Davon abgesehen, dass ich von meinem Vater seit der dritten Klasse sexuell misshandelt wurde, war mein Leben bis zum Ende der fünften Klasse ganz okay; ich war zwar ziemlich unbeliebt in der Schule und wurde ständig gemobbt (z.B. Tittenmonster wegen meiner Frühreife, dann war ich aus unergründlichen Dingen die Lesbe in der Mitte der fünften Klasse), aber das hat mich nur geringfügig verletzt, denn ich hatte immer mindestens eine beste Freundin, mit der ich alles machen konnte... zuerst war es Olga, sie ist zweimal in der ersten Klasse sitzen geblieben und somit noch unbeliebter als ich – ich mochte es, mit schwächeren Bindegliedern aus unserer Gesellschaft befreundet zu sein, denn ich erhoffte mir von ihnen Solidarität – und dann Sarah; sie war meine allerbeste Freundin bis in die achte Klasse hinein. Ich hatte aber auch eine Freundin, die nur mit mir befreundet war, wenn es bei uns irgendetwas leckeres zu essen gab; sie war gerstenschlank- nicht dass ihr sie einfach gefräßig nennt, sie war sehr ausnutzend, aber mit ihr hatte ich weniger zu tun.
Mit meiner Freundin Sarah ging ich (bis Dato) durch dick und dünn, durch gute und durch schlechte Zeiten. Ich hatte nur immer ein Geheimnis vor ihr; die Sache mit meinem Vater.
Ich erinnere mich an eine Situation aus der Grundschule; wir hatten einen zweitägigen Kurs zum Thema Kindesmisshandlung; ich habe gut mitgemacht; immerhin war ich davon betroffen. Wir mussten Rollenspiele spielen; zum Beispiel sollten wir eine Szene nachspielen, wie ein Autofahrer ein Kind ins Auto lockt und wie wir abblocken sollen. Auch mit Verwandten gab es Szenen, aber meine intime Frage, wie ich auf meinen Vater reagieren sollte, wurde nicht angeschnitten. In einer Frühstückspause Standen wir alleine auf einer wackeligen Hängebrücke und es kam ganz zufällig das Thema 'Vater Misshandelt seine Tochter' auf, und da fragte ich sie, ob sie sich vorstellen könne, dass ich von meinem Vater sexuell misshandelt werden würde. Sie lachte kurz und meinte nur: "Nä, das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen; du bist so ein plappermaul, das könntest du vor mir nicht geheimhalten! Außerdem würde ich dir das sofort anmerken!" Und damit hatte sich das Thema fürs erste erledigt.
Ich habe diese Sache wirklich sehr lange verschwiegen, nur meiner Mutter habe ich noch am Anfang manchmal gesagt, dass Papa mir an meine Brüstchen grapscht, aber sie hat es anscheinend nicht ernst genommen, die sprach dann zwar wirklich mit meinem Vater, aber sie hatte jedes Mal ein schräges Grinsen auf den Lippen. Generell hat es erst angefangen, als mein Vater arbeitslos wurde. Immer wenn meine Mutter auf der Arbeit und Sarah nicht da war... Naja, irgendwann wurde er intimer, und ich kriege heutzutage noch manchmal diesen Ekel, wenn mein Mann mich anfasst. Es wäre auch Ewigkeiten so weitergegangen, wenn ich nicht eines Nachts einen Bedeutenden Traum – ich nenne es Erscheinung (und vor meiner Mutter habe ich es zu einer 'realen Erscheinung' umgedichtet) – gehabt hätte. Ich träumte, und dieser Traum war im vergleich zu meinen üblichen Träumen extrem Irreal. Mein Vater ging mir wieder an die Wäsche, in meinem Zimmer, aber mein Zimmer war grellgrün und Lila – es war nicht in sich geschlossen, sondern die einzelnen Elemente des Zimmers flogen schwerelos in dem grellgrünen Hintergrund. Inmitten davon war eine Wand mit einer Tür und einem Fenster, was gerade groß genug war, um hindurchzuschauen. Ich stellte mich auf diese übliche Tortur ein, als ich plötzlich eine sanfte, männliche Stimme hörte, die meinen Namen rief. Mein Vater hörte auf, einfach so und bewegte sich nur noch sehr langsam, und ich versuchte herauszufinden, wo die Stimme herkam, ich schaute schlussendlich durchs Fenster – dafür musste ich auf ein kleines Podest steigen. Da stand, tief unter dem Fenster in einem realistischen Grund ein rundlicher Mann mit Kordhose, und sagte mir, dass ich mir das nicht länger antun lassen soll. Er sagte, ich sollte was unternehmen, und er war so milde, und so freundlich, wie ich mir einen Mann zu der Zeit nicht vorstellen konnte – ich konnte mir jeden Mann als Kinderschänder vorstellen, jeden Mann. Seine Anwesenheit fühlte sich Engelsgleich an. Er rief mich zu sich, und ich antwortete ihm, dass die Tür verschlossen sei und das Fenster zu klein. "Du hast noch nichtmal probiert, aus dem Fenster zu steigen, wie kannst du wissen, dass es zu klein ist?" Fragte er, und ich kletterte erstaunt durchs Fenster zu ihm.
