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Kapitel 1 - A perfect world on a perfect day




Ich nippte an meinem schwarzen Kaffee, während ich gegen den Tresen lehnend dem sanften Klang des Sommerregens lauschte. Vielleicht war es etwas ungewöhnlich, aber ich mochte den Regen. Er hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Vielleicht mochte ich Regen sogar noch mehr als Sonnenschein. Immer wenn die Sonne schien, hatte ich das Gefühl, zwanghaft glücklich sein zu müssen. Es schien, als ob die lächelnden Paare auf den Straßen, das Vogelgezwitscher und die Sonne, die erbarmungslos vom strahlend blauen Himmel prallte, mich zwangen ein künstliches Lächeln auf mein Gesicht zu setzen und pfeifend durch die Straßen zu laufen. Dieses Gefühle zwängten mich immer wieder in eine dunkle Ecke und ich fühlte mich, als ob ich gezwungen werde, glücklich zu sein. Das fühlte sich nicht richtig an. Man sollte doch aus freien Stücken glücklich sein und nicht, weil man dazu gezwungen wird.

Da lobte ich mir den doch den Regen. Er ließ es zu, dass ich manchmal unglücklich war und mich zu nichts gezwungen fühlte. Wenn es regnete, sah man in London nur mürrische Menschen, mit Mundwickeln, die nach unten hingen und einfarbige Regenschirme, die sie mit bösem Blick in der Hand hielten. Doch immer während dieser Regentage, sah man zwischen den ganzen monochromen Regenschirmen einen, der völlig aus der Masse stich. Er war Neon grün mit süßen, kleinen, gelben Hunden drauf. Sehr zu meiner Verwunderung verbarg sich unter diesem Regenschirm kein 7-Jähriges Grundschulkind, sondern eine erwachsene, junge Frau mit wunderschönen Locken. Sie ging seit zwei Jahren jeden Tag an meinem Geschäft vorbei und schien dabei unglaublich entschlossen. Ihre großen Mandelaugen waren dabei immer starr nach vorne gerichtet und sie schien selbst beim Muffin kaufen unfassbar stark und selbstbewusst.

Manchmal ertappte ich mich selbst dabei, wie ich jeden Tag um 18 Uhr aus dem Schaufenster sah, um ihre hübsche Gestalt zu erblicken. Ich war ziemlich beeindruckt von ihr, das musste ich zugeben. Sie strahlte aus irgendeinem Grund etwas sehr starkes und anmutigendes aus, was mich auf irgendeine Weise anssprach. Doch zu ihrer starken Ausstrahlung kam auch noch, dass sie sehr arrogant und hochnäsig wirkte. Die wohl schlimmsten Eigenschaften, die eine Frau meiner Meinung nach besitzen konnte. Eine Frau war nur schön, wenn ihre Persönlichkeit schön war.

Außerdem ließ der Kleidungsstil der besagten Dame etwas zu wünschen übrig. Sie trug meistens Lederjacken, zerrissene Jeans und Stiefel. Ihr Kleidungsstil war insgesamt sehr ausgefallen und stach, wie ihre gesamte Erscheinung, aus der Masse hinaus. Etwas was meiner Meinung nach darauf schließen ließ, dass sie gerne im Mittelpunkt stand und nach Aufmerksamkeit gierte. Wieder eine Eigenschaft, die ich abgrundtief hasste. Und wieder etwas, was die hübsche Unbekannte wesentlich hässlicher machte. Zudem war sie das genaue Gegenteil von dem, was ich mir bei meiner Partnerin wünschte.

Ich sah auf, als ich die Türklingel vernahm und erblickte sofort meine kleine Schwester.

