte!«

Eigentlich hat er gehofft, es noch ein wenig länger hinauszuzögern, aber das wäre ihr gegenüber nicht fair. Außerdem freut er sich genauso so sehr wie sie darauf, es zu enthüllen. Er hat es viel zu lange für sich behalten.

»Na schön«, sagt er. »Warte hier.«

Er schält sich die Handschuhe von den Fingern und nimmt die Schürze ab. Als er auf die Küchentür zugeht, sieht er, wie Harriet erwartungsvoll in die Hände klatscht.

Malcolm lächelt den gesamten Weg zu dem winzigen Raum, der ihm als Arbeitszimmer dient, und den gesamten Weg zurück. Es ist für sie beide ein großer Moment. Die Krönung erheblicher Mühen und einer Menge Geduld.

Malcolm hält inne, bevor er in die Küche zurückkehrt. »Mach die Augen zu. Und nicht schummeln.«

»Okay«, antwortet sie. »Ich schaue nicht. Versprochen.«

Er schreitet durch die Tür und streckt sein Geschenk vor sich. Harriet hält die Hände fest über die Augen. Ihre Finger zittern merklich.

»Also gut«, sagt er. »Jetzt darfst du schauen.«

Sie teilt die Finger, lässt sie langsam nach unten über die Wangen gleiten. Beim Anblick des großen, ledergebundenen Buchs tritt erst Verwirrung in ihre Züge, dann Ungläubigkeit.

»Das ... das ist das Album.«

Er nickt. Malcolm ahnt, dass sie gleich losweinen wird. Auch in seinen Augen bilden sich bereits Tränen.

Sie schaut auf, begegnet seinem Blick. »Das hast du nicht, oder?«

»Doch, habe ich.«

»Du hast eine gefunden?« Er lächelt.

»Oh mein Gott«, entfährt es ihr. »Oh mein Gott. Zeig’s mir, zeig’s mir, zeig’s mir!«

Sie beugt sich zur Seite und zieht einen der Stühle so herum, dass er direkt neben ihrem steht. Malcolm setzt sich und legt das Album auf den Tisch zwischen ihnen.

»Bist du bereit?«, fragt er.

»Malcolm, du weißt, wie sehr ich das gewollt habe. Schlag das Buch schon endlich auf.«

Er sucht nach dem in der Mitte des Albums eingelegten Seidenbändchen und öffnet das Buch an der Stelle.

Das von der Seite reflektierte Licht erhellt Harriets Gesicht. Unwillkürlich reißt sie die Hand an den Mund. Tränen lösen sich aus ihren Augen und kullern ihr über den Handrücken.

»Ich hoffe, das sind Freudentränen«, sagt Malcolm.

Sie kann nur nicken, während sie den Inhalt dieser Schatztruhe bestaunt. Das ist besser als jeder Geburtstag.

Sie streckt die Hand aus und blättert um. Ein Japsen entringt sich ihr. Malcolm beobachtet aufmerksam, wie sie in ihrem Traum versinkt, sieht ihr zu, während sie Seite um Seite umblättert und dabei weint und lächelt und lacht. Er wünschte, er könnte das jeden Tag für sie tun.

Dann setzen die Fragen ein. Harriet will so viel wie möglich wissen, will jede Einzelheit erfahren. Manchmal ist beinah um eine Antwort verlegen, aber er gibt sein Bestes.

Kaum hat Harriet die letzte Seite erreicht, blättert sie zurück zur ersten. Sanft berührt ihr Finger das dort eingeklebte Foto. Malcolm hat geahnt, dass es ihr am besten von allen gefallen würde.

Dann scheint ein Anflug von Zweifeln über ihre Züge zu huschen.

»Du machst mir doch nicht nur wieder lange Zähne, Malcolm, oder? Ich meine, das ist definitiv, richtig?«

»Oh ja. Du siehst ja, wie fleißig ich gewesen bin. Schau dir nur die Fotos an. Es ist alles bereit.«

»Alles bereit? Wann? Schon bald?«

Malcolm streicht sich übers Kinn. »Tja, das ist der schwierige Teil. So etwas braucht Zeit. Weißt du, es ist eine Frage der Logistik.«

Ihre Züge fallen in sich zusammen. »Oh.«

»Also dachte ich mir ... Ich dachte mir, vielleicht heute Nacht. Wäre das bald genug für dich?«

Ihre Augen werden riesig. Und strahlen voll ekstatischer Ungläubigkeit.

»Malcolm!« Sie wirft die Arme um ihn und zieht ihn an ihre Wärme. »Malcolm, du bist unglaublich. Ich liebe dich.«

Nach einer Weile lässt sie ihn los. »Es wird doch nicht gefährlich, oder? Ich meine, bist du sicher, dass du es schaffst?«

Er ergreift ihre Hände. »Einfach wird es nicht. Ich bin nicht mehr so jung, wie ich mal war. Aber ja, ich schaffe es.«

Wieder umarmt sie ihn. Ihr Blick kehrt zurück zum Album. Dann kommt ihr ein Gedanke, und sie schaut zur Decke auf.

»Können wir es ihr sagen? Können wir es Daisy sagen?«

»Ich wüsste nicht, was dagegenspricht. Du etwa?«

 

*****

 

Daisy hört, wie sie die Treppe heraufkommen. Also legt sie den Stift weg und setzt sich aufrecht hin. Denn sie weiß, wie sehr sie es mögen, wenn sie stramm dasitzt.

Sie hat gerade eine Geschichte über eine Maus geschrieben. Da sie noch nie gut darin war, Geschichten zu schreiben, und wenig über Mäuse weiß, war es eine ziemliche Herausforderung. Sie hofft, dass ihnen gefällt, was sie zustande gebracht hat. Später wird sie ein paar Bruchrechnungen lösen und anschließend lesen. Sie hat einen äußerst ausgefüllten Tag vor sich.

Schließlich öffnet sich die Tür, und als die Erwachsenen eintreten, versteift sich die Haltung zusätzlich.

Ihr fällt auf, wie sehr sie an diesem Morgen lächeln. Tatsächlich hat sie die beiden wahrscheinlich überhaupt noch nie so glücklich gesehen. Unwillkürlich fragt sie sich, was das bedeuten könnte.

»Hallo Daisy«, grüßt Malcolm.

»Hallo Papi«, erwidert sie.

Malcolm und Harriet setzen sich ihr gegenüber an den kleinen Arbeitstisch. Beide lächeln ungebrochen.

»Wir haben Neuigkeiten für dich«, verkündet Malcolm. »Etwas, worüber wir uns sehr freuen.«

Daisy erwidert nichts. Sie ist sich nicht sicher, was sie darauf antworten soll. Also wartet sie nur geduldig.

»Willst du nicht wissen, worum es geht?«, fragt Harriet.

Daisy nickt, obwohl sie nicht sicher ist, ob sie es wirklich wissen will.

Harriet sieht Malcolm an und bedeutet ihm mit einer Kopfbewegung, die Nachricht zu überbringen. Malcolm beugt sich über den Tisch. Er kommt Daisy so nah, dass sie die Mitesser auf seiner Nase erkennen kann.

»Du bekommst ...« – er legt eine dramaturgische Pause ein, um die Spannung zu steigern – »eine kleine Schwester!«

Harriet hopst regelrecht auf dem Stuhl und klatscht freudig in die Hände.

Daisy hingegen ist immer noch unschlüssig, wie sie reagieren soll. Vermutlich wollen die beiden sie genauso euphorisch erleben, doch irgendwie kann sie sich nicht dazu aufraffen. Sie spürt die auf sie gerichteten Blicke und öffnet den Mund, nur dringt nichts heraus.

»Was hältst du davon?«, fragt Malcolm. »Ist das nicht wundervoll? Stell dir nur vor, was ihr alles miteinander teilen könnt.«

»Du kannst ihr deine Spielsachen zeigen«, sagt Harriet. »Und ihr vorlesen und erklären, wie alles funktioniert. Und das Beste daran: Du wirst nicht mehr allein sein. Du musst nie wieder einsam sein. Ist das nicht fantastisch?«

Um keinen Aufruhr zu verursachen, zermartert sich Daisy krampfhaft das Hirn für eine sinnvolle Erwiderung.

»Wie heißt sie?«, platzt sie heraus.

Malcolm sieht Harriet an. Harriet sieht Malcolm an. »Gute Frage«, sagen sie zueinander.

»Ihr Name ist Poppy«, verkündet Harriet. »Der Name einer Blume, genau wie deiner. Und sie ist blond wie du. Und erst sechs Jahre alt. Sie ist bezaubernd. Ich bin sicher, du wirst sie lieben.« Sie wendet sich wieder an Malcolm. »Nicht wahr, Papi?«

Da sich die beiden wieder gegenseitig tief in die Augen blicken, erhält Daisy die Gelegenheit, ihre nächste Frage zu formulieren.

