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„Willst du mich nicht mal umarmen?“ Seine Frage blieb unbeantwortet im Raum stehen. Indem ich mich an ihn kuschelte blieb ich ihm keine Antwort schuldig. Im Gegenteil, ich ersparte mir das Reden. Einen Augenblick zu lange verweilte ich an seiner Brust, als ich mich letztlich abwandte. Mit dem Rücken zu ihm.
„Willst du mich gar nicht ansehen?“ Die nächste Frage kam völlig abrupt; wie aus der Pistole geschossen. Leicht legte ich meinen Kopf in den Nacken und ließ meine schwarze Mähne meinen nackten Rücken streicheln. Frustriert starrte ich auf die Dekoration des Küchentischs. Er war besetzt mit tausenden an Dingen die nicht dorthin gehörten. Darunter versteckten sich sogar Müllsäcke, dreckiges Geschirr, eine Küchenrolle, Cornflakes, eine abgenutzte Feile und Unmengen an zerknülltem Papier. In der Not gehorchend drehte ich mich wieder ihm zu. Ich wagte nicht aufzusehen.
„Die habe ich dir mitgebracht“, hörte ich ihn süffisant erklären. Er deutete mit einer einfachen Handbewegung auf die Rosen in seiner linken Hand.
„Hm“, war das einzige was ich herausbrachte. Hm! Wie gern hätte ich mich in diesem Moment geohrfeigt. War ich etwa gerade dabei erneut schwach zu werden? Nun sah ich ihn an. Kein Lächeln umspielte seinen maskulinen Mund. Im Neonlicht der Küche stachen aus seinem schwarzen Haar an manchen Stellen leicht gräulich schimmernde Strähnen hervor. Innerlich musste ich Grinsen. Ich wusste immerhin, dass, wenn man ihn darauf ansprach, er stets achselzuckend meinte, dass ich so stressig sei, dass ihm graue Büschel wuchsen. Eine sehr lahme Ausrede, meiner Meinung nach, doch ich ließ ihn immer gewähren. Ich lächelte bloß darüber. So wie jetzt . Schließlich beäugte ich ihn weiter. Seine feinen spitzbübischen Gesichtszüge wirkten müde und besorgt. Die Bartstoppeln an seinen Wangen umwucherten den Ziegenbart am Kinn. Von gestern auf heute schien er um Jahre gealtert zu sein. Die funkelnden diamantblauen Augen hatten ihren Glanz verloren. Irgendwie schienen sie dunkler als sonst zu sein. Lag es an seinen tiefen Augenringen? Ich konnte mir keinen Reim daraus machen. Alles an ihm war bizarr – vom Haaransatz bis zu den Zehen.
„Soll ich…“, ich wusste mitten im Satz nicht mehr was ich sagen wollte. Stotterte ich da? Bei diesem Gedanken biss ich mir unabsichtlich auf die Zunge. Autsch. Zum Glück fluchte ich so leise vor mich hin, das ihm meine offensichtliche Blöße nicht aufgefallen war.
„Die Vase dort hinten wird gut genug sein“, bestätigte er mit monotoner Stimme. Perplex sah ich ihn nur an. Hatte er vorhin meine Gedanken lesen können? Ich glaubte nämlich zu wissen, dass ich ihn genau das hatte fragen wollen. Soll.ich.diese.Vase.nehmen? Das hatte ich gedacht. Völlig vertieft in meinen Grübeleien war ich in meiner Bewegung erstarrt. Auch er war seltsam gedankenverloren. Inzwischen musterte er mit unergründlichem Blick tatsächlich mein erhitztes Gesicht. Ich fühlte, wie meine brennheißen Wagen vor Scham an Röte gewannen. Woran er wohl dachte? Ich sollte es offenbar nicht herausfinden, denn schlagartig ging er an mir vorbei. Dieser Vorgang schien einige unendliche Minuten zu dauern, dann stellte er seine anderen Einkäufe auf die Sitzbank, während er seine Aufmerksamkeit der Vase widmete. Verblüfft sah ich ihm dabei zu, wie er einen Pflanzenstiel nach dem anderen den Rosen abzwickte.
„Stich dich bitte nicht an den Dornen.“ Meine Stimme klang selbst für mich einen Dezibel zu hoch, doch ich mied seine finstere Miene. Ich würde mich niemals entschuldigen. Nicht nach dem vergangenen Abend. Zaghaft befeuchtete ich mit der Zunge meine trockenen Lippen. Dabei warf ich einen flüchtigen Blick aus dem Fenster. Wenigstens hatte ich im Profil erneut ein natürliches Rosa angenommen, stellte ich befriedigt fest.
„Keine Angst, ich kann mit Stacheln umgehen. Hilf mir lieber mal und füll Wasser in die Vase.“ Seinen arroganten Tonfall ignorierte ich wiederum. Die dicke Luft, welche in den vier Wänden herrschte, entfernte uns weiter voneinander als jeder Abgrund. Gekränkt tat ich was er mir angeordert hatte. Hervorragend.
„Hier.“ Kurz blickte er von seiner Arbeit auf, griff nach den paar gekürzten Rosen und tauchte sie ins kühle Wasser ein.
„Danke“, hörte ich ihn murmeln. Zufrieden beobachtete ich ihn aus dem Augenwinkel. Zumindest hatte er seine Manieren nirgends vergessen. Obwohl es dafür längst zu spät war.
„Erledigt.“ Ich zuckte zusammen. Mir war es gleich, ob er meine Reaktion mitbekommen hatte. Und er hatte es bemerkt. Er folgte mir ins Wohnzimmer, setzte sich neben mich auf die blaue Couch und begegnete meinem misstrauischen Blick.
