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„Harry!.....Haaarrrrrry!“ dröhnte Onkel Vernons Stimme aus der Küche. „Verdammt, wo bleibst du? Kerl!“

„Ich...ich komme!“ rief Harry und stolperte aus seiner Kammer. Er nahm gleich 2 Stufen auf einmal, als er die steile Treppe hinunterhastete. Onkel Vernon klang sehr wütend und Harry wusste aus Erfahrung, dass es besser war, sich zu beeilen, wenn sein Onkel ihn dann rief.

„Hier bin ich, Onkel Vernon.“ keuchte Harry, als er durch die Küchentür schoss. Onkel Vernon saß, fett und groß und breit wie er war, mit hochrotem Kopf auf seinem Platz am Küchentisch. Vor ihm lag die Post des Tages. In seiner Hand hielt er einen Brief aus dunkelblauem Papier und wedelte damit erzürnt in der Luft herum.

„Setz dich!“ fuhr er Harry an.

Harry setzte sich an das andere Ende des Tisches. Er wollte vermeiden, dass er zu nahe an Onkel Vernon herankam. Zum einen beeindruckten ihn die Riesenpranken seines Onkels, die er oft genug schmerzlich auf seinen Wangen gespürt hatte, zum anderen hatte Onkel Vernon unangenehmen Mundgeruch und spuckte oft beim Sprechen, wenn er erregt war. Vor beidem ekelte sich Harry.

„Was ist das?“ brüllte Onkel Vernon.

„Ein Brief?“ fragte Harry leise.

„Ein Brief! Du Blödmann! Das sehe ich selber!....“ Onkel Vernon schnaufte wie ein Stier. ‚Fehlt nicht mehr viel und er scharrt mit den Füßen’ dachte Harry. Immer wieder erwischte er sich dabei, sich über das Verhalten der Dursleys lustig zu machen, auch in Situationen, die wie diese nicht gerade angenehm waren.

„Was für ein Brief!?“

„Ich weiß nicht, vielleicht von Hermine?“

„Wer ist Hermine?“ Onkel Vernon schaute Harry einen kurzen Augenblick unsicher an, nur um sogleich noch wütender zu Blicken.

„Etwa so ein Flittchen aus deiner sogenannten Schule?“

„Hermine ist kein Flittchen. Sie hat ganz normale Eltern. Sie sind Zahn...“ Harry begann sauer zu werden und hatte seine Stimme erhoben.

„Das ist mir scheißegal! Und du sollst mich nicht anbrüllen!“ unterbrach ihn Onkel Vernon und sein Kopf schwoll vor Wut an. Er bemühte sich jedoch gleich wieder, sich zu beruhigen. Er schnaufte tief, lehnte sich zurück und schaute einen Augenblick an die Decke.

Harry war ganz eingeschüchtert. Gegen diese Masse aus Zorn konnte er nichts setzen. Er war zwar im letzten Jahr ziemlich in die Höhe geschossen, immerhin hatte er die 1,70 überschritten und es sah nicht so aus, als ob er aufhören würde zu wachsen. Aber Onkel Vernon erschien einfach so mächtig, weil er immer noch größer war als Harry und dabei breit wie ein Bulle.

„Was ist den das für ein Brief?“ fragte Harry schüchtern.

„Von deiner Scheiß-Schule. Hier lies!“

Er warf den Brief über den Küchentisch. Der Brief schlidderte bis vor Harry und drohte vom Tisch zu fallen. Harry konnte ihn gerade noch auffangen. Es war ein Brief aus Hogwarts, der britischen Schule für Zauberei, die Harry seit seinem 11. Lebensjahr besuchte.

Damals hatte es ihn völlig überrascht, dass er ein Zauberer war. Er war, nachdem seine Eltern Lily und James Potter durch den schwarzen Magier Lord Voldemort getötet worden waren, bei seinen Verwandten, den Dursleys aufgewachsen. Den Überfall auf seine Eltern hatte Harry wie durch ein Wunder überlebt, nicht zuletzt deshalb, weil seine Mutter sich für ihn geopfert hatte. Noch heute zeugte eine blitzförmige Narbe von dem Grauen dieser Nacht. Die Narbe schmerzte jedes mal und schwoll rot an, wenn Voldemort versuchte, ihm zu schaden. Die Dursleys hatten ihn schlimmer als einen Hund behandelt und Harry hatte 11 Jahre in einem Schrank unter der Treppe gelebt. Welche schöne neue Welt hatte sich für ihn aufgetan. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Freunde gefunden.

Hagrid, der damalige Wildhüter von Hogwarts und heutige Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe hatte ihn aus den Fesseln der Familie Dursley befreit. Seit damals war Hagrid ein ganz besonderer Freund von Harry.


Harry faltete den Brief auseinander und begann zu lesen.


„Sehr geehrter Herr Potter,


leider müssen wir Ihnen mitteilen, daß das Semester in diesem Jahr 2 Wochen später beginnt. Wir bitten Sie deshalb sich erst am 30.September um 9:30 Uhr in der Station Kings Cross auf Gleis neundreiviertel einzufinden.


Als Anlage haben wir Ihnen eine Liste der Materialien beigefügt, die Sie bitte für das neue Schuljahr mitbringen.


Mit freundlichen Grüßen


Minerva McGonagall,

Stellvertretende Schulleiterin

Hogwarts, Schule für Zauberei“


Harry ließ den Brief sinken. Große Enttäuschung machte sich in ihm breit. Jetzt musste er noch zwei ganze Wochen in diesem Horrorkabinett aushalten. Der Hass der Dursleys auf ihn hatte noch zugenommen, seit sie gemerkt hatten, dass Harrys Pate Sirius Black offensichtlich untergetaucht war. Harry hatte sich zwar mehrfach auf Sirius berufen, wenn die Dursleys es zu arg getrieben hatten, aber es war nichts passiert. Das bestärkte sie in der Annahme, vor Black sicher zu sein. Sie hatten die Daumenschrauben einfach wieder angezogen und Harry die Ferien so unerträglich wie nur möglich gemacht.

‚Aber,’ dachte Harry, ‚dann sind die Weasleys wieder aus dem Urlaub zurück. Vielleicht kann ich ja zu Ron...’

Harry hatte seinen Preis, den er beim Trimagischen Turnier im letzten Schuljahr gewonnen hatte, den Weasley-Zwillingen geschenkt. Diese hatten einen kleinen Teil davon Mrs. Weasley geschenkt und gesagt, dass die ganze Familie davon in Urlaub fahren sollte. Die Weasleys hatten, zumindest konnte sich Ron nicht daran erinnern, noch nie einen gemeinsamen Urlaub mit der ganzen Familie gemacht. Ron Weasley war seit dem ersten Schuljahr auf Hogwarts der beste Freund von Harry. Vater Weasley arbeitete für wenig Geld beim Zaubereiministerium in der Abteilung gegen den Missbrauch von Muggelartefacten und hatte Mühe die die Familie mit 7 Kindern durchzubringen. Da war das Geld natürlich eine willkommene Gelegenheit und ausnahmsweise hatte Mutter Weasley keinen Aufstand gemacht und das Geld angenommen. Gleich zu Beginn der Ferien hatten sie sich alle nach Rumänien aufgemacht, um Charly, den ältesten Sohn zu besuchen, der in Rumänien Drachen studierte. Sie wollten nach dem Besuch noch ein paar Wochen am Schwarzen Meer verbringen.

Harry hoffte, dass sie ihren Urlaub jetzt nicht auch noch verlängerten, denn es war mit Sicherheit anzunehmen, dass sie eine Eulenpost erhalten hatten. Eulen waren ja bekannt dafür, einen Brief bis an das Ende der Welt zu bringen, solange sie auch nur die geringste Ahnung hatten, wo sich der Adressat aufhielt.

„Und was sagst du nun?“ brüllte Onkel Vernon. Harry schreckte aus seinen Gedanken hoch. Es war schmerzlich, wieder in die Realität geholt zu werden.

„Weiß nicht...“ murmelte Harry.

„Das heißt, dass wir dich jetzt noch zwei Wochen länger ertragen müssen.“

„Vielleicht... vielleicht könnte ich zu meinem Freund Ron, wenn sie wieder da sind...“

„Natürlich! Und wer jätet das Unkraut und mäht den Rasen? Die Hecke muss auch noch geschnitten werden. Und du meinst, du kannst dich einfach so verkrümeln?“

„Das hätte ich ja so und so bis zum 15. schaffen müssen. Und das schaffe ich auch noch. Danach liege ich euch doch nur auf der Tasche...“

Onkel Vernon glotzte Harry unverständig an. Langsam klärte sich sein Blick.

„Da hast du recht...“ sagte er eigenartig gelassen. Plötzlich flog ein leichtes Grinsen über sein Gesicht. Dann zog er die Augenbrauen wieder zusammen und stierte Harry streng an.

„Bilde dir bloß nichts auf deine Idee ein. Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn. Und wie du dahin kommst, ist deine Sache. Glaub ja nicht, dass ich dich zu solchem Gesockse hinfahre. Und wehe, die kommen noch mal hier her. Die Nachbarn haben schon beim letzten mal gefragt, was für komische Gammler ich kenne. Ich musste sagen, dass das Bettler waren und dass ich sie weggeschickt habe. Nie mehr wieder so eine Schmach! Kapiert!?“

„Keine Sorge, Onkel Vernon.“ sagte Harry erleichtert. Die Aussicht, die letzten Ferientage vielleicht bei seinen Freunden zu verbringen, ließ ihn die Ödnis der Ferien vergessen. Aufregung erfasste ihn. Hoffentlich waren die Weasleys da. Er musste sofort Hedwig mit einer Nachricht an Ron losschicken.

Harry sprang auf.

„Danke Onkel Vernon. Ich wird bestimmt mit dem Garten fertig..“

„Mach dass du rauskommst.“

Harry faltete den Brief zusammen.

„Kann ich noch die Liste haben?“

„Was für eine Liste?“

„In dem Brief muss noch eine Liste sein, was ich mir alles fürs nächste Schuljahr besorgen muss.“

Onkel Vernon warf ihm den zerknüllten Briefumschlag über den Tisch.

„Tschüs Verni-Schätzchen, ich gehe jetzt mit Dudley einkaufen.“ tönte es aus dem Flur. Harry hörte die Tür ins Schloss fallen. ‚Gott sei dank, die nerven jetzt erst mal nicht mehr.’, dachte er. Er strich den Umschlag glatt und schaute hinein. Drin lag ein zerknitterter Bogen Papier. Harry holte ihn aus dem Umschlag und überflog die Liste. Bei dem Buchtitel ‚Dunkle Kräfte und wie man sich vor ihnen schützt von Wratislav Pendrecki’ blieb sein Blick hängen. Wer mochte wohl dieses Jahr ‚Verteidigung gegen die schwarzen Künste’ geben. Schnell schaute er nach einem Buch, das im Zaubertrank-Unterricht benötigt wurde. Erleichtert stellte er fest, dass es einen Titel gab, der ‚Tränke aus mediterranen Wasserpflanzen von Frederic Karbunkel’ hieß. Dann war Zaubertränke vielleicht doch noch in Professor Snapes Hand und vielleicht gab es Hoffnung, das Remus Lupin wieder an die Schule zurückkehrte...

„Bist du noch nicht verschwunden?“ dröhnte Onkel Vernons Stimme in sein Ohr.

Harry beeilte sich, aus der Küche zu kommen.


Zuerst war Harry sehr enttäuscht gewesen, dass die Schule 2 Wochen später anfängt. Aber die Aussicht, diese Tage vielleicht im Fuchsbau zu verbringen, versöhnte ihn wieder. Hoffentlich klappte es! Aufgeregt rannte er die Treppe hoch zu seinem Zimmer. Er musste Hedwig sofort mit einer Nachricht nach Rumänien schicken. Er musste wissen, was seine Freunde planten. Hastig kramte er in dem Loch unter der losen Fußbodendiele nach seinem Schreibzeug. Er holte das Tintenfass, seine Federn und einen Bogen Pergament hervor und breitete alles auf dem Fußboden vor sich aus. Er öffnete das Tintenfass, strich den Bogen glatt, legte sich vor das Blatt und tauchte seine Feder in die Tinte.

„Hallo Ron,...“ schrieb er. Hedwig beäugte ihn von ihrem Käfig aus mit schiefem Kopf. Zufällig sah Harry auf und bemerkte Hedwigs Blick.

„Ja, ja, Hedwig. du darfst verreisen.“ Es schien, als ob Hedwig lächeln würde, jedenfalls schloss sie kurz die Augen und streckte ein Bein und einen Flügel, soweit es in dem engen Käfig ging.

Harry wandte sich wieder dem Brief zu.

„... hast Du auch schon einen Brief von Professor McGonagall bekommen? Ich habe heute erfahren, dass die Schule 2 Wochen später beginnt. Was ist da los? Weis Dein Vater etwas darüber? Ich finde den Gedanken schrecklich, noch 2 Wochen länger bei den Dursleys zu bleiben. Wann kommt ihr wieder nach Hause? Ich würde mich freuen, wenn ich noch ein paar Tage bei Euch verbringen dürfte. Mir ist schrecklich langweilig, auch wenn ich genug zu tun habe. Onkel Vernon ist auf die Idee gekommen, mich während der Ferien arbeiten zu lassen. Er sagt, er könne es sich nicht leisten einen Nutzlosen „Fresser“ durchzufüttern. So’n Quatsch! Seit er diesen Riesendeal gemacht hat, verdient er ne Menge mehr. Ich darf jetzt den Garten Pflegen, Unkraut jäten, rasen mähen, Fensterläden streichen und und und. Dudley lümmelt den ganzen Tag im Garten rum und tut nichts. Er ist sogar zu faul, zum Fernsehen die Treppe hinauf in sein Zimmer zu gehen. Das einzige, was ihm einfällt ist, mich zu nerven. Aber seit dem Würgezungen-Drop piesackt er mich wenigstens nicht mehr. Er hat Angst, dass Ihr ihn wieder in die Mangel nehmt. Von Sirius habe ich auch schon lange keine Post mehr bekommen. Ich bin ja mal gespannt, wann er und Professor Dumbledore zurück kommen. Ich habe von Onkel Vernon die Erlaubnis, die 2 Wochen zu Euch zu kommen. Wenn Ihr das auch wollt und ich darf, würde ich mich riesig freuen.

Ich hoffe, bald von Euch zu hören. Wir müssen uns dann auch Gedanken machen, wie ich zu Euch komme. Wie ihr wisst, hat Onkel Vernon den Kamin zugenagelt. Mit Flohpulver kann ich nicht kommen. Sie wollen auch nicht, dass Ihr mich abholt, das letzte mal hat ihnen gereicht.


Viele Grüße, auch an Deinen Vater und Deine Mutter, und an die Zwillinge und Ginny und Charly


Dein Harry“


Harry überflog den Brief noch einmal. ‚Na ja, mein Stil war schon immer chaotisch’ dachte er. Dann rollte er den Brief zusammen, band eine Schleife darum und stand auf. Hedwig war schon ganz unruhig und flatterte in ihrem engen Käfig, dass sich einige Federn lösten und zu Boden segelten. Harry öffnete den Käfig und Hedwig hüpfte sofort auf seinen Arm.

„Komm, setz Dich auf die Bettkante, wie soll ich Dir denn den Brief an das Bein binden!“ lachte Harry, als sie seinen Arm hinauf zur Schulter kletterte und an seinem Ohr knabberte. Hedwig flatterte auf die Bettkante und reckte ihm ein Bein hin. Sie freute sich sichtlich, eine Aufgabe zu haben und einmal eine Weile fliegen zu können. Harry band den Brief fest. Dann öffnete er das Fenster, Hedwig flatterte auf und hinaus. Sie stieß noch einen langen Schrei aus und erhob sich dann in die Luft. Harry schaute ihr nach, bis sie nur noch ein kleiner heller Punkt am blauen Himmel war. ‚Viel Glück’, dachte er. ‚Hoffentlich findest du Ron!’

Harry verstaute seine Schreibsachen wieder unter dem losen Fußbodenbrett und legte sich dann auf sein Bett. Er verschränkte die Hände hinter seinem Nacken und starrte an die Decke. Er konnte jetzt nur warten. Eine Stunde hatte er sich für eine Pause vorgenommen. In der Mittagshitze konnte er einfach nicht im Garten arbeiten. Kaum hatte er sich in sein Zimmer zurückgezogen, Fenster und Vorhänge geschlossen, war er von Onkel Vernon gerufen worden. Jetzt blieb ihm noch eine halbe Stunde, die er so bewegungslos wie möglich verbringen wollte.

Am Anfang der Ferien hatte er die Mittagspause dringend gebraucht. Die Arbeit war ungewohnt für ihn und alle Knochen hatten ihm weh getan. Inzwischen, nach fast 6 Wochen spürte er die Anstrengung kaum noch und wenn Dudley nicht ständig im Garten wäre, würde ihm die Arbeit sogar Spaß machen. So hatte er wenigstens Ruhe vor den ständigen Meckereien von Tante Petunia.

In den letzten Wochen war es so heiß gewesen, dass der Asphalt im Ligusterweg weich geworden war. Insgesamt hatte es 2 mal geregnet, Sturzbäche von Blitz und Donner begleitet, aber der Rasen wäre ausgedörrt und braun gewesen, hätte Harry nicht ständig den Rasensprenger eingesetzt. Der Apfelbaum hatte ihm ein wenig Schatten gespendet, aber die wenigste Arbeit fand gerade unter dem Baum statt. Vielmehr hatte er in der stechenden Sonne gearbeitet, oft in gebückter Haltung, wenn er Unkraut gejätet hatte. Die Arbeiten hatten ihn inzwischen gestählt. Er fühlte seine Muskeln wachsen. Längst war er nicht mehr der kleine Junge, der mit 11 Jahren nach Hogwarts gegangen war. Zu viel hatte er erlebt. Jetzt war er enorm gewachsen und befand sich mitten im Stimmbruch, der sich schon Ende des letzten Schuljahres angekündigt hatte. Manchmal fand er es Lustig, wie seine Stimme zu einem hohen Kieksen umschlug, aber meistens nervte es ihn. Er wollte jetzt seine tiefe Stimme behalten und hoffte, es würde nicht mehr lange dauern, bis der Stimmbruch abgeschlossen war. Manchmal hoffte er, von den Mädchen etwas mehr beachtet zu werden, besonders von Cho, der Frau, die er anbetete, die zum Haus Ravenclaw gehörte, und die ein Jahr älter war, als er. Er hoffte, sie mit seiner männlichen Stimme etwas beeindrucken zu können. Er baute auch auf seine Größe und es war ihm durchaus recht, dass er auch an Muskeln etwas zugelegt hatte.

Viele Dinge gingen ihm durch den Kopf, als er auf seinem Bett lag. Er dachte an Cho. Wie mochte es ihr gehen? Ob sie den Tod von Cedric inzwischen überwunden hatte? Schließlich hatte er den Eindruck gehabt, dass sie nicht ohne Grund mit ihm auf den Ball gegangen war. War sie in Cedric verliebt gewesen? Harry hatte sich mit dem Unfall abgefunden. Zu wenige Berührungspunkte hatte er vorher mit Cedric gehabt. Sicher, Cedric war ein feiner Kerl, fair und freundlich, aber auch er war halt schon viel älter gewesen. Und Harry fragte sich, ob es überhaupt eine Möglichkeit gegeben hätte, dass Voldemort Cedric verschont hätte. Cedric hatte mit Harry zusammen das Ziel in der letzten der drei Aufgaben des Trimagischen Turniers erreicht und sie wollten gemeinsam Sieger werden. Deshalb hatten sie zeitgleich den Pokal, der von Voldemort in einen Portschlüssel verwandelt worden war, berührt und waren von diesem auf einen alten Friedhof gebracht worden. Kaum waren sie gelandet, hatte Voldemort Cedric durch einen der drei unverzeihlichen Flüche, den Todesfluch, getötet. Harry bedauerte den Tod von Cedric sehr, auch seine Eltern taten ihm leid und er konnte den Schmerz ansatzweise nachfühlen.

Hermine? Hermine war neben Ron die dritte in dem Gespann, das in dem aufregenden Leben in Hogwarts all die Abenteuer erlebt hatte. Hermine war sehr strebsam. Sie kam aus einem „normalen“ Elternhaus, das heißt, Ihre Eltern waren Muggel, Leute, die nicht zaubern konnten. Sie verdienten ihr Geld als Zahnärzte. Hermine schleppte immer so viele Bücher mit sich herum, daß ihre Tasche unter dem Gewicht fast zerriss. Man konnte sie alles Fragen und wenn sie mal, was sehr selten vorkam, keine direkte Antwort hervorsprudeln konnte, wusste sie es mit Sicherheit nach ihrem nächsten Besuch in der Bibliothek. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie zueinander gefunden hatten, aber inzwischen war es sogar so, dass in Hogwarts Gerüchte kursierten, Harry und Hermine seien ein Paar.

Hermine hatte ihm, wie Ron aus Rumänien, zu seinem Geburtstag schrieben. Sie war mit ihren Eltern nach Mallorca gefahren weil sie dort einen Badeurlaub machen wollten. Ansonsten hatte er die ganze Zeit nichts von seinen Freunden gehört. Manchmal wünschte er sich wenigstens einen Besuch von Dobby, dem Hauselfen, den er aus den Klauen der schrecklichen Malfoy-Familie gerettet hatte und der jetzt in Hogwarts in der Küche arbeitete. Dobby hatte, als er Harry zum ersten mal besucht hatte fast dafür gesorgt, dass Harry von der Schule geflogen wäre. Dobby hatte im Ligusterweg gezaubert und Harry hatte eine Verwarnung vom Zaubereiministerium bekommen, weil Minderjährige außerhalb Hogwarts nicht zaubern durften. Wenn er doch wenigstens zuhause zaubern könnte, dann könnte er ein wenig Dudley ärgern.

Dudley! Allein der Name erzeugte ein würgen in ihm. Dieser dumme, verwöhnte, faule Kerl. Das war der Sohn von Onkel Vernon und Tante Petunia. Früher war er so fett gewesen, dass seine Pobacken links und rechts vom Stuhl hingen. Er war faul und vollkommen verzogen, wurde aber von seinen Eltern in jeder Hinsicht verwöhnt. Nie brauchte Dudley auch nur irgendwas im Haushalt tun. Im Gegenteil. Er bekam es hinten und vorne reingeschoben. Dudley hasste Harry und sein einziges Streben war, Harry zu ärgern. Seit fast 2 Jahren machte Dudley eine von der Schulschwester seiner Schule verordnete Diät und hatte in den 2 Jahren fast 20 Kilo abgenommen. Aber erst langsam sah man, dass er wirklich weniger fett war.

In diesem Jahr waren Dudleys schulischen Leistungen so abgesackt, dass er einen Brief zu seinem miserablen Zeugnis mit nach hause brachte. Tante Petunia hatte den Brief gelesen und die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.

„Oh mein armer Dudders....“ hatte sie in ihrer penetrant kreischenden Stimme gerufen. „Diese dummen, dummen Lehrer erkennen einfach nicht, was für ein intelligenter und braver Junge du bist.“

„Yeah, Mum“, war das Einzige, was Dudley raus bekam.

„Du sollst immer Deine Mitschüler geärgert haben? Das ist nicht wahr, du bist doch so brav. Bestimmt hast du dich nur gewehrt. In solchen Internaten treibt sich auch immer ein Gesindel herum...“

‚Genau’, dachte Harry für sich. Dabei sah er, wie Dudley hinter dem Rücken seiner Mutter feixte und Harry die Zunge herausstreckte.

„Na ja, das mit den Zensuren in Englisch und Mathe liegt bestimmt daran, dass du in der Pubertät bist und dich zu einem richtigen Mann entwickelst“, sagte Tante Petunia und streichelte Dudley über den Bürstenhaarschnitt. Dudley lächelte sie schleimig von unten an.

„Und in Sport..., das kann ja keiner verlangen, dass ein Junge, der seit Monaten auf Diät ist, gute Noten in Sport nach hause bringt. Aber kuck, in Religion hast du eine 2. Ich wusste doch, dass du gute Seiten hast.!“

‚Mir wird gleich schlecht’, dachte Harry. „In Religion haben doch alle eine 2 bekommen...’

Harry hatte es nicht mehr ertragen können. Einerseits die Blindheit von Tante Petunia und andererseits diese freche Dreistigkeit von Dudley! Er hatte sich aus der Küche geschlichen und war in den Garten gegangen.

Sirius hatte ihm auch zum Geburtstag geschrieben. Sirius war der Pate von Harry. Er hatte jahrelang in dem Zaubereigefängnis Askarban gesessen, weil man ihn für einen Anhänger von Voldemort hielt und ihm vorwarf, dass er 12 Menschen getötet hatte. In Wirklichkeit war es Peter Pettigrew gewesen, der einer der treuesten Freunde von Voldemort war und Harrys Vater und seine Freunde an Voldemort verraten hatte. Pettigrew inszenierte den Mord, weil er damit von der Bildfläche verschwinden konnte. Er war ein Animagus, jemand, der sich in ein Tier verwandeln konnte und hatte sich als Ratte aus dem Staub gemacht. Zufälligerweise war Peter die Hausratte von Ron geworden und hatte vor 2 Jahren für eine Menge Aufregung gesorgt.

Sirius war vor 2 Jahren die Flucht aus Askarban gelungen und seitdem kämpften er und Professor Dumbledore, der Schulleiter von Hogwarts um seine Rehabilitation. Sirius hatte in dem Brief erzählt, dass er mit Dumbledore und Hagrid nach Beauxbatons gereist sei um mit Madame Maxime die Strategie zu besprechen, wie man die Riesen auf ihre Seite bekommen könne. Er hatte sich über das schöne Frankreich und die Provence ausgelassen und angekündigt, dass sie in kürze in die Karpaten aufbrechen wollten. Seit dem hatte Harry nichts von ihm gehört, war sich aber sicher, dass ihm in Professor Dumbledores Begleitung nichts passieren würde.

Harry stand auf und stellte sich an das Fenster. Unten sah er den zur Hälfte gemähten Rasen des Vorgartens. Die ganze Straße sah sehr gepflegt aus, halt wie eine typische spießige Vorortstraße. Nur in wenigen Vorgärten war der Rasen braun und vertrocknet, hinter den Häusern sah es schon ein wenig anders aus. Aber da waren hohe Hecken um die Gärten und der Nachbar konnte kaum sehen, wie es um den Zustand des Garten bestellt war.

Die Luft über dem Ligusterweg flimmerte in der Mittagshitze. Harry betrachtete stolz sein Werk. Erhatte den Garten und den Vorgarten in 8-wöchiger Kleinarbeit wieder auf Vordermann gebracht. Das Unkraut war fast ganz entfernt, er hatte gepflanzt und Sträucher entfernt, das Moos aus den Ritzen zwischen den Gehwegplatten entfernt, den Zaun weiß gestrichen und und und. Die Dursleys hatten zwar einen recht hohen Anspruch, und Tante Petunia gab sich auch viel Mühe, aber ein Gefühl für den Garten hatten sie alle nicht. Und da Onkel Vernon sich viel zu schade für die ‚Drecksarbeit’ war und Dudley zu faul, sah der Garten meist nicht sonderlich schön aus. Er erfüllte halt die Mindestbedingungen, ein kurzgeschorener Rasen und ein paar kümmerliche Blumenbeete und als einziges Highlight der Apfelbaum, der bestimmt schon 50 Jahre alt war und noch vom Vorbesitzer gepflanzt worden war. Wie oft war Harry auf den Baum geklettert, wenn er sich vor Dudleys Angriffen in Sicherheit bringen musste oder von den Hunden von Tante Margie gehetzt wurde.

‚Ich werde dann wohl hinunter gehen und weiter mähen...’ dachte er. Sein Blick schweifte hinüber zum Rosenbeet, das links und rechts von dem gepflasterten Weg zur Haustür angelegt war. Etwas erregte seine Aufmerksamkeit. Es hatte sich was bewegt. Er schaute genauer hin. Noch einmal bewegte sich etwas, unscheinbar, wie eine kleine Maus, aber es war keine Maus. Es war auch kein anderes kleines Tier, dafür war es zu unwirklich. Aber was war es? Harry schirmte seine Augen gegen die Sonne ab. Er konnte immer noch nichts genaues erkennen. ‚Meine Brille ist total versaut’ dachte er, nahm seine Brille ab und kramte in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch. Er konnte nur ein gebrauchtes finden, aber das genügte, um die Gläser wieder einigermaßen sauber zu bekommen. Nachdem er die Brille wieder aufgesetzt hatte und noch mal auf die Stelle im Rosenbeet schaute, erstarrte er. Im Schatten einer Rose saß ein Gartengnom.

Im Garten der Weasleys hätte es ihn nicht im geringsten gewundert. In jedem anderen Garten hätte es ihn nicht gewundert. Aber das Grundstück der Dursleys war sofort nach Ende des letzten Schuljahres von Dumbledore mit einem Schutzzauber versehen worden und Harry hatte noch nie einen Gnom im Garten der Dursleys gesehen. Harry fröstelte. Was hatte das zu bedeuten? Kein magisches Wesen, das von Harry nicht akzeptiert wurde, konnte das Grundstück der Dursleys betreten ohne sich durch eine Reihe von Fallen und Sperren zu quälen. Dieser Schutz war eingerichtet worden, um Todesser oder gar Voldemort fern zu halten. Es war auch nicht möglich, irgend welche magischen Wesen oder Tiere auf Harry zu hetzen. Der Zauber wirkte wie ein Stromstoß, der stärker wurde, je mehr eine Bedrohung für Harry bestand. Gnome waren von Grund auf feige und hielten sich von Orten fern, die unangenehm für sie waren. Zwar stellten sie keine Bedrohung für Harry dar, aber sie mochten die leichte Spannung, die immer über dem Grund lag, nicht aushalten.

Insofern war es sehr verwunderlich, dass dieser Gnom völlig unbeteiligt im Garten saß und die Ruhe genoss. Harry verließ sein Zimmer und ging die Treppe hinunter. Er ging durch die Verandatür in den Garten und schlich sich um das Haus. Leise näherte er sich dem Gnom von hinten. Als der nur noch einen halben Meter vom ihm entfernt war, bückte er sich schnell und griff beherzt zu.

„Loslassen, loslassen!“ schrie der Gnom, der kaum größer war als Harrys Hand, mit feiner Fistelstimme und zappelte und wand sich, um sich aus Harrys festem Griff zu befreien.

„Was machst du hier?“ fragte Harry.

„Was ich hier mache? Ich sitze friedlich unter der Rose und dann kommst du und packst mich! Was soll das? Ich hab gar nichts gemacht!“ fiepste der Gnom.

„Hier gibt es sonst keine Gnome!“ sagte Harry leise, während er mit dem Gnom in der Hand in den Schatten des Hauses trat. „Du kannst nicht hier sein. Es gibt einen Zauber, der Wesen wie dich hier fernhält!“

„Gibt es nicht!“ rief der Gnom.

„Doch natürlich!“

„Nein, gibt es nicht mehr. Ist seit ein paar Tagen wieder offen!“

Der Gnom grinste frech.

„Wie? Ist wieder offen? Woher weißt du das?“ fragte Harry erstaunt.

„Piekst nicht mehr!“ piepste der Gnom und schien sich wirklich zu freuen.

„Weißt du, wie das gekommen ist?“

„Klar.“

„Und wie?“

„Sag ich nicht!“

„Warum?“

„Sag ich nicht! Lass mich los!“

Wieder begann der Gnom zu zappeln. Harry hob ihn hoch und schaute dem Gnom in sein hässliches, verschrumpeltes Gesichtchen. Der Gnom streckte ihm die Zunge heraus.

„Wirst du nie draufkommen!“ höhnte der Gnom und ließ ein leises Kichern hören.

„Warum bist du so frech zu mir?“ fragte Harry entrüstet.

„Weil du kein Muggel bist!“

„Das ist doch noch lange kein Grund...“

„Dochdochdoch! Muggel sehen uns nicht. Und Ihr packt uns immer uns schmeißt uns aus dem Garten raus. Meinst du, es macht Spaß, so weit zu fliegen?“

„Oh.“

„Nein, es macht keinen Spaß! Und drum sage ich dir auch nicht, dass ein großer Zauberer gekommen ist und den Schutz von eurem Garten genommen hat!“

„Ach, ein großer Zauberer?“ Harry begann neugierig zu werden.

„Ohohoh, Tug hat sich verplappert! Doofer Tug!“

„Tug heißt du also?“

„Ohohoh, Tug hat seinen Namen gesagt!“

Der Gnom war schier entsetzt. Harry wusste, dass Gnomen ziemlich dumme Wesen waren. Aber er hatte sich noch nie sonderlich mit ihnen befasst. Genauer gesagt, er wusste nichts über Gnomen, außer, dass sie die Gärten bevölkerten und, obwohl sie wussten, dass Zauberer ihre Gärten regelmäßig entgnomten, sie sich ausgerechnet und immer wieder in Zauberergärten niederließen. Offensichtlich fühlten sie sich von Magie angezogen, was für ein magisches Wesen ja auch kein Wunder war.

„Ok, Tug, ist ja nicht sonderlich schlimm, dass ich jetzt deinen Namen weiß. Ich heiße übrigens Harry!“

„Ich weiß, ich weiß. Harry Potter, weiß ich.“ Der Gnom verzog sein Gesicht in Falten, so dass es noch zerknautschter aussah. „Drum kam ja auch der große Zauberer!“

„Der kam wegen mir?“

„Jajaja!“

Wieder zappelte der Gnom und versuchte, aus Harrys Hand zu entwischen. Harry hielt ihn aber fest.

„Wer war der große Zauberer?“

„Weiß ich’s?“ antwortete der Gnom unwirsch.

„Ich glaube schon!“

„Nixweissich! Gaaaanix!“

„Oh doch. Und ich glaube, du wirst es mir jetzt sagen!“ Harry wurde langsam ärgerlich. „Sonst erzähle ich jedem Zauberer, dass in unserem Garten ein Gnom mit dem Namen Tug wohnt!“

„Ohneinohnein! Nur nicht erzählen! Sonst kann jeder Tug verzaubern!“

„Ach, und wenn die Zauberer deinen Namen nicht wissen, können sie das nicht?“

„Nein, ätsch!“

Langsam wurde Harry klar, was es mit den Gnomen auf sich hatte. Natürlich, Zauberer sprachen nie mit Gnomen. Man warf sie nur weg. So konnten sie auch nie ihre Namen herausfinden. Und auch nicht, dass man Gnomen offensichtlich nur verzaubern kann, wenn man ihre Namen wusste. Wie dumm dieser Gnom doch war, wenn er all diese Geheimnisse preisgab.

„Also Tug, jetzt sage mir bitte, welcher Zauberer es war.“

„Tug kennt seinen Namen nicht!“

„Dann beschreib ihn mir doch!“

„Der Zauberer hatte einen spitzen Hut!“

„Das hat jeder Zauberer! Wie sah er denn aus?“

„Groß! Alle Zauberer sind groß!“

„Ja, schon, aber unterschiedlich!“

„Nein alle Zauberer sind groß!“

„Was hatte er den sonst an?“

„Einen langen schwarzen Umhang!“

„Das haben auch alle Zauberer an. Du willst es mir nicht sagen, stimmt’s?“

„Wieso? Ich sage dir doch alles, was ich weiß!“

So ging das nicht weiter. Langsam waren Harrys Nerven gespannt wie Drahtseile. Der Gnom ging ihm auf die Nerven.

„Ich denke, ich werde doch allen Zauberern erzählen, dass...“

„Neinnein!“ unterbrach ihn Tug, „Ich sage doch alles was ich weiß!“ Tug schien den Tränen nahe zu sein. „Der Zauberer war groß und hatte einen schwarzen Umhang an. Und da war noch ein Zauberer. Der war auch groß“ sprudelte er hervor. Er schien wirklich Angst zu haben, dass Harry ihn verriet.

„Zwei Zauberer!?“

„Ja, und der Eine sagte immer ‚Lord’ zu dem anderen!“

Harry erschrak. ‚Lord’ wurde nur einer genannt, den er kannte. Das war der ‚dunkle Lord’, Lord Voldemort.

„Hieß der Andere vielleicht ‚Wurmschwanz?“ fragte Harry aufgeregt.

„Weiß nicht...der Erste hat kaum gesprochen. Der hat nur etwas gemurmelt. Und hat etwas verstreut.“

„Was hat der verstreut?“

„Weißes Pulver, um die Hecke. Und das hat geleuchtet!“

„Wann war das denn?“ fragte Harry und fühlte sich mit einem mal sehr unwohl.

„Zwei mal Tag und eine Nacht und noch eine halbe Nacht. Mehr weiß ich aber wirklich nicht.“

Harry ahnte, dass er nicht mehr aus dem Gnom herausbekommen würde. Gedankenverloren setzte er den Kleinen auf die Erde.

„Danke“ piepste es von unten.

„Äh, - was?“

„Danke, dass du mich nicht weggeworfen hast!“

„Äh, - ja!“

Harry wandte sich ab. Mit gesenktem Kopf und völlig in Gedanken ging er zur Veranda und ins Haus. Er bemerkte gar nicht, wie er die Treppe hinauf gekommen war, er fand sich plötzlich in seinem Zimmer und wusste keinen Rat. Wenn es stimmte, dass Voldemort es geschafft hatte, den Schutzzauber von Professor Dumbledore außer Kraft zu setzen, befand er sich in höchster Gefahr. Dann stand ein Angriff von Voldemort unmittelbar bevor. Vielleicht beobachtete der dunkle Lord das Haus um einen geeigneten Zeitpunkt heraus zu finden. Harry brauchte dringend Hilfe, aber wo sollte er diese herbekommen? Dumbledore Hagrid und Sirius waren wohl noch in den Karpaten, die Weasleys waren wohl noch nicht auf dem Weg nach Hause, und wie hätten sie ihm auch helfen können? Wie konnte er Hilfe holen? Hedwig war mit einem Brief unterwegs und es stand kaum zu erwarten, dass sie vor einer Woche ... Um Gottes Willen, wenn Voldemort gesehen hat, dass Harry einen Brief... dann hat er bestimmt Hedwig abgefangen... und weiß, dass keiner da ist...

Harry musste von hier verschwinden, so schnell wie möglich. Und so unauffällig wie möglich. Aber wo sollte er hin gehen. Zu Hermine? Nein, er konnte sie und ihre Eltern nicht mit hineinziehen. Sirius, Dumbledore und Hagrid kamen auch nicht in Frage, er wusste nicht wo er sie finden sollte. Er konnte auch keinen benachrichtigen, solange Hedwig nicht zurück war, wenn er sie jemals wiedersehen würde. Vielleicht sollte er auf gut Glück versuchen in den Fuchsbau zu kommen. Womöglich waren die Weasleys schon da, und wenn Hedwig abgefangen worden war, konnten sie keine Nachricht von ihm erhalten haben. Manchmal verfluchte er die Zaubererwelt, denn nichts wäre einfacher gewesen, als zum Telefonhörer zu greifen, und die Weasleys anzurufen, wenn sie ein Telefon hätten. Vater Weasley hatte zwar einen Telefonapparat, aber er hatte ihn nur vom Müll eingesammelt. Er sammelte ja Muggel-Artefacte, um sie zu studieren. Harry erinnerte sich noch gut daran, wie Ron ihn einmal angerufen hatte und in den Hörer gebrüllt hatte, weil er annahm, dass man am Telefon über diese Entfernung so laut sprechen musste.

Telefon... natürlich! Er konnte wenigstens versuchen Hermine anzurufen und sich mit ihr beraten. Nein! Sie brächte es fertig, sich vor lauter Eifer in Gefahr zu bringen. Er musste versuchen, zu den Weasleys zu gelangen, und das, noch bevor es dunkel würde. Und er musste aus dem Haus gelangen, ohne dass irgendjemand, nicht einmal Lord Voldemort ihn sehen konnte. Vielleicht... Flohpulver...Harry musste in den Kamin der Dursleys gelangen. Das hieß, er musste die Bretter entfernen und ein Feuer machen. Wenn er dann noch seinen Tarnumhang überzog, würde selbst ein mächtiger Zauberer nur einen Wirbel im Rauch sehen. Das war es.

Tante Petunia war mit Dudley einkaufen. Onkel Vernon war das Problem. Bestimmt saß er im Wohnzimmer und las Zeitung. Harry schaute aus dem Fenster. Von Onkel Vernon war nichts zu sehen. Leise öffnete er seine Zimmertür und schlich die Treppe hinunter. Er hörte nichts. Die Tür zum Wohnzimmer war angelehnt. Harry stupste sie leicht an und spähte durch den Spalt. Das Wohnzimmer war leer. Er schob die Tür weiter auf uns sah in das Zimmer. Aha, Onkel Vernon saß auf der Veranda, zum Glück mit dem Rücken zu der großen Glastür und las wirklich Zeitung.

Mit ein wenig Glück könnte es vielleicht klappen. Er würde aber dafür zaubern müssen. Es durfte kein Laut zu Onkel Vernon durchdringen. Aber seine Erfahrung sagte ihm, dass er bisher noch keine ernsthaften Schwierigkeiten bekommen hatte, wenn er in Notsituationen gegen das Jugendzaubergesetz verstoßen hatte. Gut, dass er den Stille-Zauber gelernt hatte.

Harry schlich die Treppe hinauf, in sein Zimmer und löste das lose Brett im Fußboden. Er holte seinen Koffer heraus und warf seine Sachen, die er in den Ferien ausgepackt hatte hinein. Schnell streifte er sich seinen Umhang über und stopfte seinen Tarnumhang in seine Tasche. E nahm den Koffer, der inzwischen durch die Bücher ein beträchtliches Gewicht angenommen hatte und den leeren Käfig von Hedwig und schlich die Treppe wieder hinunter. Im Wohnzimmer angelangt, stellte er den Koffer und den Käfig neben den Kamin und rückte das elektrische Kaminfeuer beiseite. Dann holte er den Zauberstab heraus, schwang ihn durch die Luft und murmelte „Silens Camere“. Augenblicklich herrschte betäubende Stille im Raum.

‚Hoffentlich klappt es jetzt’, dachte Harry. Er richtete den Zauberstab auf das oberste Brett, mit dem der Kamin zugenagelt war und murmelte „Accio Brett“. Fast entgegen seiner Erwartung wurde das Brett herausgerissen und landete in seiner Hand. Es hatte offensichtlich genügt, dass er den Spruch gemurmelt hat, obwohl kein Laut aus seinem Mund gekommen war. ‚Das geht ja einfacher, als ich gedacht hätte’ freute sich Harry. Schnell hatte er die anderen Bretter gelöst und mit „Dividus“ zerkleinert. Er zerknüllte eine Zeitung, die er aus dem Ständer neben dem Kamin genommen hatte und stapelte das Holz darüber. „Incendio“ murmelte er, indem er mit dem Zauberstab auf das Holz deutete und eine kleine Flamme flackerte auf. ‚So, jetzt kann ich die Stille wieder aufheben.’ dachte Harry, schwang seinen Zauberstab und sagte „Finis Silens“.

Auf einmal war der Raum erfüllt mit dem Splittern von Holz, dem Kreischen der Nägel, die aus dem Holz gerissen wurden und dem Gemurmel von Harry „Accio Holz... Accio... Dividus... Incendio“. Nur dass diese Geräusche übernatürlich laut von den Wänden hallten als würden sie sich freuen, aus dem Gefängnis der Stille auszubrechen. Damit hatte Harry nicht gerechnet. Onkel Vernon schreckte hoch. Er sprang auf und starrte durch die Verandatür in das Wohnzimmer. Im gleichen Augenblick stieß Tante Petunia die Tür auf und kreischte „Harry, was treibst du da?!“ Harry hatte keine Zeit mehr, sich zu erschrecken. Schnell griff er in seine Tasche, holte die Dose mit Flohpulver heraus, öffnete sie und warf eine Priese in das Feuer. Es loderte sofort grün auf. Gleich holte er seinen Tarnumhang heraus und warf ihn sich über den Kopf.

„Accio Koffer, accio Käfig“ rief er und die beiden Gegenstände flogen in seine Hände. Mit einem Sprung war er im Feuer und rief „Zum Fuchsbau!“

Während er wie ein Wirbelwind durch den Kamin gesaugt wurde, konnte er gerade noch das Brüllen von Onkel Vernon, das hysterische Gekreische von Tante Petunia und das feige Wimmern von Dudley hören. Dann war um ihn her nur noch ein Sausen und Wirbeln.