»Wann? Wann kommt sie?«

»Noch eine ausgezeichnete Frage«, lobt Malcolm. »Halt dich fest, Daisy – es ist ziemlich schnell! Wie hört sich heute Nacht an?«

Etwas in Daisy zieht sich zusammen, und sie hat Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen. »Heute Nacht?«

Zu spät bemerkt sie den negativen Unterton in ihrer Stimme. Malcolms Lippen zittern leicht, als sie versuchen, ihr Lächeln aufrechtzuerhalten.

»Ja, Daisy. Heute Nacht. Das ist doch in Ordnung für dich, oder?«

»Ja, Papi«, antwortet sie schnell. »Ich meine ... Ich hab mich nur gefragt, wo sie schlafen wird.«

Malcolm schaut zum Bett hinüber. Er legt die Stirn in Falten, als wäre ihm das Problem bisher nicht in den Sinn gekommen.

»Na ja, ich fürchte, vorübergehend wirst du das Bett mit ihr teilen müssen. Dann finden wir schon eine Lösung.«

»Details, Details«, wirft Harriet ein. »Über solche Kleinigkeiten zerbrechen wir uns in diesem Haus nicht den Kopf. Es wird alles gut. Besser als gut. Das Beste aller Zeiten!«

Daisy hat den Eindruck, dass Harriet vor Freude platzen könnte. Sie könnte einfach plötzlich explodieren und an die Wände und die Decke spritzen.

Rasch verdrängt sie das Bild. Sie starrt auf ihre Geschichte, um sich abzulenken.

»Also«, sagt Malcolm. »Das sind unsere fantastischen Neuigkeiten. Ich wusste, dass du dich freuen würdest, Daisy.«

Daisy kennt das Wort »Sarkasmus« nicht, doch etwas in Malcolms Stimme verrät ihr, dass sie nicht so reagiert, wie er es gern hätte.

»Keine Sorge«, sagt sie. »Ich bin ein großes Mädchen. Ich kümmere mich um Poppy.«

Etwas Positiveres und Wahreres fällt ihr beim besten Willen nicht ein. Und es scheint den Zweck zu erfüllen.

»Tja, dann lassen wir dich jetzt deine Schularbeiten machen«, meint Harriet. »Ich schaue später vorbei, wie du vorankommst.« Warnend wedelte sie mit dem Zeigefinger. »Aber rechne nicht damit, dass ich dir heute eine große Hilfe bin. Ich weiß gerade ehrlich nicht, wo mir der Kopf steht.«

Dann verlassen sie den Raum beinah so, als würden sie auf der von ihnen geschaffenen Wolke schweben. Daisy sieht ihnen nach. Wartet darauf, dass sich die Tür schließt. Wartet auf das vertraute Geräusch, das danach immer folgt. Das Schrammen, das sich anfühlt, als würde es durch ihre Brust vibrieren.

Das Geräusch der Riegel, die zugezogen werden.

Sie ist wieder allein. So verbringt sie den Großteil ihrer Zeit. Deshalb denkt ein Teil von ihr, dass es wirklich wunderbar sein wird, ein anderes Kind hier zu haben.

Nur würde sie dieses Schicksal niemandem wünschen.

Sie lässt den Blick durch ihr Zimmer wandern. Manchmal fragt sie sich, wie lange ein Besucher ohne die Riegel und Schlösser draußen brauchen würde, um den wahren Zweck dieses Raums zu erkennen. Er würde das Bett in der Nische gegenüber der Eingangstür sehen. Links der Tür das Regal mit Büchern, Spielzeug und einem Flachbildfernseher. Daneben die Kommode mit dem Puppenhaus und weiterem Spielzeug darauf. In der Mitte des Zimmers sind der Klapptisch und die stapelbaren Plastikstühle.

Nichts besonders Ungewöhnliches.

Aber man könnte sich die Frage stellen, warum es keine großvolumigen Schränke gab. Man könnte sich fragen, warum sie statt Stauraum ein kleines Waschbecken in einer Ecke und einen Duschvorhang in einer anderen hat. Und bei einem Blick hinter diesen Vorhang wäre man vermutlich überrascht, dass er nicht etwa eine Dusche, sondern eine schäbige alte Toilette verbirgt.

Und um etwas natürliches Licht auf die rätselhaften Eigenarten dieses düsteren Raums zu werfen, würde man vielleicht die Fenstervorhänge zurückziehen und die dahinter verschraubten Bretter aus Holz entdecken.

An der Stelle würde man vielleicht letztlich erkennen, dass es sich nicht nur um ein Zimmer zum Schlafen handelt, sondern ein Zimmer für alles.

Eine Gefängniszelle.

Daisy hat gelernt, sich bei den Erwachsenen nicht über ihre Lage zu beschweren. Bei den Leuten, die sie und nennt, obwohl sie nicht wirklich ihre Eltern sind.

An diesen Ort sollte kein weiteres Kind gebracht werden, denkt sie.

Selbst dieses Kind sollte nicht hier sein.

Sie weiß nicht genau, wie lange sie schon hier lebt, aber sie hat eine ungefähre Vorstellung. Unlängst war sie gezwungen, ihren zehnten Geburtstag zu feiern. Und sie weiß, dass sie sieben war, als sie entführt worden ist.

Daraus ergibt sich, dass sie seit etwa drei Jahren in diesem Raum gefangen ist.

 

2

 

 

»Ist er das?«

Detective Sergeant Nathan Codys Blick folgt der Richtung von Detective Constable Megan Webleys ausgestrecktem Finger. Durch die schmutzige Windschutzscheibe sieht er eine Gestalt, die auf dem Bürgersteig auf sie zukommt, die Hände tief in den Taschen, den Kragen gegen die Kälte hochgeschlagen.

»Nein. Sieht ihm nicht mal ähnlich.«

Im Radio läuft Ed Sheeran. Cody klopft mit den Fingern den Takt aufs Lenkrad. Er richtet den Blick auf das Schaufenster neben dem Auto. Es strotzt vor knappen Dessous. Hätte er nur ein Stück weiter hinten geparkt.

»Was ist mit dem da?«, kommt von Webley.

Cody seufzt. »Nein. Sag mal, fragst du mich jetzt bei jedem Kerl, der vorbeikommt?«

»Falls ja, bist du schuld.«

»Wieso bin ich schuld?«

»Weil’s deine Idee war, oder? Außerdem hast du gesagt, er würde um Punkt fünf Uhr aufkreuzen, und wir haben schon drei Minuten nach.«

»Er kommt schon noch. Hab Geduld.«

Wie viel Geduld sie hat, demonstriert Webley, indem sie trotzig die Arme vor der Brust verschränkt.

»Mir ist kalt, ich bin müde, und ich hab Hunger. Ich hatte heute kein Mittagessen.«

»Damit stehst du nicht allein da. War eine ziemliche Hetze zum Gericht, was?«

»Du warst übrigens sehr gut. Vor Gericht.«

»Findest du?«

»Ja. Der Anwalt dort hat in dir seinen Meister gefunden. Ich konnte sehen, wie dem arroganten Trottel der Schweiß aus der Perücke gelaufen ist.« Sie deutet auf ihn und zieht die Augenbrauen hoch. »Mir ist aufgefallen, dass du zu dem Anlass eine neue Krawatte getragen hast.«

Lächelnd setzt sich Cody aufrechter hin und streicht die Krawatte glatt. »Stimmt. Gefällt sie dir?«

»Nein.«

»Oh.«

Nach einer kurzen Pause fragt sie: »Vermisst du manchmal die alten Zeiten?«

Cody spürt, wie sich ein Hitzeschwall anbahnt. Er ahnt, dass sie gleich die Zeit erwähnen wird, als sie ein Paar gewesen sind. Damals hatte sie noch ein Mitspracherecht dabei, welche Krawatten er getragen hat.

»Welche alten Zeiten?«

»Als du verdeckter Ermittler warst. Vermisst du das?«

Puh, denkt Cody. »Ja, manchmal schon. Aber die Arbeit jetzt ist auch gut.«

»Hast du je dran gedacht, zurückzuwechseln?«

»Wie kommst du darauf? Hast du die Schnauze voll von mir?«

»Nein. Nur so ein Gedanke. War ja immerhin mal ein wichtiger Teil deines Lebens.«

Er schüttelt den Kopf. »Nein, eher nicht. Ich springe zwar immer noch gern bei kleineren Einsätzen ein, aber ich glaub nicht, dass ich es wieder Vollzeit machen könnte.«

»Wegen dem, was passiert ist?«

Cody denkt sorgfältig nach, bevor er antwortet. Die Frage ist nur natürlich. Die meisten Menschen würden nach der Erfahrung, wie ihnen vier Männer in Clownsmasken gewaltsam Körperteile entfernt und anschließend ihren Partner auf grausige Weise ermordet haben, wohl auf einen anderen Broterwerb umsatteln.