Ich beschloss noch im Traum, etwaas dagegen zu unternehmen. Am nächsten Tag – so schwer es für mich war – erzählte ich es Sarah, sie nahm es erstmal als schlechten Scherz auf und lachte darüber, aber sie begriff recht schnell, dass es mein Ernst war. Wir dachten die Tage darauf viel darüber nach, wie wir dem ganzen ein Ende machen wollen, sie schlug vor, zu unserem Pfarrer zu gehen und mit ihm darüber zu sprechen, aber es war natürlich auch der Pfarrer meiner Mutter, und sie hätte sich später in Grund und Boden Geschämt. Es meiner Mutter nochmals zu erzählen empfand ich als verrückt; mein Vater meinte, dann sei ich Schuld daran, dass die beiden auseinander gingen und als ich es ihr früher erzählt hatte, hat sie es eh nicht ernst genommen. Und wie ich Angst vor meinem Vater hatte!
Wir haben die Sache bis zu einem Freitag, dem 13. ruhen lassen. An diesem Freitag war noch eine andere, relativ gute Freundin bei mir zu besuch. Wir tollten auf dem Balkon meiner Eltern herum, meine Eltern waren auf einem Geburtstag, als Sarah dann plötzlich scherzhaft meinte: "Nenene... ihr seid ja so verrückt, wie die Polizei es nicht erlaubt. Ich rufe jetzt die Polizei!" Die schritt in die Wohnung, holte mein Motorola-Handy und wählte 11005, wartete einen Moment und meinte dann "Hallo Polizei, ich möchte hier zwei verrückte in der Pumucklstraße 38 melden..." Plötzlich hörte sie eine ihr antwortende Stimme, ihre vorlaute Art änderte sich und sie wurde erst bleich, dann errötete sie. "Oh, tut mir leid..." ich griff mir das Handy und redete weiter "Bitte entschuldigen Sie den Anruf, sie hat eigentlich nicht die 110 gewählt sondern was anderes und mein Handy hat auch kein Geld drauf, wir konnten doch nicht wissen..." Gott sei Dank hakten sie es wirklich als Versehen und nicht als Klingelstreich ab... Aber während des Telefonats beschloss ich, mit meinem Problem zur Polizei zu gehen.
