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Kapitel 1


Kritisch musterte ich mich im Spiegel. Na ja, dafür, wie wenig ich heute geschlafen hatte, sah ich super aus. Aber nicht perfekt. Die ganze Nacht hatte ich wach gelegen und an ihn, Tyler gedacht. An seinen süßen Augen und… Er sah einfach verboten gut aus! Wie ich ihn liebte…
…und er mich hasste. Warum? Was hatte ich falsches getan? Nur weil ich hier neu war? Ich konnte doch nichts dafür, dass unser altes Haus den Flammen zum Opfer gefallen war.
Oder eigentlich doch. Egal. Ich musste gehen. Seine stechenden Augen konnte ich nicht ertragen, vor allem wenn ich zu spät kam.
Während ich nach draußen lief, schnappte ich mir meine Tasche und meine Jacke. Dann fuhr ich mit dem Fahrrad zu Lea. Lea hatte mich gleich unter ihre Fittiche genommen und wir waren sofort dicke Freundinnen geworden.
„Hi Cy“, rief sie schon von weitem.
„Hi“, rief ich zurück.
Als ich näher gekommen war sah sie mich verwirrt, ich sie fragend an.
„Gehst du immer mit Hausschuhen zur Schule?“, fragte sie.
Ich schaute zu meinen Füßen und mit wurde heiß. Meine Schuhe! Wie hatte ich das denn nur vergessen können!
„Ich fahr schnell noch mal…“, begann ich, doch Lea schüttelte heftig den Kopf: „Nee, dazu ist keine Zeit. Du ziehst welche von mit an“, und verschwand im Haus.
Kurze darauf kehrte sie mit breiten, hässlichen Wanderschuhen zurück. „Die ziehst du an!“, sagte sie und streckte sie mir hin. Ich sah zwischen Leas bestimmenden Gesicht und den Stiefeln hin und her. Seufzend griff ich nach den Trampelschuhen und streifte sie über meine nackten Füße. Die Hausschuhe stopfte ich in meine Tasche. Aber ich schwamm wortwörtlich in den Schuhen. Lea und ich hatten zwar die gleiche Schuhgröße, doch ihre Füße waren tausendmal breiter als meine.
Vorsichtig balancierte ich zu meinem Fahrrad und begann loszufahren. Lächelnd folgte Lea mir.
Nachdem ich mein Fahrrad angeschlossen hatte wankte ich vorsichtig zum Schulgebäude. Unbemerkt löste sich der linke Schnürsenkel und ich stolperte über meine eigenen Füße. Die Tasche rutschte mir von der Schulter und ich schlug mit meinem Gesicht auf dem Boden auf.
Als ich den Kopf wieder hob sah ich Schuhe. Tylers Schuhe an Tylers Füßen. Ich schauderte. Langsam rappelte ich mich auf und sah ihm in die Augen. Mein Herz fing an zu klopfen. Doch er verzog spöttisch seine Lippen und drückte mir meine Tasche in die Hand. Danach meine roten Plüschhausschuhe. Blut stieg mir ins Gesicht als ich sie aus seinen Händen nahm und ein „Danke“ herauspresste. Gehetzt stolperte ich den restlichen Weg zum Klassenzimmer und setzte mich auf meinen Platz, wo ich meine Schürfwunde im Gesicht abtupfte.
Wütend sah ich Leas Schuhe an. Oh je, der Schnürsenkel war noch offen. Stöhnend bückte ich mich und band den Schuh zu. Als ich mich wieder aufrichtete sah ich in zwei blaue Diamanten. Meine Knie wurden weich, sodass ich mich an meiner Stuhllehne festhalten musste.
„Schicke Schuhe“, sagte Tyler ironisch und drängelte sich an mir vorbei. Ich lies mich auf meinen Stuhl fallen und brauchte vergeblich mein ganzes Schauspielerisches Talent auf um normal auszuschauen. Doch alle Klassenkameraden die an mir vorbeigingen schauten mich fragend an.
Der Unterricht zog sich zäh und die ganze Zeit bohrte sich ein Blick in meinen Rücken und bohrte Löcher hinein.
Nach der dritten Stunde ging ich unter dem Vorwand fürchterliche Kopfschmerzen zu haben (was eigentlich sogar stimmte) nach Hause.
Daheim warf ich alles Schulzeug auf den Boden, zog die Schuhe aus und rannte barfuß wieder nach draußen. In Richtung Wald.
Erst als die hohen Bäume mich umringten konnte ich aufatmen. Mein Herz raste aber immer noch wie verrückt. Ich lehnte mich an eine große Buche und schlug meinen Kopf gegen den Stamm. Der Schmerz klarte mein Gehirn. Mit geschlossenen Augen fuhr ich mir durchs lange, schwarze Haar und packte den untersten Ast. Während ich meine Augen öffnete schwang ich mich nach oben. Lächelnd kletterte ich immer höher.