»Ja, aber nicht nur aus den offensichtlichen Gründen. Ehrlich gesagt dachte ich, die Versetzung zum MIT würde nur vorübergehend sein, aber dann sind mir die Augen aufgegangen. Am Anfang hab ich befürchtet, mir würde der Nervenkitzel der verdeckten Arbeit fehlen. Ist aber nicht so. Ich mag unser Team, und mir gefällt unsere Arbeit.«

»Aber es wär nicht dasselbe, wenn ich nicht dabei wäre, oder?« Als sie lächelt, sieht er, wie ihre Grübchen erscheinen.

Bevor er antworten kann, klingelt Webleys Telefon. Sie blickt auf das Display. »Anakonda«, verrät sie und geht ran.

Cody schaut im Innenspiegel zu dem einige Meter hinter ihnen geparkten zivilen Polizeiwagen. Er kann das Gesicht von DC Neil »Anakonda« Ferguson erkennen, das der Schein vom Display seines Handys erhellt. Neben ihm sitzt ein weiterer DC der Truppe, Jason Oxburgh.

Webley lauscht, dann dreht sie sich Cody zu. »Er will wissen, wie lang wir voraussichtlich noch hier rumhocken müssen. Und ob dein CHIS für die Operation zuverlässig ist.«

CHIS steht im britischen Polizeijargon für »Covert Human Intelligence Source«, also eine geheime menschliche Auskunftsquelle. Oder schlichter ausgedrückt: Informant.

»Sag ihm, dass meine Informationen tadellos sind«, raunt Cody, »und dass er ein bisschen mehr Vertrauen haben muss.«

Webley gibt die Nachricht weiter und lauscht noch ein paar Sekunden, bevor sie das Telefonat beendet.

»Was hat er gesagt?«, fragt Cody.

»Nichts.«

»Raus damit, was?«

»Er wollte wissen, ob du dich wohl bemühst, mich hier drin warm zu halten.«

Cody wendet sich ab und schüttelt genervt den Kopf. Gleichzeitig geht ihm durch den Kopf, dass die Hitze, die ihm in die Wangen schießt, mehr als ausreichen sollte, um sie beide zu wärmen.

Als er durchs Autofenster draußen eine Bewegung wahrnimmt, ist er froh über die Ablenkung.

»Aye, aye«, sagt er.

»Was?«, fragt Webley. »Ist er es?«

Cody beobachtet weiter. Er sieht eine Frau am Geldautomaten. Ihr Portemonnaie hat sie in der Hand, aber die Tasche ist weit offen. Ein junger Mann in dunklem Trainingsanzug pirscht sich von hinten an sie an.

Cody lässt sein Fenster runter. »Fitzy, komm hier rüber!«

Erschrocken horcht der junge Mann auf. Dann schlendert er mit den Händen in den Taschen zum Auto.

»Hallo, Mr. Cody. Wie läuft’s denn so?« Er beugt sich vor und späht zur Beifahrerin. »Hallo, Süße.«

Cody muss sich ein Lächeln verkneifen. Webley wird innerlich darüber schäumen, »Süße« genannt worden zu sein.

»Was hast du vor, Fitzy?«

Fitzy zuckt mit den Schultern. »Nichts.«

»Hat nicht nach nichts ausgesehen. Hat für mich eher so ausgesehen, als wärst du plötzlich unheimlich interessiert an der Frau am Geldautomaten gewesen.«

»Ach, die! Ne, ich wollte bloß ein Auge auf sie haben, verstehen Sie, was ich meine? Meine Bürgerpflicht erfüllen. Ich glaub, ihr ist gar nicht bewusst, dass es Typen gibt, die so eine Situation ausnutzen könnten. Verstehen Sie, was ich meine?«

»Schon klar, Fitzy. Freut mich zu hören. Ich werd dich für die ›Pride of Britain Awards‹ vorschlagen. Jetzt mach dich mal vom Acker. Dich durch die Straßen zu jagen, ist gerade das Letzte, was ich will.«

Fitzy rührt sich nicht. »Was läuft denn hier eigentlich?«

»Nichts, was dich betrifft«, sagt Cody.

Fitzy grinst und entblößt eine Lücke, wo einer seiner Vorderzähne fehlt. »Warten Sie, dass die Luft rein wird, damit Sie mit Ihrer Lady da reingehen können?« Er zeigt hinter sich auf den Dessous-Laden. »Wissen Sie, das ist total in Ordnung. Wir haben ja moderne Zeiten. Muss Ihnen nicht peinlich sein. Verstehen Sie, was ich meine?«

Webley lehnt sich zu Codys offenem Fenster. »Ich bin nicht seine Lady. Jetzt zieh Leine, bevor wir dich einbuchten.«

Fitzy hebt kapitulierend die Hände. »Schon gut, Süße. Wollte nur freundlich sein.«

In dem Moment scheinen sich die Rädchen in Fitzys Kopf zu drehen. Er späht auf die Straße zum anderen ungekennzeichneten Polizeiwagen.

»Die gehören zu Ihnen, stimmt’s? Was geht hier ab? Haben Sie ’ne Razzia in dem Laden mit den Rüschenslips geplant?«

»So ähnlich«, erwidert Cody. »Jetzt geh und fall jemand anderem auf den Wecker, Fitzy. Und bleib sauber.«

Fitzy zuckt mit den Schultern und schlendert davon. Als er an Anakondas Auto vorbeikommt, winkt er den Insassen zu.

Cody schließt sein Fenster.

»Gott«, sagt Webley, »nach dem Einsatz könnte ich echt ’nen Drink vertragen. Auch Lust?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Wir haben Februar. Im Februar trinke ich nicht.«

»Du trinkst in keinem verdammten Monat. Ich wette, nicht mal zu Weihnachten.«

»Ich bin sicher, da hast du genug für uns beide gebechert«, kontert er. Aber sie hat recht: Er hat zu Weihnachten nichts getrunken. Tatsächlich hat er Weihnachten allein in seiner Wohnung verbracht. Während allerorts Truthähne tranchiert, Knallbonbons geöffnet und feuchtfröhlich gefeiert wurde, hat er sich Curry aus der Mikrowelle reingezogen und seinen im Dienst verstauchten Knöchel geschont. Natürlich hat er Webley das nicht gesagt. Ihr hat er aufgetischt, er wäre bei seinen Eltern und bei seiner Ex-Verlobten gewesen. Tatsächlich war man weder da noch dort besonders interessiert daran, festliche Stimmung in seine Richtung zu verbreiten.

»Komm schon«, drängt Webley. »Das wird lustig.«

»Ne, ich bin geschlaucht. Will nur noch die Füße hochlegen.«

»Herrgott noch mal, Cody. Du klingst wie meine Oma. Und selbst sie schafft’s jede Woche zum Tai Chi und zum Bingo. Bist du sicher, dass du unter dem jugendlichen Äußeren nicht sechsundneunzig bist?«

»Ein andermal, Megs. Okay?«

Webley lächelt ihn an.

»Was ist?«, fragt er.

»Megs. So hast du mich früher immer genannt, als wir zusammen waren.«

»Tut mir leid.«

»Muss es nicht. Finde ich nett.«

Wieder wird ihm heiß. Cody ist dankbar, als Webleys Handy erneut zum Leben erwacht.

Sie nimmt den Anruf entgegen, lauscht. Schließlich verkündet sie: »Wieder Anakonda. Seiner Meinung nach sollten wir’s gut sein lassen. Er schlägt vor ...«

»Er ist hier«, sagt Cody.

»Was?«

Cody zeigt hin. »Er geht gerade rein.«

Er beobachtet, wie ein dunkelhaariger Mann einen Schlüssel in die Tür einer Ladenfront steckt, sie öffnet und nach drinnen verschwindet. Cody setzt dazu an, aus dem Auto zu steigen.

»Es geht los!«, sagt Webley ins Handy.

Die vier Ermittler versammeln sich auf dem Bürgersteig, bevor sie zügig auf den Laden zusteuern.

Cody schiebt die Tür auf. Drinnen dreht sich der Mann um, auf den er gewartet hat. Er starrt die Neuankömmlinge an.

»Was kann ich für Sie tun?«, erkundigt sich der Mann.

Cody lauscht auf das Geschehen im Hinterzimmer, atmet die Gerüche ein.

Ihm läuft vor lauter Vorfreude das Wasser im Mund zusammen.

»Viermal Bratfisch mit Pommes bitte. Und können Sie meine Panade extra knusprig machen?«

 

*****

 

Cody macht seinen höheren Dienstgrad geltend und besteht darauf, dass sie in Anakondas Auto essen. Es schmeckt vorzüglich, die Gesellschaft ist noch besser, aber als erneut angesprochen wird, nach der Arbeit ein paar Bierchen zu , lehnt Cody ab. Er fährt allein zurück zu seiner Wohnung.

