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Graue Augen

England, 1759

Es war der kalte Morgen eines neuen Tages. Abberts Creek wurde von milchigen Sonnenstrahlen beleuchtet, die einen friedlichen und angenehmen Tag priesen.
Faith Adriana Black, die Tochter des Hauses, hätte weinen können, aufgrund des Unglücks das sie erwartete.
Die Sonne ließ ihre Wärme klar durch die geöffneten Fenster des Gutes scheinen. Natürliche und beruhigende Geräusche drangen zu ihr vor. Diese vermochten Sicherheit schenken, wie die Flügel einem Vogel.
Eine nahe gelegene Tür öffnete sich und hindurch kamen mehreren Männer in Gesprächen und Anekdoten vertieft. Bei ihrem Anblick blieb einer von ihnen stehen. Seine Augen leuchteten auf und während er seine Verwirrung in eine ruhige Fassade wandelte, hatte Faith seinen Aussetzer lange Zeit vorher bemerkt. Ihr Herz klopfte wild in ihrer Brust.
« Lord George. », sagte sie, tat einen höflichen Knicks und verbarg ein Lächeln, das sie auf der Stelle verraten hätte, so übertrieben schien es ihr. Er erwiderte den Gruß gelassen, hob kurz darauf die Hand zum Zeichen, dass er die übrigen Männer, die ihren Weg in den anliegenden Garten schlugen, verstanden hatte und erkundigte sich nach ihrem Befinden.
Sobald die Gestalten und Stimmen der Herren in den Gemäuern verstummt waren, legte sich ihr affektiertes Getue und Faith blickte ihn bekümmert, ja beinahe fordernd, aus grauen Augen an. Wie lang konnten sie ihre Affäire noch aufrecht erhalten ? Wie lange diese Last ertragen ? Doch das Verlangen war zu groß.
« Ihr seid herangewachsen, seit wir das letzte Mal das Vergnügen hatten, Miss Black. », sagte Lord George schalkhaft. Um seinen Mundwinkel spielte sich ein liebenswürdiger Zug, der bei diesen Worten nur umso deutlicher zum Vorschein kam. Doch Faith ließ sich von seinen höfflichen Unterredungen nicht breitschlagen und gab ihm dies kurz zu verstehen.
Ihre Augen wollten ihn schamlos besitzen. Ihn verführen und beanspruchen, dass er gewillt war ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Sie liebte ihn bedingungslos, seit Jahren.
In seiner Haltung, ebenso in der Ausstrahlung verriet er nicht, den geringsten Anlass diese Liebe zu ermutigen, geschweige denn zu erwidern.
Jedoch waren Äußerlichkeiten die Sache eines gekonnten Beobachters, der nichts an ihrer beider Erscheinung hätte aussetzten können.
Lord George Nathaniel Wolverton war gerade zum Offizier eines Milizregiments befehligt worden, hatte sich gesellschaftlich weit vorgekämpft und hoffte auf eine Erbschaft im nahem Westen, die ihm ein tüchtiges Gut versprach. Er war ein Meister der Täuschung, brannte er doch innerlich darauf die grauen Augen seiner Liebsten mit verheißungsvoller Leidenschaft zu erfüllen.
Die Augen schließend, legte er in seinen Träumen den Arm um ihre Taille, roch ihre erdige und sonnengebräunte Haut und ließ seinen Finger leicht über ihren Arm streifen, sodass sich ihre kleinen Härchen aufstellten und sie Worte von sich gab, die ihn erröten ließen.
Er flüsterte etwas und sie erwiderte die Worte mit einer honigsüßen Stimme. Sie lachte, versuchte ihn von sich zu stoßen, doch seine gespielte Hartnäckigkeit fesselte sie buchstäblich. Das Gesicht in seinem Hemd vergraben unterdrückte sie einen Lachanfall, roch seinen blumigen, schweißigen und gleichzeitig harzigen Duft und nahm ihn in sich auf.
Das Gras in dem sie lagen, stand so hoch das es sie komplett bedeckte. Es ließ sie eine harmonische Wärme verspüren, wie als wäre man in dem Nest eines brütenden Vogelpaares eingekuschelt. Geborgen und sicher, behütet und unschuldig, wie ein kleines gerade gestilltes Kind, dessen kleine Finger suchend nach seiner Mutter griffen.
Sie spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken und lächelte ihn an, während er eine kleine Haarsträhne aus ihrem Gesicht fischte. Seine charmanten Augen liebkosten lange und voller Genuss ihre Gesichtszüge, prägten sie sich ein und verloren sich ganz in den grauen Augen seiner Liebsten. Grau wie ein trister Morgen, grau wie der kalte Stein und grau wie ein Meer, doch mit dem warmen Funken einer Frau, seiner Frau. Schließlich küsste er sie noch einmal und zog sie gebieterisch zu sich, worauf sie mit einem liebevollen Blick reagierte. Grau war für ihn die schönste Farbe der Welt.
Er bemerkte sein Abdriften erst, als der erste Schuss ihn erschrocken zusammenfahren ließ. Wie so oft hatte ihm seine Phantasie einen Streich gespielt. Die Herren hatten mit der Jagd begonnen - seine Zeit war begrenzt.
Ohne zu wissen, wann er seine Geliebte wieder sehen würde, schritt er auf sie zu. Seine Selbstbeherrschung war so gut wie dahin. Da Faith seine Regungen beobachtet hatte, und ihre Gedanken ähnlich abgeschweift waren, wich sie vor ihm zurück. Diese Affäire durfte keine Macht über sie haben. Ihr beider Stolz sollte dies von vornherein verbieten. Doch was war die Liebe im Vergleich zu Verstand und Geduld?
Sie befanden sich im Krieg. Das Land ebenso, wie sie selbst und ihre Familien, der seine Opfer forderte. Der Feuer und Gewalt brachte. Schreie sollten gellen, die mitreißend und gewalttätig in den Ohren der Opfer und Mörder klingen sollten.
Lord George küsste sanft Faiths Scheitel, strich mit seinem Finger über ihren Nasenrücken und atmete tief und konzentriert ein. Sie hatten sich schon zu lange der Träumerei hingegeben, als dass sie die Realität von ihren Vorstellungen hätten unterscheiden können. Menschlichkeit schließt keine Fehler aus, doch Missgeschicke, selbst aus Liebe wurden nicht geduldet. Die Etikette verbot es, die Eitelkeit unterstützt diese und die Bestrafung setzt selbst dem schönsten Traumgebilde, irgendwann ein Ende.

1. Leben und Tod

In der Nähe von Shrewsbury, viele Jahre später

Gegen Morgengrauen erreichte eine recht ungewöhnliche Zusammenstellung von drei Reisenden ein heruntergekommenes, von Durchreisenden besetztes Dorf.
Der Standesunterschied zwischen den Ankömmlingen und den dort bereits Ansässigen hätte leicht für Unstimmigkeiten sorgen können, doch war aufgrund der Strapazen ihrer bisherigen Reise, nicht einmal an diesen Umstand zu denken.
Der Himmel ragte grau und zornig über ihnen auf und ein nebliger Schleier kroch durch die
Wälder, welcher eine Stille projizierte, man könnte meinen diese würde alles Lebendige verschlingen.
Der Nebel jedoch, eine schwankende Laune der Natur, verblasste langsam um sie herum und legte einen schlammigen Weg, mehrere Hütten sowie sanft gewellte Hügel frei. Üble Gerüche krochen Helen Kincaid in die Nase und erschwerten ihr das Atmen auf unangenehme Weise. Wie sie jetzt von ihrem Pferd stieg, spürte sie die Verhärtung ihrer Muskeln und das durch die schwülen Hitze an ihr klebende Kleid. Schmutz und Schweiß waren ihre stetigen Begleiter.
Ihr Blick wanderte darauf zu den zwei breitschultrigen Soldaten, welche ihr Gefolge darstellten. Wieso trotzen sie noch immer diesem Wetter? Könnten sie nicht einfach verrecken, das elende Pack?
Sie tätschelte den Hals ihres Pferdes und sprach in einem beruhigendem Ton zu der Stute, warf aber im Verborgenen einen abschätzenden Blick auf die beiden Männer. Ihr Ekel an ihrer Existenz war unumgänglich. Dicke Schweißflecken taten sich auf ihren Hemden auf, während sie fortgehend stöhnten und aufschluchzten über juckende Kinne, schmerzende Glieder, Läuse und anderes Getier. Sie wirkten wie zwei humpelnde Krüppel, die nichts besseres zu tun hatten, als sich grotesk schleppend und stinkend fortzubewegen.
Die beiden Männer stiegen jetzt ebenfalls von ihren Tieren und landeten Dumpf auf dem weichen Boden. Als sie Helens Blick bemerkten, senkte sie teilnahmslos die Augen und wand sich von ihnen ab. Mit einem kräftigen Aufschnauben das ihr ungewollt entfuhr, drückte sie ihren Protest aus und fühlte sich vom Schicksal zu unrecht bestraft.
Es würde ein langer, heißer Tag werden.

In einem von Mondlicht durchsetzten Raum, der nach Stroh und Hopfen roch, fand sich Helen wieder. Ihre Beine hatten sie dorthin getragen, war dies im Grunde jedoch eine physische, keineswegs psychische Entscheidung gewesen. Es war nicht nur stickig, sonder eng, heruntergekommen und kurz; ein improvisiertes Gefängnis. Denn als das sah sie sich: als Gefangene. Zu Unrecht wie sie mit Bitterkeit und Verdruss dachte. Kurz nickte sie ein, um kurz darauf wieder aufzuwachen und festzustellen, dass ihr Albtraum noch immer nicht vorbei war. Es war die reinste, sie quälenden Schikane. Sie litt an Schlafstörungen, die angesichts ihrer Situation zwar zu erklären, doch keineswegs angenehm zu ertragen waren.
Sich von einer auf die andere Seite wälzend, fand sie keine Ruhe und während ihr der Schweiß aus allen Poren rann, konnte sie sich noch immer nicht, mit ihrer gegenwärtigen Situation auseinandersetzten, ohne einen hysterischen oder gar wutentbrannten Ausbruch zu erleiden.
Ihr militärisches Geleit, zwei Männer vom Landgut ihrer Familie hatten sie nach kurzer Auseinandersetzung in Derby zwangsweise festgenommen. Den Umstand, dass sie knapp einen Monat zuvor, wie ein Flüchtling ihr Zuhause, verlassen und verraten hatte, bezog sie nicht mit in deren Beweggründe ein. Doch der Gedanke nach Hause eskortiert zu werden, quälte sie.
Es herrschte bereits vollkommene Finsternis, als sie abermals mit steifen Nacken und trockener Kehle erwachte. Ihr Durst- und Hungergefühl belebten sie.
Ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit, doch schon tastete sie sich ungeschickt durch den kleinen Raum. Die Männer hatten sie nicht eingesperrt, was ihren Fluchtplänen nicht im geringsten weiterhalf, da ihr Kopf vor Erschöpfung schwirrte und ihre Augen tränten. Wo sollte sie auch hin? Mitten in der Nacht, entkräftet und dazu völlig orientierungslos, würde sie sich eher den Hals brechen, als den richtigen Weg zu finden. Sowie sie eine Lösung gefunden hatte, würde sie diese umsetzten. Mit einem bekräftigenden Nicken, schwang sie die Tür auf.
Der wachende Soldat, lag schlummernd und friedlich zu ihren Füßen. Sie müsste nur etwas Scharfes in die Finger bekommen – seine Pulsschlagader, überhaupt seine ganze weiße Haut lag willkommen vor ihr, unberührt und noch lebendig.
Zwar besaß sie, was andere als Skrupel bezeichnen würden, aber noch nie war sie der Meinung gewesen nicht zu einem Mord fähig zu sein. Ein grässlicher und wohl auch ernüchternder Gedanke.
Kurz spürte sie tatsächlich pulsierende Haut unter ihren Fingerspitzen und konnte sich nur mit äußerstem Kraftaufwand zwingen den Blick davon abzuwenden. Ein Schauder lief ihr den Rücken hinunter und sie folgte mit steifen Gliedern dem Verlauf des Hauses, genauer gesagt einem Wirtshaus. Im Vorteil der Unbekannten, nicht weiter interessanten Persönlichkeit, schwelgte sie sich in der Desinteresse der anderen Gäste, welche sie nun zu Gesicht bekam. Nicht einmal ein Blick wanderte zu der unscheinbaren, dünnen und verdreckten Gestalt die etwas zu Essen bestellte.
Die Kate in der sie sich befand, war ein verfaulter Ort, umringt von Gaunern, Mördern und Prostituierten. Sie war bei weitem sicherer als auf der Straße oder anderswo. Allerdings fragte sie sich schon seid längerem, wo sich der zweite Soldat befand. Vor Sonnenaufgang konnte er sich noch nicht tot gesoffen haben. Solange er sich nicht blicken ließ würde ihr nichts widerfahren.
Ein krachendes Geräusch lenkte ihre Aufmerksamkeit in den hinteren Teil des Schankraums, wo laut gerufen, gelacht und geflucht wurde. Die Wirtsfrau rief die dortigen Männer zur Ordnung, was von den bereits trunkenen Gästen mit anrüchigen bis makaberen Gesten zur Kenntnis genommen wurde. Missmut flammte in ihr auf, welches schnell verflog, als ihr Hinterkopf eine warnende Angst registrierte und ihren Körper damit durchsetzte. Schweiß sammelte sich an ihrer Stirn und verklebte ihre Haare. Sie wagte es nicht sich zu bewegen, während das Atmen, einem Gefühl wich, ersticken zu müssen.
So hinterrücks der Moment des Schocks ihren Geist überwältigt hatte, so schnell löste er sich von ihr und hinterließ lediglich den üblen Geschmack eines Hirngespinstes auf ihrer Zunge. Das Gesicht in den Händen vergrabend, schloss sie für wenige Momente die Augen, blickte dann auf und war zurück in dem stickigen, mit Menschen überfüllten, lauten Raum. Hatte sie nun schon Angstzustände?
Der Appetit war ihr vergangen, wobei sie sich mit großer Mühe zwang ein paar Bissen hinunterzuwürgen. Ihre Augen huschten von einer in die andere Ecke, denn der bittere Angstgeschmack war noch nicht gänzlich verflogen. War es der Soldat der irgendwo lauerte und sie beobachtete? Sie entschloss die Anzeichen als Übermüdung, zu viel permanenten Stress und überhaupt den letzten Ereignissen, der Flucht, der Gefangennahme und ihrem nahem Reiseziel anzurechnen.
Wackelig stand sie auf, schob mit zittrigen Händen den Teller von sich und verließ den Raum. Kühle Luft erwartete sie und liebkoste ihr Gesicht. Ihr war es, als würde sie den Wind zum ersten Mal auf ihrer Haut spüren, ein Genuss. Sie schloss die Tür zu dem Wirtshaus, ging ein paar Schritte mit geschlossenen Augen und atmete kräftig ein und aus. Die Geräusche der Menschen drangen nur dumpf zu ihr. Zu friedlich schien ihr diese Nacht, als das sie es wagte ihre Aufmerksamkeit auch nur für Sekunden an die Realität zu verschwenden. Sie vernahm noch das angesichts der Stille, brutal laute Aufschlagen der Tür, dann war es aus mit der eben so lieb gewonnenen Einsamkeit.
Ein Mann, das Gesicht in der Dunkelheit unkenntlich, blickte sie an, ohne dabei große Verblüffung zu heucheln.
Sie ging höfflich einige Schritte auf ihn zu, wartete auf erste Schritte seinerseits und war schon im Begriff anzunehmen es wäre der, angesichts ihrer Anmaßung die sie sich hier leistete, wütende Soldat.
Großes Erstaunen und eine gewisse Erleichterung regten sich jedoch in ihr, als sie die Züge eines Fremden ausmachte. Er sagte nichts, sondern beobachtete sie mit gebannter Spannung, oder war es Angst die sie in seinen Augen las?
Beides traf nicht zu oder konnte sie nicht mit Bestimmtheit beschwören, da sich seine Augen von ihr abwandten und ins Leere starrten. Sie verspürte große Lust ihn auf seine unverschämte Aufdringlichkeit, die er sich erlaubte, aufmerksam zu machen, als ihr dies dann aber doch zu hochmütig erschien.
« Ich wollte Euch nicht erschrecken Miss. », richtete er sein Wort an sie und verbeugte sich standesgemäß. Eine unpassendere Kulisse für solch förmliches Benehmen hätte sich wahrlich nicht ergeben können und Helen sah darin eine fragwürdige Absicht, die sie anhand ihrer ordinären Gedanken, nicht weiter zu beschreiben vermochte.
« In der Tat nicht » Der Sarkasmus war nicht zu überhören und der Mann gab einen belustigten Ton von sich.
« Wenn Ihr Euch vorstellen würdet? »
« Ich habe Euch beobachtet. Wie es mir scheint, seid Ihr mit einigen Grobianen bestens bekannt », erwiderte er ohne ihrer Bitte nachzugehen.
«Bestens bekannt? », wiederholte sie ungläubig. Da sie mit niemanden gesprochen hatte und ihr keines der Gesichter bekannt vorgekommen war, schien ihr das mehr als unwahrscheinlich. Dennoch hatte sie nicht annähernd genug Zeit gehabt um sich tatsächlich zu vergewissern.
« Ich weiß nicht wie Ihr auf derartige Ideen gekommen seid, Sir, aber ich kann Euch versichern- »
« Unterlasst dieses alberne Getue. »
Erschrocken blickte sie zu ihm auf. Ein Lächeln spielte sich um seine Mundwinkel, nicht feindselig, eher berechnender Natur.
« Sir, ich kenne Euch keineswegs und beabsichtige nicht mich weiter in Eurer Gesellschaft aufzuhalten, solange ich nicht einmal Euren Namen kenne. Ihr seid betrunken und nicht zurechnungsfähig. »
Die Schärfe ihrer Worte sollten sie selbst beruhigen und dem Mann eine Warnung sein, dieser aber ließ sich keineswegs aus der Ruhe bringen.
« Ich bin nicht betrunken und rieche wahrscheinlich auch um einiges besser als Ihr.», stellte er amüsiert fest und musterte sie unverfroren. « Selbst wenn Ihr nicht aus dieser Gegend seid, so kennen Euch doch so einige Männer in diesem Haus. »
Er nickte zu dem Gebäude, aus dem noch immer einige gedrückte Laute zu vernehmen waren. Was wenn er recht hatte? kam es Helen plötzlich in den Sinn. Wenn die Soldaten nie beabsichtigt hatten sie nach Hause zu geleiten? Nicht das es jemals in ihrer eigenen Absicht gelegen hätte. Beunruhigt versuchte sie den fremden Mann besser auszumachen, doch die Dunkelheit schluckte seine Gesichtszüge fast gänzlich. Einzig seine Silhouette war klar zu definieren. Sie zeichnete einen gut gebauten Herrn, von scheinbar bester gesundheitlicher Verfassung.
« Was sind Eure Absichten? », fragte sie trocken.
« Ein Deal. »
« Warum sollte ich darauf eingehen? »
« Warum denn nicht? Ich kann mir kaum vorstellen, das Eurer Geleit beabsichtigt Morgen Weiterzuziehen. »
Verdammt, was wusste dieser Kerl?
« Was schlagt Ihr also vor? », fragte sie, während sich ihre Gedanken und Spekulationen überschlugen.
« Ich werde Euch selbst auf Euer Gut begleiten, Miss Kincaid. »
Der Schock über ihren Namen sorgte für anfängliche Sprachlosigkeit ihrerseits, doch ihre misstrauische Natur verarbeitete den Schock recht gut und schnell fand sie zu ihrer vorherigen Sicherheit zurück.
« Wenn ich um eine Erklärung bitten dürfte. »
« Man hat mich geschickt, um Euch nach Hause zu begleiten. Wie Ihr wahrscheinlich schwer erkennen könnt, bin ich Soldat. Meine Absichten sind ehrenwert. Ich befolgte lediglich eine Anweisung und ich hoffe Ihr könnt mit dem Namen meines Herren Sir Timothy Craig, etwas anfangen. »
Das konnte sie in der Tat, da der genannte Herr, ein stattlicher Bekannter ihres Bruders war, der sich zur Zeit im Dienst eines gewissen Lord George befand.
« Warum sollte ich Euch glauben? Den Namen könntet Ihr irgendwo aufgeschnappt haben, um mich von meinem Geleit fortzulocken. »
« Hätte ich mein Ziel, dann nicht schon längst erreicht? »
Ihr Misstrauen wurde bestimmter, doch richtete es sich nicht nur ausschließlich auf den fremden Mann. Schon von Beginn ihrer Reise nach Kincaids ridge, dem Anwesen ihrer Familie, hatten sich die angeblichen Soldaten, in keinster Weise, standesgemäß verhalten, noch eine ausführliche Erklärung abliefern können. Ihr Herz begann zu rasen, bei der Vorstellung mit einem, wenn auch nicht recht glaubwürdigen, fremden Soldaten vor den Fängen ihrer Familie zu fliehen. Nicht aus Gründen, wie falscher Romantik oder ihrer persönlichen Vorstellung von Leidenschaft, es war ihr ein Vergnügen die Soldaten hinterrücks zu überlisten. Gegebenenfalls würde sich sogar eine Möglichkeit erschleichen zurück nach Derby, ihrem eigentlichen Herzensziel, zu gelangen.

Zurück in der Kate hielt sie die Luft an, gab dies aber nach mehreren Versuchen auf. Der Gestank der Menschen war unausweichlich. Ihr Teller von zuvor war weggeräumt worden, an den sie nun mit einem Seufzer zurückdachte, da ihr Magen eindeutige Geräusche von sich gab. Viel wichtiger aber war, was sie im Augenblick tun sollte.
Dem fremden Mann glauben schenken, eine äußerst leichte, wenn nicht gar prickelnde Vorstellung oder zurück in die katastrophale, wenn auch sichere Gefangenschaft gehen. Ihre Wahl war auf beiden Seiten nicht sehr glücklich anzusehen. Er – dessen Namen sie nicht einmal wusste, hatte ihr maximal Zehn Minuten eingeräumt, um zu entscheiden. Er würde sie mitnehmen, sie soweit sie es wünschte begleiten und sie dann in ruhe lassen. Sein Auftrag wäre erfüllt, sobald er sie sicher auf Kincaids ridge, zurückgelassen hatte. Seine Gründe für diese riskante Aktion schienen lediglich darin zu bestehen, das er sich eine Belohnung in Form einer Beförderung oder gesellschaftlichen Stellung erhoffte. Doch was genau steckte dahinter? Woher wusste er überhaupt von ihrer misslichen Lage? Besonders einem Mann – Sir Craig - der nach ihrem Wissen in London residierte und von dieser kleinen Verschwörung, wie sie wohl behaupten konnte, nichts in Erfahrung hätte bringen können?
Wenn er sie tatsächlich als eine Kincaid erkannt hatte, dann gab es nur Zwei Möglichkeiten wie es dazu gekommen sein könnte. Er war mit ihrem Bruder, oder Onkel, ihren beiden letzten männlichen Verwandten bekannt oder er hatte seine Informationen von einer zweiten, womöglich dritten Person. In jedem Fall hatte er ihre Aufmerksamkeit erregt.
Noch während sie darüber nachdachte und ihr in den Sinn kam, das sie in der Kate überhaupt nichts zurückgelassen hatte um es zu holen, wurde ihr bewusst das sie sich bereits entschieden hatte. Da plötzlich torkelte der bis dahin schlafende Soldat die Treppe hinunter.
Er starrte sie überrascht an und hechtete wütend zu ihr, ein Knall ertönte, als eine Waffe abgeschossen wurde, Leute schrieen und sprangen von ihren Tischen. Die Tür wurde hart aufgeschlagen und brach aus ihrer Verankerung, als der unbekannte Mann erschrocken hereinstürmte und Helen grob am Oberarm packte. Ein Gewühl von fliegenden Spielkarten, zerbrochenen Flaschen und schreienden Männern folgte, während die Damen unentwegt kreischten. Der Soldat wurde unschön angerempelt, fluchte auf, fiel auf den Boden und bleib dort kurz liegen, worauf Helen erschrocken durch den Anblick seines herannahenden Kameraden aufschrie.
Drohend hielt er auf sie zu, doch noch ehe sie in ihrer Panik etwas zustande bringen konnte, wurde sie nach draußen geschubst und landete schmerzhaft auf allen Vieren. Eine Flasche folgte ihr, die nur Zentimeter an ihrem Kopf vorbei flog und laut auf dem Boden zerschellte. Rückwärts nach hinten krabbelnd, konnte sie eine Person nicht mehr von der anderen unterscheiden.
Sie sprang auf und tat das Erstbeste, dass ihr einfiel: davonlaufen. Beinahe im schützenden Wald und vollkommen außer Atem, ließ ihr Adrenalinstoß nach und musste dabei feststellen das sie verfolgt wurde. Der Schatten eines Mannes hielt unentwegt auf sie zu. Sie blieb schlagartig stehen und hörte das Knacken der Äste unter den Füßen ihres Verfolgers. Verängstigt versteckte sie hinter einen Baum, presste sich gegen die raue Rinde, dass diese ihr die Wange zerkratze und hielt die Luft an. Die Geräusche kamen näher. Sie hörte seinen rasselnden Atem, seine vorsichtige Schritte und meinte zu spüren wie seine Augen den Wald nach einem Zeichen von ihr durchkämmten. Den Baum fester umklammernd, wagte sie es kaum einen Laut von sich zu geben, geschweige denn sich zu bewegen.
Ihre Augen hatten sich beinahe an die Dunkelheit gewöhnt, als sie bemerkte, dass sie sich schon seid längerem verraten hatte. Die Geräusche verstummten und all ihre Haare stellten sich mit einem unangenehmen Kribbeln auf. Das Licht des Mondes beschien ihren kompletten Rücken und ließ sie wie eine Zielscheibe wirken. Wann zum Teufel war dieser hinter den Wolken aufgetaucht?
Sich von dem Baum lösend, roch sie das Blut ihrer zerkrazten Wange und rannte, rannte so schnell, dass sie glaubte, ihr Herz würde vor Schmerz zerbersten. Denn sie wusste, sie rannte um ihr Leben.

Dunkle Wolkenzüge bedeckten die Sterne und ließen den Mond sein mattes Licht nur zufällig gen Erde fallen. Der Wind ließ die Bäume bedrohlich ächzen und eine gespenstische Atmosphäre machte sich breit, dass Helen, würde ihr nicht der Schweiß auf der Haut brennen, vor Schauder frösteln würde. Es war unerwartet Still geworden, kein fremdartiges Geräusch war zu vernehmen, wobei ihr das Zittern ihrer Beine unnatürlich laut erschien.
Die Umgebung kreiste, schwankte vor ihren Augen und sie sank zu Boden. Resignation stellte sich ein, während sie dem lauten Klopfen ihres Herzens lauschte. Ihr Körper hatte angesichts der Strapazen aufgegeben. Geraschel drang zu ihr vor. Vermochte sie Stimmen zu vernehmen? Schatten lösten sich, Bewegungen folgten, humpelnd, aggressiv, stürmisch, sie konnte das Eine nicht mehr von dem Anderen unterscheiden.
Mit geschlossenen Augen saß sie einfach da, ohne ein Gefühl von Zeit. Wie lange würde es dauern bis man sie fand?
Abermals Geräusche, näher, lauter. Was würde man ihr antun?
Hörte sie ein Keuchen? Wäre ihr nur nicht so verdammt schwindelig, ihr Herz pochte noch immer in lebendigen Stößen.
Hatte sie jemand berührt? Ein plötzlicher Schreck, verbannte alle konfusen Gedanken von ihr.
Vor ihr stand der Mann von zuvor. Seine recht weiche Stimme wirkte erdrückend, wie Gewichte auf sie, doch die Überraschung und vor allem Erleichterung half ihr, selbst diese im Augenblick zu überwinden. Er sprach noch immer, redete auf sie ein, als sie schon längst den Wald verlassen hatten.
Auf ihn gestützt beobachtete Helen nur den erdigen Boden unter sich, registrierte, Steine, Wurzeln und Gestrüpp. Für alles andere, hatte sie bei weitem keinerlei Kraft mehr übrig. Lediglich ein Gedanke, eher ein Eindruck blieb ihr erhalten, der ihr die nötige Konzentration verlieh nicht unachtsam zu werden: die Ungewissheit über ihren recht unhöflichen Begleiter.