Ich sagte Sarah nichts, denn sie musste auch gleich weg, aber das andere Mädchen blieb noch etwas länger, und so beschloss ich auf meine 'jetzt oder nie' manier, sie einzuweihen und wir entschlossen uns, direkt via Fahrrad zur Polizei zu fahren. Als wir eintraten – das ganze war ja ein klein wenig Sicherheitstrakt – Standen wir Im Flur und redeten mit den zwei Polizisten durch eine Glaswand. Wie ich vor diesen Polizisten in diesen grünen Anzügen Angst gehabt habe! Mit schlotternder Stimme meinte ich: "Ich möchte eine Anzeige erstatten..." - "Hör mal, Mädchen, das müssen eigentlich deine Eltern für dich machen..:", erwiederte der Polizist. "Aber ich möchte meinen Vater wegen Sexuellem Missbrauch anzeigen...", meinte ich dann; es erforderte so viel Mut. Natürlich fragte der Polizist dann: "Und warum bist du nicht mit deiner Mutter hier?" - "Ich habe mich nicht getraut, es meiner Mutter zu erzählen... mein Vater meinte, dann wäre ich schuld, wenn sich die beiden Scheiden lassen werden..." Der Polizist atmete einmal Tief durch, und sein Partner erklärte: "Du weißt aber schon, dass das eine harte Anschuldigung ist und kein Spaß?" Ich schlotterte immer noch, aber ich war entschlossen. "Ja! Es ist mein voller Ernst." - "Also sollen wir eine Anzeige erstatten?", fragte einer der beiden. Ich war ja kein Anwalt und in der fünften Klasse versteht man von Anzeigen gerade mal, dass das Gerichtliche folgen hat und mit Gefängnis enden kann, also antwortete ich dann ganz ehrlich und klar: "Ich möchte, dass es aufhört." - "Ach, das ist nicht nur einmal passiert?" - "Nein, seit ...", ich überschlug grob, "seit ungefähr vier Jahren macht er das regelmäßig..." Meine Freundin schaute mich abstrus an: "Seit vier Jahren und du hast es keiner Menschenseele gesagt?" - "Nagut - ...aber dafür müssen wir in das Hauptquartier. Was sagen eure eltern, wenn ihr jetzt mitfahrt?" Ich schaute meine Freundin an. "Meine sind auf einem Geburtstag und merken das nicht, wie sieht es mit dir aus?" Sie winkte ab: "Bei so einem wichtigen Grund werden sie verstehen, dass ich länger fort bin."
Während zwei Polizisten mich befragten, befragten zwei andere meine Freundin, die natürlich von allem keine Ahnung hatte und deshalb auch nichts zu sagen hatte. Meine Befragung aber dauerte mehrere Stunden und das Ergebnis waren – ich meine – vier Seiten in Schriftgröße 8. Ich traute mich nicht mehr nach Hause und hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie direkt Leute zu mir nach Hause schickten, die meinen Vater arrestieren sollten. Mich wollte auch erstmal keiner nach Hause schicken, denn sie hatten alle meine Mutter mit meinem Vater unter eine Decke gesteckt, alsob meine Mutter extra auf die Arbeit fuhr damit mein Vater sich an mir vergreifen konnte: Unsinn. Noch diesen Abend wurde das Jugendamt involviert und die Frau kam auch direkt, sie stellte sich vor, und ich dachte, sie wollte mir wirklich helfen, und sie telefonierte alle Kinderheime ab. In einem Katholischen war noch Platz und ich wurde direkt eingehaust. Meine Freundin begleitete mich bis zu dem Punkt, wo ich in dem Anmeldebüro willkommen wurde, danach wurde sie von der Frau nach Hause gefahren. Diese Frau nervte mich übrigens noch bis zum 18. Lebensjahr. Wie auch immer; ich bat das Mädchen, meiner Mutter bescheid zu geben und ihr die Daten von dem Heim zu überreichen und mich möglichst bald anzurufen und zu mehr hatte ich keine Zeit. Ich wurde nett empfangen und das Wochenende war ganz nett. Ich teilte mein Zimmer mit einem rothaarigen Mädchen und erhielt noch an dem Abend mein eigenes Duschzeug. Alle waren nett und auch gegen eine Zimmergenossin hatte ich nichts einzuwenden, aber ich fühlte mich trotzdem sehr unwohl. Es stürmte jede Nacht, und immer wenn ich Nachts über die längst vertrocknete Studentenblume schielte, wünschte ich mir, ich könnte fliehen, einfach raus dort. Jeden Tag fragte ich nach, ob meine Mutter oder Das Mädchen nicht für mich angerufen haben.