Sie befindet sich im obersten Stockwerk eines georgianischen Gebäudes in der Rodney Street über einer Zahnarztpraxis. Da die Praxis inzwischen geschlossen ist, hat Cody das Gebäude für sich allein. Er hätte seine Kollegen zu sich einladen und vorschlagen können, unterwegs Alkohol zu kaufen. Sie hätten Musik auflegen können.

Er hat nichts davon getan.

In der Küche wirft er den Wasserkocher an, leert die Taschen, legt Jackett und Krawatte ab. Nachdem er sich seinen Tee gebrüht hat, setzt er sich an die kleine Frühstückstheke.

Er denkt an Webley. In den letzten Wochen hat sie mehrfach vorgeschlagen, zusammen etwas trinken zu gehen. Manchmal fragt er sich, ob dahinter eine tiefere Absicht steckt. Dann wieder sorgt er sich, dass er arrogant ist. Wahrscheinlich will sie nur freundlich sein.

Abgesehen davon gibt es Hürden. Zu viel steht im Weg. Zum einen der Job. Cody und Webley müssen zusammenarbeiten und sich aufeinander verlassen können.

Dann sind da noch die Partner. Na schön, Ex-Partner. Cody sieht zwar keine großen Chancen, dass seine ehemalige Verlobte ihn zurücknehmen könnte, aber er rechnet fest damit, dass Webley wieder mit ihrem Mann zusammenkommen wird. Sie sind erst seit Weihnachten getrennt. Noch ist Zeit für eine Versöhnung.

Und dann ist da natürlich diese andere Sache. Die, über die Cody nicht reden kann.

Webley hat das Thema vorhin gestreift. Das Ereignis, das ihn dazu veranlasst hat, die Arbeit als verdeckter Ermittler aufzugeben. Sie weiß, wie traumatisch es für ihn war. Und dass es zu schrecklichen Albträumen, Halluzinationen und Kontrollverlust geführt hat.

Allerdings weiß sie nicht, dass sie zurück in seinem Leben sind.

Die Clowns.

Sie haben Kontakt aufgenommen. Übermitteln ihm schräge Botschaften. Sind sogar hier gewesen, in seiner Wohnung.

Seit Weihnachten verhalten sie sich ruhig, aber er weiß, dass sie wieder auftauchen werden. Und wenn es so weit ist, wird es unschön werden.

Das ist der eigentliche Grund, warum er weder Webley noch sonst jemanden zu nah an sich heranlassen kann.

 

3

 

 

Malcolm sieht auf die Armbanduhr. Nur noch ein paar Minuten. Bald ist es vier Uhr, und er hat beschlossen, dann hineinzugehen.

Vier Uhr morgens hält er für eine gute Zeit. Die meisten Menschen befinden sich dann im Tiefschlaf. Niemand hört etwas. Und falls doch, dreht man sich einfach um und schläft weiter.

Aber Harriet wird noch wach sein. Sie wird zu aufgeregt zum Schlafen sein. Vielmehr wird sie in diesem Moment am Schlafzimmerfenster hocken und bang auf seine Rückkehr warten.

Die Straße, in der er sich befindet, ist ruhig. Eine begrünte Sackgasse mit Reihenhäusern in der Nähe der Otterspool Promenade. Um die Zeit ist in der Gegend kaum mit Verkehr zu rechnen.

Er hat schon öfter hier geparkt, zu verschiedenen Tageszeiten. Hat das Kommen und Gehen beobachtet, unzählige Fotos und Videos angefertigt. Hat dem Geplauder der Anwohner gelauscht, die an seinem Wagen vorbeigeschlendert sind, ohne den Mann zu bemerken, der im Fond hinter dunkel getönten Scheiben gesessen hat.

Ja, er hat seine Hausaufgaben gemacht. Gründlich. So etwas überstürzt man nicht. Jedenfalls nicht, wenn man will, dass es reibungslos abläuft.

Er weiß, dass sie nur zu dritt in dem Haus sind. Poppy und ihre Eltern Craig und Maria. Gegen acht Uhr morgens wird Craig das Haus verlassen, in den Mondeo steigen und zur Arbeit fahren. Maria und Poppy werden ein paar Minuten später folgen und mit dem anderen Auto wegfahren, einem roten Polo. Den Großteil des Tages steht das Haus leer, bis Maria gegen vier mit Poppy zurückkommt.

Aber ein leeres Haus nützt Malcolm nichts. Er braucht etwas aus dem Haus. Er braucht Poppy.

Auch andere Möglichkeiten hat er in Betracht gezogen. Er weiß zum Beispiel, welche Grundschule Poppy besucht. Mehrmals hat er vor jener Schule ausgeharrt und Ausschau nach Schwachstellen, nach Gelegenheiten gehalten.

Aber das wäre zu riskant. Maria trifft immer pünktlich vor dem Läuten der Schulglocke ein. Und das Lehrpersonal wacht auf dem Spielplatz mit Argusaugen über die Kleinen. Gehen dürfen sie erst, wenn ein Elternteil auf der anderen Seite des Tors deutlich erkennbar ist.

Malcolm hat auch versucht, ihnen zu Geschäften zu folgen. Maria lässt ihre Tochter nie aus den Augen. Die meiste Zeit halten sie sich an den Händen. Unter diesen Umständen wäre es unmöglich, sich Poppy zu schnappen.

Also verbleibt das hier als einzige Chance. Natürlich begleitet von offensichtlichen Gefahren, die er jedoch für Harriet heruntergespielt hat. Sie sollte sich über derlei Dinge nicht den Kopf zerbrechen müssen. Ist nicht nötig, ihre Vorfreude zu trüben.

Und die Auswahl ist nicht groß. Ja, es gibt reichlich Kinder, die man sich wesentlich leichter holen könnte – ihn verblüfft immer wieder, wie unbekümmert und unaufmerksam manche Eltern sind. Aber keines davon erfüllt die Anforderungen. Auf Anwärterinnen wie Poppy stößt man sehr selten. Es muss sie sein, und zwar sofort.

Mittlerweile ist es vier Uhr.

Malcolm steigt aus dem Wagen und nimmt die schwarze Sporttasche vom Beifahrersitz mit. Er schließt die Tür so behutsam wie möglich und verriegelt das Fahrzeug nicht. Dann geht er zum Haus und biegt in die Einfahrt.

Er hält nicht inne, trödelt nicht. Je weniger Zeit er hier draußen verbringt, desto besser. Stattdessen steuert er geradewegs auf das Tor aus Holz zu, das den Weg zur Rückseite des Grundstücks versperrt. Das Tor ist geschlossen und verriegelt, doch es ist ein Kinderspiel, über den Zaun zu klettern und sich auf der anderen Seite fallen zu lassen. Malcolm mag über fünfzig sein, aber er hält sich in Form.

Bevor er weitergeht, schiebt er den Riegel des Tors zurück, um die Flucht zu erleichtern. Dann wartet er und lauscht, um sich zu vergewissern, dass seine Ankunft unbemerkt geblieben ist.

Als er sich davon überzeugt hat, rückt er in den Garten vor und bleibt dabei dicht an den Wänden, um keine Bewegungsmelder für Lampen auszulösen.

Das Haus ist kein Neubau. Wahrscheinlich Ende der 1930er gebaut. Es besitzt einen Wintergarten, aber selbst er muss vor mindestens zwanzig Jahren angebaut worden sein. Für Malcolm ist das erfreulich.

Er ist Klempner von Beruf. Allerdings geht er dem nicht mehr so oft nach – nur gelegentliche eine Heizkesselreparatur oder das Versetzen eines Heizkörpers. Er ist jetzt Familienmensch, hat Verpflichtungen.

Im Verlauf der Zeit hat er viel gelernt – nicht nur auf seinem Fachgebiet, auch in anderen Bereichen. Er hat mit einer Reihe von Bauunternehmen und Doppelverglasungsfirmen zusammengearbeitet, die seine Dienste in Anspruch genommen haben. So hat er sich einiges an Wissen über Haussicherheit angeeignet. Insbesondere weiß er, wie man Sicherheitsvorkehrungen umgeht.

Malcolm stellt die Tasche auf den Boden und öffnet den Reißverschluss. Er greift hinein und holt das erste Werkzeug heraus, das er braucht: ein kurzes Metallrohr, das gut über den hervorstehenden Zylinder des Schlosses der Wintergartentür passt.

Nach wenigen Sekunden mit etwas Krafteinsatz hat er den Zylinder entfernt. Eine weitere Minute braucht er, um einen Schraubendreher in das Loch einzuführen und die Riegel herauszuholen.

Dann ist er drin.

Im Zuhause fremder Menschen. Dem Ort, an dem sie sich am sichersten fühlen.

Sie haben ja keine Ahnung.

 

4

 

 

Poppy wacht auf.

Sie hat keine Ahnung, wie spät es ist. Tatsächlich kann sie die Zeit noch nicht richtig ablesen. Sie findet, sie sollte es bald lernen, denn zu Weihnachten hat sie eine Disney-Uhr bekommen und hat sie bisher noch nicht benutzt. Jedenfalls glaubt sie nicht, dass es schon Zeit zum Aufstehen ist. Ihre Eltern stehen immer zuerst auf, und sie hört sie noch im Zimmer nebenan schnarchen.