Sie stand mürrisch am Eingang, eine Hand an der Tür, die andere wild schüttelt an ihrem schwarzen Regenschirm. Wie es aussah versuchte sie gerade die letzten Tropfen von ihrem Schirm abzuschütteln. Nachdem sie das geschafft hatte, trat sie noch immer schlecht gelaunt ein.
„Blödes Wetter. Blödes London. Blöde High Heels.“, grummelte sie mit ihrem zarten Stimmchen, während sie ihren Schirm und ihre Handtasche in der Ecke abstellte. Bevor sie zu mir kam, schlüpfte sie aus ihren hohen Schuhen und stellte sie zu ihren anderen Sachen. Ich verstand nie, weshalb sie diese High Heels trug. Die waren doch sicher höllisch unbequem.

Ich kicherte ein wenig und begrüßte sie mit einer kurzen Umarmung. Sie schwang sich schwungvoll auf den Tresen und schaute mich deprimiert an.
„Was ist los, Schwesterherz?“ Sie seufzte und trocknete ihre Füße mit einem Handtuch, das ich ihr freundlicher weise vorher reichte, ab.

„Jared ist nun schon seit zwei Tagen weg, ich hab meine Tage, das heißt, ich bin schon wieder nicht schwanger, es regnet und meine Füße tun unglaublich weh.“ Sie stöhnte und warf das Handtuch wütend in die Ecke. Wortlos nahm ich es vom Boden und trug es schnell ins Personalbadezimmer. Ich kannte meine Schwester und wusste, dass so etwas bei ihr keine große Sache war und sie sich nicht entschuldigen würde.

„Oh, das tut mir leid.“, sagte ich ehrlich, als ich wieder zurück kam. „Also das, mit der Schwangerschaft.“
Meine Schwester Helen und ihr Ehemann Jared versuchten nun schon seit über einem Jahr ein Baby zu bekommen, doch aus irgendeinem Grund klappte es nicht. Helen hatte sich vor einem halben Jahr einen Termin beim Frauenarzt geben lassen, um ihre Fruchtbarkeit überprüfen zu lassen, doch bei der Untersuchung war alles in Ordnung. Helen konnte definitiv Kinder bekommen.

Also musste es theoretisch an Jared liegen. Doch dieser wollte es nicht wahr haben, dass seine kleinen Jungs es nicht bringen und entzog sich immer wieder der Behandlung. Meine Schwester hatte alles versucht, wirklich alles, um ihrem Mann zum Urologen zu schleppen, doch Jared hatte einen Sturkopf und schaffte es immer wieder aufs Neue, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Umso frustrierter war Helen, wenn es immer und immer wieder nicht klappte. Ich wusste von nächtlichen Anrufen und unzähligen Treffen mit Heulattacken, dass sie wirklich unter diesem Problem litt. Schon früher schwärmte Helen immer von Kindern, sagte, sie wolle am liebsten zehn Babys bekommen, oder Erzieherin werden. Selbst jetzt, mit 24 und einer Stelle als Bürokauffrau sagte sie immer wieder, wie gerne sie doch Erzieherin geworden wäre. Manchmal fragte ich mich, wieso sie ihren Traumberuf denn nicht einfach ausübte, doch Helen war kein einfacher Mensch und deshalb für mich auch nicht zu verstehen. Ob Jared sie wohl verstand?

„Ach Ben, ich hab doch wirklich alles versucht… was soll ich denn noch tun? Jared ist so stur.“ Sie seufzte. „Gestern, da hab ich versucht ihm am Telefon ins Gewissen zu reden. Schon wieder. Doch er hat wieder nur abgeblockt und mich damit abgewürgt, wieder an die Arbeit zu müssen.“ Sie steckte sich eine Strähne ihrer dicken, braunen Haare hinter die Ohren und ließ ihre schmalen Schultern sinken. Sie tat mir Leid.

Ich griff nach ihrer Hand und streichelte diese sanft. „Das wird schon.“
Helen nickt bloß, so, als wüsste sie selbst, dass es eine Lüge war und begann mit einem anderen Thema.
Nach zwei Kaffees und einem ausgedehnten Plausch mit meiner Schwester, verzog sich diese wieder in ins Büro und erledigte ihre Arbeit.