Und am Dritten Tag wurde ich dann zu irgendeiner Stellvertretenden Heimleiterin oder so gerufen. Die meinte, dass sie ja mit allen Mitteln versucht haben, die anrufe für mich zu blocken, aber meine Mutter habe so dringend um eine Aussprache mit mir gebettelt, dass sie ihr diese erteilt haben und ich morgen mit meiner Mutter einen Termin habe. Ich war so wütend! Ich hatte einen richtig fetten kloß im Hals sitzen und fühlte mich plötzlich so ohnmächtig. Ich wurde zurück in meine Gruppe geschickt, wo ich widerwillig von der Gruppenleiterin gedrückt wurde, weil ich einen derartigen Heulkrampf hatte. Wieso haben sie mir nicht gesagt, dass ich angerufen wurde? Ich hätte alles ganz anders verkraftet, aber seit dem Moment wollte ich nur noch nach Hause, ich wollte, dass alles wieder so ist wie es war. Es hat mich sowieso genervt, dass sie immer alle gemeinsam diese Schulze am abend geschaut haben, die mich überhaupt nicht anspricht, aber an diesem Tag hat mich alles, was ich sah, genervt. Ich zählte die Minuten bis zum Abend. Am Abend konnte ich das Schlafengehen nicht erwarten. Als ich im Bett lag und den Donner hörte, konnte ich den Morgen nicht erwarten, bei jedem Donner dachte ich über eine schöne vergangene Erinnerung nach, und es tat mir so weh! "Nur weil mein Vater mich Sexuell misshandelt hat? Meine Güte, soll er es weiter tun, aber ich will mein Leben zurück!" Schlussendlich bin ich doch irgendwann eingeschlafen, ich finde Gewitter sehr beruhigend, aber meine träume waren eher beunruhigend; ich träumte die ganze Zeit nur von der Flucht aus dem Heim.
Am nächsten Morgen waretete ich gespannt bis zu dem geplanten Termin, aber als es soweit war, wurde der Termin plötzlich verschoben! Auf.... morgen.
Ich konnte nichts tun, als wieder einen Tag zu warten. In diesen zwei Tagen Wartezeit ist mir eines aufgefallen; ich war super ungeduldig und wenn ich etwas sehnsüchtig erwartete, wollte ich es sofort. Meine Heimmitgenossinnen haben mir natürlich meine Qualen angesehen, und wie schon gesagt, waren sie sehr freundlich, also sind sie mit mir an diesem Nachmittag in dem nahe gelegenen Stadtkern spazieren gegangen. Ich kannte diese Stadt, wir sind dort immer Kleidung kaufen gefahren; denn in meiner Heimatstadt gab es nicht einmal einen C&A, aber der Spaziergang mit den Mädchen war trotzdem etwas besonderes; die Stadt erschien mir so, als sei sie einem meiner Träume entsprungen. Da war ein Straßenkünstler, der versprach, in 25 Minuten für 25 Euro ein Protrait zu zeichnen, und wir waren ungläubig, also beobachteten wir ihn. Er hat gerade ein Mädchen unseres alters Portraitiert, und das Ergebnis war nicht schlecht. Ich habe mir so sehr gewünscht, diese 25 Euro auffinden zu können, um auch ein Portrait zu erhalten; ich wollte wissen, wie andere mich sehen und war von der Überzeugung, dass man dies vor allem an Portraitierungen erkennen kann.
Der Straßenkünstler war noch den Rest des Abends das Hauptthema, aber jeden Moment, in dem ich einen klaren Gedanken fassen konnte, sehnte ich mich, mit meiner Mutter zu reden, die sich ganz sicher Sorgen machte und mich sehr vermisste, und es gab nichts schlimmeres für mich, als vermisst zu werden. Ganz bestimmt wollte sie mit mir über die Geschehennisse reden, und ich war vollkommen dafür, dass sie mich hätte direkt am ersten Tag anrufen können. Es ist so schlimm, wenn man nicht entscheiden darf, ob einen seine Mama anrufen darf. Ich fühlte mich wie eine Marionette der Beamten und wusste nicht, ob der Termin mit meiner Mutter irgendwie noch vonstatten geht, doch am nächsten Tag wurde ich wirklich in einen separierten Raum gesendet, zu meiner Verwunderung saßen dort aber die Heimleiterin und die Frau von Jugendamt. "Also, deine Mama ist jetzt da. Bist du dir sicher, dass du mit ihr sprechen möchtest?" Ich wäre am liebsten losgerannt, um sie selbst zu suchen, diese metaphorischen Stricke, die sie mir angebracht hatten, waren unangebracht! Wieder mit einem Kloß im Hals, den ich mit aller Macht versuchte zu schlucken nickte ich. "Nicht weinen, du bist doch ein starkes Mädchen. Nach 4 Jahren hast du es geschafft, allen Mut zusammenzureißen um deinen Vater anzuzeigen, da brauchst du doch nicht mehr weinen..." Und ich frage mich bis dato, wieso Kinder auf solche Sätze bauen. Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt – ich war ein starkes Mädchen. "Weißt du, eigentlich möchten wir nicht, dass du mit deiner Mama redest, wir befürchten, dass sie dich unter Druck setzen wird..." Und ich fragte mich nur insgeheim 'Unter Druck setzen? Bin ich eine Flasche Sprudel oder was meinen die?' - "Nein, sowas macht sie nicht, lasst mich bitte zu meiner Mama!"