Bei ihr ist es sehr dunkel. Sie mag die Dunkelheit nicht. Weil sie fürchtet, dass sich nachts die Monster herauswagen. Und Ratten. Und Einbrecher. Selbst an Heiligabend hat sie die Vorstellung von einem Fremden in ihrem Wohnzimmer beunruhigt, Geschenke hin, Geschenke her.

Sie spielt mit dem Gedanken, das Licht einzuschalten. Aber da sie keine Nachttischlampe hat, müsste sie dafür aus dem Bett aufstehen, und dafür ist es zu kalt. Und zu beängstigend. Außerdem kann sie wahrscheinlich nicht mehr einschlafen, wenn sie das Licht anmacht.

Also sagt sie sich, dass sie die Augen schließen und an Schönes denken soll, wie ihre es ihr beigebracht hat.

Sie denkt an ihre Freunde in der Schule. Denkt daran, wie herzlich sie neulich gelacht haben, als einem der Jungs die Hose gerissen ist.

Allmählich döst sie ein ...

Und ist schlagartig wieder wach, als sie ein Geräusch hört.

Zumindest glaubt sie, ein Geräusch gehört zu haben.

Obwohl sie heftig blinzelt, kann sie kaum etwas erkennen. Sie hebt den Kopf und schaut ihr Bett entlang zur Außenwand. Die Vorhänge sind nicht besonders dick, deshalb kann sie vage die Umrisse des Fensters ausmachen. Aber sie kann auch eine Silhouette erkennen, die sich an einem Rand abzeichnet, und auf einmal fragt sie sich, was es sein könnte. So sehr sie auch überlegt, ihr fällt nicht ein, was an der Stelle das spärliche Licht blockiert.

Es ist nichts, sagt sie sich. Das ist immer da. Wenn ich aus dem Bett steige und das Licht anmache, werd ich sehen, dass es nur Möbel oder Spielzeuge sind.

Aber je länger sie auf den Schemen starrt, desto überzeugter wird sie davon, dass er sich bewegt.

Nicht auffallend. Nur ein paar Millimeter. Erst nach links, dann nach rechts. Als ob ...

Als ob da jemand steht, der versucht, sich nicht zu rühren, es aber nicht ganz schafft.

Poppy huscht unter die Decke. Ihre Hände greifen nach Huggles, ihrem Teddybären. Sie zieht ihn zu sich, drückt ihn an ihre Brust.

Du bist albern, sagt sie sich. Da ist niemand. Nur irgendeine Form, und sie bewegt sich gar nicht. Und wenn du nach oder rufst, werden sie richtig böse auf dich sein, weil du sie geweckt hast.

Nur kann sie jetzt nicht mehr schlafen. Nicht, bevor sie Gewissheit hat. Nicht, bevor sie sich bewiesen hat, dass kein Monster oder Einbrecher in ihrem Zimmer ist.

Sofort raus dem Bett, befiehlt sie sich. Geh zum Lichtschalter, drück ihn und sieh dir an, wie dumm du bist. Mach schon!

Sie wirft die Bettdecke zurück, setzt sich auf. Schaut erneut zum Fenster. Und sieht ...

Nichts.

Da ist kein Schemen mehr. Was sie zuvor als tröstlich empfunden hätte. Jetzt nicht mehr. Denn mittlerweile weiß sie, dass sich der Schemen bewegt hat. E war vorher eindeutig da, und jetzt ist er es eindeutig nicht mehr. Also hat er sich bewegt. Und da ist auch ein Geruch. Ein fremder Geruch.

Sie öffnet den Mund zum Schreien.

Aber der Ruf dringt nicht aus ihr heraus. Er wird abgewürgt, als ihr etwas über Mund und Nase gedrückt wird. Es fühlt sich an wie Stoff – kalt und feucht. Und es stinkt. Dieser seltsame Geruch, nur jetzt viel stärker. Wieder versucht sie zu schreien, bringt jedoch lediglich einen gedämpften Laut hervor.

Poppy fuchtelt mit den Armen. Sie klatschen wirkungslos gegen jemanden – oder etwas – hinter ihr. Der Widerstand fühlt sich groß und kraftvoll an. Ihre Beine strampeln, verheddern sich im Laken. Und die ganze Zeit sickert dieser Geruch in sie. E dringt in ihr Gehirn ein, und ihre Gedanken werden rasant verschwommen. Sie vergisst den Grund für die Panik, und eine seltsame Ruhe senkt sich über sie.

Dann umhüllen sie Schwärze und Stille.

 

*****

 

Als sie wieder aufwacht, weiß sie auf Anhieb, dass sie sich auf dem Rücksitz eines fahrenden Wagens befindet. Sie hört das Brummen des Motors, spürt jede Bodenwelle. Ihre Hände und Füße sind gefesselt. Durch die Bewegungen des Autos wird sie wie ein Spielzeug herumgeschleudert. Davon wird ihr schlecht.

Und sie weint.

Das übersteigt ihr Verständnis. Sie kann es nicht begreifen. Poppy weiß nur, dass sie aus ihrem Bett, von ihren Eltern, aus ihrem Zuhause weggerissen wurde. Angst beherrscht ihre Gedanken – ein überwältigendes Grauen, hervorgerufen durch ihre missliche Lage.

Sie will nach ihrer rufen, doch irgendein klebriges Band bedeckt ihren Mund. Wieder und wieder versucht sie, das eine Wort herzubringen, das Trost und Beruhigung herbeiführen sollte. In der Vergangenheit hat das immer geklappt. Wenn sie hingefallen ist und sich wehgetan hat oder wenn sie verängstigt war, haben ihre Eltern immer auf ihre kläglichen Rufe reagiert.

Diesmal nicht. Niemand kommt, um ihren Kummer zu lindern.

Und mit jeder Minute, die verstreicht, wird ihr bewusster, dass sie sich weiter und weiter von ihrer Familie entfernt. Sie hat keine Ahnung, wie lange sie bewusstlos gewesen ist. Inzwischen könnte sie überall sein. Vielleicht wird sie ihre Eltern nie wiedersehen.

Und was erwartet sie am Ende der Fahrt? Wer hat sie entführt, und was hat derjenige mit ihr vor?

Die unbeantworteten Fragen steigern ihre Angst ins Unermessliche. Ihr ist kalt, sie zittert und hat das Gefühl, durch ihr Weinen von innen nach außen gekehrt zu werden. Poppy betet, dass der Altraum enden möge.

Dann kommt der Wagen mit quietschenden Reifen zum Stehen. Sie hört das Rattern einer Handbremse, die angezogen wird. Der Motor wird ausgeschaltet. Eine Tür öffnet und schließt sich. Schritte entfernen sich vom Fahrzeug.

Die Sekunden vergehen. Poppy fragt sich allmählich, ob sie zurückgelassen wurde. Zum Sterben in diesem eiskalten Wagen.

Dann jedoch ertönen wieder Schritte, die sich auf sie zubewegen. Der Griff an der Hecktür des Lieferwagens wird betätigt. Die Tür schwingt auf, und das schwache Licht der Sterne, des Monds und der Straßenlaternen dringt in Poppys kleines Gefängnis.

Sie dreht den Kopf, um hinauszuschauen. Eine Gestalt sieht zu ihr herein. Eine Frau. Nicht ihre Mutter. Viel älter als ihre Mutter. Aber freundlich. Zumindest erweckt sie den Eindruck. Sie hat den Gesichtsausdruck einer Frau aufgesetzt, die zum ersten Mal ihr Baby sieht. Einen Ausdruck von ... Liebe.

Poppy will sie um Hilfe anflehen. Ohne das Klebeband auf dem Mund würde sie sich dabei richtig ins Zeug legen. Sie würde der Frau alles versprechen, wenn man sie dafür nur wieder nach Hause brächte. Sie würde versprechen, für den Rest ihres Lebens nichts Unartiges mehr anzustellen, wenn sie nur wieder in der Geborgenheit der Arme ihrer Eltern landete.

Die Frau lächelt. Es ist ein herzliches, ein tröstliches Lächeln. Sie streckt die Hand aus und streichelt Poppys Haar. Die sanfte Liebkosung ist das erste Zeichen von Trost, das Poppy erhält, und sie versucht, sich an dem Gefühl festzuklammern.

»So hübsch«, flüstert die Frau. »So wunderschön. Ich bin so glücklich.«

Poppy fragt sich, wie die Frau glücklich sein kann. Ist sie wie der Wolf in der Geschichte von Rotkäppchen? Will sie gleich die Mahlzeit verschlingen, die man ihr gebracht hat?