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Harry nahm schemenhaft wahr, wie die Landschaft unter ihm dahinraste. ‚Gleich bin ich im Fuchsbau!’ dachte Harry als er meinte, das verwinkelte Haus der Weasleys zu erkennen. Sogleich schien er auch schon auf das Dach des Hauses zuzusteuern. Er fühlte den Schornstein näher kommen und das Sausen und wirbeln wurde etwas schwächer. Es wurde dunkel, was ihm sagte, dass er in den Schornstein eingetaucht war. Mit einem Mal prallte er schmerzlich gegen eine unsichtbare Sperre und wurde auf der Stelle immer schneller um seine eigene Achse geschleudert. Er spürte, wie die rauen schwarzen Wände des Schornsteins seine Haut aufrissen. Krampfhaft klammerte er sich an Koffer und Käfig.

‚Was ist hier los!!?’ dachte Harry entsetzt. ‚Mist, Ron ist noch nicht da und sie haben einen Sperrzauber in den Kamin gelegt.! Was mach ich denn bloß...?’

Das Wirbeln wurde immer stärker und Harry wurde bewusst, dass die Energie nicht abfließen konnte. Er ahnte, dass er der Kraft nicht mehr lange würde standhalten können.

‚Ich muss weg hier, aber sofort! Aua! Hilfe, was kann ich tun!?’

Immer wieder stieß er mit seinem Kopf gegen die unsichtbare Sperre. Jedes Mal wurde der Wirbel stärker und stärker. Ruß und Staub drangen ihm in die Nase und erschwerten ihm das Atmen. Fieberhaft überlegte Harry. Er erinnerte sich an seine erste Höllenfahrt, die ihn in die Winkelgasse führen sollte, die aber in dem Kamin des Ladens für Gegenstände der dunklen Magie in der Nokturnegasse endete.

„ Wiinkelgassssseeeeeeeeeeee“! schrie Harry.

Augenblicklich schoss er aus dem Kamin heraus und erhob sich wieder in die Lüfte. Sein Kopf dröhnte von den Schlägen, aber wenigstens konnte er jetzt freier atmen. Wieder begann der Ritt durch die Luft zurück in die Stadt. An der beginnenden Bebauung merkte Harry, dass er sich London näherte. Wieder wurde er in Richtung Boden gezogen, wirbelte auf einen Schornstein zu und im nächsten Augenblick landete er mit einem „Ploff“ in der kalten Asche eines Kamins. Harry rappelte sich hoch und sah an sich herunter. Er war über und über mit Russ bedeckt, sein Umhang hing in Fetzen von ihm herunter und seine Arme waren vollkommen zerschrammt. Harry bückte sich und hob seine Brille auf, die ihm beim Aufprall von der Nase gerutscht war. Auch sein Tarnumhang lag in der Asche, er musste ihm wohl auch heruntergerutscht sein. Seltsamerweise war er vollkommen unbeschädigt. Harry bog seine Brille zurecht und setzte sie, nachdem er die Gläser mit einem Taschentuch gereinigt hatte wieder auf seine Nase. Er nahm seinen Koffer und Hedwigs Käfig und trat aus dem Kamin heraus.

Er befand sich in einem Raum mit dunkel-wohliger Atmosphäre. Durch eine Tür fiel etwas gedämpftes Licht herein und Harry konnte eine Reihe länglicher Schachteln in einem großen Regal erkennen. An einem mit Fensterläden verschlossenen Fenster stand ein alter eichener Schreibtisch auf dem geordnet Papiere lagen, davor ein lederbezogener alter Holz-Drehstuhl. In anderen Regalen sah Harry Mengen von alten, Ledergebundenen Büchern. Ein orientalischer Teppich dämpfte seine Schritte. Harry stellte Koffer und Käfig ab, schlich leise zur Tür und blickte durch den Spalt in den Nachbarraum. Ein kurzer Flur wurde durch einen halb zurückgeschobenen schweren Vorhang abgeschlossen. Harry ging vorsichtig durch den Flur und versteckte sich in den Falten des Vorhangs. Er zog den ihn leicht beiseite und spähte in den Raum, der sich hinter ihm verbarg. Der Raum gehörte zu einem Laden, der die gleiche dunkle, aber warme Atmosphäre zeigte wie das Büro, in dem er gelandet war. Einen meter vor dem Vorhang stand eine breite Ladentheke mit Regalbrettern, die mit ebensolchen länglichen Schachteln bestückt waren. Ringsum an den Wänden verliefen Regale, die bis zur Decke reichten und am oberen Ende eine umlaufende Schiene hatten, an der man eine Leiter verschieben konnte. Auch im Ladenlokal bedeckte ein großer orientalischer Teppich den Boden. Auf diesem Teppich standen bequeme Ledersessel, die noch aus der viktorianischen Zeit zu stammen schienen. Ein reich verzierter Messing-Glastisch stand zwischen den Sesseln. Harry erkannte den Laden. Es war der Laden von Ollivander, Lieferant für alle Arten von Zauberstäben. Mr. Ollivander stand gerade mit einem Kunden in der Nähe der Ladentür. Beide hatten sich zut Tür gewandt. Offensichtlich verabschiedete Mr. Ollivander gerade den Kunden.

„Ich danke Ihnen für die Beratung Mr. Ollivander.“, sagte der Kunde und streckte dem alten Herrn seine Hand hin. „Ich denke, ich werde in den nächsten Tagen mit meinem Sohn wiederkommen, und dann werden wir schon den richtigen Stab für ihn finden.“

„Ja, es tut mir leid, daß ich Ihnen bezüglich Ihres Familienerbstückes nichts besseres sagen konnte, aber der Junge wird nur Probleme mit dem alten Stab bekommen. Nunja, wenn man die Arbeit Ihres Großvaters betrachtet, dann ist es auch kein Wunder, daß der Stab so gelitten hat.“

Mr. Ollivander öffnete die Tür und der Kunde nickte im Hinausgehend Herrn Ollivander freundlich zu.

„Auf wiedersehen, Excelenz.“, sagte Mr. Ollivander.

„Auf wiedersehen, Mr. Ollivander, bis nächste Woche.“

Mr. Ollivander schloss die Ladentür. Das leise Klingeln der Türglocke war zu hören. Lächelnd drehte sich Mr. Ollivander um und ging auf die Ladentheke zu.

Harry überlegte, ob er sich verstecken sollte, konnte aber auf die Schnelle keinen geeigneten Platz finden, also trat er ein paar Schritte zurück und blieb mitten auf dem Teppich stehen. Von Mr. Ollivander ging keine Gefahr aus und Harry war sich sicher, sein unvermutetes Auftauchen hinreichend erklären zu können.

Die Tür wurde aufgestoßen und Mr. Ollivander trat in den Raum. Zuerst bemerkte er Harry nicht, sondern ging gerade auf seinen Schreibtisch zu und ließ sich mit einem Seufzer in seinen Schreibtischstuhl fallen. Er beugte sich zu der Messinglampe, die auf dem Schreibtisch stand, hinüber und knipste sie an.

Harry räusperte sich. Mr. Ollivander horchte auf und wandte langsam seinen Kopf. Er sah müde aus, Harry hatte den Eindruck, dass tiefe Falten sein Gesicht durchzogen. Mr. Ollivanders Blick ruhte eine Weile auf Harry und Harry blickte verlegen auf den Boden.

„Was kann ich für Sie tun, junger Mann?“ fragte Mr. Ollivander und erhob sich ächzend.

„Entschuldigen Sie mein Eindringen, Mr. Ollivander.“ sagte Harry leise. Er spürte, dass es dem freundlichen alten Herrn nicht gut ging. „Ich hatte einen kleinen Unfall mit dem Flohpulver...“

„Kenne ich Sie nicht... Moment, Sie sind... ja... der junge Potter, Harry Potter... Wir trafen und im letzten Jahr bei der Eichung der Zauberstäbe... Sie haben ein besonders schönes Stück, einen der beiden mit der Phoenix-Feder...“

Mr. Ollivander schien etwas abwesend zu sein. Er tat Harry leid. Wie hatte er sich verändert seit dem letzten Treffen. Seine ganze Haltung war in sich zusammengesunken, als hätte er keine Kraft mehr und sein Blick drückte tiefe Sorgen aus.Harry erinnerte sich an das Treffen, als wäre es gestern gewesen.

„Ja, Sie sagten, Lord Voldemort hätte den anderen. Das war mein Glück...“

Mr. Ollivander erschrak bei der Nennung des Namens, der nicht ausgesprochen werden durfte, fasste sich aber schnell und lächelte. „Ich bewundere Ihren Mut, junger Herr Potter. Keiner außer Ihnen würde es wagen so frei von ‚Sie wissen schon wem’ zu reden. Wie geht es Ihnen?“

„Danke, gut...“ sagte Harry und wurde sich im nächsten Augenblick bewusst, dass es ihm nicht gut ging. Er wollte Mr. Ollivander nicht aus lauter Höflichkeit belügen.„Nein, es geht mir nicht gut.!“

„Oh...ja, ich sehe. Keine Sorge, die Kratzer verheilen wieder und auch den Umhang kann man ersetzen.“

„Nein, das meine ich nicht. Ich weiß im Moment nicht, wo ich hin soll.“

„Sind Sie von Zuhause fortgelaufen?“

„Ja,..Nein, das kann man nicht so sagen...“

„Kommen Sie, ich hole Ihnen einen Stuhl und Sie erzählen mir was passiert ist. Möchten Sie einen Tee?“

„Ja danke, Mr. Ollivander, sehr gerne.“ Der Staub und der Russ hatten ihm eine trockene Kehle gemacht.

„Warten Sie, ich bin gleich wieder da.“, sagte Mr. Ollivander, verschwand im Laden und kam gleich wieder mit einem Stuhl zurück. Er stellte ihn an die Seite des Schreibtisches.

„Setzen Sie sich, ich hole noch eben den Tee.“

Wieder ging Mr. Ollivander in den Laden und holte ein Tablett mit zwei Tassen, Milch und Zucker und einer großen Thermoskanne herein. Auf dem Tablett lag auch noch ein feuchter Waschlappen, den Mr. Ollivander Harry reichte.

„Ich glaube, den können Sie jetzt brauchen.“

„Danke.“ murmelte Harry und wischte sich Gesicht und Arme ab. Mr. Ollivander schenkte Tee in die zwei Tassen und schob Harry eine der Tassen und die Zuckerdose mit Milchkanne hin. Harry goß etwas Milch in seinen Tee und setzte sich. Begierig schlürfte er einen Schluck von dem warmen Getränk und fühlte die belebende Wirkung in sich hinunterrinnen.

„Nun erzählen Sie mal.“, forderte ihn Mr. Ollivander auf und Harry begann zu erzählen. Von dem Brief, von dem Gespräch mit dem Gartengnom, von seinen Befürchtungen und von seiner Reise mit dem Flohpulver. Mr. Ollivander nickte ab und zu und sah Harry interessiert an. Als Harry schließlich geendet hatte und den letzten Schluck Tee getrunken hatte sagte Mr. Ollivander:

„Ja,ja. Wir gehen auf schwere Zeiten zu. Bei Ihren Verwandten haben Sie sicher nicht viel von dem mitbekommen, was sich in der Zaubererwelt in den letzten 8 Wochen geändert hat. Nicht einmal hier in der Winkelgasse ist man mehr sicher. Noch einen?“

Mr. Ollivander hob die Thermoskanne und deutete auf Harrys Tasse. Harry nickte.

„Wissen Sie, seit ‚Sie wissen schon wer’ wieder zur alten Macht gekommen ist, trauen sich die Todesser wieder auf die Straße. Sie wissen ja, dass die Todesser muggelstämmige Zauberer mit Vorliebe verfolgen. Seit 2 Monaten patrouillieren sie in Zweiergruppen durch die Winkelgasse. Wird ein Muggelstämmiger erkannt, wird er sofort drangsaliert und aus der Winkelgasse hinausgeekelt.“

Harry musste an Hermine denken. Was wird sie in der nächsten Zeit mitmachen? Draco Malfoy hatte in den letzten Jahren keine Gelegenheit ausgelassen, sie zu ärgern und zu beleidigen. Es war so gut wie sicher, dass die Malfoys ihr Scherflein dazu beitragen würden, zumal die Malfoys zur ersten Garde der Todessen zu gehören schienen. Draco konnte jetzt auftrumpfen und, wenn da nicht wenigstens Professor Dumbledore und die Lehrerschaft von Hogwarts wären völlig unbehelligt agieren. Alle Zauberer hatten Angst vor Voldemort und seinen Todessern.

„Wird ein Händler dabei erwischt, einen Muggelstämmigen zu bedienen,“ fuhr Mr. Ollivander fort, „wir er geschlagen, wenn er Pech hat, wird sein Laden verwüstet und tagelang steht eine Todesser-Patrouillie vor dem Geschäft und hindert die Zauberer, hinein zu gehen. Sie rufen dann ‚Zauberer, kauft nicht in dem Laden, hier bedient man Schlammblüter!’“

„Das ist ja schrecklich...“ entfuhr es Harry.

„Ja, das ist es. Ich habe zwar bislang Glück gehabt, vielleicht, weil ich ein so altes Geschäft betreibe, immerhin gibt es uns seit 382 vor Christi Geburt und alle meine Vorfahren waren reinblütig..., aber ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit, wann ich auch dran bin. Ich denke mit Schrecken an den Tag, an dem die Erstklässler alle kommen. Viele haben heute wenigstens einen Muggel bei seinen Eltern“

Mr. Ollivander machte eine Pause und starrte gedankenverloren auf sein Bücherregal. „Ja, und die Geschäfte gehen auch sehr schlecht, seit dem denkwürdigen Tag. Es traut sich kaum noch einer in die Öffentlichkeit. Ein dunkler Schatten liegt über unserer Welt, Mr. Potter.“

„Können wir den nichts dagegen tun?“

„Mein Junge, die Geschichte, und gerade die Geschichte der Muggel hat immer wieder gezeigt, wie machtlos ein Volk den Tyrannen ausgeliefert ist.“ Wieder machte Mr. Ollivander eine Pause.

„Aber Sie hatten vorhin gesagt, Sie wüssten nicht, wohin?“

„Ja, und ich habe das Gefühl, es wird sehr schwierig für mich, einen Ort zu finden, an dem ich mich verstecken kann, bis die Schule wieder beginnt.“

„Hm. Hier bleiben können Sie keinesfalls. Ich habe nur noch dieses und mein Schlafzimmer, es wäre zu klein, auch wenn ich durchaus bereit wäre, alles für Sie zu tun. Lassen Sie mich nachdenken.“

Mr. Ollivander stützte sein Kinn in die Hand und schwieg. Harry hielt beinahe die Luft an, nur um Mr. Ollivander nicht zu unterbrechen. Er hatte nicht die geringste Idee, wohin er sich wenden sollte und verlor langsam seinen Mut. Er wusste, sollte er jemals in die Hände der Todesser geraten, wäre es um ihn geschehen. Seine Freunde waren unerreichbar für ihn und bisher war er nur mit Hilfe seiner Freunde dem dunklen Lord entkommen.

„Es müsste ein vollkommen integrer Zauberer mit sauberem Stammbaum sein...“ überlegte Mr. Ollivander, „Ein Zauberer, der auf der Seite des Ministeriums steht, aber noch nicht dafür in Erscheinung getreten ist...Ja, das könnte es sein...Warten Sie!“

Mr. Ollivander stand auf und ging zu seinem Kamin. Er kramte etwas trockenes Holz aus einer Kiste, die neben dem Kamin stand und entfachte mit seinem Zauberstab ein kleines Feuer. Dann ging er zu seinem Bücherregal und holte eine kleine Schachtel aus einem der oberen Fächer. Er öffnete die Schachtel und nahm eine Prise von einem blauen Pulver heraus, das er ins Feuer streute. Das Feuer loderte violett auf und löste sich von dem Holz. Die Flammen erhoben sich auf die Höhe von Mr. Ollivanders Gesicht und schwebten in dieser Höhe im Kamin.

Mr. Ollivander trat in den Kamin und sagte, auf das Feuer gerichtet: „Henri Perpignan.“ Dann streckte er seinen Kopf in die Flammen.

„Hallo Henri!“, hörte Harry Mr. Ollivanders Stimme wie durch einen langen Tunnel.

„Hallo George!“, ertönte eine andere Stimme, die noch entfernter klang.

„Henri, kennst du den Namen Potter?“

„Ja, ist das nicht die tragische Geschichte von James und Lilly, die von ‚du weißt schon wem’ ermordet wurden?“

„Ja, genau. Hör zu. Ich möchte Dich um einen Gefallen bitten. Der junge Potter ist hier bei mir und er steckt in großen Schwierigkeiten. Ich bin auf der Suche nach einer Bleibe für ihn, für vielleicht 3 bis 4 Wochen.“

„Und da hast du an mich gedacht?“

„Ja...Ich kenne Dich nun schon fast 50 Jahre und ich glaube, er ist bei Dir in Sicherheit. Es geht nur darum, dass er untertauchen kann, bis er wieder sicher in Hogwarts ist. Würdest du das für mich tun?“

„Das ist eine sehr gefährliche Angelegenheit für mich, mein lieber George...“

„Ich weiß, Henri, aber du weißt nicht, was hier inzwischen los ist. Die Todesser agieren jetzt vollkommen öffentlich. Sie haben ein neues Selbstbewusstsein und treten gerne in der Winkelgasse auf. Sie wissen, dass man hier oft Gegner der Todesser oder Muggelstämmige findet. Sie durchstreifen die Winkelgasse nach belieben, kommen in die Läden und wehe, sie finden einen. Versteh bitte, dass Potter hier in höchster Gefahr ist. Anders sieht es schon auf Deinem Landsitz aus. Wer interessiert sich schon für Dich, außer Deinen alten Freunden?“

„Du hast Recht, George. Wie lange hab ich Zeit, mich zu entscheiden?“

„Zehn Sekunden... nun ja, ich wäre Dir dankbar, wenn ich Dir den jungen Potter so schnell wie möglich schicken könnte.“

„Also gut...aber dann habe ich was gut bei Dir?!“

„Jederzeit. Danke Henri, ich wusste, ich kann mich auf Dich verlassen. Behandle ihn gut. Ich schicke ihn Dir noch heute.“

Mr. Ollivander zog seinen Kopf aus den Flammen. Er war vollkommen unversehrt und Harry begriff, dass das Kopf-Ei, das er von Ludo Bagman im Kamin der Weasleys gesehen hatte, auf diese Weise zustande gekommen war.

Mr. Ollivander wandte sich wieder Harry zu.

„Henri Perpignan ist ein alter Freund von mir. Wir kamen im gleichen Jahr nach Hogwarts, er zu den Ravenclaws und ich war bei den Hufflepuffs. Wir hatten zusammen ‚Zaubertränke’, damals noch bei Professor McDullmoore. Wir hatten als Jungens eine Menge Spaß und McDullmoore war immer etwas schusselig. Lag wohl an dem Whiskey, seine Familie hatte eine eigene Brennerei auf Islay. Aber ich glaube, das gehört nicht hierher... Jedenfalls ist Henri ein guter Freund, der mich noch nie im Stich gelassen hat. Er hat ein Landgut oben bei Newcastle, eine gottverlassene Gegend, in die sich kaum ein Zauberer hin verirrt. Ich kann mir denken, dass auch ‚Sie wissen schon wer’ sich um diese Gegend nicht schert. Da werde ich Sie unterbringen.“

„Ich muss aber noch Schulbücher und all den Kram holen.“

„Keine Sorge. Geben Sie mir das Geld, und ich schicke einen Jungen aus der Nachbarschaft einkaufen. Er hat das schon öfter für mich gemacht, wissen Sie, ich helfe Muggelstämmigen, die sich nicht in die Winkelgasse trauen.“

„Danke, Mr. Ollivanders. Ich weiß nicht, wie ich ihnen das vergelten kann.“

„Lassen Sie mal gut sein. Ich weiß, für wen ich das tue. Vielleicht können Sie mir ja auch mal helfen. Halt, da fällt mir noch etwas ein. Vor 3 Wochen hatte ich einen seltsamen Kunden in meinem Laden. Jemanden, den ich kenne, den ich aber für tot gehalten habe. Wenn mich nicht alles täuscht, war es einer der engsten Vertrauten von ‚Sie wissen schon wem’. Kennen Sie einen kleinen Kerl mit rattigem Gesicht?“

„Peter Pettigrew?“

„Genau. Das seltsame war, dass er einen Zauberstab gekauft hat. Er hat einen genommen, von dem ich genau weiß, das er niemals damit zurecht kommen würde. Dieser Zauberstab hat einen Kern aus Drachensteinpulver, von einem Ungarischen Hornschwanz. Ein sehr mächtiger Zauberstab, eigentlich nur geeignet, von höchst ausgebildeten Zauberern benutzt zu werden. Und wenn ich mich recht erinnere, hatte Pettigrew den Ruf, ein miserabler Zauberer zu sein. Außerdem hatte er einen Zauberstab bei sich, ich muss also annehmen, dass der Stab für jemanden anderen war. Sie erinnern sich, dass der dunkle Lord das Gegenstück zu ihrem Stab hat?“

„Ja, als er gegen mich den Todesfluch sprechen wollte, ist was ganz seltsames passiert....“

„Ich weiß. Könnte es sein, dass der dunkle Lord für den Kampf gegen Sie einen anderen Zauberstab benötigt, der zum Einen mächtig genug ist für seine Hand und zum Anderen nicht von Ihrem Zauberstab in der Wirkung beeinträchtigt wird? Ich rate Ihnen, Mr. Potter, seien Sie auf der Hut. Dieser Zauberstab ist äußerst gefährlich in der Hand eines dunklen Magiers. Sie werden mächtige Freunde brauchen, um dagegen anzukommen.“

Harry nickte. Er war sich der Gefahr, in der er schwebte, durchaus bewust.

„Was ist eigentlich ein Drachenstein?“, fragte Harry.

„Ein Drachenstein ist ein taubeneigroßer roter Kristall, der unterhalb des Stammhirnes eines Drachen liegt. Sie können sich vorstellen, dass es nicht einfach ist, an einen solchen Drachenstein zu kommen, zumal man einen Drachen dafür töten muss. Der Drachenstein dieses Zauberstabes stammt von einem Ungarischen Hornschwanz. Ein äußerst schreckliches Ungetüm.“

„Ich weiß.“, sagte Harry. „Ich mußte im Trimagischen Turnier ein goldenes Ei aus seinem Gelege holen. Aber, wenn Voldemort jetzt einen solchen Zauberstab hat, könnte ich mich nicht dadurch schützen, wenn ich bei Ihnen auch einen mit dem Drachensteinpulver kaufe?“

„Oh nein, mein junger Freund! Sie haben sich damals einen ganz besonderen Zauberstab ausgesucht. Der und kein anderer ist für Sie geeignet. Und ich befürchte, Sie sind einfach noch zu jung und müssen noch zu viel lernen, um Ihren Zauberstab zu wechseln. Dafür müssen Sie äußerst sicher mit den Sprüchen umgehen können, sonst können die größten Katastrophen passieren, nicht zuletzt zu Ihrem eigenen Schaden. Und bedenken Sie: Der Phoenix hat Ihnen schon mehrmals geholfen. Was meinen Sie, woran das gelegen hat? Letztendlich muss ich zu meinem Bedauern auch noch sagen, das dieser Zauberstab mit dem Drachensteinpulver einzigartig auf der Welt ist. Er ist so alt wie Hogwarts und gehörte einem der Gründer. Salazar Slytherin!“

Harry schluckte. Ihm war soeben bewusst geworden, welche Waffe Lord Voldemort nun besaß. Am liebsten würde er sich sofort in ein Mauseloch verkriechen.

„Ich werde eben zu dem Nachbarsjungen gehen. Geben Sie mir die Liste, Mr. Potter?“

„Natürlich!“ stotterte Harry und begann in seiner Tasche nach dem Zettel zu kramen. Er zog seine Börse heraus und reichte Mr. Ollivander ein Goldstück und die Liste. Mr. Ollivander verließ den Laden und kam nach wenigen Augenblicken wieder zurück.

„Wir brauchen nur noch eine halbe Stunde zu warten!“, lächelte er. „Möchten Sie noch eine Tasse Tee?“

Harry nutzte die Pause, um sich und seine Wunden auf Vordermann zu bringen. Er hatte noch etwas Wundsalbe für kleinere Verletzungen, die man sich bei Madame Pomfrey, der Krankenschwester von Hogwarts in beliebigen Mengen holen konnte. Harry hatte immer einen kleinen Vorrat, denn er kannte sich nur zu gut. Aus seinem Koffer suchte er sich einen sauberen Umhang und zog den zerrissenen aus. Mr. Ollivander brachte ihn direkt in den Müll. Nach ein paar Minuten sah Harry fast wieder normal aus. Die Wunden begannen schon zu heilen und der Ruß war von seinen Kleidern, Händen und dem Gesicht entfernt.

Nach einer halben Stunde ertönte die Türglocke. Einen Augenblick später kam ein verschwitzter, vielleicht zehnjähriger Junge mit hochrotem Kopf durch die Tür ins Büro. Er schleppte eine Stofftasche, die prall mit Büchern und Päckchen gefüllt war.

„Hallo Mr. Ollivander!“, sagte der Junge, liess die Tasche auf den Boden sinken und schnaufte tief. „Mächtig heiß heute!“

„Hallo John!“, sagte Mr. Ollivander, stand auf und klopfte dem Jungen auf die Schulter. „Setz dich erst mal. Möchtest du etwas trinken?“

„Oh ja!“, sagte John und ließ sich in den Schreibtischstuhl fallen. Seine Beine reichten nicht ganz bis zum Boden. Er legte seine Hände in den Schoß, baumelte mit den Füßen und sah Harry neugierig an.

„Das ist John,“, sagte Mr. Ollivander zu Harry gewandt, „er macht immer mal wieder Besorgungen für mich. John, darf ich dir Harry Potter vorstellen?“

„Das ist Harry Potter? Hallo Mr. Potter! Freut mich!“

Johns Gesicht leuchtete auf. „Ich kanns nicht fassen...“, murmelte er.

„Hallo John.“, sagte Harry und streckte ihm die Hand hin. „Vielen Dank. Du hast ja ganz schön zu Schleppen gehabt.“

Mr. Ollivander verließ das Büro um etwas zu Trinken für den Jungen zu holen. Aufgeregt starrte John Harry an. Harry fühlte sich etwas unwohl. Er kannte den Jungen nicht, hatte aber das Gefühl irgend etwas sagen zu müssen. Fieberhaft überlegte er, was er mit dem Jungen reden konnte.

„Gehst du auch schon nach Hogwarts?“ fragte er.

„Nö, aber ich hab schon einen Brief bekommen und werde dieses Jahr eingeschult. Sind Sie auch in Hogwarts?“

„Ja!“

„Mönsch, das ist ja toll. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Sie sind echt berühmt. Echt stark...“

Harry grinste. Zum ersten mal machte es ihm nichts aus, wegen seines Namens bewundert zu werden. Der Junge brachte das einfach zu drollig, und er war Harry auch viel sympathischer als Collin Creevy, einem etwas penetranten Bewunderer aus Hogwarts

„Wie Sie da auf dem Friedhof den ‚Sie wissen schon wen’ fertig gemacht haben...“

„Halt, halt. Ich habe ihn nicht fertig gemacht. Immerhin ist er jetzt wieder mit aller Macht da!“

„Ja, stimmt....War aber trotzdem toll. Ich hab alles gehört. Ich hätte Schiß bis unter die Achseln gehabt, wenn...“

„Das habe ich auch gehabt!“

„Das glaube ich nicht. Sie sind doch der große Harry Potter....“

„Nee! Ich bin auch nur ein Schüler. Ich habe verdammt viel Glück gehabt, daß ich da wieder rausgekommen bin.“

„Werden Sie ‚Sie wissen schon wen’ jetzt jagen?“ fragte John und sah Harry begeistert an.

„John, ich bin kein Held. Ich habe eher die Befürchtung, das Voldemort mich jagen wird.“

Der Junge erschrak bei der Nennung des Namens.

„Das dürfen Sie nicht sagen“, flüsterte er.

„Keine Sorge, das hat mir noch nie geschadet, dass ich den Namen gesagt habe. Wie ist denn die Stimmung da draußen?“ fragte Harry und nickte in Richtung Tür.

„Och, ist schon komisch. Die Leute reden nicht mehr so laut wie früher. Und sie huschen nur noch von einem Laden zum nächsten. Früher war hier noch gut was los. Wenn ich an die Eisdiele denke, da hat man doch sonst nie einen Platz bekommen. Jetzt stehen alle Tische leer. Ich hab immer auf der Mauer da Gegenüber gesessen und zugeschaut. Da hab ich alle möglichen Storys gehört. Aber jetzt... „

„Hast du Todesser in der Winkelgasse gesehen?“

„Klar Mann. Drum ist das hier ja so. Aber auf so nen Jungen wie mich achten die kaum. Da kann ich schon was mitkriegen. Die stehen immer zusammen, und tuscheln miteinander, oder gehen in die Gassen zwischen den Häusern. Einmal hab ich gehört, wie sie sagten ‚Bald gibt es keine Schlammblüter mehr hier.’ Und ganz fies gelacht ham se.“

„Hast du keine Angst vor den Todessern?“

„Vor denen? Ich kenn mich hier aus. Und wenn die mich fangen wollen, kriegen die mich nicht. Ich kenn hier so viele Verstecke...“

Mr. Ollivander kam mit einer Flasche Mineralwasser und einem Glas zurück.

„Hier mein Junge, trink erst mal was!“ sagte er und stellte die Flasche und das Glas auf den Schreibtisch. „Schauen Sie bitte nach, ob Sie alles zusammenhaben, Mr. Potter. Ich denke, es ist nicht ratsam, wenn Sie noch mal in die Winkelgasse zurückkehren, um etwas zu besorgen. Lassen Sie uns das lieber jetzt machen.!“

Harry öffnete die Tasche und verglich den Inhalt mit der Liste. Es fehlte nichts.

„Hier haben Sie das Restgeld.“, sagte John und hielt Harry eine Handvoll Sickel und Knuts hin.

„Nein, John, behalte es. Du hast etwas für mich riskiert, ich brauche es nicht.“

„Ich will es nicht.“, sagte John und legte das Geld auf den Schreibtisch. „Aber vielleicht können Sie mir ein Autogramm...?“

„Na klar. Aber mir fällt da was ein. Ich weiß nicht, ob du das tun willst, aber... du hast vorhin erzählt, daß du immer mal wieder was hörst.“

„Ich höre jeden Tag was. Die sind so dumm, die Todesser, daß sie sich ständig selber erzählen müssen, wie toll sie sind. Ich weiß schon einiges.“

„Hmmm, Mr. Ollivander, gibt es eine Möglichkeit, Nachrichten dorthin zu übermitteln, wo ich jetzt hingehe?“

„Sie haben ja gesehen, wie es geht, Mr. Potter. Das ist absolut sicher, die Verbindung besteht nur zwischen den beiden Gesprächspartnern und kann nicht abgehört werden. Und zur Sicherheit kann ich den Raum mit einem einfachen Zauber schützen. Was haben Sie vor?“

„Naja, ich dachte, ich will nicht, dass John jetzt die Todesser belauscht, aber wenn er ohnehin was mitbekommt, vielleicht sind ja wichtige Informationen dabei...“

„Das kann ich machen Sir!“, rief John begeistert. „Ich kann Mr. Ollivander alles erzählen, was ich höre und Mr. Ollivander kann das an Sie weitergeben. Klar helfe ich Ihnen.“

„John, ich möchte nicht, dass du dich in Gefahr begiebst. Nur wenn du zufällig was hörst, ja?“

„Mr. Potter! Ich hab doch gesagt, dass mich keiner kriegt. Machen Sie sich mal keine Sorge um mich.!“

„Sind Sie damit einverstanden, Mr. Ollivander?“

„Ich denke, Sie können sich auf John verlassen. Und wir bleiben dann in Kontakt, und wenn etwas wichtiges ist, rufen ich Sie an.“

Harry atmete auf. Die Ereignisse schienen sich ja durchaus positiv zu entwickeln. Er öffnete seinen Koffer und kramte nach einem Photo, das Collin Creevy gemacht hatte, als er beim Quiddich-Training zugesehen hatte. Er hatte das Photo später Harry geschenkt. Endlich hatte Harry eine gute Verwendung dafür gefunden. Er öffnete das Tintenfaß und schrieb mit der Feder seinen Namen drunter. Der Harry auf dem Photo kam auf seinem Besen angeflogen und versuchte herauszufinden, was Harry dort machte. Als er nichts sehen konnte, flog er enttäusche ein paar Loopings und zog sich in den Hintergrund des Photos zurück. John war begeistert. Er dankte Harry überschwenglich und steckte das Photo in eine zerfledderte Brieftasche, die er aus seiner Hosentasche geholt hatte.

„Sei vorsichtig,“, sagte Harry. „Wenn sie Dich mit dem Photo erwischen, könntest du Schwierigkeiten bekommen.“

„Nene, ich hab ein gutes Versteck dafür. Finden die nie!“

„Hier, und das Geld behältst du auch, ja?“

John wackelte mit dem Kopf hin und her, überlegte kurz und steckte dann das Geld ein.

„Ja, dann gehe ich mal...“, sagte John und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch mal um und winkte Harry zu.

„Tschüß, Mr. Potter. Sie können Sich auf mich verlassen, bestimmt!“

Er grinste freundlich und verschwand durch die Tür.

„Vielen Dank, John!“, rief Harry hinterher.

Mr. Ollivander ging zum Bücherregal und suchte nach einem bestimmten Buch.

„So, Mr. Potter, dann werden wir mal Ihre Abreise vorbereiten. Ich hab mir gedacht, es ist schneller und einfacher, wenn wir einen Portschlüssel nehmen. Mit Flohpulver wären Sie doch einige Zeit unterwegs und ich weiß, wie sehr man durchgeschüttelt wird.“

Harry nickte und begann die neuen Schulsachen in seinen Koffer zu quetschen. ‚Ich glaub, ich werde einige Sachen in der Schule lassen, der koffer wird langsam zu schwer.’ Dachte er bei sich. Mr. Ollivander hatte das Buch gefunden, was er suchte und blätterte darin herum.

„Hier ist es.“, sagte er und legte das Buch auf den Schreibtisch. „Sehen Sie, Mr. Potter, dieses ist mein persönlicher Portschlüssel, der mich nach Perpignans Place bringt. In der letzten Zeit habe ich ihn zwar nicht mehr benutzt, sie wissen, Reisen wird in meinem Alter langsam anstrengend, aber er wird funktionieren. Und in den tausenden von Seiten wird niemand auf die Idee kommen, daß sich dort ein Portschlüssel zu Ihnen befindet.“ Er wies miet weiter Geste auf das Bücherregal.

„Legen Sie einfach eine Hand auf das Bild, dann geht es los.“

Harry betrachtete das Bild. Es zeigte die Radierung eines alten Menhiren, der über und über mit Runenzeichen verziert war. An einigen Stellen schien das Bild etwas abgenutzt und speckig. Es mußte wohl schon oft benutzt worden sein.

„Sie waren oft in Perpignans Place?“, fragte Harry.

„Ja. Henri und ich sind sehr gute Freunde. Ist es da ein Wunder, dass man sich oft besucht? Und es ist sehr erholsam dort. Sie werden es sehen.“

„Ich danke Ihnen, Mr. Ollivander. Sie tun sehr viel für mich.“

„Das hat Tradition in unserer Familie. Schon damals, 1944...“

Harry reichte ihm stumm die Hand. Mr. Ollivander drückte sie mit beiden Händen.

„Viel Glück!“, sagte er.

Harry nahm mit einiger Mühe seinen Koffer und den Käfig in die linke Hand und legte seine Rechte auf die Zeichnung. Sofort hatte er das Gefühl, er würde mit einem Haken an seinem Bauchnabel gezogen. Das Büro verschwamm und begann sich rasend schnell zu drehen. Harry wurde empor gehoben und raste mit unglaublicher Beschleunigung durch eine farbige Spirale. Für einen Augenblick meinte Harry, die Sinne würden ihm schwinden, aber da wurde seine Fahrt schon langsamer und ehe er sich versah, landete er hart mit den Füßen auf dem Boden. Koffer und Käfig fielen aus seiner Hand und Harry überschlug sich. Benommen setzte er sich auf. Nachdem er seine Brille, die ihm von der Nase gerutscht war, wieder ertastet und aufgesetzt hatte, blickte er sich um.

Sein Koffer war aufgesprungen und hatte seinen Inhalt über einen Grasbuckel verstreut, der die Spitze eines Hügels bildete. Rings um den Grasbuckel waren Steine im Kreis zu einem niedrigen Wall aufgehäuft. Harry stand auf. Er hatte eine wunderbare Fernsicht. Wolken zogen wie eine Schafherde über den blauen Himmel. Unter ihm breitete sich eine kahle, hügelige, grasbewachsene Landschaft aus, und erst in einiger Entfernung sah er niedrige Hecken und Steinwälle, die offensichtlich Weiden begrenzten. Auf einer dieser Weiden graste eine Herde Kühe und das leise Läuten von Kuhglocken wurde durch den leichten Wind herüber getragen.

Am Horizont erkannte er einen jähen Felsenabbruch, hinter dem sich eine glatte Fläche auftat, die im schwachen Dunst lag. Es schien das Meer zu ein. ‚Ein Paradies’, dachte Harry, der noch nicht viel von der Welt gesehen hatte. Nie hatten ihn die Dursleys in Urlaub mitgenommen, meist waren sie nach Sussex gefahren und hatte ihn bei einer Nachbarin untergebracht. Vor Hogwarts war seine weiteste Reise in die Innenstadt von London gewesen, wenn es mal dringend erforderlich war, einen Arzt aufzusuchen, oder wenn er ausnahmsweise mal mit in den Zoo gehen durfte. Sonst war er ständig im Ligusterweg und der näheren Umgebung geblieben und war lange Zeit davon ausgegangen, daß die Welt aus gepflegten, spießigen Vorstadtsiedlungen bestand. Erst Hogwarts hatte ihn aus der kleinen Welt herausgerissen und gezeigt, dass es auch noch andere Landschaften gab. Oft hatte er sich gedacht, wenn er mit dem Hogwarts-Express zur Schule oder in die Ferien fuhr und die Landschaft an ihm vorbei zog, ‚Hier möchte ich mal hin.’.

Harry begann, seine Sachen wieder in den Koffer zu stopfen. Der Besen, den er unter die Lederriemen geschoben hatte, war Gott sei dank unbeschädigt. ‚Was nun?’, dachte Harry. Weit und breit war kein Haus oder irgendeine Person zu sehen. Hatte Mr. Ollivander ihn in die Wüste geschickt, um ihn los zu werden? Das konnte Harry nicht glauben. Er setzte sich auf den Koffer und wartete. Er genoß die Ruhe. Irgendwo in der Umgebung zirpte eine Grille und der Wind raschelte im hohen Gras. Es war warm, aber bei weitem nicht so heiß, wie in London. Das gleichmäßige Zirpen machte ihn schläfrig. Er versuchte dagegen anzukämpfen, aber er fühlte sich durch die ganze Aufregung sehr erschöpft. Die Augen fielen ihm zu. Er stützte seinen Kopf in die Hände. Es war unbequem. Er stieg von seinem Koffer und legte sich in das Gras. Wolken zogen über ihm hinweg. Irgendwann war er eingeschlafen.

„Mr. Potter?“

Eine tiefe Stimme ließ ihn hoch schrecken. Harry setzte sich auf und blinzelte in die Sonne. Vor ihm stand der Schatten eines großen Mannes mit Bart.

„Sie haben geschlafen. Entschuldigen Sie, dass ich Sie so lange warten ließ, eine Kuh hat gekalbt und ich mußte noch etwas helfen. Ich hoffe, Sie haben sich keine Sorgen gemacht. Mein Name ist Henri Perpignan.“

Der Mann streckte ihm die Hand hin. Harry rappelte sich hoch und nahm die Hand zur Begrüßung. „Harry...Harry Potter, sehr angenehm.“, stotterte er. „Guten Tag. Ich muß wohl wirklich eingeschlafen sein.“

„Kommen Sie, Mr. Potter. Bei mir zu Hause wartet eine heiße Tasse Tee, es ist kurz vor Fünf und wir werden noch eine Strecke fahren müssen. Darf ich Ihnen etwas abnehmen?“

„Äh,...Nein, das geht schon. Der Koffer ist schwer...“

„Gut, dann nehme ich den Käfig. Wo ist denn die Eule, die dort hineingehört? Ist sie auf der Reise verloren gegangen?“

„Nein, ich habe sie mit einem Brief nach Rumänien geschickt. Sie wird wohl noch ein paar Tage unterwegs sein.“

Sie stiegen über den kleinen Wall und folgten einem schmalen Trampelpfad den Hügel hinab. Unten stand ein zweirädriger Einspänner. Das Pferd graste friedlich. Als es die Beiden bemerkte, hob es den Kopf und schnaubte leise. Henri Perpignan stellte den Käfig auf ein schmales Brett hinten am Wagen und nahm Harry den Koffer ab. Harry stieg auf den Wagen und einen Moment später folgte Mr. Perpignan. Er nahm die Zügel in die Hand, schnalzte mit der Zunge und das Pferd setzte sich in Bewegung. Der Weg war sehr holperig, daher ging die Fahrt zunächst langsam, als sie dann aber in der Senke auf einen breiteren Weg stießen, trabte das Pferd an und der Wagen wackelte fröhlich durch die Landschaft. Mr. Perpignan begann ein Liedchen zu pfeifen.

Harry betrachtete Mr. Perpignan. Er war groß, größer als Harry. Sein Gesicht war zerfurcht von Falten, die aber eher Lachfalten zu sein schienen. Lediglich auf der Stirn war eine Falte, die nicht ganz in das Bild hineinzupassen schien. Ein dunkler Vollbart, durchzogen mit grauen Strähnen, umrahmte das Gesicht und hing auf die Brust. Er trug eine Kord-Knickerbocker und hohe, braune Lederstiefel. Über einem wollenen Hemd hatte er eine graue Weste aus grobem Stoff mit vielen Taschen angezogen. In denen steckten verschiedene Dinge, wie eine Brille, ein Kuli, ein Klappmesser und vieles mehr, was man schnell zur Hand haben wollte. Sei Kopf wurde von einer Tweed-Mütze bedeckt.

Die Fahrt verlief weitestgehend schweigsam. Schließlich kamen sie in Sichtweite eines größeren Gehöftes, Mr. Perpignan unterbrach sein Flöten und meinte:

“Da vorne ist es.“

„Schön haben Sie es hier!“ sagte Harry, weniger, um ein Kompliment zu machen, als überhaupt irgendetwas darauf zu erwidern. Mr. Perpignan nickte.

„Meine Vorfahren hatten Geschmack.“, sagte er, nicht ohne Stolz.

Der Weg führte jetzt an einer hohen Hecke entlang, die die Sicht auf das Haus verdeckte. Auf der anderen Seite des Weges standen uralte Kastanien. Der Wagen bog in eine Einfahrt ein, die durch ein wunderschönes schmiedeeisernes Tor verschlossen werden konnte. Harry konnte hinter der Hecke eine Mauer aus Feldsteinen erkennen. Vor ihnen breitete sich ein Parkähnlicher Garten mit altem Baumbestand aus. Mitten in diesem Park stand eine Villa mit Türmchen und Zinnen, überwuchert mit Efeu. Zwei gewaltigen Kletterrosen wuchsen links und rechts der Haustüre. Rechts neben dem Haupthaus sah Harry eine offene Wagenremise, in der mehrere alte Kutschen und ein wunderschönes dunkelgrünes altes Auto mit viel blitzendem Chrom stand. Auf der linkes Seite des Hauses schlossen sich ziegelsteinerne Stallgebäude mit bogenförmigen, grün-weiß gestrichenen Toren an. Vor dem Hauseingang machte die Kiesauffahrt einen weiten Bogen um ein rundes Rosenbeet, deren Rosen in den herrlichsten Farben blühten und in dessen Mitte eine weiße Marmorfigur im hohen Bogen Wasser in eine große Muschel spie.

Der Wagen folgte dem Kiesweg und hielt vor der Haustür an. Die Tür wurde geöffnet und ein steinalter Mann in Livree kam aus dem Haus. Perpignan sprang mit einer für sein Alter erstaunlichen Beweglichkeit vom Kutschbock und sagte zu dem alten Diener:

„Arthur, das ist Harry Potter. Sorgen Sie bitte dafür, dass sein Koffer in sein Zimmer gebracht und im Salon der Tee serviert wird. Und sagen Sie Rattle, er soll das Pferd versorgen.“

Der alte Mann machte einen steifen Diener und sagte zu Harry:

„Willkommen auf Perpignans Place, Master Potter. Ich freue mich, Sie hier begrüßen zu können. Nennen Sie mich bitte Arthur, und wenn Sie irgendeinen Wunsch haben, wenden Sie sich ruhig vertrauensvoll an mich. Ich glaube, es gibt keinen Wunsch, den wir Ihnen nicht erfüllen können.“

Harry war sprachlos. Damit hätte nicht gerechnet. Er hatte einen mehr oder weniger alten Bauernhof erwartet, aber das kam ja einem Schloss gleich und er wurde behandelt wie ein kleiner Lord.