Als ich so hoch war, dass die Äste sich unter mit bogen, hielt ich an und lies meinen Blick in di Ferne schweifen. Berge mit Schneegipfeln, Wald, schöne Landschaft. Glücklich lauschte ich dem Vogelgezwitscher. Dann blickte ich an mir herab und zog mir mein violettes Top vom Körper und lies es langsam nach unten segeln. Die Jeans folgte ihm.
Sonne schien auf meine Haut. Ich trug nur noch Unterwäsche. Schwarz. Spitzen. Das Übliche.
Mit der rechten Hand fasste ich an meine Haare und strich sie nach vorne. Jetzt gaben sie mein größtes Geheimnis preis. Schwarze Flügel am Rücken. Ja, ich bin eine Fee. Eine Chitana. Grinsend breitete ich die schwarze Federpracht aus und genoss den Wind der sie zerzauste und meine Haare fliegen lies.
Ich sprang ab, segelte aber nur meiner Kleidung hinterher. Es war mitten am Tag, man könnte mich sehen. Elegant landete ich auf dem Boden, als ich plötzlich ein bitteres Lachen hinter mit hörte. Ich wirbelte herum. Dort stand er, Tyler. Ich starrte ihn an. Er kam näher. „Ich wusste es. Ich habe es die ganze Zeit gewusst“, flüsterte er und starrte ebenfalls, aber auf meine Flügel. Ich konnte mich nicht rühren. Er kam näher.
Auf einmal schnellten seine Hände vor und er packte mich und drückte mich an sich. Adrenalin durchströmte meine Adern und ich fing an wie wild um mich zu schlagen. Mit Händen und Flügeln. Doch er war stark. Sehr stark. Die eine Hand schlang er um meine Arme, mit der anderen packte er meine Flügel und drückte sie verdreht an meinen Körper, sodass ich vor Schmerz aufschrie. Tränen schossen mir in die Augen und rannen über meine Wangen.
Tyler lies meine Flügel los und ich faltete sie automalisch zusammen. Aber anstatt mich wieder frei zu lassen drückte er mich mit dem Rücken an seine Brust und schlang einen Arm um meinen Oberkörber. Verzweifelt merkte ich, dass ich keine Chance hatte und gab den Wiederstand auf.
„So ist´s recht“, knurrte er. Jetzt schob der Kerl meine Unterwäsche zur Seite, sodass meine Hüften ganz zu sehen waren. Wie als hätte er sich verbrannt stieß er mich weg und sank auf die Knie.
„Ich wusste es!“, flüsterte er, „du bist eine Chitana.“
Auf meiner Haut prangte ein Y, verziert mit Schnörkeln. Wimmernd schlang ich meine Arme um mich und trat zurück. Doch Tyler rührte sich nicht.
„Was bist du?“; flüsterte ich so leise, dass es kaum zu hören war.
Langsam richtete er sich auf und sah mich müde an. „Ein Taragir“, sagte er monoton. Ein Taragir. Tyler war ein Taragir.
Taragire waren die größten Feinde der Chitana und brachten jeden zur Strecke, den sie trafen. Mir schauderte und ich wich zurück. Während ich das tat beobachtete ich, dass plötzlich wildes Flackern in seinen monotonen Augen zurückkehrte. Blitzartig schlug ich mit den Flügeln und versuchte zu fliehen. Doch er riss sich sein T-Shirt vom Leib und breitete seine eigenen Flügel aus und…
Plötzlich stockte mir der Atem. An seinen Flügeln waren Krallen. Panisch flatterte ich wie wild und zischte ab.
Obwohl es bekannt war, dass männliche Feen schneller flogen, machte ich mir Aussichten auf Hoffnung. Ich übte schon bevor ich richtig laufen konnte fliegen und überhaupt hatte ich in Fliegen ein Talent. Doch als ich mich umblickte sah ich, dass auch er Talent in fliegen hatte.
Verbissen schlug ich schneller mit den Flügeln, wich Baumstämmen und Ästen aus und doch…
Bald sah ich Tylers kastanienbraunen Haarschopf in meinem Blickfeld auftauchen, der immer weiter nach vorne rückte. Auch er keuchte wie verrückt, war aber eindeutig schneller.
Ich sah noch schwarze Federn vor meinem Gesicht, spürte, wie langsam mein Bewusstsein aus mir heraus sickerte, wie sanfte Arme einen Körper umschlangen und mir wurde Schwarz vor Augen.