Aber dafür scheint die Frau viel zu nett zu sein. Sie erinnert Poppy an das Meerschweinchen ihrer Freundin. Klein und zappelig, mit winzigen strahlenden Augen und Pausbacken. Ihre Hand streicht über Poppys Haar, ihre Stirn, ihre Augen.

»Ganz ruhig«, sagt sie. »Du musst keine Angst haben. Du bist hier in Sicherheit. Wir kümmern uns um dich.«

Ihre Handfläche ist weich und warm. Sie blockiert das Licht, und Poppy fühlt sich plötzlich unglaublich müde. Allmählich fängt sie an zu glauben, dass diese Leute ihr vielleicht doch nichts tun wollen. Was immer sie vorhaben, sie wollen sie nicht verletzen.

Dann spürt sie ein Piksen im Arm, und all ihre Ängste flammen für wenige Sekunden wieder auf, bevor sie von ihrem schwindenden Bewusstsein in Schwärze gesaugt werden.

 

5

 

 

Maria kann die dunklen, kalten Morgenstunden nicht ausstehen. Wenn der Wecker klingelt, scheint es immer zu früh zum Aufstehen zu sein. Sie könnte leicht noch eine Stunde im Bett vertragen. Also dreht sie sich herum, schließt die Augen und spürt den Lockruf ihrer jüngsten Träume.

Das Bett wippt, als Craig aufsteht. Ohne Vorwarnung schaltet er seine Nachttischlampe ein. Sie stöhnt.

Craig gibt ihr einen Klaps auf die Hüfte. »Bewegung, Soldatin. Weißt du denn nicht, dass es einen Krieg zu schlagen gilt?«

»Bei allem Respekt, Colonel«, gibt sie zurück, »Sie können mich mal am Arsch lecken.«

Craig lacht herzhaft. Er klingt entschieden zu munter und beschwingt. Es erscheint ihr unfair, dass er immer so ausgeruht wirkt, während sie sich mit Freuden einrollen und sich für ein, zwei Monate in den Winterschlaf zurückziehen würde.

Vielleicht ist das ein Anzeichen von Alter, geht ihr durch den Kopf. In ein paar Tagen wird sie dreißig Jahre alt. Dreißig! Das ist steinalt. Dann liegt ein weiteres volles Jahrzehnt hinter ihr. Wohl kaum ein Grund zum Feiern.

Mit einem weiteren Stöhnen kratzt sie irgendwie die Kraft zusammen, sich aus dem Bett zu schleppen. Es gibt so viel zu tun und so wenig Zeit dafür. Craig hat’s leichter, denkt sie. Er springt einfach für zwei Minuten unter die Dusche, zieht an, was ich für ihn gebügelt hab, löffelt eine Schüssel Cornflakes und braust davon. Ich hingegen muss sowohl Poppy als auch mich fertig machen. Das nimmt viel mehr Zeit in Anspruch.

Sie steckt die Füße in flauschige Pantoffel, schlurft durchs Zimmer und greift sich von der Stuhllehne ihren Morgenmantel. Unterwegs hört sie, wie die Dusche aufgedreht wird.

Sie unterdrückt ein Gähnen und schleppt sich hinaus auf den kühlen Treppenabsatz. Trotz der Zentralheizung scheint es im Winter nie warm genug im Haus zu sein.

Ihre erste Überraschung fällt noch relativ harmlos aus.

Poppys Tür steht weit offen. Sie lässt sie nie so weit offen, schließt sie aber auch nie ganz. Sie hat sie gern mit einem Spalt von zwei, drei Zentimetern angelehnt.

Neugierig steuert Maria auf Poppys Zimmer zu. Es ist noch dunkel darin. Die Vorhänge sind zugezogen. Maria tritt ein und drückt den Lichtschalter an der Wand. Sie rechnet fest mit einem widerwilligen Stöhnen. Aber es bleibt aus.

»Poppy, Schatz, es ist Zeit zum ...«

An der Stelle fällt Marias Blick auf das Bett.

Das leere Bett. Das Bett, dessen Decke auf dem Boden liegt und dessen Laken zerknittert ist. Das Bett ohne Poppy darin.

Und sie schnappt einen Geruch auf. Einen fremdartigen Geruch. Wie man ihn vielleicht in einem Krankenhaus erwarten würde.

Huggles, der Teddybär, liegt in der unnatürlich verrenkten Pose eines Unfallopfers auf dem Boden, die dunklen Augen auf Maria gerichtet, als würde er sie dafür verurteilen, dass sie nicht früher aufgekreuzt ist.

Maria kehrt zum Treppenabsatz zurück. »Poppy!«, ruft sie.

Keine Antwort. Nur Craigs misstönender Gesang aus dem Bad.

Vielleicht im Gästezimmer. Vielleicht hat Poppy schlecht geträumt und gedacht, nach einem Tapetenwechsel könnte sie besser schlafen.

Maria reißt die Tür zum dritten Schlafzimmer auf. Alles unangetastet. Hier hat letzte Nacht niemand geschlafen.

Zurück zum Treppenabsatz. Die Stufen hinunter. »Poppy! Poppy!«

Die Dusche wird abgedreht. Craig brüllt: »Rufst du nach mir?«

Sie ignoriert ihn, beschleunigt die Schritte, bis sie am Fuß der Treppe ankommt. Immer noch keinerlei Reaktion von ihrer Tochter. »POPPY!«

Ins Wohnzimmer. Vielleicht schläft sie auf dem Sofa. Das hat sie schon mal gemacht, als sie krank war.

Aber warum hat sie mich dann nicht gerufen? Wenn sie krank ist, warum hat sie mich dann nicht geholt?

Auch im Wohnzimmer ist sie nicht.

»POPPY!«

Als Nächstes die Küche. Aber warum sollte sie in der Küche sein und mir nicht antworten?

Maria erkennt auf Anhieb, dass in dem Raum niemand ist. Wo steckt sie nur? Wo könnte sie sein? Und warum antwortet sie nicht?

Durch die Küche. In den Wintergarten mit den Korbsesseln, dem Zweiersofa und ...

Und der offenen Tür.

Und plötzlich schlägt Maria das Herz bis in den Hals. Der Anblick fühlt sich so, so falsch an. Die Tür ist nachts immer verriegelt. Der Schlüssel wird immer abgezogen und auf einen hohen Schrank gelegt. Poppy könnte ihn nicht erreichen. Sie kann die Tür nicht geöffnet haben. Was zum Teufel ist hier los?

Maria eilt durch die Tür hinaus in den trüben Morgen. Die kahlen Bäume wirken wie bedrohliche Skelette. Nicht mal die Vögel scheinen Lust zum Singen zu haben.

»Poppy! Poppy!«

Die einzige Antwort kommt vom Nachbarshund. Maria dreht sich um und schaut zurück zum Haus. Hab ich was übersehen?, fragt sie sich. Reagiere ich über, oder ist es so schlimm, wie es zu sein scheint? Ist das der Anfang des s, der es zu sein scheint?

Dann sieht sie es – das Loch in der Tür, wo das Schloss sein sollte.

»Oh Gott! Oh Gott!«

Sie weiß Bescheid. Jemand hat das Haus betreten. Jemand ist eingebrochen und hat ... hat ...

Maria geht außen um das Haus herum. Sie erblickt das Holztor – das nachts ebenfalls immer verriegelt. Es klafft weit auf.

»POPPY!«

Mittlerweile sind ihre Rufe zu Schreien geworden – verzweifelten, panischen Schreien. Schenk mir irgendein Wort, rast ihr durch den Kopf. Nur ein einziges. Meinetwegen sogar einen Schmerzensschrei. Mir ist alles recht, solange es mir nur sagt, dass du noch hier bei mir bist.

Wenn sie hier ist, lässt sich alles in Ordnung bringen. Aber wenn nicht ...

Maria läuft durch den Vorgarten und hinaus auf die Straße. Mittlerweile weint sie, rauft sich die Haare, weiß nicht, was sie tun soll. Für so etwas kann man sich nicht wappnen. Man kann nicht darauf vorbereiten, dass die eigene Tochter ...

Sie ist entführt worden.

Eindeutig. Das ist hier passiert. Meine wunderschöne Poppy ist entführt worden.

Hinter ihr ertönt eine Stimme. Craig kommt die Einfahrt entlanggelaufen. Maria bekommt nicht mit, was er sagt. Ebenso wenig registriert sie die großäugigen Blicke der Nachbarn, die durch ihre verzweifelten Rufe auf der Matte stehen. Das alles ist im Augenblick irrelevant. Nur eine Person zählt.

Und die ist weg.

 

6

 

 

Daisy erwacht, weil sie unterbewusst wahrnimmt, wie die Riegel an der Tür zu ihrem Zimmer zurückgezogen werden. Sie setzt sich auf, reibt sich den Schlaf aus den Augen.

Als sie hereinkommen, schalten sie das Licht ein. Harriet geht voraus und strahlt vor Begeisterung. Hinter ihr steht Malcolm. Mit einem Kind in den Armen.