„Was tun wir hier eigentlich?“ Das war keine Frage mehr, es war eine rhetorische Floskel. Diese hatte er in letzter Zeit oft benützt, sodass ich ahnte, dass eben jener Satz fest in seinem Repertoire saß. Wie zur Bestätigung begann er keck zu schmunzeln. Seine Grübchen traten hervor, kleine Lachfältchen umspielten seine Meerestiefen Augen und seine Haltung machte einen sehr einladenden Eindruck. Verdammt, wieso sah er nur so umwerfend aus? Jedes Mädchen wäre dahin geschmolzen. Jedes. Die Ausnahme bestätigte allerdings die Regel.
„Es tut mir Leid, mein Schatz“, flüsterte er. Plötzlich war mir schlecht. Genau das hatte ich erwartet. Das funktionierte andauernd. Wieso sollte er außerdem ändern was noch nie seinen Dienst versagte hatte? Ich zog die Lippen kraus.
„Ich weiß“, konterte ich just säuerlich. Unmerklich entriss ich ihm meine Hand die er zuvor an sich genommen hatte.
„Krieg ich einen Kuss?“ Zorn sprühte aus meinen Augen. Meine Blicke hätten ihn getötet, wenn sie dazu fähig gewesen wären. Wieder einmal verstand er nichts. Zweifelsohne war ihm meine umgeschlagene Laune nicht aufgefallen. Worauf wartete ich bloß? Wieso stand ich nicht auf und ging? Meine aufgetretene Lähmung ärgerte mich zusätzlich. Wo war bloß mein Wille? Wo blieb die Überzeugung das Richtige zu tun? Mein minutenlanges Schweigen deutete er falsch und kam meinem Antlitz gefährlich nah. Am liebsten wäre ich etwas weggerutscht, doch ich saß bereits an der Kante. Ich schluckte den harten Kloß hinunter. Heiße und kalte Schauder durchschüttelten mich. Meine Nackenhaare standen widerspenstig zu Berge. Jede Faser meines Körpers verweigerte ihm den süßen Moment, wo sich unsere Lippen berührten. Ich wich ihm aus. Angespannt verfolgte ich, wie er sein Gesicht in meinem langen Haar verbarg. Beinahe hätte ich erleichtert ausgeatmet. Vielleicht war mein Eisberg nur ein Eisklotz, kam mir die Überlegung in den Sinn.
„Wo wirst du die Rosen halten?“ Er unterbrach die Stille. Fast wäre ich aus allen Wolken gefallen. Was um Himmels Willen ging in ihm vor?
„Ich werde sie am besten im Wohnzimmer platzieren. Dort ist am meisten Sonnenlicht“, entgegnete ich zurückhaltend. Was für eine eigenartige Unterhaltung!
„Schade. Ich hatte gehofft, du würdest sie im Schlafzimmer am Nachttisch unterbringen. Damit du das hier nie vergessen kannst.“ Aha. So viel dazu, dass er mich nie quälen wollen würde. Anstelle einer Erwiderung schüttelte ich nur den Kopf. Er begriff sofort.
„Schade, wie gesagt.“ Verwirrt überging ich seine Bemerkung. Meine Mimik muss mich verraten haben, weil er ruckartig ungestüm zugab:
„Sie waren teuer. Das waren keine drei-Euro-Rosen aus dem “Hofer“, weißt du?“ Mir klappte die Kinnlade hinunter. Wollte er damit sagen, dass er extra für mich im Blumenladen war?
„Ich sehe schon. Du hast mir nicht viel zu sagen, was? Ach, lass es. Ich muss ohnehin los. Die Arbeit ruft“, schwafelte er in einem Schwall hinunter, ehe es mir möglich war ihm zu widersprechen. Wie er aufstand, blieb ich sitzen. Ich rührte mich überhaupt nicht. Das einzige was davon zeugte, dass ich lebte, war das Heben und Sinken meiner Brust und die Bewegungen meiner Lider. Ich blinzelte, als ich die Tür ins Schloss fallen hörte und schweren Schritten am Gang lauschte. Vermutlich hätte ich froh sein müssen, dass er gegangen war. Aber stattdessen war mir elender zumute wie vor seinem Auftauchen. Würde ich jemals die Kraft haben Stopp zu sagen? Wieder blinzelte ich. Diesmal jedoch versuchte ich die aufkommenden Tränen damit wegzuwischen. Die Erinnerung an den gestrigen Abend tauchte vor meinem inneren Auge auf. Er will keine Kinder, er will nicht heiraten, er will nicht zusammenziehen – noch nicht. Noch nicht. Kommendes Jahr würde er dasselbe sagen. Darauffolgendes Jahr schätzungsweise ebenfalls. Würden seine Wünsche denn je meinen ähneln? Seufzend zog ich die Beine an meinen Körper und schlang die Arme um sie herum. Momentan hatten wir drei Monate Zeit herauszufinden was wir wollten. Diese Wohnung war eine Art Probezeit in unserer Beziehung, solange seine Schwester in Neuseeland war. Verletzt rümpfte ich die Nase und kramte ein Tempo hinter einem der Polster aus. Probezeit. Verachtung trat in meinen wehleidigen Ausdruck. Hauptsache er hatte keine Verpflichtungen - keine Verantwortung. Wir waren kaum einen Monat hier. Schon lief er davon. Möglichst weit weg von mir . . .

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Tag der Veröffentlichung: 30.05.2009

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