„Guten Tag, Arthur,“, sagte Harry ehrfurchtsvoll und verbeugte sich ebenfalls. Perpignan lachte, als er das sah.

„Mein lieber, junger Freund. Sie sind Gast in diesem Hause und brauchen sich bestimmt nicht zu verbeugen. Kommen Sie, ich zeige ihnen das Haus. Dann werden Sie sich schnell zurechtfinden.“

Er winkte Harry, ihm zu folgen. Harry starrte immer noch auf Arthur, dann ließ er seinen Blick über die ehrwürdige Fassade des Hauses gleiten und wäre fast über die erste Stufe der ausladenden Treppe zur Haustüre gestolpert. Dann hastete er die Treppe hinauf, hinter Mr. Perpignan her und in die hohe Eingangshalle der Villa. Harry kam aus dem Staunen nicht heraus. Auf beiden Seiten der Halle führte eine weit geschwungene Treppe mit Verziertem steinernen Geländer hinauf auf eine Galerie, von der mehrere Türen in verschiedene Zimmer führten. Links und rechts standen hohe Flügeltüren offen und ließen einen Blick in fürstlich eingerichtete Räume zu.

Mitten im rechten Raum stand ein schwerer Tisch mit reich verzierten Stühlen. Dahinter schoss sich eine Flucht aus weiteren Zimmern an. Der Tisch war mit feinstem Porzellan gedeckt und auf einer silbernen Schale waren köstlich aussehende Cakes und Biskuits angerichtet. Mit einem mal verspürte Harry einen immensen Hunger. Er hatte heute Morgen um 7 Uhr gefrühstückt, eine Schüssel mit Cornflakes und etwas Milch. Seitdem hatte er noch nichts außer den paar Tassen Tee bei Mr. Ollivander zu sich genommen.

„Zunächst werde ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen.“, sagte Mr. Perpignan und ging voraus die gewundene Treppe hinauf. Oben wandte er sich in den linken Gang und ging bis zur letzten Tür, die in einen Raum zur Vorderseite des Hauses führte. Der Raum war prachtvoll eingerichtet. Eine Wand wurde beherrscht von einem riesigen Himmelbett, das mit schweren, bestickten Brokatstoffen behangen war. Die Säulen des Bettes waren kunstvoll gedrechselt und mit dünnen vergoldeten Fäden umwirkt. Das Kopfteil des Bettes wurde von einer geschnitzten Holztafel gebildet, die eine Jagdszene zeigte. Neben dem Bett stand ein Nachtischchen mit Intarsienarbeit aus vielen verschiedenen Hölzern und Elfenbein.. Vom gleichen Stil waren auch ein Schrank und ein Sekretär, die an den anderen Wänden standen. An den Wänden hingen Portraits und Jagdszenen in Öl mit breiten stuckverzierten goldenen Rahmen. Durch die hohen Fenster fiel das weiche Licht des späten Nachmittags. Unten im Hof konnte Harry den Pferdeknecht sehen, der das Pferd, das sie hierher gebracht hatte, mit Stroh abrieb. Perpignans Place machte einen sehr gemütlichen und auch sehr reichen Eindruck auf Harry. Am liebsten würde er sich sofort in das weiche Himmelbett fallen lassen, aber sein Gastgeber hatte ihn doch zum Tee eingeladen und Harry hatte großen Hunger.

„Hier geht es zu Ihrem Badezimmer.“, sagte Mr. Perpignan und öffnete eine fast unsichtbare Tür in der Wandvertäfelung. Harry warf einen kurzen Blick hinein und konnte feststellen, dass der Luxus sich auch im Kabinett fortsetzte. Marmor und Gold oder Messing gaben hier den Ton an.

„Gefällt es Ihnen?“

„Oh ja!“, sagte Harry mit ehrlichem Staunen. „Ich werde mich hier sehr wohlfühlen.“

„Wenn Sie etwas wünschen, dann ziehen Sie einfach nur an der Kordel,“, sagte Mr. Perpignan und deutete auf eine aufwendig geknüpfte Schnur mit dickem Quast am unteren Ende, die neben dem Bett von der Wand hing. „Arthur oder eines der Zimmermädchen wird dann kommen und Ihre Wünsche erfüllen. Keine Sorge, alle kommen aus Zaubererfamilien und egal was Sie sich wünschen, sie werden es Ihnen erfüllen.“

„Vielen Dank, Mr. Perpignan“ Harry sprach den Namen mit englischem Akzent aus. Mr. Perpignan lächelte verständnisvoll.

„Ich weiß, mein Name ist im Englischen etwas schwierig. Er wird Perpinjong ausgesprochen. Ich glaube, das Beste ist, wenn Sie mich Henry nennen. Ich bin das gewohnt. Darf ich Sie Harry nennen?“

„Natürlich, Mr. Per... äh Henry.“ Es war ungewohnt für Harry, einen so würdigen älteren Herren bei seinem Vornahmen zu nennen.

„So, Harry, ich denke, wir gehen jetzt hinunter und setzen uns zum 5-Uhr-Tee. Sie haben sicher Hunger, stimmts?“

„Ja.“

Sie gingen hinunter, in den Saal und setzten sich an den Tisch. Arthur hatte inzwischen eine Kanne mit dampfend heißem Tee, Toasts, gebackene Eier und weiße Bohnen und eine Platte mit gebratenem Speck aufgetischt. Es roch köstlich. Arthur stand im Hintergrund, eilte aber sofort herbei um den Beiden die Stühle zurecht zu rücken. Harry saß Henry gegenüber am Ende des länglichen Tisches. Er schenkte Harry den Tee in eine feine Porzellantasse und fragte dann, was er ihm servieren könne.

Harry wählte Speck und Bohnen und einen Toast, was ihm von Arthur kunstvoll auf dem Teller drapiert wurde.

„Lassen Sie es sich schmecken, Harry.“, lud Henry ihn ein. Da sich Harry ließ nicht zweimal sagen und bald saß er da und mampfte mit vollen Backen. Das Essen selber wurde schweigend vorgenommen. Doch immer wieder lächelte Henry Harry zu und forderte ihn auf, noch einmal zu nehmen. Nach dem dritten Teller und der vierten Tasse Tee war Harry zum Platzen satt und musste bei einer neuerlichen Aufforderung dankend ablehnen.

„Nach dem Tee ziehe ich mich gewöhnlich in die Bibliothek zu einer Zigarre zurück. Wenn Sie mir Gesellschaft leiten wollen, würde ich mich sehr freuen. Ich bin auch neugierig auf Ihre Geschichte. Ich hoffe doch, sie werden sie mir erzählen?“

„Ja sicher, ich glaube, das bin ich Ihnen schuldig.“

Sie standen auf und gingen durch die Einhangshalle in den linken Saal. Hier waren die Wände bis unter die Decke mit Bücherregalen verkleidet. Wie in Ollivanders Laden gab es auch hier eine Schiene, die um die ganzen Regale führte, dass man mit einer Leiter an die oberen Regalböden gelangen konnte. Die Bücher waren durchweg mit Leder gebunden und hatten alle die gleiche Farbe und eine Beschriftung aus Goldprägung. An einer Seite der Bibliothek war in der Nähe des Fensters ein Schreibtisch in die Regale eingelassen und in der Mitte stand auf einem ausladenden Teppich eine kleine, sehr bequeme Sitzgruppe.

Henry bot Harry einen Platz an und setzte sich in den anderen Sessel. Er öffnete eine Klappe des Rauchtischchens und holte sich eine lange dunkle Zigarre heraus. Mit einem Knipser schnitt er ein Stück des geschlossenen Endes der Zigarre ab. Arthur kam mit einem brennenden Span in der Hand in die Bibliothek und nahm die Zigarre in Empfang. Er hielt sie mit der Spitze eine Zeit lang über die Flamme und drehte sie zwischen seinen Fingern. Bald kräuselte ein dünner, blauer Rauchfaden von der Zigarre hoch und die Spitze begann, einen Anflug von grauer Asche zu bilden. Henry erhielt die Zigarre zurück, führte sie zu seinen Lippen und zog langsam daran. Genüsslich ließ er eine Rauchwolke durch seine Lippen entweichen und zog sie durch die Nase wieder ein. Entspannt lehnte er sich zurück und sah Harry an.

„Dann erzählen Sie mal.“, begann er die Unterhaltung.

Harry hatte die Zeremonie aufmerksam verfolgt. Es war ihm vollkommen fremd, wie ein Mensch sich so dem Genuss hingeben konnte. Entsprechend war er nicht ganz bei der Sache, als er begann, fand aber schnell den roten Faden und nach ein paar Sätzen erzählte er ohne Unterbrechung die ganze Geschichte seit dem letzten Wettkampf im Trimagischen Turnier. Henry gab ihm zu verstehen, dass er die Vorgeschichte Harrys einigermaßen kannte und so konnte Harry sich auf die Zeit während der Ferien und die Ereignisse des heutigen Tages beschränken. Wie Mr. Ollivander war Henry ein guter Zuhörer, er unterbrach höchstens um einen Sachverhalt genauer nachzufragen und nickte zwischendrin immer wieder.

"Sie haben gegen das Zauberverbot verstoßen. Das wird Ärger geben.", sagte Henry, als Harry von seinem plötzlichen Aufbruch vom Ligusterweg erzählte.

"Ich weiß, aber was sollte ich machen? Ich musste doch annehmen, dass der dunkle Lord mich töten wollte."

"Sicher, Sie haben in einer Notsituation gehandelt. Mal sehen, ich habe einige gute Beziehungen zum Ministerium. Vielleicht kann ich etwas erreichen. Ich werde morgen mal anrufen."

"Das wäre klasse!", freute sich Harry. Er erzählte weiter. Als er John erwähnte, sagte Henry:

„Es war eine gute Idee, den Jungen um Informationen zu bitten. So sind wir immer auf dem Laufenden, was draußen in der Welt passiert und können, wenn es brenzlig wird, schnell reagieren. Ich kenne John, er passt auf. Ich habe den Eindruck, dass der dunkle Lord mit viel Bedacht vorgeht und sich Zeit lässt. Wenn wir aber rechtzeitig informiert werden, können wir genauso viel Ruhe in eine Gegenstrategie stricken. Aber ich gehe davon aus, dass wir hier erst einmal ungestört sind.“

„Was können wir den machen, wenn Lord Voldemort mich hier findet? Er hat diesen neuen Zauberstab und ich fürchte, dass ich nicht dagegen halten kann.“ Harry hatte den Namen ausgesprochen, doch zu seiner Verwunderung reagierte Henri nicht darauf.

„Schauen Sie sich um, Harry. Was sehen Sie?“

„Jede Menge Bücher!“, antwortete Harry verblüfft.

„Eben. Wissen Sie, ich war früher mal international Tätig in magischen Angelegenheiten. Meine Dienste waren sehr gefragt und ich musste mir auch nach der Schule noch eine Menge Wissen aneignen. Ich glaube, außer in Hogwarts gibt es weltweit keine Bibliothek, die so gut sortiert ist. Es hat mich zwar ein Vermögen gekostet, diese zum Teil einzigartigen Werke der magischen Wissenschaft aufzutreiben, aber ich brauchte sie für meine Arbeit.“

„Was haben Sie denn gearbeitet?“

„Nun, sagen wir, ich war in geheimen Missionen unterwegs. Ich hatte unterschiedliche Auftraggeber, viele meiner Aufträge erhielt ich durch einen Mittelsmann vom Zaubereiministerium.“

„Das war sicher sehr gefährlich!“, sagte Harry naiv.

Henri lächelte. „Doch, mitunter durchaus. Aber wenn man gut vorbereitet ist, kann man die Gefahr kalkulieren und umgehen.“

„Waren Sie beim Geheimdienst?“

„Nicht so, wie es die Muggel verstehen. Ich habe immer allein gearbeitet. Kennen Sie Madeye Moody? So ähnlich, nur dass ich mich nicht mit den Todessern befasst habe. Ich war sozusagen Freiberufler. ...Aber Sie sprachen den Zauberstab an. Habe ich das richtig verstanden, dass es der Zauberstab von Salazar Slytherin ist?“

„Ja, so hat es Mr. Ollivander erzählt.“

„Tja,...da haben Sie ein Problem. Gut, ich habe noch nicht alle meine Bücher von vorne bis hinten gelesen, dafür bräuchte ich zehn Leben,...aber ich habe noch kein Mittel gefunden, mit dem man diesem Zauberstab entgegentreten kann, zumal er in der Hand eines sehr mächtigen Zauberers ist. Schon Merlin – Sie wissen wer Merlin ist?“ Harry nickte. „Also, schon Merlin konnte sich damals nur vor der Macht des Stabes retten, indem er einen Zeitsprung in die Vergangenheit, in die Zeit vor der Herstellung des Stabes, machte. Es war ein genialer Trick, aber einen Zeitsprung, das bringe ich nicht fertig. Ich glaube, nicht einmal Dumbledore kann das.“

„Hmm.“, machte Harry. Er schaute etwas ratlos drein. Sein ganzer Körper hatte sich verkrampft und Angst kroch seinen Nacken hoch. Henry war jedoch so gelassen, wie Harry ihn den ganzen Nachmittag schon erlebt hatte.

„Seien Sie beruhigt. Morgen werden wir uns einmal mit den Büchern befassen. Sicher finden wir etwas, was uns weiter hilft. Schlafen Sie heute erst mal in Ruhe. Hier sind Sie fürs Erste sicher. Man darf meine Dienerschaft und mich nicht unterschätzen. Selbst wenn es Voldemort gelingen würde, Ihren Aufenthaltsort herauszufinden, würden wir ihm das Hereinkommen schon ziemlich schwer machen.“

Harry atmete auf und entspannt sich wieder. Er ließ seinen Blick über die Bücher schweifen. Eigentlich hasste er Bibliotheken. Sie waren für ihn immer mit der quälenden Suche nach Lösungen für ein drängendes Problem verbunden. Er hatte immer unter Druck gestanden, wenn er in Hogwarts in die Bücherei gegangen war, sei es, weil er etwas für eine Aufgabe im Trimagischen Turnier gesucht hatte, oder für eine Prüfung lernen musste. Nie hatte es ihm Spaß gemacht, Bücher zu wälzen, ganz im Gegensatz zu Hermine.

„Ich glaube, Hermine würde sich hier wohlfühlen.“, sagte er unvermittelt, als sie in seinen Gedanke auftauchte.

„Wer ist Hermine?“, fragte Henri.

„Ach, das ist eine Freundin von mir, aus Hogwarts. Sie hat mir immer suchen geholfen, wenn ich für das Trimagische Turnier nicht mehr weiterwusste.“

Harry begann von Hermine zu erzählen. Die Unterhaltung wurde immer lockerer und oft lachte sie über Situationen, die Harry damals lange nicht zum Lachen fand, die sich aber mit dem großen Zeitabstand lustig erzählen ließen. Besonders die Geschichte mit dem Vielsafttrank, mit dem sich Hermine in eine Halb-Katze verwandelte ließ sie hemmungslos lachen und kichern und so wurde der Abend noch recht vergnüglich. Irgendwann schlug die Standuhr in der Eingangshalle an und Harry musste mit Schrecken feststellen, dass es schon nach ein Uhr Nachts war.

„Ich glaube, ich muss schleunigst ins Bett.“, sagte er uns streckte sich in seinem Sessel.

„Ja, ich glaube auch, dass es an der Zeit ist.“, meinte Henri und trank seinen letzten Schluck Scotch.

Harry stand auf und ging auf die Tür zu. Dann blieb er stehen, drehte sich noch einmal um und fragte:

„Darf ich Sie noch etwas fragen?“

„Immer!“

„Ihr Name, das ist doch ein französischer Name, nicht war?“

„Ja, das stimmt. Mein Ururururgroßvater kam aus Frankreich. Ein echter Beauxbatons. Er kam zum letzten Trimagischen Turnier, das siebzehnhundertirgendwas stattfand. Er verliebte sich in eine liebreizende Schülerin aus Hogwarts. Sie war leider an das Land gebunden, denn sie war die Letzte in einem großen Zauberergeschlecht. Da hat er beschlossen, sie zu heiraten und war hier geblieben. Dieses Haus und das Land hat er mitgeheiratet. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar. Er hieß übrigens auch Henri, wie mein Vater und dessen Vater und drum trage auch ich diesen Namen. Beantwortet das Ihre Frage?“

„Ja, natürlich. Gute Nacht!“

„Gute Nacht. Und machen Sie sich keine Sorgen. Wir finden schon einen Weg.“

Harry ging die geschwungene Treppe hinauf und in sein Zimmer. Er wollte seinen Koffer öffnen und seine Schlafsachen herausholen, musste aber feststellen, das Arthur oder ein Zimmermädchen bereits alle fein säuberlich auf den Schrank, den Sekretär und das Badezimmer verteilt hatte. Ein ungewohnter Luxus.

Er putzte sich die Zähne, wusch sich noch flüchtig und ließ sich dann in die weichen Federn fallen.

‚Was für ein Tag!’, dachte er. Aber er war zufrieden und hatte sich wieder beruhigt. ‚Es geht alles weiter’ war seine letzte Erkenntnis, bevor er in einen tiefen, erholsamen Schlaf fiel.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Harry aufwachte. Er hatte blendend geschlafen. Irgend etwas hatte ihn geweckt. Jetzt hörte er das leise Klopfen an der Tür, das er unbewusst im Schlaf wahrgenommen hatte.

„Ja?“ rief er und setzte sich auf.

Die Tür öffnete sich und Arthur steckte seinen Kopf durch den Spalt.

„Guten Morgen, Master Potter. Es ist wunderschönes Wetter und Mr. Perpignan würde nach dem Frühstück gerne einen kleinen Spaziergang mit ihnen machen. Er beauftragte mich, sie zu wecken.“

„Danke, Mr. ... äh, Arthur!”, sagte Harry. Er konnte sich nicht daran gewöhnen, wie ein Herr behandelt zu werden.

„Haben sie noch einen besonderen Wunsch zum Frühstück, Master Potter?“

„Nee, ähm, vielleicht einen Toast und Honig. Haben Sie auch Malzkaffee?“

„Selbstverständlich, Master Potter.“, sagte Arthur. „Ich habe im Teesalon eingedeckt, wo sie gestern Abend gespeist haben.“

Arthur zog seinen Kopf zurück und schloss die Tür. Harry ließ sich wieder in die Kissen zurück sinken und betrachtete die Deckenmalerei. Wie schön musste es sein, so reich und sorgenfrei zu leben. Durch das geöffnete Fenster hörte er Vogelgezwitscher und das leise Plätschern des Zierbrunnens. Hier herrschten ganz andere Laute als im Ligusterweg. Dort waren zwischen 7 und 8 Uhr nur die Motoren der Leute zu hören, die zur Arbeit fuhren. Danach war meistens bis Mittag, wenn die Kinder von der Schule kamen, drückende Stille. Nicht einmal die Vögel, die es natürlich auch im Ligusterweg gab, nahm man wahr. Am späten Nachmittag liefen die Rasenmäher und an den heißen Tagen im Sommer konnte man das regelmäßige Ticktick der Rasensprenger hören. Noch später kamen dann die Jugendlichen mit ihren Mopeds. Alles in allem waren die Geräusche im Ligusterweg eher künstlich und störten.

Hier dagegen stimmten einen die Laute fröhlich, sie strahlten eine natürliche Ruhe aus, auch wenn sie viel deutlicher in das Bewusstsein traten, als die Alltagsgeräusche der Stadt. Sie waren runder und weicher, variantenreicher und gehörten schlichtweg in die Welt. Harry war am vorherigen Abend, wenn im Gespräch mit Henri eine Pause entstanden war, das gleichmäßige, hölzerne und langsame Klacken der Standuhr aufgefallen. Alles hier schien sich in dieser langsamen und gleichmäßigen Art zu bewegen. Beim Weggehen von Arthur hatte Harry die gleichmäßigen Schritte und das Knarren des Parkettbodens gehört und gewusst, dass hier nichts in Eile geschah.

Was für ein Ort war das! Selbst in Hogwarts herrschte oft Hektik und das helle klirrende Lachen und das Getrappel der Schüler in den Fluren erfüllte die Luft. Der einzige Platz, an dem eine ähnliche Ruhe herrschte, war die Hütte von Rubeus Hagrid, den Harry gerne besuchte, und mit einem mal wurde ihm klar, dass er es nicht nur wegen Hagrid tat, sondern weil er diese Ruhe so als wohltuend empfand. In diesem Augenblick liebte Harry die Welt und das Leben so abgrundtief, dass er das Gefühl hatte, davon zerrissen zu werden.

Er stand auf. Seine Sachen hatte er gestern Abend achtlos über den Stuhl am Sekretär geworfen. Jetzt lagen sie ordentlich gefaltet auf der Lehne. War in der Nacht jemand hergekommen und hatte hier aufgeräumt? Harry wusch sich im Bad und versuchte, seine widerspenstigen Haare mit einem Schildpatt-Kamm zu zähmen. Dann zog er sich an. Er hatte keine Lust, den Umhang und den spitzen Hut anzuziehen. Sie kamen ihm so uniformiert vor und er fand, dass es hier nicht angebracht wäre. Vielmehr wählte er eine Jeans und ein T-Shirt. Henry hatte gestern auch keine Zaubererkleidung getragen. Er sah eher aus wie ein englischer Landlord. Das einzige Problem war, dass er den Zauberstab nicht in den Ärmel stecken konnte. Also nahm er seine Umhängetasche und verstaute ihn dort. Er hatte sich angewöhnt, wenn er außerhalb des Ligusterwegs war, immer seinen Zauberstab bei sich zu tragen.

Harry ging hinunter zum Frühstück, das er allein zu sich nahm. Nur Arthur hielt sich diskret im Hintergrund und sorgte dafür, dass es Harry an nichts mangelte. Nachdem Harry fünf gebutterte Toasts mit Honig und zwei Tassen Malzkaffee zu sich genommen hatte, stand er auf und ging in den Garten vor dem Haus. Henry unterhielt sich in der Wagenremise mit Rattle. Als er Harry die Treppe herunter kommen sah, klopfte er Rattle freundschaftlich auf die Schulter und kam zu Harry herüber.

„Guten Morgen Harry,“, sagte er fröhlich. „Gut geschlafen?“

„Guten Morgen, ja ausgezeichnet. Sie wollten mit mir einen Spaziergang machen?“

„Ja, lassen Sie uns ein wenig die Gegend erkunden. Ich denke, da kann man am Besten darüber reden, wie wir die nächsten Tage verbringen wollen. Haben Sie ihren Zauberstab mit?“

„Ja, warum?“

„Vielleicht brauchen Sie ihn. Lassen Sie sich überraschen..“

Sie wandten sich zur Einfahrt und gingen gemütlich über den Kiesweg. Der Kies knirschte unter ihren Schuhen. Am Tor wandten Sie sich nach rechts und gingen auf dem Fahrweg im Schatten der Kastanien an der efeubewachsenen Mauer entlang.

„Ich habe mir vorgenommen, Ihnen ein wenig von meinen Ländreien zu zeigen.“, begann Henry. „Waren Sie schon mal hier in der Gegend?“

Harry verneinte. Er atmete tief durch und sog die frische, kühle Luft ein.

„Es ist sehr schön hier. Heute morgen habe ich an den Ligusterweg gedacht und ich muss sagen, schade, dass nicht alle Menschen so leben könne wie Sie. Vielleicht wären Onkel Vernon und Tante Petunia dann auch besser drauf.“

„Ja, vielleicht. Aber glauben Sie nicht, dass es hier nicht auch zu Streitereien kommen kann.“

„Gehört das alles Ihnen?“, fragte Harry und fuhr mit der Hand die Linie Horizonts entlang.

„Zum Teil, ja. In dieser Richtung reicht mein Land bis zum Horizont. Im Westen grenzt es an eine Abtei. Wir werden gleich in einen Wald kommen, hinter dem die Grenze verläuft. Und der Hügel, an dem Sie angekommen ist, ist die nördliche Spitze meiner Ländreien. Im Osten reicht es bis auf wenige Meilen ans Meer. Der letzte Streifen ist staatliches Land und im Süden endet es kurz hinterm Horizont.“

„Das ist ja gewaltig. Sind Sie ein Lord oder so etwas?“

„Nein. Mein Ururururgroßvater konnte damals keinen Titel annehmen, auch wennn seine Frau eine Adelige war. Er kam halt aus Frankreich und damals bestand noch die Feindschaft zwischen den beiden Ländern. Aber macht das etwas aus?“

„Nöö. Ich dachte nur, dass so viel Land nur im Besitz von Adeligen sein kann.“

Die beiden bogen auf den Weg ein, der vor dem Tor an der Mauer entlang führte. Eine Weile schwiegen sie. Nach ein paar hundert Metern, auf denen sich Harry ziemlich unwohl fühlte, machte die Mauer einen Knick vom Hauptweg weg. Ein kleiner Turm markierte die Ecke. Vom Hauptweg aus führte ein Trampelpfad an der Mauer weiter.

„Es wird eine Menge Recherchearbeit auf uns zukommen.“, fing Henry an. „Ich kann mir vorstellen, dass das nervenaufreibend und langweilig ist.“

Harry dachte an die langen Stunden in der Bibliothek von Hogwarts und fühlte schon jetzt seine Lust schwinden.

„Aber, was halten Sie davon, dass wir die Aufgabe, die auf Sie zukommt, mal richtig vorbereiten. Ich hätte Freude daran, wissen Sie, seit ich in den Ruhestand gegangen bin habe ich lange keinen Spass mehr gehabt.“

„Wie wollen Sie das vorbereiten? Ich meine, welche Aufgabe habe ich?“

„Jeder Mensch hat zu jedem Zeitpunkt eine Aufgabe. Ihre Aufgabe im Moment ist, zu überleben.“

Harry wurde rot. Natürlich wollte er Voldemort entkommen. Die Frage hatte er nur gestellt, weil er mit widerwillen an langweilige Stunden in der Bibliothek dachte.

„Ja schon,“, sagte er. „Das weiß ich natürlich. Meinen Sie, dass es wirklich so dramatisch ist?“

„Harry, ich glaube sie kennen Voldemort. Er wird nicht ruhen, bis er Sie aus dem Weg geschafft hat. Von allen Gegnern habe Sie sich als der Zäheste erwiesen, auch wenn Sie vielleicht in der Vergangenheit eher Glück als Können gezeigt haben. Immerhin verdankt Voldemort es Ihnen und niemand anderem, dass er 14 Jahre knapp an der Schwelle des Todes vegitiert hat. Können Sie sich vorstellen, dass sich ein so mächtiger Magier von einem Knaben an der Nase herumführen lassen will?“

Harry wurde verlegen. Es war eine deutliche Zurechtweisung und Harry schämte sich, so viel Dummheit gezeigt zu haben.

„Sie haben recht...“, sagte er hilflos.

„Nun machen Sie mal nicht so ein Gesicht.“, grinste Henry und klopfte Harry auf die Schulter. „Ich war auch mal jung und habe nichts wirklich ernst genommen. Ich habe mir folgendes überlegt. Natürlich müssen wir einige Stunden, wenn nicht Tage mit Büchern verbringen. Aber ich weiß, dass die Konzentration schnell nachläßt, vor allem, wenn man lange kein Ergebnis hat. Deshalb denke ich, wir werden auch einige Experimente in meinem Labor durchführen. Es gibt da einige Wässerchen und Pülverchen, die ich mit Ihnen zusammen herstellen möchte, damit Sie sich einen kleinen Vorrat zusammenstellen können. Ich habe ein paar Rezepte, die mir in meiner aktiven Laufbahn immer wieder weitergeholfen haben und ich kann mir vorstellen dass Sie sie brauchen werden. Wie steht es denn mit Ihrem Wissen über die Verteidigung gegen die dunklen Künste?“

„Wir haben immer Probleme mit unseren Lehrern gehabt.“, antwortete Harry. „Am schlimmsten war Profesor Lockheart, bei dem haben wir gar nichts gelernt.“

„Ach Lockheart, diese Pfeife! Das kann ich mir vorstellen.“

„Am Besten hat mir der Unterricht bei Profesor Lupin gefallen, aber da haben wir hauptsächlich magische Wesen wie Grindelohs und Rotkappen durchgenommen. Im letzten Jahr hat uns Barty Crouch Junior etwas über Flüche beigebracht. Er hatte sich mit Vielsafttrank in Mr. Moody verwandelt.“

„Ja, ich kenne die Geschichte.“

Der Weg führte nun von der Villa weg, über das offene Feld und auf einen lichten Wald zu.

„Dann werden wir uns also auch mit ein paar wirksamen Flüchen auseinander setzen.“

„Warum tun Sie das alles?“ fragte Harry.

„Vielleicht, um nicht aus der Übung zu kommen. Vielleicht auch, weil ich Freude daran habe, das was ich gelernt habe, weiterzugeben. Vielleicht auch, weil ich sehe, dass Sie Hilfe brauchen, auch wenn Sie das nicht selber einsehen wollen. George Ollivander wußte schon, warum er Sie zu mir schickte. Er kennt mich.“

Der Wald wurde immer dichter. Zuerst hatten Buchen und Eichen viel Licht auf den Boden gelassen. Je weiter sie jedoch in den Wald vordrangen, desto mehr bestimmten Tannen den Bewuchs. Nur ein schmaler Streifen blauen Himmels war über dem Weg zu erkennen. Mit einem mal tat sich eine grasbewachsene Lichtung auf, in deren Mitte ein Kreis aus großen Steinen gebildet war.

„Wir sind da.“, sagte Henry.

„Was wollen wir hier?“, fragte Harry, dem es langsam unheimlich geworden war, zumal Henry die letzten Minuten nicht mehr gesprochen hatte.

„Das ist ein Ort, den ich früher oft besucht habe. Sagen wir mal so, das ist mein magischer Schießplatz. Hier habe ich verschiedenste Flüche und Zauber ausprobiert. Der Ort ist ein alter heiliger Platz der Kelten, wo sich schon vor 2000 Jahren die Druiden in ihrer Kunst geübt haben.“

Sie gingen durch ein Steintor in den Kreis. In der Mitte des Kreises bleib Henry vor einem Tisch aus Steinen stehen und drehte sich zu Harry um.

„Der Vorteil dieses Platzes ist, dass kein Zauber reellen Schaden anrichten kann. Die Druiden haben ihn so angelegt, dass verirrte Flücke direkt nach oben ins All geleitet werden und dort verklingen können. Außerhalb der Mauer kann man gefahrlos stehen und zusehen. Mein Vater brachte mich damals her und zeigte mir eine Menge an Flüchen, die ich hier üben konnte. Das gleiche habe ich mit Ihnen vor.“

Harry staunte. In Hogwarts hatte er viel gelernt, aber als er das hier sah, und die Erklärungen von Henry hörte, kam ihm der Verdacht, dass dort nur eine Grundausbildung stattfand. Wie viele Geheimnisse mußte es geben, die womöglich nur von den Eltern an die Kinder weitergegeben wurden. Er begann neugierig zu werden.

„Für heute habe ich mir nur ein paar Kleinigkeiten vorgenommen. Ein paar Zauber, die Ihnen Wege öffnen sollen. Zauber, die sowohl in der Schwarzen Magie als auch in der Weißen Magie verwandt werden. Harmlose Zauber, die aber recht nützlich sind. Ich denke, sie werden in Hogwarts nicht gelehrt, weil man sie auf beiden Seiten anwenden kann.“

„Wir haben in Hogwarts auch den Imperius-Fluch gelernt!“, sagte Harry mit einem leichten Anflug von Entrüstung.

„Gut. Das lass ich so stehen. Anwenden dürfen Sie ihn jedenfalls nicht. Die Sprüche, die ich Ihnen heute zeigen will, können von dunklen Magiern dazu verwandt werden, große Zerstörungen zu verursachen. Denken Sie an Peter Pettigrew!“

„Der hat eine Bombe platzen lassen!“

„So ungefähr. Genaugenommen war es ein Pulverisierungsfluch, der je nach Art der Anwendung ziemlich heftige Reaktionen ablaufen lassen kann.“

„Kann man einen Fluch unterschiedlich anwenden?“, fragte Harry erstaunt.

„Ja. Haben Sie noch keine sequenziellen Sprüche in Hogwarts durchgenommen?“

„Was für Sprüche?“

„Sequenziellen Sprüche. Das sind Sprüche, die sich aus mehreren Begriffen zusammensetzen lassen. Die nachfolgenden Worte wandeln den Spruch in die eine oder andere Richtung ab. Geben Sie mir mal Ihren Stab?“

Harry reichte ihm den Stab. Henry ging zu dem Tisch, hob zwei Kiesel auf und legte sie mit etwas Abstand auf die Steinplatte. Dann ging er ein paar Schritte zurück, bedeutete Harry, es ebenso zu tun, und hob den Zauberstab.

„Distensia fluvium!“, sagte er und deutete mit dem Zauberstab auf einen Kiesel. Der Kiesel begann, sich vor Harrys Augen in Sand aufzulösen. Er floss förmlich weg.

„Distensia explosivum!“ rief Henry, während er den Zauberstab auf den zweiten Kiesel richtete.

Mit einem ohrenbetäubenden Knall zerbarst der Kiesel in tausende von Stücke, die mit lautem Pfeifen durch die Luft flogen.

„Habe Sie den Unterschied bemerkt?“, fragte Henry und grinste.

„Keine Frage!“, antwortete Harry staunend.

„Hier, probieren Sie es!“, sagte Henry und reichte Harry den Stab. Wieder legte er zwei Kiesel auf den Tisch und trat zurück.

„Konzentrieren Sie sich... und los.“

Harry hob den Zauberstab, richtete ihn auf einen der Kiesel und sagte:

„Distensia explosivum!“

Der Kiesel machte „Plop!“ und rührte sich nicht mehr.

„Sie müssen sich etwas besser konzentrieren. Die sequenziellen Sprüche sind nicht ganz einfach. Man muss die Gedanken auf beide Teile richten. Man schaltet sozusagen zwischen dem ‚Distensia’ und dem ‚explosivum’ um. Versuchen Sie es noch einmal, aber nehmen Sie zuerst ‚fluvium’, sonst fällt der zweite Kiesel vom Tisch.“

Harry holte tief Luft und konzentrierte sich. ‚Distensia fluvium, Distensia fluvium’ dachte er und versuchte sich auf jedes der Worte besonders zu konzentrieren. Er hob den Zauberstab.

„Distensia fluvium!“, sagte er und deutete auf einen der Kiesel.

Der Kiesel wurde weich und etwas Sand rieselte an ihm herunter.

„Distensia fluvium!“, sagte er noch mal, versuchte sich noch besser auf die Worte zu konzentrieren und, siehe da, der Kiesel verlor an Form.

„Sehr gut!“, lobte Henry, „Sie machen das ganz ausgezeichnet.“

Harry dachte daran, wie er den „Accio“-Spruch geübt hatte. Mit einem mal hatte er das Gefühl, zu wissen, wie er sich zu konzentrieren hatte. Wieder hob er den Stab, richtete ihn auf den zweiten Kiesel und rief:

„Distensia explosivum!“

Mit einem lauten Knall zerstob der Kiesel. Harry strahlte vor Stolz und Henry klatschte beifällig in die Hände. „Sie lernen schnell, Harry, das muss ich schon sagen.“

„Ich habe daran gedacht, wie ich mit Hermine den ‚Accio’ geübt habe. Da ging es ganz leicht.“

Henry sah Harry prüfend an. „Hermine scheint eine wichtige Rolle in Ihrem Leben zu spielen.“, meinte er.

„Wir sind bloß befreundet.“, sagte Harry abwehrend.

„So meinte ich es auch nicht. Aber sie scheint Ihnen bisher oft geholfen zu haben. Nach dem, was Sie mir gestern erzählten, hecken Sie viele Dinge gemeinsam aus, nicht wahr?“

„Ron ist aber immer auch dabei!“, sagte Harry.

„Gut. Ron ist in Rumänien, sagte Sie?“

„Ja. Und Hermine ist auf Mallorca... gewesen.“

„Was halten Sie davon, wenn wir Hermine einladen, uns zu besuchen?“

„Wie bitte?“, fragte Harry, als hätte er nicht verstanden.

„Nun, ich denke, sie kann uns unterstützen, wenn wir die Bücher nach Brauchbarem durchforsten. Sie erzählten doch gestern, dass Hermine liebend gern Bücher liest. Und so ganz nebenbei haben Sie auch noch etwas Gesellschaft. Ich werde nämlich nicht immer in den 4 Wochen da sein. Ab und zu mal muss ich geschäftlich für ein, zwei Tage fort und es kann sehr einsam sein, hier draußen.“

„Das wäre toll.“, sagte Harry. „Wenn Sie das erlauben...“

„Der Vorschlag kam ja von mir. Lassen Sie uns noch ein wenig üben, und wenn wir wieder zu Hause sind, schreiben Sie ihr einen Brief. Dann werden wir sehen, wie wir ihn schicken können.“

Harry freute sich riesig. Gemeinsam machte es viel mehr Spaß, neue Dinge zu entdecken. Henry hatte heute schon so viel angedeutet, was Harry noch kennen lernen sollte. Hermine würde begeistern sein, konnte sie doch endlich wieder lernen. Und Harry wollte ihr auch den Luxus zeigen, in dem er gerade lebte. Ein bisschen Stolz schwang in seinen Gedanken mit.

Sie übten noch weitere Abwandlungen des Distensia-Spruches. Eine besonders interessante Variante war die, einen Kiesel in Luft aufzulösen, oder die, den Kiesel wie einen Flummi hüpfen zu lassen, wobei er immer kleiner wurde und rote Flecken auf dem Tisch hinterließ. Dann brachte Henry Harry noch den Schrumpf-Zauber bei, bei dem er den Kiesel beliebig kleiner werden lassen konnte und natürlich auch die andere Seite, den Bläh-Zauber, mit dem er aus einem kleinen Kiesel einen Felsbrocken machen konnte. Harry war begeistert, zumal Henry ihm immer erklärte, wozu man einen solchen Zauber brauchen konnte. Zum Schluss versuchten sie, die Sprüche ohne Stab auszuführen. Henry behauptete, manche Zauberer könnten das, es benötige nur etwas mehr Übung. Harry mühte sich, schaffte aber nicht einmal den Accio, den er mit Stab wie im Schlaf beherrschte.

Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen gab er auf. Als sie sich zum Gehen wandten, hob Henry die Hand und sagte „Accio Kiesel“. Der Stein erhob sich von der Tischplatte und schwebte auf seine Hand zu. Harry starrte mit offenem Mund dem Kiesel hinterher.

„Hmmm, das hat schon mal besser geklappt. Ohne Stab habe ich es schon jahrelang nicht mehr versucht.“, meinte Henry und wackelte kritisch mit dem Kopf.

„Das muss ich auch üben.“, sagte Harry. „Das werden die auf Hogwarts nie glauben, wenn sie das sehen!“

„Na, wenn das keine Motivation ist. Ich werde Ihnen ein paar Konzentrationsübungen zeigen. Selbst für Zauberer ist Yoga manchmal nicht schlecht. Ich habe viel in Indien gelernt. Die Inder haben sehr gute Techniken der Konzentration und ich meine nicht nur die Zauberer sondern gerade die Muggel. Was die mit Konzentration fertig bringen, das grenzt fast an Zauberei. Haben Sie schon mal einen Yogi gesehen, der schweben konnte?“

„Nein, aber gehört habe ich davon. Hab ich nie geglaubt.“

„Alles eine Sache der Konzentration. Wollen wir?“

Harry nickte. Sie gingen den gleichen Weg wieder zurück. Jetzt schien der Wald nicht mehr so dunkel und unheimlich. Harry bekam langsam Hunger und beide mussten laut lachen, als sein Magen laut und vernehmlich knurrte.

„Wir kommen fast zu spät zum Lunch.“, sagte Henry, als sie in die Hofeinfahrt einbogen. Arthur hatte schon den Tisch gedeckt und wartete in der Eingangshalle. Zu diesem Zweck war ein bequemer Stuhl in der Halle aufgestellt worden. Arthur war schon sehr alt, Henry hatte von dem unglaublichen Alter von 122 Jahren erzählt. Henrys Vater war recht früh gestorben. Henry war gerade 15 Jahre alt geworden, als sein Vater krank wurde. Auf dem Sterbebett hatte sein Vater zu Arthur, der damals schon Butler auf Perpignans Place war, gesagt, er solle auf seinen Sohn aufpassen. Arthur hatte sich das zu Herzen genommen und beschlossen, so lange zu leben, bis Henry irgendwann gestorben war. Wie auch immer er es schaffte, er wurde Jahr für Jahr älter, sah immer klappriger aus, gab aber nie auf. Er erledige alle Arbeiten, egal, wie schwer sie waren mit gleichbleibender Gelassenheit und einem einzigartig würdevollen Stil. Er starb einfach nicht, und wenn man ihn fragte, ob er langsam nicht müde würde, hob Arthur stolz den Kopf, reckte sich hoch und antwortete, seine Zeit sei lange noch nicht gekommen.

Arthur war eingenickt und schreckte hoch, als die beiden durch die Tür in die Eingangshalle kamen.

„Oh, Mr. Perpignan und der junge Master!“ sagte er und erhob sich. Er strich seine Livree glatt, legte das Tuch, das er immer beim Servierentrug, über seinen Arm und wies auf die Tür zum Salon.

„Es ist bereits gedeckt. Ich werde sofort in die Küche eilen und die Speisen auftragen. Wenn Sie schon mal geruhen würden, Platz zu nehmen, in fünf Minuten ist angerichtet.“

„Danke, Arthur.“, sagte Henry. „Lassen Sie sich ruhig Zeit. Wir verhungern nicht.“

Arthur war aber schon durch eine Wandtür zwischen den Treppen hinausgeeilt und rief im Laufen die Kommandos an das Küchenpersonal.

Das Essen war ausgezeichnet. Es gab zwar einfache, aber sehr schmackhafte Kost, zu Nachtisch etwas frisches Obst und einen Kaffee, den auch Harry dankend annahm, denn er befürchtete, müde zu werden. Während des Essens besprachen sie, wie sie den Brief an Hermine schicken wollten. Es gab einiges zu bedenken, da der Brief nicht in Voldemorts Hände gelangen sollte.

„Wir werden den Brief doppelt absichern.“, sagte Henry, „Ich kann ihn mit einem Persönlichkeitszauber verschlüsseln, so dass nur der Empfänger in der Lage ist, ihn zu lesen. Nur brauche ich einen Gegenstand, der sehr persönlich mit ihr zusammenhängt. Haben Sie irgendetwas in der Richtung?“

Harry überlegte. Natürlich, sie hatte ihm zum Geburtstag geschrieben und den Brief hatte er noch in seinem Koffer.

„Kein Problem, wir nehmen den Brief, den sie mir geschrieben hat.“, sagte Harry.

„Das ist gut. Dann werden wir ihn noch mit einem Siegel versehen, der ihn über den Trannsport unsichtbar macht. Erst, wenn er bei Hermine ist, wird er wieder sichtbar. Und schließlich werden wir ihn mit einem Pulver bestreuen, das ihn nach dem Lesen zerstört.“

„Und wie werden wir ihn schicken?“, fragte Harry.

„Wir werden George anrufen. Wenn wir über unsere Kamine Kontakt haben, kann ich George den Brief durchreichen und er schickt ihn dann per Eule weiter.“

„Ja, das klingt gut.“

Nach dem Essen trennten sie sich für eine Stunde. Henry wollte ein wenig schlafen. Sie zogen sich in ihre Räume zurück. Harry setzte sich an den Sekretär, um mit dem Schreiben anzufangen. In einer Schublade fand er mehrere Bögen Pergament, alle mit der Prägung eines Wappens, offensichtlich das Familienwappen der Perpignons. In eine andere Schublade war ein Tintenfass eingebaut, neben dem einige spitze Federn und die üblichen Utensilien wie Klingen zum Radieren und ein Fläschchen mit feinem, weißem Sand lagen. Er legte sich einen Bogen zurecht und begann zu schreiben.


„Hallo Hermine,


es sind aufregende Dinge passiert. Lord Voldemort hat versucht, mich zu erwischen. Gott sei Dank habe ich es rechtzeitig gemerkt und konnte in die Winkelgasse entkommen. Mr. Ollivander half mir, jemanden zu finden, bei dem ich untertauchen kann. Ich bin jetzt auf dem Lande, bei einem guten Freund von Mr. Ollivander. Dieser Freund, dessen Namen ich hier noch nicht nennen möchte, hilft mir, mich gegen Voldemort zu schützen.