Es sieht tot aus. Ein schlafendes Kind wäre durch die ruckartigen Bewegungen beim Treppensteigen aufgewacht. Dieses Kind jedoch erinnert an eine Stoffpuppe. Die Gliedmaßen hängen baumelnd herab. Die Augen sind geschlossen, der Mund hingegen weit offen. Es lässt sich schwer abschätzen, ob das Mädchen noch atmet.

Daisy fragt sich, ob sie selbst so ausgesehen hat, als sie hierher gebracht worden ist. Manchmal wünscht sie sich, sie wäre nie aus jener tiefen Ahnungslosigkeit erwacht.

»Hallo, Daisy«, grüßt Harriet. »Sieh nur, was wir hier haben. Wir haben’s dir ja gesagt, nicht wahr? Wir halten unsere Versprechen immer.«

Malcolm bückt sich leicht, damit Daisy das Mädchen besser sehen kann. Die Kleine wirkt so zerbrechlich, so zart und leicht.

»Schläft sie?«, fragt Daisy.

»Ja«, antwortet Harriet. »Es ist ein besonderer Schlaf. Aber sie wird bald aufwachen. Wir haben uns gedacht, du würdest sie vielleicht gern für uns im Auge behalten. Und uns Bescheid geben, wenn sie aufwacht. Wäre das für dich in Ordnung?«

Daisy weiß nicht so recht. Sie hat sich noch nie um ein anderes Kind gekümmert. Erst recht nicht um eines, das dem Tod so nah zu sein scheint wie dieses. Aber sie weiß, dass eine positive Haltung gefragt ist.

»Okay«, sagt sie.

»Lass sie mich auf dein Bett legen«, schlägt Malcolm vor.

Daisy schiebt sich vom Bett, stellt sich ans Fußende und beobachtet, wie Malcolm das Mädchen behutsam auf die Matratze bettet und den Kopf auf das Kissen.

Harriet schiebt sich vor ihren Mann und bückt sich, um der Neuen einen sanften Kuss auf die Stirn zu drücken. »Bis bald, Poppy«, sagt sie.

Die beiden Erwachsenen drehen sich Daisy zu. »Wir vertrauen darauf, dass du dich um deine neue Schwester kümmerst«, sagt Harriet. »Das wirst du doch, oder?«

Daisy nickt. »Ja.«

»Sag uns Bescheid, sobald sie aufwacht, ja?«

Ein weiteres Nicken.

»Prima.« Damit ziehen sie sich rückwärts aus dem Zimmer zurück, die Blicke auf Poppy gerichtet. Harriet winkt verhalten zum Bett, bevor sie die Tür schließt.

Dann werden die Riegel wieder vorgeschoben, und die Kinder bleiben allein zurück.

Eine geschlagene Minute lang verharrt Daisy und betrachtet die reglose Gestalt der Sechsjährigen. Sie sieht so klein aus. Aber Daisy war vermutlich selbst nicht größer, als sie damals hergebracht worden ist.

Schließlich tritt sie erst einen Schritt vor, dann noch einen. Eine Schwester, denkt sie. Sie sieht auch ein bisschen aus wie ich. Wahrscheinlich sogar genau wie ich auf einem Foto von mir vor drei Jahren.

Bei dem Gedanken brennen ihre Augen. Drei Jahre ohne ihre Eltern, ohne Familie, ohne Freunde. Sie hat in all der Zeit keinen einzigen Sonnenstrahl gesehen.

Als sie den Arm hebt, sieht sie, wie blass ihre Haut ist. Dann beugt sie sich vor und legt ihn neben den von Poppy. Der Unterschied ist frappant. Im direkten Vergleich fühlt sie sich wie ein Geist.

An den Handgelenken des Mädchens entdeckt sie Male – rosa Vertiefungen, wo sich ein Seil in die Haut geschnitten hat. Unverhofft fällt ein Anflug von Erinnerungen an ihre eigenen Male über Daisy her, als sie ähnlich gefesselt war.

Ihre Hand streift Poppys Haut. Sie fühlt sich so kalt an, dass sie jäh zurückschreckt.

Nach kurzem Zögern steigt Daisy wieder ins Bett. Sie zieht die Bettdecke über sie beide und kuschelt sich an Poppy.

»Bitte stirb nicht«, flüstert sie. »Bitte stirbt nicht.«

 

7

 

 

Ein langes, zittriges Einatmen. Dann ein Stöhnen, das zu einem verwirrten, verängstigten Schrei anschwillt.

Daisy versucht, Poppy an sich zu ziehen, um sie zu trösten, aber das Kind zieht sich von ihr zurück und setzt sich auf. Die Kleine lässt den Blick durch das unbekannte Zimmer wandern, bevor sie ihre Bettgenossin anstarrt.

»Wer bist du?«, will sie wissen.

»Ich heiße Daisy«, sagt sie. Etwas anderes fällt ihr auf die Schnelle nicht ein. Es fühlt sich nicht richtig an, ihr zu sagen, dass sie ihre neue Schwester ist. Dafür kennen sie sich noch nicht gut genug.

»Wo ist meine Mama?«

»Ich ... Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, woher du gekommen bist.«

»Ich will zu meiner Mama.«

»Ich weiß, aber ... Ich passe auf dich auf, versprochen. Ich kümmere mich um dich.«

Sie beugt sich für eine Umarmung vor, doch Poppy schaut bei der Andeutung nur angewidert drein. »Dich will ich nicht. Ich mag dich nicht. Ich will nach Hause.«

Damit rutscht sie vom Bett. »Mama!«, schreit sie. »Mami!«

Daisy eilt ihr hinterher und packt sie an den Armen. »Pst, Poppy«, sagt sie. »Nicht schreien. Sie mögen es nicht, wenn man schreit.«

Aber Poppy beherzigt den Rat nicht. »Mama! Papa! Wo seid ihr?«

Sie entreißt sich Daisys Griff, steuert direkt auf die Tür zu. Dreht vergeblich den Knauf.

»Lasst mich raus! Ich will nicht hier sein. Ich will nach Hause.«

Daisy spürt, wie ihre eigene Anspannung steigt. Sie hat es sich einfacher vorgestellt, hat gedacht, Poppy würde vielleicht auf sie als ihre ältere, weisere Mitbewohnerin hören. Aber anscheinend ist Poppy widerspenstig. Sie hat eine eigenwillige Ader, die für Gefahr sorgen könnte.

»Poppy, bitte. Du musst leise sein. Hier gibt es Regeln. An die müssen wir uns halten.«

»Ich will nach Hause!«

Sie fängt an, mit den nackten Füßen gegen die Tür zu treten. Daisys Herz setzt bei jedem dumpfen Knall einen Schlag aus. Sie rennt hinüber, schlingt die Arme um Poppy und zerrt sie von der Tür weg. Poppy reagiert mit weiteren Tritten, diesmal gegen Daisys Schienbeine. Dann stürmt sie durch das Zimmer und übt sich als kleiner Wirbelwind der Verwüstung. Sie wirft Stühle um, fegt Daisys Hausaufgaben zu Boden, zieht Bücher aus den Regalen, reißt das Dach von einem Haus aus Lego herunter.

»Poppy! Nicht! Bitte.«

Und dann hört Daisy etwas. Schritte, die sich die Treppe herauf nähern. Sie dreht sich erst der Tür zu, dann wieder Poppy. An der Stelle wird ihr klar, wie deutlich ihr die Angst ins Gesicht geschrieben stehen muss. Poppy erkennt den Ausdruck instinktiv und bremst abrupt ihre Zerstörungswut.

Die Riegel werden zurückgezogen. Die Tür öffnet sich. Harriet und Malcolm treten mit ernsten Mienen und beunruhigend schweigend ein. Ihr kollektiver Blick richtet sich zuerst auf Daisy und drängt sie mit seiner Wucht zurück in die Ecke des Zimmers.

»Ich dachte, du gibst uns Bescheid, wenn sie aufwacht«, sagt Malcolm. Seine Stimme klingt leise und ruhig, aber Daisy hat genug Erfahrung gesammelt, um den bedrohlichen Unterton wahrzunehmen.

Sie schaut zu dem Knopf an der Wand, den sie drücken kann, um ihre Aufpasser zu rufen.

»Ich ... Das wollte ich. Es tut mir leid. Poppy war ... sie war so aufgebracht. Ich hab versucht, sie zu beruhigen.«

Alle Köpfe drehen sich Poppy zu. Aus ihren Augen spricht Trotz. Ihre Brust hebt und senkt sich vor Wut und Anstrengung heftig.

»Stimmt das, Poppy?«, fragt Malcolm. »Du warst aufgebracht? Warum?«

»Geh weg«, sagt Poppy. »Ich will dich nicht. Ich will meine Mama und meinen Papa. Ich will nach Hause.«

Malcolm setzt ein Lächeln für sie auf. »Sei nicht so. Es ist schön hier. Es wird dir gefallen, wenn du dich erst eingewöhnt hast.«

Poppy schaut nach rechts und erblickt drei Puppen, die in einer ordentlichen Reihe auf einem Bücherregal sitzen. Sie fegt sie zu Boden.