2. Identität

Aiden rannte, das ihm die Füße schmerzten. Er beachtete weder die feinen, scharfen Blätter die seine Kleider zerrissen, noch die Dornen die sich in seine Haut gruben. Er stoperte über den Boden, fiel über Wurzeln und Steine, blieb an Büschen hängen und sürzte kleinere Hänge hinunter. Seine Benommen- und Verwirrtheit hielt ihn auf den Beinen und ließ ihn rennen, ohne das er die Stiche in seiner Brust spürte.
Als sein Schritt langsamer wurde und die kalte Luft durch seine Lunge peitschte, wie kleine ziehende Hiebe, gelang es ihm, zur Ruhe zu kommen.
Sie hielt nicht lange.
Der Schmerz den er bereits vergessen hatte, zog sich durch seinen Körper und er bereute die hastige Flucht.
Seit Tagen war er nichts weiter, als seinen Eingebungen gefolgt, hatte sich Feinde aus Schatten und Sträuchern eingebildet und so etwas wie einen Orientierungssinn vollkommen verloren.
Er war, wie er sich nun bitterer weise eingestehen musste, verloren.
Vor kleinen Dörfern, Ansammlungen von Lehmhütten, selbst vor Wanderern, Zigeunern und anderen Menschen hatte er sich zurück gezogen und hielt sich so gut wie möglich versteckt.
Doch bald schon würde er an seine körperlichen Grenzen angekommen sein, denn schon vor Beginn seiner Reise war er verletzt und misshandelt worden.
Seine einzige Interesse galt - auch wenn es unter den gegebenen Umständen wahnsinnig klang - seinem Auftrag. Er hatte auszuharren und dem Wunsch seines Bruders nachzugehen. Sich selbst eine günstigere Entscheidung, als die Ausführung seines Auftrages abzuringen war unmöglich. Charakterlich hatte er sich in den letzten Jahren so entwickelt das es ihm ein Graus war, sich zu entscheiden. Zu viel Angst lag darin, eine falsche Richtung einzuschlagen. Er wollte aus seinen vergangenen Fehler und seiner schmerzenden Vergangenheit lernen. So entschied er nichts, außer die Entscheidung die Anfangs für ihn getroffen wurde zu befolgen. HelenKincaid konnte nicht mehr weit, von ihm entfernt sein.

Zwei Tage später

Die feindseligen Augen glänzten in der Nacht zu Aiden hinüber, streiften sein Gesicht und huschten, als sie bemerkt wurden schlagartig zu Boden. Fragen hämmerten in seinem Kopf herum und er atmete tief, wenn auch keineswegs gelassen, durch. Die Erinnerungen an die letzten Tage ließen ihn nicht in Ruhe, war er doch zu Stolz sich dies einzugestehen.
« Wir müssen ein Nachtlager aufbauen. », sagte Aiden stattdessen und starrte in eine ungefähre Richtung die er für Westen hielt.
« Müssen wir das, Sir? » , fragte Helen rhetorisch und legte so viel Spott in ihre Worte, wie es ihr nur möglich war. Höfflichkeit hielt sie hier nicht für passend, jedenfalls nicht solange sie ihren Willen durchzusetzen gedachte.
Aiden überhörte dies und machte sich daran eine versteckte Stelle inmitten einem Arial von Bäumen ausfindig zu machen, die er bei vorheriger Durchwanderung für geeignet gehalten hatte. Er fand sie ohne weitere Probleme.
Während den nächsten Stunden blieb es ruhig, keiner von beiden hörte Stimmen oder Anzeichen auf Leben in ihrer Nähe. Die Umgebung schien ausgestorben.
Helen sagte nichts, es war als würde sie einen inneren Kampf ausfechten ob sie sich übergeben müsste oder nicht. Aiden dagegen ging seid geraumer Zeit Auf und Ab. Er kehrte ihr den Rücken zu, zögerte einen Moment zu lang und blieb auf eine unerklärbare gewollt und wiederum nicht gewollte Art stehen. Er drehte sich zu ihr um und sah das ihr Blick auf ihm ruhte.
« Muss ich Eure Idiotie verstehen oder wärt Ihr jetzt so gütig mich aufzuklären? », fragte sie hochmütig, sodass er überrascht über diese Gemütsverstimmung, zunächst nichts sagte und sie ein zweits Mal nachhakte, ehe sie zu einer befriedigenden Antwort gelangte.
« Vor mehreren Tagen, haben Männer Eures Bruders Euren Aufenthaltsort herausgefunden, dies aber zunächst meinem Herrn Sir Craig mitgeteilt, was ich für überaus sinnvoll halte, da Eurer Bruder ein temperamentvolles Wesen hat. Wie mir schein, steht seine Schwester dem in nichts nach.»
« Wenn es sich hier um eine Beleidigung handelt, sollten Sie sich lieber nicht zu weit vorwagen. »
« Mein Herr leitete alles in die Wege, um Euch aus Eurem versteckten Aufenthaltsort herauszulocken und so schnell wie nur möglich sicher nach Hause zu geleiten - von mir, leider verpasste ich Euch... »
« Wie mir scheint, waren diese beiden Männer nicht die Eurigen, sonst wärt Ihr wohl kaum hier aufgetaucht. »
« Ganz richtig. », stimmte er ihr zu und wunderte sich ein weiteres Mal über ihren recht hochmütigen Ton. « Als wir das Desaster bemerkten, wurden Eure Spuren verfolgt und nach einer kleinen Verzögerung, habe ich Euch dann schließlich ausfindig gemacht. »
Seine Schultern entspannten sich, während er ihr die ganze Geschichte erzählte bis sie endlich ihre blutleeren Lippen übereinander legten und sie keine Fragen mehr an ihn zu richten wusste. Das man sie in Derby gefunden hatte, war Pech und nun eine feststehende Tatsache, die sie vorerst nicht zu verändern wusste.
Aiden spürte wie sich das Blut an seiner Nase langsam abbröckelte - ein Mann hatte ihm zuvor fast diesen Teil des Gesichts gebrochen- und ging zu ihr. Er wusste nicht wirklich was er falsches getan hatte, da sie still und merkwürdig zurückhalten wurde, konnte, sich aber schließlich mit Gewissheit sagen, dass sie einfach zu schwach war, als dass sie weiteren Widerstand hätte leisten können.
« Seid Ihr also mit meiner Antwort zur genüge gekommen? »
« Noch lange nicht. »
Diese Angriffslust hatte er nicht erwartet und amüsierte ihn ungewollt. Wahrscheinlich war Hochmut hier die falsche Beschreibung ihrer Art. Es war mehr etwas listiges, unnachgiebiges, das er nicht so recht einzuordnen verstand.
Er berührte sie sanft mit den Fingern und strich ihr über den Arm, sodass sie erst widerstrebend zusammen zuckte und ihn schließlich funkelnd anblickte, ganz so als wolle sie ihn für diese Ungehörigkeit bestrafen. Doch sie blieb Stumm und er packte die Gelegenheit um packte sie am Oberarm um sie näher zu betrachten. Sie klammerte sich stark an ihn und empfand kurz ein dankbares Gefühl das sie schnell wieder unterdrückte.
« Verdammter Dämon », nuschelte sie und hätte ihn am liebsten getreten, aus welchen Gründen auch immer, Oh Gott, war das vorerst letzte das sie dachte, als sie bemerkte wie jung er war.
Beklommenheit legte sich dafür über Aiden. Er hielt diese Frau noch immer und konnte sich trotz ihrer Nähe kein Bild von ihr machen, ihre Beleidigung ließ ihn kalt.
« Wir werden Morgen gewisse Dinge regeln müssen. », sagte er und versuchte dabei seine eigene Müdigkeit zu vertuschen, indem er seiner Stimme einen festen Ton gab.
« Wie zum Beispiel Euren Namen oder den Grund weshalb ich mich gerade in Eurer Begleitung befinde? So ganz alleine? »
Sie tat sich mit einem Ruck von ihm los und ließ sich in einiger Entfernung von ihm nieder, während er sie stillschweigend beobachtete. Fürs erste konnte er nur sagen, dass er sich mehr Ärger eingehandelt hatte als beabsichtigt und fragte sich wie er das überleben sollte.
« Aiden Christopher Black, Berufssoldat. Über meine persönlichen Gründe, auch was die geringe Anzahl meiner Männer anbelangt, die lediglich aus mir selbst besteht, könnt Ihr Euch gerne Euren schönen Kopf zerbrechen, aber ich werde Euch sicher nach Hause bringen. »
Helens Gesicht wurde blasser und ihre Hände zitterten unter ihren eigenen Last als sie versuchte sich hinzusetzten. Er tat es ihr nach und fühlte sich weniger geschwächt als angenommen, es war der Schock gewesen, einzig der Schock von zuvor.
Er atmete resigniert und erleichtert aus, doch das Gefühl der Benommenheit wollte sich nicht von ihm lösen und er spürte eine Welle des Zorns über seinen Körper fliegen. Seine Antwort schien sie nicht sehr zu befriedigen, geschweige denn zu überzeugen und er fragte sich worauf sie eigentlich wartete um ihm Kontra zu geben, wie zuvor.
Er hörte gerade noch die würgenden Geräusche, als sich das fremde Mädchen in seinem Augenwinkel übergab. Ihr schien es dadurch um einiges besser zu gehen und sie wischte sich mit ihrem zerrissenen Ärmel über den Mund, dessen Unterlippe bedrohlich vibrierte. Sie hatte wieder ein wenig Farbe bekommen und starrte ihn jetzt mit einer solchen Elendsmiene an, gezeugt durch Hass und Verzweiflung, dass er unwirkürlich zusammen zuckte.

Die Sonne erhob ihr Haupt schweigend und doch so anmutig und kräftig das man sich fasziniert und unerklärlich beruhigt von dieser beständigen Macht fühlte. Ein Vogelschwarm, eine kleine Familie, so dachte Aiden, sang ihre eigentlich nervtötenden Lieder und die Sonne tauchte alles in ein milchiges, helles Licht, dass die Atmosphäre mehr einem Traum glich.
Die einzelnen mit Tau bestückten Ranken und Kletterpflanzen glänzten verschwörerisch in dem morgendlichen Licht und die Luft war erfüllt von einer Reinlichkeit, als wäre der Wald gerade ebend erst aus der Erde gesprießen und hätte ein Netz aus Ästen, Blättern und Pflanzen über ihre Kinder erbaut.
Aiden trat beklommen unter dem Schutz einiger Bäume heraus, spürte das weiche, fast matschige Gras unter seinen Sohlen und vergaß für einen Augenblick die Zeit und Welt.
« Wohin geht Ihr? », entriss eine Stimme seine fliegenden Gedankengänge. Er drehte sich unverzüglich um und ging dem lieblichen Ton entgegen.
Ihre, Helens Augen verengten sich kurzerhand zu Schlitzen, als sie ihn erblickte und wurde mit ihrer voreiligen Meinung über den Soldat, die nun im Tageslicht betrachtet, so rein gar nicht zutreffend war, schnell eines besseren belehrt. Ohne jegliche Angrifffläche zu bieten wartete sie auf eine Gegenreaktion, nicht eher würde eine weitere Silbe über ihre Lippen gehen.
« Ich wollte mich keineswegs aufdrängen, Miss. », sagte er kurz angebunden.
« Ihr wart also nicht darauf aus mich in diese entsetzliche Situation zu bringen? », setzte sie heiser, jedoch verständlich nach. « Wir befinden uns mitten in der Wildnis! »
« Diese Situation ist durch Eure Tor- und Unentschlossenheit zustande gekommen. Sie verdient nicht im geringsten meinen Respekt, so bitte ich Euch mir keine Vorwürfe zu machen. »
Sie sah ihn gekränkt an, errötete leicht, war jedoch nicht so sehr in Verlegenheit, da sie ihre äußerliche Fassung nicht schnell wieder im Griff hatte.
« Ich wollte Euch nicht zu nahe kommen. » Er wand seinen Blick von ihr ab und war bereits im begriff kehrt zu machen, als ihn ihre Stimme an Ort und Stelle zurück hielt.
« Ihr seid mir nicht zu nahe gekommen. », sagte sie, änderte ihren leicht schüchternen Tonfall aber schnell wieder. « Ihr könntet mir niemals zu nahe kommen. Glaubt nicht ich wäre ein zierliches Püppchen das Euren Schutz und Euren Beistand sucht. In Euren Augen mag meine Handlung töricht erscheinen nur seht Ihr diese ebend aus einer voreingenommenen Perspektive. »
« Wer hat behauptet das dies meine Meinung sei? »
Sie fasste sich mit einem keuchenden Geräusch an ihren Kopf und schloss die Augen. « Was sollte dieser Deal von dem Ihr gestern geredet habt? », fragte sie. Keinesfalls wollte sie ihm auch noch einen Gefallen tun und ging nicht weiter auf seine Andeutung ein. Eine Antwort folgte jedoch nicht gleich. Ihm schien am Sinn und der Vollständigkeit seiner folgenden Worte viel zu liegen, dass er sie nicht einfach so in das sich erwärmende Gespräch werfen wollte.

« Zunächst habe ich lange Zeit auf Euch gewartet. Eure Spuren waren mir schon Vorgestern verloren gegangen und ich erhoffte mir nicht viel von meiner Orientierungslosigkeit die sich bald darauf einstellte. Doch das Schicksal war mir gnädig und ich erkannte Euch in dem Wirtshaus, wo einer Eurer angeblichen Soldaten mit Anmaßungen, Hohn und Abscheulichem, für seine Unfähigkeiten und niederträchtigen Vorhaben zeugte. Soweit dazu. Ich erkannte meine Chancen bald und nutzte sie, dem Soldaten beizureden mir läge etwas an seinem Angeboten, was dabei äußerst hilfreich war. Ich ergatterte sein Vertrauen und zog daraus wertvolle Informationen. Glaubt mir, ein Deal ist insofern bereits erfolgt, als das Ihr mir in dieser Hinsicht schon äußerst nützlich wart. »
Sie lachte grotesk, gespielt auf, was ihn unterbrach.
« Es gab keinen Anlass mich zu retten, seid Ihr auf Geld aus? »
Die harten Worte brachten ihn zwar nicht aus dem Konzept, verwirrten ihn jedoch, da er ein solches Temperament nicht gewöhnt war. Dies sagte er auch und erntete ein hämisches Lächeln, das er sich schockiert, tatsächlich fragte warum er ihr geholfen hatte.
« Ihr scheint noch immer an meinen Worten zu zweifeln. », sagte er gleichgültig.
« Vertrauen gebührt nur einem Menschen mit Ehre und Stolz, beides kann ich an Euch nicht finden. »
« So sind wir uns doch einig das wir einander nicht verstehen. Doch ist es Eure Art den Dingen so misstrauisch und negativ entgegen zu sehen? »
« Sollte ich das denn nicht sein? Wäre Vertrauen bei den beiden Soldaten angebracht gewesen? Und schenkte ich Euch nicht Vertrauen, als ich beschloss mich Euch anzuschließen ? »
Erschrocken, aber keineswegs beunruhigt empfand er das Gespräch als willkommen. Nach Tagelangen Durchwanderungen, war er es leid der Einsamkeit ausgesetzt zu sein und empfand einen gewissen Grad für Dankbarkeit, für diesen, mehr als unüblichen, dazu schwerfälligen Auftrag, der ihm dieses störrische Mädel eingeheimst hatte.
« Ihr widersprecht Euch, denn sagtet Ihr nicht ich verdiene kein Vertrauen, wo meine Ehre und mein Stolz doch so gering ausfallen, dass Ihr sie nicht auf den ersten Blick erkennen könnt? »
Er drehte sich von ihr weg um ihr weder sein belustigtes Gesicht noch den Anflug von Müdigkeit anmerken zu lassen. Es ging ihm miserabel, was er ihr unter keinen Umständen zeigen durfte.
« Vielleicht wurde ich in meiner ersten Ansicht über Euch von den Umständen getrübt. », gab sie zu und schwieg. Ein vorschnelles Urteil war in der Tat unratsam, da sie den Soldaten zwar bereits als harmlos, wenn auch recht gerissen und Intelligent betrachtete, ein Irrtum jedoch fatal wäre. Was ihre Menschenkenntnis ebenso wie ihre Sicherheit betrafen. Auch war Eitelkeit nicht minder beteiligt.
« Hier. », sagte Aiden schließlich, ohne weiter auf ihr vorheriges Thema einzugehen, und warf etwas das aussah wie sehr altes Brot, in ihre Richtung. Sie schlang es ohne ein Wort herunter und nahm hastig das Wasser welches er ihr jetzt reichte entgegen.
« Wie steht Ihr zu Sir Timothy Craig? », fragte sie nach einer peinlichen Pause.
« Er ist der zuverlässigste und familiärste Edelmann den ich kenne. Hattet Ihr bereits das Vergnügen Ihn kennen zu lernen? «
« Leider nein. Mein Bruder erzählt allerhand Dinge von ihm und seinen Reisen, doch selbst war mir seine Bekanntschaft noch nicht vergönnt. Er musst ein unglaublich gebildetes Wesen besitzen. »
« Gebildet? Es gibt zu viel als das wir das was wir bereits unsere Intelligenz nennen, uns selbst anrechnen können. Wissen ist relativ und Ihr solltet Euch nicht solche Gedanken darüber machen. Eine Bildung ist wichtig, doch nicht ausschlaggebend für eine zuvorkommende Persönlichkeit. »
« Wieder gehen unsere Meinungen auseinander. »

Sie war selbst überrascht über die Gesprächigkeit die sie an den Tag legte, wobei sie sich zwischendurch nicht sicher war ob sie ihn beschimpfen und treten oder vielleicht doch weiter reden lassen sollte. Nur eines konnte sie im Augenblick immer wieder betonen, dieser Mann war harmlos, wenn nicht sogar ausgesprochen nützlich, denn sie plante keineswegs zurück auf ihr Familienanwesen zu reisen.
« Was genau ist geschehen? Dort in dem Wirtshaus, als ich...als der Kampf ausbrach? »
« Ich kann es Euch nicht genau sagen, diese Irren sind auf sich selbst losgegangen, wie die Wölfe. Dieses Pack hat mich unterschätzt, wie es die meisten Menschen tun. », nuschelte er vor sich hin und ballte unbewusste seine Hand zur Faust. Helen stand mit einem Mal bedrohlich auf, ihre Schultern gespannt und den Blick eiskalt.
« Fehleinschätzungen sind in der Tat etwas schreckliches. » Ihre Stimme war so ruhig, wie ein fließender winziger Bach und doch so eiskalt, als wäre er gefroren. Jeglicher Anflug von Sympathie war verschwunden. Ihre Faust spannte sich fester an und sie grub ihre Fingernägel tief in ihr Fleisch.
« Die Frage nach der eigenen Existenz, nach den Gefühlen und Abgründen, Regungen und Entscheidungen. Ich glaube diese Dinge beschäftigen Euch mehr als Ihr es zugeben wollt. Es steht mir nicht zu Euch danach zu fragen. Der Grund für Eure, ähm, Flucht aus Kincaids ridge war selbstredend nicht unbegründet, doch glaube ich mehr über solche Empfindungen zu wissen, als Ihr zu diesem Zeitpunkt ahnt. »
Das plötzliche abwesende Reden seinerseits verwirrte sie und doch hatte sie nichts anderes erwartet. Er führte sich auf wie ein misshandelter Hund. Es stand außer Frage das ihm schreckliches zuvor zugestoßen war.
« Ich danke Euch für Eure Anteilnahme. Natürlich habe ich meine Beweggründe, die selbst den vernünftigsten Menschen....aber hören wir auf davon. »
Sie blieben nun stumm und Helen blickte gen Himmel und streckte sich, fast so als wäre sie aus einem langen Winterschlaf erwacht.
Erschrocken durch die Wahrheit seiner Worte, die sie schon so lange zu niemanden außer sich selbst gepredigt hatte, erschienen ihr die letzteren Ereignisse unrealistisch. Dann spähte sie durch die Bäume um ein Stücken blauen Himmel zu entdecken und gewöhnte sich langsam an den Gedanken in der, überraschender Weise recht angenehmen Gesellschaft Mr Blacks zu reisen.
« Ihr fragt Euch noch immer wer ich bin? »
« Gewiss nicht, Eure Erklärung reicht mir zu genüge. Ich will Eure Worte nicht weiter anzweifeln. »
Auf diese Worte lächelte er vorsichtig, entdeckte sie an ihm doch eine plötzliche Melancholie die in seinen Augen, die von seinem Lächeln ausgeschlossen zu sein schien, zum Vorschein kamen.
« Von offener Konfrontation, bis üblen Auseinandersetzungen, Gesichtspunkten, Argumentationen...es gibt so viele Arten des Diskutierens und Streitens. Ich bin sie alle leid. Ich hoffe nicht damit mein Misstrauen zu entschuldigen, es jedoch verständlicher zu machen. »
« Ich verstehe. » sagte er und fühlte nichts als die Wahrheit.
Für den Moment kehrte Ruhe ein. Es war gut und Aiden fühlte sich ruhig, schläfrig und unglaublich berauscht.
Stunden vergingen. Des Schlafes, des Wachens und Wanderns, ebenso wie des Träumens.

Aiden wachte mitten in einem verqueren Traum über sich bewegende Felswände auf, den er trotz offener Augen noch deutlich vor sich sah. Es war einer dieser Moment in denen man nicht wusste ob etwas passieren oder wie gewohnt doch alles ruhig bleiben würde und nur langsam kam das Gefühl der Sicherheit zurück. Er nahm seine Umwelt war, sog die Gerüche und Geräusche in sich auf, um sich ein Bild von dem zu machen, was er über die Stunden des Schlafens vergessen hatte und, um zu realisieren wo er sich überhaupt befand. Unmittelbar darauf kehrte seine Erinnerung zurück und als er sich auflehnte sah er sich einem im verborgenen sitzen, wachsam wartenden und ihn beobachtenden Menschen gegenüber.
« Wieder beruhigt, Soldat? », fragte Helen mit einer Stimme die auf nichts weiter, als auf höffliches Interesse hinwies.
« Ich denke schon, ja. Ich habe nur zuvor zu viel erzählt, o Himmel, wahrlich zu viel. Das ist mir nicht gut bekommen. » Er stand auf, schwankte bei den ersten Schritten und hielt sich dann kommentarlos an einem der nahen Bäume fest.
« Was habt Ihr nun vor? »
« Wir gehen. » Für kurze Zeit war sie sprachlos, irritiert und wohl auch ein bisschen angrifflustig, versuchte aber gleichgültig zu sprechen.
« Euch ist es ernst mit Eurem Auftrag? »
« Von Ernsthaftigkeit halte ich nicht sehr viel. Sie kann die Sicht auf einzelne Dinge, manchmal sehr erschweren. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen das es Euch nicht peinlich Berühren muss, auf diese Art zu Eurer Familie zurückzukehren. Diese Schande ist nicht einfach zu tragen, so hoffe ich das ich Euch die Anreise umso angenehmer gestalten kann. »
« Angenehm? Ihr mögt vielleicht ein Gentleman sein, doch vergesst Ihr Euch. Von vornherein, wart Ihr auf Eure eigenen Interessen konzentriert. Es ist mir nicht entgangen das Ihr Euch in einem beklagenswerten gesundheitlichen Zustand befindet. Verschont mich also mich solchen leeren Worten. »
« Ihr seht müde aus. », sagte er und lächelte sie zuvorkommend an, so dass sie hochmütig über seine Ignoranz hinwegsah.
Er blickte auf ihre blasse und zierliche Gestalt, sowie tief in diese dunklen, so viel erzählenden Augen. O Gott und wie sie erzählten, Bände von Büchern könnte man mit ihnen verfassen. Sie hielt seinem Blick stand, musterte ihn ebenso sorgfältig wie kritisch und ließ dabei weder sein von der Sonne aufleuchtendes, schwarzes Haar, seine gelblichen Augenpaare und sein noch jugendliches Gesichts außer acht. Seine Kleidung bestand aus einer schlichten Kniehose, Hemd und Weste, von ehemals guter Qualität. Sie waren abgetragen und zerfetzt und stimmten so gar nicht mit seinen ausgeprägten Wangenknochen, seiner hohen Körpergröße und der geraden Nase die ihm ein ausdrucksvolle Züge gaben, überein.
« Ja ich bin müde, angesichts meiner unfreiwilligen Entführung kann man mir dies nicht verübeln. »
« Gewiss nicht, Mademoselle. » Er machte eine übertriebene Verbeugung, die eventuelle komisch wirken sollte, doch sein Gesicht war wie kalter Granit.
« Verdammt. Ihr seid ein Dämon... », sagte sie und glaubte es beinahe tatsächlich.
« Dann ist Euch die Sorge Eures Bruders gleichgültig? Eure Entführung, wie Ihr es nennt, hätte vermieden werden können, hätte Eure - so nennt mich einen Dämon - Dickköpfigkeit und Intoleranz Euch nicht auf eine unschickliche Bahn getrieben. Ihr seid an Eurem Schicksal selbst schuld. »
« Ja! Und verdammt ich bereue es nicht. »
Sie blickten sich lange in die so unterschiedlichen Augen, sagten aber auch Minutenlang kein Wort. Helen hatte sich über die Stunden überlegt dem Soldaten fürs erste zu folgen. Er könnte ihr helfen nach Derby zurückzukehren und ihr Zuhause zu umgehen. Auch wenn er ihr tatsächlich wie ein aus der Hölle herbeigeschickter Dämon erschien, war er wohl in Wirklichkeit nur ein Psychopath oder Verrückter, der bedingungslos den Befehlen seines Herrn folgte. Hätte sie zu diesem Zeitpunkt jedoch gewusst, wie sein wahrer Charakter aussah, wäre ihr vielleicht der Gedanke gekommen offen alle Tatsachen auf den Tisch zu legen und ihn dazu zu bewegen, sogleich nach Derby zu reisen.
« Hättet Ihr keine Angst vor dem Zorn Eurer Familie? » Diese Worte wurden von ihr so sanft und plötzlich in den Raum gestellt das er sie verblüfft anstarrte. Er war bereits so aufgebracht, das er einfach darauf los redete und jegliches Scharm oder Warngefühl außer acht ließ.
« Ich habe Angst, mit jedem Atemzug, jedem Schritt und jeder Bewegung. Vor den Unsichtbaren, den Augen der Nacht, den Menschen und Dämonen. Doch keineswegs vor Gefühlen wie Zorn. »
« Mir raubt es den Atem. Es ist wie ein Zittern das durch mein Innerstes fährt und Hass erfüllt mich. »
Dieses Mädchen. Er konnte es nicht begreifen, wer war sie, vor allem was war sie? Diese Worten waren echt und zeugten von Erfahrungen. Hoben sich beinahe in Bildern von ihr ab und spiegelten das wieder was er selbst nicht hätte besser beschreiben können.
« Ja solche Angst ist natürlich. », antwortete er mit klarer, erhobener Stimme. « Aber ich frage mich warum Ihr Reißaus genommen habt, wenn Ihr die Folgen jetzt nun mit solcher Furcht anseht? »
« Weil diese Furcht aus den Konsequenzen entstanden ist, die erst später eingetroffen sind. Das Vergangene nehme ich mir selbst in keinster Weise übel. Auch wenn ich es nicht rechtfertigen werde, es geht Euch nichts an, glaube ich doch, das ich richtig gehandelt habe. »
« Was war der Grund für Eure Flucht? »
« Ihr vergesst Euch erneut, Soldat. », schärfte sie ihm ein und sah ihn tadelnd an.
Ihr Weg führte sie durch tiefes Geäst und versteckte Wege. Es würde noch lange andauern bis sie ihr Ziel erreichen würden und Aiden hoffte, dass ihr Bruder bereits informiert worden war. Es könnte zu leicht zu Missverständnissen aufgrund seiner Person kommen.
Er schluckte und spürte, dass er sich da gerade auf ein gefährliches Spiel eingelassen hatte. Wenn er auch von Helens Plänen nichts wusste, so musste auch er, dringlich nach Derby reisen, er selbst schwebte nämlich in großer Gefahr. Gefahr die nach seinem Leben trachtete.