Der Freund ist klasse. Was er alles weiß, ist einfach irre. Heute haben wir ein paar Zauber geübt und das hat richtig Spaß gemacht. Seine Bibliothek ist gigantisch. Ich glaube, es würde Dir riesigen Spaß machen darin rumzustöbern. Du liebst doch Bücher so.

Der Freund hat mir einen Vorschlag gemacht. Er hat mich gefragt, ob wir Dich zu uns einladen sollen. Magst Du kommen?

Wenn Du kommen möchtest, dann gehe zu Mr. Ollivander. Reise am besten mit Flohpulver, dann sieht Dich keiner. Mr. Ollivander kann dann eine Verbindung zu uns herstellen und sorgt auch für die Reise. Ich würde mich freuen, wenn Du kommen könntest. Wir haben ja noch zwei Wochen mehr Ferien, also noch 4 Wochen, in denen wir noch einiges erleben können.


Viele Grüße


Harry


P.S. Wundere Dich nicht, der Brief wird sich selbst zerstören, wenn Du ihn gelesen hast. Er soll nicht in fremde Hände fallen.“


Harry rollte den Brief zusammen und steckte ihn in seine Tasche. Dann ging er zum Himmelbett um sich hinzulegen. Ein Rascheln ließ ihn herumfahren. Der Sekretär begann, sich selber aufzuräumen. Das Tintenfass, das er offen gelassen hatte, wurde wie durch Geisterhand zugeschraubt, die Feder verschwand wieder an ihrem Platz und die Schubladen schoben sich zu. Harry erinnerte sich an seine sauber gefalteten und aufgeräumten Kleider und begriff. Hier lief wohl alles automatisch. Jetzt verstand er auch, das das große Haus pieksauber war. Immer stand alles auf seinem Platz und kein Staubkorn war zu sehen. Selbst die Spuren ihrer Schuhe in der Eingangshalle, der Dreck, den sie vom Spaziergang mitgebracht hatten, war nach dem Essen nicht mehr da, obwohl er nicht beobachten konnte, dass irgendjemand den Boden gewischt hatte.

Anerkennend pfiff er durch die Zähne. Immer mehr wurde ihm bewusst, dass die Zaubererwelt viel größer war als er sich je hatte träumen lassen. Er war gespannt, was Henry ihm heute nachmittag zeigte. Am liebsten würde er wieder in den Wald gehen, zum Steinkreis. Harry hatte noch nie im Leben einen so spannenden und lehrreichen Unterricht erlebt. Nicht einmal die Stunden bei Mad-Eye Moody, die ja schon absolut einzigartig gewesen waren, kamen da heran.

Er legte sich auf sein Bett und las ein wenig in dem Buch ‚Quidditch im Wandel der Zeiten

’. Schon lange hatte er nicht mehr Quiddich gespielt. Er sehnte sich danach, wieder auf das Feld zu kommen, den Jubel bei den Spielen zu erleben. Allein das Fliegen mit dem Besen fehlte ihm. Vielleicht fragte er Henry, ob es gefährlich wäre, einen Ausflug zu machen. Vielleicht wollte Henry auch mitkommen.

Die mittägliche Hitze, die durch die Fenster in das Zimmer vorgedrungen war, machte ihn schläfrig. Nein, er wollte nicht schlafen. Er wollte so viel Zeit des Nachmittags wie möglich mit Henry verbringen. Wenn er jetzt einschlief, wusste er nicht, wann er wieder aufwachte, oder ob ihn jemand wecken würde. Also stand er auf. Er kramte in seinem Koffer nach dem Brief von Hermine, nahm die Tasche, in die er die Einladung gesteckt hatte, und ging hinunter in die Bibliothek.

Arthur, der unten noch beschäftigt war, fragte, ob er noch einen Wunsch hätte, was Harry dankend verneinte. Arthur zog sich zurück und Harry schlenderte an den Reihen von Büchern entlang. Viele Titel waren in lateinischer oder altgriechischer Sprache. Manche Bücher hatten Runen auf ihrem Rücken, die ihn an das Bild des Menhiren im Buch von Mr. Ollivander erinnerten. Es gab aber auch viele Bücher in englischer Sprache, von denen Harry einige als Schulbücher wiedererkannte. Er fand sogar die Titel, die er sich für dieses Jahr hatte besorgen müssen.

Bei einem Buch mit dem Titel „Drachen und ihre Pflege“ blieb er stehen. Er nahm es aus dem Regal und setzte sich in einen der Sessel. Zuerst blätterte er nur herum und besah sich die Bilder, bis er eine Zeichnung eines Ungarischen Hornschwanzes entdeckte. Er begann zu lesen.

„Dracaenus balkanii, Balkanischer Hornschwanz. Er gehört zu den größten Drachenarten der Welt und lebt vornehmlich im Balkan und den angrenzenden Ländern. Die Hornschwänze zeichnen sich durch ihren schweren, mit Platten gepanzerten Leib und dem mit hornigen Auswüchsen versehenen Schwanz aus. Seine Länge beträgt durchschnittlich 20 Meter, aufgerichtet erreicht er eine Höhe von 15 Metern. Trotz seiner Größe ist er voll flugfähig und sehr wendig, da er in steil zerklüfteten Gebirgstälern lebt. Er jagt vornehmlich Großwild, wie Bären und Rothirsche, die er mit seinen Klauen hoch in die Luft hebt und dann fallen läßt. Seine Farbe ist perfekt der Umgebung angepasst. Je nach Art und speziellem Lebensraum kann sie vom lichten Grau bei Kalkfelsen bis zu dunklem Grün in Tannenwäldern variieren. Die Gelege werden in Felshöhlen abgelegt und die meiste Zeit sich selbst überlassen. Ein untrüglicher Sinn meldet jedoch jede Gefahr für das Gelege und die Weibchen kehren zur Höhle zurück um ihre Nachkommenschaft mit äußerster Agressivität zu verteidigen.

Es gibt insgesamt 14 verschiedene Unterarten des balkanischen Hornschwanzes. Die bekannteste Art ist der Ungarische Hornschwanz, Dracaenus balkanii hungarica, der vornehmlich in den nördlichen Hochgebirgen der ungarischen Karpaten vorkommt. Seltener wird er in den flachen Regionen Ungarns angetroffen, da er für die braune Erde der Ungarischen Steppen keine Tarnpigmente entwickeln kann. Seine Farbe ist schwarz, den dunklen Urgesteinsfelsen seiner heimatlichen Umgebung angepasst. Er erlangte seine Bekanntheit durch die außerordentliche Agressivität und sein wiederholtes Auftauchen in menschlichen Siedlungen. Berichten zu folge jagt der Ungarische Hornschwanz als einzige Unterart der Hornschwänze auch Menschen.

Die größte Unterart der Hornschwänze ist der Dracaenus balkanii romanica, der im rumänischen Teil der Karpaten beheimatet ist. Seine Farbe ist Steingrau, seine Hornplatten zeigen kein regelmäßiges Muster. Seine Tarnung ist Teil seiner Jagtstrategie. Er wird von seinen Beutetieren mit einem Felsen verwechselt. Durch seinen langen und wendigen Hals und den aufgeprägten Hornschnabel ist es ein Leichtes für ihn, die Tiere, die auf seinem Rücken sitzen herunter zu picken.“

„Hallo Harry, ich sehe, Sie haben schon ohne mich angefangen“. Harry schrak hoch. Er hatte sich so sehr in die Seiten vertieft, daß er Henrys Schritte nicht gehört hatte.

„Ich wollte keinen Mittagsschlaf machen und habe mir gedacht, ich könnte vielleicht ein wenig in den Büchern...“

„Selbstverständlich, Harry, die Bücher stehen Ihnen zur vollen Verfügung. Ich wollte ohnehin den Nachmittag mit Ihnen hier in der Bibliothek verbringen. Haben Sie den Brief fertig?“

„Ja.“, sagte Harry, angelte seine Tasche vom Boden und holte das zusammengerollte Pergament heraus.

„Dann werden wir ihn mal vorbereiten. Kommen Sie mit?“

Ohne eine Antwort abzuwarten ging Henry zum Schreibtisch und drehte an einer Marmorfigur. Von den Regalen ertönte ein Knarren und ein Teil der mit Büchern beladenen Bretter schwang auf. Dahinter wurde ein kurzer Gang sichtbar, der zu einer Wendeltreppe in den Keller führte. Harry folgte Henry. Kaum hatten sie die Öffnung durchschritten, schloß sie sich wieder.

„Wir gehen jetzt in mein Labor. Leider werden Sie diese Tür nicht öffnen können. Die Figur reagiert nur auf mich. Sollten Sie versuchen, die Figur zu drehen, werden sie feststellen, dass sie eine ganz normale Skulptur ist, die Sie hochnehmen und ansehen können. Wenn Sie also ins Labor wollen, muß ich Ihnen öffnen.“

Sie stiegen die Wendeltreppe hinunter. Mal um Mal wand sie sich im Kreis und Harry hörte bald auf, die Stufen zu zählen. Bei jedem Meter, den sie vorwärts kamen, entflammten die an der Wand hängenden Fackeln, die, die sie hinter sich ließen, verloschen wieder. Als sie am Grund des Schachtes ankamen hatte er den Eindruck, sie seien mindestens 50 Meter unter der Erde. Vom Ende der Treppe aus führte ein gewölbter Gang um mehrere Biegungen bis zu einer eisenbeschlagenen Holztür.

Henry murmelte „Offerta“ und die Tür öffnete sich. Dahinter lag ein Gewölbe, wie Harry es aus dem Zaubertrankunterricht kannte. Die Fackeln im Gewölbe entflammten eine nach der anderen und tauchten den Raum in ein helles, flackerndes Licht. Er war etwa zehn mal zehn Meter im Quadrat und wurde durch vier Säulen gestützt. In der Mitte des Raumes stand ein masiver Holztisch, auf dem allerlei Gerätschaften aus Glas und Mesing, porzellanene Schalen, Mörser, Spatel und Werkzeuge aus Eisen und Gold, die dafür zu dienen schienen, Materialien zu zerkleinern, lagen. Um das ganze Gewölbe herum waren unterschiedlichste Schränke aufgestellt, von denen Manche mit großen Schlössern versehen waren. Hinter einigen der Glastüren standen braune Flaschen und Gläser mit Flüssigkeiten und Pulvern.

Henry legte den Brief auf den Tisch. Er ging zu einem Schrank, öffnete ihn und holte ein Notizbuch heraus.

„Geben Sie mir mal den Brief, den Hermine an Sie geschrieben hat.“

Harry reichte ihm den Brief. Henry legte ihn in eine flache Schale und entnahm einem anderen Schrank eine kleine Flasche mit einer dunklen Flüssigkeit. Er goss die Flüssigkeit über den Brief, schwenkte die Schale einige Male hin und her, so dass der Brief vollständig benetzt wurde, dann nahm er ihn heraus, klopfte die Tropfen, die wie von einem gewachsten Auto abperlten in die Schale, und gab ihn an Harry zurück.

„Ich nehme damit eine Spur der Persönlichkeit von Hermine auf. Jetzt müssen wir Ihren Brief hineinlegen.“

Er nahm Harrys Pergament und legte es in die Flüssigkeit. Wieder schwenkte er die Schale einige Male und stellte sie dann auf den Tisch zurück. Dann schlug er das Notizbuch auf, suchte eine bestimmte Seite und begann einen Text vorzulesen, den Harry nicht verstand. Dabei hielt er seine Hände wie ein Pastor bei der Segnung über die Schale. Die schwarze Flüssigkeit begann zu sprudeln und mit der Zeit wurde sie klar. Harry konnte erkennen, dass durch diese Prozedur alle Buchstaben des Briefes ihre Stellung gewechselt hatten. Harry versuchte etwas zu lesen, konnte aber nur sinnlosen Kauderwelsch entziffern.

Henry nahm auch diesen Brief aus der Lösung, klopfte ihn ab, rollte ihn zusammen und legte ihn auf den Tisch. Wieder ging er zu einem Schrank, öffnete ihn und suchte eine Weile darin herum.

„Wußt ichs doch, dass ich noch einen habe!“, rief er und holte einen kleinen goldenen Stempel heraus. In der anderen Hand hatte er einen Stab, der durchsichtig war wie Glas.

„Fluorescenca“, sagte er. Die Fackeln änderten ihr Licht. Der ganze Raum wurde in Schwarzlicht getaucht, das auf seltsam unwirkliche Weise die Gegenstände zu schwachem Leuchten anregte. Alles andere war dunkel, so dass es schien, als würden die Möbel in einem endlosen schwarzen Raum schweben. Nur den Glasstab leuchtete in intensivem Violett.

Henry zündete nun eine schwarze Kerze an, die in einem goldenen Leuchter auf dem Tisch stand.

„Das ist magisches Licht,“, sagte er zu Harry.

Er hielt den Glasstab in die Flamme, bis die Spitze zu schmelzen begann. Schnell hielt er den Stab über die Pergamentrolle und klebte mit den Tropfen, die von dem Stab herunterfielen, das lose Ende des Pergamentes an der Rolle fest. Dann setzte er den goldenen Stempel darauf und drückte ein Siegel auf. Wie durch ein Wunder wurde der Brief durchscheinend und löste sich auf. Zurück blieb nur eine Aura aus schwach violettem Licht, das die Form einer Pergamentrolle hatte.

„Fin Fluores“, murmelte Henry. Die Fackeln flackerten kurz auf und fingen wieder an mit hellem Licht zu leuchten. Der Brief war verschwunden. Henry tastete nach dem Brief und reichte ihn Harry.

„Stecken Sie ihn in die Tasche. Wir rufen gleich George an und geben ihn weiter. Verlieren Sie ihn nicht, sonst können wir ihn vor heute Abend nicht wiederfinden. Im Tagesticht haben wir keine Chance.“

Dann verstaute er die Utensilien wieder in den Schränken.


***


Ein paar Minuten später saßen sie vor dem Kamin und sahen Arthur zu, wie er ein kleines Feuer machte. Es war die gleiche Prozedur, wie Harry sie schon bei Mr. Ollivander beobachtet hatte und als die violetten Flammen auf Gesichtshöhe schwebten, bat Henry um den Brief und trat in den Kamin.

„George Ollivander!“, rief er in die Flammen und steckte seinen Kopf hinein. „Hallo George?“, hörte Harry ihn rufen.

Nach einer Weile kam von anderen Ende die Antwort.

„Hallo Henri, entschuldige, ich hatte gerade einen Kunden. Wie geht es Dir und wie geht es vor allem unserem jungen Freund?“

„Wir können nicht klagen. Er macht sich gut als Schüler.“

Harry freute sich über das Lob.

„Gibt es schon irgendwas neues bei Euch?“, fragte Henry.

„’Du weist schon wer’ scheint die Spur verloren zu haben. Unser Informant hat ein Gespräch zwischen zwei Todessern aufgeschnappt, in dem es darum ging, dass ‚Du weist schon wer’ bei einer gestrigen Versammlung getobt haben soll. Der Name unseres Schützlings ist in dem Zusammenhang auch gefallen. Ich glaube, sie tappen ziemlich im Dunkeln.“

„Sehr gut. Harry hat sich hier schon ganz gut eingelebt. Heute Morgen haben wir ein bischen gezaubert und ich habe das Gefühl, dass er einiges auf dem Kasten hat. Hör zu, George. Heute bin ich es, der Dich um einen kleinen Gefallen bittet. Wir haben einen Brief, den ich dich bitten würde, loszusenden. Ich glaube, es ist besser, wenn wir von hier aus keine Post schicken, wer weiß, ob unsere Eule nicht doch in fremde Hände fällt.“

„Kein Problem, Henri. Reich ihn mal rüber.“

Henry schob die Hand, in der er den nsichtbaren Brief hielt, in die Flammen.

„Hier, ich mußte ihn ein wenig verstecken. Binde ihn einer Eule ans Bein und schicke ihn bitte an Fräulein Hermine Granger. Er enthält eine Einladung. Kannst Du sie von Deinem Laden aus auf die Reise schicken, wenn sie kommen will?“

„Altbewährtes Spiel, ich werde sie auch auf den Hügel portieren. Wann kann ich denn damit rechnen?“

„Kommt darauf an, wann sie reisen kann, aber ich denke, es wird wohl morgen der Fall sein. Falls sie kommt, kannst Du ja kurz anrufen, dann wissen wir Bescheid und holen sie ab.“

„Wird gemacht.“

„Gut. Danke schon mal. Wir sprechen uns...“

„Tschüs, Henry.“

Henry zog den Kopf wider aus der Flamme, die mit einem leisen Plopp verlöschte.

„So, das wäre geregelt. Wollen wir uns jetzt in die Bibliothek begeben? Wir haben noch 2 Stunden bis zum Tee, wir sollten sie nutzen.“

„Ok.“, sagte Harry und folgte Henry in die Bibliothek.

„Ja, ... wie wollen wir vorgehen?“, überlegte Henry. Ich glaube, wir sollten erst einmal etwas über den Zauberstab von Slytherin herausfinden, was denken Sie, Harry?“

„Ich weiß nicht, sicher wäre das gut!“

„Also gut. Fangen wir an.“

Henry fuhr mit der Hand in einer Kreisbewegung durch die Luft. „Selectio“ murmelte er. Der Raum verdunkelte sich etwas und begann in einem leicht bläulichen Licht zu schimmern.

„Ich möchte alles über den Drachenstein-Zauberstab von Salazar Slytherin haben.“, sagte Henry in den Raum.

Mit einem Mal kam Leben in die Regale. Es raschelte und ploppte rings herum. Hier und da wurden Bücher herausgezogen und wieder hineingeschoben. Schließlich änderte sich das blaue Glimmen in ein Grünes. Es zog sich zu einem Wirbel zusammen und begann, die Regale entlang zu fahren. Ab und zu verharrte es vor einem Buch, das ein Stück herausgezogen wurde. Schließlich verglimmte das Licht ganz. In den Regalen waren 3 Bücher etwas heraus geschoben. Henry sammelte sie ein und legte sie auf den Rauchtisch. Grüne Zettel klemmten zwischen den Seiten.

„So, Harry. Jetzt schnappt sich jeder ein Buch. Überall da, wo der Zauberstab von Slytherin erwähnt wird, steckt ein Zettel.“

„Wie haben Sie das gemacht?“, fragte Harry, der wieder einmal nur noch staunen konnte.

„Ich mußte mir was einfallen lassen, damit ich schnell an Informtionen kam. Wenn man in geheimer Mission unterwegs ist, kann man nich zu viel Zeit mit der Recherche verbringen. Und Sie sehen, wie viele Bücher hier stehen. Stellen Sie sich vor, ich müßte, um etwas zu finden, jedes Buch herausholen und durchblättern. Da habe ich den Selectio-Zauber entwickelt um mit ihm die Suche etwas zu vereinfachen. Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen bei, wie man ihn nutzt.“

Harry war beeindruckt. „Das wäre was für Hogwarts. Dann hätte ich nie mehr Probleme beim suchen.“

„Er wird in Hogwarts niemals zugelassen werden. Sie erinnern sich, dass es dort eine verbotene Abteilung gibt?“

„Ja, leider.“

Harry nahm sich ein Buch vom Stapel und begann, darin zu blättern. Auch Henry las in einem Buch und so verbrachten sie schweigende Minuten, bis Henry sagte:

„Ich glaub, das ist wichtig.“

„Ich hab auch was gefunden.“, sagte Harry. „Wollen Sie zuerst?“

„Gut. Hier steht: Der Stab wurde im Jahre 852 von einem Zauberer namens Wladim Rubenko hergestellt. Rubenko besiegte einen rumänischen Hornschwanz und entnahm ihm den Stein. Dieser Stein wurde mit einem Goldmörser pulverisiert, was nach Überlieferung zwei volle Jahre dauerte. Aus Eibenholz wurden zwei stabförmige Hohlschalen gefertigt, die mit dem Pulver gefüllt wurden. Der Stab ist nur durch einen Zauber, ohne jegliche Form von natürlichem oder künstlichem Klebstoff zusammengefügt. Dann wurde er 10 Jahre lang in Cronata-Balsam eingelegt und erst nach einem weiteren Jahr der Lagerung an Salazar Slytherin übergeben.“

„Dann hat Slytherin ja gar nicht den Drachen getötet?“

„Sieht nicht so aus. Weiter steht hier: Salazar Slytherin unterzog den Stab einer intensiven magisierung, bevor er ihn das erste Mal benutzte. Es heißt, daß er mit Hilfe des Stabes einen Basilisk bezwingen und sich untertan machen konnte.“

„Der Basilisk!“, entfuhr es Harry. „Kann es sein, dass das der war, auf den ich in der Kammer des Schreckens unter Hogwarts gestoßen bin?“

„Das ist durchaus möglich, Basilisken werden mehrere tausend Jahre alt und können lange Zeiträume schlafend verbringen.... Und was haben Sie gefunden?“

„Hier steht, dass die Eigenschaften des Drachensteins dem Zauberstab besondere Fähigkeiten geben. So kann er zum Beispiel dem rechtmäßigen Besitzer nicht gegen seinen Willen weggenommen werden. Der Zauberstab wurde besonders für den Zweikampf entwickelt. Zauber können auch in Parsel gesprochen werden, um den Gegner zu überraschen.“

„Das macht das ganze schwieriger als ich dachte. So können Sie nicht richtig auf den Gegner reagieren. Wir müssen unsere Suche eher auf die Verteidigungs- und Schutzmöglichkeiten ausrichten.“

„Wieso? Ich kann doch Parsel!“

„Sie sind ein Parselmund!?“ Henry war im höchsten Maße überrascht.

„Ja. Ich habe schon als Kind mit einer Schlange gesprochen. Sie hat mir erzählt, dass sie aus dem Amazonas-Urwald kommt. Und den Basilisken habe ich auch verstanden.“

„Harry, Sie überraschen mich. Wenn ich Ihre Geschichte nicht kennen würde, und Sie mir nicht von George empfohlen worden wären, wüsste ich jetzt nicht, ob ich Sie weiter in meinem Hause dulden könnte. Zauberer, die Parsel sprechen, gehören gewöhnlich der dunklen Seite an.“

„Professor Dumbledore meint, dass es damals passiert ist, als Voldemort mich töten wollte.“, erklärte Harry. „Dabei ist diese Fähigkeit auf mich übergesprungen.“

„Das ist ja interessant. Habe Sie vielleicht auch andere Fähigkeiten erhalten, von denen Sie mir erzählen sollten? Zum Beispiel ist Voldemort ein Magid. Wissen Sie, was ein Magid ist?“

„Ja, Dumbledore erzählte es mir. Aber ich bin sicherlich nicht so mächtig, wie es ein Magid sein soll. Wir haben im Wald doch gesehen, dass ich nicht ohne Zauberstab zaubern kann.“

„Warum haben Sie mir nichts gesagt, als wir die Sprüche ohne Stab versucht haben?“

„Weiß nicht,“ sagte Harry und sah Henry ehrlich unschuldig an. „Ich habe nicht daran gedacht. Und ich habe nie versucht, ohne Zauberstab zu zaubern. Ehrlich, ist mir vollkommen entfallen.“

Harry fühlte sich sehr unwohl in seiner Haut, aber Henry glaubte ihm und lächelte.

„Dann sieht es ja alles ganz anders aus. Uns steht die Welt offen. Wir können uns jetzt eine herrliche Strategie zurechtlegen. Vorrausgesetzt, wir haben alle Informationen, die wir brauchen.“

Harry atmete erleichtert auf. Er legte sein Buch zur Seite und griff nach dem Dritten. Als er es aufschlug, musste er feststellen, dass es in Altgriechisch geschrieben war.

„Hier, das kann ich nicht lesen. Ich verstehe die Sprache nicht.“

„Kein Problem. Wir können einen Übersetzungszauber anwenden.“, sagte Henry und nahm Harry das Buch aus der Hand. Er schlug die Seite auf, die durch den grünen Merkzettel markiert wurde, legte es offen auf das Rauchtischchen und murmelte, indem er die Hand über die Seite hielt:

„Translate greco ingles.“ Dann reichte er Harry das Buch und forderte ihn auf:

„Versuchen Sie es noch mal.“

Harry nahm es und sah, dass die markierte Seite plötzlich in englischer Sprache gedruckt war, während die anderen Seiten nach wie vor altgriechisch waren.

Harry überflog die Seite.

„Hier ist was wichtiges!“, rief er. „Hier steht: Wird ein Zauber mit Hilfe eines Drachensteins ausgeführt, hilft nichts dem Opfer. Nicht einmal die Flucht kann es retten, denn der Zauber verfolgt es.“

Seit zwei Wochen waren sie aus Mallorca zurück. Hermines Eltern hatten die Arbeit in ihrer Gemeinschaftspraxis wieder aufgenommen und Hermine verbrachte die Tage in gepflegter Langeweile. Sie hatte nichts mehr zu lesen und war aus lauter Verzweiflung schon an die Bücher ihrer Mutter gegangen, die mit Vorliebe „Rosamunde Pilcher“ las. Viel lieber würde sie schon einen Blick in die neuen Schulbücher werfen, aber der Besuch der Winkelgasse stand erst in 2 Wochen an. Zuerst wollten ihre Eltern den Betrieb wieder zum Laufen bekommen.

Hermine lag auf einer Gartenliege in der prallen Sonne der Terrasse, konnte sich aber nicht richtig auf die Geschichte konzentrieren. Sie hasste langweilige Liebesromane, die vor Schmalz nur so troffen. Sie las eher anspruchsvolle Literatur, nur der Vorrat war inzwischen erschöpft. Sie legte das Buch auf den Boden, strich ihr Haar aus der Stirn, legte sich zurück und schloss die Augen. Dann würde sie halt noch ein bisschen in der Sonne braten. Seit sie sich langsam zur Frau entwickelte, war sie eitel geworden und legte viel Wert auf ihr Aussehen. Auf der Insel war sie bei einem Starfriseur gewesen und hatte sich von ihm eine neue Frisur machen lassen. Das war gar nicht so einfach gewesen, und der Friseur hatte lange mir ihr diskutiert, was man mit der dichten Mähne anstellen konnte. Zu Glück hatte er gut Englisch gesprochen, denn Hermine konnte kaum ein paar Brocken Spanisch.

Schließlich war eine freche, schwarz gefärbte Punk-Frisur mit Ecken und Kanten und einem Fransenpony entstanden, die zwar sehr gewöhnungsbedürftig war, ihr hübsches Gesicht aber viel besser zur Geltung brachte. Zuerst war sie erschrocken vom Spiegel zurückgewichen, aber als ihre Eltern einstimmig bekundeten, wie gut ihr das stünde und ihre Urlaubsbekanntschaft Giovanni, ein junger Italiener, der als Animator in einem anderen Hotel arbeitete, sie nur noch anhimmelte, gestand sie sich ein, daß die Zeiten des kleinen Mädchens Hermine ein für alle Mal vorbei waren. Die Jungs am Strand hatten sich nach ihr umgedreht und durch die Zähne gepfiffen, bei einigen hatte es ihr wohl gefallen, auch wenn ihr die anderen damit sehr auf die Nerven gegangen waren.

‚Ich bin mal gespannt, was Harry und Ron sagen, wenn wir uns wieder treffen.’ Sie freute sich auf ihre Freunde und überlegte, dass sie den beiden eigentlich noch einen Brief schreiben sollte. Aber jetzt schlaffte sie gerade so schön ab. Die Sonne brannte heiß auf ihren ohnehin schon braunen Korper und der Schweiß perlte auf ihrer Haut. Krummbein hatte es sich zu ihren Füssen bequem gemacht, hielt aber Abstand, um nicht auch noch von Hermine gewärmt zu werden.

Wieder schloss sie die Augen und versank in einen Wachschlaf. Leise drangen die Geräusche von spielenden Kindern und der nahen Hauptstraße an ihr Ohr. Plötzlich hörte sie ein Flattern und ein dunkler Schatten zog über ihre geschlossenen Lider. Sie erschrak, setzte sich auf und öffnete die Augen. Eine Eule ließ sich am Fußende ihrer Liege nieder und streckte ihr ein Bein hin, um das ein Band geschlungen war. Hermine stutzte. Sie beugte sich vor und tastete danach. An dem Band war etwas befestigt, das sie nicht sehen konnte. Sie knüpfte es los und fühlte in ihrer Hand eine Pergamentrolle.

„Danke, meine Kleine,“ sagte sie und strich der Eule über den Kopf. „Wie soll ich das denn lesen, ich kann es ja nicht sehen?“

Die Eule legte den Kopf schief und es sah aus, als würde sie mit der Schulter zucken. Dann breitete sie die Flügel aus und erhob sich in die Luft. Hermine stand auf und ging ins Haus. Krummbein, froh, in die Kühle des Hauses zu kommen, folgte ihr.

‚Mal in den Büchern nachschauen, was man mit einem unsichtbaren Brief macht...’ dachte sie und ging in ihr Zimmer. Ein Luftzug ließ die Tür ins Schloss fallen. Hermine ging zum Fenster und machte es zu. Dann wollte sie die Tür wieder öffnen und bemerkte, dass das Pergament in ihrer Hand Gestalt annahm und langsam wieder sichtbar wurde. Sie öffnete die Tür und musste mit Erstaunen feststellen, dass sich das Pergament wieder auflöste. Sofort schloss sie die Tür wieder und wartete, bis der Brief wieder sichtbar war. Dann entrollte sie ihn und begann zu lesen. Als sie die Zeilen von Voldemort und Harrys Flucht las, erschrak sie zunächst. An der Stelle, an der sie eingeladen wurde hellte sich ihr Gesicht auf und sie lächelte. Natürlich hatte sie Lust zu kommen. Und nicht die Bücher allein wares es, die sie lockten, sondern die Freude, einen ihrer Freunde wiederzusehen und aus der Langeweile der Muggel-Ferien zu entkommen. Nachdem Sie den Brief gelesen hatte, zerbröselte er zu Pulver, das sich beim Herunterrieseln in Luft auflöste.

‚Seltsamer Brief’, dachte sie. ‚Wie soll ich denn mit Flohpulver reisen, wenn wir gar keinen Kamin haben? Aber das kann Harry ja nicht wissen, er war ja noch nicht hier.’

„Was meinst du, Krummbein, wollen wir verreisen?“

Sie konnte es kaum erwarten, dass ihr Vater an Abend nach Hause kam. Er war immer der erste, der Feierabend machte. Mutter Granger bereitete die Krankenakten für den nächsten Tag vor und machte noch die Tagesabrechnung fertig. Dafür konnte sie morgens etwas länger schlafen und brauchte erst um 10 Uhr in die Praxis zu kommen. Hermine war sich sicher, dass ihre Eltern es erlauben würden, deshalb kramte sie ihren Koffer hervor und begann zu packen.

Vater Granger kamm, wie jeden Abend, pünktlich um zwanzig Minuten vor Sieben. Die Praxis lag etwa 10 Fussminuten vom Haus der Grangers entfernt, und da sie immer pünktlich Feierabend machten, konnte man schon eine Uhr danach stellen. Er legte Hermine zur Begrüßung einen Arm um die Schulter und gab ihr einen Schmatz auf die Wange.

„Na mein Schatz, wie war dein Tag?“

„Schrecklich, Pa. Der Vormittag ging ja noch, weil ich im Haushalt was zu tun hatte, aber die Nachmittage sind grauenhaft langweilig. Ich habe nichts mehr zu lesen und ich glaube, ich sterbe, wenn ich nicht bald die neuen Schulbücher bekomme.“

Hermine hatte sich abgewöhnt, sofort mit den Neuigkeiten herauszuplatzen, besonders, wenn es darum ging, von ihren Eltern eine erlaubnis einzuholen. Zunächst sorgte sie für Gemütlichkeit und Entspannung. Sie hatte den Tee aufgebrüht, das Abendessen bereitet – sie war eine ausgezeichnete Köchin – und sah nun zu, dass ihr Pa sich an den Tisch setzte und sich erholen konnte. Sie platzte fast vor Aufregung und war fahrig in ihren Bewegungen, so dass sie fast die Teekanne fallen gelassen hätte. Glücklicherweise bemerkte ihr Vater nichts, er hatte die Zeitung auf dem Tisch entdeckt und überflog die Schlagzeilen.

Eine Reihe mysteriöser Todesfälle sorgte in London für Aufregung. Scotland Yard hatte eine Sonderabteilung gebildet und versuchte herauszufinden, ob es sich um natürliche oder gewaltsame Todesfälle handelte. Spuren waren keine zu entdecken, es gab auch keine Krankheitsbilder, nicht einmal einen Schlaganfall, die Verstorbenen gehörten keiner besonderen Risikogruppe an, waren alle in unterschiedlichem Alter und kerngesund und die Polizei tappte im Dunklen. Jeden Tag konnte man über die Misserfolge der Beamten in der Zeitung lesen.

Hermine setzte sich zu ihrem Vater an den Tisch. Sie konnte keinen Bissen hinunter bekommen, schenkte sich aber einen Tee ein und trank ihn in kleinen Schlucken.

„Ist dir nicht gut,Hermine?“, fragte Pa Granger, als er es bemerkte.

„Doch, doch. Ich habe mir nur gedacht, dass ich noch ein Kilo weniger vertragen könnte...“

Pa Granger grinste. „Ihr Teenager seid doch alle verrückt. Kind, du bist gertenschlank, die Jungs müssten auf dich fliegen. Was musst du noch abnehmen?“

„Ich glaub, meine Jeans fangen an zu kneifen. Vielleicht habe ich im Urlaub zu gut gelebt?!“

„Gut, das sehe ich ein.“, grinste er, „Wir haben auch kein Geld, neue Klamotten zu kaufen. Und wenn Du nichts isst, dann sparen wir auch noch zusätzlich.“

„Pa, veräppel mich nicht!“, sagte Hermine mit gespieltem Ärger. „Paaa?“

„Ja, mein Kind?“

„Du, Pa, wenn ich dich um etwas bitte, erlaubst du es dann?“

„Wenn es mir möglich ist, kann es schon sein.“ Er kannte das Spiel und ging gerne darauf ein.

„Du, Pa, ich bin von jemandem eingeladen worden.“

„Darf ich fragen von wem?“

„Von Harry...“

„Ach, Harry, dein Schulfreund. Hat er Geburtstag?“

„Pa! Ich gehe nicht mehr auf Kindergeburtstage. Und Harry hat auch keinen Geburtstag. Er macht Urlaub auf dem Land, und er hat mir geschrieben, ob ich nicht kommen möchte, er langweilt sich so.“ Na ja, das war ein wenig geschwindelt, aber Hermine verstand es durchaus, ihrem Pa klarzumachen, dass es kaum eine andere Möglichkeit gab, als ja zu sagen.

„Wo auf dem Land ist er denn?“

„Das kann ich nicht sagen. Es soll eine Überraschung sein.“

„Und wie lange möchtest du ihn besuchen?“

„Na ja, bis zum Ende der Ferien...?“

„Oha, ich glaube, das muß ich erst mit Deiner Mutter besprechen.“

Hermine wusste, dass sie ihrem Vater nur noch ein paar Argumente liefern mußte. Er würde das schon mit ihrer Mutter regeln. Normalerweise mochte Ma Granger nicht, wenn Hermine, die ja erst 15 Jahre alt war, für so lange Zeit weg fuhr, es sei denn in die Schule, wo sie unter Aufsicht stand.

„Weißt du Pa, Harry ist bei einem Freund von Mr. Ollivander, und er schreibt, dass er dort viel lernen kann. Für mich wäre das auch ganz toll, bestimmt habe ich dann im nächsten Jahr super Zeugnisse. Und du weist doch, wie sehr ich Bücher liebe und Harry hat von einer gaanz tollen Bibliothek gesprochen. Du willst doch auch, dass ich eine gute Schülerin bin oder Pa?“ Dabei himmelte sie ihn an, dass Mr. Granger in Lachen ausbrach.

„Kind...Kind,“, sagte er und wischte sich die Augen. „Gut. Ich rede mit Ma. Wenn du da so gerne hin willst...“

„Danke Pa. Du bist der beste Pa der Welt!“ rief Hermine, sprang auf und umarmte ihren Vater stürmisch. ‚Siehst du, klappt doch.’, dachte sie zufrieden.

„So, da es ja nun heraus ist, kannst du jetzt wieder essen. Guten Appetit.“

Als dann eine Stunde später Ma Granger nach Hause kam, hielt sich Hermine zunächst im Hintergrund. Sie wusste, dass ihr Vater allein mit ihrer Mutter reden musste, und vor allem den Zeitpunkt selbst bestimmen wollte. Da sie aber viel Vertrauen in die Überzeugungsfähigkeiten ihres Pa hatte, blieb sie so gelassen, wie man es vor einer aufregenden Reise überhaupt sein konnte. Schließlich, es war kurz vor Zehn und Hermine hatte sich gerade ich ihr Zimmer zurückgezogen, klopfte es an ihre Tür und Ma kam herein.

„Hallo Ma!“, sagte Hermine und sah ihre Mutter erwartungsvoll an. Ma setzte sich neben ihre Tochter auf die Bettkante.

„Pa hat mir erzählt, dass du Harry besuchen willst?“, fing sie an. „Du weißt, dass ich dich nicht gerne so lange weg lassen möchte.“

„Ma, ich bin sicher, dass Harry gut aufgehoben ist. Der Freund von Mr. Ollivander soll sehr nett sein, schreibt Harry. Und ich komme hier um vor Langeweile. Ihr seid den ganzen Tag in Eurer Praxis, und das bisschen Aufräumen und Putzen habe ich in einem halben Vormittag geschafft. Bis die Ferien vorbei sind, bin ich bestimmt verkümmert.“

Ma lächelte, nahm Hermines Hand.

„Ich weiß, meine Kleine.“ Sie benutzte immer noch gerne diesen Ausdruck, obwohl sie wiederholt mit Schrecken feststellen musste, wie groß und erwachsen Hermine inzwischen geworden war. Die Jahre auf Hogwarts hatten aus dem kleinen Mädchen, das sie vor 4 Jahren praktisch dorthin entlassen hatte, einen fast erwachsenen Teenager gemacht, der sehr wohl seinen eigenen Kopf hatte. Gut, das hatte sie immer schon gehabt. Glücklicherweise hielten sich die Pubertätsausbrüche in Grenzen, dafür waren auch Hermine die Tage, die sie in ihrer Familie verbrachte, zu schade. Aber allein, wenn man sie ansah, musste man feststellen, wie sehr sie schon zur Frau geworden war.

„Ich glaube,“, fuhr Ma Granger fort, „ich kann es dir nicht verwehren.“ Ihr Blick fiel auf den gepackten Koffer. „Und gepackt hast du ja auch schon. Wie soll ich dich denn noch halten?“

„Komm, Ma, sei nicht traurig. Ich pass auf mich auf. Und ich schreibe dir auch, wenn ich angekommen bin. Harry und ich haben so viel erlebt, was soll denn da noch passieren?“

„Passieren kann immer etwas. Aber gut.“ Sie holte tief Luft und seufzte leise. „Wann möchtest denn reisen?“

„Ich dachte, morgen nach dem Frühstück. Ich fahre dann erst in die Winkelgasse und besorge mir die Bücher, die wir dieses Jahr mitbringen müssen. Dann gehe ich zu Mr. Ollivander, und der wird mich zu Harry schicken.“

„Also dann, bis Morgen.“, sagte Ma und drückte Hermines Hand. Sie blickte ihr einen Augenblick wehmütig in die Augen und stand dann auf.

„Gute Nacht Ma.“

„Gute Nacht mein Schatz.“


Am nächsten Morgen konnte Hermine es kaum erwarten, dass es los ging. Dennoch frühstückte sie mit ihrer Mutter und wartete bis zehn Uhr, bis ihre Ma in die Praxis ging. Dann nahm sie ihren Koffer, rief Krummbein und schob ihn in seinen Transportkäfig. Krummbein wehrte sich, aber Hermine kannte das schon und blieb unnachgiebig. Schließlich beugte sich Krummbein ihrem Willen und legte sich beleidigt in die hinterste Ecke.

Sie hatte schwer zu schleppen, und sie war froh, dass sie keinen Umhang, sondern eine Shorts und ein T-Shirt trug. Trotz der Frühe des Vormittags war es schon heiß und eine drückende Schwüle kündigte ein Gewitter an. Sie hatte nur kurz bis zur Bushaltestelle zu gehen. Dort zog sie sich einen Fahrschein aus dem Automaten und setzte sich in den Schatten des Häuschens. Nach ein paar Minuten kam der Bus, sie stellte Koffer und Katzenkäfig auf den Platz für Gepäckstücke und setzte sich auf den nächsten Platz. Der Bus war fast leer, aber hier drin war es noch heißer und drückender als draußen. Diese modernen Busse waren lang nicht mehr so schön, wie die alten, roten Doppeldecker, von denen im Sommer einige ein offenes oberes Verdeck hatten. Sie war gerne oben gefahren und hatte sich den Wind um die Nase wehen lassen.

Nach zwanzig Minuten bog der Bus in die Straße ein, an deren Ende die Kneipe „Der tropfende Kessel“ lag. Die Haltestelle war ganz in der Nähe und die beiden Omas, die sich irgendwann ihr gegenüber hingesetzt hatten schauten ziemlich irritiert, als Hermine in dieser verruchten Gegend ausstieg. Sie betrat den tropfenden Kessel. Hie war nichts los. Nur Tom, der Barkeeper stand hinter der Theke und polierte Gläser. Da im Tropfenden Kessel viele Zauberer aus und ein gingen, um durch den geheimen Eingang in die Winkelgasse zu kommen, beachtete Tom sie gar nicht und Hermine ging gleich durch den Schankraum in den Hof. Dort stellte sie den Koffer ab, suchte den Ziegel und drückte ihn mit der Hand in die Mauer. Das Loch in der Wand tat sich auf und Hermine schleppte ihr Gepäck in die Winkelgasse.

Sie hatte die Straße noch nie so leer erlebt. Selbst bei Florean Fortescue, dem Inhaber der besten Eisdiele in London, saß niemand unter den bunten Sonnenschirmen. Sonst trat man sich hier auf die Füße, wenn all die Schüler von Hogwarts mit ihren Eltern hierher kamen um die Schulsachen einzukaufen. Hermine fand, dass das der schönste Tag im Jahr war. Hier hatte sie ihre Freunde wiedergesehen, hatte neue Bücher gekauft, und die Eisbecher, die mit allerlei zauberhaften Extras versehen waren, schmeckten einfach einzigartig.

Zuerst ging sie in Ollivanders Zauberstabladen. Da sie von hier aus reisen sollte, wollte sie Mr. Ollivander fragen, ob sie ihr Gepäck bei ihm unterstellen konnte. Mr. Ollivander war sehr freundlich zu ihr, ließ sogar Krummbein aus dem Käfig und stellte ihm eine Schale mit verdünnter Milch hin. Hermine sagte, sie wolle noch die Besorgungen für das Schuljahr machen und wunderte sich, als Mr. Ollivander sie zur Vorsicht mahnte. Er sagte es treiben sich viele Todesser hier herum. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, denn sie hatte keine Menschenseele in der Gasse gesehen, höchstens einen kleinen Jungen, der auf der Mauer gegenüber Mr. Ollivanders Laden saß. Und der sah nicht so aus, als wäre er ein Todesser. Sie wischte den Gedanken weg, wie eine lästige Fliege. Bei Flourish and Blotts erstand sie die Bücher, im Schreibwahrenladen füllte sie ihre Bestände an Federkielen und Pergament auf und bei Eeylops kaufte sie ein paar Leckereien für Krummbein.

Schließlich zog sie schwer bepackt die Winkelgasse entlang und steuerte auf Ollivanders Laden zu.

„Hallo junge Dame!“, hörte sie eine fiese Stimme hinter sich. Sie fühlte sich an den Tonfall von Draco erinnert. „Können wir tragen helfen?“

Sie drehte sich um. Zwei schwarz gekleidete Zauberer mit unangenehmen Gesichtern standen vor ihr und grinsten. Der eine war lang und ziemlich dürr, hatte ein tief durchfurchtes blasses Gesicht, und der andere, ein kleiner Dicker, schien unter Bluthochdruck zu leiden. Jedenfalls hatte er einen ziemlich roten Kopf und schwitzte stark. Beide rochen unangenehm nach Schweiß und machten einen verlotterten Eindruck.

„Bist du nicht die junge Granger?“, fragte der längere der beiden.

„Ja!“, sagte Hermine kurz angebunden und straffte sich.

„Fast hätten wir dich nicht wiedererkannt, wenn die Verkäuferin bei Eeylops nicht deinen Namen genannt hätte. Bist du nicht die kleine Freundin von diesem Potter? Jetzt siehst du ja aus wie ein echter Muggel. Kannst deine Herkunft doch nicht leugnen, stimmts, Schlammblut.“ Dabei lachten sie gehässig.

„Ich wüsste nicht, was wir miteinander zu tun haben. Wer sind sie überhaupt?“, fragte sie ärgerlich.