 

Schwarz, dass zu grau wurde und sich in bunte Farbstreifen verwandelte. Mit jeder Sekunde drangen immer mehr Erinnerungen in mein Gedächtnis ein. War ich tot? 
Ich öffnete meine Augen und sah Blätter, Äste, Himmel. Verwirrt versuchte ich mich aufzurichten, doch irgendetwas hielt mich fest.
Vorsichtig wandte ich meinen dröhnenden Kopf und sah große Hände, die meine Handgelenke festhielten. Warum brachte er mich einfach nicht um? Wollte er mich etwa noch foltern oder was? Wütend sah ich ihn an. Ich wollte schnell sterben und nicht lang leiden!
Doch als ich ihm in die Augen sah, sah ich einen tief traurigen Blick. Meine Wut verwandelte sich in Mitleid, ohne zu wissen, warum. Ich machte den Mund auf um etwas zu sagen, doch ich bekam ihn nicht auf. Entsetzt schaute ich Tyler an.
Als wollte er mir etwas erklären nahm er seine Hände von mir. Sofort versuchte ich mich aufzurichten, doch auch das war unmöglich.
Tyler sah mich an. „Zauberbannfesseln“, sagte er irgendwie traurig, „ damit fesseln die Taragire die Chitana.  Ich wollte dir nur noch etwas sagen, bevor ich die Chan-Henker, das sind die die dich töten werden und meine Familie holen werde.“ Er kniete sich neben meinen Kopf und sah mir eindringend in die Augen. „Dazu würde ich dich gerne kurz entfesseln, aber du musst mir versprechen, dass du nicht versuchen wirst zu fliehen. Ich will dir nicht wehtun. Wenn du einverstanden bist, Cyrina, musst du 13mal blinzeln.“
Verunsichert blinzelte ich 13mal. Augenblicklich durchfuhr ein Kribbeln meinen Körper. Vorsichtig streckte ich meine Finger und richtete mich auf. Gleichzeitig fing mein Kopf an zu dröhnen.
„Bleib liegen“, flüsterte Tyler ungewöhnlich sanft.
‚Nö, warum denn, damit du auf mich herabschauen kannst‘, dachte ich, sagte aber nichts.
Stattdessen schüttelte ich nur heftig den Kopf. Ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Körper und ich fiel stöhnend zurück. Leicht gequält lächelte Tyler mich an und legte mir seine kühle Hand auf die Wange.
Ich hätte diese Geste eigentlich genießen müssen, zuckte aber unter ihr zusammen. Als ich in seine süßen Augen sah, sah ich darin einen merkwürdigen Glanz.
„Was willst du mir sagen?“, flüsterte ich und räusperte mich. Meine Kehle war rau und mein Mund staubtrocken.
„Ich kann es dir nicht sagen“, Tyler schob einen Arm vorsichtig unter meinen Nacken, „ich kann es dir aber zeigen.“ Er schob die andere Hand unter meine Knie.
„Willst du es?“ Ich nickte. Langsam stand er auf und trug mich in seinen Armen. Seine Ausgebreiteten Flügel fingen langsam an zu schlagen und wir erhoben uns in die Lüfte. Senkrecht stiegen wir der Sonne entgegen. Als sein Kopf auf gleicher Höhe mit den obersten Baumwipfeln war flatterte er nur noch auf der Stelle. Langsam senkte er seinen Kopf und näherte sich meinem. Ich hielt den Atem an und schloss die Augen, als seine Lippen die meinen berührten.
Tylers Hände wanderten an meinem Körper entlang und hielten mich fest. Meine Flügel fingen an zu schlagen. Der zuerst sanfte Kuss wurde leidenschaftlich. Unsere Zungen verschmolzen. Ich schmiegte mich an ihn und spürte seinen Herzschlag. Schwungvoll schlang ich meine Arme um seinen Hals und presste mich an ihn.

Stunden schienen vergangen zu sein, als unsere Lippen sich trennten. Keuchend sah ich ihn an, „Du liebst mich.“ Tyler nickte, nahm mich wieder in seine Arme und flog zurück auf den Boden. Er landete auf einem Baumstumpf und setzte sich darauf. Mich behielt er in seinen Armen. „Ich liebe dich auch“, sagte ich. „Ich weiß“, erwiderte Tyler und schwieg weiter.

Nach einer Weile brach wieder ich das Schweigen: „Ruf doch einfach die Chan-Henker und deine Familie. Ich bin bereit zu sterben.“
Tyler drückte mich fest an sich und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. „Wie könnte ich das nur tun? Jetzt nach all dem…?“, murmelte er in mein Haar, „ich kann nicht ohne dich Leben.“
„Darum will ich auch lieber sterben“, protestierte ich, „ wir könnten uns nie treffen oder so richtig sehen. Nicht einmal in der Schule. Da ist doch mein großer Bruder oder meine kleine Schwester. Das Risiko wäre viel zu groß!“
„ Auch ich habe einen großen Bruder. Aber nein, wir könnten uns hier treffen.“ Ich nickte langsam und fasste an meinen pochenden Kopf Sanft küsste Tyler mich. „Es tut mir so leid“, flüsterte er mir ins Ohr, „ich habe dich verspottet, gequält und verletzt. Es tut mir so leid.“
Seufzend schlang ich meine Arme und Tyler. Ich war zu erschöpft um zu antworten. Er verstand sofort und fing an eine leise, schöne Melodie zu summen. Glücklich schloss ich meine Augen und schlief in Tylers Armen ein.

Kapitel 2

Cyrina, Cyrina!“; murmelte eine Stimme neben meinem Ohr, „wach auf, Cyrina!“
Langsam öffnete ich meine Augen und sah in Tylers wunderschönes Gesicht.
„Wie spät ist es?“; fragte ich verschlafen.
„Schon nach Schulschluss. Du musst so langsam heim“; antwortete Tyler. Ich streckte mich und setzte mich aufrecht hin. Dann schaute ich mich um.
„Wo sind meine Kleider?“
„Ich bring dich hin“; Tyler stellte mich vorsichtig auf die Füße und legte einen Arm um meine Hüfte. Langsam schob er mich vorwärts. Nach etwa 70 Metern sah ich schon die große Buche. Tyler gab mir meine Kleidung und ich schlüpfte hinein.
„Am besten gehst du so nach Hause wie du gekommen bist  Ich lauf einen anderen Weg“.
Tyler nahm meine rechte Hand in seien. Auf ihr klebte getrocknetes Blut.
„Was war das?“, fragte ich erschrocken.
„Ich hab dich gestochen“, Tyler zeigte mir die oberste Kralle an seinem linken Flügel, „ aus ihr kommt eine Flüssigkeit, der Zauberbann. Alles erstarrt und man kann sich nur sehr schwer rühren. Blinzeln geht und Kopf wenden auch. Sonst nichts. Entfesseln kannst du dich indem du 13mal blinzelst. 13 ist, wie du hoffentlich weist, die heilige Zahl der Feen. Merk dir das!“
 Ich  nickte langsam. „Ich geh jetzt. Wann treffen wir uns wieder?“, fragte ich.
„Heute Nacht um 12“; Tyler grinste, nahm mich in den Arm und küsste mich. Wiederstrebend lösten wir uns voneinander und er wandte sich zum gehen. „Tyler“; rief ich, „warte kurz! Warum bist du eigentlich hier gewesen? Du hattest doch auch Schule, oder?“
Tyler fing an zu lachen:“ Weil ich Kopfschmerzen hatte. Und zwar schreckliche.“ Auch ich fing an zu lachen, winkte ihm noch zu und lief davon. Als ich mich noch einmal umblickte, war der Platz, an dem Tyler gestanden hatte, leer.