3. Waldgeister

Der Hunger trieb sie beide vorwärts und keine Minute verging in der Aiden sich nicht umdrehte aus Furcht vor den Augen des Waldes. Dieser hob sich dunkel und mit feinen Linien von dem matten Licht das in dieser klaren Nacht herrschte, ab. Seiner Begleitung wollte er nicht seine eigentliche Gefühle preis geben und machte sich in ihrer Nähe neuerdings, mit groben und abgehackten Befehlen unbeliebt.
Es war eine solche Minute und seine Gedanken brannten in seinem Kopf, sie hörten sich weit entfernt und fremd an, obwohl er sicher war, dass es die seinen waren.
Warnend blickte er über seine Schulter, ein schwarzes Seidentuch umhüllte den Wald und ließ ihn innerlich frösteln, obwohl es für eine solche Sommernacht angenehm warm und klar war.
Von überallher strömten fremde Geräusche zu ihm, die ihn beunruhigten und je nach Intensität ein kleines inneres Feuer aufflammen ließen. Aufgrund der nicht zu vermeidenden Furcht schloss er seine Augen, sein Puls schlug leicht und regelmäßig, sein Atem jedoch, wurde merklich schwerer, so dass ein leicht schwindeliges Gefühl seinen Körper fesselte.
Er spürte die verbrauchte Kraft, fühlte sich leer und wünschte er bräuchte die Augenlieder nicht mehr zu öffnen, als er ein lautes Geräusch vernahm.
« Es ist so friedlich und doch als wäre man nicht allein. », setze Helen an ihr voriges, kurzes Gespräch an ohne, dass er ihr wirklich zuhörte.
Mit seinem rechten Zeigefinger tastete Aiden sich instinktiv vorsichtig bis an seine Schläfe vor und fing an sie sanft im Uhrzeigersinn zu massieren.
Ihre Auflehnende, listige und kämpferische Ader, die er bereits bemerkt hatte, war wie ausgesaugt und hatte sich tief in ihr Inneres zurück gezogen. Waren die Auswirkungen der strapazierenden Reise so groß für sie, so dass sie sich selbst zügelte und unter Kontrolle hielt? Oder war sie empört über seine Anwesenheit? Über die eines einfachen Soldaten? Hatte sie etwa George den dritten erwartet? Oder konnte sie nach ihrem verdrehten und intimen Gespräch seinen Namen nicht zu seinem Gesicht ordnen. Namen waren etwas schreckliches, stellte er fest und schüttelte genervt den Kopf.
Er hasste es alleine in der grenzlosen Dunkelheit umherzuwandern und war im Grunde froh über eine Abwechslung. Entschlossen stellte er sich gerade hin, drückte seinen Rücken durch und spürte das Knacksen der Knochen. Er öffnete die Augen, ließ sie blitzschnell umherirren und fing an sich auf der suche nach fremden Geräuschen zu konzentrieren. Er spürte Helens forschenden Blick auf ihm, welcher durch seine Knochen irrte, wie ein Regen spitzer Nadeln. Ansonsten geschah nichts, es gab nur sie beide.
« Die Waldgeister, kennt Ihr ihre Geschichte? »
Sie schüttelte den Kopf und sah ihn mehr an den Worten, als an dem Inhalt interessiert, begierig an.
« Als Kind habe ich dutzende Geschichten über sie aufgeschnappt. Sie sind klein und verhutzelt, stark behaart und ihr Gesicht ist faltig und rissig. Sie leben hier einfach mitten unter uns im Wald. »
Helen versuchte sich in Gedanken den Hochgewachsenen Mann als spielendes und lachendes Kind vorzustellen, gelangte aber zu einem Punkt der ihr sagte, dass er das niemals gewesen sein konnte.
« Man gab ihnen die Schuld für Vermisste oder Unfälle, jedenfalls meistens...manche sagen auch sie seien gute Wesen und wenn man ihnen Opfer bringt, würden sie einem Gold dafür geben. »
« Warum erzählt Ihr mir das? »
« Ich weiß es nicht, ehrlich. Es ist mir nur gerade in den Sinn gekommen, denn manchmal, fühle ich...kommt es mir so vor als würde...als würde ihr gesamter Zorn durch den Wald streifen und sich ab und zu auf meine Schultern setzten, als Strafte weil sie mich hier nicht haben wollen. »
Er seufzte resigniert und blieb stehen, worauf Helen ihn verdutzt anblickte.
« Ich finde wir sollten jetzt schlafen. » Er deutete einladend auf die umher liegenden Büsche und zuckte ironisch mit dem Mundwinkel.
« Etwas besseres kann ich einer Dame zum jetzigen Zeitpunkt nicht anbieten. »
« Es wird gehen. », gab sie schlicht als Antwort und folgte seinem Beispiel sich auf dem kühlen Boden nieder zu lassen.
Ein Opfer das ihn ein Leben lang den Segen der Waldgeister sicherte, dachte er geistesabwesend. Er blickte zu Helen herüber und fragte sich insgeheim, worüber sie nachdachte, was ihre Augen gerade widerspiegelten und was sie ihn den seinen las. Sie hatten gemeinsam und doch jeder für sich selbst ein unausgesprochenes Bündnis, ein Versprechen getroffen, beschrieen oder kritisierten sich weder, sondern versuchten so gut es ging sich zu tolerieren. Die Sache sollte so schnell wie möglich vollendet werden.
Er hoffte mit Helens Orientierung und nötigenfalls mit seinen Waffen zu ihrem Gut nördlich von Shrewsbury, Kincaids ridge, zu gelangen. Immerhin war sie in dieser Ortschaft aufgewachsen.
Danach konnte jeder seines eigenen Weges gehen, so hoffte er jedenfalls, auch wenn das für ihn wieder bedeutete allein zu sein. Er hatte den Drang aufzustöhnen, schluckte die Versuchung aber stur herunter und ging systematisch noch einmal die Begegnung mit Helen durch.
Mit einer fremden Frau über mehr als Höfflichkeiten zu sprechen war ihm neu und hätte ihn unter normalen Umständen zur Verzweiflung gebracht, denn vertrauen tat er niemanden, nicht einmal jetzt. Sein Blick wanderte über die Gestalt seiner Gedanken und wieder zurück auf den undefinierten Punkt den er achtlos mitten in seinen Gedankengängen ausgewählt hatte. Es war der Moment gewesen, die Begierde zu sprechen und die Art mit der sie geantwortet, provoziert, ihn aber auch beeindruckt und unsicher hatte werden lassen, wer war sie wirklich? Er beobachtete, unbewusst noch eine Weile wie Helen sich ein Bett aus Blättern zusammenlegte, spürte noch wie seine Augenlieder langsam zu glitten und schon träumte er und versuchte den Tag langsam und geduldig zu verarbeiten.

Er erwachte verstört und unruhig, wie mit kalten Wasser übergossen. Es dämmerte und morgendliche, zarte Luft breite sich in dem dichten Wald aus. Trotz alle dem war es noch immer dunkel und er rieb sich müde den Schlaf aus den Augen und fuhr sich achtlos mit der Hand durch sein struppiges Haar. Sein Blick fuhr nach unten und ihn überfiel ein starkes Déjà - vu Gefühl, als er das Mädchen mit angespannten Muskeln und weit aufgerissenen Augen dort stehen sah. Er ging zu ihr. Seine Hand fuhr an ihre Schulter, um sie zu berühren, doch noch in der Bewegung hielt er inne und drehte sich nervös um. Auch seine Augen weiteten sich vor Schreck und er blickte hilfesuchend wieder zu Helen zurück.
« Wir müssen sofort von hier fort. », versuchte er ihr klar zu machen, während sich die stampfenden, niederschlagenden und vorkämpfenden Geräusche der Schwerter und Säbel, dutzender Menschen durch den Wald bahnte.
Ihre Schritte halten dumpf und schwer auf dem Boden wieder, ihr flach ausstoßender Atem ging schnell und ihre sich durch das Gestrüpp suchenden Bewegungen stießen bis tief in Aidens Ohren vor. Hunde hechelten wahrscheinlich an ihren Seiten und er spürte wie sie seine und Helens Gerüche tief in ihre Nasen ein sogen. Das Getrappel und geschnaufte einzelner Pferde vermischte sich mit ihren Geräuschen und sicherte dem gesamten Trupp einen ordentlichen Lärm. Er umfasste Helens Schultern mit grober Gewalt und versuchte sie mit sich zu ziehen ohne eine blasse Ahnung zu haben warum sie sich offenbar nichts aus seinen Bemühungen machte.
« Verdammt, Ihr hört sie doch auch! Warum habt Ihr mich nicht gleich geweckt als Ihr sie bemerkt habt? »
Seine Worte flogen an ihr vorbei ohne eine Wirkung zu zeigen, sodass sein Geduldsfaden drohend anfing sich zu dehnen.
« Sie sind hinter mir her. », sagte sie leise aber bestimmt. « Es ist besser wenn Ihr jetzt verschwindet , ich bleibe hier und warte auf sie. »
« Was in aller Welt ist mit Euch los? Ich weiß, der Hunger und die Müdigkeit nagen auch an mir. Es wäre jedoch sinnlos diese Art von Begegnung auf einen Konflikt zusteuern zu lassen. »
« Ist es nicht viel mehr so, als dass die Soldaten nichts von Euren Unternehmungen wissen und Ihr Euch um Eurer eigenes Wohl sorgt. »
Ihr Blick war jetzt gebannt auf ihn gerichtet und schimmerte Starrsinn und Wut aus.
« Noch ist es nicht zu spät zu fliehen. Die Soldaten Eures Bruders sind nicht zu unterschätzten was Gier und Brutalität anbelangt. Ihr könnt Sie nicht länger als Euch Untergebene betrachten. »
« Wir schaffen es so oder so nicht aus diesem verfluchten Wald hinaus zu kommen, ohne das man uns entdecken würde. Außerdem bezweifle ich das Ihr überhaupt zu solch einem Wissen bemächtigt seid. Als einfacher Milizsoldat, habt Ihr keinerlei Beweise, eine so schwerwiegende Behauptung zu rechtfertigen. », entgegnete sie gereizt.
« Wir könnten es schaffen. Und glaubt mir, ich kann es rechtfertigen, diese Soldaten handeln für Ihren Onkel, den es weit weniger interessiert, was mit seiner Nichte passiert. »
Er drehte sich unsicher um, die Geräusche erklangen dicht hinter ihm und er hoffte inständig das ihnen noch einige Sekunden des Vorsprungs bleiben würden.
« Ich werde Euch beschützen, auch vor ihnen, verdammt das verspreche ich Euch. Euer Onkel soll nicht in den Genuss eines Sieges gelangen, dessen Ausgang noch offen steht. »
Ohne eine Antwort abzuwarten packte er sie gewaltsam und ohne jegliche Vorwarnung am Handgelenk und riss sie mit einem gewaltigen Ruck mit sich. Sie folgte ihm mehr oder weniger Freiwillig schnell, die Gedanken bei den Verfolgern. Sie spürte sie dicht hinter sich, fühlte die Augenpaare auf sich und bekam eine Gänsehaut auf ihren Armen, Aiden bemerkte es sofort und zog sie mit einem weiteren Ruck näher zu sich. Er bahnte sich den Weg durch das hängende Gestrüpp und entschied die eingeschlagene Richtung ohne einen Gedanken an Orientierung oder sonst etwas zu verschwenden. Schließlich packte er sie fest und drückte sie mit einem Arm an seinen Körper, während er mit einem Satz in einen nahe gelegenen Busch, der unter einen schlecht sichtbaren Hang stand sprang. Sie landeten dumpf, aber ohne einen Mucks.
Helen wehrte sich nun beinahe panisch gegen seine sie tragenden Arm und er ließ sie wütend und erstaunt los. Sie schwankte, als sie aufstehen wollte, wurde aber von Aiden zu sich gezogen.
« Ihr seid so töricht! Kommt zur Vernunft und seid ruhig. », zischte er beinahe schäumend vor Wut.
« Was soll ich denn in anbetracht der Dinge glauben? Ihr sied wahnsinnig, wenn Ihr glaubt, ich würde nicht misstrauisch werden, wenn ein solches Bataillon nach mir sucht. »
« Ach ja? », fragte er sarkastisch und musterte ihre sich aufbäumende Gestalt.
« Dies sind Männer von unserem Gut. »
« Was Euch herzlich wenig interessiert. Ihr sagtet zwar bereits Ihr seid vor den Soldaten von zuvor nur geflohen, da Ihr Ihnen von Beginn an misstraut habt, doch schließe ich die Möglichkeit nicht aus, dass Ihr Euch auch im Falle eines sicheren Geleitschutzes, davon hättet stehlen wollen. »
Anklagend warnte er sie mit Blicken vor weiteren unüberlegten Handlungen und versuchte dann etwas durch das Gestrüpp von den Patrouillen auszumachen. Sie und ihn trennten nur wenige Meter, was ihn ein wenig beunruhigte. Helen machte den Mund auf, verstummte aber angesichts seines glühenden Blickes schlagartig und nuschelte etwas vor sich hin. Er beobachtete und lauschte noch eine Weile, spürte aber sogleich den schwankenden Hüpfer seines Herzens als ihm die Hunde erneut einfielen.
Er schloss resigniert die Augen und wand sich zu Helen.
« Ihr bleibt hier. », sagte er in einem Ton der keine Widerrede duldete. « Ihr bleibt genau hier, bis ich komme und Euch abhole. »
« Den Teufel werde ich tun. », entgegnete sie, jedoch mit zunehmend unsicherer Stimme.
« Ihr bleibt hier. »
Bei den Worten packte er ihren Arm und drückte ihn fest. « Ich werde uns eines der Pferde besorgen und komme dann sofort wieder her, um Euch von hier fortzubringen. »
« Aber- », wollte sie ansetzten.
« Aber ich kann nicht kämpfen, glaubt Ihr ich weiß das nicht? Ich habe panische Angst und wenn Ihr wenigstens etwas von einem Ehrgefühl besitzt dann bleibt Ihr gefälligst hier sitzen und wartet auf mich.
Er hatte angefangen seine Stimme zu erheben und spekulierte damit, dass der Wind sie schon nicht zu den Männern tragen würde.
« Ich habe Euch bereits zuvor meinen Schutz versichert, also zweifelt nicht an der Ehrlichkeit meiner Worte. »
Sie sagte nichts mehr, nur ein undefinierbarer Gesichtsausdruck, eine Mischung aus Dank und Widerspruch blieb ihm, bevor er mit gewagten Sprüngen aus dem Gebüsch heraushechtete.
Ihm war heiß doch innerlich zitterte er vor Kälte. Wobei er sich den Weg durch die Ebenen des Waldes bahnte. Der nahende Sonnenaufgang setzte die Nacht in einen merkwürdigen Zustand der Spaltung der ihm nur allzu vertraut war und gleichzeitig sein anhaltendes Déjà - vu noch zusätzlich prägte.
Mit einem plötzlich Schlag war es zerstört. Ein Zittern des Bodens ließ ihn aufschrecken und in die Wirklichkeit zurück kehren.
Waren das die Waldgeister die ihn holten? Die bösen Feen die zwischen den Ebenen der Welten schwebten oder ein böser Traum? Weder noch, und er schüttelte energisch den Kopf, um sich von den wirren Gedanken zu lösen. Er konnte klar die Geräusche der Menschen, selbst der Tiere ausmachen und wich unbewusst einige Schritte zurück. Für einen Rückzug war es nun wahrlich zu spät. Ein Geruch nach Nässe und Schlamm strich umher, während er sein Gewicht von einem auf das andere Bein verlagerte, nur um sich zu vergewissern das er sie noch in der Lage befand sie sicher zu bewegen.
Dann kamen sie und zwar zu dutzenden. Er war fast komplett eingekesselt und spürte den Kreis der menschlichen Emotionen, um sich herum. der sich langsam, aber bestimmt schloss. Schweiß und Männergeruch klebte an ihnen und ließ ihn unwirkürlich aufschaudern. Seine Angst war jetzt so groß, dass er wie in Trance da stand und sie fast vergaß.
Das er ein Soldat sein sollte, war eine Lüge, die ihn nun strafen sollte.
Er schaute in die einzelnen Gesichter und fand nichts darin was er mit Bestimmtheit in Worte hätte fassen können, so unterschiedlich fielen ihre Reaktionen angesichts seiner Statur aus.
Eine leichte Übelkeit überkam ihn, aber er versuchte trotzdem einen vernünftigen Plan zu fassen, wobei er wusste das davonrennen schier unmöglich war. Er hatte ein, zwei Soldaten erwartet, die vor allem er finden würde und nicht andersherum.
Etwas sagen, geschweige denn einen Laut von sich zu geben würde nicht helfen, ganz im Gegenteil und so starrte er auf das frühmorgendliche Komitee.
Er spürte wie seine Muskeln taub wurden und fing an sich zu bewegen, die Männer dagegen rissen ihre Augen auf und als hätten sie nur darauf gewartet stürmten sie voller Panik und mitreißender Kampfeslust auf ihn ein. Ihre Köpfe waren von Adrenalin und Alkohol zu benebelt. Sie hätten nicht einmal ein Kind verschont.
Mit einem schützenden Sprung hechtete er nach hinten und spürte sogleich einen gleißenden Schmerz als ihn ein heftiger Schlag zu Boden riss. Mit einer ruckartigen Armbewegung wehrte er sich und stieß jemanden seinen Ellbogen mitten ins Gesicht. Der Getroffene wurde durch den Schmerz des Schlages abgelenkt und torkelte gegen einen der Bäume. Seine Lippe blutete. Für einen kurzen Augenblick kehrte Ruhe ein und jeder starrte wie gebannt auf den Verletzen. Selbst Aiden, dann spürte er die auf ihn Prügelnde Masse und ihre schwankende Wut.
« Du Abschaum von Desateur », hörte er eine dunkle Stimme rufen als er einen heftigen Schlag in die Brust bekam. Zusammengekrampft zuckte er zusammen, wieder überkam ihn schreckliche Angst. Auf allen Vieren ein Stück taumelnd ballte er die Hände zu Fäusten. Für einige Sekunden entkam er so dem Schlagfeuer und richtet sich erneut auf.
Einer der Männer packte ihm am Kragen und gab ihn mit seinem Knie einen Tritt. Die Menge jaulte und gab Beifallsrufe, während derbe Beleidigungen umher geworfen wurden. Der Tritt traf ihn unerwartet und auf den ersten Schock folgte Blut das er in Schleimattacken auszuspucken begann. Seine Pupillen wurden klein und das bisschen Farbe entwich seinem Gesicht, sodass er schon jetzt kraftlos und beinahe tot aussah.
Sein Kopf und Herz waren so verschiedener Meinung das er bitterlich Schluchzen musste. Es war ein lauter, hoher Ton der ihn dazu verleitete sich die zittrige Hand vor den Mund zu halten, um weitere Geräusche zu vermeiden. Seinen Peinigern wollte er keinerlei Blöße zeigen. Sie lachten ungeniert, aber lieber wollte er an den aufsteigenden Tränen vergehen.
Seine Augen schlossen sich. Vorsichtig versuchte er sich zu konzentrieren und ohne weiters nachdenken befreite er sich überrascht aus dem Griff seines Angreifers und rammte diesen mit all seiner verbleibenden Kraft seinen Schädel in den Bauch. Sein Puls hämmerte mörderisch.
Fast wie in Trance ging er Schritt um Schritt nach vorne, während das Brüllen und Bellen der Männer und Hunde von Zorn gezeichnet waren.
Er holte mit seinen Fäusten und Beinen aus, schlug um sich und traf oder verfehlte. Er schnitt Luft, bekam einen Knochenzerschmetternden Kinnhaken und fiel resigniert auf den Boden. Die lauernden Bestien stießen freudiges Gebrüll aus ihren Mäulern und traten und spuckten auf seine leblos wirkende Gestalt.
Er spürte, schmeckte sein Blut und das seiner Feinde. Es widerte ihn an.
Dann grunzte er. Aus schierer verzweifelter Belustigung die ihm unlogisch und zugleich verrückt vorkam.
Alle Geräusche kamen ihm unnatürlich laut vor und jeder Gedanke brannte schmerzhaft, während er die Männer unbeholfen anstierte. Sein linkes Auge fühlte sich geschwollen an, sein Bein zuckte, sein Mund war voller Blut und er lachte. Die Luft um ihn herum wurde dicker, es wurde heller und jemand rief von weit her einige Wort.
Das laute Pochen seines Herzens überrumpelte ihn ebenso wie der Schrei der an seinen Ohren vorbei getragen wurde und er bis entschlossen die Zähne zusammen.
Noch, bevor er genau wusste was er tat hatte sich sein Körper selbstständig gemacht.
Um ihn herum regten sich die Schatten seiner Feinde, er drehte sich um klammerte und grub seine Hände in den Baum hinter sich und sah die undefinierten Konturen, die gestaltlosen Winde die sich in seinem Kopf zu wirren Phantasiegestalten veränderten.
Ein Mann kam.
Er hatte sein Schwert gezogen und hieb mit brutaler, aber blinder Gewalt nach ihm, sodass er, wäre der Soldat nicht zu langsam und fett gewesen lange tot gewesen wäre.
Ein anderer, ermutigt durch den ersten Angriff kam nun ebenfalls auf ihn losgestürmt. Aidens Augen tränten, was ihm die Sicht raubte. Er duckte sich lediglich und vernahm das Aufstöhnen des Mannes der seine Faust in den Baum gerammt hatte. Der Mann mit dem Schwert dagegen blickte ihn verständnislos an, was er nutze und ihm mit seinem gesamten Gewicht rammte. Erst jetzt bemerkte er das sie nur noch zu dritt waren. Die Soldaten zuvor waren dem undefinierbaren Ruf gefolgt den er verschwommen im Gedächtnis behalten hatte.
Sein Opfer krümmte sich und hielt sich schützend die Hände vor den Körper, stand aber auf, schwankte, lief noch einige Schritte rückwärts und fiel dann abermals.
Aiden dagegen versetzte dem Soldat, der ihm den Schädel einschlagen wollte einen festen Schlag in die Magengrube und nahm dessen Schwert.
« Ich töte ihn. », sagte er kalt und voller Wahnsinn in den Augen, fasste den sich krümmenden Mann der vor ihm auf dem Boden lag am Haarschopf und zog ihn Kräfte aufwendend ein Stückweit hoch. Die andere Mann schwieg und er nutze die Gelegenheit sich die aufgerissenen Lippen mit seiner Zunge anzufeuchten, damit er besser sprechen konnte.
« Ich werde jetzt verschwinden und ihn töten oder aber- »
Er sah in direkt an und vergewisserte sich der Angst die er empfand. « oder ich töte euch beide. »
Natürlich beabsichtige er keines davon, nur wusste dies keiner seiner Feinde. Solange er nur die Kontrolle über sie hatte würden sie ihm als vorheriges Opfer diese Taten zutrauen, selbst wenn sie sich nicht im Rahmen seiner Möglichkeiten befanden.
Er keuchte vor Anstrengung auf und ließ den Mann ein wenig sinken, der Schweiß war ihm ausgebrochen und rann ihm die Schulterblätter hinunter, was ihm die Nackenhaare prickelnd aufstellen ließ.
Er schloss kurz die Augen und wischte sich mit dem Schwert in der Hand über die Stirn.
Ein Fehler.
Die Hölle brach aus und er verlor die Kontrolle über die Männer, die diese Geste als Zeichen der Schwäche interpretiert hatten, sodass er gezwungen war den Mann auf der Stelle frei zu geben und zu rennen, so schnell er konnte.
Sein Atem rasselte schwer in seinen Lungen das ihm schwindelig wurde, seine Hand umklammerte noch immer das Schwert so fest das es schmerzte. Es war ihm egal.
Seine Füße rannten unkontrolliert in eine Richtung, er trat auf einen Ast, er zerbrach unter seinem Gewicht. Er stolperte und fing sich mit seinen Händen auf.
Er zerschrammte sie sich, doch auch das war egal, denn in der nächsten Sekunde war er wieder auf den Beinen, rannte und spürte die Schmerzen nicht mehr.

Welch unüberlegte Dummheit, dachte Helen wütend und presste die Lippen aufeinander, ich hätte ihm nicht trauen sollen. Was soll nun geschehen? Sie hatte ihm ja viel zugetraut, wirklich viel, doch das nun wirklich nicht, es war wahrlich zu viel. Was hatte er sich überhaupt dabei gedacht? Aber ich kann nicht kämpfen... wie ignorant kann man eigentlich sein? Sie ballte ihre Hände unbewusst zu Faustballen und machte ein schnaubendes Geräusch das zuerst Sorge, dann blanke Wut ausdrücken sollte. Einen Soldaten von wahrer Statur hätte einen solche Situation nicht auf die gleiche Weise aus der Fassung gebracht, wie es bei Aiden der Fall gewesen war. Aiden Black, war ebenso wenig ein Soldat und stand ebenso wenig unter Sir Timothy Craigs Befehl, wie sie selbst.
Die Zeit verstrich und sie wurde mit jeder Minute unruhiger. Seine Worte waren für sie unbegreiflich. Beschützen wollte er sie... Ha! Das sie nicht lachte, man sollte ihn lieber vor seiner eigenen stolzen Handlungsweise beschützen.
Ein innerer Stich ließ sie plötzlich in ihren Gedankengängen inne halten, vielleicht war es nicht wirklich Stolz, doch es entsprach der Wahrheit das er nicht in der Lage war gleiches fertig zu bringen, wie es ein ausgebildeter und nicht etwa ein erfundener Soldat es konnte.
« Weshalb ist das Schicksal so trügerisch? », fragte sie sich selbst und umklammerte einen Ast neben ihr mit aufsteigender Intensität. Sie hätte ihn niemals alleine gehen lassen sollen und doch könnte sie nichts ausrichten um ihm jetzt noch zu helfen. Ein weiterer unangenehmer Stich ließ sie zusammenfahren und ihre Umklammerung des Astes ging in gewaltsames erwürgen über. Etwas stimmte nicht und in ihr stieg der Drang auf herauszufinden was eben dies war. Was war diese Sorge um einen Fremden?
Es war nur natürlich das man sie nach ihrer Flucht letztendlich sucht und nun unumstritten auch gefunden hatte, aber das sie gleich ein ganzes Bataillon losschicken würden, war ihr unerklärlich.
Der Grund für ihr anfängliches Zögern. Aiden konnte das nicht verstehen, wie auch? Er hatte niemals gleiches erlebt, niemals gleiches gesehen und auch konnte er sich nicht die starken Gefühle vorstellen die sie empfand, wenn sie an das Haus dachte in dem sie so viele Jahre gelebt hatte. In dem ihr jeder Mensch vertraut war, jeder Geruch, jedes Detail angefangen von den kleinen aus Holz geschnitzten Lilien welche die Balustraden verzierten, bis hin zu dem großen nach westlichen Stil gemeißelten weißen Engel der seinen ehrenvollen Platz als Beschützer des Hauses mitten über dem Eingangstor besaß.
Ein Seufzer entfuhr ihrer Kehle, denn sie sah sich einer ihr unwürdigen Wahl gestellt. Würde sie sich stellen, wäre es aus mit all ihren Vorhaben, all dem was sie in dem letzten Monat erreicht hatte und noch erreichen würde.
Oder aber, sie floh. Auf sich alleine gestellt, gefangen in der Wildnis? Auf der Flucht vor erzürnten Menschen? Ein riskantes Unterfangen und sie sah sich selbst in einer Art alberne Zwiespältigkeit.
Schließlich war es nicht unmöglich abermals zu fliehen und sie wusste mit grausamer Gewissheit das sie das musste. Beide Möglichkeiten erhielten von ihr nur geringe Wertschätzung und sie begann an ihrer eigenen Intelligenz zu zweifeln.
Nicht ohne ein stechendes Gewissen und arge, sie belästigende Vorwürfe nutze sie ihre plötzliche Überschwänglichkeit und ließ Aiden zurück.
Die Dämmerung hatte nun den kompletten Himmel eingenommen, ihn konzentriert bearbeitet, sodass er gesäumt von Farben die von zarten Rosa Tönen in helles Blau übergingen, bestück war.
Sie betrachtete ihn noch eine Weile und kletterte dann mit gekonnten Sprüngen den doch recht steilen Abhang hinauf und gelangte so auf festen Boden. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und spürte sogleich den suchenden Blick mindestens zweier Späher auf sich. Sie bewegte sich nicht, sondern ließ den leichten Wind der sanft umherzog über ihr Gesicht streifen, umschlang ihren Oberkörper mit ihren Armen und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen, bevor sie die ächzenden Rüstungen vernahm und sich ihnen bereitwillig entgegenstellte.