Auch ich beschloss mich wieder an die Arbeit zu machen und sortierte die neue Lieferung in die Regale. Ich besaß diesen Buchladen nun schon seit über 4 Jahren und es machte mir jeden Tag aufs Neue Spaß, die Bücher nach Buchstaben zu sortieren und ich genoss immer wieder den Geruch der Bücher, der meinen Körper und meinen Geist ständig zu entspannen schien. Mein Laden war mein Ruhepol. Hier fühlte ich mich immer wohl. Obwohl ich ein Morgenmuffel war und am liebsten bis zwölf Uhr mittags schlafen würde, stieg ich jeden Morgen freiwillig aus dem Bett und verspürte immer wieder dieselbe Freude, wenn ich meinen Laden betrat. Und das tat ich nicht nur wegen dem Geld. Ich tat es für mich. Um mir etwas zu beweisen, um mir selbst zu zeigen, dass ich etwas kann und eine Bestimmung habe. Und meine Bestimmung war mein Laden. Er machte mich glücklich. Er war das, nachdem ich immer gesucht hatte. Etwas vollkommen Perfektes. Vollkommen und einfach makellos. Das, was meiner Meinung nach kein Mensch dieser Welt besaß.

Das war vermutlich auch der Grund, weshalb ich seit Jahren Single war. Ich konnte und wollte nicht leugnen, dass die Frauen an mir interessiert waren. Ich war kein hässlicher Mann. Aber es war so, dass mir keine Frau bislang wirklich auf Dauer hundert Prozentig ausreichte. Nach einiger Zeit fand ich immer etwas, was mich so sehr störte, dass ich die Beziehung beendete. Oder ich fand schon vorher etwas und deshalb kam es meist gar nicht dazu, dass ich mit einer Frau ausging. Und so kam es, dass ich mit meinen 27 Jahren erst drei ernsthafte Beziehungen hatte, die aber auch wieder wegen mir in die Brüche gingen, weil es die perfekte Frau leider nicht gab. Aber ich wollte sie. Und ich war naiv genug zu glauben, dass ich sie irgendwann finden würde.

Der Morgen ging schnell rum, es war nicht viel los, es war ein Montagmorgen, die meisten waren bei der Arbeit. Ich langweilte mich etwas, weil Trudy nicht da war. Trudy war meine fleißigste und einzige Mitarbeiterin. Sie war eine schüchterne, aber sehr nette 21-jährige Blondine. Sie studierte Physik und arbeitete nebenbei in meinem Laden. Montags war ihr freier Tag. Sonst half sie mir jeden Tag aus. Sie war ein fleißiges Mädchen.

Und da ich nicht viel zu tun hatte außer Lieferungen in die Regale zu räumen und ein bisschen Staub zu wischen, entschied ich mich gegen 14 Uhr mich auf meinen Stuhl am Tresen zu setzen und ein bisschen in meinem neusten Buch zu blättern. Es war ein alter Liebesroman mit rund 850 Seiten. Sie Hauptfiguren waren sehr interessant beschrieben und ich tauchte jedes Mal, wenn ihn las, tief in die Welt der Autorin ein. Ich war so sehr in die Liebesgeschichte vertieft, dass ich es kaum bemerkte, wie meine Stammkundin Mrs. Pressler vor mir stand und mit ihren roten Krallen sanfte Klopfer auf den alten Tresen verteilte. Ich hob den Kopf und blickte in ihr faltiges, lächelndes Gesicht. Sie war eine liebe, alte Frau, die mir mindestens einmal in der Woche einen kleinen Besuch abstattete.