Zu Hause saßen schon alle am Tisch und warteten auf mich. „Sorry, ich war noch im Wald, hatte Kopfschmerzen…“, entschuldigte ich mich gleich nach dem ich mich hingesetzt hatte.
„Und was ist mit deinem Gesicht los?“; fragte meine Mutter sofort.
Ich fasste mit ins Gesicht und spürte die Striemen, die die Baumzweige hinterlassen hatten. Was sollte ich antworten? Mein Gehirn setzte sich in Gang und ratterte nun so laut, dass ich schon fast Angst bekam, die anderen könnten es hören. Zum Glück fiel mir schnell etwas ein. „Ich bin heute in der Schule ausgerutscht.“
Natürlich hatte mein Vater mittlerweile schon Leas Stiefel im Hausflur entdeckt und fragte nach, von wem die seien.
„Ist ja gut!“, rief ich gereizt, „ das sind Leas Schuhe, ich hatte meine Schuhe heute Morgen hier stehen lassen.“
„Du vergisst deine Schuhe, fällst hin, bekommst Kopfschmerzen und gehst fliegen“, kombinierte mein Bruder Liam, „ hast du sonst noch etwas vergessen uns zu sagen?“ Ich sah ihn böse an.
„Kind, was soll aus dir werden?“; seufzte meine Mutter resigniert.
Nur Angelica, meine kleine Schwester, sah mich verständnisvoll an. Dafür schenkte ich ihr ein Lächeln. Ich rutschte auf meinem Stuhl herum und wartete darauf, dass wir anfangen würden zu Essen.
„Sind deine Hände sauber?“; fragte meine Vater mich, als sei ich ein Kleinkind.
„Ja“, sagte ich automatisch und sah sie an, „oder doch nicht.“ Und stand auf um sie zu waschen.
Als ich zurückkam fingen wir an zu Essen. Ich schwieg, während sich die anderen über die Ereignisse des Tages austauschten. Plötzlich wurde ich hellhörig.
„… und deshalb solltet ihr eher aufpassen, bis wir wissen, welcher es ist“, schloss mein Vater gerade seinen Bericht.
„Könntest du das bitte noch mal wiederholen? Ich hab den Anfang nicht ganz mitbekommen“, fragte ich schnell nach.
Liam antwortete mir: Dad sagte, er spüre hier eine andere Feen-Familie. Aber keine Chitana. Wir sollen aufpassen und Augen und Ohren offenhalten.“
Ich erstarrte. Wenn es rauskam, dass hier Taragire wohnten, dann würden wir wegziehen müssen. Aber ich wollte hier bei Tyler bleiben!!!
„Hoffentlich sind es Gwendaren oder Alnanes“; sagte meine Mutter. Gwendaren und Alnanes waren den Chitana freundlich gesinnt. Den Mornes war so gut wie alles egal und die Taragire waren mit allen befeindet. Am meisten aber mit den Chitana. Deshalb waren die Chitana auch die seltenste Feenart.
„Was ist wenn es aber Mornes oder gar Taragire sind“; fragte Angelica ängstlich.
„Das hoffen wir nicht“; antwortete mein Vater ihr.
„Ich hab noch nie ein Taragir gesehen“, entgegnete Liam, „wie sehen die denn aus?“
„Das wies niemand von uns. Sonst säßen wir nicht hier. Die Taragire rotten überall Chitana aus. Sie bilden sogar extra Henker aus und haben anscheinend Gifte in ihrem Körper“, erklärte meine Mum.
„Ist eigentlich schon einmal ein Chitana einem Taragir entkommen?“, fragte ich.
„Nein, noch nie.“
„Gab es eigentlich schon einmal ein Chitana-Taragir Mischlingskind?“, fragte ich weiter.
„Wo denkst du hin, Cyrina! Das ist die größte Dummheit, die ich jemals gehört habe!“, schalt mein Dad mich. Ich senkte den Kopf.
„Aber das ist doch nur eine Frage der Zeit, nicht wahr Cy?“, ärgerte Liam mich.
Ich funkelte ihn an. Warum traf er immer unbewusst den Nagel auf den Kopf?
„Liam! Wenn Cyrina aufhören soll, dann auch du! Über so etwas macht man keine Witze“, schalt Dad nun auch ihn.
Zum Glück nahm man Liam selten ernst. Erleichtert widmete ich mich wieder meinem Essen. Mürrisch grummelte Liam noch etwas vor sich hin, sagte aber nichts mehr.
Als alle zu Ende gegessen hatten, half ich noch rasch den Tisch abzudecken und verschwand dann in meinem Zimmer. Dort holte ich mein Handy hervor und rief Lea an.
„Hallo“, ertönte eine Stimme schon nach dem zweiten Klingeln.
„Hallo Lea, hier Cyrina“, meldete ich mich hastig, „ ich wollte dich nur schnell fragen, was wir in Deutsch, Musik und Bio gemacht haben.“
„Oh, ach du bist´s nur“, sagte Lea enttäuscht, als hätte sie jemand anderes erwartet, „also in Deutsch die Aufgaben fertig, in Musik gesungen und im Buch Seite 204 bearbeitet und in Bio den Film zu den Zellen fertig schauen und Buch Seite 60 Lesen und Aufgabe 1-7 bearbeiten. Ist alles voll easy. Sonst noch was?“
SO kurz war Lea normalerweise nie angebunden.
„Eigentlich nicht“, erwiderte ich deshalb erstaunt, „hast du was vor?“
„Ja, hab nen Termin“, quakte sie du legte auf, bevor ich sie fragen konnte, wohin sie gehen wollte.
Verwundert fing ich an die Aufgaben zu bearbeiten. Also, easy waren die nicht.
Stöhnend quälte ich mich durch das blöde Zeug und schlug erleichtert das Bio-Buch nach der letzten Aufgabe zu.Jetzt musste ich nur noch Latein und Französisch Vokabeln wiederholen (ja, ich bin auf einem Sprachengymnasium :( ) und die Schulsachen wären gegessen.