4. Beleidigungen a lá Mistkäfer

Der Wind wehte durch die Gardinen verhüllten Fenster und lies ab und zu den weißen Schein des Mondes hereinleuchten.
Zuerst wusste Helen nicht wo sie sich befand, überhaupt, was genau geschehen war, doch mit der neuen Energie kam auch ihre getrübte Erinnerung zurück. Sie schloss für einen Moment die Augen und hörte auf die ihr vertrauten Geräusche; das Treiben des Hauses, das Getrappelt von Füßen, seien es die von Kindern die sich dagegen wehrten ins Bett gebracht zu werden oder die der schimpfende Erwachsenen. Ein Gewirr aus Stimmen und Gesang durchströmte alles und sie hörte wie der dicht an ihrem Raum stehende Kirschbaum sanft mit seinen Ästen an ihr Fenster schabte.
Sie war seid Fünf Tagen Zuhause auf Kincaids ridge. Weder ihr Onkel noch ihr lieber Bruder hatten ihr den Respekt eines Empfangs erwiesen, auf den sie sehnsüchtig wartete, um der peinigenden Ungewissheit zu entkommen, mit der sie sich seid ihrer Ankunft abfinden musste.
Mit tränenden Augen stand sie auf und ging zielstrebig zu dem Fenster, welches sie öffnete. Sie berührte ihren Kirschbaum mit einem kleinen, aber sanften Stoß und begrüßte ihn fast wie einen alten Freund. Gleichzeitig befand sie sich plötzlich in einem Zustand innerer Ekstase, denn sie hatte geschlafen, gegessen, gebadet und war zumindest von der übrigen Hausgesellschaft mit überschwänglicher Großzügigkeit und Herzenswärme begrüßt worden.
Sie hätte ewig so da stehen und sich an den einfach Gerüchen und Geräuschen weiden können. Sich schlicht an der Umgebung erfreut, doch ein jäher Lichtschein und ein Klopfen an ihrer Tür, meldete unangekündigten Besuch.
Die Tür öffnete und schloss sich ohne Aufforderung. Es war der unverkennbare Geruch nach Schießpulver und etwas Süßem nicht ganz erklärbarem, der sie schlagartig böswillig stimmte.
« William », sagte sie in einem herausfordernden Ton, ohne sich allerdings zu ihm umzudrehen. Seine Dreistigkeit ärgerte sie ungemein.
William Bouchon war ein alter Freund der Familie, der Tagein Tagaus ihrem Onkel seine Aufwartung machte, ihn mit Lob überhäufte und sich keine Gelegenheit entgehen ließ sein Entzücken an dem Anwesen zum Ausdruck zu bringen. Seine Heuchelei war abscheulich.
Die Umstände des siebenjährigen Krieges hatten seiner Familie im Gegensatz zu vielen anderen armen Seelen, ein beträchtliches Vermögen eingebracht, von dem sie bis Heute gut und gern lebten.
« Wie wachsam doch deine Instinkte sind. Ich hätte gemeint sie hätten unter deinem kleinem Abenteuer gelitten. »
« Das wohl kaum. Also was willst du? »
Nun blickte sie ihn an, da er so schnell wie möglich begreifen sollte, das sein Erscheinen unwillkommen war. Sein blonder Schopf neigte sich gen Boden, als er sich höfflich verbeugte und schmeichelnde Worte fallen ließ.
« Ich begehre eine Anzahl von Dingen, Miss Helen. », entgegnete er und musterte sie mit einem begehrenden Funkeln in den Augen, das sie trotz der Dunkelheit unbehaglich auf sich spüren konnte.
« Das interessiert mich herzlich wenig. Ich will wissen was du gerade hier willst und zu dieser Zeit. Ist es nicht ein wenig rühmlich sich um diese Stunde in den Gemächern einer Dame herumzutreiben? »
« Das mag wohl sein. » Er grinste breit und schadenfroh. « Doch ich habe allen Grund dazu. »
« Den hast du allerdings. », sagte sie kühl.
« Ach so, du bist bereits informiert worden? Das freut mich zu hören. Es passiert nicht selten das eine Erbin wie du einen so hohen Gesellschaftlichen Rang erreichen wird. »
« Wenn du damit deine Avancen meinst, so kann ich dir versichern, das deine immer noch unbekümmerte, ja beinahe beleidigende und unverfrorene Art, meine Gefühle für dich in Grenzen hält.“ »
Ihre Stimme wurde einen Tick kühler und sein Grinsen dafür etwas breiter.
« Grenzen lassen sich leicht überwinden. »
« Ich sprach von solchen die von Abneigung zeugen. »
« Du hast doch bestimmt schon davon gehört das dein Onkel bald in den Bund der Ehe treten wird. », sagte er, ohne auf ihre ausführliche Schilderung einzugehen.
Ein lange Stille, beantwortete seine Frage jedoch dafür.
« Wie schade, du wurdest also nicht informiert? »
Seine Freude daran war sichtlich heraus zu hören und er ging zielstrebig auf sie zu.
« Es ist eigentlich egal, nach dem was du dir geleistet hast, mein Gott, die gesamte Nachbarschaft redet davon, er wird dich so oder so verstoßen. Welch Schande, wahrlich welch Schande. »
« Das wird er nicht. »
Ihre Stimme klang stark und doch sammelten sich in ihrem Hinterkopf die wirrsten Ideen und Spekulationen.
« Du kannst dich retten, vor seinem Zorn und vor seiner Verstoßung. »
William hatte wohl ein Hilfesuchendes wie? Erwartet, oder zumindest gehofft den rettenden Helden in der Sache zu spielen, doch Helen starrte ihn nur aus grünen Schlitzen heraus an um ihren Tadel an ihm zu bekräftigen. Dies brachte ihn eindeutig etwas aus der Fassung, doch er behielt seine Courage und versuchte sie an den Schultern zu fassen. Sie dagegen wich unhöfflich aus und entkam seinem Griff.
« Du solltest meinen Antrag annehmen. Wenn nicht, wird dein Onkel es so oder so erzwingen, wie du siehst eine aussichtslose Situation. Freunde dich doch einfach ein wenig mit ihr an. » Ihr Mundwinkel zuckte verdächtig und ihre Schultern bebten vor unterdrückter Wut und den Überlegungen ob sie ihn gleich hier oder besser draußen erdrosseln sollte. Ihr Onkel, oh ja Andrew Kincaid war ein gerissener Mann, der nicht davor zurück schrecken würde seine Ziele auch mit einer Zwangsheirat durchzupressen.
Ein gezielter Schlag auf die Pulsschlagader, oder in den Solar Plexus und schon wäre
William kao. Vielleicht aber doch mit einem Schwert oder einem Dolch...einer Muskete? Obwohl es schade wäre eine solche Sauerei zu veranstalten, vielleicht konnte sie ihn auch betäuben und im Fluss ertränken, Laudanium eventuell...
« Wie ich sehe überlegst du intensiv und ich möchte meinen, dass dir das zusteht. Wie du weißt bekomme ich das was ich haben will. Sei es ein Patent, ein Stück Land oder eine eigenwillige, temperamentvolle Frau. »
Aber nur durch einen reichen Vater, dachte sie beiläufig und fragte sich ob ein Tritt zwischen seine Beine eventuelle ebenfalls zur Ohnmacht führen würde, wenn sie nur kräftig genug zutreten würde.
« Allerdings ist unser derzeitiges Gesprächsthema nicht das Anliegen meines unangekündigten Besuches. »
« Nicht? »
Ihre Miene war plötzlich offen und bekam einen sanften Ausdruck, sodass William unwirkürlich über ihre Schönheit aufseufzen musste und versuchte ihre Hände in die seinen zu bekommen. (Ohne Erfolg)
« Nein, man hat mich gebeten, » Er sprach fast so als wäre es ein Verbrechen dies zu tun. « dich noch vor dem Schlafengehen zu deinem Bruder zu führen. »
« James ist auf dem Anwesen? Kennst du den Zeitpunkt seiner Ankunft? », fragte sie und hoffte so auf eine Stütze ihrer These, die besagte das ihr Bruder sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt außer Haus befand. Dies wäre eine logische, zudem erfreulichere Begründung, für sie, dass er sie noch nicht gesprochen bzw. empfangen hatte.
« Ja so ist es. », sagte er angesichts ihrer ehrlich erstaunten Miene. « Und wie ich sehe, freut es dich sehr. Er müsste Gestern zu Pferd das Gut erreicht haben. »
« Führ mich zu ihm, ich bitte dich darum, mach schnell. »
Angesichts dieser Nachricht, konnte sie ihr Entzücken und ihre Verblüffung, ebenso ihre Überraschung nicht verbergen.
« Ah, c´est chouette. Wie Ihr wünscht, Madame. », schloss er und grinste sie hoch zufrieden an.
Ihr Weg führte in den westlichen Teil des Haupthauses. Dienstboten hetzten zu dieser späten Stunde noch umher, die sie teils grüßte und teils still musterte. Sie ließ nicht einmal Zweifel an ihrem allgegenwärtigen Grad von Würde auffallen und behauptete sich angesichts der Augenpaare ihrer Familie als würdig.
Sie gingen durch mehrere Salons, das Frühstückzimmer, einem der Musikzimmer, zahlreichen Gängen und schließlich die Treppe zum ersten Stock hinauf.
Ein fragender Blick Williams ließ sie sofort wieder einen würdevollen Gesichtsausdruck annehmen, doch den winzigen Rest einer lieblichen und verspielten Art die angesichts der freudigen Situation über sie fiel, konnte sie nicht ganz dahinter verstecken. William musterte sie noch immer eingehend, als er vor einer großen Eichentür im ersten Stock des Hauses stehen blieb. Das Arbeitszimmer ihres Bruders befand sich hinter dieser, gegenüber der stattlichen Bibliothek des Hauses.
William machte Anstalten zu klopfen, aber Helen drängte ihn ohne seine murmelnden Einwände zu beachten zur Seite und speiste ihn mit ein paar kühlen Worten ab.
Sie wartete noch bis die Schritte ihres unsäglichen Verehrers verstummt waren und schon hörte sie in ihren Ohren das Widerhallen ihres dumpfen Klopfens. Eine sanfte Stimme bat sie herein zu treten und sie riss voller kindlicher Vorfreude und schierer Begeisterung die Tür mit einem heftigen Ruck auf, so dass sie ein paar leise Widersprüche in Form von leisen, knarrenden Geräuschen gab.
« James ! », murmelte sie und fühlte wie ihre Beine vor Aufregung zitterten.
« Helen. », antwortete er ruhig, doch seine steife Haltung und den ihr zugekehrten Rücken hinter dem er seine Hände gefaltet hatte, zeigten eindeutig ein anderes Bild.
Sie ging zögernd ein paar Schritte auf ihn zu und blieb unmittelbar vor seinem Schreibtisch stehen, als ihr plötzlich in den Sinn kam das sie hier mit zerwühlten Haaren und im Morgenrock stand.
« Da bist du nun. », sagte er und entspannte Schultern und Muskeln, um sich mit einem Lächeln auf den Lippen zu ihr zu drehen.
« Ich hoffe du weißt wie lächerlich du aussiehst. »
« Das weiß ich in der Tat. », sagte sie kühl und musterte seinen breitschultrigen männlichen Körper. « Hast du vielleicht etwas an dir verändert, ich sehe gar keinen Dreck auf deiner Nase? »
« Dies wäre das reinste Vergnügen für dich, kleines Schwesterlein. »
Sein liebevoller Blick ließ sie einen Anflug von Tränen in den Augen spüren.
« Aber die Zeiten in denen ich im Dreck herum gewühlt habe sind schon lange vorbei. »
Wie recht du hast, dachte sie mit einem melancholischen Hauch und betrachtete sein sorgevolles Gesicht in das nun mehrere seiner rot-braunen Haarsträhnen fielen. Sie ging langsam auf ihn zu und legte sanft ihre Finger auf seinen Arm. Er zuckte zusammen und sah sie aus bernsteinfarbenen Augen an, während er es zuließ, dass sie seine Haare zu einem Zopf flocht.
« Ich weiß nicht von wem du solche Haare hast, wahrlich, wahrscheinlich ist es irgendeine Strafe des Himmels. », versuchte sie scherzhaft die plötzlich etwas drückende Stimmung zu überspielen, doch er nahm ihre Hände zielsicher in die seinen, sodass sich der Zopf augenblicklich wieder löste und sie ihn gezwungener Maßen ansehen musste.
« Ich wollte dich nicht sprechen damit du mir jetzt die Haare richtest. »
Sie wollte ihn unterbrechen, aber sein intensiver Blick ließ ihre Stimme mechanisch versagen. « Natürlich, wir haben uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen und ich vermisse dich kleine Schwester. », setze er erneut auf eine entschuldigende Art an.
« Aber? », fragte sie mit leiser, bitterer Stimme.
« Aber...du weißt hoffentlich wie sehr du unserem Onkel...und mir mit deiner Flucht zugesetzt hast. »
Sie wollte erneut etwas sagen, verstummte jedoch ein zweites Mal.
« Es war riskant, einfältig und hinterhältig von dir. Natürlich ist das ein menschlicher Charakterzug, jeder wäre dazu im Stande, wenn er denn den Willen dazu besitzt. In jedem schlummert ein Teil der Intrige und List die früher oder später zum Vorschein kommt und nicht zuletzt unsere Welt zu eben dem macht, was sie heute ist. »
Er blickte sie aus ernsten Augen an und auf seiner Stirn traten tiefe Furchen die ihn ungemein alt aussehen ließen. Er machte fast den Eindruck als würde er verlangen das sie die Worte sofort begriff und dazu auch noch Stellung nahm, doch just im selben Augenblick, als sich ihre Lippen auseinander zwängten um etwas zu sagen, sprach er weiter.
« Du bist viel zu intelligent und gescheit, als das du dir solch ein Fehlverhalten leisten darfst. Von dieser Schande allein mal abgesehen, hätte dir etwas passieren können. Jeden Tag habe ich auf Nachricht gewartet und nicht eine Zeile der Erklärung ist gekommen. Du treibst dieses Spiel nun schon zu lange und auf Kosten anderer. »
« Glaubst du etwa mir steht es nicht zu, eine eigenen Meinung oder gar einen eigenen Willen zu haben? Glaubst du etwa im Ernst ich hatte nicht das Recht dort hinaus zu gehen? », fuhr sie ihn gereizt an und nickte in Richtung Fenster.
« Das habe ich nicht gesagt und schon gar nicht gemeint. Es hat nichts mit Recht zu tun, dein Stolz muss es dir verbieten. Besitz du nicht einen Funken Ehre in deinem Körper? Versteh doch. Du als meine Schwester darfst dir so ein Verhalten nicht leisten. Es ist nicht in unserer charakterlichen Natur, unsere Familie... »
Seine Hände hatten die ihren während seiner Worte heftig gedrückt und sie fuhr sich langsam mit den Fingern über die roten Stellen bevor sie antwortete.
« Was willst du mir damit sagen, oder besser was willst du fragen? Ist es denn dein einziges Anliegen, dein einziger Grund weshalb du dich hier her begeben hast, weshalb du mich überhaupt sprechen wolltest? Aufgrund meiner Flucht? »
« Natürlich nicht. », widersprach er heftig und wahrheitsgemäß, zögerte aber bei der Formulierung seiner nächsten Frage.
« Hast du...ich meine hast du ihn ausfindig gemacht? »
« Wäre ich dann wohl mit leeren Händen hier? Gefangen genommen von unseren eigenen Soldaten? Völlig ausgelaugt und erschöpft? Mein Gott, James. Erst hältst du mir hier eine Strafpredigt als seihst du der göttliche Vater selbst und dann auch noch das. »
Ihre Worte wurden zunehmend lauter und aggressiver, sie konnte sein Verhalten einfach nicht verstehen und duldete in ihrem engstirnigen Verhalten keine Kritik mehr, jedenfalls nicht von ihm. « Dabei müsstest du mich doch am besten verstehen können. Du weißt selbst wie Nerven zerreißend die ewige Hetzerei, die Traurigkeit in unseren Gemütern und der Hass war, die uns die letzten Jahre gekostet haben. Du hast mich die meiste Zeit meines Lebens begleitet. Ich bitte dich also, beschränke dich auf das wesentliche und stell endlich die Fragen die dir wirklich wichtig sind und verschone mich mit den Dingen wie Stolz oder Ehre. »
« Du hast ja recht. », gab er klein bei, gewann aber mit einem plötzlichen Mal seine alte Strenge wieder. « Es war einfach so töricht von dir, so leichtsinnig! Glaubst du denn ich mache mir keine Sorgen um dich? Du hast so lange gezögert, so lange auf den Moment der Gegenüberstellung gewartet und das alles riskierst du für diese voreilige Tat? Für ein ungewisses Treiben in eine Richtung, die dir vielleicht den Tod bringt? »
« Ja, denn ich halte es hier nicht mehr aus. Die Gewissheit das er dort draußen ist, lebend, sie zerreißt mich langsam. », antwortete sie entsetzt über seine Frage und drehte sich von ihm fort.
« Sie zerreißt nicht nur dich, wann verstehst du das endlich? Du solltest wissen das es unvernünftig und kindisch von dir war- »
« WAS? Kindisch? Unvernünftig? Was glaubst du eigentlich mit wem du hier redest? Ich bin lange kein Kind mehr und bestimmt nicht irgend eine dumme Gans, die sich nicht zwischen dem einen und dem anderen Kleidungsstück entscheiden kann. Ich habe mein Leben riskiert und glaube mir ich habe Dinge gesehen die mich bis in den Schlaf verflogt haben und mich jetzt noch schütteln wenn ich an sie denke » Anschaulicherweise geschah dies in genau diesem Moment und milderte ihrer beider Wut ein wenig.
« Du bist vielleicht vom Körper her kein Kind, von deinen Fähigkeiten und überragenden Talenten sowieso nicht, aber im Kopf liebe Schwester, bist du so durchschaubar und dumm wie eh und je. », sagte er gezielt und gab so seiner eigenen Wut, allerdings in ruhiger Tonwahl, seinen Lauf. « Es mag sein das du viel auf dich genommen hast, doch erwarte nicht mein Mitleid dafür, geschweige denn meinen Dank. Deine Taten sind nicht die einer jungen Dame. »
« Was weißt du schon? Du hast doch keinen Anstand, dir ist nicht einmal deine eigene Familienehre etwas wert. Oder würdest du dir sonst etwas daraus machen ihn zu finden? Ich will das Adrenalin der Rache durch meine Adern fließen spüren, allerdings scheinst du dir im ungewissen darüber zu sein, was du eigentlich willst. Und eine Dame willst du aus mir machen? Nach allem was geschehen ist, wird dies nie der Fall sein, wahrscheinlich sterbe ich eher, als dass ich einen dir zusagenden Ehemann finde. », sagte sie Zähneknirschend, zögerte dann und schob gerötet vor Wut ihren Unterkiefer vor.
Sie ging bereits zur Tür, doch seine umschweifende, mit einem mal aggressive Stimme ließ sie so arg aufschrecken das sie es nicht einmal schaffte sich von Ort und Stelle zu bewegen.
« Du glaubst mir ist die Rache an meiner Familie egal? Ich habe keinen Anstand und lasse meinen Stolz und meine Ehre verkommen? Auch ich will den Kopf des Mörders unserer Eltern auf meinem Tisch sehen, will hören wie seine Knochen langsam zertrümmert werden und sein Blut zwischen meinen Fingern spüren und ihm jedes Organ einzeln herausreißen. Allerdings Helen weiß ich das es sinnlos ist einfach herumzuziehen, auf gut Glück nach da draußen zu fliehen und sich seinem Schicksal zu ergeben. Die zuckersüße Rache, oh ja, ich träume stets von dem Augenblick da ich ihm all den Pein zurück zahlen kann, aber ich lasse mir verdammt noch Mal nicht auch noch meine Schwester nehmen, hast du das endlich verstanden? Ich bin der Letzte der dir irgendwelche moralischen Grundsätze einflößen will, ich weiß wie du bist und es ist mir im Grunde schon gleichgültig ob du dich nun nach den gesellschaftlichen Regeln schickst oder nicht. »
Ein kurzer Moment des Schocks über James laute Stimme überflog sie beide und wohl keiner der beiden wäre im Stande gewesen später zu sagen wie lange dieser gedauert hat, doch er kam ihnen wie eine unerträgliche lange Folter vor.
« Ich wollte nicht so schreien, entschuldige. », erklang seine Stimme ruhig und etwas ärgerlich über sich selbst und seinen Ausbruch.
« James? »
« Mhm? »
Ihre so leise, flüsternde Stimme ließ ihn unruhig zu ihr aufblicken, er wollte nicht noch einmal die Kontrolle über sich verlieren und fuhr sich aufgeregt mit der Hand durch die Haare. Noch ehe er eine weitere Geste machen konnte, umklammerten ihn zwei Arme und ein Kind blickte ihn aus reumütigen Augen an. Er erwiderte die Umarmung sofort und beruhigte sie vorsichtig indem er ihr sanft über den Kopf streichelte. Seine Finger waren sanft, als wären sie zu dieser Aufgabe, zum Trösten, erschaffen worden und glitten langsam über ihren Haarschopf. In dem Raum war es nun still und sie hörten nur einander, die langsame Atmung, ihrer beiden Körper, das rauschende Blut das durch ihre Adern schoss und das Hüpfen ihrer beiden Herzen als die Versöhnung erreicht war.
Eine Wanduhr schlug einen hellen Gong an, allerdings ohne Beachtung zu finden und Helen konzentrierte sich mehr auf das dunkle dahin Treiben der Wolken das sie hinter den Fenster erkennen konnte und den sich widerspiegelnden, leicht romantischen Kerzenschein, der sich mehrmals darin brach und wunderbar schimmerte. Sie vernahm nun deutlich das Knistern des Feuers das, vergessen und doch unter ihnen, vor sich hin prasselte und sich demonstrativ daran machte die Holzscheite zu verbrennen.
Es vergingen einige Minuten und als selbst diese verstrichen waren, war auch das Kind in James Armen verschwunden und eine Frau, eine eigensinniges, entschlossenes Geschöpf blickte ihn an.
« Ich musste es tun, kannst du mich nicht verstehen? », fragte sie so leise, das er es fast überhört hätte.
« Ich verstehe deine Beweggründe, ja, aber dich, Helen, werde ich niemals verstehen. »
Ein Lächeln machte sich zwischen seinen Mundwinkeln bemerkbar und sie versuchte ihm einen Schlag mit dem Ellbogen zu verpassen.
« Das ist nicht lustig. »
« Nein das ist es nicht. », pflichtete er ihr bei und wand sich von ihr ab, als würde ihm ein plötzliches Ereignis, eine Erinnerung zurück holen und ihn an die ernste Situation erinnern.
« Wir können nicht einfach von lustigen Dingen sprechen, über Beweggründe oder anderen belanglosen Kleinigkeiten, während abscheuliche Dinge dort draußen vor sich gehen. »
Sie antwortete sofort und spürte ihr bedrückendes Gewissen mehr als nur ein wenig sticheln.
« Ist es das was dir so große Sorge bereitet? »
« Das ist es allerdings. », erklärte er reumütig und kratze sich an den unrasierten Stoppeln seines Kinns und sah sie mit müden, blutunterlaufenen Augen an.
« Falls du etwas auf dem Herzen hast so spreche mit mir darüber. »
« Nein. Ja. Das heißt, nein es war ein dummer Gedanke. Natürlich wird nichts geschehen. Ich bin erleichtert, dass ich dich nun wieder bei mir habe und muss mehreren Freunden meinen Dank aussprechen. »
Er sprach eingefallen, tonlos und schwach und erst jetzt bemerkte sie die langen Schatten die sich über sein Gesicht zogen, die geplatzten Äderchen, ein Zeichen des vielen Alkohols und einen schimmernden Schweißfilm auf seiner Stirn.
« Nein. Denn...es tut mir leid, ich sollte mich entschuldigen, nicht du. Allerdings weiß ich das meine Gründe auch für dich akzeptierbar sind und irgendwann wirst du es verstehen. Es tut mir wirklich leid was ich dir und vielen anderen Leuten damit angetan habe, aber ich würde es wohl für den kleinsten Hinweis von ihm wieder tun und bereue es nicht. »
« Jawohl, das würdest du. »
Er widersprach ihr nicht, sprach langsam und leise und versuchte das Thema damit abzuhacken. Es dauerte eine Weile bis beide ihre gegenseitige Gegenwart wieder wahr nahmen und aus ihren Spekulationen und Vermutungen drifteten, denn als Helen mit einem Wimperschlag wieder in die Gegenwart geholt wurde, stieß die alte Wanduhr erneut zum Gong an. Sie hatten beide nicht bemerkt wie sie langsam dahin gesunken und ihren eigenen Gedanken nachgehangen waren und sahen sich jetzt aus müden Augen und großen Pupillen an.
« Ich denke, ich werde jetzt schlafen gehen, es ist wirklich spät. », erklärte Helen und spürte wie das erste Gähnen in ihr aufkroch.
« Ja tu das, aber ist die Dienstmagd überhaupt noch da um dich zurück in dein Zimmer zu bringen?. »
« Nein William hat mich hierher gebracht, ich dachte er sollte das tun? », fraget sie argwöhnisch, während sich in ihr ein Verdacht bestätigte.
« Äh nein, es war etwas anderes geplant. »
« Dieser Idiot. Schleimender, widerlicher Mistkäfer...ich werde ihn.... »
« Jetzt hör aber auf. », sagte ihr Bruder in einem eher belustigendem Ton. « Du weckst noch Tote bei deinem Geschrei. »
Er schluckte schwer über seine eigenen Worte und fuhr sich unruhig mit den Fingern über sein stoppeliges Kinn.
« Meine Güte, ich hatte ganz vergessen wie stark dein Temperament sein kann, besonders wenn es um William geht. »
« Da siehst du mal. », stimme sie ihm zu und fing in Gedanken an die Unterhaltung mit dem Mistkäfer vom neuem durchzugehen.

« Dann ist es eine Lüge? Er wird nicht heiraten? », frage Helen nach einiger Zeit der Aufklärung. « Du meinst wirklich unser Onkel heiratet nicht? »
« Das meine ich nicht nur, ich weiß es. Leider ist dieses Gerücht schon länger unter den Leuten, also mach William keinen Vorwurf, ich bin sicher er hatte keine bösen Absichten als er... »
« Zu mir in mein Zimmer eingedrungen ist? Mir versucht hat eine Heirat mit ihm Schmackhaft zu machen und mich angelogen hat? Dieser kleine Wurm... », unterbrach sie ihn und redete noch murmelnd weiter als er wieder das Wort ergriffen hatte.
« Ha, das ich nicht lache, du und heiraten, diesen Kerl? »
Er lachte herzhaft auf und sie fuhr sofort aus ihren mörderischen Gedanken hoch um ihn freudig anzustrahlen.
« Ich könnte es niemals mit mir vereinbaren. »
« Ebenso wie ich es niemals zulassen würde, glaube mir niemand will sich mit dir anlegen, schon gar kein Mann der nicht mindestens ein dutzend Leibwächter um sich versammelt hat.“
« Was soll das wieder heißen? », fragte sie unter gekünstelter Gereiztheit und brachte ihn damit erneut zum Lachen.
« Aber einmal im Ernst. Unser Onkel wird nicht heiraten, das versichere ich dir, und er hat auch keine Anspielung mir gegenüber deutlich gemacht die dich mit diesem Thema verbinden, dennoch wird es nicht leicht für dich werden. »
« Was willst du damit andeuten? »
« Es gibt, viele ähm...Schwierigkeiten. Sie betreffen nicht dich, zumindest nicht weiter, aber es ist wohl war was William behauptet hat. Du wirst für ihn, wie eine Verstoßene sein, bis...na ja...wer weiß. »
« Wahrscheinlich ist es sogar sein Wunsch das ich William heirate. », spottete sie, bekam aber einen Schrecken, als sie den Schatten über James Gesicht huschen sah.
« Du meinst doch nicht etwa...? »
« Helen. Ich weiß es nicht. Ganz ehrlich. Es gibt viel Stress, ein Teil unseres Landes soll verkauft werden und wir sollen eine Arme zur Verfügung stellen, Männer schicken, Rohstoffe und Hilfsgüter beitragen um die Situationen nahe der Grenzen unter Kontrolle zu bringen. Nach dieser langen Familienfehde der Conners...außerdem kann es sein das wir bald ein Bündnis, mit Lord George eingehen werden....“
« Dir fehlen Männer. », sagte sie resigniert. « Und da du Lord George ebenfalls helfen musst... »
« Damit werde ich mich morgen befassen, du solltest jetzt gehen. », sagte er entschlossen und ließ sie damit, mehr oder weniger freiwillig, aus seinen Fängen entkommen.
Sie gab einzelne Worte des Widerspruchs sah sich aber gezwungen seinem Wunsch nachzugehen. Er duldete keine Einwände mehr, was wohl mehr an das angrenzenden Thema und nicht an der Zeit lag. Etwas gekrängt gab sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und wartete schließlich einen Augenblick vor seiner verschlossenen Tür. Sie holte tief Luft und nahm den Zustand des Hauses in sich auf, da die meisten Diener, sowie Gäste oder Bewohner zu Bett gegangen waren, war es ruhig, was wiederum dem Haus eine gespenstische Atmosphäre verlieh. Der Geruch des Kiefernholzes drang tief in ihre Nase und sie spürte, mit einem kleinen Seitenstich, wie ihr Bruder hinter ihrer Tür auf und ab ging. Er hatte sie wohl schon bereits wieder vergessen, solche Sorgen hatte er.