Und dabei kaufte sie nicht immer ein Buch. Manchmal kam sie einfach nur um Hallo zu sagen oder mir ein paar ihrer leckeren Zimtplätzchen vorbei zu bringen. Sie gehörte nun seit fast drei Jahren zu meinen Stammkunden. Manchmal brachte sie ihren kleinen Enkel Julien mit, dem ich freundlicher Weise manchmal ein neues Kinderbuch spendierte. Es war schön zu sehen, wie fasziniert er von den bunten Figuren war und Freude daran fand, ihnen eigene Namen zu geben. Ich glaube, er ließ sich nie ein Buch von seiner Oma oder seiner Mutter vorlesen. Er interessierte sich vermutlich noch nicht einmal für die Geschichte, er wollte den Figuren einfach nur eigene Namen geben und ihnen Charaktere zuteilen.

Er war ein süßer kleiner Fratz mit knallroten Haaren und hellen Sommersprossen auf den Wangen. Doch heute war die alte Dame alleine da und wollte eine Bestellung für ihre Tochter abholen. Leider verschwand sie gleich darauf wieder, weil sie es eilig hatte. Ich versank wieder in meinem Roman und der Tag zog mit weiteren Kunden an mir vorbei.

Da heute so wenig los war, beschloss ich den Laden schon um 18 Uhr zu schließen und schaute noch schnell auf einen Kaffee im Café von gegenüber vorbei. Ich begrüßte freundlich die junge Verkäuferin Luzi und bestellte mir einen Milchkaffee und zwei Zimtrollen zum Mitnehmen. Ich kannte ihren Namen, weil sie eine ziemlich aufdringliche Göre war. Als sie vor ungefähr einem halben Jahr anfing hier im Café zu arbeiten, flirtete sie ziemlich ungeniert mit mir und fragte mich lasziv an ihrer Oberlippe kauend, ob ich denn nicht einmal Lust hätte mit ihr auszugehen. Als ich ihr darauf einfach nur mit einem schlichten “Niemals” antwortete, weil sie erstens gar nicht meinem Typ entsprach und zweitens vermutlich rund zehn Jahre jünger als ich war, entglitten ihr die Gesichtszüge und ihre Wangen liefen rot an. Seitdem hatte sie es nie mehr gewagt sich mir gegenüber so zu verhalten.

Ich bezahlte Luzi, verabschiedete mich knapp und ging aus dem Café. Während ich die Straße hinunter ging, nippte ich an meinem Kaffee und schaute geradeaus. Dabei fiel mein Blick sofort auf die hübsche Brünette. Es war die Frau, die seit zwei Jahren jeden Tag aus der U-Bahn Station ein paar Meter weiter kam, diesen Weg ging, und sich im Café immer noch etwas zum Naschen kaufte.

Die, mit dem Kinderregenschirm. Ich hatte noch nie gesehen, dass sie sich einen Kaffee kaufte. Sie nahm immer nur einen Muffin oder anderen Süßigkeiten. Wie immer war ihr Blick starr nach vorne gerichtet, wie immer waren ihre Locken, die vom Ansatz, bis zur Brust in ein tiefes Dunkelbraun und an den Spitzen in ein meiner Meinung nach hässliches Rot getaucht waren, wild in alle Himmelsrichtungen abstehend, wie immer war ihr Outfit auffallend, wie immer, wenn es regnete, hatte sie ihren grünen Regenschirm dabei.

Sie ging emotionslos an mir vorbei und ich widerstand dem Drang mich umzudrehen und ihr nach zu sehen. Sie ist eine arrogante, dumme Kuh, Benjamin, sagte ich mir selbst und nahm einen großen Schluck von meinem Kaffee. Das heiße Getränk rann meine Speiseröhre hinunter und ich bildete mir ein, dass ich das Richtige tat.

Ja, es war immer einfacher, sich etwas einzureden, um eine Ausrede für sein Nichtstun zu haben, als einfach etwas zu versuchen.


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Bildmaterialien: Bild von Tumblr entnommen!
Tag der Veröffentlichung: 01.10.2012

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