Normalerweise lernte ich leicht Vokabeln, doch heute wollten die Wörter einfach nicht in meinen Kopf. Dort kamen in Endlosschleife immer nur die gleichen Gedanken: Tyler liebt mich, seine Lippen schmecken so gut, ich muss mich in Acht nehmen, Taragire, Lea ist komisch, was geht da vor.
Nach gefühlten fünf Stunden gab ich schließlich auf und tatsächlich war es schon halb sechs. Nur noch sechseinhalb Stunden…
‚Hilfe! ‘, schoss es mir auf einmal durch den Kopf, ‚Arwen muss am verhungern sein! ‘
Arwen war meine niedliche grau-schwarze Katze, aber verfressen. Seit heute Morgen hatte sie nichts mehr bekommen. Wie doof konnte ich sein.
Rasch  sprang ich auf und ging sie suchen. Sie lag mit vorwurfsvollem Blick auf dem Sofa und stand sofort auf, als ich eintrat.
"Entschuldigung, meine Kleine", entschuldigte ich mich sofort und nahm sie auf den Arm, "komm, du kriegst jetzt endlich was zum Fressen. "
Ich ging in die Küche und kratzte eine Katzenfutterdose für Arwen aus, die sich mit Heißhunger darauf stürzte. Langsam ging ich in mein Zimmer und achtete darauf, nicht gesehen zu werden. Ich wollte gerade die Tür schließen, als die satte Arwen noch herein huschte und sich schnurrend auf meinem Bett zusammenrollte. Das war mir aber gerade irgendwie egal.
Ich griff nach meinem Laptop und fuhr ihn hoch. In einer Word-Datei sortierte ich meine wirren Gedanken. Nach einer Weile hörte ich Schritte auf der Treppe,  minimierte schnell die Datei und drehte mich zur Tür, die genau in diesem Moment aufging.
„Du kannst auch klopfen“, fuhr ich Liam an. Dieser grinste nur frech.
„Du sollst zum Abendessen kommen“, informierte er mich, nett wie er war und verschwand wieder.
Ich speicherte und schloss die Datei, änderte mein Passwort und ging nach unten.
Das Essen verlief Großteils ohne viel Wortwechsel. Unruhig aß ich und deckte ab.
Als ich dann auf die Uhr sah, war ich erleichtert. Schon halb neun. Noch drei Stunden und ich könnte mich auf den Weg machen.
Ich setzte mich zu dem anderen aufs Sofa und sah mir einen langweiligen Krimi an, bei dem man schon am Anfang wusste wie er ausging.
Als er um zehn aus war gingen alle zu Bett.
Oder taten so.
Ich setzte mich wieder an meinen PC  und sah mir meine Aufschriebe von vorher an. Um die Zeit totzuschlagen schrieb ich weiter und löschte und schrieb und löschte und schrieb…
Nach einer halben Stunde sprang Arwen auf meinen Schoß und schnurrte. Seufzend schaltete ich den Laptop aus und kraulte das weiche Tierchen.
Um halb zwölf schlich ich nach unten und zog leise Schuhe und Jacke an. Nachdem ich einen Schlüssel eingesteckt hatte, ging ich nach draußen und schloss so leise wie möglich die Tür hinter mir.
Nach ein paar Schritten blieb ich stehen und blickte mich um. Alles war wie in Tinte getaucht. Düster und Unheimlich. Ich hätte eine Taschenlampe mitnehmen sollen. Aber jetzt wollte ich auch nicht mehr zurück. Langsam und immer um mich blickend schlich ich in Richtung Wald.
Obwohl mir der Wald vertraut war bekam ich Angst. Trotzdem wagte ich mich weiter vor und gelangte zu meiner Buche.
Ich sah auf die Uhr. 23.59 leuchteten mir die Ziffern grell entgegen. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Wenn es Feen gab, warum dann auch nicht Geister?
Unsicher huschte ich von Baum zu Baum. Als ich die kleine Lichtung, an der Tyler und ich uns treffen wollte, erreicht hatte, hörte ich die Kirchenglocken zwölf Uhr schlagen.
Kurz sah ich über meine Schulter.
Als ich den Blick wieder nach vorne richtete, sah ich den Umriss eines Wolfes. Mein Mund öffnete sich zu einem Schrei, doch so weit kam es nicht. Denn von hinten legte sich eine Hand auf meinen Mund.
Ich war kurz davor in Ohnmacht zu fallen, als sich ein vertrauter Körper von hinten an meinen presste.
„Wenn du versprichst, nicht zu schreien, nehm ich meine Hand von deinem Mund.“, wisperte die dazugehörige Stimme neben meinem Ohr.
Ich atmete auf und Tyler nahm seine Hand von meinem Mund. Nicht mehr so panisch wie vorher drehte ich mich schnell um und umarmte Tyler. Doch als er mich küssen wollte, wich ich ihm aus.
„Da steht ein Wolf!“, wisperte ich, „wir müssen uns schnell in Sicherheit bringen!“
Tyler lachte nur. „Das ist mein Wolf.“ Er drehte mich wieder um und schob mich auf den Wolf zu. Dieser schaute mich aus großen, lieben Augen treuherzig an.
„Wie heißt er?“, fragte ich und fing an den Wolf zu streicheln.
Tyler schmunzelte. „Maugrim.“ Ich lachte.
„Und wer ist die weiße Hexe?“, hakte ich aus Spaß nach. „Nee du, die gibt’s wirklich. Meine Mutter. Sie heißt sogar Jadis.“
„Ich hab nur ne Katze, Arwen Abendstern.“ Tyler lachte leise und beugte seinen Kopf über meine Schulter. „Darf ich dich jetzt küssen?“, fragte er unschuldig.
Als Antwort drehte ich mich um und suchte seine Lippen. Als sie sich berührten sprang mein Herz fast aus meiner Brust. Heftig erwiderte Tyler den Kuss und unsere Lippen verschmolzen.