5. Abendgesellschaft

Der nächste Tag begann mit einer Anzahl angenehmer Dinge. Briefe, von vermeintlichen Freunden trafen ein, die sich nach Helens Befinden erkundigten und in denen von einer überschwänglichen Besorgnis und Treue der Adressanten die Rede war. Angesichts einer solchen Gewöhnlichkeit, wie die der Post, erfreute sie sich besonders über die kleinen, angenehmen Ablenkungen ihres vornehmeren Daseins auf dem Gut ihrer Familie. Gleichzeitig schaffte sie Ordnung in den, wie es ihr erschien, doch sehr vernachlässigten Räumlichkeiten, hetzte die Dienstboten umher und sorgte für allerlei Gerüchte, die sie mit Belustigung zufällig mitbekam.
So wie ihr die unkonfortablen Tage die sie auf Reisen und in Gasthöfen verbracht hatte beschwerlich und doch befriedigend erschienen, so herrlich sinnlos empfand sie ihr Handeln in diesem Hause nun. Es war eine willkommene Abwechslung.
Natürlich hatte sie nicht im mindesten ihre Fluchtpläne vernachlässigt und versuchte abzuwägen, wann es ihr möglich war einen erneuten Versuch zu wagen. Zuerst jedoch hatte sie Vorkehrungen zu treffen, damit ihr so ein Missgeschick wie es ihr zuvor erfahren war, nicht wiederholte.
Sie grübelte noch darüber nach, als sie jetzt durch den anliegenden Park ihres Anwesens spazieren ging. Von einem Kiesweg gelangte sie auf eine Art Hauptstraße, eine Allee, zwischen deren Lücken immer wieder eine Bank hervorlugte.
Doch sie wählte eine kleine Abzweigung und gelangte an die seltener begangenen Pfade, die ihr friedlicher und einsamer entgegen der Gewaltigkeit des Hauses vorkamen. Hier fand sie nun endlich Ruhe. Nach den Strapazen der letzten, so aufwühlenden Zeit, war ihr die Einsamkeit bester Freund geworden. Dankbarkeit legte sich über sie, die verstrich als sie nahende Schritte vernahm.
Ihr Körper wurde bereits vollständig von denn aufkeimenden und spekulierenden, meist haarsträubenden Ideen geleitet, als sie hinter zwei großen Büschen verschwand und von dort hervorlugte.
Ihre innere Stimme hatte das Kommando übernommen und befehligte über ihre körperlichen Funktionsweisen und verdrängte Gedanken und Gefühle, als würde sie sich in einer tiefen Trance befinden, die sie in besonderen Momenten überfiel.
Der Argwohn den sie sich angeeignet hatte, ließ sich ebend nicht ganz verdrängen. Kalter Schweiß brach ihr plötzlich aus. Ihre Augen hatten soeben einen Herrn ausfindig gemacht, der mit nachdenklicher Miene den Pfad entlang schritt. In seiner Hand hielt er eine Schrottpistole, die er beim Laufen gegen seinen Oberschenkel presste. Unheimlich redete er mit sich selbst.
Da sie es nicht mehr wagte sich zu zeigen, beobachtete sie stumm sein plötzliches auf und ab Schreiten. Sein Gesichtsaudruck wechselte vom Nachdenklichen zur Wut, während es bleicher und bleicher wurde. Schweißperlen rannen ihm die aristokratischen Züge hinunter, die Adlernase glänzte im Sonnenlicht. Helen mochte ihn vom ersten Augenblick an nicht. Ihr Instinkt warnte sie vor diesem Herrn, auch aufgrund der Pistole und seiner Unentschlossenheit, doch vielmehr wegen seinem verstörten Verhalten, das sie auf Boshaftigkeit bezog. Bösartigkeit war tatsächlich das einzige das man ihm, aus Helens Entfernung und Menschenkenntnis ansehen konnte.
Als er sich entfernte und sie endlich aufatmen konnte, stürmte sie den Weg zurück und war schneller auf der Allee als es ihr lieb war. Der fremde Herr, stand nur wenige Meter von ihr entfernt. Seine Augen erfassten sie überrascht, musterten sie anschließend kalt und eindringlich.
« Ein schöner Tag, nicht wahr der Herr? », fragte sie mit ruhiger Stimmte, während ihre Hände unkontrolliert zitterten.
« Ja, sehr schön, wirklich sehr schön. »
Er machte sich nicht einmal die Mühe sich umzusehen und beobachtete stattdessen unhöfflich ihre Statur, dass sie nur hoffen konnte einen so gut es ging gefassten Eindruck zu machen. Die Pistole von zuvor war verschwunden. Abscheulich fand Helen diesen Mann, den sie empört und keineswegs beeindruckt, höchstens etwas nervös betrachtete.
Ohne auch nur seinen Namen zu nennen drehte er sich um und ging in eiligen Schritten davon. Helen blieb fassungslos an Ort und Stelle zurück.
Als der erste Schock vorüber war und ihre Gedanken gewöhnliche Formen annahmen, kam sie nicht darum den eingeschlagenen Weg des Fremden mit den Augen zu verfolgen. Wie es ihr logisch erschien war er in Richtung Haus unterwegs, was allerdings nichts zu bedeuten hatte, da viele Nachbarn den Park gern und oft mitbenutzten. Da kamen ihr die Worte ihres Bruders wieder in den Sinn. Er hatte von Problemen gesprochen und diese nicht einzig und allein auf sie bezogen. Das Gegenteil war sogar der Fall. Schwierigkeiten finanzieller Natur, dies hatte er zugegeben, doch hoffte sie innständig er habe sich nicht in politische Angelegenheiten verwickelt. Selbst wenn es die kleinen Intrigen manch gieriger Nachbarn waren. Außerdem hatte er Lord George erwähnt. Einen Adeligen, ehemaligen Soldaten, der zwar schon zuvor Titel und gesellschaftlich hohe Ränge besessen hatte, aber erst mit dem Erbe eines verstorbenen Onkels an den nötigen Grundbesitz, vorteilhafte Wertpapiere und unaussprechbare liquide Mittel gekommen war. Er besaß Macht und Einfluss, was die Gier und Träumereien von Dummköpfen nährte. Kurz; er hatte sich Feinde im Überfluss geschaffen, die zuletzt noch an seinem riesenhaften Landsitz Mac tire interessiert waren.
Sonstige Namen hatte er nicht genannt, doch bereitete ihr das Verhalten des fremden Herrn, noch immer Kopfschmerzen, dass sie beschloss zurück ins Haus zu gehen, um sich auszuruhen.
Dort angekommen, war ihre Neugierde zu groß, als dass sie hätte schlafen oder sich ausruhen können und so suchte sie stattdessen ihren Bruder auf. Dieser befand sich in einer geschäftlichen Besprechung, die keinesfalls gestört werden durfte.
Erschöpft, doch keineswegs entmutigt machte sie sich auf, in Richtung seines Arbeitszimmers.
Sie betastete das vergoldete Schloss eingehend und versuchte mit ihrem Auge hindurch zu blicken. Hören konnte sie nichts, doch sie wusste das es wichtige Informationen sein mussten die dort die Runde machten.
Allein die geheimnisvolle und angespannte Art von James hatte ausgereicht, um ihre Vermutungen bezüglich der Wichtigkeit seiner geschäftlichen Beziehungen zu bekräftigen. Aber das sie nach dieser permanenten hinterrücks gestellten Fragerei und der offensichtlichen Musterung die er sie unterzogen hatte, nichts Merkwürdiges finden sollte...was glaubte er eigentlich? Oder war es pure Absicht und blanke Verzweiflung in der Hoffnung sie würde seine gelegten Zeichen erkennen? Wenn ja, was sie allerdings gänzlich ausschloss, dann war es relativ dumm von ihm in die Tat umgesetzt worden.
Die Tatsache das ihr Bruder, weder auf zweideutige Worte setzte und sowieso eher ein Drang zum Dramatischen besaß und ihr alles, unter normalen Umständen, erzählte ließ sie darauf setzen das er es vorgezogen hatte ihr ein paar Dinge zu verheimlichen.
Sie blickte noch einmal durch das Schlüsselloch das ihr immer noch die Aussicht auf ein Bücherregal bescherte und schnaufte wütend auf.
Als sie sich nun gegen die Tür drückte, glaubte sie Erfolg zu haben, denn es waren vereinzeln Stimmen zu hören. Ein Mischmasch aus Murmeln und Summen, das allerdings keinen Sinn ergab.
Eine menschliche Hand traf Holz, und noch einmal. Sie konnte das Aufeinandertreffen fast spüren und heftete sich wie gebannt fester an die Tür.
Das Gespräch zwischen James und einem Unbekannten, vielleicht auch mehreren musste voll im Gange sein, denn der Lichtstreifen der durch den Türspalt schien wurde durch unregelmäßiges Auf- und Abgehen von Schatten durchzogen. Eine Person blieb unmittelbar vor dem Eingang stehen und sagte laut ein Wort das sie klar und deutlich vernahm: Mac tire.
Der Name und seine Bedeutung durchflogen ihren Kopf und sie versuchte sowohl Geschichte, Personen und letztere Ereignisse zusammen zu würfeln um sich eine ungefähre Vorstellung zu machen um was es dort drinnen gehen könnte. Wie es ihre Vermutung nahe gelegt hatte, war Lord George von schwergewichtiger Bedeutung. Ihr Bruder hegte große Sympathien für dessen Politik, wenn er auch in bestimmten Kreisen als Gefahr für England angesehen wird. Ihrer Meinung nach, ein Resultat von übertriebenen Kleinkriegen hochmütiger Adeliger.
Mac tire, war Gälisch, auch wenn sie dessen Bedeutung nicht kannte.
« Wenn wir dem zustimmen, können wir gleich den Henker rufen. »
Hörte sie eine aufgebrachte Stimme rufen und eine, sie erkannte ihren Bruder, der versuchte zu beruhigen: « Es ist ein faires Angebot, ich finde wir sollten darauf eingehen. Er bekommt sein Freiheit zurück, sowie sein Land, wir dafür Schutz und Gewinnbeteiligung in sehr hohem Maße. »
« Das ist doch Schwachsinn, ich verhandle nicht mit Flüchtlingen, er will uns alle töten, das ist es doch um das es ihm geht, Rache. Er will uns für das Attentat büßen lassen, er weiß das wir es waren und wird uns nicht vergeben. »
Helen hörte zustimmendes Gemurmel und gerade als sich die Sprecher wieder in die hintere Ecke des Zimmers begaben und sie ihr Ohr etwas fester an die Tür presste, stieg in ihr das Gefühl auf sich übergeben zu müssen. Sie wich von der Tür und starrte in das verblüffte Gesicht des Herrn von zuvor.
Die alte Schrottpistole war wieder in seiner Hand, verschwand jedoch kurz darauf an seinem Gürtel. Sie hätte am liebsten Laut aufgeschrieen über ihre bemerkenswerte Naivität und ausgesprochenen Dummheit, sah sich dazu aber nicht in der Lage. Wie nur hatte es dieser Fremde geschafft sich unbemerkt an sie heranzuschleichen? Erneut wuchs in ihr ein widerstrebender Groll.
Ihre Kehle blieb stumm und sie versuchte sich von dem plötzlichen Schreck zu erholen.
« So etwas nennt man stumpfsinnige Arbeit, Mädchen. Du hättest deine Umgebung schon besser im Auge behalten sollen bevor du dir anmaßt zu lauschen. »
Seine Stimme, erfüllt von Stolz und Herablassung ließ sie zornig werden.
« Ich verbitte es mir, dass in meinem Haus Besucher Waffen tragen . », sagte sie in einem gebieterischen und zugleich eiskalten Ton.
« Ich glaube zu wissen wer ihr seid. Die Törichte und Alles überstürzende Miss Kincaid, kein Zweifel. Vorhin im Park, das wart ebenfalls Ihr. »
« Ja dies war der Fall. Ihr habt Euch gänzlich unbeliebt gemacht. »
Einem Impuls folgend versuchte sie einen Schritt zur Seite zu machen, der jedoch halb in der Luft hängen blieb, als sie das Schnalzen einer Zunge hörte das ihr bis tief in die Knochen ging. Allerdings reichte der menschliche Laut nicht aus, um ihr Gefühl der Überlegenheit und der Neugierde zu dämpfen. Das Gegenteil war sogar der Fall, denn mit dem ersten Schrecken und die sich zerstreuende Wut über sich selbst, kam ihre zuvor verlorene Sicherheit zurück.
« Ich kann mir nicht vorstellen was Ihr Euch von Eurem Verhalten erhofft. » , sagte sie nüchtern. Dieser Kerl übertrieb es langsam und ihr reichte es alle Mal, was wollte er?
Er zuckte mit den Schultern, lächelte kurz und war so schnell bei ihr, das sie nicht einmal mit den Wimpern hätte schlagen können.. Sie hatte nur wenige Möglichkeiten, sie konnte den Mann mit Worten zur Vernunft bringen oder mit Gewalt. Da er sie jedoch mit seinen Händen fest an den Schultern packte und sie schmerzhaft gegen die Wand drückte, wurde ihr klar das sie nicht einmal eine Wahlmöglichkeit besaß. Gerade wollte sie ihre Lippen, die sich kalt und rau anfühlten, auseinander zwängen, als sie seinen Atem an ihrem Hals spürte. Er widerte sie an. Ein paar geflüsterte Worte reichten aus um sie vollständig erstarren zu lassen.
« Steward Seymour. Es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen. Aber was rede ich denn da, denn eigentlich gehört Ihr ja praktisch zur Familie, Ferguson lässt grüßen. »
Sie erstarrte gänzlich, selbst als er sie losgelassen hatte. Zum ersten Mal seid man sie in Derby aufgegriffen, dieser verflixte Soldat Aiden sich ihrer angenommen hatte und sie schließlich hierher gelangt war, musste sie weinen.
Dies war nur von kurzer Dauer, was Seymour mit kaum einer menschlichen Regung zur Kenntnis nahm. Sie hatte Ferguson über Tage verdrängt, war sein Name doch wie ein Schlag auf sie eingeprasselt. Er war der Grund für all das Geschehene. Weshalb sie aus der Sicherheit ihrer Familie nach Derby geflohen war und all diese Mühen nun auf sich nahm.
« Geht es ihm gut? »
« Es geht ihm ausgezeichnet, würde man über seinen normalen Zustand hinwegschauen. », antwortete Seymour. « Verzeiht meine Aufdringlichkeit von zuvor, aber ich wollte sicher gehen, das ihr meine Drohung die ich auszusprechen gedenke erst nehmt. Ein Wort über Ferguson und es Gnade Euch Gott. »
Helen war sprachlos, nickte zögernd und schloss die Augen bis die Schritte des Fremden im Gang verhallt waren. Das Geschäftsgespräch ihres Bruders war vollkommen gleichgültig geworden. Ferguson, ihr heimlicher Verlobter, schlug in Sachen Geheimniskrämerei und Hinterlist, all die anderen Heimlichkeiten die in diesem Haus zu Gange waren.

Noch vollkommen aufgelöst und verwirrt hechtete Helen durch die Gänge. Zuerst sehnte sie sich nach ihrem Zimmer, in das sie sich hätte einschließen können, doch der Gedanke von all den Intrigen und Machtspielchen umringt zu sein, ließ sie umso verzweifelter werden.
Zuerst war da die Sache mit ihrem heimlichen Verlobten, der in Derby auf sie wartete und ihrem Bruder und dessen hässlichen Beziehungen, nach dessen Worten sie ein Attentat auf Lord George ausgeübt hatten. Schließlich auch noch die falschen Soldaten und Aiden, der sie aus ihrer misslichen Lage, nicht ganz hatte retten können.
Durch das weiße Gartentor, an den Rosenbüschen und Rhododendren, sowie dem Kräutergarten vorbei lief sie erneut in das schützende Gebiet des Parks.
Außer Atem und mit brennenden Seitenstichen, blieb sie dieses Mal auf dem Hauptweg und setzte sich auf eine Bank, die unter einer großen Eiche, Schatten spendete. Es war ein heißer, aber windiger Tag.
Das Gesicht in ihren Händen vergraben, schluchzte sie auf, völlig außerstande auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, was sollte sie nur als erstes tun? Der Druck des freilich, gewaltigen Schlammassel drohte sie zu überwältigen.
Steward Seymour, der ihr unbekannte Herr, welcher frei in ihrem Haus herumlief, mochte sie vielleicht bedrohen, doch war sie, wenigstens was dieses Problem anbelangte, beruhigt. Denn niemals hätte sie es gewagt Ferguson gegenüber James zu erwähnen. Das er allerdings wusste, dass sie mit ihm bekannt war, eventuell in zahlreiche andere Geheimnisse ebenso einen Einblick besaß, ließ sie erneut verzweifeln.
Ohne es so recht zu wissen stand sie auf und lief weiter über den Kies die Allee hinab. Ihre Gedanken brachten sie bald zu einem Punkt, der weder eine Lösung noch Kompromisse bereit hielt und sie blickte auf um ihren Spaziergang in eine andere Richtung zu lenken.
Wieder sah sie einen Herrn, der ihr entgegen kam, sie aber noch nicht gesehen hatte. Sie fürchtete schon ein drittes Mal auf Seymour zu treffen, war aber umso überraschter, als sie Aiden Black erblickte.
Er hielt ungezwungen auf sie zu, bis sie nur noch wenige Meter voneinander trennten.
Doch die Zeit reichte nicht, um ihre sich aufstauenden Gedanken, Wünsche, Ängste zu ordnen. Wartend, verweilte Aiden gebieterisch, ja fast hochmütig, ohne ein Wort zu sagen.
Seine Anwesenheit war ihr unheimlich, hatte sie sich doch seit Tagen gefragt, wie es ihm ergangen war, nachdem sie getrennt wurden. Niemals hätte sie gedacht in hier wieder zu sehen.
Ein Windzug, ein sanfter Hauch umwehte ihr Haar und sie strich es vorsichtig wieder glatt. Aidens Arme waren verschränkt, sein Blick auf sie gerichtet.
Hätte sie nicht gewusst das er ein falscher Soldat war, so hätte sie ihn für einen Lord und keinen Lügner gehalten.
Ein Mann mit Stil und Anmutigkeit. Es stahl ihr fast die Sprache, als würde ein unsichtbarer Sog all ihre Intelligenz und Wesenzüge rauben. Mitinbegriffen Schamlosigkeit aufgrund ihres mehr als penetranten Blicks, den sie nicht abwenden konnte.
Für einen Augenblick schien es keine Zeit zu geben. Der Wind lag wie ausgestorben versteckt in den Ästen der Bäumen, nichts regte sich, alles stand still und einen Atemzug lang sahen sie sich gegenseitig tief in die Augen.
Sie überkam ein merkwürdiges Gefühl und noch ehe sie es hätte beschreiben können zerstörte er ihre Gedanken und den unwirklich erscheinenden Augenblick.
« Was tut Ihr hier? »
Die junge Frau vor ihm war nicht die selbe die Aiden verlassen hatte, im Gegenteil an ihr schien eine verirrte und sanfte Art zu hängen das dem temperamentvollen und törichten Wesen so gar nicht ähnelte.
« Was sucht du hier? » , entgegnete sie leise und blieb mit bebenden Schultern stehen.
« Ist mit Euch alles in Ordnung? », fragte er skeptisch und ebenso leise. Nicht darauf antwortend konnte er ihren verstörten Blick und das plötzlich abgewandte Gesicht als Reaktion darauf sehen. War es Ungläubigkeit oder gespielte Verwirrung die er dort in ihren zarten Zügen lesen konnte?
« Miss Kincaid. Wenn Ihr erlaubt, möchte ich Euch meine Aufwartung machen und mich nach Eurem Wohlbefinden erkundigen. »
Regungslos standen die beiden da, Helen die der Wirklichkeit entronnen wollte und Aiden der diese festhalten und aufzuklären versuchte.
Empfindungslos starrten ihre Augen ins Nichts, nicht glauben wollend was gerade mit ihr passierte, was alles schon geschehen war und was noch passieren würde.
Doch Aidens Gegenwart lenkte sie von ihrer eigenen Verwirrung ab indem sie ihre gut erzogene Höfflichkeit zum Vorschein zwang.
« Mr Black, ich danke Euch für Euren Einsatz und Eure Selbstlosigkeit, die Euch dazu veranlasst hat mir zu helfen. »
« Das ist nicht nötig. Mein Befehl war eindeutig, auch wenn ich Ihn nach meinen Vorstellungen nicht korrekt ausführen konnte, so freue ich mich Euch bei bester Gesundheit anzutreffen. »
« In der Tat. » , sagte Helen, wagte es aber nicht die vermeintliche Lüge, aufgrund seines Berufs anzusprechen.
Zusammen gingen sie nun ein Stück. Stumm beobachteten sie die Umgebung und wechselten nur kurze, banale Höfflichkeiten.
« Wenn ich mir die Frage erlauben darf... »
« Ja? » , ermunterte Aiden sie, was sie sehr überraschte.
« Wie ist es Euch in den letzten Tagen ergangen? »
« Ich habe mich durchgeschlagen. Nachdem ich bemerkt hatte, dass die Soldaten Eures Bruders Euch gefunden hatten, war ich auf die Gastfreundschaft eines Bekannten angewiesen. Kurz darauf hat mich dann die Sorge um Euch zu Eurem Anwesen gebracht. Ich hatte gehofft Euch hier anzutreffen und wie mir scheint war das Glück mir hold. »
Den weiteren Weg über schweigen sie. Helen war die ganze Sache hinsichtlich ihrer Flucht zu peinlich, Aiden zu kraftaufwendig und ermüdend als dass sie weiter darüber diskutiert hätten.
Mr Black, wie er James, vorgestellt wurde, sollte zum Essen bleiben. Sie speisten zu Siebt , da Helens Bruder zwei seiner Geschäftspartner, mitsamt deren Ehefrauen eingeladen hatte.
« Ich hatte ja keine Ahnung, das Sir Timothy so an unserem Wohlbefinden interessiert ist. Ich werde ihm gleich Morgen per Eilboten meinen Dank aussprechen. », sagte James und erhielt dafür einige schmeichelnde Worte von Aiden. Er hatte soeben seine Bekanntschaft mit Helen in kurzer Darstellung geschildert, was die Gäste natürlich sehr interessierte. Wie sich James Soldaten ihm jedoch gegenüber verhalten hatten, sprach er nicht an, um des Gastgebers und viel mehr noch um Helens Willen. Er warf ihr einige verstohlene Blicke über den langen Tisch zu, die sie mit Absicht ignorierte. Empört und gleichzeitig belustigt über solchen Starrsinn war die Abendgesellschaft mehr als lohnend für ihn. Ihr Bruder, schien ein ausgezeichneter Geschäftsmann zu sein und sie unterhielten sich längere Zeit, während die anderen beiden Herren immer wieder nette Kommentare dazu warfen. James schien ganz angetan von dem vermeintlichen Retter seiner Schwester. Als Aiden begann von seiner Laufbahn als Soldat zu berichten und einige kürzere Kampfeinsätze zum Besten gab, schien es ihm, als würde Helen plötzlich aufmerksam werden und war darauf bedacht sie genau zu beobachten.
Nach dem Essen, zogen sich die Herren zu Zigarren und Brandy zurück, während die Damen angeregt Schach spielten. Um es kurz zu beschreiben, es war ein wohltuender Abend mit Gästen im Haus des Herrn von Kincaids ridge, der selbst nicht einmal anwesend war.
Da es schon lange nach Mitternacht war, als sich die Runde löste, beschloss man das die Gäste über Nacht bleiben sollten, was Aiden dankend annahm, da es seinen guten Bekannten, den er Helen gegenüber erwähnt hatte nicht gab.
Er war die Tage verloren umhergeirrt, hatte einem Mann später dann seine saubere Kleidung abgekauft und war nach Kincaids ridge gelaufen, um sich dort von den Strapazen der schrecklichen Wochen zu erholen. Natürlich war das nichts weiter als ein schamloses Schauspiel, da er die Gutmütigkeit seines Gastgebers ausnutze, doch fand er diesen Preis als angemessen, für das was er für Helen getan hatte. Immerhin hätte er dem Befehl von Timothy Craig nicht nachgehen müssen.
Jetzt musste er so schnell wie nur irgend möglich nach Derby zum Haus seines Bruders und ihn wissen lassen, das er überhaupt noch am Leben war. Er wagte es noch nicht, bereits jetzt eine Nachricht loszuschicken. Die Angst vor seinen Verfolgern war zu groß, als das er ein Lebenszeichen von sich geben konnte. Aufgrund seiner falschen Identität als Soldat und dem Namen seiner Mutter, hoffte er vorerst unentdeckt weiterreisen zu können.

4 Tage zuvor

Ein Pfeifen ertönte und hallte durch seinen Kopf. Sein Herz fühlte sich schwer an, wie eine große Last in seinem Inneren, als würde es von unregelmäßigen Stößen heimgesucht. Alles krampfe sich in ihm zusammen, jeder Muskel bebte, und seine Seele fing an aus seinem Körper zu fliehen und ein tosender Kampf begann. Ein Kampf der nur ihn allein betraf, dessen Ausgang Dunkelheit oder Freiheit bedeutet und nur der Wille entschied. Der Wille zum Überleben. « Habe ich diesen Willen? », fragte er entgeistert und spürte wie seine Hand, während er versuchte sich aufzusetzen, unter seinem Körper erzitterte.
Diese junge Frau...Helen...er konnte den Soldaten nun nicht mehr folgen. Sie war wahrscheinlich nun in bessern Händen, als in den seinigen. Obwohl er ihr hatte ansehen können, dass der Gedanke an ihr Zuhause schmerzhaft für sie war.
Ein starker Wind wehte und erst jetzt erinnerte sich Aiden an die Umstände die ihn an diesen Ort gebracht hatten. Halb entsetzt, halb verwirrt und gleichzeitig aufatmend schloss er wieder die Augen und horchte auf seine Umgebung.
Er hörte noch immer das rätselhafte Pfeifen und ordnete es schließlich einer Amsel zu, dann einer zweiten die den Ruf erwiderte. Von Menschen fehlte jede Spur. In seiner Eile war er gelaufen, dass er lediglich den Boden gesehen hatte, um nicht unglücklich über Wurzeln oder Steine zu fallen.
Mit einem Ruck setze er sich auf, den Kopf vorne weg fühlte er die Anstrengung der sein Körper ausgesetzt gewesen war und übergab sich auf der Stelle. Doch jetzt lebte die Erinnerung neu auf und überfiel ihn wie ein wild gewordenes Tier, einen ihn nach unten reißender Anker. Die Schläge hätte er zu verkraften gewusst wäre da nicht die schreckliche Sorge um Helen. Wenn er nur mit Gewissheit sagen könnte, das es ihr gut ging...
Er wollte schlafen, sich den Träumen ergeben und sich ausruhen, aber der Hunger hielt ihn wach und zwang ihn zum Handeln.
Ein Blick gen Himmel genügte, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Die Sonne lies ihre Strahlen durch das Netz von Ästen fallen und wärmte seinen Körper angenehm. Wie einfach wäre es hier zu liegen und in ruhe zu sterben...
Wie erging es Helen? Diese Frage drängte sich immer wieder in sein Bewusstsein zurück. Hatte man sie schon zurück gebracht? Natürlich, es musste einfach so sein. Die Fragen wollten kein Ende nehmen, doch ignorieren wollte er sie Widerrum auch nicht.
Er ächzte auf und fühlte die Sonne jetzt in seinem Rücken. Er stand auf und verschaffte sich einen Überblick. Farn, Gras, Büsche und Bäume, mehr war weit und breit nicht zu sehen. Mit langsamen Schritten ging er vorwärts und durchstreifte mal tiefere und dunklere, mal hellere und begehbarere Teile des riesigen Waldes. Sein Kopf pochte unaufhörlich aggressiv.
Unwissend über die letzteren Ereignisse lief er ohne den Weg zu kennen der Nase voraus und orientierte sich dabei an dem rauschenden Fluss, der nicht weit von ihm sein Bett haben musste. Die friedliche, unaufdringliche Stille des Ortes wirkten auf ihn ein wie Drogen und er wanderte leichten Gemüts und mit schmerzenden Gliedern seinen Launen nach, in jede erdenkliche Richtung.
Nach einer Weile ließ er sich nur noch treiben und schaffte es dem Wald zu entkommen. Eine grüne Wiese breitete sich vor ihm aus. Alles wirkte mehr als harmonisch. Doch entgegen der grünen Idylle schmeckte er etwas blutiges in seinem Mund, versuchte es aber abzutun. Zu sehr waren blutigen Erinnerung ein Bestandteil von ihm das er es ständig hätte zulassen können, dass sie sich in seinem Gehirn festsetzten. Er wollte den Augenblick genießen und einfach die Augen schließen.