„Kuck mal, sie plustert sich auf!“, grinste der kleine Dicke und fasste sie am Arm. „Hör zu Schlammblut, wir wollen keine Leute wie dich in der Winkelgasse. Jetzt sind andere Zeiten angebrochen!“ Er kniff die Augen zusammen und betrachtete sie drohend.

„Lassen Sie mich los!“, herrschte sie ihn an.

Der Lange trat jetzt vor und stieß sie heftig mit der flachen Hand. Sie stolperte, und wäre beinahe hingefallen, wenn der kleine Dicke sie nicht am Arm gehalten hätte. Hermine kam eine entsetzliche Ahnung. Langsam verstand sie, wieso es hier so menschenleer war. Das waren die Todesser, die Mr. Ollivander meinte und die nur darauf aus waren, nicht reinblütige Zauberer anzumachen. Unwillkürlich wollte sie nach ihrem Zauberstab greifen, musste aber zu ihrem Schrecken feststellen, dass sie keinen Umhang trug. Sie hatte ihren Stab im Koffer gelassen.

„Na, scheißt du dir jetzt in die Hose, Schlammblut?“ Jetzt stieß der Dicke sie und sie fiel hin. Sie schlug sich die Ellenbogen auf und blutete. Die Pakete wurden auf dem Pflaster verstreut.

„Was wollt ihr von mir?“, fragte sie erschrocken und versuchte, sich aufzurappeln.

„Was wir wollen? Wir wollen, dass du dich verpisst. Schlammblüter haben hier nichts mehr zu suchen. Die Zeit für euch ist um.“ Der Lange trat nach ihr und traf sie unterhalb der Rippen in den Bauch. Sie klappte wie ein Taschenmesser zusammen und schnappte nach Luft. Zum Glück hatte der Lange nicht zu fest zugetreten, so dass sie nach einigen Minuten wieder atmen konnte.

„Pass auf, Schlammblut!“, zischte der Lange, und beugte sich zu ihr herunter. „Das ist erst der Anfang. Wir wollen dich hier nicht mehr sehen. Pack dich fort! Das nächste Mal nehmen wir dich richtig auseinander. Hast du verstanden?“

„Jepp“, schnappte Hermine und hielt sich den Bauch. Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen, aber sie wollte sich diesem Abschaum gegenüber keinen Blöße geben. Mühsam rappelte sie sich hoch. Die beiden Zauberer lachten und gingen weg.

„Die kommt nicht wieder!“, hörte sie den Dicken lachen. Als sie um die Ecke verschwunden waren, sammelte sie ihre Pakete wieder ein. Jetzt liefen ihr Tränen über die Wange. Sie konnte es nicht verhindern, auch wenn sie mühsam versuchte, dagegen an zu schlucken. Ihr Bauch tat weh, die Ellenbogen schmerzten und die Pakete waren auf einmal so schwer, dass sie sie kaum noch tragen konnte. Sie schleppte sich zu Ollivanders Laden.

„Meine Güte, Miss Granger, was ist passiert?“, fragte Mr. Ollivander aufgeregt. Sofort eilte er in seine Gemächer und holte einen Verbandskasten. Hermine hatte sich in einen der Sessel im Laden fallen lassen. Sie schniefte und wischte sich die Tränen mit einem Taschentuch aus dem Gesicht.

„Die sind so gemein!“, sagte sie zornig. „Zu zweit über eine Frau herzufallen! Was für Schlappschwänze! Und so was hält sich für die Herren der Welt! Ich kann es nicht fassen!!“

„Beruhigen Sie sich, Miss Granger, Wir wollen erst mal nach den Wunden sehen. Sie bluten!“

„Ich kann mich nicht beruhigen!!!“, rief sie. „Wenn ich nur meinen Zauberstab dabei gehabt hätte! Ich hätte sie in Würmer verwandelt und zertreten! Diese Affengesichter! Diese Scheißkerle! Diese...“ Jetzt brach sie vollends in Tränen aus. „Diese Schweine...“, schluchzte sie.

Mr. Ollivander sah sehr bestürzt und hilflos aus. Er traute sich nicht, sie zu berühren, geschweige denn, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. Noch nie war er in einer solchen Situation gewesen. Also setzte er sich in den Sessel ihr gegenüber, legte den Verbandskasten auf seine Knie und hielt ihn mit beiden Händen fest.

„Nun beruhigen Sie sich doch, Miss Granger. Es ist vorbei, sie sind hier in Sicherheit.“

Hermine sah ihn durch den Tränenschleier an. Er machte ein so hilfloses Gesicht, dass sie trotz der Tränen lächeln musste.

„Geht...geht schon wieder.“, schniefte sie und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Ich...ich bin nur so wütend. Diese Blödmänner. Was bilden die sich ein. Die meinen, nur weil Voldemort wieder da ist, können sie sich benehmen, als gehöre die Welt ihnen!“

„Leider tun sie das. Und sie haben Erfolg damit. Sie pöbeln so lange herum, bis die Leute kuschen. Und wir alle haben Angst, die einen mehr, die anderen weniger. Haben Sie in der letzten Zeit die Zeitungen der Muggel gelesen?“

„Meinen Sie die seltsamen Todesfälle?“

„Ja, die meine ich. Wir Zauberer wissen, woran die Opfer gestorben sind. Am Todesfluch. Und wir wissen auch, dass es entweder Feinde von Voldemort waren oder schlichtweg Zauberer, die einen oder zwei Muggel als Eltern hatten.“

„Meine Güte, dann hab ich ja richtig Glück gehabt?“

„Nun, ganz so schlimm ist es nicht. In der Winkelgasse trauen sie sich noch nicht, bis zum letzten zu gehen. Zu viele Zauberer sehen zu. Sie können sicher sein, dass das gerade auch beobachtet wurde.“

„Wieso hat mir dann keiner geholfen?“

„Wissen sie was Angst ist?“

„Ja...vielleicht...richtige Angst? Nein...“

„Kommen Sie, lassen sie mich jetzt mal nach ihren Ellenbogen sehen. Aber es ist vielleicht besser, wir gehen in mein Büro. Es muss ja nicht jeder sehen, dass sie bei mir sind.“

Er stand auf und klemmte den Verbandskasten unter den Arm. Hermine lehnte die Hand, die er ihr bot, ab und stolzierte mit ihren Päckchen unter dem Arm hinter ihm her in das Büro. Die Wunden waren schnell versorgt. Auch Mr. Ollivander besaß etwas von der schnellheilenden Salbe. Er bot ihr noch etwas zu trinken an, was sie dankend annahm, dann erklärte er ihr, wie und wohin die Reise gehen sollte.

„Wir werden zusehen, dass sie so schnell wie möglich losreisen. Ich rufe eben Henri an und sage ihm Bescheid.“

Während er per Kamin telefonierte, packte Hermine die neuen Schulsachen in den Koffer und fing Krummbein ein. Dieser wehrte sich vehement gegen den Käfig, musste sich aber doch beugen und war wieder genau so beleidigt, wie am Morgen.

„Der nächste Teil der Reise wird nicht so gemütlich, wie die Busfahrt, mein Lieber, stell dich schon mal darauf ein.“, sagte sie.

Mr. Ollivander holte das Buch aus dem Regal und schlug es auf. In dem Moment erklang die Türglocke und eine Stimme, die Hermine nur zu bekannt war, rief: „Hallo? Hallo, Bedienung?“

„Oh mein Gott, das sind sie wieder...“, flüsterte Hermine entsetzt.

„Schnell, legen Sie die Hand auf das Bild!“, flüsterte Mr. Ollivander. Dann rief er in Richtung Laden: „Moment, moment, ein alter Mann ist doch kein Schnellzug!“

Hermine raffte ihre Sachen zusammen, schaffte es kaum, Krumbeins Käfig unterzubringen und legte ihre Hand auf das Bild. Im nächsten Augenblick verschwamm ihre Erscheinung und löste sich auf. Mr. Ollivander klappte das Buch zu und eilte zum Vorhang. Gerade wurde er aufgerissen.

„Wo bleiben sie denn?“, fragte der kleine Dicke misstrauisch.

„Meine Gicht. Ich komme so schwer aus dem Stuhl hoch.“, verteidigte sich Ollivander und hob mit gespielt schmerzverzerrtem Gesicht sein linkes Bein.

„Ist hier so’n junges Mädchen reingekommen?“, fragte der Lange und sah sich aufmerksam im Büro um.

„Ja, Miss Granger war kurz da und kaufte ein Pflegemittel für ihren Zauberstab. Warum?“

„Ich will wissen, ob sie noch hier ist! Sie verstecken sie doch nicht. Oder?“

„Was wollen denn die Herren von der jungen Dame?“ fragte Mr. Ollivander.

„Geht sie nichts an!“, schnauzte der Dicke. „Wir dürfen uns doch mal umschauen?!“

„Meine Herren, das sind meine Privaträume, ich muss protestieren!“

„Schnauze! Wenn wir sie erwischen, dass sie ein Schlammblut verstecken, sind sie dran! Klar?“

Mr. Ollivander zog es vor, nachzugeben. „Bitte.“, sagte er kurz und wies mit der Hand in sein Büro. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, öffnete das Buch und begann darin zu lesen.

Die beiden Todesser durchsuchten flüchtig den Laden, das Büro und seine Wohnräume, öffneten Schränke und sahen in den Kamin. Als sie nichts gefunden hatten, kamen sie noch einmal ins Büro und der Lange sagte drohend:

„Sie haben noch mal Glück gehabt. Aber ich warne sie! Wir behalten sie im Auge.“

Dann verließen sie den Laden.


***


Hermine landete hart auf dem steinumfassten Grashügel, auf dem schon Harry seine Reise beendet hatte. Krummbein war während des Fluges wie verrückt im Käfig herumgesprungen und hatte gefaucht und miaut. Glücklicherweise war der Käfig nach dem Aufprall heil geblieben. Als Hermine nach ihrem Kater sehen wollte, sträubte er sei Fell und fauchte sie an, als wäre sie ein Straßenköter, der ihm ans Leder wollte.

„Ganz ruhig, mein Kleiner,“, beruhigte sie ihn, „es ist vorbei!“

Sie stand auf und schaute sich um. Schwere Wolken zogen am Horizont auf und es schien nicht mehr lange zu dauern und ein Gewitter brach herein. In der Ferne konnte sie einen einspännigen Wagen erkennen, auf dem zwei Menschen saßen. Der Wagen hielt direkt auf den Hügel zu und näherte sich schnell.

Hermine nahm ihr Gepäck und ging den Hügel hinunter, bis sie an einen schmalen Fahrweg kam. Hier setzte sie den Koffer ab und wartete. Nach ein paar Minuten bog das Gespann um eine Kurve und Hermine konnte Harry und einen älteren Herrn erkennen, die auf dem Kutschbock saßen. Sie winkte und Harry winkte zurück. Wenige Augenblicke später hielt der Ältere das Pferd vor ihr an und Harry sprang vom Bock.

„Hallo Hermine!“, rief er. „Mensch...du siehst toll aus. Was hast Du mit deinen Haaren gemacht?“

„Hallo Harry, schön dich wiederzusehen. Gefällt es dir?“

„Jaaahhh“, strahlte Harry. „Das ist Henry...Pörpinjäng und das hier ist Hermine!“

„Freut mich, sie kennenzulernen. Wir haben schon viel über sie gesprochen. Sagen Sie ruhig Henry zu mir, ich heiße übrigens Henri Perpignan. Darf ich Sie Hermine nennen?“

„Selbstverständlich, freut mich, Henry!“ sagte Hermine und streckte ihm die Hand hin. Harry verlud inzwischen den Koffer auf die Ladefläche. Den Käfig mit Krummbein hielt Hermine immer noch in der Hand, und als Harry ihn ihr abnehmen wollte, lehnte sie dankend ab. Krummbein hätte sich so aufgeregt, dass er jetzt ihre Nähe bräuchte, erklärte sie. Henry half ihr auf den Kutschbock und Harry, da vorne nun kein Platz mehr war, schwang sich auf das Brett und hockte sich neben den Koffer.

In der Ferne kündete ein Donner das Nahen des Gewitters an. Der Wind frischte auf und verwandelte die weiten Grasflächen in ein wogendes Meer. Henry spornte das Pferd an, aber es spürte die Spannung in der Luft und trabte, so schnell es konnte. Als sie durch das Tor zu Perpignans Place fuhren, fielen die ersten dicken Tropfen aus den dunklen Wolken, die sich über dem Land zusammengezogen und dem Tag eine schwefelgelbe, düstere Stimmung verliehen. Sofort war die Luft feuchtigkeitsgeschwängert und roch schwer nach Regen. Der Wind böhte auf, Stroh wurde herumgewirbelt und Rattle, der Stallknecht mühte sich, die Tore zu schließen, die im Wind hin und her schlugen. Er sprang schnell herbei und hielt das Pferd, das begann, unruhig zu werden.

Noch bevor der Regen herunterplatzte waren sie vom Wagen gesprungen, die Treppe hochgelaufen und standen jetzt, schweratmend, aber trocken in der Eingangshalle. Rattle zog das Pferd in die Stallgasse und schloß das letzte Tor.

„Mein Gott, das ging aber schnell. Aber nach der Trockenheit wird es dem Land gut tun, mal wieder etwas Regen abzubekommen.“, sagte Henry, der sich als erster wieder erholt hatte.

Harry starrte Hermine an. Wie hatte sie sich verändert. Vor den Ferien war sie noch der „muffige“, bücherverschlingende Backfisch gewesen, brav und streberhaft, immer mit wichtiger Miene, und jetzt stand eine junge Frau vor ihm, die eine Ausstrahlung hatte, wie er sie nie bei ihr vermutet hätte. Diese Frisur! Er hatte nie bemerkt, wie hübsch sie war. Zu ersten mal sah er sie in Zivil, sah, dass sie eine weibliche Figur hatte und dass sie es sehr gut verstand, diese durch ihre Kleidung zu betonen. Harry war baff. Und mit einem mal überfiel ihn eine Schüchternheit, die er sonst nicht kannte. Er hatte das Gefühl, Hermine war um Jahre erwachsener geworden, während er immer noch der kleine Junge von vor 4 Jahren war und sich nicht weiter entwickelt hatte.

Als Hermine ihn ansah, wurde er rot und senkte unwillkürlich den Blick. Sein Herz begann zu schlagen, als hätte er eine Prüfung im Trimagischen Turnier vor sich. Seine Hände wurden feucht und in seinem Bauch stieg ein eigenartiges Kribbeln hoch, das er nur kannte, wenn er Cho gegenüber stand. Harry schluckte.

„Was ist los, Harry, ist dir nicht gut?“, fragte sie und sah ihn besorgt an.

„Doch, ...doch doch! Mir geht’s gut. Vielleich, weil wir so gelaufen sind...“

‚Herrgott,’ dachte er. ‚Schau woanders hin, Hermine!’

Zum Glück erlöste ihn Henry, indem er zu Hermine sagte: „Ich zeig ihnen mal ihr Zimmer. Wenn Sie sich ein wenig frisch machen wollen..., in einer halben Stunde treffen wir uns hier im Teesalon zum Lunch. Darf ich ihren Koffer nehmen?“

„Ja, danke, Henry, sehr freundlich von ihnen!“

Ihre Stimme! Harry erkannte nichts von ihr wieder. Und wie sie sich an Henry ranschmiss! Harry schüttelte den Kopf. Nein, das tat sie nun auch wieder nicht. Sie war freundlich, weil Henry freundlich war.

Hermine lächelte Harry zu und ging dann hinter Henry die Treppe hinauf. Harry quälte sich ein Lächeln ab, drehte sich um und ging in die Bibliothek. Er ließ sich in einen Sessel fallen und starrte aus dem Fenster. Dicke Regentropfen trommelten an die Scheibe, Wolken jagten grau und schwer über den Himmel, aber am Horizont zeigte sich wieder ein hellerer Streifen. Das Gewitter war heftig, aber es schien bald vorbei zu sein. Harry saß wie betäubt da. Sein Kopf war leer, nur das brennende Kribbeln tobte in seiner Brust. ‚Scheiße!“, dachte er. „Scheiße! Scheiße! Scheiße! Was ist nur los mit mir?“ Er versuchte an Cho zu denken, aber seine Erinnerung flutschte ihm förmlich aus den Händen. Cho war plötzlich uninteressant!!! Harry weigerte sich, die Erkenntnis, die ihm schwante, zu akzeptieren. Er weigerte sich auch, Hermine so zu sehen, wie er sie gerade eben noch erlebt hatte. Nein! Er wollte die Hermine wiederhaben, die er kannte. Seine Hermine! Oder?

Harry stand auf, seufzte und stellte sich vor das Fenster. Auf dem Kies hatten sich Pfützen gebildet. Eimerweise wurde der Regen aus den Wolken geschüttet. Er war viel zu verwirrt, um einen klaren Gedanken zu fassen. Immer wieder sah er Hermine vor sich. Es war nicht nur ihr Aussehen, das ihn beeindruckt hatte, sie wirkte viel selbstbewusster, war sich ihrer Wirkung bewusst. Was war in den Ferien geschehen?

Harry beschloss, erst einmal all seine Kraft zusammen zu nehmen und so normal wie möglich mit ihr umzugehen. Im lockeren Umgang miteinander erzählte sie ihm womöglich etwas, was ihm die Veränderung greifbarer machte. Schon letztes Jahr hatte sie eine gewisse Selbständigkeit gezeigt, als sie ihre Affäre mit Victor Krum angefangen hatte. War er damals eifersüchtig gewesen? Nein, allerhöchstens auf Victor, weil er den Mut besessen hatte, mit Hermine was anzufangen. Den Mut hatte er nicht. ‚Willuballmimir’ schoss ihm Übelkeit erregend durch den Kopf. Wie peinlich war es ihm gewesen, so versagt zu haben, als er Cho fragen wollte, ob sie mit ihm auf den Ball ging. Und dann war sie auch noch mit Diggory gegangen. Wie geht man mit Mädchen um? Vielleicht musste er sein Verhalten Hermine gegenüber ändern, doch er hatte noch keine Idee, wie.

Zu allem Überdruss hörte er jetzt auch noch Hermine und Henry lachend die Treppe herunterkommen. Er schloss die Augen und atmete tief durch. ‚Sei ganz normal!...Sei nett zu ihr!...Frag sie, wie die Ferien waren!...Frag sie irgendwas, so dass sie redet!...Ich bring kein Wort heraus!’, dachte er. Er stieß die Luft aus, straffte sich, warf einen letzten Blick durchs Fenster, so als würde er doch noch einen Rettungsanker suchen, dann ging er zur Tür und trat in die Halle.

„Harry, du hättest mir ruhig schreiben können wie schön es hier ist. Ich finde es total nett von euch, dass ihr mich eingeladen habt.“

„Jepp!“, war das einzige, was er heraus brachte. Immerhin stand er nicht mehr wie ein Idiot herum und wusste nichts mit sich anzufangen. Er brachte sogar ein Lächeln zustande, das sie erwiderte. Henry wies mit einer Hand zur Tür des Teesalons und sagte:

„Nach ihnen, Hermine.“

Harry sah ihr nach, wie sie durch die Tür schritt. Bewundernswert. Wo nahm sie auf einmal diese Haltung her? Er schlurfte als letzter hinterher und setzte sich an eine der Längsseiten des Tisches. Hermine saß natürlich Henry gegenüber. Arthur trat in Erscheinung und sorgte dafür, dass alle so reichlich nehmen konnten, bis sie nicht mehr wollten.

„Sie waren auf Mallorca?“, fragte Henry.

‚Das war meine Frage!’ dachte Harry und warf einen zornigen Seitenblick auf Henry.

Dieser bemerkte ihn aber nicht, sondern sah erwartungsvoll auf Hermine.

„Ja, es war wunderschön dort. Meine Eltern hatten ein Appartement in einer herrlichen Anlage gemietet. Es waren nur 5 Minuten bis zum Strand. Und Mallorca ist ja eine schöne Insel. Ich hatte sie mir vorgestellt, wie einen einzigen Touristensilo mit einer Kneipe neben der Anderen, aber das stimmt gar nicht.“

„Ja, ich kenne Mallorca, es ist aber schon eine Weile her, dass ich da war, es ist mir zu warm dort.“

„Warm ist es. Wir hatten drei Wochen wunderschönstes Wetter.“

„Das sieht man.“, sagte Harry, glücklich etwas sinnvolles gesagt zu haben.

„Pa ist ja immer etwas unruhig im Urlaub. Ma und ich liegen gerne am Strand und entspannen uns, aber Pa kann das nicht. Einmal hat er uns auf den Puig Major geschleppt. Das ist der höchste Berg von Mallorca, so etwa 1.400 m hoch. Zuerst haben wir ziemlich geschimpft, aber da oben war es schön kühl und man hat ja eine Aussicht! Wunderbar!“

„Stimmt, ich erinnere mich. Waren sie auch in Palma?“

„Ja, mehrmals. Man kann schön bummeln gehen. Und es gibt schöne Kunstausstellungen.“

„Wo waren sie denn da?“

“Carrer Sant Miquel und Passeig des Born. Sant Miquel hat eine tolle Sammlung. Miro, Picasso und so weiter.“

Harry ärgerte sich, dass er nicht mitreden konnte. Warum verdammt noch mal war er bei diesen Trotteln
von Dursleys aufgewachsen. Seine Eltern hätten ihm
bestimmt die Welt gezeigt, und dann stände er heute nicht so dumm da.

„Waren Sie auch in den Königsgärten?“, fragte Henri, dem immer mehr Stellen einfielen, die er früher gerne besucht hatte.

„Ja, sie sind schön. Das ist ein guter Ort um Pause zu machen. Man glaubt fast nicht, in einer Großstadt zu sein, wenn man dort ist.“

Schließlich war das Essen beendet, und Harry war erleichtert. Hermine hatte nichts von seinem Geisteszustand bemerkt, im Gegenteil, sie war sehr nett zu ihm und sah ihn oft an, wenn sie erzählte.

Als sie dann auf die Ereignisse in der Winkelgasse zu sprechen kam, vergaß Harry seine Probleme sogar für eine Weile, empfand echte Teilnahme und fragte besorgt nach. Henry machte ein sehr ernstes Gesicht und meinte:

„Wir müssen, glaube ich, noch vorsichtiger werden. Ich frage mich, warum George nicht wieder John zum Einkaufen geschickt hat. Wenn die Todesser schlau sind, könnte es sein, dass sie Rückschlüsse auf Harry ziehen. Dann ist es möglich, dass wir unerwünschten Besuch bekommen.“

Harry und Hermine nickten betroffen und die alte Angst machte sich bei Harry wieder bemerkbar.

Henry lächelte wieder, wie er es immer machte, wenn eine Situation ernst erschien.

„Schauen wir mal. Wir haben ja eine gute Informationsquelle und mein Heim ist gar nicht so ohne. Hier seid ihr erst mal sicher.“


Da immer noch leichter Regen in der Luft hing, verbrachten die Drei den Nachmittag in der Bibliothek. Hermine staunte über die Anzahl und die Auswahl der Bücher. Ihre Augen leuchteten und als Henry nach einem gemeinsamen Beschluss seinen Selectio-Zauber mit dem Wunsch, alles über Drachensteine zu erfahren ausübte, war sie schier nicht mehr zu bremsen. Hermine stürzte sich auf die Bücher. Sie wusste nicht, mit welchem sie zuerst anfangen sollte.

Harry hielt sich etwas zurück. Er schnappte sich wahllos ein Buch und begann die Seiten, die durch grüne Merkzettel markiert waren, zu studieren. Es kam ihm einigermaßen entgegen, dass alle mit Lesen beschäftigt waren, so konnte er Hermine beobachten und sich Gedanken machen, wie er auf sie zugehen konnte. Viele persönliche Worte hatten sie noch nicht miteinander gewechselt, aber Hermine benahm sich ganz natürlich und langsam begann Harry, in ihr die Hermine wieder zu erkennen, die er aus Hogwarts kannte.

Seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Er hatte es nicht leicht, sich zu konzentrieren. Hier und da fanden Henry oder Hermine eine interessante Stelle, die vorgelesen und diskutiert wurde. So erhielten sie immer mehr Hinweise darauf, dass gegen den Zauberstab von Salazar Slytherin kein Kraut gewachsen war. Allein die Macht eines Drachensteins war so immens groß, dass ein Kind, hätte es die Fähigkeiten, den Zauberstab überhaupt zu nutzen, gigantisches hätte zaubern können. Er stellte eine große Macht dar, die in den Händen eines Zauberers wie Voldemort schier unüberwindlich schien. Sie überlegten hin und her, zogen in Betracht, ob es möglich wäre, Voldemort den Stab zu entwenden, verwarfen die Idee wieder und kamen schließlich zu der Überzeugung, dass es wirklich nur eines gab, was man für Harry tun könne. Er musste seine Magid-Fähigkeiten trainieren und wirksame Verteidigungszauber erlernen.

„Ok, Harry,“, sagte Henry. “Lassen sie uns mal zusammenfassen, was wir alles wissen. Wir sollten es aufschreiben, dann vergessen wir nichts. Wollen Sie...?“ Er sah Harry auffordernd an.

Harry kräuselte die Mundwinkel, erklärte sich aber einverstanden. Er ging zum Schreibtisch hinüber, setzte sich und nahm von dem Stapel ein Pergament. Tinte und Feder standen in einem Kästchen bereit.

„Was soll ich schreiben?“, fragte er auffordernd.

„Ja,..., gestern haben wir herausgefunden, dass der Zauberstab erstens Voldemort nicht entwendet werden kann. Zweitens ist er speziell für Kämpfe entwickelt.“

Harry schrieb diese Punkte auf die Liste. „Ist es wichtig, dass Slytherin den Drachenstein nicht selber erobert hat?“, fragte er und wandte sich zu Henry um. Hermine blätterte weiter in einem Buch, Henry hatte sein Buch beiseite gelegt und überlegte.

„Es schadet nichts, es aufzuschreiben, glaube ich.“, meinte er. Also flog Harrys Feder über das Pergament.

„Vielleicht sollten wir auch aufschreiben, dass nur mächtige Zauberer überhaupt in der Lage sind, mit dem Zauberstab umzugehen. Wir sollten prüfen, ob man dafür Magid-Fähigkeiten braucht.“, fuhr Henry fort.

„Wie hieß denn noch mal der Typ. Der den Zauberstab hergestellt hatte?“, fragte Harry. „Vielleicht können wir etwas erfahren, wenn wir nach seinem Namen suchen?“

„Warten Sie, Rubin,...,Rob..., Rob...,Rubenko. Wladim Rubenko! Guter Hinweis, Harry!“

„Ja, und Parsel ist wichtig!“ Harry wurde langsam aufmerksam. Er verstand, dass die analytische Vorgehensweise von Henry durchaus Sinn machte. ‚Parsel’ kritzelte er auf das Pergament.

„Sollten wir uns nicht auch mal mit den Eigenschaften eines Drachensteins befassen?“, fragte Hermine aus dem Hintergrund. Sie hatte das Buch offen auf ihrem Schoß liegen und sah Harry fragend an.

„Hast du was gefunden?“, fragte Harry und deutete auf das Buch.

„Ja, Ich habe da einen Bericht von einem Dr. Cäsarius, der im 14. Jahrhundert als Magister der weißen Magie gegen ein Monster namens Kynaps angetreten ist. Hier ist eine Beschreibung:

‚Lapis draconis, Drachenstein, ist ein taubenei- bis gänseei-großer Kristall, der einer fünfeckigen Pyramide mit abgeschliffener Spitze gleicht. Er hat eine milchige Oberfläche und sein Inneres leuchtet bläulich. Er befähigt den Besitzer, Tieren und Pflanzen zu befehlen. Er verleiht Macht über den Wind und die Wolken. Die Eigenschaften des Drachen, wie Stärke, Unverletzbarkeit und die Zerstörungswut gehen auf den Besitzer des Steins über. Diese Eigenschaften treten jedoch nur auf, wenn willentlich mit Hilfe des Steins Zauber betrieben wird. Zur Verwendung des Lapis draconis sind spezielle Formeln nötig, die jedoch in Vergessenheit geraten sind...’ “

„Aha! Im 14. Jahrhundert schreibt dieser Dr. Cäsarius, dass die Formeln verschwunden sind...“, unterbrach Henry sie nachdenklich.

„Schon“, meinte Harry, „aber Tom Riddle, ich meine Voldemort, hat ja auch herausgefunden, wie man die Kammer des Schreckens öffnet. Vielleicht hat er eine Quelle, wo er das alles erfahren hat. Vielleicht Notizen von Slytherin?“

„Möglich...Lesen Sie bitte weiter, Hermine!“

„Moment, wo war ich..., ach hier! Wird ein Drachenstein pulverisiert dargereicht, entfaltet er seine Wirkung dahingehend, dass das Opfer Anzeichen des Wahnsinns zeigt. Hier kommt die Zerstörungswut als Eigenschaft des Drachens vollkommen zur Geltung und führt dazu, dass sich das Opfer nach einem gigantischen Amoklauf schließlich selbst zerstört.“

„Hatten wir nicht vor fünfzig Jahren so einen Wahnsinnigen, drüben in Deutschland?“, fragte Harry und grinste.

„Hab ich gerade auch gedacht.“, grinste Henry zurück. „Das würde einiges erklären.“

„Ich bin noch nicht fertig!“, meldete sich Hermine. „Es ist zwar nicht mehr viel, aber hier steht: Nach alten Überlieferungen ist es einem Rumänen einst gelungen, die Kräfte des Drachenstein in einem Zauberstab zu bündeln. Dabei sollen einige der herausragensten Fähigkeiten des Steines abgeschwächt und kontrollierbar gemacht worden sein.

Einziger Schutz vor dem unter Verwendung des Drachensteins begangenen Zauber ist, einen Drachenstein der gleichen Spezies als Amulett zu tragen. Dadurch werden Zauber auf den Stein gelenkt und neutralisiert. Der Stein des Angreifers wird mit jedem ausgeführten Zauber geschwächt und verliert am Ende seine Kraft.“

„Gut, dann haben wir ja wieder Stoff für unsere Liste. Harry, schreiben Sie wieder auf?“

„Ja.“, sagte Harry und schrieb weiter. Henry und Hermine diktierten. Schließlich hatten Sie eine ansehnliche Sammlung von Fakten.

„Jetzt sollten wir uns Gedanken machen,“, überlegte Henry, „was wir stand jetzt auf unserer Seite an Mittel haben. Wie sieht es denn mit Ihrem Zauberstab aus, Harry. Was für Eigenschaften können wir beschreiben?“

„Es ist ein Zauberstab mit der Feder des Phoenix...“, sagte Harry nachdenklich.

„Was für Eigenschaften hat ein Phoenix?“

„Jaah, ...er verbrennt und dann wird er wieder geboren...“

„Genau, Harry. Und das sind zwei ganz wichtige Eigenschaften. Wenn wir sie mal auf den Zauberstab übertragen, und das müssen wir, denn das sind genau die Stärken ihres Stabes, dann...“

„Dann,“, fiel ihm Hermine ins Wort, und sie wirkte auf einmal wieder so, wie in Hogwarts, wenn sie etwas wusste, das die anderen Schüler nicht wussten, „dann heißt das, dass Harry damit zerstören kann und etwas wiedererstehen lassen kann. Oder?“

„Ja und nein. Der Phoenix zerstört sich selbst..., aber das will Harry bestimmt nicht. Vielleicht sollten wir es so deuten, dass Harry sich vor den Augen anderer selbst zerstören kann und auch neu erstehen kann.“

„Hä?“, fragte Harry, dem das sehr abstrus vorkam.

„Sagen wir, es könnte einem Gegner die Überzeugung geben, er hätte Sie getötet, weil Sie einen dramatischen Abgang vorspielen. Wenn der Gegner sich dann in Sicherheit wiegt, können sie ihn plötzlich wieder angreifen. Wäre das eine Möglichkeit der Deutung?“

„Schon, aber wie soll das gehen?“

„Gibt es dafür bestimmte Zauber?“, fragte Hermine.

„Wir können nachsehen. Aber nicht jetzt, mir fällt da noch eine Eigenschaft ein. Wissen sie, was die Tränen des Phoenix bewirken?“

„Heilung...,“ überlegte Harry. „Stimmt, damals, als ich vom Basilisken verletzt wurde, kam Fawks und hat geweint. Die Wunde ist verheilt und ich bin auch nicht an dem Gift gestorben...“

„Eben. Und die Tränen des Phoenix können nicht nur jemand anderen heilen, sondern auch ihn selbst. Ich habe den Verdacht, dass wir damit auch ein gewisses Maß an Unverletzbarkeit zustande bringen, wenn es uns gelingt, diese Eigenschaft zu nutzen.“

„Der Phoenix kann auch singen, das hat mir geholfen, den Mut nicht zu verlieren. Aber was fangen wir damit an?“

„Denken sie mal nach. Ich glaube, es ist nicht nur das Singen, sondern allgemein die Gegenwart des Phoenix. Sie gibt ihnen die Sicherheit, das Richtige zu tun. Ist ihnen schon mal aufgefallen, dass sie ziemlich zielgenau die richtige Antwort auf einen Zauber hatten?“

„Ja, hmm, schon möglich. Aber wenn ich mir meinen Zauberstab anschaue, was kann ich mit seinen Eigenschaften dann gegen einen Drachenstein ausrichten?“

„Zunächst einmal nichts gegen den Drachenstein. Ich glaube, wir sind uns einig, dass der Drachenstein ein Problem darstellt, das wir noch nicht gelöst haben.“

Harry und Hermine nickten.

„Aber wir haben jetzt eine Ahnung, auf welche Weise wir ihre Zauberkräfte unterstützen können, dass sie Voldemort Hindernisse in den Weg legen und nicht mehr so angreifbar sind.“

„Aber die Macht des Drachensteins kann er nicht überwinden!“, warf Hermine mit sorgenvollem Blick ein.

„Da hat sie recht!“, stimmte Harry zu.

„Ich fürchte, um gegen Voldemort bestehen zu können, kommt Harry nicht drum herum, sich einen Drachenstein zu besorgen.“, meinte Hermine und schaute abwechselnd von Einem zum Anderen

Harry, nachdem Hermine gemeint hatte, er müsse wohl oder übel einen Drachen töten, war ärgerlich und hilflos zugleich. Er konnte sich nicht vorstellen, noch einmal gegen einen Drachen anzutreten. Zu klar hatte er noch das Bild der ersten Prüfung im Trimagischen Turnier vor sich. Er roch förmlich die schwefligen Ausdünstungen des Hornschwanzes und hörte das wütende Gebrüll und er fühlte sich klein und schwach. Es ärgerte ihn auch, dass Hermine, diese Wichtigtuerin, diese Meinung vertrat, musste sie doch gewiss nicht gegen einen Drachen antreten. Und was war schlimmer? Durch einen Drachen gebraten oder zerfleischt zu werden oder einfach durch den Todesfluch dahin zu scheiden? Dennoch nahm der Gedanke in der Dreiergruppe immer mehr Gestalt an.

„Ich kämpfe nicht gegen einen Hornschwanz!“, wehrte sich Harry.

„Ich kann mir gut vorstellen, dass sie keine Lust darauf haben,“, sagte Henry. „Vor allem, wo sie wissen, was auf sie zukommt. Und wo sollen wir einen hernehmen?“

Hermine, die den Gedanken sehr spannend fand, versuchte Harry bei seinem Stolz zu packen.

„Harry, du warst so glücklich, als du das goldene Ei in der Hand hattest. Du hast es auch klasse gemacht, wie du den Drachen mit deinem Besen ausgetrickst hast.“

Harry erinnerte sich, wie seine Sicherheit wiedergekommen war, als er auf seinem Feuerblitz saß.

„Schon, aber da waren ja auch Drachenwärter, die geholfen hätten, wenn mir was passiert wäre.“, sagte er kopfschüttelnd. „Wer sagt überhaupt, dass ich den Drachen töten muss. Kann das nicht ein Anderer tun? Slytherin hat den Drachen für seinen Zauberstab ja auch nicht selbst getötet.“

„Natürlich kann man die schwierigen Aufgaben jemand anderem überlassen,“, schaltete sich Henry ein. „aber wenn sie allem aus dem Weg gehen, wie wollen sie dann gegen Voldemort antreten?“

„Ich will gar nicht gegen Voldemort antreten!“, sagte Harry aufgebracht. Um seine Worte zu untermauern, schlug er das Buch zu.

„Ich glaube, es liegt gar nicht in Ihrer Entscheidung, ob sie wollen oder nicht. Früher oder später stehen sie Voldemort gegenüber. Meinen sie, er verzichtet darauf, sie zu töten, nur weil sie es nicht wollen?“

„Harry, wir helfen dir, so gut es geht.!“, sagte Hermine, legte ihre Hand auf seinen Arm und sah ihm ernst in die Augen. Wieder durchfuhr Harry ein Schauer, aber er mochte die Berührung und lächelte.

„Hören sie, Harry. Wir haben gestern auf der Druiden-Lichtung ein paar einfache Zauber geübt. Mit meinem Wissen, ihrer Phantasie und Hermines Belesenheit sollte es möglich sein, sie so vorzubereiten, dass sie sich ohne Gefahr einem Drachen stellen können. Was halten sie davon, wenn ich ihnen das nötige Rüstzeug verpasse?“

Zaubern machte Harry Spaß. Nur das Lernen war ihm zuwider, vor allen Dingen, wenn es unter Druck stattfand. Andererseits war Henry ein guter Lehrer, die Stunden auf der Lichtung waren nicht nur wie im Fluge vergangen, Harry hatte auch einiges gelernt, ohne dass er sich dabei angestrengt hatte. Was konnte so falsch daran sein, wenn er zunächst einmal ja sagte. Mit Voldemort hatte Henry recht, das hatten Harry die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt. Die Sache mit dem Drachen musste ja nicht sofort entschieden werden.

„Gut. Ich weiß noch nicht, ob ich gegen einen Drachen kämpfen will.“, sagte er. „Aber ich glaub auch nicht, dass es schadet, wenn ich was lerne. Vielleicht finden wir ja einen anderen Weg.“

Hermine nickte zustimmend.

„Wir sind ja erst am Anfang, Harry,“, sagte sie. „Wir haben bestimmt noch nicht alles herausgefunden, was es über den Zauberstab zu wissen gibt.“

„Das beruhigt mich maßlos.“, grinste Harry.

„Was halten Sie davon, wenn wir für heute Schluss machen?“, schlug Henry vor. Harry und Hermine stimmten zu. Harry hatte im Moment keine große Lust mehr, sich mit der Sache zu befassen. Hermine hätte zwar gerne noch ihren Wissensdurst gestillt, aber sie sah, dass Harry sich unwohl fühlte. Es war noch etwas Zeit bis zum Tee und Hermine fragte Harry, als sie die Bibliothek verließen, ob er noch etwas Lust hätte spazieren zu gehen. Der Regen hatte aufgehört und an einigen Stellen war die Wolkendecke aufgerissen. Es war merklich kühler geworden und die Luft, die in den letzten Tagen staubbeladen und trocken gewesen war, roch frisch und angenehm. Durch die Feuchtigkeit schienen sich auch Gerüche besser auszubreiten, jedenfalls hing der Duft der Rosen schwer in der Luft. Durch die Wolkendeck fiel weiches, weißes Licht und dämpfte die Farben etwas. Von den alten Bäumen fielen dicke Tropfen, die jedes Mal klatschten, wenn sie auf dem Boden auftrafen. Die Vögel, die sich während des Unwetters zurückgezogen hatten, begannen jetzt mit macht zu singen und das Gezwitscher erfüllte den Hof wie das Stimmengemurmel in einer Kathedrale.

Zuerst gingen Hermine und Harry schweigsam nebeneinander her. Sie folgten dem Fahrweg und gingen durch die Weiden und Felder, die sich rings um das Anwesen ausbreiteten. Hermine unterbrach das Schweigen.

„Fühlst du dich nicht wohl, Harry?“, fragte sie und sah ihn besorgt an.

Harry fühlte sich erst durch die Frage unwohl. Er hatte es genossen, in Hermines Begleitung einfach nur zu gehen.

„Doch.“, antwortete er. „Vielleicht muss ich mich erst einmal wieder daran gewöhnen, Menschen um mich zu haben. Zu Hause bin ich ja die meiste Zeit allein.“

„Ich habe den Eindruck, du bist traurig.“, sagte Hermine. „Vermisst du Ron?“

"Ja, schon.", sagte Harry kurz. "Aber ich bin nicht traurig. Eher...na ja, eher verwirrt."

Harry wurde rot, merkte es und schaute zur Seite. Hermine sah ihn an. Natürlich entging es ihr nicht, dass Harry verlegen war.

"Verwirrt?", fragte sie. "Wie meinst du das?"

Harry wand sich. "Ja,..., du..., du verwirrst mich,...ein bisschen."

"Habe ich irgendetwas falsch gemacht?", fragte Hermine erschrocken.

"Nee, das ist es nicht." Harry blickte zum Boden und überlegte fieberhaft, wie er sich ausdrücken sollte.

"Ich meine, ..., zum Beispiel deine Frisur. Du bist so anders, äh, geworden. Du erinnerst mich irgendwie,..., an Cho..., na ja, nicht so, du siehst anders aus, ganz anders, aber... oh verdammt!"

"Harry..." Hermine klang etwas hilflos.

"Na ja, du weißt doch, was ich für Cho empfunden habe..."

"Harry!" Hermine erschrak, als ihr klar wurde, was Harry meinte. "Hast du dich... in mich..."

"Jaaa." Harry wurde noch eine Stufe roter im Gesicht. Hitzewellen liefen über seinen Körper und er wünschte sich jetzt, in diesem Augenblick, allein zu sein. Er wusste, was Hermine darauf antworten würde und er wollte es nicht hören.

"Harry, du weißt doch, dass ich mit Viktor gehe."

"Nö, ich weiß nur, dass ihr zusammen zum Ball gegangen seid!"

"Aber ich habe dir doch erzählt, dass Viktor mich eingeladen hat und...ich mag ihn wirklich sehr!"

"Weiß ich, ich kann auch nichts dafür..."

Hermine berührte ihn vorsichtig am Arm. Harry konnte die Berührung nicht ertragen und zog seinen Arm weg,

"Harry, es tut mir so leid. Wir sind doch gute Freunde. Ich habe mich so gefreut, dich zu sehen, aber ich mag nun mal Viktor..."

Es war genau das eingetreten, was Harry befürchtet hatte. Auf eine Art war ihm wohler, denn er hatte es ihr gesagt, auf der anderen Seite war er deprimiert, wie schon lange nicht mehr.

"Schon gut.", meinte er. "Ich werd' schon damit fertig. Wollen wir umkehren?"

Er wollte allein sein, nachdenken. Hermine fühlte sich sehr unwohl. Sie mochte Harry, kannte ihn fast wie einen Bruder, aber eben wie einen Bruder. Sie war ratlos, spürte aber, dass es das Beste wäre, ihn mit seinen Gedanken allein zu lassen, ihm Zeit zu geben. Vielleicht war das Pflänzchen seiner Verliebtheit noch nicht so gewachsen, dass er es überwinden konnte. Sie war ja erst ein paar Stunden hier.

"Lass uns später noch mal in Ruhe darüber reden, ja?", sagte Hermine, teils auch um sich selber ein wenig Zeit zu verschaffen.

Harry sah Hermine an, dann nickte er. Auf einmal fühlte er sich stark. Er hatte sich selbst besiegt. Zumindest einen Teil von sich. Der andere Teil hatte gnadenlos verloren, aber eben nur ein Teil. Auf einmal war er zuversichtlich, dass er damit klar kommen würde.

Der Rückweg verlief schweigend. Auf der Treppe zum Haus hatte Hermine noch das Gefühl, etwas sagen zu müssen.

„Harry?“, fing sie an.

Er machte eine wegwerfende Bewegung.

„Lass gut sein“, sagte er und betrat das Haus.


***


Irgendwo, im Osten Londons trafen sich fünf düstere Gestalten in einem verlassenen Lagerhaus. Sie saßen schweigend in einem Büro und warteten. Jeder von ihnen sah in dem Dämmerlicht, das durch die verstaubten Scheiben fiel, bleich aus. Sie hatten schwarze Umhänge und schwarze, spitze Hüte an, was ihre fahle Gesichtsfarbe nur noch unterstrich. Hinter dem Schreibtisch saß ein sehr hagerer Mann, der die vier Anderen fortwährend mit finsterem Blick musterte. Er schien der Vorgesetzte der Truppe zu sein, denn die anderen Männer hatten sich mit ihren Stühlen im Halbkreis vor dem Schreibtisch gruppiert. Zwei der fünf Männer rauchten ruhig eine Zigarette und blickten unbeteiligt in Richtung Fenster. Zwei andere schienen sehr nervös, sie schwitzten trotz der Kühle, die in London seit den Gewittern der letzten Tage herrschte. Einer der beiden war lang und dürr, der andere klein und dick.