 

Kapitel 3

Ich trat noch stärker in die Pedale. Heute war ich sogar noch später dran als gestern.
Ungeduldig sah ich Lea schon warten. Doch ihr sonst herzlicher Blick war kalt und abweisend.
„Super, du hast sogar Schuhe an“; begrüßte sie mich schnippisch. Ich zuckte zusammen. War Lea heute gleich darauf wie gestern Nachmittag? Wenn das so bleiben würde… Hatte sie irgendein Problem mit mir?
„Und was tut dir heute weh?“, stichelte sie weiter. Irritiert sah ich sie an. „Wieder Kopfweh, Halsschmerzen oder sonst irgendein Wehwehchen?“ Lea schüttelte den Kopf und sah mich an, als wäre ich eine Last am Bein. Ich starrte sie an.
„Ach so, du hast deine Zunge verschluckt. Geh schnell ins Krankenhaus. Du kannst so doch nicht zur Schule gehen.“ Lea hörte einfach nicht auf.
Auf taub gestellt fuhr ich zusammen mit ihr weiter und ertrug still den Hagel von Beschimpfungen und Spott, der nun auf mich herein prasselte. Ihre tollen Hinweise waren in der Tat sehr hilfreich:
„Du darfst nicht mit nassen Haaren raus gehen. Davon bekommt man Schnupfen. Ich an deiner Stelle würde mich wärmer anziehen, sonst bekommst du noch eine Grippe oder eine Lungenentzündung.“
So ging es fast den ganzen Weg. Zum Glück fiel ihr irgendwann nichts mehr ein, sodass wir schweigend nebeneinander herfuhren. Erst dieses nervige Geplapper und dann die Stille.
Ich fasste mir ein Herz und fragte sie, was eigentlich los sei. Sie starrte mich an und fing an zu Lachen. Nicht nett. Gemein und gehässig.
Ich fuhr schneller. So eine böse Furie konnte man doch nicht ertragen.
Wie ein rettender Engel tauchte das Schulgebäude vor mir auf.
Doch ich hatte auch Angst. Angst wegen Tyler.
Hatten seine Eltern es gemerkt?
Oder sein Bruder?
Hatte er vielleicht schon eine Andere?
Liebte er mich wirklich?
Wie sollte ich mich verhalten, wenn ich ihn sah?
Unsicher fuhr ich auf den Schulhof und schloss mein Rad an. Dann blickte ich mich um. Meine Knie wurden weich, als ich ihn erblickte.
Er stand in einer Entfernung von ca. 20 Meter, umringt von seinen Kumpels.
Über was die wohl redeten? Tyler ließ seinen Blick über den Strom von Schülern streifen, der zwischen uns vorbeizog.
Sein Blick traf meinen.  Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Ich unterdrückte den Drang auf ihn zu zu rennen und mich ihn seine Arme zu werfen.
Sein Blick wurde weich und er schüttelte kaum merklich seinen Kopf.
Ich nickte leicht und wandte den Kopf ab.
In den Augenwinkeln sah ich noch, wie er mich solange anstarrte, bis ein Kumpel von ihm ihn in die Rippen stieß und ihn komisch angrinste.
Die übrigen hatten zum Glück nichts bemerkt.
Bis auf Lea. Sie schaute mich mit zusammen gekniffenen Augen an, drehte sich um und rannte direkt zu den Klassenzicken, Shania und Shajenn, mit denen sie gleich ein Gespräch anfing.
Was war heute los?
Stand die Welt etwa auf dem Kopf?
Lea mit Shania und Shajenn?
Das war doch unglaublich! Sonst erzählte sie mir doch immer, wie gemein und zickig die zwei wären.
Verwirrt setzte ich mich in Bewegung und lies mich von dem Schülerstrom treiben.
Fast wäre ich an unserer Zimmertür vorbeigelaufen, hätte sich nicht eine Hand auf meine Schulter gelegt und mich aus meinen Gedanken gerissen.
Ich schreckte von meinen Gedanken auf und blickte hoch.
Dort stand Tyler. Ich riss mich zusammen und küsste ihn nicht. Stattdessen murmelte ich „Danke“ und wandte mich zum gehen.
„Warte“, zischte jedoch Tyler. Ungläubig sah ich ihn an.
Wir hatten doch ausgemacht uns in der Schule zu meiden!
War das etwa Plan 2, der nicht mit mir abgesprochen war?
Ich sah ihn fragend an. „Komm in der ersten Pause zu mir hinter den Fahrradschuppen“, raunte er gerade und lief als wäre nichts passiert an mir vorbei.
Was war denn das? Man könnte uns doch sehen!
Die ganze erste Stunde grübelte ich über seine Worte nach. Natürlich konnte der Lehrer es sich nicht entgehen lassen mich öfters aufzurufen und die ganze Klasse zum Lachen zu bringen, weil ich immer dann zusammenzuckte und ihn unschuldig ansah. Ich war heilfroh, als die Schulglocke läutete.
Normalerweise hätte ich jetzt zuerst Lea abschütteln müssen. Aber heute war kein normaler Tag.
Ich lief unauffällig ein bisschen über das Schulgelände und stahl mich nach ein paar Minuten dann hinter den Fahrradschuppen. Da war aber niemand zu sehen.