Es war kalt und seine Hände fingen an zu zittern. Wieder lief er durch bewaldetes Gebiet.
Mit jedem Schritt den er machte betrat er ein vertrautes Stück Erde, das nicht vergessen wollende Erinnerungen wieder zusammentrug.
Helen war für eine Weile vergessen, denn die Umgebung zog in ganz in seinen Bann und er erlebte wie schon sooft ein unnatürliches Dèjá vu Gefühl das sein ganzes Bewusstsein beanspruchte.
Hier ganz in der Nähe war das Haus in dem er bis zum Todestag seiner Mutter aufgewachsen war. Bis er geflohen war, geflohen aus einem Flammeninferno aus denen Schreie seinen Tod wünschten. Seine Mutter hatte es gewusst. Sie muss gewusst haben das es eines Tages so kommen würde und doch war sie so stumm geblieben, als würde es sie ihr Leben kosten, wenn nicht sogar ihre Seele oder die ihres Kindes. Faith Adriana Black war eine starke Frau gewesen. Er der Bastard einer Hure, das Resultat einer unschicklichen Affäre, die gegen alle Sitten und Regeln sprach.
Mit einem flauen Gefühl im Magen versuchte er sich zu erinnern, wie ihre Stimme klang, wie sie einzelne Wörter aussprach und wie sich sanft ihre Augen dazu veränderten, doch die Worte hatten schon lange ihre Bedeutung verloren und er schaffte es nicht sich ihren Klang ins Gedächtnis zurückzurufen.
Windige Böen zogen umher, als es Nacht wurde und der abnehmende Mond lies sein karges Licht auf ihn fallen. Dunkelheit erfüllte das Land und er war allein. Den ganzen Tag über war er ruhelos gewandert, hatte beobachtet und wie in Trance neben sich gestanden. Die kleinsten Dinge hatten für ihn von Wichtigkeit gewonnen, doch Helen spuckte nach wie vor in seinem Geist herum.
Nach langen hinstarren versuchte er einen klaren Gedanken zu fassen, doch es wurde so still um ihn das alle Erdendinge mit einemmal für ihn verschwanden.
Ein Gefühl der Verzweiflung machte sich in ihm breit und nichts, rein gar nichts konnte ihn angesichts dieser Tatsachen mehr unterstützen. Er wollte sie verdrängen, die Erinnerungen, die Bilder. Sein Kopf schmerzte und es war ihm als würde er die brennenden Wunden erneut auf seinem Körper spüren, erneut seine salzigen Tränen schmecken und erneut ins schwarze Nichts laufen. Dieser Ort machte ihn wahrlich verrückt. Nach dem Tod seiner Mutter, die in dem brennenden Haus umgekommen war, das ihm beinahe selbst das Leben gekostet hätte, tauchten die Erinnerungen daran, unregelmäßig und bösartig in seinem Kopf auf. Wieder und wieder.
Erst der heulende Aufschrei eines Wolfes nicht weit von ihm ließ ihn aus seiner Trance erwachen. Fast reflexartig langte er zu seiner Waffe, ein kunstvoll, glänzendes Schwert, einen kleinen Dolch in seine Innenjacke genäht und eine Pistole an seinem Hosengürtel.
Traurig sah er das prachtvolle Schwert, mit glasigen Augen an. Nicht das er nicht damit umgehen konnte, doch ließ ihn der Gedanke nicht los, das es irgendetwas besaß, eine geheimnisvolle Verbindung zu etwas Fremden.
Es war wie eine ständige Erinnerung, ein nicht vergessen wollendes Zeichen oder eine permanente Maßnahme damit er sich beherrschte, es war das Schwert seines Vaters. Er hatte damit gemordet.
Bäume und Pflanzen die komplette Vegetation würde, schon bald ihre Arme um seine Taten legen und sein schmutziges Geheimnis damit vertuschen. Doch Glücklich war er damit nicht. Dieser Rausch, diese Tat brannte ein stetig größer werdendes Loch in sein Inneres, was ihm immer mehr verdeutlichte das er sich selbst am wenigsten kannte, oder besser gesagt unter Kontrolle hatte.
Zwar wusste er das es die Notwehr rechtfertigte, doch die Tat an sich war grausig und fühlte sich falsch an. Als er vor mehr als einer Woche die Aufgabe von Sir Timothy Craig bekam Helen Kincaid seinen Schutz zuzusichern, hatte er nicht damit gerechnet selbst ins Visier zu geraten. Getarnt als einfacher, mitteloser Soldat war er gut vorangekommen und hätte seine beiden Gefährten am nächsten Tag getroffen und wäre mit ihnen weiter gepilgert, hätte man ihn nicht gewaltsam niedergeschlagen. Wie sich herausstellte war dies ein geplantes Attentat, dessen Ziel einzig und allein war, seinen Vater zu erpressen. Doch er konnte fliehen, tötete dabei einen seiner Verfolger und rettete sich ins Ungewisse. Kurz darauf war er auf Helen gestoßen.
Mehrere Tage darauf irrte er noch immer umher. Es war eine kalte, melancholische Nacht in der unscheinbare Schatten umherzogen.
Schlafen konnte er nun nicht mehr, ein angespanntes Gefühl zog sich durch seinen Körper und er spürte eine lebendige Kraft in sich wie schon lange nicht mehr. Wirre Träume verfolgten ihn, wobei er sich psychisch wieder weitgehend gefasst hatte. Die Tatsache das er vor nicht allzu langer Zeit entführt und misshandelt worden war, einen seiner Peiniger getötet hatte und wohl noch immer auf der Flucht vor eventuellen Verfolgern war trieb ihn an zu handeln.
Er war eine Weile verwirrt, wenn nicht sogar ziemlich verstört gewesen und hatte eine Auszeit wahrhaftig nötig gehabt, um sein Inneres wieder unter Kontrolle zu bringen. Nun musste er jedoch nach Derby. Sein Bruder hatte dort einen zweiten Sitz, von wo aus er sich Unterstützung erhoffte. Diese Frau, oder dieses Mädchen viel eher gesagt; Helen. Es tat ihm leid um sie. Was war ihr wohl zugestoßen? Noch immer interessierte ihn ihr Grund für ihre Flucht aus dem Haus ihrer Familie sehr.
Es war fast wie ein Drang an sie zu denken und eine Erlösung es nicht zu tun. Er wollte nur einer Empfindung, einem Impuls nachgehen und sich selbst in Sicherheit wiegen das ihr nichts zugestoßen war.
Seid Vier Tagen nun lief er nichtsnutzig umher, einzig seine Gedanken waren klarer geworden und er fragte sich was sein nächster Schritt sein würde. Es missfiel ihm zu entscheiden, doch da die Wahl nicht sehr erstrebenswert war, folgte er seinen Füßen, wie er es schon seid Tagen tat. Das Schicksal würde ihn nun nach Kincaids ridge leiten wo er abermals Helen treffen würde. Seine Pläne würden sich rasch ändern.

6. Nächtlicher Besuch

Entkräftigt und leicht angetrunken warf sich Aiden auf sein Bett. Der Gestank von Zigarrenrauch lastet an ihm, war ihm aber angesichts der Aussicht in einem Bett schlafen zu können, egal. Er beabsichtigte morgen Abend abzureisen. James würde ihm mit Sicherheit ein Pferd und Proviant anbieten. Wenn er die ganze Nacht durchreiten würde, könnte er es innerhalb weniger Tage schaffen Derby zu erreichen. Die Sorge, um mögliche Verfolger hatte sich keineswegs gemindert, doch wirkte sie dank des Weins, nicht mehr ganz so unangenehm auf ihn ein.
Was ihn tatsächlich bewegte war Helen. Er hatte sich in den vergangenen Tagen den Kopf um ihr Wohl zerbrochen, sich dermaßen gefreut sie am Mittag zu erblicken, dass er sie, entgegen aller Sitten, am liebsten umarmt hätte. Ihre Abweisungen und ihre zurückhaltende Art, ließen ihn wüten werden, wo er doch so viel Sorge und Zeit an sie verschwendet hatte. Viel mehr hatte er Dankbarkeit und Freude erwartet. Da sie sich aber von Beginn an, sehr kühl, wenn nicht gar beleidigend ihm gegenüber verhalten hatte, konnte er ihr derzeitiges Verhalten nicht übel nehmen. Am Morgen wollte er einen erneuten Versuch starten und ein Gespräch mit ihr beginnen. Seine Zuneigung zu ihr wuchs mit jedem Moment.
Schließlich löschte er das Licht und fiel in einen ruhigen Schlaf.
Jemand rüttelte an seinem Arm und als er die Augen verschlafen öffnete, stach ihm Kerzenlicht entgegen. Helens bleiches Gesicht lächelte ihn verlegen an. Er war sofort hellwach.
« Miss Kincaid. », entfuhr es ihn und er schreckte hoch.
« Nimm mich mit, ich bitte dich nimm mich mit dir. », flehte sie ihn urplötzlich an.
« Ihr?...ähm...Du willst mit mir was? Wieso...aber...du bist...das ist dein Zuhause. Was redest du für einen Unsinn? Es ist mitten in der Nacht! »
Er schüttelte ungläubig seinen Kopf und hoffte noch aus seinem Traum zu erwachen, doch nichts dergleichen geschah.
« Ich habe keine andere Wahl. Ich hatte nie vor wieder nach Kincaids ridge zurückzukehren. »
« Du bist mir keine Rechenschaft schuldig, es tut mir leid, vergiss meine Worte. »
« Nein du solltest wissen, das... »
»Hör auf, es geht mich nichts an, ich sagte doch du bist mir nichts schuldig, aber du kannst nicht mit mir kommen. » , sagte er entschlossen, stand auf und kehrte ihr den Rücken zu, warum war er nur gekommen? Und was zog ihn zu diesem Mädchen? Er verstand es nicht und wollte ihr sein Gesicht nicht zeigen indem sein innerer Konflikt nur zu deutlich sichtbar war.
« Weshalb wollt Ihr fort? Es kann sein das es bald überall von Soldaten und Patrouillen wimmelt. Sollte Lord George einen Angriff gegen dieses Pack aus niederen Adligen wagen.... Ihr wärst hier am sichersten. »
Er wechselte absichtlich zu einer höfflicheren Anrede, um seinen Standpunkt noch zu unterstreichen.
« Lord George, ich weiß, er ist in aller Munde. Selbst mein Bruder ist in diese Sache verwickelt. Doch nichts desto trotz muss ich auf den schnellsten Weg von hier fort. »
Bei diesen Worten konnte er nicht anderes und ihr einen verstohlenen Blick zuwerfen. Auch sie blickte auf eine hinterlistige Art und er konnte nicht anders als sich noch einmal zu fragen was in aller Welt ihn bewegt hatte noch einmal her zu kommen.
Daraufhin schwiegen sie und ein flaues Gefühl umgab Aidens Magengrube. Es war ein Gemisch aus Misstrauen und Unbehaglichem das ihn nicht in Ruhe lassen wollte.
« Solltet Ihr das nicht mit Eurem Bruder besprechen und nicht mit einem fremden Soldaten wie mir? »
« Ihr seid kein Soldat. »
« Wenn Ihr dieser Ansicht seid, schön. Und nun seid so gütig und verlasst mein Schlafzimmer. »
« Ich muss darauf bestehen. »
« Was soll das heißen? Ich nehme Euch auf keinen Fall mit. Ich weiß ja nicht einmal wie ich mich selbst durchschlagen soll. Ohne Geld, ohne Güter, nicht einmal ein Pferd steht mir zur Verfügung! »
« Das ist mir.. »
Sie wollte erneut widersprechen, hielt aber mitten im Satz inne und schob ihren Unterkiefer vor.
« Ihr seid töricht wenn Ihr glaubt das Ihr mit Eurem sturen Verhalten sehr weit kommt. Ich bin nicht mehr verpflichtet Euch zu Begleiten. Verlasst nun mein Zimmer. »
Wütend starrte sie ihn noch eine Weile an, tat dann aber wie geheißen und ließ einen äußert zerstreuten Aiden zurück.

Der nächste Morgen begann für Aiden recht unangenehm. Nach seinem nächtlichen Besuch, den er peinlich in Erinnerung hatte, verfolgte ihn das Bedürfnis sich entschuldigen zu müssen. Als er dann im Frühstückszimmer die Damen beisammen fand und auf sie zusteuerte, kam ihm James dazwischen, der ihn schon Sehnsüchtig erwartet hatte, um ihm die neuesten Neuigkeiten zu erzählen. So hörte er eine geschlagene halbe Stunde dem banalen Themen seines Gastgebers zu, während sein Blick immer wieder zu dessen Schwester abschweifte, deren Haltung noch mehr Distanziertheit pries, als am Tag zuvor.
« Ihr müsst uns erneut besuchen kommen. » , sagte James kurze Zeit darauf beim Frühstück, als Aiden ihm von seinem Plänen noch am Abend abzureisen, erzählte. Er bejahte und bedankte sich überschwänglich für die Gastfreundschaft die ihm zuteil wurde, wobei Helen nicht ein Wort an ihn richtete.
Als die Herren dann zu ihren geschäftlichen Aufgaben wechselten und sich mit Bilanzen und Jahresplänen zurückzogen, plauderte Aiden noch eine Weile mit den Damen, Helen ausgeschlossen. Er startete mehrere Versuche, die allesamt missglückten und ihm tadelnde, ja fast mörderische Blicke bescherten. Ihre Abneigung war offensichtlich.
Gegen Mittag war ein längerer Spaziergang geplant. Die Ehefrauen von James Geschäftspartnern gingen voraus, während er sehnsüchtig auf die drei Herren wartete, da, wie er soeben erfahren hatte, Helen sich verspätet hatte und jeden Augenblick herunter kommen würde um dann in der Eingangshalle auf ihn zu treffen. Alle vier kamen gleichzeitig. Aiden lächelte und war schon im Begriff die Herren zu begrüßen, als sich diese aufgrund eines unvorhergesehenen Notfalls entschuldigten.
« Helen, bitte kümmere dich um unseren Besuch. », richtete James das Wort an sie und verließ anschließend den Raum, nachdem sie ihm nicht widersprochen hatte.
« Wenn Ihr meine Gesellschaft nicht schätzt, so kann ich auch gut auf einen Spaziergang verzichten. » , schlug Aiden vor.
« Aber nein, warum denn? », entgegnete Helen überraschender Weise und lächelte ihn zuvorkommend an. Ihre Wandlung ließ ihn kurz vollkommen vertrottelt wirken. Bis er sich wieder gefasst hatte, waren mehrere Minuten verstrichen.
« Wollen wir? »
« Gerne, die Dame. »
Sie gingen über einen schmalen Kiesweg, der sie bald auf die Allee führte, auf der sie sich am Tage zuvor begegnet waren. Eine kurze Bemerkung über das Wetter und sie schwiegen mehrere Minuten lang, ehe sie die anderen beiden Damen erblickten.
Keiner von ihnen machte Anstalten ihr Tempo zu erhöhen, um sie einzuholen. Nach Gesellschaft war beiden nicht zumute. Das Schweigen wurde zum Dauerzustand, während jeder seinen Gedanken nachhing und sich dem Schritt des jeweils anderen anpasste. So gingen sie in stiller Übereinkunft den gesamten Weg entlang, ohne ein Wort miteinander zu sprechen. Als die Stille irgendwann zu unangenehm wurde, brach Aiden das Schweigen und bedankte sich nochmals für die überaus großzügige Gastfreundschaft. Helen nahm dies eher gleichgültig zur Kenntnis, was ihn ihm eine böse Verstimmung auslöste.
« Ich habe Euch nicht gebeten mich zu begleiten. Also beleidigt mich nicht indem Ihr mich absichtlich mit dieser Stille bestraft. »
« Die Stille kommt von ganz allein. Hättet Ihr nicht ein Thema aufwerfen können, um ein Gespräch zu beginnen? » , entgegnete sie bissig.
« Das hätte ich, doch erwarte ich noch immer eine Entschuldigung »
« Eine Entschuldigung, wofür frage ich mich »
Sie blickte ihn klar an und war sich, wie er verärgert feststellte, wahrhaftig keiner Schuld bewusst.
« Für Euer unziemliches Verhalten in der letzten Nacht, beispielsweise »
« Oh, ich hätte gedacht, Ihr würdet darüber hinwegsehen das Ihr Euch so unhöfflich verhalten habt. »
« Ich und unhöfflich? Ich muss doch sehr bitten! Ihr wart es die in mein Zimmer eingebrochen und mich beinahe erpresst habt »
« Ich habe Euch nicht erpresst. », sagte sie laut und blieb stehen.
« Ihr wart kurz davor. Nur damit Ihr dieser Etikette entkommen könnt, Ihr macht Euch wirklich lächerlich »
Auch er war stehen geblieben. Ihre Dreistigkeit ließ ihn zornig werden.
« Lass uns woanders darüber reden. », sagte sie schließlich nach einer längeren Pause und führte ihn über einen kleinen Trampelpfad mitten durchs Gebüsch. Er folgte ihr widerwillig.
Sie gingen stumm, aber wachsam in Richtung Wassermühle.
« Ich kann Euch noch immer nicht mit mir nehmen. Inwiefern könnte meine Anwesenheit auf der Reise zu meinem Bekannten hilfreich sein? Was versprecht Ihr Euch davon, auf seinem Anwesen zu sein? », fragte Aiden ohne weitere Umschweife.
« Die Tatsache das Ihr mir weder den Namen noch den Aufenthaltsort Eures so genannten Bekannten erzählt habt, lässt mich vermuten, dass Ihr mich belogen habt. Das war zu offensichtlich, da Ihr nicht einmal zu Pferd oder mit einem Wagen nach Kincaids ridge gekommen seid. »
Er vermied es sorgsam ihrem bohrenden Blick zu begegnen, auf ihre Anschuldigungen ging er jedoch nicht ein.
« Ich will Euch in Euren, ich hoffe doch wohl überlegten Beschuldigungen nicht unterbrechen, doch stellt Ihr hier eine Bitte, nicht ich. Wäre es nicht sinnlos mir dann solch hinterhältige Vergehen vorzuwerfen ? »
« Nein », sagte sie und starrte ihn überlegen an. « Ihr seid die Art von Mensch die erst durch das Widerlegen der unwahr erscheinenden Worte dazu gebracht werden kann einem zuzuhören. »
« Nun gut, dann erklärt mir, warum Ihr mich für solch einen Menschen haltet. » Er formulierte diese Bitte, mehr als eine Forderung und setzte so viel nötigen Ernst mit hinein, wie er für angebracht hielt.
Gerade entkamen sie dem recht wilden Gestrüpp, durch das sie ein Weile gewandert waren, als gleißendes Sonnenlicht ihnen beiden die Sicht raubte. Die Strahlen suchten sich ihren Weg durch das Blattwerk, sodass alles in hellen, leuchtenden Farben erblühte. Der Himmel war zwar von einem Meer aus schachbrettartigen Wolken bepinselt, ließ die Sonne aber zur Genüge ihre sommerliche Hitze ausfalten. Es wurde zunehmend, unangenehm heiß.
Aiden wischte sich den Schweiß mit einem Taschentuch von der Stirn und folgte seiner Begleiterin, die ihm noch immer über den erdigen Pfad voraus eilte. Wo wollte sie nur hin?
« Ich will ja nicht widerlegen, dass es Euren Bekannten nicht irgendwo gibt, doch sicherlich nicht hier in der Nähe. Ich kenne alle benachbarten Familien zu genüge, als das sie einem falschen Soldaten ihre Gastfreundlichkeit anbieten würde. »
« So wie Ihr es getan habt? »
« Dies war ein anderer Fall. James hat Euch empfangen nicht ich. Des weiteren war es ja die Wahrheit was Ihr über Sir Timothy Craig gesagt habt. Um aber noch einmal auf Eure Frage von zuvor einzugehen, ich verspreche mir nichts davon zu Eurem Bekannten zu reisen, da es ihn ja, wie bereits erklärt nicht gibt. »
« Ihr seid also immer noch der Meinung ich wäre kein Soldat? »
Sein Sarkasmus war kaum zu überhören. Durch ihre Erörterung seiner bisher gut einstudierten Lügerei, war er sogar recht beeindruckt von ihr.
« Ich bitte Euch! Eurer Verhalten war nun wirklich mehr das eines Hundes. Lasst mich erklären. » fügte sie auf seine plötzliche, sich verdüsternde Mimik hinzu und duckte sich vor einem tief hängenden Ast. Neben ihnen tauchte ein Tümpel auf, Schilf und Algen ließen ihn in der Sonne grünlich glitzern, als wären unter der Oberfläche, tausende kleine Smaragde. Aiden erinnerte der dreckige Sumpf eher an Helens Augen, behielt diesen Gedanken allerdings für sich.
« Zuerst wart Ihr schon vor beginn unseres Treffens, ausgemergelt und übermüdet, was man nicht auf eine Verfolgung der falschen Soldaten zurückführen kann. Ihr habt etwas viel Kraftaufwendigeres hinter Euch. Schließlich habt Ihr Euch aufgeführt, wie der Retter in der Not. Beinahe Heldenhaft, wolltet Ihr mich beschützen und begleiten. Ein einfacher Soldat hätte spätestens da seine eigenen Sicherheit über den Befehl seines Herrn gestellt. »
« Kluge Worte. Ich darf hinzufügen, das Euer Verhalten auch nicht recht tadellos war. Ich erspare mir aber jetzt die Einzelheiten. Das einzige das ich Euch anbieten kann, ist ein zukünftiger Besuch in meinem Haus und das wir unsere Freundschaft brieflich fortsetzen können. »
Helen sagte nichts mehr, sondern blieb unvermittelt stehen. Aiden stellte sich neben sie und sah auf das Ziel ihrer - er würde sagen - Abkürzung. Die Ställe von Kincaids ridge.
Sie gingen näher und der Geruch nach Stroh, Kot und Acker machte sich bemerkbar. Die großen Türen waren geöffnet. Diener, Gäste und Stallburschen versammelten sich hier und da zu kleineren Trauben. Pferde wurden vorgeführt, Drinks umhergereicht und der eine oder andere grobe Scherz gerissen.
Der ganze gigantische Stall war in ein gelbliches Licht getaucht, wodurch das Gebäude umso mehr durch das viele Stroh goldene Tupfer bekam. Staub wirbelte herum, Heu und Gras waren überall. Es wirkte alles sehr gemütlich. Aiden ließ sich keinesfalls an den vielen Unterhaltungen stören, sondern sah sich mit reichlicher Begeisterung ein Pferd nach dem anderen an.
Helen wirkte plötzlich wie ausgewechselt; sie lächelte zuvorkommend, wenn nicht gar charmant, bot ihm etwas zu trinken an und kümmerte sich um ihn, als wäre er eine besondere Persönlichkeit, der sie imponieren wollte. Sie redete ungestüm, zog ihn von einer Box zur nächsten, während sie die anderen Besucher, die sie am liebsten mit Fragen überschwemmt hätten, ignorierte. Ihre Aufmerksamkeit galt lediglich Aiden und ihren wunderbaren Tieren. Man könnte es fast eine flirt nennen.
Als sie später an der frischen Luft, einen braunen Hengst, der alleine auf der Koppel umherlief beobachteten, entschuldigte sie sich für ihr unangebrachtes Verhalten.
« Aber nein, es hat mir Spaß gemacht. », versicherte Aiden ihr und behielt dabei im Hinterkopf, James um ein passendes Reittier für seine Abreise am Abend zu bitten.
« Der Grund weshalb ich von hier fort muss ist mein Verlobter. »
Ihre Worte glitten ihm eiskalt den Rücken hinunter. Alle Vernunft war plötzlich vergessen und er schaffte es gerade so sich zu beherrschen. Schockiert, ja leicht verärgert und stumm umklammerte er gewaltsam die Koppel.
« Ist das so? », fragte er merkwürdig gepresst und wusste selbst nicht wie ihm geschah.
« Meine Familie darf nichts von ihm wissen. Nicht das er keine Gesellschaftliche Vorteile und Einflüsse, Geld und Anlagen mit sich bringen würde, nur....“
« Nur? »
« Haben Sie Eltern? Ich meine, natürlich habt Ihr diese, nur leben sie noch? »
Etwas verwirrt, sah er sie verstohlen an. Den Blick abwesend, wirkte sie in diesem Augenblick unglaublich verletzlich.
« Meine Mutter ist vor Jahren bei einem Feuer umgekommen. Mein Vater aber lebt noch. »
« Ihr müsst wissen, das meine Eltern beide vor sechs Jahren ums Leben kamen. Es gab gewisse Umstände.... »
«Umstände? »
« Mein Verlobter war unbewusst an diesen Umständen beteiligt, doch er hat sich keineswegs schuldig gemacht. Ich habe dies erst kürzlich in Erfahrung bringen können. Mein Bruder ist, wie ich es selbst noch vor einiger Zeit war in dem festen Glauben er hätte sie beide ermordet. »
« Ist er von Ihrer Rehabilitation unterrichtet? »
« Keineswegs. »
Sie seufzte und sah dann aus glasigen Augen zu ihm auf. Der Wind frischte auf und fuhr durch ihre Haare, dass sie zerzaust jedoch gleichzeitig warhaft schön aussah. Aiden hielt den Atem an. Die Geräusche der andern Gästen drangen bis zu ihnen vor. Ein gedämpftes Gemurmel, vermischt mit dem Wiehern und Schabern der Pferde, den wohlklingenden Summen und Sirren und dem leichten Schütteln der Bäume, die sich im Wind wogen.
Alles wirkte friedlich und heimisch, Aiden schloss resigniert die Augen. Melancholie machte sich über den sanften Ort her und für eine kurze Zeit fühlte er sich wie zu Boden geworfen, nicht imstande wieder aufzustehen.
« Miss Kincaid...Helen....bitte nimm meine Anteilnahme zu diesem wahrhaft schrecklichem Missverständnis zur Kenntnis, das deine Familie entzweit. Ich verstehe deinen Drang zu deinem Verlobten zurückzukehren und das schreckliche Gefühl, niemanden davon berichten zu können, ebenso kein Verständnis dafür zu erlangen. Du hast dich also in diesem Mann verliebt, als du ihm begegnet bist, ihr habt die Vorkommnisse von damals geklärt und euch verlobt. Dein Bruder würde diese Verbindung als Verrat ansehen. Könntest du ihm die Situation nicht in ruhe darlegen? »
« Das ist unmöglich, aber deine Situationsbeschreibung kommt der Wahrheit sehr nahe. James hat sich in diese Sache dermaßen hineingesteigert, nicht einmal meine Worte könnten ihn vor seinen Racheplänen abbringen. Es ist wie ein Lebensziel für ihn geworden. Das einzige was ich tun kann ist ihn nicht auch noch zu verletzten und die ganze Sache zu vertuschen. Wenn ich es wie eine erneute Flucht aussehen lassen kann, wird er mich vielleicht suchen, dieses Mal nicht mehr finden und ich kann in Ruhe mit Finn leben. »
« Du würdest ihn absichtlich tief verletzten und kränken. », sagte Aiden gedrückt.
« Es ist besser er ist von mir enttäuscht, als dass er sich über den Verrat seiner Schwester zu Tode grämt. »
Ermuntert durch die persönlichere Art ihrer Unterhaltung und den Gründen für all ihre Sorgen, bat sie erneut um seine Unterstützung sie so weit es ging mit sich zu nehmen.
« Was ist dein Ziel? Und wenn ich mir die Frage erlauben darf, wie ist der Name deines Verlobten? »
« Ich hoffe du weißt das Vertrauen das ich dir zuteil werden lasse mit Verantwortung zu tragen. Mein Verlobter ist Finn Alexander Ferguson, doch sein Name wird dir nicht viel sagen. Er ist in Derbyshire ansäßig, dies ist mein Ziel. »
Sie war sich im klaren das es ein gefährliches Unterfangen war einem doch recht Fremden bereits so viel Glauben zu schenken, beruhigte sich aber immer wieder mit dem Gefühl der Harmlosigkeit die sie bei seinem Anblick empfand. Er war ihr, während der Zeit die sie alleine und nun auf ihrem Gut verbracht hatte, mehr und mehr zu einem wichtigen Freund geworden.
« Wird man dich nicht erneut dort suchen? Ich nehme doch mal an, du bist dir im klaren das jedermann schließlich wusste das du dich dort aufgehalten hast. »
« Ja dessen bin ich mir bewusst. Finn teil dieses Wissen jedoch nicht und sobald ich bei ihm eintreffe, werden wir fliehen. »
« Helen...ich... », wollte er ansetzten, fiel aber in ein peinliches Schweigen, als sich ihre Blicke trafen. « Ich werde dich trotz alle dem nicht mit mir nehmen. »
Obwohl wir das gleiche Ziel haben, fügte er in Gedanken hinzu und blickte gequält zu Boden.
Sie dagegen sagte nichts mehr. War sie zu geschockt oder bereitete sie sich gerade auf einen erneuten Angriff vor?
« Ich verstehe. Guten Tag Mr Black. Eine angenehme Reise, Sir. »
Das Sprechen versagte ihm und ehe er sich versah war er allein. Welch gute Argumente sie auch gebracht hatte, um ihn zu überzeugen, war es am Ende sogar die Wahrheit gewesen, es war ihm unmöglich sie mit sich zu nehmen. Die Gefahr in der er sich befand, das Ziel das er vor Augen hatte...er konnte es nicht riskieren, diese junge Frau in noch schrecklichere Verwicklungen zu bringen, als sie sich ohnehin schon befand. Wüsste sie das Lord George von Wolverton sein Vater ist, sie würde in ebenso großer Gefahr schweben wie er selbst. Auf einer längeren Reise mit ihr, wäre diese Wahrheit unumgänglich, da er hoffte bald auf Kontaktpersonen seines Bruders zu treffen, ehe er Derby erreichen würde. So hoffte er inständig, denn solange sich niemand darüber im klaren war, das er seinen Entführern entkommen war, konnten diese, noch immer seinen Vater erpressen. Der Brief von James an Sir Timothy Craig, war deshalb von umso schwerwiegender Bedeutung.
Dann ging er davon, drehte sich nicht mehr um und ließ seine Gedanken kreisen. Für einen kurzen Augenblick, hatte er es in Erwägung gezogen dieses törichte Ding mit sich zu nehmen. Ihr trauriger Anblick würde ihn noch lange verfolgen.