Sie rutschten unruhig auf ihren Stühlen hin und her, warfen immer wieder Blicke zur halb offen stehenden Bürotür und zuckten bei jedem Geräusch zusammen, das von außen in das Büro drang.

„Angst?“, fragte der Hagere hinter dem Schreibtisch und grinste hämisch.

„Nein, ..., Mister Malfoy.“, stotterte der Dicke, rieb sich aber nervös die Hände.

„Wann wollte er kommen?“, fragte der Lange mit aschfahlem Gesicht.

„In ein paar Minuten.“, knurrte Malfoy. „Ihr habt also noch ein wenig Zeit, euch eine Erklärung zurecht zu legen.“

Die Minuten schienen zu schleichen. Immer wieder warfen die Beiden ängstliche Blicke zur Tür. Kalter Schweiß stand in ihren Gesichtern. Sie wussten, worum es ging. Sie waren von Malfoy in die Mangel genommen worden. Sie hatten den Fehler gemacht, vor Malfoy mit der Geschichte in der Winkelgasse zu prahlen. Malfoy hatte nachgefragt, und herausbekommen, dass eine ihm nur zu bekannte Person an dieser Geschichte beteiligt war. Hermine Granger. Er hatte gebrüllt und getobt, warum sie sie nicht festgehalten hätten. Sie wussten doch, dass die kleine Granger eine Freundin von Potter war, dem ärgsten Feind des dunklen Lord.

Und nicht nur, dass sie sie laufen gelassen hatten, nein, sie hatten auch noch ihre Spur verloren, die vielleicht zu Potter geführt hätte.

Schritte waren zu hören. Schritte von zwei Menschen, langsame, aber feste Schritte. Sie kamen näher. Der Dicke begann nach Luft zu schnappen. Er sprang auf und setzte sich wieder, als er von Malfoy einen vernichtenden Blick empfing.

Die Tür zum Büro wurde aufgestoßen. Herein kam zunächst ein kleiner hibbeliger Mann mit rattigem Gesicht, der die Tür aufhielt. Ihm folgte ein hochgewachsener Zauberer in schwarzem Seidenumhang mit Kapuze, auf den ein giftgrüner Totenkopf gestickt war, aus dessen Mund sich eine Schlange wand. Lord Voldemort. Die Kapuze verbarg sein Gesicht durch ihren Schatten. Die beiden Delinquenten wimmerten auf und duckten sich in ihren Stühlen. Malfoy war sofort aufgestanden, als er die Ankömmlinge hereinkommen sah. Jetzt herrschte er die anderen Wartenden an, sich zu erheben. Zitternd vor Angst standen der Dicke und der Lange vor ihren Stühlen und starrten entsetzt auf den dunklen Lord. Malfoy kam um den Schreibtisch herum, dienerte vor Voldemort und schob ihm den Stuhl hin. Voldemort setzte sich. Der Rattengesichtige stellte sich schräg hinter Voldemort, Malfoy tat es ihm nach.

Dem Dicken versagten die Beine und er sank langsam auf seinen Stuhl zurück.

"Wer hat dir erlaubt, dich zu setzen?", fragte Voldemort leise.

"Niemand...", quiekte der Dicke und erhob sich mühsam. Ein widerwärtiger Gestank ging jetzt von ihm aus. Vor lauter Angst hatte er nicht mehr an sich halten können.

"Lucius?", wandte sich Voldemort mit kaum hörbarer Stimme an Malfoy. "Würdest du mir bitte noch einmal erzählen, was vorgefallen ist?"

"Ja, Herr." Malfoy ging um den Schreibtisch herum. "Verehrter Lord, heute Mittag habe ich erfahren, dass zwei meiner Agenten kläglich versagt haben. Sie hatten Hermine Granger in ihrer Hand und haben sie laufen lassen. Sie haben es nicht für nötig gehalten, ihre Spur zu verfolgen."

"Danke, Lucius." Ein paar Sekunden sagte Voldemort nichts, sondern ließ seinen Blick einen Moment auf jedem einzelnen der Agenten ruhen. Seine Augen leuchteten rot aus dem Schatten der Kapuze.

"Du!", sagte er, indem er den Dicken fixierte und mit der Hand auf ihn zeigte.

"Ja, Herr...", keuchte der Dicke und zitterte wie Espenlaub. Seine Hände hatten sich ineinander verkrallt und er hielt sie vor seiner Brust.

"Erzähle du!"

"Ja, Herr,....,", begann der Dicke stotternd, "Hank und ich, ... wir waren heute Vormittag auf Patrouille. Und....und...da haben wir bei Eyelops gehört, wie die Verkäuferin zu einer Kundin 'Miss Granger' gesagt hat. Wir haben sofort gewusst, dass sie ein Schlammblut ist, und dann...dann haben wir sie verfolgt." Er atmete heftig und stoßweise. Seine Hände machten eine fahrige Bewegung und verkrallten sich dann wieder ineinander „Wir haben sie, haben sie...“

„Hör auf zu stottern!“, fauchte Voldemort.

„Herr, ich...ich...ich kann nicht, Herr! Bitte Herr!“

„Weiter!“ sagte Voldemort und glühte ihn mit seinen roten Augen an.

„Ja, Herr..., wir haben sie festgehalten und ihr gesagt, dass sie hier unerwünscht ist und nicht...nicht mehr wiederkommen soll. Wir haben sie ein bisschen gequält, hehe..., und dann, dann haben wir sie ziehen lassen.“

„So. .... Ihr habt sie ziehen lassen. Warum?“

„Herr, bitte Vergebung, Herr, wir...“ Seine Beine gaben nach und er rutschte auf die Knie. Er hob seine Hände wie zum Gebet. Sein Partner, der Lange, hielt sich so weit wie möglich im Hintergrund. Vielleicht hatte er die Hoffnung, der Zorn des Lord würde sich am Dicken austoben.„Herr, wir wussten nicht, dass sie uns zu Harry Potter führen konnte. Wir haben gedacht...“

„Gedacht...habt ihr!“, fiel Voldemort ihm ins Wort. „Du!“

Der Lange erschrak maßlos. Auch seine Beine drohten weg zu knicken und seine Hand suchte Halt an der Stuhllehne.

„Ja, Herr...“, sagte er erbleichend mit zitternder Stimme.

„Was habt ihr dann gemacht?“, fragte Voldemort drohend.

„Herr, als wir unseren Fehler bemerkt haben, da sind wir ihr hinterher gegangen. Sie ist zu Ollivander rein, haben wir gehört. Wir sind dann auch zu Ollivander, da haben wir sie aber nicht mehr gefunden. Herr...bitte, geben sie uns eine Chance, das wieder gut zu machen. Wir werden sie finden, bestimmt.“ Seine Stimme wurde zu einem ängstlichen hohen Kreischen.

„Schweig!“, herrschte ihn Voldemort an. „Ihr habt beide versagt. Wer so grobe und dumme Fehler macht, hat in meinen Kreisen nichts mehr zu suchen. Ihr seid ausgestoßen!“

Erleichterung machte sich auf ihren Gesichtern breit. Auch die anderen beiden Agenten, die diese Angst nur zu gut nachfühlen konnten, atmeten auf.

„Ihr werdet noch ein kleines Abschiedsgeschenk von mir erhalten. Wurmschwanz?!“

Der Rattengesichtige trat vor.

„Ja Herr?“

„Zeige ihnen, welches Geschenk du mit deiner neuen Hand geben kannst.“

„Herr bitte!“, riefen die beiden Agenten und nun sank auch der Lange auf die Knie. „Habt erbarmen, wir werden den Fehler wieder gut machen...!“

Wurmschwanz trat mit einem gehässigen Grinsen auf die Beiden zu. Er hob seine leuchtende, silbrige Rechte und deutete auf den Dicken. Ein greller Strahl schoss aus der Hand und wickelte einen glitzernden Faden wie ein Spinnennetz um den Körper des Agenten. Augenblicklich schrie dieses Bündel aus Angst und Schmerz gellend auf. Auf seiner Haut bildeten sich an den Stellen, an denen sie von dem Spinnennetz berührt wurde, Blasen und Pusteln, Dampf und Rauch stieg auf und unter grauenvollen Qualen brach der Agent zusammen. Er japste und brüllte und wand sich. Seine Bewegungen wurden schwächer, sein Schreien leiser, bis er nur noch wimmerte und schließlich tot auf dem Boden lag.

Der Lange hatte entsetzt zugeschaut, drückte sich an die Wand, versuchte zu entkommen, bettelte um sein Leben, aber es ereilte ihn das gleiche Schicksal. Als er auch tot war, starrten die verbleibenden Agenten auf die beiden Leichen. Sie wurden vom Grauen geschüttelt. Auch Malfoy war aschfahl geworden. Wurmschwanz grinste befriedigt und zog sich wieder auf seinen Platz zurück.

„Seht genau hin.“, sagte Voldemort leise. „Sie haben nicht nur versagt. Sie haben mir und meiner Bewegung großen Schaden zugefügt. Merkt es Euch! ... Lucius?“

„Ja Herr.“, sagte Malfoy mit rauer Stimme und trat vor.

„Sorge dafür, dass wir herausfinden, wohin diese kleine Schlampe gegangen ist. Ich erwarte morgen um die gleiche Zeit hier deinen Bericht.“

„Ja Herr.“, sagte Malfoy wieder.

Voldemort erhob sich und verließ ohne Gruß das Büro. Wurmschwanz wieselte hinter ihm her. Im Hinausgehen warf er Lucius Malfoy einen triumphierenden Blick zu, den Malfoy finster erwiderte.


***


Gegen Abend war eine Eule auf Perpignans Place angekommen. Sie hatte einen Brief des Ministeriums zugestellt. Der Brief war an Henry gerichtet. Nachdem Henry ihn gelesen hatte, ließ er Harry durch Arthur in die Bibliothek bitten.

„Setzen Sie sich bitte.“, sagte Henry freundlich. „Ich habe Nachricht vom Ministerium.“

„Was schreiben sie?“, fragte Harry gespannt.

„Sie schreiben,“, antwortete Henry, „dass es Schülern von Hogwarts nicht erlaubt ist, außerhalb der Schule zu zaubern. In diesem besonderen Fall sieht das Ministerium von einem Schulverweis ab, besteht jedoch auf einer angemessenen und harten Bestrafung während des Semesters. In Anbetracht der besonderen Situation möchte es das Ministerium dem Lehrergremium überlassen, eine Entscheidung über die Art der Bestrafung von Ihnen zu fällen.“

Zuerst wusste Harry nichts mit der Information anzufangen.

„Dann können wir das Üben ja vergessen“, sagte er resigniert.

„Nein.“, meinte Henry. „Das Ministerium ist gezwungen eine solche Stellungnahme zu machen. Ich habe gestern noch mit einem alten Freund gesprochen, der mir ein Schreiben dieser Art angekündigt hat. Es musste so ausfallen, damit das Ministerium sich absichert. Sie kennen doch Professor Dumbledore, Harry. Würde er es jemals zulassen, sie zu bestrafen?“

„Nein, da haben sie recht, Henry.“

„Ich würde also erst einmal weiter machen. Sollten sie Schwierigkeiten bekommen, wenden sie sich an mich. Ich kenne Dumbledore zwar nicht persönlich, aber er kennt meinen Namen und weiß etwas mit mir anzufangen. Ich rede dann mit ihm, auch wenn ich überzeugt bin, dass das gar nicht nötig ist.“

Harry war erleichtert. Die Agumente von Henry hatten ihn überzeugt. Er wünschte sich nichts lieber, als von Henry zu lernen. Er ahnte auch, dass es ihn von seinen Sorgen mit Hermine ablenken könnte.

Hermine hatte sich nach ihrem Gespräch auf ihr Zimmer zurückgezogen. Sie sah sehr unglücklich aus, als sie sich in der Eingangshalle getrennt hatten, das hatte Harry noch festgestellt. Er wollte ursprünglich nicht so rüde sein und das Gespräch auf diese Art beenden. Er fühlte Reue und beschloss, so schnell wie möglich noch einmal mit ihr zu reden. Seine Gefühlswelt war zwar noch nicht im Lot, aber er hatte nachgedacht und war zu dem Schluß gekommen, dass es keinen Zweck hätte, jetzt in Depression zu verfallen. Und abgesehen davon, dass er sich verliebt hatte, fühlte er immer noch eine tiefe Freundschaft zu ihr, und die wollte er nicht gefährden. Zu oft hatte er seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen gehabt, um nicht zu wissen, dass er auch mit dieser Situation fertig werden würde.

Hermine ließ zunächst auf sich warten. Sie war nicht zum Tee erschinen und Arthur hatte sich zu ihrem Zimmer begeben, um sie zu fragen, ob sie ihren Imbiss dort zu sich nehmen wollte. Hermine hatte sich eine Kleinigkeit kommen lassen, sie war gerade dabei, einen Brief an ihre Eltern zu schreiben und wollte ihn noch heute fertig bekommen. Sie war unkonzentriert, musste immer wieder über ihr Gespräch mit Harry nachdenken, und so dauerte es einige Zeit, bis sie zufrieden war und das Pergament versandfertig zusammenrollte.

Es war fast acht Uhr, als sie dann in die Bibliothek kam. Sie schaute zuerst etwas unsicher in die Runde, als sie aber feststellte, dass Harry sie freundlich ansah, beruhigte sie sich und nahm auf dem freien Sessel platz.

Die beiden hatten gerade über das Ministerium gesprochen und Hermine hatte noch den letzten Satz mitbekommen.

„Gibt es Probleme mit Professor Dumbledore?“, fragte sie.

„Nein, keine Sorge.“, sagte Harry. „Ich habe ein bisschen Ärger mit dem Ministerium, weil ich während der Ferien gezaubert habe. Aber Henry hilft mir. Ich glaube, dass wir das in den Griff bekommen.“

„Stimmt, daran habe ich gar nicht gedacht“, meinte Hermine. „Ich darf ja auch nicht zaubern....“

„Entspannen sie sich, Hermine.“, warf Henry ein. „Ich werde mich darum kümmern, dass sie Beide“, und er betonte ‚Beide’, „keinen Ärger bekommen. Ist das in Ordnung?“

„Ja, ich würde schrecklich gerne etwas bei ihnen lernen.“, sagte Hermine und lächelte Henry dankbar an.

„Gut. Was wollen wir morgen machen?“, fragte Henry in die Runde.

„Wollen wir noch mal auf die Lichtung gehen?“, fragte Harry hoffnungsvoll.

„Haben wir denn alles über Drachensteine herausgefunden?“, wollte Hermine, die sicherlich sehr an den Büchern interessiert war, wissen.

Henry überlegte kurz. Dann sagte er:

„Nein, bestimmt noch nicht alles. Aber mit den ersten Informationen können wir schon etwas anfangen. Und ich glaube - zumindest geht es mir so - dass zu viel Theorie auf einmal die Lust schwinden lässt. Aber vielleicht sollten wir den Vormittag im Labor verbringen. Es gibt einige Mittelchen, die ihnen, Harry, im Kampf Vorteile verschaffen können. Ich denke da zum Beispiel an einen Trank, der sie nicht müde werden lässt. Es ist besonders bei langen Auseinandersetzungen wichtig, dass sie die Konzentration behalten können. Was halten sie von dem Vorschlag?“

Harry war einverstanden und auch Hermine nickte. Konnte sie dieses Wissen doch vielleicht im Zaubertränke-Unterricht bei Profesor Snape verwenden.

„Dann sollten wir durchaus den Nachmittag verwenden, um praktischen Zauber zu üben.“, fuhr Henry fort. „Allerdings werden wir auch einige Nacht-Übungen machen müssen. Voldemort wird sie nicht am Tage angreifen, er wird den Schutz der Nacht für die Überraschung nutzen. Und da sollten sie firm sein. Abends haben wir dann immer noch Zeit, uns mit den Büchern zu befassen. Selbstverständlich,“, und dabei blickte er Hermine an, „können sie jederzeit die Bibliothek nutzen. Ich werde ihnen morgen früh zeigen, wie der Selectio-Zauber funktioniert.“

Hermine lächelte Henry dankbar an. Auch Harry war zufrieden. Der Vorschlag entsprach durchaus seinen Vorstellungen, zumal die Theorie nur einen kleinen Teil des Programms ausmachte.

Den weiteren Abend verbrachten die Drei mit einer lockeren Unterhaltung. Harry fiel zwar auf, dass Henry nur wenig von sich erzählte, vor allen Dingen kaum etwas über seine Tätigkeit als Zauberer in geheimer Mission, aber er akzeptierte es durchaus, zumal es ja auch geheim war. Um so mehr hatten Hermine und Harry zu erzählen, viele Anekdoten aus Hogwarts wurden zum Besten gegeben und die Zeit flog dahin. Als dann die Standuhr in der Eingangshalle elf Schläge hören ließ, und Harry schon mehrmals gegähnt hatte – der Tag war sehr anstrengend gewesen – löste man die Runde auf. Harry ging neben Hermine die Treppe hinauf. Oben blieb er stehen, denn sein Zimmer lag im anderen Flügel der Villa und er wollte Hermine noch etwas mit auf den Weg geben.

„Hermine?“, fing er an.

„Ja Harry...?“ Hermine sah Harry unsicher an.

„Hermine, es tut mir leid. Ich glaub, es war nicht fair von mir, dich heute Nachmittag so stehen zu lassen.“

Hermine atmete erleichtert auf.

„Harry, mir tut es auch leid. Ich mag dich wirklich sehr...“

„Ich weiß, du brauchst nichts weiter zu sagen. Ich komm schon damit klar!“

„Das erleichtert mich, Harry. Wir bleiben Freunde, ja?“

„Ja. Gute Nacht.“

„Schlaf gut Harry.“

Sie trennten sich. Beide waren erleichtert, dass es keine Spannungen mehr gab. Beide lagen noch eine Weile wach und dachten nach. Und beide schliefen mit dem Gedanken an den Anderen ein.
Die nächsten Tage waren erfüllt mit Lernen. Henry gestaltete seinen Unterricht so spannend, dass Harry sogar die Abende in der Bibliothek zu schätzen lernte. Die Stunden, die sie im Labor verbrachten gestalteten sich immer spannender. Harry hätte nie geahnt, dass das Herstellen von Zaubertränken und andren Mittelchen, das er sonst nur aus Snapes Gewölbe kannte, so interessant sein konnte. Henry hatte sich eine Liste angefertigt, auf der er genau aufgeführt hatte, welche Tränke Harry in einem Kampf gegen Voldemort nützlich sein konnte. Inzwischen besaß Harry ein ganzes Arsenal an braunen Fläschchen, darunter ein Trank, der über vierundzwanzig Stunden wach machte, ein Trank, der sein Körpergewicht reduzierte, ein Trank, der ihn auf Gnomgröße schrumpfen ließ und natürlich auch den Gegentrank, einen Trank, der sein Gehör so schärfte, dass er sich wie eine Fledermaus in vollkommener Dunkelheit orientieren konnte und viele mehr.

Auch verschiedene Pulver gehörten zu seiner Sammlung, unter Anderem auch eines, das, wenn man es in die Luft warf, undurchdringlichen Nebel erzeugte, oder eines, das, auf einen trockenen Boden gestreut, diesen in tiefen, klebrigen Morast verwandelte. Das alles waren nur Hilfsmittel, und sollten ihm helfen, Voldemort das Leben und den Kampf so schwer wie möglich zu machen.

Manchmal testeten sie die Elexiere an sich selber. Mit dem Schrumpf-Trank verbrachte Harry einen sehr vergnüglichen Vormittag, in dem er auf dem Labortisch herum stolzierte und wie ein Waldarbeiter Kräuterstengel schulterte und in den brodelnden Topf warf. Ein besonderes Erlebnis war der Leichtigkeits-Trank. Harry hatte etwas zu hoch dosiert, so dass er wie ein Ballon in die Luft schwebte. Zuerst hatte Hermine ihn angestubst, und er segelte quer durch das Labor. Dann war er ein paar Runden an der Decke herumspaziert und hatte unter hemmungslosem Gekicher versucht, zu springen und dabei von oben an Hermines Kopf zu stoßen. Nur als er den Gegentrank zu sich nehmen wollte, bekam er Schwierigkeiten, er schaffte es nicht, ihn kopfstehend zu schlucken. Henry war gezwungen, ihn mit dem Zauberstab herunter zu holen. Hermine hielt ihn fest und Harry konnte trinken.

„Das ist ein sehr gefährlicher Trank, Harry,“, hatte Henry gesagt. „Normalerweise ist er nur dazu da, um das Gewicht auf ein nötiges Maß zu reduzieren, um zum Beispiel höher springen zu können oder über ein zerbrechliches Brett zu balancieren. Wenn sie unter freiem Himmel eine Überdosis zu sich nehmen, besteht die Gefahr, dass sie immer höher in den Himmel schweben und, wenn die Wirkung nachlässt, wie ein Stein herunterfallen.“

Harry bekam einen gehörigen Schrecken und verdünnte den Trank soweit, dass er einen vollen Schluck nehmen konnte und nur 5 Kilo verlor.

Harry hatte ein Notizbuch von Henry erbeten und notierte akribisch die Rezepturen, um jederzeit in der Lage zu sein, die Essenzen noch einmal herzustellen. Hermine war ebenfalls Feuer und Flamme, erhielt genau so eine Sammlung von Mittelchen wie Harry und schrieb und schrieb, um nur ja nichts zu vergessen.

Die Nachmittage, die sie auf der Lichtung verbrachten, begannen meist damit, dass Henry vom Weg abwich und mit den Beiden durch das dichte Unterholz streifte. Sein Wald erwies sich als wahre Fundgrube für Kräuter, Heilpflanzen und magische Gewächse. Vor allen Dingen gab es hier Mengen an Pilzen und Harry staunte immer wieder über ihre Farben und Formen. Von all denen, die er hier kennen lernte, hatte er noch nie etwas gesehen oder gehört. Nicht einmal im Botanik-Unterricht von Professor Sprout waren ihm solche Pflanzen untergekommen. Jeder trug auf den Ausflügen eine Tasche bei sich und sammelte die Pflanzen und Pilze, die Henry ihnen zeigte. Im Labor brachte Henry ihnen bei, wie sie die Materialien zu trocknen und vorzubereiten hatten. Manche Pflanzen beduften einer besonderen Behandlung, um ihre magische Wirkung voll zu entfalten, so mußten einige gefriergetrocknet, manche mit Aklohol aufgegossen und destilliert werden und andere wiederum wurden frisch verarbeitet. Auch hiervon legten sich Harry und Hermine eine reichhaltige Sammlung an.

Am spannendsten waren die Unterrichtsstunden auf der Lichtung im Wald. Henry legte gezielt Wert darauf, Harrys Magid-Fähigkeiten zu trainieren. Er sagte immer wieder, wie wichtig es sei, bestimmte Flüche und Zauber ohne Zauberstab durchzuführen. Er erinnerte Harry daran, in welcher Zwickmühle er gewesen war, als Tom Riddle ihm in der Kammer des Schreckens den Zauberstab entwendet hatte und Harry, der mit Grauen daran zurückdachte, mühte sich, so gut er konnte. Natürlich waren seine Fähigkeiten erst im Aufblühen, er war nachweislich zu jung, um ein fähiger Magid zu sein, aber als Harry seinen ersten Kiesel ohne Zauberstab zu sich befohlen hatte, platzte er fast vor Stolz. Jetzt endlich merkte er, dass er es konnte, begriff die Feinheiten der Magid-Zauberei und von Stund an machte er große Fortschritte. Selbst sequenzielle Zauber und den schwierigen Expelliarmus-Spruch beherrschte er bald. Hermine freute sich über die Fortschritte und stellte sich gerne als Versuchsperson zur Verfügung.

Henry war auch sehr zufrieden und nachdem sie sich fast 2 Wochen lang auf die Magid-Zauberei konzentriert hatten, ging er wieder auf die Arbeit mit dem Zauberstab über. Jetzt galt es, wirkungsvolle Schutz- und Schirm-Zauber zu erlernen. Harry lernte, den Boden unendlich tief zu spalten, eine Käseglocke aus Energie um sich aufzubauen, durch die kein normaler Zauber, geschweige denn ein Mensch dringen konnte. Natürlich erwähnte Henry immer wieder, dass diese einfachen Schutz-Zauber dem Zauberstab von Salazar Slytherin nur begrenzten Widerstand leisten konnten, aber zunächst war ihre Strategie darauf ausgelegt, Voldemort Steine in den Weg zu legen, Zeit zu gewinnen und vielleicht auf eine Erschöpfung des Gegners zu bauen. Außerdem konnten diese Schutz-Zauber verhindern, dass Todesser, die Voldemort mit Sicherheit zur Unterstützung mitbrachte, hinterrücks eingreifen und Harry ablenken konnten.

Eines Abends war dann Hedwig aufgetaucht. Sie sah etwas zerzaust und mitgenommen aus, was nicht verwunderte, da sie über eine Woche unterwegs gewesen war und eine so weite Strecke hinter sich gebracht hatte. Harry freute sich unbändig über die Nachricht von Ron, der ihm allerdings mitteilte, dass nur sein Vater, der ja wieder arbeiten musste, nach Hause gereist sei. Er und der Rest der Familie blieben in Rumänien, zumal Charly sich ihnen angeschlossen und mit an das schwarze Meer gekommen war.

Hedwig durfte sich nun einer besonderen Pflege erfreuen. Nicht nur Harry verwöhnte sie mit besonderen Leckereien, auch Arthur hatte es sich zur Aufgabe gemacht, für Hedwig zu sorgen. Durch seine direkten Kontakte mit der Küche hatte er immer eine kleine Leckerei für sie übrig, mal ein Stückchen Gänseleber, mal Tartar vom Feinsten. So gingen die Tage hin und Harry und Hermine schienen zu vergessen, warum sie hier waren.


***


Lucius Malfoy war ungewöhnlich aufgeregt. Nahezu zwei Wochen lang hatte er alles getan, um eine Spur zu finden, langsam, Stück für Stück hatte er sich vorgearbeitet und jetzt war er dem Ziel zum Greifen nahe. Jeden Tag war er beim dunklen Lord erschienen und hatte seinen Bericht abgegeben. Jeden Tag hatte Voldemort ihn mehr unter Druck gesetzt. Den Verlust zweier Agenten hatte er verschmerzen können. Er hatte sich ohnehin geärgert, dass Voldemort ihm ausgerechnet diese zwei unzuverlässigen Trottel zugewiesen hatte. Zwar bestand sein Team jetzt nur noch aus 3 Leuten, aber allein durch die Tatsache, dass er nicht ständig auf die Beiden aufpassen musste, waren sie gut voran gekommen.

Viele schlaflose Tage und Nächte hatte er jeden Strohhalm ergriffen, der auch nur eine geringe Chance bedeutete, einen Weg zu Harry Potter zu finden. Mr. Ollivanders Laden war eine der Hauptspuren gewesen und er und seine beiden Agenten hatten sich im Wechsel abgelöst und den Laden rund um die Uhr beobachtet. Eines Tages war Lucius der kleine Junge aufgefallen, der jeden Tag unauffällig auf der Mauer gesessen hatte. Ab und zu war er in Ollivanders Laden gegangen, was nicht unbedingt etwas Besonderes bedeuten mußte. Dennoch hatte der Junge Malfoys Aufmerksamkeit erregt und er hatte ihn genauer beobachtet.

Dann war ihm aufgefallen, dass der Junge jedesmal den Laden betrat, wenn Todesser in seiner Nähe gestanden oder an ihm vorrüber gegangen waren und sich unterhalten hatten. Mit einem Mal wurde Lucius klar, dass dieser Junge ein Spitzel der Muggelfreunde und Ollivander ein Mittelsmann für Leute im Hintergrund sein mußte. Bestand da etwa eine Verbindung zu Dumbledore? Hatte Ollivander vielleicht sogar Potter und die kleine Granger zu Dumbledore geschickt?

Jedenfalls war der Junge einer der Schlüssel zum Erfolg und Malfoy beschloß, ihn sich vorzuknöpfen. Kurz vor Acht Uhr abends verschwand der Junge meistens in dem Haus, in dem er wohl wohnte. Dazu mußte er durch eine enge Seitengasse, an deren Ende sein Zuhause lag. Malfoy postierte seine beiden Agenten am Anfang der Gasse und kurz vor dem Ende, jeweils in Hauseingängen, so dass sie nicht gesehen werden konnten. Sie hatten die Aufgabe, den Weg abzuschneiden, wenn Lucius, der selber in einem Eeingang wartete, sich den Jungen geschnappt hatte. Sie sollten dann kommen und ihn gemeinsam fortschaffen.

Lucius versteckte sich und wartete. Schon nach wenigen Minuten hörte er Schritte, die die Gasse entlang kamen. Er drückte sich in den Schatten und zog seinen Hut tief ins Gesicht. Die Schritte kamen näher und einen Augenblick lang konnte Lucius sehen, wie der kleine Junge vorbei ging. Er trat in die Gasse und pfiff leise. Am Ende der Gasse sah er, wie sein Agent aus dem Versteck trat. Der Junge hatte den Pfiff gehört und sich umgedreht. Als er Lucius erblickte, erschrak er, wandte sich um und wollte fortlaufen. Aber der Agent war schon da, packte den Jungen und hielt ihm den Mund zu. Ein erstickter Laut war zu hören, ein dumpfer Schlag, dann wurde er von den drei Männern fortgeschleift.


***


Hermine, Harry und Henry saßen gemütlich in der Bibliothek. Heute Abend hatten sie nicht vor, Bücher durchzuarbeiten. Sie hatten sich eine Pause gegönnt, da Harry gute Fortschritte gemacht und auch Hermine eine Menge gelernt hatte.

Dann kam ein Anruf von Mr. Ollivander. Arthur kam mit sorgenvollem Gesicht in die Bibliothek und flüsterte Henry etwas ins Ohr. Henry sprang sofort auf und eilte hinaus in den Teesalon zum Kamin, an dem Mr. Ollivander schon wartete. Mr. Ollivander war totenbleich und hatte schwarze Ringe unter den rot geränderten Augen.

„George!“, rief Henry erschrocken aus. „Was ist passiert?“

„Henry! Ich habe nicht viel Zeit. Hör zu. Harry und Miss Granger müssen verschwinden. Malfoy war hier, mit zwei seiner Vasallen. Sie haben John gepackt und ausgequetscht. John geht es nicht gut. Er liegt in einer Hochsicherheitsabteilung in der Ministeriums-Ambulanz. Sie haben ihn ziemlich übel zugerichtet.“

„Was hat John erzählt?“

„John hat weitestgehend dicht gehalten, aber sie hatten ihn einige Tage beobachtet und herausgefunden, dass er oft bei mir ist. Er hat ihnen gesagt, dass Hermine Granger nicht mehr aus meinem Laden gekommen ist, aber von Harry hat er nichts gesagt.“

„Hm, und meinst du sie ziehen Rückschlüsse von Hermine auf Harry?“

„Ist von auszugehen. Sie wissen auch von dem Buch. Sie haben meine ganze Wohnung auf den Kopf gestellt. 3 Tage waren sie hier und haben alles verwüstet. Ich hab kein Auge zugetan. Zum Glück konnte ich die Vergessens-Pillen rechtzeitig schlucken, hab vorgeschoben, dass ich meine Gicht-Tabletten nehmen muss. So konnten sie mir auch mit Veritas-Serum nichts rauslocken. Aber sie haben das Buch.“

„Gut, dass sie nicht direkt auf meinem Anwesen ankommen. Was machst du jetzt?“

„Ich werde in unser Headquarter reisen. Ich denke, da kann ich mich in Ruhe nach einem Unterschlupf umsehen. Jedenfalls kannst du mich da ab heute Abend erreichen!“

„Tu mir bitte einen gefallen. Hör dich unter unseren Brüdern um, ob wir die beiden irgendwo unterbringen können, je weiter weg, desto besser, vielleicht irgendwo in Irland oder Norwegen. Wir werden noch ein paar Tage aushalten. Und wenn es geht, schick mir ein paar unserer Kameraden, ich glaube, wir können Hilfe brauchen.“

„Ist in Ordnung, Henry. Sobald ich da bin, melde ich mich wieder.“

Mit einem Plopp wurde die Verbindung unterbrochen und Mr. Ollivanders Kopf verschwand aus dem Kamin.

Henry ging zurück in die Bibliothek, wo Hermine und Harry schweigend und gespannt warteten.

„So Leute, jetzt wird es ernst.“, begann Henry. Ich habe von George die Nachricht, dass Voldemort kurz davor steht, heraus zu finden wo ihr seid. Wir müssen jetzt einige Dinge vorbereiten, um einen ersten Angriff abzuwehren. Aber vorher möchte ich mit euch noch etwas besprechen.“

Harry hielt die Luft an. Wieder schlich die wohlbekannte Angst seinen Rücken empor.

„Ich kann euch helfen, aber nur wenn ihr eine Bedingung erfüllt.“

„Welche Bedingung?“, fragte Harry.

„Das ist ein wenig heikel. Ich muss euch in ein Geheimnis einweihen. Aber ich denke, wir haben uns in den letzten zwei Wochen kennengelernt, und zumindest ihr Name und ihr Leumund, Harry, sagen mir, dass ich es riskieren kann. Und ich bin auch überzeugt, dass sie, Hermine, die sie ja nun eng mit Harry befreundet sind, den geeigneten Leumund mitbringen. Ich weiß auch, dass Dumbledore sich für sie beide verbürgen würde. Also...

Die Hilfe, die ich plane, wird in Form von ein paar alten, ich sag mal Freunden, oder Kampfgefährten kommen. Wir gehören einer Organisation an, die nicht öffentlich agiert. Meine Freunde werden euch aber nur helfen, wenn auch ihr der Organisation angehört. Nur sehr wenige kennen diese Organisation und ich muss, bevor ich euch davon erzähle, sicher sein, dass nie auch nur ein Wort über eure Lippen kommt. Zu niemandem!“

„Kein Wort!“, sagte Harry hastig.

Hermine nickte stumm.

„Freunde, nur euer Wort allein ist in diesem Falle leider nicht genug. Ihr werdet das Geheimnis mit ins Grab nehmen müssen. Nur ganz wenige von uns dürfen überhaupt Anderen gegenüber davon sprechen, ich bin einer der wenigen. Um das Geheimnis zu bewahren, muss ich euch mit einem Zauber belegen, der denjenigen sofort tötet, der unbefugt darüber spricht. Solltet ihr nicht damit einverstanden sein, muss ich euch binnen der nächsten Stunden von Perpignans Place wegschicken, um Voldemort den Grund zu nehmen, hier anzugreifen. Es wird dann immer noch schwierig sein, ihm klar zu machen, dass er hier nichts finden wird, und ich werde dann trotzdem die Hilfe meiner Freunde in Anspruch nehmen müssen, aber ich kann euch dann wenigstens einen genügenden Vorsprung verschaffen.“

Harry und Hermine sahen sich an.

„Gut, ich will euch noch eine halbe Stunde allein lassen. Überlegt gut, es ist eine große Verantwortung, und und jede Form von Verrat, auch erzwungener, endet tödlich. Ich nehme es euch also nicht übel, wenn ihr ablehnt, nur müssen wir dann schnell einen anderen Ort finden, zu dem ich euch schicken kann.“

Er blickte Hermine und Harry ernst an, nickte dann mit Wohlwollen und stand auf.

„Ich werde jetzt mein Personal zusammenrufen. Wir müssen alle Sicherheitsmaßnahmen in Gang setzen. Ich bin in einer halben Stunde wieder da.“

Damit verließ er die Bibliothek.

Nach einer halben Stunde kam er wieder. Er hatte seinen Hausangestellten Anweisungen gegeben und gemeinsam hatten sie alle, die schon vor Jahrzehnten eingerichteten Fallen und Schutzzauber aktiviert. Henry sah zufrieden aus, als er die Bibliothek betrat.

„Na, habt ihr euch Gedanken gemacht?“, fragte er fröhlich. „Wir sitzen jetzt in einer Festung. Voldemort wir es nicht einfach haben, hier herein zu kommen. Wie ist eure Entscheidung?“

„Wo würden Sie uns hinschicken, wenn wir uns dagegen entscheiden?“, fragte Hermine.

„Tja, das ist schwer zu sagen. Ich denke, das Beste wäre, euch zu Dumbledore zu schicken, nur weiß ich nicht, wo er sich gerade aufhält. Rumänien ist groß. Das Tal der Riesen liegt irgendwo in den Karpaten, und wenn Dumbledore es nicht geschafft hat, die Riesen auf seine Seite zu bringen, wäre es fatal, euch genau dorthin zu schicken. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich es im Moment nicht weiß. Am liebsten wäre mir, wenn ich euch das Geheimnis offenbaren könnte, denn dadurch werdet ihr unter den Schutz einer sehr mächtigen Gemeinschaft gestellt.“

„Vertrauen Sie uns denn?“, fragte Hermine.

„Ja. Ich habe euch kennen gelernt. Ich habe euch schon viele Dinge gezeigt, die ich sonst niemandem zeigen würde. Ich vertraue euch.“

„Gut,“, sagte Harry. „Ich glaub’, Hermine und ich sind uns einig. Sie können den Zauber ausführen.“

„Dann kommt mal mit!“, sagte Henry und öffnete die Tür zum Labor. Sie stiegen die Wendeltreppe hinunter. Im Gewölbe wies Henry sie an, sich vor den schweren Holztisch zu stellen. Er ging zu einem Schrank und holte eine weiße Kutte heraus. Er streifte sie über und verschloß sie mit einer bronzenen Fibel, dann griff er nach einem alten, ledereingebundenen Folianten und legte ihn an der anderen Seite der Tafel vor sich hin. Nachdem er die Seite, die er gesucht hatte, gefunden hatte, ließ er das Buch aufgeschlagen vor sich liegen. Harry warf einen Blick auf die aufgeschlagenen Seiten und erkannte das Bild eines Menhiren, der über und über mit Runenzeichen verziert war. Es ähnelte dem Bild, das er bei Mr. Ollivander gesehen hatte, jedoch hatte der Stein eine andere Form. Auf die anderen Seite waren nur wenige Runenzeichen geschrieben. Henry murmelte „Fluorescenca“ und die Fackeln begannen wieder in dem schwarzen Licht zu leuchten. Diesmal reflektierte die Kutte von Henry das Licht so stark, dass Hermine und Harry davon geblendet wurden. Die Fibel leuchtete grell und beschien das Buch.

Dann hob Henry beide Hände und hielt sie wie ein betender Priester über das Bild. Er begann in einer unverständlichen Sprache zu murmeln. Während er aus dem Buch vorlas, wurde das Licht dunkler, bis schließlich nur noch die leuchtende Kutte und die Fibel zu sehen war. Dann richtete sich Henry auf und blickte die Beiden an.

„Hermine!“ sagte er in befehlendem Ton. „Schwörst du den heiligen Eid der Druiden, dass du still schweigen wirst, über alles, was du über den Orden der Druiden erfährst, jetzt und bis an dein Lebensende? Schwörst du, dass du mit deinem Leben bezahlen wirst, wenn auch nur ein Wort über deine Lippen kommt?“

Hermine war bleich geworden, man sah es in der Dunkelheit nicht, aber sie fühlte es. Sie hatte keine Angst, sie war vor Ehrfurcht erstarrt. Es dauerte einen Augenblick, bis Henrys Worte in ihr Bewusstsein drangen, aber als sie den Sinn verstanden hatte, brannten sich diese Worte für immer in ihr Gedächtnis.

„Ja, ich schwöre!“, sagte sie laut. Ein Schauer durchlief sie. Jetzt hatte sie es gesagt. Mit einem Mal fühlte sie sich leicht und stark und unbesiegbar.

„Harry!“ wandte er sich an Harry. „Schwörst du den heiligen Eid der Druiden, dass du still schweigen wirst, über alles, was du über den Orden der Druiden erfährst, jetzt und bis an dein Lebensende? Schwörst du, dass du mit deinem Leben bezahlen wirst, wenn auch nur ein Wort über deine Lippen kommt?“

Auch Harry brauchte einen Augenblick, bis er begriff.

„Ja, ich schwöre!“ sagte er erfürchtig.

„Dann hört. ... Ihr seid in den Orden der Druiden aufgenommen. Ihr werdet euren Brüdern und Schwestern beistehen in ihrer Not, wie sie euch beistehen werden in eurer Not. Ihr werdet die Macht der Druiden erfahren und sie in Zukunft nur für das Gute und gegen das Böse verwenden. Besiegelt das mit eurem Blut!“

Er holte ein kleines goldenes Messer aus seinem Ärmel und reichte es Harry. Er bedeutete ihm, seine Hand einzuritzen und einen Tropfen Blut auf den Menhir im Buch fallen zu lassen. Harry tat, wie ihm befohlen. Das Blut tropfte auf das Bild, wurde aufgesogen und verschwand in dem Stein. Hermine tat es ihm nach. Henry klappte das Buch zu und befahl dem Licht, wieder zu leuchten. Die Fackeln flackerten auf und erleuchteten den Raum mit ihrem hellen, strahlenden Licht. Henry zog die Kutte aus und verstaute alles an seinem Platz im Schrank.

„So, meine Lieben. Ihr seid jetzt Schwester und Bruder des Druidenordens. Herzlich willkommen.“

Er nahm von beiden die Hand und drückte sie.

„Ihr seid auf Gedeih und Verderb mit uns verbunden. Nicht einmal der Tod trennt uns, denn alle Druiden werden in das ewige Reich der Götter eingehen. Diese enge Bindung heißt, dass wir Du zueinander sagen, egal welches Standes oder Ranges wir sind. Wir halten zusammen und helfen einander. Und nur dadurch hat sich unsere Macht über viele Jahrtausende gegen alle Angriffe behaupten können. Unser gemeinsamer Feind Voldemort mag vielleicht viele von uns töten, besiegen kann er uns nicht. Und wenn wir alle Druiden der Welt zusammen trommeln, ist er einer solchen Macht nicht gewachsen.“

Hermine und Harry schwiegen. Sie konnten nichts sagen. Sie hatten die Macht gespürt und sie klang in ihnen nach.

„Kommt.“, sagte Henry und lächelte. „Lasst und rauf gehen. Es gibt noch viel zu besprechen.“

Oben, in der Bibliothek fragte Harry dann, was es denn mit den Göttern auf sich habe. Er könne sich nicht vorstellen, dass es verschiedene Götter gäbe. Henry lächelte.

„Die Christen glauben. Wir wissen.“, sagte er geheimnisvoll.

„Wenn wir den Orden verraten und sterben, kommen wir dann auch zu den Göttern?“, fragte Hermine, die den Gedanken sehr altmodisch und ein wenig lustig fand. Henry bemerkte den leicht ironischen Unterton in ihrer Stimme und sagte mit strengem Gesicht.

„Meine liebe Hermine. Es ist verständlich, dass du nicht daran glaubst. Aber du kannst mir glauben, dass du es bald wissen wirst. Die Sache mit dem Verrat ist so: Wenn du deswegen stirbst, dann hast du keine Chance mehr, in den Kreis der Druiden zurück zu kehren. Vielleicht hast du Glück, und es gibt den Christengott und du kannst dort unterkommen, aber würde ich es darauf ankommen lassen?“

Harry wurde die Unterhaltung zu philosophisch. „Ich weiß nicht, was ich wissen, oder glauben soll. Ist mir auch egal. Ich finde es wichtig, dass wir ein Versprechen abgegeben haben, und ich finde, ein Versprechen muß man halten!“

„Eine schöne Einstellung, Harry. Aber jetzt lasst uns noch ein bisschen entspannen, ich erwarte meine Freunde etwa um Mitternacht. Bis dahin haben wir noch genug Zeit, Kräfte zu sammeln, denn ich denke, es wird eine turbulente Nacht.“

***


„Das hast du gut gemacht!“, sagte Voldemort kaum hörbar. Lucius verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, die ein Lächeln darstellen sollte.

„Danke Herr!“, sagte Malfoy. „Hier ist das Buch.“

Er legte es auf den Tisch und schob es zum dunklen Lord hinüber. Voldemort nahm das Buch und betrachtete es.