Schweren Herzens standen die beiden auf, wir verließen den Raum, verließen den Flur, stiegen einige Treppen abwärts, überquerten so einige andere Flure – zumindest kam mir das alles so episch vor – Und blieben vor einer Tür stehen. Die Frau vom Jugendamt öffnete die angelehnte Tür und ich erblickte meine Mutter.
Das Gefühl und die Atmosphäre in diesem Moment war filmreif. Ich lief auf meine Mutter zu und auch sie kam auf mich zu und wir drückten uns ganz fest und ich weinte, denn selbst wenn meine Mutter mich relativ autoritär erzog, ließ sie mir doch meine Entscheidungen, und ich brauchte das bisschen Freiheit. Davon abgesehen: es war meine Mama, ich bitte euch, was braucht man da noch für Erklärungen. Es war so ein befreiender Moment und wir verweilten bestimmt für fünf Minuten so. Ich wollte nicht mehr zurück in meine Wohngruppe. Ich wollte nur nach Hause und das mit meiner Mama klären, 'sie liebt mich und wird immer da sein für mich!'
Ich weiß nicht mehr, was jetzt geschah, ich war – und das weiß ich bestimmt – von meinen Gefühlen überwältigt, ich beharrte darauf, mit meiner Mutter nach Hause zu gehen, schließlich war mein Vater sowieso in U-Haft (was auch immer das 'U' bedeutete) und mir konnte nichts zustoßen. Nach einigem Hin und Her wurde es mir gestattet, mit dem Vorbehalt, dass sich das Jugendamt noch einmal meldet. Ich holte also meine Sachen – meine eigenen Sachen, die bereits Waschmaschienenreif waren. Ich hatte Sachen aus dem Roten Kreuz an; ein schulterfreies halbärmliges Shirt mit einem Cowboyhut drauf und eine Kordhose. Die Frau vom Jugendamt fuhr uns Heim – meine Mutter kann nicht Auto fahren – und ich zupfte immer wieder an dem Oberteil, in der Hoffnung, dass es gut zur Geltung kommt, weil ich es irre gern hatte.
Wir vereinbarten einen Termin mit der Frau und gingen dann zu zweit in die Wohnung. In den folgenden Tagen redeten wir viel darüber, meine Mutter hatte die Situation, die am Freitag zu Hause auf sie gewartet hatte, bis dahin nicht verarbeitet gehabt, und diese Tatsache tat mir sehr leid. Man stelle sich vor, man komme von einer Geburtstagsfeier – sei es gut oder schlecht gelaunt – und man dächte sich nicht böses, und plötzlich steht da die Polizei vor der Haustür. Man sitzt noch im Auto und fragt seinen Nebenmann interessiert: "Nanu, was ist denn da los? Was wohl unsere Nachbarn verbrochen haben? Naja, ist ja auch egal"
Und dann steigt man aus dem Auto. [...]
Tag der Veröffentlichung: 22.04.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch meinem Vater, der mein Weltbild zerrüttet hat, meiner Mutter, die bis heute sagt, ich sei ihr mit meinem Vater Fremd gegangen, der Frau vom Jugendamt, weil sie mir mein Leben zur Hölle gemacht hat, und allen anderen, die dazu beigetragen haben, mein Leben zu Schutt und Asche zu machen.