7. Überstürzung

Aiden war Unbehagen zumute, den ganzen Tag bereits schon. Er fühlte sich beobachtet und gar nicht wohl dabei.
Ein lautes Rumpeln lies ihn zusammenfahren, worauf er, sich nach Stille sehnend die Augen schloss.
Er befand sich in einem merkwürdigen Zustand, in welchem konnte sie nicht sagen, wollte er verdrängen? Vergessen? Oder Kämpfen, schreien und wütend werden?
Vorsichtig atmete er auf. Er versteckte sich bereits den gesamten Tag in seinem Zimmer, wollte weder gesehen noch gehört werden aus der vagen Hoffnung heraus, dass ihm niemand seinen Konflikt aus dem Gesicht lesen konnte
Es war sinnlos noch weiter im Bett Liegenzubleiben, er war erstens wach und wollte zweitens seinen eigenen Gedanken aus dem Weg gehen. Hin und her gerissen entschloss er sich schließlich einen kurzen Spaziergang an der frischen Luft zu machen. Eigentlich hätte er schlafen sollen, da er am Abend abreisen wollte, doch war das Gespräch mit James noch immer offen. So verließ er sein Zimmer und machte sich auf in den ersten Stock. Als er anklopfte und wartete wurde er enttäuscht, denn niemand bat ihn herein. Nichts desto trotz kam er auf seine eigentliche Planung zurück und war schon im Begriff wieder hinunter zu gehen, als ihn laute Stimmen zurück hielten. Ein Streitgespräch war zu vernehmen. Niemand war zu sehen, die Gänge leer, die sonstigen Türen der Zimmer offen und ohne Insassen, dass er sich fragte woher die beiden aufgebrachten Stimmen kamen. Als er am Ende des Ganges, die weiten Türen des Salons, der für wichtige Geschäftsessen genutzt wurde, sah und diese halb geöffnet vorfand, ließ ihn seine Neugierde seine Schritte dämpfen. Helen argumentierte gerade mit vollem Eifer gegen die Behauptungen einer verrauchten, dunklen Stimme. Beklommenheit legte sich über ihn, als er verstand dass sich beide über ihre Anreise nach Kincaids ridge stritten. Die dunklere Stimmte warf ihr falsche Vertrauensseeligkeit vor, die Helen mit plötzlichem Schweigen zur Kenntnis nahm. Aiden glaubte sie würden über die falschen Soldaten reden, war aber umso mehr an dem Gespräch interessiert, als sie seinen Namen erwähnten.
« Du glaubst doch nicht das dieser Black, irgendwelche Befehle hatte? Ha, ausrauben wollte er uns. Hast du auch nur einmal daran gedacht was das für Konsequenzen haben könnte? Was alles hätte passieren können? »
Die Stimme donnerte erbarmungslos über Helen hinweg, doch sprach hier keine Besorgnis, sondern Zorn.
« Was fällt dir eigentlich ein, meine Geschäfte auf diese Art und Weise zu gefährden? Die ganzen Gerüchte die im Umlauf waren...den falschen Höfflichkeiten denen ich ausgesetzt war? Wer sich alles von mir abgewandt hat... », sagte ein faltiger, wütender Mann, dessen Strenge ihm in das kantige Gesicht geschrieben war. Aiden konnte ihn nur kurz erblicken da er ein paar Schritte durch das Zimmer gegangen war. Helen folgte ihm.
« Was verlangst du nun von mir? », fragte sie in kühlem Ton, der keinen Zweifel an der Abneigung ließ die sie gegen diesen Herrn hegte.
« Was trägst du da bei dir? », fragte er den Zorn unterdrückend und musterte sie angewidert.
« Das ist ein Dolch. »
« Das weiß ich auch. », merkte er kühl an und setze sich, die Hände ineinander faltend auf einen Stuhl.
« Verdammt Mädchen, du...du bist...ja...du bist eine Frau verdammt noch mal. »
« Dessen bin ich mir bewusst. Ich ziehe es allerdings vor nicht abermals schutzlos irgendwelchen falschen Banditen ausgesetzt zu sein, womit ich keineswegs Mr Black meine. », versicherte sie ihm und trommelte mit ihren Fingern zur Untermalung ihrer Worte provozierend auf einem Tisch.
« Hör mir bloß damit auf. Nichts wirst du tun. Du hast dich zu fügen, es wird keine zweite Gelegenheit geben, bei der du unsere Familie beschämen kannst. Bälle, Abendgesellschaften und Reisen sind dir verboten. »
« Du bist weder von meinem Blut, noch aus meiner Familie und hast genau genommen weniger Rechte als James. Ihm stände das Anwesen zu, ihm hätte ich zu gehorchen. »
« Dieser idiotische Stammbaum von dir und deinem Bruder, euer heiliges Blut zum Teufel damit. Es gibt nur noch uns drei und du hast dich mir zu fügen. Ich trage den Familiennamen und bin das Oberhaupt dieses Hauses. »
Sie schnaufte verpönt auf und ein Lächeln umspielte ihre Lippen, das Aiden gerade so erkennen konnte.
« Du trägst unseren ehrenhaften Namen, das mag wohl stimmen, doch bist du nur durch eine Adoption und nicht durch Blut an uns gebunden. Ich werde nicht so da sitzen und mich erpressen und bedrohen lassen. »
Nach diesen Worten herrschte Stille. Aiden konnte nur mutmaßen was Helen damit meinte, war aber der Ansicht, dass es für sie ausschlaggebend sein musste, sich gegen ihr Familienoberhaupt zu behaupten.
« Onkel, Seymour hat mich nur wenige Minuten zuvor ein zweites Mal bedrängt, mir Gewalt angedroht. Ich halte es für das Ratsamste ihn sofort von unserem Land zu verjagen. Ich bitte dich, hast du denn keine Ehre in dir? »
« Ausgerechnet du spricht von Ehre. Du die mit ihrer törichten Flucht für allerlei Skandale gesorgt hast. Fühlst du jetzt Reue? Hegst du die Hoffnung ich würde dir verzeihen wenn du hier flehend zu mir kommst, voller Angst vor diesem äußerst seriösen Mann, wie ich doch behaupten kann. »
« Wenn du sein Wort über das meine stellst, so kann ich wohl nicht mehr viel tun. Ich muss von hier fort. Sieh dich doch an wie du da fett auf deinem teuren importierten Stuhl thronst und alle Niederen versuchst in den Boden zu stampfen. Du bist erbärmlich. » Diese Worten trafen ihn und er verzog das Gesicht unschön zu einer Grimasse.
« Nicht in diesem Ton. Du bist ein stures Kind und es wird der Tag kommen an dem du bereuen wirst. Ich sollte dich für deine Behauptungen bestrafen lassen. »
Die Hitze des Gefechts steigerte sich im Sekundentakt, was wohl an den gegenseitigen Gefühlen und der eher misstrauischen und verpönten Art ihrer Beziehung lag.
« Etwa wenn du mich verheiratet, fern von all den Kämpfen irgendwo untergebracht hast? Dann werde ich bereuen? Oh ja das glaube ich auch und zwar das ich dir Heute nicht die Stirn geboten habe. Ich werde gehen müssen. Du bist korrupt und wahnsinnig. »
Ein ungewohntes und kribbeliges Gefühl machte sich in ihr breit das sie kurzzeitig etwas schwanken ließ. Aiden hielt den Atem an.
Ihr Onkel bemerkte ihre Schwäche und griff sie durch Worte hastig an: « Du bist eine Frau, eine beschämende. Du wirst diesen Mörder niemals finden, denn darauf spielst du doch an. Weder du noch James. Die Schande die euch durch den Tod eurer Eltern zuteil geworden ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Was meinst du kostet es mich euch beide ständig in meinem Haus zu haben? Wir sind hier in England und dort haben sich Frauen zu fügen, verdammt noch mal. »
« Lass James aus dem Spiel », presste sie durch ihre Lippen und wurde merklich angespannter.
« Er liegt mir doch bereits jetzt zu Füßen, tut was ich sage. Ich kann ihn halten wie einen Schoßhund. Er ist die perfekte kleine Marionette in meinem kleinen Spiel das ich mit jedem Tag erweitere und vergrößere. Ich muss sagen die Macht und das Geld deiner Familie sind mir nämlich durch ihn sehr nützlich. »
Er sagte es so bitter, das Helen halb die Kontrolle über sich verlor. Sie zitterte und war den Tränen nah.
Eine Gänsehaut überzog ihre Arme und sie machte einen unsicheren Schritt nach vorne, fing sich aber so gut es ging im letzten Moment wieder.
« Wage es nicht dich gegen mich zu behaupten. »
Seine Miene glich einem tiefem See dessen Grund man nicht erkennen konnte.
« Ich werde von hier fort gehen. »
« Tu es und ich werde dir mehr als nur ein paar Soldaten auf den Hals hetzen. »
Die Drohung war offensichtlich und doch kümmerte sie diese wenig. « Ich kann mit dir tun was ich will. Du bist hier auf meinen Anwesen und du tust das was ich dir sage. »
« James würde dir niemals treu sein, er ist nicht dein Eigentum und ich genauso wenig. », wisperte sie und war schon imstande sich umzudrehen und zu verschwinden.
« Du wirst Aaron Henderson oder Ferguson oder wie er sich jetzt nennt, nicht finden. »
Bei diesen Worten erstarrte sie.
« Woher kennst du seinen Namen? », flüsterte sie angespannt und voller sich stauender Wut.
« Haha, ich wusste das dich das aufregen würde. », lachte er und lächelte erneut.
« Ich weiß nicht nur seinen Namen, ich weiß wo er sich aufhält, was er plant. Nicht das es von Bedeutung wäre, für dich würde es eh keinen Sinn ergeben und, ... »
« Sag es mir. », verlangte sie.
Etwas erschocken zuckte er mit dem Mundwinkel antwortete aber.
« Er ist zur Zeit in London. Er will sie alle töten, alle Erben alle Verwandten und einen Pakt aushandeln mit Lord George Nathaniel Wolverton, dem Dämon des Westen, wie man ihn nennt. Du und dein Bruder werdet unter meinem Befehl nichts dagegen unternehmen können. Seymour, mag dir vielleicht gedroht haben, doch ist er einer meiner stärksten Verbündeten. Was immer also hinter seinem Gespräch mit dir, so will ich es mal formulieren, gesteckt hat, werde ich bald erfahren. »
Oder auch nicht, dachte Helen und hielt sich vor Augen wie Seymours bösartige Augen sie davor gewarnt hatten irgendjemanden von Ferguson zu erzählen. Er hatte also gewusst das sie mit ihm in Verbindung stand, mehr noch das sie in Derby bei ihm gewesen war. Das er sie vor wenigen Minuten mit ebenso wenig Sanftheit abermals daran erinnert hatte, ließ sie argwöhnen. Im Grunde hatte sie sogar Angst vor Seymour, jedoch nicht vor ihrem Onkel.
« Wessen Erben und Verwandte? »
Aiden hörte, dass sie sich nur gerade ebend dazu überwinden konnte die Worte so gefasst wie möglich zu sagen.
« Das Gut, dieses gigantische Land von Lord George, würde im Falle seines Todes an einen seiner Söhne übergehen. Es gibt deswegen schon lange Streit, da der eine adoptiert, der andere ein Bastard ist...aber nun genug. »
« Nein nichts ist gut, versteh doch Onkel, Seymour ist gefährlich, er-»
« Sei Still. Seymour ist nur einer meiner Kreditgeber. Doch Ferguson wird Mac tire das gesamte Gut und Land unter seine Finger bekommen und schließlich sein zweites Erbe einfordern. Er wird die gesamten Familienhäuser ausrotten, sie langsam und sauber foltern bis sie ihre letzen Geheimnisse und Verwandten preis gegeben haben, bis er der einzige ist der die Macht hat es an sich zu reißen. Und Wolverton wird er nicht nur erpressen, er wird ihn nieder machen... »
Er sprach immer leiser, beinahe nur noch mit sich selbst, gefangen in seinem eigenen bizarren Gedanken. Erst eine Weile später bemerkte er seinen Fehler und sah den verschwörerischen Ausdruck auf Helens Zügen als potenzielle Gefahr an.
« Du wirst sofort auf dein Zimmer gehen. Dort rührst du dich nicht vom Fleck, ehe ich dich nicht rufen lasse. Wir sollten dich so schnell wie möglich verheiraten oder irgendwohin schicken wo du keinen Ärger machen kannst. Geh jetzt. »
Die Worte klangen müde, doch angesichts seiner Korruption von zuvor, hatte Aiden schon jetzt jegliche Sympathien ihm gegenüber verloren. Welch schrecklichem Druck und welcher Bedrängnis Helen ausgesetzt ist, erschien ihm erst in diesem Augenblick real.

Helen rauschte gekränkt hinaus. Sie war wütend über die Ignoranz ihres Onkels, seine Unterschlagungen und korrupten Geschäfte und verwirrt über all seine Informationen und Pläne die er ohne ihr Wissen zustande gebracht hatte, ebenso über seine Partnerschaft mit Seymour. Bei dem Gedanken an ihn schüttelte es sie vor Unbehagen und sie stieß beinahe einen spitzen Schrei aus, als sie Aiden erblickte.
Wie lange er bereits dastand, wusste sie nicht, doch die Ernsthaftigkeit die sie in seinem Gesicht las, ließ sie nur kurz nicken. Zusammen gingen sie stumm den Gang entlang, ins Erdgeschoss und anschließend vor die Tür, wo Helen erleichtert aufatmete, bevor sie sich an ihn wand.
« Du hast alles mit angehört? »
« Nicht alles, aber einen beträchtlichen Teil. »
« Verstehst du nun weshalb ich von hier fort muss? Es wird mir zuviel zwischen all der Lügerei und Brutalität die hier herrscht. Ich bin nicht einmal in meinem eigenen Haus noch sicher. »
« Dann hat dich dieser Seymour tatsächlich bedroht? »
Ein gequältes Lächeln war ihm Antwort genug und er fasste sich mit seiner Hand über sein Gesicht.
« Das habe ich nicht gewusst. », sagte er nur und war sich plötzlich über die Gefahr bewusst der er sich zu diesem Zeitpunkt aussetzte. Seymour war ein alter Bekannter von ihm. Er hasste ihn auf den Tod. Äußerlich bewahrte er zwar Ruhe, doch innerlich wäre er liebend gerne, schreiend davongerannt. Helens Onkel war hinter dem Sohn von Lord George her, dem Bastard, ihm. Sie bemerkte nichts von seinem Konflikt und setze sich auf eine der Stufen vor die Eingangstür. Das Gesicht vergrub sie in ihren Händen.
Aiden hätte gerne etwas tröstliches gesagt, sah sich aber außerstande etwas zu tun. Sollte bekannt werden, das er, Mr Black, wie ihr Onkel ihn genannt hatte, der uneheliche Sohn von Faith Black ist und damit der Erbe von Lord George, hätte er Helen unabsichtlich in noch größere Schwierigkeiten gebracht. Sie mussten beide von hier fort.
« Wir müssen mit deinem Bruder reden. », sagte er steif und war sich im klaren, das er damit nur noch größere Komplikationen schaffen würde.
Wortlos setzte er sich irgendwann hin. Den Blick eisern zu Boden gerichtet, fühlte er sich als würde sein Herz zerreißen.
Die Sonne würde bald untergehen. Die Fassade des Hauses war in orangenes Licht getaucht, Schatten zogen sich endlos über die Wiesen und Wälder und eine milde Brise ließ das Geäst der Bäume rauschen. Aiden schloss die Augen. Verschwunden waren Farben und Formen, einzig der Grasgeruch, die wohltuende, späte Wärme und der Wind der seine Haut berührte hielten ihn an Ort und Stelle fest. Die junge Frau gleich neben ihn, blieb ebenfalls still, ein paar einzelnen Sonnenstrahlen drangen durch den Wald und blendeten sie ab und zu, während Küchengeschirr und leises Gemurmel zu ihnen vordrang. Bis zum Abendessen würde es nicht mehr lange dauern.
Als Helen zu Aiden sah, blieb sie stumm und beobachtete wie er reglos da saß, die Augen nun in die Ferne gerichtet, den Wind durch seine schwarzen Haare fahren lassend und mit den Gedanken weit fort. Er erschien ihr so vertraut, das es ihr unheimlich war.
« Sag mir, hast du irgendetwas damit zu tun? », flüsterte er tonlos und beugte sich im nächsten Augenblick zu ihr, sodass sich ihre Gesichter auf gleicher Höhe befanden.
« Inwiefern? Ich weiß nichts von den Beziehungen meines Onkels, von James Geschäften mal ganz abgesehen. Wem sie ergeben sind, wer sie bezahlt und wem sie Kredite geben und bestechen...ich habe keine Ahnung. »
Unsicher ob er etwas sagen sollte fasste Aiden sich an die Stelle zwischen seinen Brauen und massierte sie sachte.
« Ich hatte diesem Mann, Andrew Kincaid. Meinem Onkel. », fügte sie bitter hinzu. « Ich hatte ihm gesagt das ich beabsichtige zu gehen. Im Streit sind vielleicht Wörter gefallen die ich nie so offen hätte aussprechen dürfen. Fühle dich also durch die Verdächtigungen und Anspielungen meines Onkels, die sich gegen dich richten, nicht gekränkt. »
« Das tue ich nicht. », versicherte er ihr und war mit seinen Gedanken mit ganz anderen Sachen beschäftigt. Eine Kränkung konnte er noch ertragen, aber diese Mordpläne gegen seinen Vater, nur wegen seines Landes...es erschien ihm vollkommen unwirklich.
« Das Land ist in heller Aufregung, die Rückkehr von Lord Georges in die Gesellschaft, das Gefecht um Mac tire, der Unabhängigkeitskrieg in den Kolonien. Die Menschen sind aufgewühlt, natürlich verständlich, aber... »
Sie flüsterte es leise mit einem melancholischen Unterton der ihn unerwartet hart traf.
« Ich hoffe du zweifelst nicht an meiner Intelligenz, auch ich habe Augen und Ohren. Ich weiß nicht was mir an deiner merkwürdigen Art gefällt. Jedoch weiß ich, dass die Dinge die sich in letzter Zeit abspielen, öffentlich oder unter Verschluss, gleichermaßen gefährlich sind. »
Er sah ihr in die Augen und fühlte sich auf eine angenehmen Art darin gefangen.
« Ich habe auf diesem Anwesen kein schönes Leben verbracht. Ich hatte Vorstellungen, Pläne, die dem gar ausgemacht wurden. Das Missverständnis mit meinem Bruder, mit Ferguson...ich zweifle wirklich nicht an deiner Intelligenz, ganz im Gegenteil sogar. Ich bitte dich doch nur das du mich nach Derby begleitest. Versuch bitte meine Situation zu verstehen. »
« Ich kann sie sehr gut nachvollziehen. Ich möchte dir auch helfen, nur... »
Es war ihm unbehaglich die Verantwortung für sie zu übernehmen, doch war es wohl kaum mehr vermeidbar. Mit seiner Anwesenheit hatte er sie eventuell in schwierige Probleme gestürzt, sollte seine Identität auffliegen, was früher oder später passieren wird. Seymour und Andrew Kincaid, kennen ihn und seinen Namen, sie bräuchten nur ein einziges Mal sein Gesicht sehen...seine Beziehung zu Helen, könnte sie in große Gefahr bringen.
« Ich habe mich in den letzten Tagen sehr um dich gesorgt. Das war ein Grund warum ich zu diesem Gut kam, um dich zu sehen. Nachdem ich nun so vieles in Erfahrung gebracht habe, über dich und vieles über Lord George, meinem Herrn Sir Timothy Craig und Seymour und freilich über die Machenschaften deines Onkels...dich in noch größerer Not zu wissen als zuvor ist quälend. »
Sie sah fragend zu ihm auf und traf auf ein schwaches Lächeln.
« Es mag dir vielleicht albern erscheinen, doch deine Sturheit empfinde ich als bewundernswert. Du wagst es dich gegen die Männer die über dich bestimmen wollen, geschickt hinwegzusetzen. Sei es nun List oder menschliche Vernunft. »
Sie stand auf und sah ihn fragend an, sie fühlte sich schwach und verwirrt.
« Ich will mit dir kommen, das heißt...ich muss nach Derby. Ich halte es für das einzig Richtige das du mich begleitest. Frage mich nicht nach dem warum. Wahrscheinlich halte ich dich für harmlos und vertrauensselig genug, dass du meine Geheimnisse bewahren kannst. Nenne es von mir aus Naivität, aber du als Soldat...als Ehrenmann... »
Er sagte nichts darauf, packte sie aber bei den Schultern und befahl ihr mit sanfter Gewalt sich wieder hinzusetzten.
« Du hast mir bereits zuvor versichert das ich dich nicht begleiten kann... »
« Sollte ich etwa nicht? », entgegnete er kühl.
« Natürlich, aber ich- »
« Miss Helen, ich habe längst verstanden das meine Anwesenheit einige Dinge sehr kompliziert gestaltet hat und dir vielleicht unangenehm sind und genauso verstehe ich, das du ohne mich ebenso schnell von hier fliehen würdest. Ich muss ein Dummkopf sein, aber wie mir schein bleibt mir wahrhaftig keine andere Wahl. »
« Du würdest mich begleiten? », fragte sie überrascht.
« Ich muss ebenfalls in diese Stadt. Ich glaube das dort Informationen auf mich warten. Ich war bereits mehrere Male dort. Von dort hätte ich einen besseren Überblick, ich kenne einflussreiche Leute, die auch dir zu Not weiterhelfen könnten. »
« Ich weiß nicht ob Finn, mein Verlobter in London ist, wie mein Onkel gesagt hat...es wäre zu gütig von dir... »
« Ich habe nicht gesagt das sich meine Prioritäten geändert haben, eigentlich missbillige ich es immer noch das du mit mir kommst. »
Er schluckte mehrmals und wischte sich den plötzlich vorhandenen Schweißfilm mit seinem Ärmel aus dem Gesicht. Er sog tief die Luft ein und fuhr sich mit den Händen durch die Haare und ließ gleichzeitig den Kopf nach unten hängen, sodass er wie ein kleiner Junge aussah. Helen versuchte ihm einen kleinen Augenblick des Unbeobachtens zu gewähren und konzentrierte sich demonstrativ auf einen kleinen Busch an dem Beeren hingen und fing an sie willkürlich zu zählen.
« Ich bin ein Narr, dass ich es überhaupt in Erwägung gezogen habe zu diesem Anwesen zu gelangen und alleine wieder zu gehen. »
« Nun vielleicht. », meinte sie nüchtern. « Aber dafür müsstest du es dir auch ehrlich eingestehen einen Fehler gemacht zu haben. Du hast intuitiv gehandelt, aus freien Stücken und immer wenn so etwas geschieht halte ich es nicht für das Werk eines Narren sondern eher für eine freiwillige Tat und so etwas Aiden steht den wenigsten zu. Ich bin dir dankbar für das was du für mich tun willst. »
Er blickte sie urplötzlich aus gelblichen Augen an. Sie hatte ihn zum ersten Mal bei Vornamen genannt. Er zuckte kurz mit Kopf ehe er aufstand und anfing unruhig auf der Stelle hin und her zu gehen.
« Du glaubst es war eine freie Entscheidung? Ich habe einfach so gehandelt? Kann ich das denn? Woher weiß ich was Richtig und Falsch ist, was wenn ich einen Fehler begehe? Ich meine...es kann mir...uns den Tod bringen. »
« Ja, dass kann es uns beiden, und ob Richtig oder Falsch wirst du erst erkennen wenn es zu spät ist, vielleicht früher oder später, niemand kann das sagen. »
« Ich werde das Risiko eingehen, denn ich bin selbst schuld an diesen Umständen. »
Er ging immer noch unruhig umher, aber mit einer konzentrierten Miene, die Hände hinter den Rücken verschränkt.
« Es gefällt mir nicht Entscheidungen zu treffen, aber Vertrauen ist ein Anfang und ein Anfang ist gut, fürs erste. Wenn du wirklich Recht hast...nein, ich muss ebenfalls nach Derby, dann... »
« Dann? », fragte sie und versuchte sich von dem Zählen der Beeren zu lösen.
« Nun gut, ich werde sogleich mit James reden müssen. Ich brauche ein Pferd und Proviant. »
« Du willst noch heute Abend aufbrechen? », fragte Helen und stand ebenfalls auf. Es war schon kühler geworden, der Himmel hatte ein sanftes Rosa angenommen, das ins Orangene und einen Rest Hellblau überging.
« Ja, ich kann dir nicht viel erklären, was ein paar heikle Punkte angeht, die mich betreffen. Doch eines ist gewiss, es ist für uns beide zu gefährlich noch länger hier zu bleiben. », entgegnete er knapp
« Wie lange ziehst du bereits herum? Ich meine wann bist du von Zuhause, aus deiner Heimat geflohen? »
« Glaubst du denn es war eine Flucht oder spekulierst du hier anhand dir selbst? »
« Ich meine noch immer das du kein Soldat bist. Bist du ein Desateur? »
« Nein, aber fliehen musste ich weiß Gott schon oft genug. Ich habe dir doch erzählt das meine Mutter bei einem Feuer starb. Damals floh ich vor dieser Gewalt. Es war schrecklich, unbeschreiblich grausam, aber es lässt sich nun mal nicht mehr ändern. Ich bitte dich jedoch um eins, um absolute Verschwiegenheit. Wir müssen so schnell wie nur irgend möglich nach Derbyshire, für mich hängt vieles davon ab. Ich habe meinen Herrn nun schon lange genug warten lassen. »
Sie nickte, nahm seinen Arm entgegen und ging mit ihm zurück ins Haus. Höfflichkeit und Distanziertheit legte sich über sie, wobei die Verschwörung die unter dieser Fassade lauerte, zu wachsen began. Aiden hielt auch weiterhin seine Identität verschwiegen, langsam stieg in ihm die Angst, in den letzten, entscheidenden Stunden entdeckt zu werden, doch die Aussicht bei Einbruch der Dunkelheit Loszureiten ließ ihn lasziv werden.

8.Betrug

In den Fenstern des Salons spiegelte sich der Kerzenschein. Es war als würde das Flackern der Flammen unendlich sein und eine romantische Atmosphäre mischte sich unter die Gemütlichkeit des Raumes. Die Damen mit denen Helen plauderte gaben überschwängliche Komplimente von sich. Ihr Entzücken schien sich schon auf das kleinste Muster und die winzigste Faser zu beziehen, das ihnen in ihrem geradezu berauschten Zustand entging, wie Helen genervt von alle dem, das eine oder andere Mal äußerst unhöfflich wurde. Sie nippte an ihrem Cidre, hörte die Worte wie von weit entfernt und beobachtete Aiden, wie er, nicht weit von ihr, mit James redete. Sie lachten gerade, ihr Bruder klopfte ihm fürsorglich auf die Schulter und sie versicherten sich weiterhin Kontakt zu halten.
Draußen war es dunkel geworden. Der Mond war nicht zu sehen und nur die Sterne ließen ahnen das der Himmel nicht vollkommen Wolken überzogen war. Regen war eines der Dinge, die Helen wahrscheinlich jeden weiteren Mut geraubt hätten.
Während sie die beiden Männer so beobachtete, fiel ihr zum ersten Mal die Attraktivität von Aiden auf. Mit seinem dunklen Haar, den leuchtenden Augen und dem großen Körperbau, wirkte er stattlich und sehr vornehm. Diese Gedanken verursachten in ihr ein ungewohntes Unbehagen, dem sie nicht weiter nachgehen wollte. Viel wichtiger war es jetzt, die äußerliche Ruhe zu bewahren, niemand sollte auch nur den Hauch von einem Verdacht hegen. Da sie allerdings weder wusste, wo Seymour noch ihr Onkel zu diesem Zeitpunkt waren, schaffte sie es nicht gänzlich, ihre Angespanntheit zu überspielen.
Sie sah gerade noch wie Aiden sich herzlich von James verabschiedete, sich vor den Damen zum Abschied verbeugte und ihnen charmant zulächelte, als er auch schon durch den Türrahmen in den Flur getreten war und James auf sie zukam. Seine gute Laune, war beinahe zum greifen, wodurch Helen fast die Fassung verlor und glaubte sie könnte ihn nicht mehr verraten. Doch der Moment ging vorbei und sie lächelte ihn so gut es ging an.
« Du siehst nicht gut aus. », sagte er und musterte sie.
« Ich bin ein wenig Müde, mach dir keine Sorgen. Wie es mir scheint, bis du von Mr Black ja ganz angetan. »
« In der Tat, in der Tat. Es ist amüsant ihm zuzuhören. Er ist äußerst charmant und gebildet. »
Bei den Worten beobachtete er sorgfältig ihre Gesichtszüge, konnte aber zu seiner Enttäuschung nichts darin entdecken.
« Er ist ein einfacher Soldat, ohne Einfluss und Gelder. », erwiderte Helen fast schon beleidigend, um seiner Anspielung die Luft auszulassen. James bemerkte dies und hob fragend die Augenbrauen, sagte jedoch nichts mehr.
« Ich habe vorhin mit unserem Onkel geredet, wie mir scheint, ist er von der Unterredung mit dir, noch immer sehr müde. »
« Müde mag wahrscheinlich nicht das zutreffende Wort sein »,entgegnete sie trocken, worauf er kurz auflachte.
« Wohl wahr, aber du weißt, ich würde niemals etwas tun was dich verletzten könnte. Ich hege großen Respekt vor dir und schätzte deine Meinung, die manchmal etwas anzüglich ausfällt....aber dennoch, du solltest dir deinen Kopf nicht seinetwegen zerbrechen. »
« Ich danke dir, James. », sagte sie und brachte kein weiteres Wort mehr heraus, da sie glaubte gleich ersticken zu müssen an dem schlechten Gewissen. Eine Stimme an ihrer Seite ließ sie plötzlich aufblicken. Ein Mann, dessen Gesicht, aber Namen sie nicht kannte war herangetreten. James stellte sie kurz einander vor und vertiefte sich dann in ein banales Gespräch mit ihm, dass sie es bevorzugte zu gehen. Da sie nicht zu den anderen Damen zurück wollte, die ein Landschaftsportrait angafften und in lobenden Tönen priesen, nahm sie Reißaus auf die Terrasse.
Der Himmelskörper war jetzt in ein nächtlichen Hellblau getaucht, wie es in manchen Sommernächten erschien und überzogen mit einzelnen, dunkelblauen Wolkenfetzen die wie treibende Blätter auf einem Fluss leblos dahin zogen.
Die schwere Trauerweide die ihren Platz nicht weit von ihr, dafür aber in enormer Größe beanspruchte bewegte sich tänzerisch in dem sich aufbrausenden Wind und sie ließ sich für einem Moment hinreißen die Augen zu schließen, um sich diese Szenerie tief ins Gedächtnis zu prägen.
Sie glaubte Pferdegeräusche zu hören und stellte sich vor, wie Aiden, in den Stallungen auf sie wartete. Eine Gänsehaut kroch sich über ihre Arme und ließ sie schaudern. Ihre Beine fühlten sich an wie Holzklötze, doch ihr Blick war unbeirrt in die Ferne gerichtet, als nehme sie die plötzliche Taubheit ihrer Beine gar nicht wahr.
Das Glas mit dem Wein hebend, prostete sie der Nacht zu, vernahm das Klavierspiel das soeben begonnen hatte und schaute durch die Terrassentür auf die strahlenden Gesichter der unbekümmerten Gesellschaft. Sie würde diese Abende nicht vermissen.