„Es ist eine perfekte Imitation. Sehr interessant. Ein völlig harmloses Buch, aber mit dem Schlüssel zu Harry Potter. Hast Du ihn schon gefunden, Lucius?“

„Nein Herr.“, antwortete Malfoy und blickte zu Boden. Er wagte es nicht, seinen Herrn und Meister direkt anzusehen. Er fürchtete den Blick aus den roten Augen, obwohl er zu einem der engsten Vertrauten Voldemorts gehörte. Seit dem Abend, an dem sein Herr die Macht zurück erhalten hatte, war Malfoy stets bemüht, ihm seine unbedingte Treue zu beweisen. Zu oft musste an die Angst denken, die er gehabt hatte, als Voldemort um den Kreis seiner Anhänger geschritten war, vor Malfoy stehen geblieben war und ihm gesagt hatte, dass die Zukunft seine wahre Treue zeigen würde. Voldemort hatte sich jeden der zurückgekehrten Todesser an diesem Abend vorgenommen und festgestellt, dass alle, bis auf zwei, die sich für ihn aufgeopfert hatten, feige gewesen waren und ihn verraten hatten. Auch Lucius hatte er zu den Verrätern gezählt, die sich ein schönes Leben während seiner Abwesenheit gemacht hatten und nun, da er wieder da war, angeschlichen kamen um seine Gunst nicht zu verlieren. Er hatte jedem noch eine Chance versprochen, bedingungslose Treue zu zeigen und hatte fürchterliche Rache für einen weiteren Verrat geschworen.

Jetzt hatte Lucius die Chance, seine Treue zu beweisen, seinen Status wieder herzustellen, vielleicht sogar Wurmschwanz von seinem Prinzenstuhl herunter zu stoßen. Denn eines wusste er, Peter Pettigrew war feige und das einzige, das ihn an der Seite von Voldemort hielt, war seine Angst. Auch Malfoy hatte Angst, aber er bewahrte immer einen klaren Kopf und konnte selbst in den schwierigsten Situationen noch kaltblütig handeln. Und er hatte zudem noch einen Trumpf in der Hand. Seinen Sohn Draco. Bei dessen Geburt hatte Voldemort Draco unter seinen besonderen Schutz gestellt, denn Draco war ebenfalls ein Magid und er versprach sich davon, einen mächtigen Streiter an seiner Seite zu haben, wenn Draco volljährig würde. Er musste noch 3 Jahre warten, drei quälend lange Jahre, die aber nicht sinnlos verstreichen sollten. Sein Ziel war es, Harry Potter zu vernichten. Und Lucius Malfoy wusste das.

Voldemort blätterte in dem Buch. Plötzlich hielt er inne. Er drehte das Buch zu Malfoy und zeigte ihm die aufgeschlagene Seite.

„Weißt du was das ist?“

Lucius beugte sich vor und betrachtete die Seite.

„Es ist das Bild eines Menhiren. Ich habe das Buch angeschaut aber es ist mir nicht aufgefallen...“

„Du hast noch viel zu lernen, Lucius. Betrachte es genau!“

Lucius nahm das Buch von Voldemort entgegen und besah sich die Radierung. Sie war abgegriffen, teilweise verwischt und speckig und es fiel auf, dass die anderen Seiten sauber und fast unbenutzt schien.

„Es scheint,“, überlegte Lucius laut, „als wäre diese Seite die einzige im Buch, die jemals benutzt wurde....“

„Was kann der Grund sein, nur eine einzige Seite in einem Buch zu nutzen, Lucius?“

„Sollte das etwa...ein Portschlüssel...“

„Es ist ein Portschlüssel!“ sagte Voldemort und sah Lucius mit seinen rot glühenden Augen an. „Es ist der Schlüssel, der uns zu Potter führt...“

Lucius sah seinen Meister unsicher an. Einerseits hatte er ihm einen sehr wertvollen Fund gebracht, andererseits hatte er nicht erkannt, worin der Wert bestand. Was dachte Voldemort jetzt von ihm.

„Ein Druidenstein...Es ist ein Druidenstein....“. Voldemort stützte nachdenklich seinen Kopf auf die Hand.

„Meint ihr Herr, dass Ollivander...zum Orden der Druiden gehört?“

„Ich meine es nicht. .... Ich weiß es. Gib mir das Buch!“

Lucius reichte es ihm über den Tisch. Voldemort legte es geöffnet vor sich hin. Er holte seinen Zauberstab hervor, richtete ihn auf das Bild und sagte:

„Visualis portas“

Das Bild verschwamm und es wurde der Hügel, der in der Nähe von Perpignans Place lag, sichtbar. Voldemort hob den Zauberstab etwas und das Bild folgte seiner Bewegung. Jetzt ließ sich der Horizont erkennen, und als er den Zauberstab nach links und rechts drehte, wanderte das Bild mit.

„Siehst du den Wall aus Steinen, Lucius?“

„Ja, Herr. Es ist ein Steinkreis, wie ihn die Druiden benutzen. Wir haben es tatsächlich mit dem Orden zu tun.“

„Gut. Du hast einen Fehler gemacht, Lucius.“, sagte Voldemort ungerührt mit ausdrucksloser, kalter Stimme. Malfoy erbleichte. „Du hättest Ollivander töten müssen. Aber du hast den Schlüssel nicht erkannt und ich halte dir zu Gute, dass du mit den Druiden noch nichts zu tun hattest. Du konntest nicht wissen, von welcher Bedeutung diese Entdeckung ist, daher werde ich von einer Bestrafung absehen.“

„Danke Herr.“, sagte Malfoy, dem der kalte Schweiß auf der Stirn stand.

„Du wirst es wieder gutmachen. Hole meine zehn treuesten Anhänger zusammen. Heute um Mitternacht treffen wir uns auf dem Friedhof. Wir werden diese Festung knacken, werden Potter vernichten und die Druiden ausschalten!“


***


Mitternach war vorbei. Die Standuhr in der Eingangshalle hatte 12 mal geschlagen. Harry hatte sich mit dem Gedanken abgefunden, dass es heute Nacht keinen Schlaf geben würde. Sie saßen in der Bibliothek und warteten schweigend. Arthur hatte mehrmals starken Tee gebracht und inzwischen hatten sie so viel getrunken, dass ihre Runde immer wieder von Toilettengängen unterbrochen wurde. Henry hatte ihnen das Nötigste über die Druiden erzählt. Es hatte ein wenig beruhigt, zu wissen, dass die Druiden genügend Macht hatten, Voldemort aufzuhalten, auch wenn noch nicht sicher war, wie sich die Kraft des Zauberstabs von Slytherin auswirken würde.

Harrys Narbe hatte kurz vor Mitternacht angefangen zu pochen. Er ahnte, dass Voldemort seine Witterung aufgenommen hatte. Er hatte Angst.

„Sie werden gleich da sein.“, sagte Henry. „Bleibt anfangs bitte im Hintergrund, am Besten wartet ihr hier. Ich werde meinen Brüdern und Schwestern von Euch berichten, und euch dann vorstellen. Wir reden uns nur mit Vornamen an, aus Sicherheitsgründen. Nennt also bitte nur eure Vornamen, ja? Natürlich werde ich sie darüber unterrichten müssen, wer du bist, Harry, aber lasst uns die Form wahren.“

Hermine und Harry nickten schweigend. Henry stand auf und verließ die Bibliothek. Hermine schaute besorgt auf Harry.

„Schmerzt deine Narbe wieder?“, fragte sie. Sie hatte beobachtet, dass er mit der Hand immer wieder über seine Stirn gefahren war.

„Ja.“, sagte Harry. „Ich glaube, Voldemort ist sehr nah.“

„Hast du Angst?“, fragte sie.

Harry nickte. Er streckte sich, weil er die Spannung nicht mehr aushalten konnte.

„Ich wollte, er würde jetzt angreifen. Dann wüssten wir wenigstens, woran wir sind.“

„Das Warten macht mich auch verrück.“, sagte Hermine.

„Ja, das ist genau so, wie damals, als ich gegen den Drachen antreten mußte. Ich bin furchtbar nervös, aber wenn es dann so weit ist, bin ich wieder ruhig.“

Hermine stand auf und ging zum Fenster. Sie starrte in die Nacht. Draußen schien es ruhig zu sein. Zu ruhig, wie die Ruhe vor dem Sturm. Wie würde Voldemort angreifen? Sicher hatte er seine Anhänger bei sich.

„Wir haben ja Hilfe.“, sagte Hermine, mehr um sich selber etwas Sicherheit zu geben. Auch sie hatte Angst und die Ereignisse in der Winkelgasse, die sie nur zu gut in Erinnerung hatte, trugen nicht gerade dazu bei, sie zu beruhigen.

Draußen, in der Halle wurde Stimmengemurmel laut. Nach ein paar Minuten öffnete Henry die Tür zur Bibliothek und rief Hermine und Harry. Sie gingen in die Halle und sahen sich einer Gruppe von 15 Zauberern und Hexen gegenüber, die alle weiße Kutten trugen, wie Henry inzwischen auch. Das waren also die Brüder und Schwestern, Druiden des Ordens. Die Leute blickten neugierig auf Harry und Hermine, und als die beiden eher schüchtern in die Halle kamen, konnte sie sehen, dass die Gesichter freundlich wurden. Henry stellte sich hinter sie, legte ihnen die Hand auf die Schulter und sagte:

„Liebe Schwestern und Brüder, ich habe euch von meinem Besuch und seinen Sorgen erzählt, darf ich euch nun Hermine und Harry vorstellen, unsere jüngsten Mitglieder des Ordens?“

Wohlwollendes Gemurmel ertönte, und als es wieder still war, fuhr Henry mit der Vorstellung der Beiden fort. Er ging von Einem zum Nächsten und sagte deren Vornamen. Harry versuchte, sie sich zu merken, aber als er den sechsten gehört hatte, wusste er den ersten schon nicht mehr. Hermine hatte es da besser. Sie hatte von Natur aus ein besseres Namensgedächtnis. Oft brauchte sie nur etwas zu hören, schon konnte sie es sich merken. Das kam ihr natürlich in der Schule besonders zu Gute, da ihr dadurch das Lernen sehr leicht fiel, während Harry und auch Ron sich mit dem Stoff abmühten und dann doch wieder die Hälfte vergaßen.

Hermine und Harry gingen den Halbkreis ab und schüttelten jedem die Hand. Harry genoss es, nicht sofort als der Harry Potter angesprochen zu werden, obwohl er merkte, dass jeder der Gäste direkt auf seine Stirn schaute. Aber man war sehr diskret. Die Begrüßungen reichten von „Sehr erfreut“, über „Habe schon viel von Dir gehört“ bis zu einem freundlichen „Guten Tag“.

Nachdem die Zeremonie beendet war, begaben sie sich in den Teesalon und nahmen an der großen Tafel Platz. Arthur hatte noch ein paar Stühle geholt, so dass sich alle an dem Tisch setzten konnten, der sonst nur für ein dutzend Anwesende gedacht war. Henry hatte sich an das Ende der Tafel gesetzt und wartete, bis alle saßen. Dann erhob er sich. Es wurde still. Henry schaute zufrieden in die Runde und begann zu sprechen.

„Liebe Schwestern und Brüder! Wir haben uns hier und heute versammelt, weil wir uns einer Bedrohung entgegenstellen wollen, die mit großen Schritten auf uns zu kommt. Jeder von euch kennt den dunklen Lord. Viele von uns fürchten ihn. Aber ihr, liebe Schwestern und Brüder seid gekommen, um euch zu wehren. Wir akzeptieren nicht, dass sich einer aus purem Machtwillen gegen die Gemeinschaft der Zauberer stellt.“

Beifälliges Stimmengewirr erhob sich. Rufe wie „Jawohl, recht hat er.“ oder „Niemals!“ ertönten. Henry wartete, bis sich die Zuhörer wieder beruhigt hatten, dann fuhr er fort.

„Zwei aus unserer Mitte sind besonders bedroht. Ihr alle habt schon von Harry Potter gehört, und wisst, dass Voldemorts derzeitige Bestrebung ist, Harry aus dem Weg zu schaffen. Seit heute gehören Harry und Hermine zu uns. Deshalb bitte ich euch, uns Dreien bei der Verteidigung von Perpignans Place beizustehen!“

Er machte eine Pause um eine Zustimmung abzuwarten. Einstimmig kam die Antwort:

„Wir helfen!“

„Ich danke euch!“, sprach Henry weiter. „Wir erwarten Voldemort und eine unbestimmte Anzahl seiner Anhänger noch heute Nacht. Vermutlich wird er im Morgengrauen angreifen. Die wichtigsten Positionen werden durch meine Leute beobachtet. Es steht zu vermuten, dass sie den Portschlüssel von unserem Bruder George, dem Zauberstabhändler entdeckt haben und verfolgen. Sie werden also im Steinkreis auf dem Druidenhügel eintreffen. Sobald meine Leute ihre Ankunft bemerken, werden wir benachrichtigt. Dann haben wir noch etwa eine halbe Stunde Zeit, bis sie zu diesem Anwesen vorgedrungen sein werden. Wir werden jetzt die Verteidigungspositionen festlegen. Jeder der hier Anwesenden kennt die Gebäude und das Gelände, ich brauche es also nicht noch einmal erklären.

Salomo, Jonathan, Adam und Flint, Ihr werdet die Türme besetzen. Sie sind durch den äußeren Verteidigungskreis geschützt. Ihr habt die meiste Erfahrung im Verteidigungskampf und werdet versuchen, sie so lange wie möglich draußen zu halten. Natürlich werden wir euch unterstützen. Solltet ihr die Türme aufgeben müssen, begebt euch in den Hof, in den zweiten Kreis. Aber achtet auf die Fallen, ja? Wir können es uns nicht leisten, Leute durch eigene Fehler zu verlieren. Hier werden dann Miranda, Hawk, Bella, Thomas und ich postiert sein. Der Rest verteilt sich im oberen Stockwerk des Hauses. Von hier aus könnt ihr den Kampf beobachten und helfend einschreiten. Ihr beobachtet vor allen Dingen die Türme, die ja nur von jeweils einem besetzt sind. Wir werden mit Hilfe des Telelingua-Zaubers kommunizieren.

Harry und Hermine, ihr kennt diesen Zauber noch nicht. Ich werde ihn an euch vornehmen. Er hat den Vorteil, dass wir innerhalb unserer Truppe über weite Strecken flüsternd sprechen können.

Sollte der zweite Verteidigungskreis fallen, ziehen wir uns in das Haus zurück. Dann kommt ihr auch aus den oberen Stockwerken herunter. Die Bibliothek ist dann der Treffpunkt. Von hier aus können wir uns ins Labor zurückziehen und im Notfall durch die Gänge fliehen.

Übrigens, eine Bitte habe ich. Arthur arbeitet gerade in der Biliothek und verpackt meine Bücher. Ich bitte euch, wenn wir fliehen müssen, dass sich jeder ein Bündel schnappt und mitnimmt. Mir liegt viel daran, sie zu retten, sie waren sehr teuer und sind, im Gegensatz zu allem Anderen hier, nicht ersetzbar. Keine Sorge, sie werden verkleinert und es ist nur eine Tasche, die jeder nehmen muß. Ach ja, noch etwas. Wenn jeder seinen Platz erreicht hat, werden wir Perpignans Place verdunkeln. Voldemort soll denken, wir ahnten nichts und würden schlafen. Also... Noch Fragen?“

Allgemeines Kopfschütteln zeigte, dass alle Bescheid wußten.

„Gut. Dann jeder auf seinen Posten. Hermine und Harry, kommt ihr mit?“

Die beiden waren ziemlich beeindruckt von den Geschehnissen. Schweigend folgten sie Henry, der geradewegs die Bibliotkek aufsuchte. Arthur war gerade dabei die Bücher zu verstauen. Es sah wunderlich und leicht aus. Arthur hatte eine Tasche in der Hand und schwang mit der Anderen seinen Zauberstab. Regalboden für Regalboden flogen die Bücher durch die Luft, schrumpften auf Streichholzschachtelgröße und verschwanden in der Tasche. War eine Tasche voll, nahm er die nächste und das Spiel ging weiter.

„Arthur ist Spezialist fürs Packen“, meinte Henry und grinste Hermine und Harry an. „Ihr solltet mal sehen, wenn ich auf Reisen gehe. Er bringt alle Kleider, Bücher, Kessel und was ich sonst noch brauche in einer kleinen Handtasche unter.“

„Mr. Perpignan übertreibt, junge Herrschaften.“, sagte Arthur und lachte. „Es ist nur die richtige Anwendung von ein paar kleinen Zaubern, mehr nicht.“

Wieder war ein Regal leer, eine Tasche gefüllt und Arthur nahm sich eine weitere Tasche. Er hatte schon drei viertel der Regale leer geräumt.

„Brauchen sie noch den Schreibtisch, Mr. Perpignan?“, fragte Arthur und zwinkerte Harry und Hermine zu.

„Arthur, lassen Sie die Scherze. Aber, da sagen Sie was. Ich muss dringend noch an die Unterlagen denken.“

Er ging zum Schreibtisch, öffnete ihn und holte einen Stapel Pergamente heraus, die er in einen Briefumschlag steckte und Arthur reichte. Der deutete nur mit dem Zauberstab auf den Umschlag, schon schrumpfte auch dieser und verschwand in der Tasche.

Jetzt wandte sich Henry wieder Hermine und Harry zu.

„So, jetzt werde ich euch an unser Kommunikationssystem anschließen. Bitte einmal den Kopf hoch.“

Sie hoben den Kopf. Er nahm seinen Zauberstab, deutete auf sie und murmelte „Teleportis lingua“. Im gleichen Moment vernahm Harry ein leises Gemurmel im Hintergrund. Es war, wie als würde man in einem Klassenzimmer in Hogwarts sitzen, vor dem Unterricht, und alle Schüler würden leise durcheinander reden.

„Ihr steht jetzt mit allen hier im Haus in Verbindung. Wenn ihr jetzt zu jemandem etwas sagen wollt, tut dies einfach und konzentriert euch entweder auf den Ort, wo er sich befindet oder auf einen Namen oder einfach auf das Gesicht, das ihr in Erinnerung habt. Ihr könnt es gleich testen, wenn ich aus der Bibliothek hinausgegangen bin.“

„Was sollen wir bei dem Kampf machen?“, fragte Harry, dem diese Frage schon eine Weile auf der Zunge lag.

„Verhaltet euch erst mal ruhig. Ihr könnt zu Arthur gehen, er wird euch dann mitnehmen zu seinem Beobachtungspunkt. Dann könnt ihr den Kampf beobachten und wenn euch auffällt, dass einer von uns hinterrücks angegriffen wird, könnt ihr ihn warnen. Arthur hat nicht mehr die besten Augen, ich denke, da könnt ihr ihn ein bisschen unterstützen, ja Arthur?“

Arthur sah sich um, nickte und sagte:

„Es wird mir ein Vergnügen sein, mit den beiden jungen Herrschaften aufzupassen.“

„Gut, Hermine, Harry, ich werde euch jetzt verlassen, Arthur weiß Bescheid.“

Henry verließ die Bibliothek. Hermine und Harry halfen Arthur noch bei den letzten Regalen, dann stellten sie die Taschen in einer Reihe auf den Boden, damit im Falle einer Flucht jeder schnell sein Päckchen schnappen konnte. Sie verließen die Bibliothek und folgten Arthur, der die Treppe hoch in das obere Stockwerk ging. Sie betraten ein Zimmer, das direkt neben der Treppe zum Hof hin lag. Es war genau so luxuriös eingerichtet, wie die anderen, nur dass es kein Bett enthielt. Sie setzten sich in die Nähe des Fensters, Arthur löschte das Licht und dann begann wieder das Warten.

Kurz vor der Morgendämmerung schreckte Harry hoch. Er war eingenickt, hatte wild geträumt und dann hatte er klar und deutlich eine Stimme neben seinem Ohr gehört.

„Es geht los! Sie kommen!“

Harry brauchte einen Moment, um zu verstehen, was er gehört hatte und woher es kam. Er öffnete die Augen und sah sich um. In der Dunkelheit konnte er nicht viel erkennen, aber er hörte Atemgeräusche neben sich. Da wusste er wieder, wo er war, und er wusste auch sofort um was es ging.

„Hermine?“, fragte er in die Dunkelheit hinein.

„Ja Harry.“, antwortete eine Stimme ganz nah bei ihm. „Hast du das auch gehört?“

„Ich muss wohl geschlafen haben. Wie spät ist es?“

„Es ist gleich vier Uhr in der Frühe, Master Harry.“, tönte eine andere, sehr alte Stimme aus der Finsternis.

„Ach, Arthur, stimmt, sie sind ja auch da. Geht es los?“

„So ist es, Master Harry. Man hat Mr. Voldemort gesehen. Er ist auf dem Druidenhügel angekommen und hat 12 seiner Anhänger mitgebracht. Soweit wir herausgefunden haben handelt es sich unter Anderem um Mr. Malfoy, Mr. McNair, Mr. Pettigrew, Mr. Goyle und Mr. Crabbe. Die anderen konnten wir noch nicht identifizieren, aber wir gehen davon aus, dass es sich um den engsten Vertrautenkreis handelt.“

„Ach du meine Güte!“, entfuhr es Harry. Die Namen, die Arthur gerade genannt hatte, erzeugten äußerstes Unbehagen in ihm. Auch Hermine hatte die Namen mit Schrecken vernommen. Gerade Malfoy, McNair, Crabbe und Goyle gehörten zu den schlimmsten Muggelhassern, die die Zaubererwelt hervor gebracht hatte.

„Sie haben den Hügel verlassen und bewegen sich auf uns zu“, hörten sie eine Stimme sagen.

„Und was werden wir jetzt machen?“, fragte Hermine, an Arthur gewandt.

„Wir werden erst einmal abwarten.“, antwortete Arthur. „Unsere Aufgabe ist, die Augen offen zu halten. Ich schätze, sie werden in einer Viertel Stunde da sein, und dann werden wir sehen.“

„Können wir mal kurz Licht anmachen?“, fragte Harry. „Ich muss mal.“

„Ich auch“, sagte Hermine.

„Nein, auf keinen Fall können wir jetzt Licht machen, das würde verraten, dass wir vorbereitet sind und auf sie warten. Versuchen Sie, im Dunkeln hinaus zu kommen.“

Harry stand von seinem Stuhl auf und tastete sich in Richtung Tür. Ein kurzes Poltern und ein unterdrücktes „Aua!“ war zu hören. Hermine hatte Harrys leeren Stuhl nicht sehen können und sich das Schienbein gestoßen. Harry fand die Tür und schlüpfte auf den Flur. Einen Augenblick später kam Hermine hinterher.

„Hermine, was hältst du davon, wenn wir unsere Sachen zusammenpacken? Ich habe den Verdacht, dass wir heute noch fliehen müssen.“

„Willst du Henry allein lassen?“, fragte Hermine verwundert.

„Nein, so meine ich das nicht. Aber ich hab so ein komisches Gefühl im Bauch. Ich glaube, wir schaffen es nicht lange, gegen Voldemort und seine Leute zu bestehen. Da wäre es doch besser, wenn wir unsere Sachen dabei haben.!“

„Ach so meinst du das.“, sagte Hermine. „Aber du willst doch nicht ständig deinen Koffer mit dir rumschleppen, oder?“

„Nö. Ich hab mir vorhin,“, antwortete Harry und fasste Hermine am Arm, „ als ich gesehen hab, was Arthur mit den Büchern gemacht hat, da hab ich mir gedacht, dass das doch total praktisch ist. Ich kann meinen Koffer in die Hosentasche stecken. Ist doch genial!“

„Hm“, machte Hermine. „Da ist was dran. Vielleicht schafft Arthur es ja auch, Hedwig und Krummbein schrumpfen zu lassen...Ich muss jetzt erst mal. Wir fragen ihn gleich.“

„Ich frag ihn jetzt eben.“, sagte Harry, öffnete noch mal die Tür und steckte seinen Kopf durch den Spalt. „Arthur? Können Sie unser Gepäck auch so klein machen, dass wir es in die Tasche schieben können?“

„Natürlich, Master Potter. Packen war immer schon meine Spezialität.“

„Können sie auch Krummbein und Hedwig und ihre Käfige schrumpfen?“

„Auch das geht. Darf ich fragen was sie vorhaben, Master Potter?“

„Ich dachte nur, wenn wir fliehen müssen, dann möchte ich alle meine Sachen dabei haben, wir wissen ja nicht wohin wir kommen.“

„Dann schlage ich vor, sie packen schnell zusammen und bringen ihr Gepäck hierher. Ich werde es schon in eine handliche Größe bringen.“

„Ok. Danke Arthur.“

Harry schloss die Tür wieder. Hermine wartete schon ungeduldig.

„Und? Was sagt er?“

„Es geht!“, sagte Harry. „Dann lass uns schnell packen, ja?“

Beide gingen auf ihr Zimmer und kamen nach wenigen Minuten voll beladen wieder. Es war nicht einfach, im Dunkeln zu packen.

„Krummbein, dieses Monster!“, sagte Hermine. „Als ich ihn in den Käfig gesperrt habe, hat er mich tierisch gekratzt. Bestimmt blutet es!“

„Gut, dass ich eine Eule habe. Hedwig ist richtig brav von selbst in ihren Käfig gegangen.“ Sagte Harry und grinste schadenfroh. Er hatte nichts gegen Krummbein, aber ab und zu dachte er bei sich, was für ein fettes und selbstgefälliges Vieh er war.

„Sie sind da! Passt jetzt auf!“ ertönte eine Stimme aus dem Dunkel.

Schnell schlüpften sie in das Zimmer, in dem Arthur saß.

„Hier sind unsere Sachen, Arthur.“, sagte Harry.

„Dann darf ich sie bitten, an das Fenster zu gehen und aufzupassen. In welche Tasche soll ihr Gepäck?“

„Hier in die Umhangtasche!“, sagte Harry und hielt sie auf. „Nur die Tasche mit den Tränken nicht, wer weiß, ob wir sie noch brauchen!“

„Ich würde empfehlen, dass sie noch einen Schluck vom Wach-Trank nehmen. Die nächsten Stunden werden sicher sehr unruhig.“, sagte Arthur.

Draußen war es schon ein wenig dämmerig geworden und das Zimmer war auch nicht mehr so dunkel, wie vor wenigen Minuten noch. Hermine und Harry taten, was Arthur gesagt hatte. Der schwang seinen Zauberstab, murmelte etwas und Harrys Gepäck schrumpfte und segelte in die Tasche seines Umhangs. Mit Hermines Sachen verfuhr er genauso.

Plötzlich schien der Hof schwach zu glimmen. Das Glimmen wurde stärker und bald strahlte der Hof in einem eigenartigen düsteren Licht, das gar nicht zu existieren schien. Nur die Umrisse der Bauten, Wege, Bäume und Beete schienen von dem Licht umflossen, es strahlte kaum ab, aber man sah alles.

„Was ist das?“, fragte Hermine.

„Das ist das magische Licht, Miss Granger, das nur Druiden herstellen können. Und nur wir können es sehen. Voldemort sieht es nicht. Er denkt weiterhin, hier sei alles ruhig.“

Draußen auf dem Hof kam Bewegung auf. Druiden huschten herum und ihre weißen Kutten erschienen in dem Licht so durchscheinend, wie die Geister, die auf Hogwarts wohnten. Die ganze Szene wirkte unheimlich und bedrohlich. Aber Hermine und Harry konnten mit einem mal jeden einzelnen Zauberer und jede einzelne Hexe auf deren Positionen erkennen, konnten genau beobachten, was sie taten. Und sie konnten noch etwas sehen. Vor dem schmiedeeisernen Tor, das jetzt geschlossen war, und ebenfalls von dem eigenartigen Licht umflossen wurde, konnten sie durch die Mauern hindurch die Umrisse von Gestalten erkennen, die nicht hier hin gehörten. Da waren sie!

Sie hatten sich rings um das Anwesen aufgestellt. An jeder Seite standen drei Todesser, nur am Tor stand im Hintergrund ein Vierter. Lord Voldemort.

„Verhaltet euch ruhig!“, kam die mahnende Stimme von Henry aus dem Äther. „Wir lassen sie angreifen. Bei der ersten Angriffswelle brauchen wir nichts zu tun, die hält unser Schutzschirm aus!“

„Na, dann lasst sie mal kommen, wir werden ihnen schon einheizen!“, kickerte die Stimme einer Hexe.

„Die haben ja richtig gute Laune!“, bemerkte Harry.

„Sie wissen, was sie können, Master Potter.“, sagte Arthur seelenruhig. „Haben sie beide nur ein gehöriges Auge auf unsere Gegner und warnen sie unsere Kämpfer rechtzeitig, dann wird keinem von uns etwas passieren.“

Die Todesser standen still in einem Abstand von etwa 25 Metern vor dem Gelände. Zunächst schien es, als wollten sie abwarten. Nach einigen Minuten kam dann doch Bewegung in die Vasallen des dunklen Lord. Sie gingen langsam auf die Mauern zu, stoppten jedoch schon nach wenigen Metern.

„Sie sind an den ersten Schutzbereich gekommen, mal sehen, was sie machen!“, hörten sie wieder Henrys Stimme. „Jonathan, Salomo, Flint, Adam aufpassen! Wenn sie angreifen und irgendwo ein Loch brechen seid ihr dran. Versucht es zuerst mit dem Lähmungszauber!“

Er hatte kaum zuende gesprochen, ging es los. Alle Todesser hatten ihre Zauberstäbe gehoben und wie auf ein Kommando begannen sie grelle, rote Blitze gegen die Mauern zu schicken. Die Blizte stoppten an einem unsichtbarenWiderstand und begannen dann, an dieser Stelle wie über eine große Kuppel zu klettern. Bald war das ganze Gelände von einem Netz aus roten, zitternden Linien umschlossen. Aber der Schutz hielt stand. Die Todesser versuchten mehr Kraft in ihre Zauber zu setzen, jedoch ohne Erfolg.

„Greift an!“, kommandierte Henry und im gleichen Augenblick schossen kurze farbige Blitze und Strahlen von den vier Türmchen an den Ecken der Mauer. Die Todesser waren viel zu überrascht, um sofort zu reagieren und die Überraschung hatte zur Folge, dass zwei der Gegner von den Flüchen getroffen zu Boden sanken. Dann setzte eine planlose Flucht unter den Todessern ein. Nach wenigen Minuten war der Spuk vorbei.

Jubel brandete durch den körperlosen Raum ihrer Sprachverbindung. Henry ließ sich wieder vernehmen.

„Sie wissen jetzt, dass wir gewarnt und vorbereitet sind. Das nächste mal werden sie sich nicht so dumm anstellen. Also aufgepasst, Freunde!“

Es blieb eine Weile ruhig. Von den Todessern war nichts zu sehen. Harry und Hermine hatten gebannt auf das Geschehen geschaut. Auch sie hatten gejubelt, aber Arthur hatte sie wieder auf den Boden der Tatsachen geholt.

„Freuen sie sich nicht zu früh,“ hatte er gesagt. „Das war erst das Vorspiel. Warten Sie ab, bis der dunkle Lord eingreift. Dann werden wir nichts mehr zu jubeln haben.“

„Warum sollen wir eigentlich nicht mitkämpfen?“, fragte Harry, den es fasziniert hatte, wie die Druiden den Angriff abgewehrt hatten. Auf einmal fühlte er sich sicher und stark. Hermine schaute ihn kritisch von der Seite her an.

„Angeber!“, sagte sie.

„Beruhigen sie sich, Miss Granger. Das hat schon einen Grund. Warum sollte Lord Voldemort wissen, dass sie Beide hier sind? Im Moment vermutet er es nur.“

Mit einem Mal zuckte ein Blitz über den Himmel. Gleichzeitig hob ein ungeheurer Sturm an. Die Bäume wurden geschüttelt und bogen sich, dass man befürchten musste, sie brechen um. Dann platzte ein Wolkenbruch herunter, dass man kaum ein paar Meter weit sehen konnte. Nur die vom magischen Licht beleuchteten Umrisse der Druiden waren zu sehen. Dann kamen die Todesser. Diesmal versuchten sie es von einer Seite. Geballt warfen sie ihre Flüche gegen den Schutzzauber, wieder prallten diese daran ab, aber sie schafften es, die magische Kuppel an ihrer Seite bedenklich einzudrücken.

„Greift an!“, rief Henry und von den zwei Türmen, die an der Seite lagen zuckten Blitze auf die Gegner hinunter. Jetzt trat Voldemort vor. Er schwenkte seinen Zauberstab und eine glühende Glocke spannte sich um die Angreifer. Keiner der Druiden-Flüche schaffte es mehr, einen der Todesser zu erreichen. Voldemort sprach einen Zauber über die großen Bäume, die in der Nähe der Mauer standen. Sie bogen sich herunter und schlugen mit ihren Ästen wie die peitschende Weide auf die Türme und Mauern ein. Ein Turm hielt den schweren Schlägen einer alten großen Eiche nicht mehr stand und brach zusammen. Der Zauberer, der auf dem Turm positioniert war, konnte sich mit einem Sprung von den berstenden Mauern retten. Sogleich suchte er Schutz hinter den Trümmern und warf wieder seine Flüche gegen die Angreifer.

Die Delle in der Schutzkuppel wurde immer tiefer und es sah so aus, als würde sie sich spannen, wie ein Tuch, das kurz vor dem Zerreissen stand. Von den anderen Türmen aus und aus den Zimmern, die mit Druiden besetzt waren wurde mit aller Kraft gefeuert, Blitze durchzuckten den Hof, teilten die Regenschleier für einen kurzen Augenblick, aber die Todesser drangen weiter auf die Schutzhülle ein. Dann hob Voldemort seinen Stab und richtete ihn auf die Delle in der Schutzkuppel. Es tat einen lauten metallischen Schlag und die Kuppel riss von oben bis zum Boden auf. Eine breite Lücke klaffte in der Hülle und die Todesser drangen vor. Die Mauer wurde von mehreren Flüchen getroffen. Sie zerbarst mit lautem Donnerschall und durch die Lücke kamen sie in den Hof.

„Zurück, in die zweite Linie!“, kommandierte Henry, während er ein Sperrfeuer über den Hof legte und das Keuchen laufender Druiden hallte durch den Äther. Die Todesser hatten die Mauer überwunden und bewegten sich nun im Hof. Sie wussten nichts von den Fallen, aber als einer Angreifer in eine bodenlose Spalte stürzte, stoppte ihr Vormarsch für einen kurzen Augenblick. Voldemort trat vor und zog mit seinem Stab, aus dem schwarzer Dampf sprühte, einen Kreis über den Hof. Der Dampf sank auf den Boden nieder und blieb an allen magischen Sperren hängen. Jetzt konnten die Todesser erkennen, wo sich eine Falle verbarg, konnten sie umgehen und schafften es, bis an das runde Rosenbeet vor der Villa vorzudringen.

„Alle, die nichts mit der Verteidigung zu tun haben sammeln sich in der Bibliothek!“, war Henrys Stimme wieder zu hören. Arthur nahm Hermine und Harry am Arm und zog sie mit erstaunlicher Kraft vom Fenster weg.

„Kommen Sie, beeilen wir uns!“, sagte er und ging schnellen Schrittes zur Tür.

Draußen tobte inzwischen ein Unwetter, wie es noch keiner der Anwesenden erlebt hatte. Alle Verteidiger waren nass bis auf die Haut, sie sahen kaum noch etwas durch den Regenschleier, nicht ein mal die ununterbrochen zuckenden Blitze beleuchteten den Hof so, dass etwas erkennbar war. Die Druiden sammelten sich vor der Treppe zum Haus und zogen sich in den zweiten Verteidigungsring zurück. Die Todesser rannten gegen den Schutz an, befeuerten ihn mit Flüchen, konnten aber nichts ausrichten. Mit einem Mal herrschte Stille. Die Blitze hörten von einer Sekunde zur anderen auf, nur der Regen trommelte auf den Boden und sammelte sich in tiefen Pfützen. Die Angreifer standen unter ihrer leuchtenden Glocke, die Zauberstäbe auf die Druiden gerichtet. Die standen abwehrbereit da und warteten, was als nächstes geschehen würde. Aus der Reihe der Todesser trat Voldemort hervor.

„Wo ist Harry Potter?“, fragte er mit kalter Stimme.

Henry trat vor.

„Würden sie bitte die Freundlichkeit haben, mir zu sagen, wer sie sind, und was für einen Grund sie haben, mein Anwesen anzugreifen?“, fragte er mit ausgesuchter Höflichkeit.

„Ich bin Lord Voldemort. Wo ist Harry Potter?“, fragte Voldemort noch einmal.

„Wo soll er sein? Ich nehme an, zu Hause!“, sagte Henry und setzte eine Unschuldsmine auf.

„Ich fragte, wo....“, setzte Voldemort noch einmal an.

„Entschuldigung, aber warum wiederholen Sie sich immer?“ fragte Henry und tat so, als wüsste er gar nicht, was das Ganze hier soll.

Voldemorts Augen glühten unter seiner Kapuze hervor. „Ich mag es nicht, wenn man sich über mich lustig macht!“, zischte er und hob seinen Zauberstab. Sofort richteten die Druiden ihre Stäbe auf ihn.

Voldemort senkte den Stab und machte eine Pause, als müsse er sich erst wieder sammeln.

„Ich fordere Harry Potter von euch, gebt ihn heraus, dann werden wir euch verschonen.“

Henry richtete sich auf. Stolz sah er Voldemort an.

„Was wollt ihr von Harry Potter?“

„Er ist verantwortlich dafür, dass ich 14 Jahre am Rande des Todes geschwebt habe. Ist das kein Grund, seine Herausgabe zu verlangen?“

„Wenn ich mich recht erinnere, an die Geschichte, versuchtet Ihr ihn zu töten, als er ein Baby war. Ihr habt euch selbst an den Rande des Todes gebracht, oder wollt ihr behaupten, ein Baby habe euch besiegt?“

„Schweig du Wurm. Niemand darf es sich erlauben, Lord Voldemort zu beleidigen!“

„Ich frage mich,“, bohrte Henry weiter, „wo da eine Beleidigung ist. Es war eine einfache Frage, auf die ihr keine Antwort wisst. Im Gegenteil, Ihr beleidigt mich, indem ihr ungefragt mein Heim betretet, mit dem Willen, es zu zerstören.“

„Wir wissen, dass Harry Potter hier ist. Lord Voldemort schert sich nicht darum, wessen Haus das ist. Ich habe die Macht, überall dort nach Potter zu suchen, wo ich es will. Wer sich mir in den Weg stellt, den vernichte ich!“

Die Todesser feixten. Sie waren sich ihrer Sache sehr sicher. Henry schien vollkommen ungerührt.

„Ihr glaubt also,“ fuhr er in weiterhin sehr höflichem Ton fort, „dass ihr hier Verfügungsrecht habt. Dass Ihr hier eure Interessen verfolgen könnt, ohne dass ich etwas dagegen unternehme?“

„Ich frage nicht danach, ob du etwas dagegen unternehmen willst. Ich nehmen mir das, was ich haben will. Geh mir aus dem Weg! Wenn du mir Harry Potter nicht auslieferst, hole ich ihn mir.“

Wieder hob er den Zauberstab. Er richtete ihn auf Henry. Wieder richteten die Druiden ihre Stäbe drohend auf den dunklen Lord. Voldemort zögerte. Hatte er Angst vor den Druiden? Wohl kaum. Aber er kannte ihre Fähigkeiten und das furchtlose Auftreten von Henry verunsicherte ihn. Er wusste, fing er einen Krieg mit den Druiden an, indem er Henry und seine Freunde tötete, hatte er eine unübersichtliche und mächtige Organisation gegen sich.

„Ihr werdet nie erfahren, wo Harry sich gerade aufhält.“, sagte Henry. „Ihr legt euch mit einer Macht an, die ihr offensichtlich nicht kennt und die ihr unterschätzt. Ich rate euch, zieht euch zurück und verlasst meinen Grund.“

„Ich kenne euch.“, antwortete Voldemort. „Und ich fürchte euch nicht. Aber ihr wisst nicht, welche Macht ich in der Hand habe. Wir können uns bekämpfen und ihr werdet sehen, dass ihr unterliegen werdet. Aber ich habe kein Interesse an euch. Ich will nur Harry Potter.“

„Gut, dann haben wir Klarheit. Du wirst Harry Potter nicht bekommen. Er steht unter unserem Schutz!“

„Dann bedeutet das Krieg!“, sagte Voldemort höhnisch und wandte sich ab. Für einen Augenblick stand er mit dem Rücken zu den Druiden, wohl um ihnen seine Missachtung zu zeigen. Das nutzte Henry um schnell ein paar Anweisungen an seine Leute zu geben

„So, Freunde“, ließ Henry über ihr magisches System hören. „Macht euch auf einen plötzlichen Angriff gefasst. Eine Schutzglocke wird reichen, dass wir uns ins Haus zurückziehen können. Jonathan, wir beide gehen als letzte und verschließen das Haus. Und dann ab ins Verließ!“

Die Hexen und Zauberer des Druidenordens stellten sich so auf, dass sie binnen kürzester Zeit zur Treppe kamen. Auf ein Kommando Henrys zogen sie gemeinsam einen Halbkreis vor sich, in dem eine Glocke entstand, die der der Todesser sehr ähnelte. Voldemort drehte sich plötzlich wieder um, hob den Zauberstab und schleuderte einen Fluch gegen die Freunde. Ein Blitz traf auf die Glocke und sie wand und drehte sich beängstigend, aber sie hielt und ließ den Druiden Zeit genug, um in das Haus zu kommen.

Voldemort schrie und fluchte, als er sah, wie sie ins Haus entkamen. Henry und Jonathan schlossen die Tür und verriegelten sie mit „Fermata secur!“ Dann eilten sie den anderen nach in die Bibliothek. Von der Halle her hörten sie heftige Schläge gegen die Tür, Voldemort schleuderte Flüche dagegen, aber noch hielt sie stand. Im Haus herrschte nur die spärliche Beleuchtung des magischen Lichtes. Voldemort konnte nicht erkennen, was drinnen vor sich ging. Immer heftiger drang er auf die Tür ein, die ächzte wie ein alter Baum im Sturm. Splitter flogen nach allen Seiten, aber sie war schwer und der Zauber hielt.

Henry öffnete die geheime Tür zu seinem Verlies. Jeder schnappte sich eine Tasche mit Büchern und verschwand im Gang zur Wendeltreppe. Als letzter ging Henry, und auch diese Tür verriegelte er mit „Fermata secur!“

Kaum war die Geheimtür gesichert, konnte man ein splitterndes Krachen vernehmen, welches zeigte, dass es Voldemort gelungen war, die Eingangstür zu sprengen. Harry ließ die Druiden an sich vorbei und wartete auf Henry. Er fragte ihn, wie lange die Geheimtür wohl halten würde.

Henry beruhigte ihn. „Das wird nicht die letzte sein, die Voldemort finden und aufbrechen muß. Und sie halten gut. Stell dir vor, er kommt ins Haus und wir sind weg. Ich schätze, er wird erst einmal ein ziemlich dummes Gesicht machen.“

„Aber, er wird toben. Er wird alles zerstören!“, sagte Harry, während sie die Wendeltreppe hinunter gingen.

„Macht nichts. Hier ist nichts, was wir nicht wieder reparieren können. Du hast es nicht gesehen weil du ein Zauberer bist, aber dieses Haus ist für Muggel eine Ruine, genau so wie Hogwarts. Was kann man schon an einer Ruine zerstören. Und wenn wir nicht mehr hier sind, dann werden wir es wieder in eine Ruine verwandeln, und dann wird Voldemort erkennen müssen, dass er um eine Ruine gekämpft hat. Natürlich wird er toben!“ Henry grinste über das ganze Gesicht.

Vor der Tür zum Labor warteten die Druiden und Hausangestellten auf Henry. Auch sie schienen bester Laune zu sein.

„Na, was meinst Du, Henry,“ fragte ein Druide, von dem Harry in Erinnerung hatte, dass er ihm als Hawk vorgestellt worden war, „wie lange wird er suchen, bis er den Eingang gefunden hat?“

„Ich schätz mal, er wird erst einmal in allen Räumen suchen, oder Henry?“, sagte Bella.

„Schon möglich, dass er es bald findet.“, meinte Henry, „er ist schlau, und er hat eine Ahnung von uns. Vielleicht bald, drum sollten wir so schnell wie möglich weiter.“

Henry öffnete mit einem Zauberstab eine Stelle in der Mauer vor dem Labor. Dahinter lag wieder ein Gang, etwas niedriger, feuchter, mit Moosbewachsenen Steinquadern gemauert. Jetzt ging Jonathan an letzter Stelle und verschloß die Öffnung wieder. So ging es noch einige Male, sie kamen von einem Labyrint in das nächste. Harry hatte schon längst die Orientierung verloren. Er und Hermine sahen nur noch zu, dass sie mit den anderen mit kamen. Der Zug verlief weitestgehend schweigend. Dann, nachdem sie viele Gänge und Gewölbe durchquert hatten, kamen die in einen kreisrunden Raum, der wie ein Dom unendlich hoch zu sein schien. Jedenfalls war keine Decke oder ein Gewölbe zu erkennen. Von hier ging kein Gang mehr weiter. Die Tür wurde von innen verschlossen. Der einzige Ausgang war nach oben. Die Druiden versammelten sich in der Mitte des Raumes. Henry holte aus seiner Tasche eine kleine Steinfigur und stellte sie auf seine umgedrehte Handfläche. Er berührte sie mit seinem Zauberstab, murmelte ein paar Worte, die Harry nicht verstand, und die Figur begann zu schweben. Alle fassten sich an den Händen, dann nahm Henry die Figur in seine Hand. Sie wurden hoch gehoben und immer schneller flogen sie in die Höhe. Der Raum verschwamm, die Wände verloren ihr steinernes Bild und nach wenigen Sekunden schossen sie durch eine Röhre aus Licht.