Ungläubig schaute ich noch mal genauer hin. Unter einem Baum, der ein Stück weiter weg stand, sah ich eine einsame Gestalt. Das musste er sein.
Langsam schlenderte ich auf den Baum zu und schlüpfte dann unter seine großen Zweige. Tatsächlich lehnte dort Tyler lässig an einem Baum.
„Was soll das? Das ist doch viel zu gefährlich!“, fuhr ich ihn an.
Doch er hob die Hand. Ich verstummte.
„Als erstes will ich dich küssen“, sagte er seelenruhig. Und das tat er dann auch. Sofort war alles vergessen. Nach gefühlten 2 Sekunden waren meine Lippen wieder allein.
„Ich wollte dir nur etwas sagen. Das musst du unbedingt wissen“, er sah mich eindringlich an, „es gehen Gerüchte über dich an der Schule herum. Du musst vorsichtiger sein. Ich auch. Denn über mich gibt es auch Gerüchte. Nur nicht so viele. Also: Bitte sie vorsichtiger, pass im Unterricht mehr auf und… sie einfach du.“
Dann drehte er sich um, schlüpfte unter den Zweigen hindurch und lief davon.
Ich war baff. Dafür bestellte er mich ganz auffällig her um mir dann zu sagen, dass ich vorsichtiger sein soll und im Unterricht aufpassen müsste. Danke. Toller Rat.
Missmutig machte ich mich auf den Weg zurück zur Schule. Es fühlte sich so an, als würden sich alle Blicke auf mich richten. Ich hoffe, dass es so nicht ist.
Nach einigen Minuten klingelte es zum Glück. Brav befolgte ich Tylers Rat, passte auf und meldete mich sogar. Jetzt merkte ich aber erst, wie toll der Rat in Wirklichkeit gewesen war.
Alle starrten mich nur noch mehr an und hielten mich für noch verrückter als sonst.
Ohne meine Mitmenschen zu beachten überlebte ich den Rest des Vormittags. Mittagschule hatten wir heute keine.
Nach Hause gehen wollte ich noch nicht, deshalb beschloss ich noch fliegen zu gehen.
Am Waldrand angekommen, warf ich mein Rad ins Gras und rannte zu meinem Lieblingsbaum, der großen Buche.
Ich kletterte die vertrauten Äste hoch und setzte mich auf einen gemütlichen Ast, um dort erst mal runter zu kommen.
Als ich mich gerade flieg fertig machen wollte, hielt ich inne. Von unten drangen Stimmen herauf. Die eine erkannte ich sofort.
Tylers Stimme. Bei der anderen wusste ich noch nicht so genau, um wen es sich da handelte. Vorsichtig späte ich durch die Zweige nach unten.
Die zweite Person hatte goldblondes Haar, sah Tyler sonst aber sehr ähnlich. Das war bestimmt Tylers Bruder Brian. Aber ob der mich so sehr mögen würd.
„… hier irgendwo sein“, hörte ich gerade noch Brians Stimme.
Von Tyler hörte ich nur ein „Mmh“.
Hatte er mich etwa verraten?
Wenn er das getan hatte, dann aber!
Zutrauen würde ich es ihm eigentlich nicht. Dafür liebte ich ihn viel zu sehr. Jetzt aber, nachdem heutigen Schultag konnte ich es mir sogar ein bisschen vorstellen. Immerhin war ich eine Chitana und er ein Taragir.
Das wahr haben wollte ich aber nicht. Angestrengt lauschte ich weiter.
„Ich würde mir schon irgendwie sorgen machen, wenn sie nicht auftauchen würde“, murmelte Brian.
Tyler machte gerade den Mund auf um zu antworten, als eine helle Frauenstimme ertönte.
„Jungs, was macht ihr den hier?“
„Dich suchen.“ Brians Stimme war im Vergleich zu ihrer zehn Oktaven tiefer.
„Tja, dann habt ihr mich jetzt gefunden und wir können gehen, oder?“, fragte die fremde Frau jetzt.
Wer war sie?
Sie drehte sich um und ich sah ihren Rücken. Sie hatte Flügel. Demnach war sie auch eine Fee. Doch ihre Flügel waren weiß.
Aus Erzählungen wusste ich, dass weiße Flügel sehr selten waren. Braune waren am häufigsten. Ich hatte sogar schon das Glück, schwarze Flügel zu haben. Genau wie Tyler. Aber diese Frau hatte weiße.
Als ich mich wieder auf das Gespräch unter dem Baum konzentrierte, hörte ich gerade noch Brian die Frage der Frau mit den weißen Flügeln zu bejahen.
Die Frau sah Tyler an. Erstaunlicherweise schüttelte er den Kopf.
„Geht schon mal vor. Ich komm gleich nach.“
Die anderen nickten und liefen Richtung Stadt.
Tyler wartete bis die beiden außer Sichtweite waren. Dann fing er an auf meinen Baum zu klettern. Ich machte mich so klein wie möglich. Doch er schien genau zu wissen, was er suchte. Mich. Sein Haarschopf rückte immer näher. Ich übergab mich meinem Schicksal.