»Es ist scheiße hier. Scheiße, scheiße, scheiße.«

Daisy beobachtet, wie jede Wiederholung des Schimpfworts Harriet mit der Wucht eines Schlags trifft. Harriet kann Schimpfwörter nicht ausstehen.

Die ältere Frau wendet sich an ihren Ehemann. »Papi, ich hoffe, du lässt unsere Tochter nicht so mit uns reden.«

»Ich bin nicht eure Tochter«, kommt von Poppy. »Und ich sage, was ich will. Ihr habt mich gestohlen. Ich werd’s meinem Papa sagen, und er wird dich dafür hauen.«

Harriet starrt Malcolm weiter an, drängt ihn stumm, Autorität walten zu lassen. »Nun?«, bohrt sie nach.

Daisy spürt den Aufruhr, der sich in den beiden Erwachsenen aufbaut. Malcolm ballt mittlerweile unablässig die Hände zu Fäusten. Die Adern an seinen Unterarmen und Schläfen treten hervor. Bald wird er ausrasten.

Er bewegt sich einen einzigen Schritt auf Poppy zu. Sie bewegt sich einen Schritt zurück, um den Abstand zwischen ihnen zu wahren.

»Geh weg«, faucht sie.

Malcolm hebt warnend einen Finger. »Poppy, du musst anfangen, dich zu benehmen. Du solltest uns dankbar sein. Wir haben dich hergebracht, um uns um dich zu kümmern.«

»Verpiss dich!«, schreit Poppy.

Harriet hält sich die Ohren zu, was Poppy nur ermutigt, noch wüster zu fluchen.

»Verpiss dich, verpiss dich, verpiss dich. Du scheiß Miststück. Du scheiß Mistkerl.«

»Mach, dass sie aufhört, Papi!«, verlangt Harriet. »Mach, dass sie aufhört!«

»Ja«, sagt Malcolm beiläufig. »Ja.«

Als Poppy mit dem Rücken gegen die Wand stößt, kreischt sie, so laut sie kann. Malcolm späht nach rechts, und Daisy vermeint, ein Aufflackern von Angst in seinen Augen zu erkennen. Sie weiß, dass die Wände in diesem Raum eine Schallisolierung haben, aber vielleicht ist sie nicht perfekt. Vielleicht kann der gellende Schrei eines kleinen Kinds trotzdem zu den Nachbarn oder in die Außenwelt dringen.

»Bitte komm her, Poppy.«

Stattdessen prescht Poppy los. In Richtung der Tür. Nur versperrt Harriet ihr den Weg nach draußen. Sie rennt zurück in die Mitte des Raums, will unter Malcolms ausgestreckten Armen hindurch ...

Und wird erwischt.

Malcolm packt sie am Handgelenk und wirbelt sie zu sich herum. Wieder kreischt sie, doch Malcolm klemmt ihr die freie Hand übers Gesicht. Sie windet sich in seinem kraftvollen Griff, schreit gedämpft weiter.

Mit glasigen Augen heftet Malcolm den Blick auf die gegenüberliegende Wand. Als er das Wort ergreift, klingt er völlig emotionslos.

»Weißt du, Poppy, wir haben hier Regeln. Wir sind keine strengen Eltern. Wir helfen dir. Wir wollen dich lieb haben. Aber im Gegenzug musst du uns helfen. Du musst tun, was man dir sagt.«

Daisys Blick wandert von Malcolm, der wie in Trance wirkt, hinunter zu Poppy. Malcolms riesige Hand bedeckt sowohl ihren Mund als auch ihre Nase. Inzwischen wehrt sie sich nicht mehr aus Trotz, sondern kämpft darum, Luft zu bekommen.

Links von Daisy verlässt Harriet schweigend den Raum und schließt leise die Tür hinter sich. Sie weiß, was für ein Zuchtmeister ihr Mann sein kann. Sie muss es nicht bezeugen.

»Wer mit der Rute spart, verzieht das Kind, lautet das Sprichwort. Weißt du, was das heißt, kleine Poppy? Es heißt, dass es für Kinder nicht gut ist, sie tun zu lassen, was immer sie wollen. Und wir müssen tun, was gut für dich ist, verstehst du das? In den ersten Tagen wird es wehtun, aber schon bald wirst du dich daran gewöhnen. Schon bald wirst du dich an unsere Denkweise anpassen. Und eines Tages wirst du erkennen, wie recht wir hatten.«

Er fährt mit seinem Monolog fort und scheint nicht zu bemerken, dass Poppy in seinen Armen zunehmend schwächer wird. Ihr Fuchteln ist zu einem ziellosen Zucken schlaffer Arme geworden. Ihr Blick wirkt trüb und glasig.

Daisy hat Malcolm schon so erlebt. Meist kann er sich wie ein normaler Mensch verhalten. Auf seine Weise kann er sogar großzügig und hilfsbereit sein, auch wenn es ihm etwas an Humor fehlt. Aber unter Stress scheint sein Körper von einer anderen Kraft übernommen zu werden. Er wird zur Hülle für ein Wesen, das keine Rücksicht auf zumutbare Grenzen nimmt. In solchen Momenten verschwimmt die Grenze zwischen Bestrafung und extremer Gewalt.

Daisy weiß genau, wozu Malcolm in solchen Momenten fähig ist.

»Ja, du wirst es einsehen«, sagt Malcolm. »In ein, zwei Tagen werden wir uns alle blendend verstehen. Dann wirst du dich fragen, warum du solches Aufhebens gemacht hast. Wir sind nette Leute, deine Mama und ich. Wir wollen nur das Beste für dich. Nur das Beste. Du wirst schon sehen.«

Aber Poppy kann nichts mehr sehen. Ihre Augen sind nach oben gerollt. Ihr Gesicht ist erschreckend blau angelaufen. Ihr Körper ist schlaff wie ein nasser Lappen geworden.

Das Bedürfnis, zu handeln, scheint Daisy in die Beine zu fahren, bevor ihr Gehirn es überprüfen kann. Ungeachtet der Gefahrenzone, in die sie sich begibt, eilt sie durch den Raum, wo Malcolm das kleine Kind in einer Umklammerung hält, die das Leben aus ihr herauszuquetschen scheint.

Behutsam berührt Daisy mit den Fingern Malcolms Handrücken. »Papi«, sagt sie, »überlass sie jetzt mir.«

Malcolms Lider flattern. Langsam richtet der den Blick auf Daisy. »Was?«

»Sie ist jetzt ruhig. Überlass sie mir. Ich erkläre ihr die Regeln. Sie wird nicht mehr unartig sein. Ich versprech’s.«

Malcolm betrachtet, was er festhält, als würde ihm gerade erst bewusst, was er tut. Er lockert den Griff und lässt Poppy zu Boden sinken. Dann hebt er die Arme über den Kopf, als wolle er sie so weit wie möglich von dem Kind entfernen. Ein gequälter Ausdruck verzerrt sein Gesicht.

»Ja«, sagt er. »Rede mit ihr. Ein solches Verhalten dulden wir in diesem Haus nicht. Das weißt du, Daisy, nicht wahr? Erklär es ihr.«

Daisy sinkt auf den Teppich. Sie legt Poppy eine Hand ins Gesicht und streichelt es. Daisy fürchtet, es könnte zu spät sein, und sie würde am liebsten weinen, aber sie hält die Tränen zurück. Es hat heute Morgen schon genug Emotionen in diesem Raum gegeben. Sie will Malcolm nicht wieder an den Rand drängen, von dem er gerade zurückgetreten ist.

»Ja, das mache ich, Papi. Ich bringe sie dazu, es zu verstehen. Keine Sorge.«

Immer noch wie benommen senkt Malcolm die Arme und setzt sich rückwärts in Richtung der Tür in Bewegung. »Ruf uns«, sagt er. »Wenn es ihr besser geht und sie ein bisschen ruhiger ist, dann drückst du den Knopf. In Ordnung?«

»Ja«, sagt Daisy, doch sie hat Mühe, das Wort herauszubekommen. Ihre Stimme ist brüchig. Ihre Fassade bekommt Risse. Am liebsten würde sie heulen, schreien und diesem Monster befehlen, aus ihrem Zimmer, aus ihrem Leben zu verschwinden.

Stattdessen starrt sie Malcolm weiter an. Ihre Brust hebt

Impressum

Verlag: ATG books

Texte: David Jackson
Bildmaterialien: Audio-To-Go unter Verwendung eines Motivs von Tama66/ pixabay
Cover: Audio-To-Go
Lektorat: Ulrike Gerster
Übersetzung: Michael Krug
Satz: Audio-To-Go
Tag der Veröffentlichung: 07.12.2021
ISBN: 978-3-96519-048-1

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