Irgendwann wurde ihr Flug langsamer. Mit einem Mal kam es Harry so vor, als als würden sie nicht mehr nach oben, sondern genau entgegengesetzt fliegen. Er hatte aber keinen Umkehrpunkt bemerkt und wunderte sich. Es war auch schwer, sich in einem glatten Tunnel aus Licht zu orientieren, besonders, wenn man sich dabei auch noch immer und immer wieder drehte. Der Flug wurde zu einem Fallen, das Licht verdunkelte sich, es wurden wieder Steinwände sichtbar und sie landeten sanft in einem Raum, der dem, wo sie gerade gestartet waren ähnelte, wie ein Ei dem Anderen.

„Sind wir wieder zurückgekommen?“, fragte er erstaunt.

„Nein.“, sagte Henry. Wir sind am anderen Ende angekommen. Es ist eine etwas komfortablere Art zu Reisen, als mit dem Portschlüssel oder Flohpulver. Allerdings geht das nur auf festen Bahnen.“

„Aber dann kann Voldemort ja folgen?“, fragte Harry erschrocken, „Ich mein, wenn das eine feste Verbindung ist?“

„Nein. Selbst wenn er es in dem Labyrinth fände, selbst wenn er sich auf einen Besen schwingen würde oder hinaufklettern, oder was auch immer er versuchen würde, nur diese Figürchen leiten Dich an den richtigen Ort..“

„Wo sind wir?“, fragte Hermine.

„Im Hauptquartier. Wir müssen nur noch ein paar Gänge hinter uns bringen.“

Wieder ging es im Gänsemarsch durch eine Reihe von Gängen und Verließen. Harry wunderte sich nur noch, wie Henry sich hier zurecht fand. Man muss die Wege oft in seinem Leben gegangen sein, um sie zu kennen, und Harry fragte sich, wie oft Henry das wohl getan hatte. Aber eines beruhigte ihn daran. Lord Voldemort würde den Weg nie finden. Sie hatten perfekt ihre Spuren verwischt.

Sie kamen schließlich in einen Gang, in dem Henry und die Druiden stehen blieben. Nirgendwo war eine Tür oder Ähnliches und gerade fragte Hermine zu Harry gewandt, was jetzt wohl los sei, als Henry mit seinem Zauberstab einen Teil der Wand in nichts auflöste. Dahinter sahen sie einen großen Raum, der an einen mittelalterlichen Rittersaal erinnerte. Sie traten durch das Loch in der Mauer. Als der letzte hindurch gegangen war, wurde die Mauer langsam wieder sichtbar.

„Wir sind da.“, sagte Henry zu den Beiden. „hier sind wir sicher.“

Harry schaute sich um. Es war tatsächlich ein als Rittersaal geschmückter großer Raum in einer Burg. Hohe, gotische Fenster ließen einen herrlichen Ausblick über eine bewaldete Landschaft zu. Die Sonne hob sich gerade über den Horizont und leuchtete mit ihren kraftvollen Strahlen in den Saal. Die Wände waren bis unter die Decke mit einer Vertäfelung verkleidet. Gobelins zeigten Szenen alter Sagen, und Harry erkannte einige der Bilder. Er hatte sie in einem Bildband gesehen, den er sich in der Schulbücherei seiner Grundschule angeschaut hatte. Das war zwar schon viele Jahre her, aber er hatte die Geschichten sehr interessant und spannend gefunden. Es war um Drachen, Könige und Schätze gegangen und die Fotos der Gobelins waren als Hochglanzdrucke zwischen die Seiten eingefügt.

Jetzt sah er sie leibhaftig, und er staunte, wie groß sie waren. Sie reichten von der Decke bis zum Boden. In der Mitte des Saales stand eine Tafel, an der mindestens vierzig Leute auf hochlehnigen, geschnitzten Holzstühlen Platz fanden. An einem Ende der Tafel stand ein Stuhl, der besonders schön mit Schnitzereien verziert war von denen einige vergoldet glänzten. Die Lehne war auch höher als die der anderen Stühle und es schien, als sei es der Stuhl eines Königs. In den Nischen der Fenster waren Bänke eingelassen, und Harry konnte sich gut vorstellen, dort zu sitzen und die Landschaft zu genießen.

Die Druiden gingen auf eine niedrige Tür an der anderen Seite der Tafel zu. Sie stand offen und dahinter ging es eine steile Wendeltreppe hinunter. Am Fuß der Wendeltreppe traten sie durch ein steinernes Portal in eine Halle, die allem Anschein nach eine Eingangshalle der Burg war. Hier bat Henry um etwas Ruhe. Er dankte seinen Brüdern und Schwestern, dass sie ihm geholfen hatten, bedauerte, dass man Voldemort nicht mehr hatte ärgern können und bat darum, die Taschen mit den Büchern einfach abzulegen. Arthur würde sich darum kümmern. Die Druiden trennten sich und verstreuten sich in alle Richtungen, und schließlich blieben Henry, Harry und Hermine und die Hausangestellten von Perpignans Place zurück.

„Ich muss euch bitten, hier eine viertel Stunde zu warten. Es wird den Hausherren interessieren, was passiert ist, und ich muss noch klären, was wir jetzt mit euch anfangen. Ich denke wohl, dass ihr hier bleiben könnt. Aber ich möchte natürlich erst einmal fragen, ob das in Ordnung ist.“

„Ich bin hundemüde.“, sagte Harry und gähnte. Er hatte nur wenig von dem Wachtrank zu sich genommen und die Anstrengungen der letzten Stunden hatten ihr übriges getan. Auch Hermine sah nicht mehr besonders fit aus. Sie setzten sich auf eine steinerne Bank, die in eine Mauernische eingelassen war. Henry verschwand durch eine Tür, und nach ein paar Minuten kam er in Begleitung eines alten, weißbärtigen Druiden wieder. Der Druide ging direkt auf Harry und Hermine zu, lächelte freundlich, streckte ihnen die Hand hin und sagte:

„Hallo, liebe Freunde. Mein Name ist Llyr. Henry hat mir alles erzählt. ... Schauen wir erst einmal, wo wir euch unterbringen. Habt ihr Hunger?“

Harry hatte zwar Hunger, aber im Moment sehnte er sich eher nach ein paar Stunden Schlaf. Auch Hermine war viel zu müde, um Hunger zu haben. Dankend verneinten sie beide.

„Ja, kann ich verstehen.“, sagte der alte Druide. „Ich kann mir vorstellen, dass die letzten Stunden anstrengend waren. Dann werde ich euch erst einmal die Zimmer zeigen, und wir können ja gemeinsam etwas essen, wenn ihr ein wenig geschlafen habt.“

Er ging voraus, die breite steinerne Treppe hinauf, wieder einige Gänge entlang, bis sie in einen runden Turm kamen. Dort lagen zwei Kammern nebeneinander, die er Hermine und Harry zuwies. Harry sah nur noch zu, dass er ins Bett kam. Es dauerte auch nicht lange und er schlief tief und fest.

Harry mochte vielleicht fünf Stunden geschlafen haben, als es an seine Kammertür klopfte. Er schreckte hoch, aus einem seltsamen Traum, und begriff zuerst nicht, wo er sich befand. Den Traum vergaß er sofort und er hatte das Gefühl, dass es gut war, denn das einzige, an das er sich erinnerte, war, dass es mit Voldemort zu tun hatte. Langsam kehrten seine Lebensgeister zurück, und als er sich die Augen gerieben hatte und sich umsah, kam die Erinnerung wieder. Er setzte sich auf und rief:

„Ja?“

Die Tür öffnete sich und Hermine kam herein. Sie hatte sich umgezogen. Jetzt trug sie wieder ihren Schulumhang und den spitzen Hut.

„Hallo Harry, hast du gut geschlafen?“, begrüßte sie ihn.

„Warum weckst du mich? Ich hab gut geschlafen, aber viel zu kurz!“, antwortete er etwas ungehalten. Dann gähnte er herzhaft und rieb sich noch einmal die Augen.

„Ach komm, Harry! Wenn du jetzt weiterschläfst, kannst du heute Abend nicht mehr schlafen. Außerdem hat Arthur mir gesagt, dass es in einer viertel Stunde Essen gibt, und der Hausherr würde sich freuen, wenn wir kommen könnten.“

Harry stöhnte. Er hatte schon ziemlich großen Hunger, aber das Bett war warm und weich und es war eine schwierige Entscheidung für ihn, was er jetzt lieber haben wollte. Schlafen oder essen. Er entschied sich für essen. Mühsam kletterte er aus dem Bett und stand in Unterwäsche vor Hermine.

„Dreh dich bitte um!“, sagte er mit finsterem Blick, was sie sofort tat, jedoch nicht ohne ihn anzugrinsen. Harry zog sich seine Hose an und warf seinen Umhang über die Schulter. Dabei bemerkte er die vollen Taschen und stellte mit Schrecken fest, dass sein Gepäck noch in der Umhangtasche steckte.

„Um Gottes Willen, Hedwig!“, sagte er erschrocken und kramte in der Tasche. Er zog den Koffer und den Käfig heraus. Hedwig lebte noch, sah aber sehr zerzaust aus. Der Käfig muss auf dem Kopf gestanden haben, denn Hedwig saß nicht auf der Stange, sondern klemmte kopfüber zwischen Stange und Gitter.

„Was mach ich denn jetzt?“, fragte Harry und spürte große Verzweiflung in sich hochsteigen.

„Warte!“, sagte Hermine, „Arthur hat mir gezeigt, wie ich das wieder auf normale Größe bekomme.“

Sie stellte den Käfig und den Koffer auf den Boden, zückte ihren Zauberstab und rief:

„Incrementar origine!“

Käfig, Koffer und Hedwig wuchsen und hatten schnell ihre normale Größe erreicht. Sofort befreite Harry Hedwig aus dem Käfig. Sie flatterte aufgebracht in der Kammer herum und wollte sich nicht beruhigen. Harry konnte das gut nachfühlen.

„Komm, ich lass dich hinaus, dann kannst du dich abreagieren!“, sagte er und öffnete das Fenster. Hedwig schrie einmal heiser und zischte durch die Öffnung hinaus.

„Die Arme!“, sagte Harry mitleidig. „Wie ist es denn Krummbein ergangen?“

„Och, der hat die ganze Zeit geschlafen. Als ich ihn wieder vergrößert habe, ist er aufgewacht, hat sich gestreckt und wollte gar nicht aus seinem Käfig raus.!“

„Der hat’s gut. Kriegt von allem nichts mit. So möchte ich auch mal sein.“

Harry sortierte seine Haare noch etwas, kramte seinen Hut hervor und setzte ihn auf.

„Hat das einen Grund, warum du in Montur bist?“, fragte er Hermine.

„Arthur sagte, es sei besser, wenn wir hier als Zauberer rumlaufen. Die Zivilklamotten könnten die Druiden irritieren.“

„Ach ja, das war ja auch noch...“. Harry klang immer noch müde und lustlos. Sie verließen die Kammer und machten sich auf den Weg. Hermine sagte, sie sollten zum Rittersaal kommen, und es brauchte einige Zeit, bis sie die richtige Treppe gefunden hatten.

Im Rittersaal saßen der alte Druide und Henry, Llyr saß auf dem thronartigen Stuhl am Kopf der Tafel, Henry neben ihm. Es war für 4 Leute eingedeckt. Llyr stand auf, als Hermine und Harry eintraten und bedeutete ihnen Platz zu nehmen. Es war ein ganz schön weiter Weg, an der Tafel entlang und so setzte er sich, bis sie ihre Plätze erreicht hatten. Kaum saßen sie, füllten sich die Teller und Schüsseln mit leckeren Speisen.

„Hallo, ihr zwei, habt ihr euch ein bisschen ausruhen können?“, fragte er und schaute sie freundlich an.

„Ja, danke,“, sagte Harry „ich hätte noch ein bisschen länger schlafen können. Aber Hermine hat mich Gott sei Dank geweckt, da konnte ich meine Eule aus ihrer Lage befreien.“

„Greift zu, ihr werdet Hunger haben!“, sagte Llyr. „Deine Eule? Ich habe vorhin keine Eule bei dir gesehen?!“

„Ach so, ja, Arthur hatte sie verkleinert, und sie war mit Käfig in meiner Umhang-Tasche. Sie hatte sich in ihrem Käfig verklemmt.“

„Na, dann hat sie ja Glück gehabt. Du bist also Harry, Harry Potter? Und du bist Hermine? Henry hat mir erzählt, dass ihr zwei jetzt zum Orden gehört. Aber er sagte mir auch, dass ihr nicht viel Zeit gehabt habt, etwas über unsere Arbeit zu erfahren. Vielleicht sollten wir uns nach dem Essen ein wenig darüber unterhalten. Aber jetzt esst erst mal.“

Harry hatte unglaublichen Hunger. Es war bestimmt 18 Stunden her, dass er das letzte Mal gegessen hatte. Er nahm sich reichlich und nach seinem dritten Teller war er langsam satt. Hermine hielt sich etwas zurück, obgleich sie auch einen Bärenhunger hatte. Aber sie bildete sich ein, sie müsse etwas Rücksicht auf ihre Figur nehmen. Llyr fragte sie nach Hogwarts und Hermine erzählte einige Geschichten, die im letzten Schuljahr passiert waren.

Harry hatte so beim Essen zugeschlagen, dass er dankend auf den Nachtisch verzichtete. Auch wenn es Schokoladencreme gab, konnte er beim besten Willen keinen Platz mehr dafür finden. Llyr kam dann auch ziemlich schnell auf den Punkt. Ihm schien es wichtig, Hermine und Harry etwas über die Druiden zu erzählen.

„Ihr wisst sicherlich, dass die Druiden eine sehr alte, halt die keltische Tradition pflegen. Früher waren die Druiden die einzigen, die überhaupt zaubern konnten. Jedes Dorf hatte einen Druiden und jede Stadt hatte mehrere. Dann gab es auch noch heilige Stätten, zum Beispiel Stonehenge. Dort waren und sind heute noch die kulturellen und religiösen Zentren der Organisation.“

„Stonehenge ist doch eine Ruine...“, bemerkte Hermine.

„Eine Ruine? Bewahre, wie kommst du darauf, dass es eine Ruine sei?“

„Das habe ich im Fernsehen gesehen....“

„Aber bei den Göttern, Hermine! Das ist doch nur für die Muggel so. Du kannst mir glauben, dass diese Zentren so aktiv sind wie schon lange nicht mehr!“

„Oh, das wusste ich nicht...“, sagte Hermine verlegen.

„Gut, du bist jung, du kennst die Druiden ja auch erst ein paar Stunden. Aber ich sehe daraus, dass ihr noch viel zu erfahren habt. Es ist eine ganz besondere Ausnahme, dass ihr in den jungen Jahren in den Orden aufgenommen worden seid. Üblich ist eher, dass ein angehender Druide erst seine schulische Ausbildung zuende macht, und dann mindestens 3 Jahre Novizentum hinter sich bringen muss. Ich muss da auch ein klein wenig mit Henry schimpfen, auch wenn ich seine Beweggründe durchaus verstehe.“

Dabei grinste er Henry an, und dieser grinste zurück.

„Was passiert denn jetzt mit uns?“, fragte Harry.

„Hmm, ich weiß noch nicht,“ sagte Llyr und schüttelte abwägend seinen Kopf. „Ich glaube, darüber müssen wir erst in Ruhe reden. Ich habe noch keine Lösung. Auf Dauer könnt ihr nicht hier bleiben, und ich glaube, es ist auch keine Lösung, zu einem anderen Bruder oder einer Schwester zu gehen. Wir beobachten diesen Spinner Voldemort schon lange. Der bringt das fertig und findet euch...“

Er machte eine Pause.

„Ich war noch nicht fertig, euch von unserem Orden zu erzählen! Ihr stellt immer Fragen, die mich ganz aus dem Konzept bringen. Also, Ich bin der Chef hier. Mein Name ist Llyr, das heißt, Sohn der Wogen. Ich bin vom Rat der Hohen gewählt worden, für 5 Jahre.“

„Gehörst du auch zum Rat?“, fragte Harry und sah Henry an.

„Ja. Ich war auch schon mal Chef. Und ich habe es nur der Redegewandheit dieses Menschen zu verdanken, dass ich nicht wiedergewählt wurde.“ Dabei deutete er auf Llyr. Der grinste wieder.

„Wisst ihr,“, sagte Llyr erklärend, „Henry und ich sind alte Freunde, zu alte Freunde, und da ist der Ton schon mal etwas rauer.“

„Ach, Ron und ich und Hermine können uns auch ganz schön beharken!“, sagte Harry.

„Ja, ich erinnere mich, „, sagte Hermine und sah Harry vorwurfsvoll an, „letztes Jahr hast du 4 Wochen nicht mit Ron gesprochen.“

„Ja, ich weiß, es war blöd. Aber wir reden wieder miteinander und sind Freunde, und Du hast Ron auch verziehen, als er wegen Viktor Krum eifersüchtig war.“

„Kinder, Kinder!“, lachte Llyr, „Ihr müsst es uns nicht nachmachen! Aber ihr habt recht. Freunde sind so viel wert, dass man es immer wieder mit ihnen versucht. Und drum kennen Henry und ich uns auch schon so lange.“

„Erzähl weiter von den Druiden.“, forderte ihn Hermine auf.

„Nun, was soll ich erzählen? Wie das Leben früher war, und warum wir was gemacht haben, das kann man in Büchern lesen. Aber was wir heute machen? Wir sind mit der Zeit gegangen, haben vieles alt hergebrachte über Bord geworfen, wir brauchen es nicht mehr, weil uns Zeiten überholt haben. Aber das Zaubern, das tun wir noch wie vor 2000 Jahren. Wisst ihr, heute gibt es unter Muggel-Jugendlichen solche Strömungen. Sie bilden sich ein, nur weil sie sich für die Kelten interessieren, könnten sie es den Druiden gleich tun. In manchen Büchern von den Römern, Plinius, oder die Gallischen Kriege von Cäsar, da werden Druiden beschrieben, und auch einige unserer Formeln. Die Jugendlichen lesen die Formeln, sprechen sie und meinen was Wunder, was für tolle Druiden sie sind. Aber keiner von denen weiß, dass es nur auf die richtige Sprechweise ankommt. Es muss ein Einklang zwischen Geist, Stimme und Formel bestehen, dann klappt es auch, aber das geben wir nur von einem Eingeweihten zum Nächsten weiter. Manchmal finde ich es lustig, wie sie sich abmühen, aber oft tun sie mir leid, denn sie haben nichts verstanden.

Was ich damit sagen will, auch ihr müsst noch viel lernen, wenn ihr echte Druiden werden wollt. Nicht nur die Formeln und Zauber und die Tränke, sondern ihr müsst das Gefühl lernen, ein Druide zu sein. Ihr müsst nicht lernen, was man sagt, sondern wie man es sagt. Und wie man seinen Geist, sein Herz und die Natur in Einklang bringt. Nur das ist es. Mehr nicht.“

„Aber, wenn die Druiden so viele eigene Formeln haben, warum zaubern sie dann mit den Mitteln, die jeder Zauberer anwendet?“, fragte Hermine.

„Tja, das ist gar nicht so einfach zu erklären. ... Ich versuch es mal. Wir Druiden waren immer schon besonders mit der Natur verbunden. Das sieht man an den Heiligtümern, wenn ich die mal so nennen darf. Die liegen immer in der Natur, zum Beispiel als einfache Lichtung im Wald. Die Natur ist aber ein organisiertes Chaos und wir Druiden haben es gelernt, unsere magischen Kräfte mit diesem Chaos zu verbinden. Weißt du, Hermine, es ist manchmal ganz schön kompliziert, seinen Geist mit dem Chaos zu vereinen und so sind die Formeln auch ziemlich kompliziert. Man braucht Zeit. Die Formeln sind auch dafür geschaffen, Großes zu tun, für das man die Zeit hat. Es sind immer nicht nur die Formeln, sondern auch Rituale damit verbunden. Nicht umsonst hat man uns Jahrtausende lang für Priester gehalten, und wenn man es genau nimmt, sind wir es auch, weil wir die Geister und die Götter für unsere Magie benötigen. Wenn man mal kurz etwas zaubern möchte, dann ist der herkömmliche Zauber viel einfacher. Er wirkt zwar nicht so genau und auch nicht so nachhaltig, aber er tut es auch.“

„Wenn ihr euch an das Aufnahmeritual erinnert,“, warf Henry ein, „dann habt ihr einen typischen Druiden-Zauber erlebt. Ich hab mich erst einmal sammeln müssen und in der Formel habe ich Lug angerufen. Lug ist der oberste der Kelten-Götter. Darf ich mal fragen, wie ihr euch danach gefühlt habt?“

„Unheimlich stark!“, meinte Harry und Hermine pflichtete ihm bei.

„Aber, wieso konnten wir aufgenommen werden, obwohl wir doch keine Ahnung vom Druidentum haben?“, fragte Hermine.

„Gut, das liegt immer in der Entscheidung des Hohen Rates. Ich denke, Henry hat seine Gründe gehabt, oder Henry?“

„Natürlich. Bei Harry war ich mir sehr schnell sicher. Du bist Magid. Du hast genau das an geistiger Kraft, was ein guter Druide braucht. Und Hermine habe ich beobachtet. Sie ist unerschrocken und lernt schnell. Ich bin erstaunt, Hermine, wie schnell du komplizierte Zauber lernst. Du hast ein Gefühl dafür. Ihr seid beide geeignet und ich habe das Gefühl, dass wir schon lange keine so vielversprechenden jungen Leute mehr aufgenommen haben.“

„Uns ist sehr wohl klar,“, sagte Llyr, „dass ihr noch viel lernen müsst. Aber seht es mal als eine Art Studium, das nach Hogwarts beginnt. Ich habe erst mit 34 Jahren bei den Druiden angefangen. Also, macht euch keine Sorgen, macht erst mal eure Schule zu Ende, und dann werden wir es schon gemeinsam schaffen, euch zu guten Druiden auszubilden.“

Ein Gefühl von Stolz ergriff Harry. Er begriff, was es bedeutete, den Druiden anzugehören und insgeheim beschloß er, in den nächsten Jahren in Hogwarts ein wenig besser zu lernen. Er hatte das Gefühl, dass sich ihm eine Chance auftat, dass er einen Blick in seine Zukunft erhalten hatte, was im normalen Hogwarts-Leben nie der Fall gewesen war. Während Fred und George genau wussten, dass sie einen Laden für Scherzartikel aufmachen würden und zielstrebig darauf zu arbeiteten, hatte Harry noch nicht das geringste Anzeichen eines Berufswunsches, es sei denn, Quiddich zu spielen.

„Ich habe da noch eine Sache, die mir auf dem Herzen liegt.“, begann Llyr nach einer kleinen Pause. „Wir sitzen hier auch zusammen, um uns darüber zu unterhalten, Harry, was wir mit deinem Problem mit Voldemort machen. Henry berichtete mir von dem neuen Zauberstab, der ja gar nicht so neu ist. Es scheint ein sehr mächtiges Instrument zu sein.“

„Ja, es ist der Zauberstab von Salazar Slytherin.“, stimmte Harry zu.

„Wenn ich es richtig verstanden habe, meinte Henry, dass Voldemort ohne den Zauberstab keine Chance gehabt hätte, auf Perpignans Place einzudringen. Das stellt uns vor ein Problem. Ich fürchte, du mußt noch einmal gegen Voldemort antreten.“

„Warum, bin ich hier nicht sicher?“, fragte Harry erschrocken. Die Wendung des Gesprächs behagte ihm überhaupt nicht.

„Hier schon,“, meinte Henry. „Aber du wirst irgendwann wieder nach Hogwarts gehen und wirst auch mal nach Hogsmade wollen. Und wenn das Schuljahr vorbei ist, mußt du wieder zu deinem Onkel. Voldemort wird nur darauf warten, dass du ohne unseren oder Dumbledores Schutz bist.“

„Kann ich nicht in den Ferien hierher kommen?“, fragte Harry hoffnungsvoll. „Die Dursleys gehen mir sowieso auf die Nerven und ich glaube, sie sind auch froh, wenn sie mich los werden.“

„Ich fürchte, da spricht zu viel dagegen. Auch wenn du hier die Ferien verbringen würdest, was wahrscheinlich auch nicht gehen wird, wird Voldemort versuchen, dich zu finden. Und wie ich ihn einschätze, wird er dich auch hier irgendwann finden. Und da mus ich ehrlich sagen, dass das ein großer Schaden für den Orden wäre.“

„Wie soll ich denn gegen Voldemort kämpfen?“, fragte Harry und er begann zu verzweifeln.

„Besorge dir einen Drachenstein vom Hornschwanz!“

Genau das hatte Harry befürchtet. Er fühlte sich auf einmal von den Druiden allein gelassen. Er sah Henry fragend an, dann wanderte sein Blick zu Llyr und schließlich zu Hermine, die jedoch nur den Ich-habe-es-dir-doch-gleich-gesagt-Blick aufsetzte. Harry war elend zu mute.

„Wie soll ich einen Drachen töten?“, fragte er. „Das kann ich nicht!“

„Du hast doch einem Drachen das goldene Ei weggenommen!“, platzte es aus Hermine heraus.

„Ja! Weiß ich! Aber ich habe dir schon mal gesagt, dass...“ Harry wurde langsam ärgerlich. Er sah sich plötzlich einer Front gegenüber, die nicht das geringste Mitgefühl zu haben schien.

„Beruhige dich, Harry.“, sagte Llyr sanft. „Ich weiß, dass es sehr gefährlich ist, gegen einen Drachen zu kämpfen. Aber wenn du schon gegen einen Hornschwanz angetreten bist, kennst du die Drachen schon. Es ist nichts neues für dich und du hast ja eine Strategie gehabt, die dich zum Erfolg geführt hat. Und bevor du in Panik verfällst, lass uns doch einmal überlegen, wie du am besten vorgehst.“

„Und diesmal mußt du nicht allein sein, Harry!“, sagte Hermine und sah ihn sorgenvoll an. Sie kannte Harry und wusste, dass er schwierige Aufgaben gerne bis zum letzt möglichen Termin verschob. „Ich werde dich unterstützen, wo ich kann, das verspreche ich dir!“

Harry schluckte. Natürlich sah es jetzt ein bischen anders aus, als noch vor einem Jahr. Er hatte bei Henry eine Menge gelernt, und er mußte ja nicht allein gegen den Drachen antreten. Aber er fürchtete nicht nur den Kampf, er fürchtete auch eine Reise in eine ihm vollkommen unbekannte Welt. Mühsam kämpfte er gegen seine aufkommende Panik.

„Das ist nett von dir.“, sagte er zu Hermine gewandt.

„Wir können versuchen, herauszufinden, wo Professor Dumbledore ist.“, meinte Llyr. „Aber davon verspreche ich mir nicht viel. Ich habe das Gefühl, Harry, du musst auf das gerade Wohl nach Rumänien reisen.“

„Könnt ihr nicht mitkommen?“, fragte Harry mit einem leichten Hoffnungsschimmer.

„Leider nicht.“, sagte Henry. „Wir müssen viel organisieren. Wir müssen verhindern, dass Voldemort sich auf uns Druiden einschießt. Ich vermute, dass er vor Wut kocht. Ich fürchte, du musst wirklich allein reisen.“

„Wir werden dich unterstützen, wo es geht. Unser Einfluß reicht etwa bis an die Donau, dort, wo die Altmühl mündet. Dort ist das Reich der Kelten aber zu Ende. Bis dort können wir dich und auch Hermine, wenn sie mitkommen will, zu unseren Freunden schicken, dort findet ihr Quartier oder Hilfe für’s Weiterkommen. Außerdem können wir dich mit Karten und sonstigen Unterlagen ausrüsten, die dir sicherlich helfen werden, dich in Rumänien zurecht zu finden.“

„Ich seh schon,“, sagte Harry resignierend. „Ich werd nach Rumänien gehen und Drachen jagen. Mann bin ich froh, wenn die Schule wieder anfängt!“

„Harry, ich wusste es!“, jubelte Hermine und Harry wußte nicht, ob sie sich wegen der Reise nach Rumänien oder wegen seines Entschlusses freute. Er hatte den Verdacht, dass Hermine nur darauf wartete, mit Harry Drachen töten zu gehen. Er wurde einfach nicht schlau aus Hermine.

„Gut!“, sagte Henry und lächelte. „Ich glaube, Harry, dass du eine echte Chance hast. Nicht nur gegen den Drachen, wenn du dich auf das konzentrierst, was du kannst, sondern auch gegen Voldemort. Wir dürfen nicht vergessen, dass sein Zauberstab mit jedem Fluch, den er gegen einen Drachensteinbesitzer schleudert, an Macht verliert.“

Harry erinnerte sich an die Worte von Mad Eye Moody. Auch der hatte gesagt, er solle sich auf das konzentrieren, was er wirklich könne. Er hatte damals die Strategie mit seinem Feuerblitz verwandt, um an dem Hornschwanz vorbei zu kommen. Wahrscheinlich war der Drache nur in der Luft zu besiegen. Und fliegen konnte er.

Ein paar Stunden später waren Hermine und Harry zur Reise gerüstet. Sie hatten sich noch mit Lebensmitteln versorgt, denn es war geplant, dass sie so schnell wie möglich mittels Portschlüsseln und fester Reiseverbindungen an den Rand des Einflussbereichs der Druiden kommen sollten. Mehrere Stationen wurden anvisiert, die Druiden, die an den Stationen wohnten, waren informiert worden und würden warten, um sie direkt weiter zu schicken. Die verschiedenen Zwischenziele sollten dazu dienen, dass die Spuren so weit wie möglich verwischt wurden. Voldemort sollte keine Gelegenheit haben, Hermine und Harry folgen zu können. Bis Passau, kurz bevor die Donau die Österreichische Grenze überquerte, konnten sie auf die Hilfe von Druiden rechnen. Noch heute Abend sollten sie in einem Dorf an der Altmühl ankommen, dort, ganz in der Nähe des Keltenwalls bei einem Druiden übernachten und sich dann mit Hilfe eines Portschlüssels so weit, wie möglich, transportieren lassen.

In Passau, genauer gesagt am Donauufer hinter Passau, sollte dann die Reise mit eigenen Mitteln weiter gehen. Llyr hatte ein ausführliches Kartenwerk zusammenstellen lassen, und Hermine, Henry und Harry hatten den ganzen Nachmittag damit verbracht, die Karten zu studieren und einen Weg zu finden, auf dem sie ungestört reisen konnten. Tagsüber mußten sie vermeiden, gesehen zu werden, oder zumindest als Zauberer aufzufallen, Nachts konnte sie mit ihren Besen in entsprechend sicherer Höhe unbedenklich weite Strecken zurücklegen.

Für Morgen war dann geplant, Wien hinter sich zu lassen und in Hainburg, an der Ungarischen Grenze eine Rast einzulegen. Henry kannte den Wirt einer Hafenspelunke, den er als unbedingt integer bezeichnete. Dort sollten sie Kräfte sammeln. Natürlich mußten sie die Nacht nutzen um durch Ungarn zu kommen, zumal sie im Fluge beträchtliche Strecken abkürzen konnten.

Kurz vor der Abreise am späten Nachmittag kam Llyr mit einer Tasche in der Hand zu Harry und Hermine. Er reichte Harry die Tasche und sagte:

„Hier habe ich noch ein paar Kleinigkeiten, die ihr sicher gut brauchen könnt. Wir haben schon seit alters her eine gute Verbindung zu den Riesen, darum habe ich einen Brief aufgesetzt, den ihr Dorrdan, dem Dorfchef bringen könnt. Er wird wahrscheinlich maulen, aber letztendlich wird er Euch helfen. Ja, und ein Buch über Drachen habe ich mit hinein getan, wer weiß, vielleicht findet ihr ja noch ein paar nützliche Tipps. Und das Letzte ist eine kleine Figur. Verliert sie nicht. Sie wird euch blitzschnell zurückbringen, egal, wo ihr seid. Auf der letzte Seite des Buches habe ich euch die Formel aufgeschrieben und wie ihr sie benutzt. Sollte wohl klappen. Und über die Figur können wir mit euch in Verbindung treten, falls mal was ist. Viel Glück auf eurer Reise. Lug sei mit euch.“

Er schüttelte Hermine und Harry die Hand und verabschiedete sich. Henry führte sie durch das Labyrinth bis zu dem runden Raum, in dem sie angekommen waren. Harry hatte von Arthur zwar seinen Koffer, aber nicht den Käfig mit Hedwig verkleinern lassen. Hermine hatte auch Krummbein wieder in ihrer Tasche verstaut. Wenn die Reiserei über Portschlüssel und die Druidenverbindungen vorbei war, wollte sie ihn wieder auf seine normale Größe bringen. Flogen sie mit dem Besen, konnte er sich auf ihre Schulter legen, das kannte er.

Henry bat um die kleine Figur, die Llyr in die Tasche gesteckt hatte. Er stellte sie Harry auf die Hand und sagte Hermine, dass sie Harry anfassen sollte. Dann sprach er eine keltische Formel und Harry und Hermine wurden in die Luft gehoben. Wieder schossen sie durch den Tunnel aus Licht und kamen nach ein paar Sekunden in einem identischen Raum an. Hier wartete ein Druide, der sie freundlich begrüßte. Er stellte sich als Ruud vor und sagte ihnen, auf ihre Frage, dass sie in Maastricht gelandet seien. Die nächste Station der Reise sollte dann Kyllburg in der Eifel sein. Nachdem er sie noch gefragt hatte, ob er ihnen irgendwie weiterhelfen könne und sie dankend verneint hatten, sprach er seine Formel und die Reise ging weiter.

In Kyllburg stand nur ein Portschlüssel zur Verfügung, denn die nächste Station war ein Keltengrab im Odenwald. Dadurch wurde die Reise unangenehmer und Hedwig zeigte deutliches Missfallen. Schließlich kamen sie in einer Höhle im Tal der Altmühl an.

Der Druide, der sie hier empfing, schien ähnlich alt wie Arthur. Er war fast blind, hatte einen Buckel und benötigte zu Gehen einen Stock, den er sich aus einem knorrigen Ast gefertigt hatte.

„Soso, ihr seid also die beiden jungen Engländer, die man mir angekündigt hat.“, sagte er mit zittriger Stimme und in gebrochenem Englisch, welches er mit deutschen Worten durchmischte, so dass er kaum zu verstehen war. „Dann kommt mal mit.“

Hermine und Harry folgten ihm durch einen schmalen, gewundenen Felsgang, der unmittelbar in einen Keller mündete. Sie stiegen eine morsche Holztreppe hinauf und landeten in einer kleinen, unordentlichen Kammer.

„Setzt Euch!“, forderte der alte Druide die beiden auf und wies mit seiner Hand auf ein altes Holzbett, das an der Wand stand. „Viel Komfort kann ich euch nicht bieten. Wollt ihr was trinken?“

Beide nickten. Die Reise, die zwar nur etwa zwei Stunden währte aber doch ziemlich anstrengend war, hatte sie durstig gemacht. Der Druide verließ die Kammer und kam nach ein paar Minuten mit 3 Krügen Bier wieder.

„Ich bin nicht auf Besuch eingestellt, das letzte mal, als ich Gäste hatte, war, glaube ich, vor fünfundzwanzig Jahren. Hier!“, sagte er und reichte Hermine und Harry die Krüge. Aus einem Schrank holte er ein Brett, auf dem ein dunkles Brot und ein Streifen Speck lagen. Er kramte in einer Schublade und holte ein scharfes Messer hervor. Beides stellte er auf einen Tisch und schob ihn vor das Bett. Dann setzte er sich ächzend auf den einzigen Stuhl.

„Na, erzählt mal. Was ist der Grund eurer Reise? Habe gehört, dass ihr einen Drachen fangen wollt?“

Harry begann, in kurzen Worten all die Ereignisse zu erzählen. Zwischendrin schob der Druide den Speck über den Tisch und bedeutete ihnen, sich zu bedienen. Draußen dämmerte es bereits, der alte Druide stand auf und steckte ein paar Kerzen an. In dem flackernden Licht wurde es fast gemütlich. Hermine holte den Transportkäfig mit Krummbein aus ihrer Tasche. Krumbein war wach geworden und hatte ein fiepsiges Miauen von sich gegeben. Nachdem Hermine ihn größer gezaubert hatte, stolzierte er mit nach oben gestrecktem Schwanz auf dem Bett herum. Schließlich suchte er sich einen Platz auf Hermines Schoß, rollte sich ein und blieb schnurrend liegen, während Hermine ihn kraulte. Als Harry schließlich geendet hatte, nickte der Druide anerkennend.

„Ich hab viel erlebt, aber einen Drachen hab ich noch nicht getötet. Respekt, Respekt, da habt ihr euch ja was vorgenommen.“

„So ganz wohl ist mir nicht dabei.“, sagte Harry mit vollen Backen. Der Speck schmeckte köstlich. Harry kannte diese Art von Brot nicht, und solchen Speck hatte er auch noch nie gegessen.

„Kann ich mir vorstellen. Hast du schon überlegt, wie du ihn erlegen willst?“, fragte der Druide.

„Ich glaube, mit meinem Besen.“, meinte Harry und schnitt sich noch ein Stück Speck ab.

„Harry kann gut fliegen. Er ist schon mal gegen einen Drachen angetreten und da hat er es ganz toll gemacht.“, sagte Hermine.

„Na, die jungen Leut.“, sagte der Druide und schüttelte den Kopf. „Was die heut alles können. Wir kannten damals die Besen noch gar nicht. Haben die Hexen immer benutzt, während wir Druiden immer brav zu Fuß gelaufen sind. Ist mir auch ehrlich lieber.“

„Die Druiden haben keinen Besen benutzt?“, fragte Hermine erstaunt.

„No ja, warum auch? Wir haben es früher nicht weit bis zu den Plätzen gehabt, wo wir unsere Zeremonien erledigt haben. Und das Jahrestreffen...no, da haben wir ja unsere festen Verbindungen gehabt. Aber es hat sich ja so viel geändert. Seit den vierziger Jahren können sogar Hexen aufgenommen werden, das hätt es früher nie gegeben. Die waren immer nur für die Frauen zuständig und nicht für die Götter. Aber, wie willst du es denn machen, mit dem Drachen?“

Harry überlegte. „Weiß ich noch nicht genau. Aber ich denke, ich muß ihn irgendwie austricksen.“

„Weißt du nicht, wie man einen Drachen tötet?“, fragte der Druide und sah Harry erstaunt an.

„Nein,“, antwortete Harry. „Aber Llyr hat mir ein Buch mitgegeben, in dem viel über Drachen steht. Vielleicht finde ich darin etwas.“ Er klopfte auf seine Tasche, in der das Buch steckte.

„Ach geh, Bücher, da steht allweil so ein Schmarrn drin. Weißt, Bub, ich bin ja nun schon ein wenig älter, wie’st schon gesehen hast. Ich hab zwar noch nie nicht einen Drachen getötet, aber ich habs noch gelernt, damals, als ich ein Lehrbub beim alten Krischtian war. Der hats noch gwusst, und hats mir erzählt. Pass auf: Du brauchst an silbernen Speer, und du mußt unter den Drachen kommen. Da hat er einen Nabel, keinen Bauchnabel wie du und ich, sondern eine Stelle in seinem Echsenpanzer, wo eine Hornplatte fehlt. Da mußt den Speer hineintreiben, ganz tief, dann isser tot. Gar kei’ so leichte Aufgabe.“

„Ich habe keinen silbernen Speer.“, sagte Harry und mit einem mal hatte er das Gefühl, dass er der Aufgabe nicht gewachsen war.

„Na, mach da mal koa Sorg, Bub. Das kann man ja auch improvisieren. Hast ein silbernes Messer, bindst es an einen Stock und schon hast einen Speer!“

„Ich hab auch kein silbernes Messer!“, sagte Harry und zog seine Stirn in sorgenvolle Falten.

„Kaufts dir halt eins! Frag den Dragomil in Hainburg. Weißt, wo Hainburg ist?“

„Da kommen wir durch, wenn wir nach Ungarn wollen. Wir sollen in einer Hafenkneipe rast machen.“, sagte Hermine.

„Genau, die Wirtschaft vom Dragomil! Der kennt einen Silberschmied, der viele magische Waffen herstellen kann. Weißt, in Ungarn beginnt die Gegend, wo man auf Vampiere stoßen kann, da braucht man schon mal so was. Und dann brauchst den Stein, den der Drache in seinem Hirn spazieren trägt?“

„Ja.“

„Ist eine fürchterliche Arbeit, den Schädel zu öffnen. Da brauchst Magie. Pass auf, ich geb dir was.“

Der Druide erhob sich schwerfällig und humpelte zu seinem Schrank. Er holte eine kleines Holzkästchen heraus, brachte es zum Tisch und leerte es aus. Allerlei Zeug fiel auf den Tisch, kleine Steine, die mit Runenzeichen geschmückt waren, Figürchen aus Holz und Horn, Kristalle, Amulette aus Leder und Federn und ein rasiermesserscharfer Feuerstein. Der Druide nahm den Feuerstein, und hielt ihn hoch, um die Schneide zu prüfen.

„Ja, der geht noch.“, sagte er und reichte Harry den Stein. „Gib obacht, der ist scharf. Wennst die Rückseite betrachtest, siehst eine Rune, die hineingeritzt ist. Das ist jetzt kein spezieller Stein, um einen Drachen auf zu schneiden, aber es ist ein Allesschneider. Da kommst mühelos durch alles durch, auch durch Eisen. Hab ihn noch nie gebraucht, aber ich glaub, der hilft dir.“

„Danke.“, sagte Harry und wollte den Stein in seiner Tasche verstauen.

„Wart, Bub,“, sagte der Alte. „Du zerschneidst dir alles. Hier, nimm das magische Leder und wickel ihn ein. Dann passiert nix.“

Harry nahm das Leder, wickelte den Stein ein und schob ihn in die Tasche. Er wurde langsam müde, und als er einen Seitenblick auf Hermine warf, sah er, dass sie auch müde war. Immerhin hatten sie in den letzten vierundzwanzig Stunden nur wenig geschlafen und viel erlebt.

„Seid’s müde?“, fragte der alte Druide, als Harry unverhohlen gähnte. „Könnt’s euch gleich auf das Bett legen.“

„Und wo schläfst du?“, fragte Hermine, die annahm, dass es das Bett des Druiden war.

„Mach dir mal keine Sorgen,“, antwortete der Druide. „Ich find schon ein Plätzchen. Wann wollt ihr morgen aufstehen?“

„Weiß nicht, so früh wie möglich?“, sagte Harry

„Also um fünf?“

„Oh weh, nein, so um Acht?“

„Ist schon gut.“, meinte der Druide. „War nur ein Scherz!“

Lachend verließ er den Raum. Harry und Hermine besahen sich das Bett. Es war nicht besonders sauber, schmal und es gab nur eine Decke.

„Wo willst du schlafen? Vorne oder an der Wand?“, fragte Hermine.

„Wo willst du?“, war Harrys Gegenfrage.

„Vorne.“ Hermine sah nicht begeistert aus. Aber sie ahnte, dass in den nächsten Tagen kein bequemes Himmelbett auf sie warten würde. Harry kletterte als erster auf das Bett. Er machte sich schmal, aber als Hermine sich hinlegte, passte keine Handbreit mehr zwischen sie. So froren sie wenigstens nicht, denn die Nächte waren kühl geworden. Harry war ernsthaft bemüht, Hermine nicht zu nahe zu kommen, aber es ließ sich kaum vermeiden, dass er sie berührte. Es war ihm einerseits unangenehm, weil er nicht wollte, dass Hermine dachte, er würde sich an sie kuscheln. Andererseits genoss er es, ihre Wärme zu spüren und ihren Duft zu riechen. Irgendwann hatte er keine Lust mehr, sich gegen die Wand zu quetschen und entspannte sich ein bisschen. Hermine beschwerte sich nicht. Und, kurz nachdem sie sich „Gute Nacht.“ gesagt hatten, spürte er, wie Hermine ihren Arm über seinen Bauch legte. Für ein paar Minuten fühlte er dieses Kribbeln wieder und er hatte das Gefühl, hellwach zu sein. Aber dann übermannte ihn die Müdigkeit und er schlief ein.

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Tag der Veröffentlichung: 07.03.2010

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