    

Kapitel 4

Ich blieb ruhig. Er setzte sich neben mich und sah mich an.
„Woher wusstest du, dass ich da bin?“, fragte ich so teilnahmslos wie möglich. Tyler grinste.
„Ich wusste es nicht. Aber ich habe dein Fahrrad am Waldrand liegen sehen“, antwortete er.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen gehabt nichts mehr mit ihm zu reden und beleidigt zu spielen. Aber daraus wurde nichts. Zu viele Fragen schwirrten in meinem Kopf.
„Wer war die Frau mit den weißen Flügeln?“, fragte ich also weiter, mit der gefahrvollen Aussicht auf ein langes Gespräch, dass ich nicht wollte.
„Meine Mutter“, erwiderte er ganz verwundert.
„Sie ist etwas sehr besonderes.“
Erstaunt sah er mich an. „Woher weißt du das?“
Ich verdrehte die Augen. „Tyler, stell dich nicht dümmer als du aussiehst! Sie hat weiße Flügel!“
„Was soll daran denn besonders sein?“ Tyler klang verwirrt.
„Äh, weil es kaum Feen gibt, die weiße Flügel haben! Ich dachte, dass du mehr über Feen weist als ich!“ Jetzt war auch ich verwirrt. Aber Tylers Verwirrung wich aus seinem Gesicht. Er fing an mich auszulachen.
Beleidigt sah ich ihn an. Was sollte das denn jetzt?
„Warum lachst du mich aus? Ich will eine Erklärung!“, forderte ich.
Als er merkte, dass ich eingeschnappt war, fing er an zu erklären: „ Bei uns Taragire ist die Flügelfarbe Weiß normal. Auch Brian und mein Vater haben weiße Flügel. Bei uns daheim bin ich eine Ausnahme. Wahrscheinlich weißt du das nicht, da die Chitana, die schon einmal einen Taragir gesehen haben, nicht die Gelegenheit dazu bekamen es weiter zu erzählen.“
Ok. Jetzt verstand ich ihn mehr. Es lagen anscheinend doch Welten zwischen einem Taragir und einem Chitana, auch wenn sie sich auf den ersten Blick gar nicht so sehr unterschieden. Ich sah Tyler lieb an. Doch dann fiel mir ein, dass ich doch eigentlich sauer auf ihn war.
„Was willst du eigentlich hier?“, fragte ich deshalb schroff.
Er blickte mir in die Augen. „Dich.“
Mein Herz blieb stehen. Ohne mir etwas anmerken zu lassen sah ich zurück.
„Inwiefern?“
Sein Blick wich meinem aus. Gut zu wissen, dass ich stärker war.  
„Du weißt, was ich meine“, flüsterte Tyler. Seine Stimme zitterte. Er liebte mich doch. Ich konnte nicht mehr beleidigt sein.
Neue Gefühle durchströmten meinen Körper. Beschämt senkte ich den Kopf. Mir wurde heiß.
„Ja“, hauchte ich und schloss die Augen.
Ich spürte seine Arme, die sich um meinen zusammengesunkenen Körper legten. Seine Hand legte sich unter mein Kinn. Er strich mir meine Haare aus meinem Gesicht.
„Seit heute Morgen dachte ich…“, fing ich an, doch Tyler unterbrach mich.
„Still. Ich kann mit denken was du dachtest. Das ich dich nur ausnutze und so weiter“, sagte er sanft, „wie könnte ich dich übers Ohr hauen? Aber du hast Recht. Am liebsten würde ich dich töten.“
Geschockt blickte ich ihn an und zuckte zurück. Tyler lies mich nicht los, sondern drückte mich nur noch stärker an sich.
„Keinen Angst“, beruhigte er mich, „das ist mein Instinkt. Ich kann ihm wiederstehen. Weil ich dich liebe. Brian würde dich umbringen. Meine Eltern auch. Ich nicht. Ich kann dich nicht töten. Ich kann dir nicht wehtun. Weil ich dich liebe.“
Ich japste nach Luft. Tyler hatte eine riesen Kraft! Er bemerkte es nicht. Er konnte mich doch nicht umbringen. Warum tat er es dann eben?
„Ich bekomm keine Luft mehr“, zischte ich.
Erschrocken ließ er mich los.  „Oh nein! Das wollte ich nicht!“, rief er entsetzt.
Ich nickte beschwichtigend.  Er schüttelte über seine eigene Dummheit den Kopf.
"Ich muss jetzt gehen", sagte er nach einer Weile.
Ich nickte wieder und schwang mich nach unten. Dort angekommen wartete ich noch auf Tyler.
"Kommst du oder kommst du nicht?", rief ich nach oben.
"Ja, bin doch schon da", erwiederte er und sprang neben mir zu Boden. Vorsichtig nahm er mein Gesicht in die Hände. "Du bist so schön", flüsterte er und bevor ich etwas erwiedern konnte küsste er mich stürmisch.
Überrascht öffnete ich mienen Mund, doch auf einmal stieß Tyler mich von sich und pachkt meine Schultern. Seine Augen funkelten wild. Erschrocken wich ich zurück, doch anstatt mich loszulassen, umklammerte Tyler meine Schultern nur noch fester.

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Tag der Veröffentlichung: 23.02.2013

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