Aiden marschierte beinahe nur noch des Marschieren willens, denn nur so konnte er Erleichterung wenn nicht sogar ein Gefühl von Stärke verspüren. Er musste sich eingestehen, dass er am Ende seiner Kräfte angelangt war. Die ständige Hetzerei von einem Ort an den anderen hatten ihn mehr angegriffen, als er es für möglich gehalten hatte.
Die Gänge des Hauses waren lang und er war froh als er die Tür zur Einganshalle ausmachte. Einzelne Dienstboten gingen an ihm vorbei, beachteten ihn aber nicht, sondern senkten anstandshalber die Augen. Bevor er die Tür erreichte, richtete sich sein Blick zu einem der Fenster. Es widerstrebte ihm in die Kälte der Nacht zu gehen und er schloss noch einmal kurz die Augen.
Als er dies wieder öffnete fühlte er einen pochenden Schmerz in seinem Kopf. Er fasste sich mit der Handfläche dagegen und versuchte ihn durch leichtes Drücken zu verringern, doch der Erfolg war nur mäßig. Es waren vielleicht eine halbe, eventuelle auch eine Stunde Zeit bis sie aufbrechen würden. Eilig hatte er es also nicht, doch wollte er James zuvorkommende Gastfreundschaft nicht weiter ausnutzen, nicht nachdem war er mit seiner Schwester plante. Dieses Komplott grenzte ja beinahe schon an Entführung, sollte es jemand falsch interpretieren oder die Umstände das sie beide in einer Nacht verschwinden würden, missverstehen.
Obwohl er bereits wusste, dass sich niemand mehr in der Nähe befand verhielt er sich vorsichtig, da er keinerlei Risiko eingehen wollte. Misstrauen legte sich über sein Gemüt.
Er streckte sich kurz und fühlte seine Knochen knacksen, als ihn ein Geräusch dazu brachte herumzufahren.
Es war natürlich einfach stumpfsinnig sich vor zu machen er wäre wahrhaftig in einem Haus voller Menschen in Sicherheit. Er hatte ihn weder kommen gehört noch gespürt was ihm in der ersten Sekunde einen solchen Schrecken einjagte das ihn sein Gegenüber auf eine so brüske Art beäugte das er sich sicher war das er ein unglaublich dummes Gesicht gezogen haben musste. Ein Lächeln der Überlegenheit kräuselte sich auf dessen Lippen und den Mann den er ebend noch für Steward Seymour gehalten hatte, war zu seiner großen Erleichterung ein einfacher Geschäftspartner von James.
« Ich dachte Ihr wärt schon längst unterwegs, Black. », sagte dieser, hörte sich Aidens erklärende Worte an und ging dann den Gang entlang zurück.
Von überhall her glaubte er nun Stimmen und Geräusche zu vernehmen. Seine Angst vor Seymour war nicht unbegründet und er fürchtete sich mehr vor ihm, als er sich selbst eingestehen wollte.
Steward Seymour war der Mann der ihn, kurz bevor er mit einigen Männern seines Vaters zusammen getroffen wäre um dann nach Helen zu suchen, entführt hatte. Zwar war er ihm entkommen, doch der Preis den er dafür hatte zahlen müssen, war schrecklich, denn nun war er ein Mörder.
Dass er Helen schließlich doch noch finden und mit sich hatte nehmen können, war reines Glück gewesen, Seymour jetzt beinahe wieder zu begegnen Pech. Da er nicht weiter darüber nachdenken wollte, ging er hinaus.
Es war tatsächlich wärmer als er geglaubt hatte und er war froh einen beinahe Sternenklaren Himmel über sich zu erkennen. Leichteren Gemüts folgte er dem Kiesweg richtung Pferdestall. James hatte ihm zuvor jedes beliebige Pferd angeboten.
Eine Welle der Übelkeit ließ ihn mit einem Mal inne halten und kalter Schweiß rannte ihm den Nacken hinab, dass er ein unbeabsichtigtes würgendes Geräusch von sich gab. Die Luft war geladen und plötzlich so heiß, das es Aiden das Atmen versagte. Aus dem Fenster des ersten Stocks lugten Katzenaugen hinaus, die einem finsterem Gesicht gehörten. Seymours Mimik strahlte Groll sowie Wut aus. Aiden wagte es nicht sich zu bewegen. Noch hatte er ihn nicht entdeckt und er hoffte, durch das Stillstehen seinem Blick zu entkommen.
Die Minute des Schocks hielt unnatürlich lange an, erst als Seymour sich abwandt und sich vom Fenster entfernte registrierte Aiden was es ihn gekostet hatte, diesen Mann erneut zu sehen. Er hatte Todesangst.
So schnell er konnte rannte er zu den Stallungen, verkroch sich dort in der Dunkelheit und hörte nichts mehr außer den Geräuschen der Tiere. Panik erfüllte ihn noch immer, während sein Herzklopfen langsam nachließ.
Als Helen eine Viertelstunde später zu ihm stieß, hatte er weitgehend seine Fassung zurück gewonnen. Sie sagten beide nichts und verständigten sich nur mit den notwendigsten Worten. Die Pferde wurden gesattelt, der Proviant festgebunden und kurze Zeit später waren sie abreisebereit. Doch keiner von ihnen machte Anstalten sich zu bewegen.
« Du willst das hier wirklich ? », fragte Aiden leise.
« Ja, es muss sein. », meinte sie gequält und führte ihr Pferd mit einem Schnalzen heraus. Er folgte ihr unaufgefordert und betete dafür, dass er das Gesicht von Seymour nie wieder sehen müsse. Leider wusste er, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie sich wieder gegenüberstehen würden und hoffte das dies noch lange hin wäre.
Vielleicht hatten sie Glück und der Brief von James an Sir Timothy Craig war bereits angekommen, dass seine Männer wussten das er lebte und sich auf den Weg zu ihnen befand. Wenn alles gut ging, würde er sie wahrscheinlich auf halben Weg antreffen.
Er sah zu Helen hinüber. Sie wirkte angespannt und nicht weniger nachdenklich als er selbst. Sie wussten beide, das sie ihr Zuhause zum letzten Mal sehen würde, es gab kein Zurück mehr.


9. Wasserschlangen

Er hörte das Gras, wie es sich leicht im Wind wog, spürte den Puls des Lebens und roch den frischen Duft der Grashalme. Mehrere Bäume rauschten und verteilten ihre eigensinnigen Duftpartikel in der Luft seien es Kiefern, Eichen oder Tannen. Irgendwo hörte er einen Vogelschwarm hoch über den Wipfel in die Ferne fliegen doch nichts geschah, die beständige Natur nahm zwar ihre Pflichten des Wachsens, Gebären, Sterbens, des Fressens und Gefressen werden auf, aber nichts unnatürliches, weder menschlichen noch dämonischen Ursprungs drang darin ein. Nichts geschah. Nichts beunruhigendes.
Er fühlte sich stark an einen Traum erinnert den er als kleines Kind schon einmal gehabt hatte. Er war danach mit einem ruhigen und zufriedenen Gefühl aufgewacht und hatte sich noch einmal in seine Decke gekuschelt und war höchst zufrieden wieder eingeschlafen.
Es war wohl vielmehr das Gefühl als der Traum, an den er sich eigentlich gar nicht mehr erinnern konnte, der ihm jetzt dieses Dèjá vu Gefühl vermittelte, aber egal, er genoss diese Erinnerung und rollte sich wieder zu einem kleinen Packet aus Armen und Beinen zusammen. Seine Augen waren geöffnet.
Die Sonne war bereits aufgegangen und obwohl noch vereinzelnde Sterne hervorlugten war der Himmel mit rosa, hellblauen und roten Tönen besprenkelt die seine Umgebung in zartes Licht, eine Blase der Zärtlichkeit tauchten, von der er glaubte sie könnte bei jeder ruckartigen Bewegung oder auch nur einem Wort zerreißen.
Und wie als hätte es so kommen müssen, zerriss die Blase und damit auch seine phantasievolle Vorstellung als ein haariges, feuchtes Etwas seine Wange berührte, ihm eine Welle heißen Atems bescherte und er erschrocken auffuhr.
« Wermdas? », nuschelte er noch halb in Schlaf und Traumblase gehüllt und griff nach dem unbekannten Ding. Mehr oder weniger überrascht spürten seine Finger einen nach Futter suchenden Pferdekopf.
Von dem kleinen Schock des Zwischenfalls erholt fing er nun an das Tier zu tätscheln und streckte sich gleichzeitig, um wach zu werden.
Beim Aufstehen blickte er in die dunklen, gierigen Augen seines Braunen Wallachs, zuckte mit den Axeln in dessen Richtung und fing an sich wieder seiner Umgebung und dessen Umstände anzunehmen, wie Helen die nicht weit von ihm, eingerollt in ihre Kleider friedlich schlief.
Ihr langes, dunkles Haar das sich aus ihrem komplizierten Knoten gelöst hatte, verteilte sich quer über ihren Körper; sie sah aus wie eine schlafende Schönheit.
Er bedachte sie eines weiteren Blickes und ging dann müde und noch etwas schlaff in eine Richtung in der er beim gestrigen Vorbeireiten einen Fluss gesehen hatte, den er durch die Müdigkeit bisher nur auf einem Ohr hören konnte. Da das Feuer, welches sie entfacht hatten, noch glühte, hoffte er Kaffee machen zu können,
Das Rauschen kam näher und nach einigen Minuten erreichte er das Wasser. Da es durch die frühe Stunde und die sich vollkommen überlappenden Bäume im Wald noch sehr düster war, empfand er ein weiters kurzes Glücksgefühl, als er in die Helligkeit die der Fluss, eine offene Stelle inmitten von Blättern und Ästen, bot blinzelte und sich voller begieriger Bedürfnisse knietief hineinwagte.
Er bespritze sich das Gesicht und wusch sich Arme und Hände, tauchte ab und zu mal seinen gesamten Kopf hinein und trank, dass sich seine Dreckverkrustete Kehle wieder einigermaßen zum Gebrauch normal anfühlte. Erleichtert stieß er einen kleinen Seufzer aus und setzte sich an den Rand des Gewässers.
Er fing an seine Umgebung zu beobachten, die sich mit der Strömung leitenden Fische, wenn die silbernen vorbeihuschenden Pünktchen denn welche waren - er hatte nämlich keinerlei Ahnung was er da überhaupt sah - die kleinen Wasserläufer und die umher springenden Insekten. Außerdem versuchte er verschiedene Laute, gewissen Tieren zuzuordnen und stellte sie sich in ihrer Umgebung, frei und fernab von jeglichen Störungen vor. Von weitem konnte er eine Wasserschlange durch das schlammige Gewässer bewegen sehen und platsche ihr, mit einem seiner Füße der im Wasser hing, Wasser entgegen. Die hochgesprungenen Tröpfchen kamen mit leisen Tönen wieder auf die Oberfläche zurück und verschmolzen schlagartig mit dem ruhigen und zugleich durch die Strömung verursachten sanften Wellen durchzogenem Wasser.
Die Schlange ließ sich jedoch nicht daran stören und schlängelte sich weiter zwischen den wucherndem Brachsenkraut, Strandling und einzelnen Wasser-Lobelien hindurch. Ein Frosch quakte und einige Fliegen surrten in einem kleinen Schwarm dicht über der Wasseroberfläche, als einige von ihnen ohne Vorwarnung von einem sich aus der Tiefe reißenden Fisch verschlungen wurden. Der Fisch, wohl zufrieden mit seiner Beute, tauchte wieder in die dunklen Gründe des Gewässers hinab und Aiden, der noch einige Zeit stumm seinen Schatten beobachtet hatte, bevor er ganz verschwand, tat es ihm nach und machte sich auf zurückzugehen. Nur das er sich dafür entschied lieber mit einem Wasservorrat, ohne lebendige Beute und trocken wieder dort anzukommen.
Als er sich seinen Weg zurück bahnte überlegte er wie er mit Helen umgehen sollte, was sollte er sagen? Sollte er überhaupt etwas sagen?
Seymours Gesicht tauchte grausam immer wieder vor seinem inneren Auge auf.
Die Pferde hatten in der Nacht vor Anstrengung geschnauft und ihr Fell hatte vor Schweiß geglänzt, solch eine Flucht hatten sie hingelegt. Er hatte sich mies gefühlt, nichts gesagt und seine Verständnislosigkeit und Wut beim reiten abreagiert.
In ihm regte sich ein wenig Mitleid für die Pferde, die sich ihm sozusagen opfern mussten, war aber in gewisser Weise auch froh darüber das er jetzt nicht Mitleid mit sich selbst haben musste. Ihr Weg würde noch beschwerlich und lang werden, doch war er froh Kincaids ridge verlassen zu haben und damit war er wohl nicht allein.
Er stampfte ein paar Grasbüschel unter seine Füßen platt und fuhr sich gleichzeitig durch die zerzausten Haare. Rote Haare, wie konnte ein Mann nur so merkwürdig rote Haare haben?
Die Gedanken zum dutzenden Mal bei Helens Bruder, wusste er nicht wirklich was er davon halten sollte.
Es schmerzte ihn den Mann, den er respektierte, mit dem er Freundschaft geschlossen hatte zu betrügen und er war in Versuchung es ihm zu erklären, doch es war unmöglich.
Er hatte nun beinahe das improvisierte Lager erreicht und stellte ohne Überraschung fest das Helen wach war.
Die Pferde, die mit ihren gefesselten Vorderbeinen nicht sehr weit kamen, grasten unmittelbar in seiner Nähe und hoben kurz wie zur Begrüßung die Köpfe als er wie ein plötzlich erscheinender Geist aus dem dunklen Wald erschien. Ebenso schnell sanken diese auch wieder und machten sich weiter daran, da er ihnen ja nichts besseres anbot, Gras in rauen Mengen zu verschlingen. Er ging auf eines der beiden zu, tätschelte ihm den Hals und war froh darüber noch eine kurze Ablenkung gefunden zu haben, bevor er sich dem Mädchen annahm. Aber wer wusste es schon, vielleicht würden sie auch stillschweigend da sitzen und sich einfach unvorteilhafte Blicke zuwerfen.
Resigniert die Schultern hängen lassend und noch einmal tief durchatmend ging er in leichten, taktvollen Schritten zu ihr zurück und blieb etwa einen halben Meter von ihr entfernt stehen. Sie war gerade dabei sich aufzusetzen, automatisch nach der Wasserflasche zu greifen und in hastigen Zügen zu trinken, als er genervt eine kleine Fliege mit seiner Handfläche verfolgte und damit bezweckte diese zu vertreiben.
« Wo bist du gewesen? » , fragte sie nun, sich ein paar Wassertropfen von den Lippen wischend.
« Am Fluss dort hinten. », sagte er schlicht und deutete mit seiner Hand in die ungefähre Richtung ohne wirklich darauf zu achten ob sie auch hinsah. Der Sinn nach Kaffee war ihm urplötzlich vergangen.
« Weißt du wie spät es ist? »
« Ich schätze mal sechs Uhr, warum? »
« Nur so. »
Er setzte sich, neuen Mut gefasst neben sie hin, worauf sie ihm den Beutel mit dem Proviant zuwarf. Er fing ihn verblüfft auf und blickte erst sie dann den Sack an, bevor er ihn langsam auf seinen Schoß ausbreitete und hineingriff.
Er holte ein kleines etwas hartes Maisküchlein hinaus, das er sich zwang, trotz seines großen Hungers, nur in kleinen Stückchen zu essen.
Sie räusperte sich und griff erneut zu der Wasserflasche und sich dann mit ein paar Schlücken zu begnügen.
« Wann wollen wir aufbrechen? »
« Es ist noch früh. Normalerweise würde ich es vorziehen bei Nacht weiter zu reiten, aber da die Angelegenheit eilt.... »
« Normalerweise? Ich kann dich beruhigen, wenn du darauf spekulierst, dass mein Onkel irgendwelche Unternehmungen starten wird, die der vorigen ähnlich sind. » , entgegnete sie.
« Keine Soldaten? Keine Freunde oder Partner die ohne sein wissen ihre Hilfe anbieten? Wie kann ich das verstehen? »
« Du meinst wie es bei dir der Fall war. Nein, nichts dergleichen wird geschehen, da ich James eine Nachricht hinterlassen habe. Er weiß über meine Vorhaben bescheid. »
« Über Ferguson? », fragte er skeptisch.
« Nein. »
« Aber wie- »
« Ich habe seinen Namen nicht erwähnt. Lediglich, dass ich Bekannte von uns besuchen werde. Meine überstürzte Abreise habe ich damit erklärt, das eine Angehörige der mir bekannten Familie erkrankt wäre, was im übrigen die Wahrheit ist. »
« Ich hoffe du willst damit nicht andeuten das wir einen Umweg in Kauf nehmen müssen? »
Aiden konnte nicht glauben auf welche Art sie ihren Bruder betrug und fühlte einen ungewohntes Schamgefühl, da er glaubte Mitschuld an dem ganzen Desaster zu haben. Wäre er doch niemals nach Kincaids ridge gekommen! Seymour und Andrew Kincaid hätten wahrscheinlich niemals ein Wort über « Mr Black » erfahren.
« Du hast mir wirklich Angst eingejagt, als du darauf gedrängt hast mit mir zu kommen. »
« Na zu meinem Glück war es wohl recht wirkungsvoll. » Sie lächelte und ihre Augen funkelten ihn leicht neckisch an.
« Ich glaube das ich mir damit ziemlichen Ärger eingehandelt habe. »
« Du bezeichnest mich also als Ärgernis? », fragte sie mit einem Hauch Belustigung, der ihre Miene erhellte. Aiden lachte und verzog noch seine Mundwinkel als sie die Decken zusammenrollten, den kalten Kaffee vom Abend zuvor aus der kleinen Kanne ins Gras schütteten und die Überreste des Feuers beseitigten. Es herrschte eine angenehme Stille und der Wind war noch so kühl um diese frühe Zeit, dass es beim einatmen angenehmen weh tat. Bis zu einer Ansammlung von Ebereschen führten sie ihre Pferde an den Zügeln und blieben stumm. Obwohl Aiden - der seine Reserviertheit und das höffliche Getue auf dem Gut ohne große Verlusttrauer zurück gelassen hatte - gerne ein Gespräch angefangen hätte, hielt ihn doch seine Wachsamkeit davor zurück. Er durfte nicht vergessen, das er zuvor Nächte und Tage wie diese alleine umhergeirrt war. Den Tod zurück gelassen hatte und nicht weiter als seinen Auftrag vor Augen gehabt hatte, er durfte nicht riskieren, abermals diese Erfahrung zu machen. Seine Identität konnte er zwar noch geheim halten, doch war er sich über dessen Konsequenzen unsicher. Was wenn jemand ihn erkannte?
Ein schützendes Blätterdach legte sich über sie, während Aiden den Fluss von zuvor wieder fand. Die Sicht war zwar durch das willkürliche Gewirr aus Sträuchern, Blumen und Bäumen versperrt, doch hörte er das Wasser in seinem Bett gurgeln. Sie gingen eine Weile in dessen Nähe, kämpften sich durch Lorbeerbüsche, verwilderte Heiden, dichten Nadeltannen und landeten zwischenzeitlich auf Waldlichtungen deren einzige Lichtquelle von oben kam, dass es aussah als wäre man in einem Baumkäfig gefangen. Finsternis herrschte rundherum um sie, bis sie dem erdrückenden Schwarz entkamen und sie das drückende, schattige Waldlicht wieder umfing.
« Machst du dir eigentlich noch Sorgen wegen den Soldaten? », fragte Aiden nach einer Weile und wischte sich den Schweiß von der Stirn, der zu einer widerlichen zweiten Haut geworden war.
« Was für Soldaten? Sie werden uns nicht suchen, das kannst du mir ruhig glauben. » Keuchend vor Anstrengung riss Helen ihren Rock aus einem Busch, schnalzte mit der Zunge um ihr Pferd anzutreiben und ging so dicht wie möglich neben Aiden.
« Das tu ich bereits, falls du es noch nicht gemerkt hast. », zischte er und atmete erleichtert auf, als der Weg sich besserte und sie nebeneinander herlaufen konnten. « Ich habe von den Soldaten gesprochen die dich bis in dieses jämmerliche Dorf gebracht haben, bevor wir uns begegneten. »
Sie sah ihn erstaunt an. « Mein Onkel hat sie geschickt. »
« Dein Onkel? », fragte er verständnislos und blieb stehen. Sie waren nun schon eine ganze Weile bergauf gelaufen und er nutzte die Pause, um sich kurz an den Wasservorräten zu bedienen.
« Er hat es während unserer Diskussion erwähnt. Wie mir schein war er in dem Glauben ich hätte keinen Verdacht geschöpft und wäre nur aus Dummheit mit dir gegangen. Übrigens hast du mir in dem Augenblick große Angst eingejagt. »
« Dann sind wir ja quitt. », nuschelte er und lief weiter, die Zügel seines Pferdes schlaff in der Hand. « Aber wieso sollte dein Onkel Männer schicken, die dir Schaden würden? Ich meine sie hatten ernsthaft vor dich in der nächsten Stadt.... »
« Du kannst mir ruhig die Wahrheit über die feige Brutalität meines Onkel sagen. »
« Es ist nicht weiter wichtig. Tatsache ist, dass du es nicht mehr bis Kincaids ridge geschafft hättest. »
« Ich habe da eine Theorie. »
« Die lautet? »
Der Himmel der zuvor noch ein blasses Orange vorgewiesen hatte, schimmerte nun hellblau und pries einen heißen, sommerlichen Tag. Die Wärme war schon förmlich zu riechen, da Gras, Bäume, Pflanzen und Boden, intensive Gerüche abgaben und der Wind vom anfänglichen kühlen Lüftchen milder und unangenehmer wurde. Sobald sie einen weiteren dichteren Waldteil verlassen hatten und auf einer Art Trampelpfad durch niedrige Büsche stampften, antwortete Helen. Der Atem ihres Pferdes strich ihre Haut und ließ sämtliche Härchen aufstellen.
« Dieser widerliche Seymour weiß von Ferguson. Ich denke das sich seine Drohungen, ich solle ihn nicht erwähnen, lediglich auf einen Teil seines Wissens beziehen. Wahrscheinlich hat er meinen Onkel ein paar nützliche Dinge anvertraut, die sich eventuell durch meine Worte widerlegen lassen könnten. Beunruhigend ist allerdings das er von meiner Bekanntschaft mit Ferguson weiß. Inwiefern er sogar mit ihm bekannt ist....dass er womöglich von Finn und meiner Verlobung...nicht auszudenken....Doch es wäre möglich, dass er meinen Onkel soweit beeinflusst hat, das er glaubt ich wäre eine Gefahr. »
« Warum hätte er sich sonst so aufgeregt, dass ich dich fast bis nach Hause gebracht habe oder das du überhaupt anwesend bist. »
« Genau, ebend das habe ich mir auch überlegt. »
Aiden warf ihr eine verstohlenen Blick zu, er freute sich zwar über ihre plötzliche Offenheit, konnte diese aber nicht ganz gefahrlos betrachten. Doch seine Neugierde überwog, die momentan, recht ungefährliche Situation.
« Allerdings will ich das alles nicht ins schlechte Licht rücken. Die Situation kann auch eine andere sein. »
« Dafür das du solche Zweifel hegst, warst du aber sehr vorsichtig und hast schnell gehandelt, wenn man in betracht zieht das ich hier mit dir spreche. »
« Nun ja. Es war wirklich großes Glück, dass ich mich nicht einem skrupellosen Banditen Aufgedrängt habe, sondern einem Soldaten. Jedoch hättest du mich schon zuvor recht schnell ausrauben können, hast es aber nicht getan. Und was meine Zweifel angeht....das ich fort von Kincaids ridge muss, hat nichts mit den Drohungen oder Behauptungen von Seymour oder meinem Onkel zu tun. Ich hatte von Beginn der Reise an vor, die ich ja nun nicht freiwillig angetreten habe, nach Derbyshire zurückzukehren. »
« Wegen Finn Ferguson. »
« Aufgrund gewisser Umstände. », verbesserte sie und verfiel in ein lang andauerndes Schweigen.
Es wurde tatsächlich heiß, was für ihre Reise eine zusätzliche Last bedeutete. Zwar war es durch die fielen kleinen Bäche kein Problem an frisches Wasser zu gelangen, doch bedeutete die Hitze auch eine zusätzliche Anstrengung. Da sie die Hauptstraßen vermieden, mussten sie sich durch dicht bewaldetes Gebiet, welches zwar meist schattig, aber umso umständlicher zu begehen war. An Reiten war gar nicht zu denken. Als sie einige Zeit ihren Gedanken nachgegangen waren, kurze Kommentare zu dem Wetter und der Umgebung ausgetauscht hatten, kamen sie überein eine Pause einzulegen.
Aiden wies auf eine große Eiche, deren Konstruktion genügend Schatten und Sichtschutz lieferte. Den Pferden fesselten sie die Vorderbeine, während sie genüsslich die übrig gebliebenen Brote verspeisten. Als er kurz zum Wasser holen verschwand, beobachtete er Helen vom weitem. Sie wirkte angespannt, beinahe bedrängt. Zwar wollte er es sich nicht recht eingestehen, doch war auch ihm mulmig zumute. Die Situation war einfach zu verquer als das sie nicht etwas misstrauisches mit sich bringen würden. Mit Sicherheit konnte er sagen, dass sie sich zwar offener und natürlicher verhielt – er selbst war da keine Ausnahme – doch wusste er, dass es ihr aufgefallen war das er noch immer nichts über sich preis gab. Er würde ihr also ein paar Häppchen liefern müssen, selbst wenn sie nur zur kürzesten Befriedigung führten.
« Wir kommen ganz gut voran. », meinte er, als sie in Hörweite war und setzte sich.
« Ja, den Umständen entsprechend gut. »
« Du hast mir von dieser falschen Auslegung erzählt die Ferguson betrifft. Denkst du das Handeln deines Onkels ist darauf zurückzuführen? »
« Nein, ihm ist diese Angelegenheit lediglich peinlich. Er hasst es bedauert zu werden, dass überhaupt jemand seinen Namen mit gesenkter Stimmte ausspricht....für ihn ist das eine Beleidigung. Als es passierte, hat er noch in Edinburgh gelebt. Er hat damals ins Druckgewerbe investiert....mehr weiß ich allerdings auch nicht. Woher kommt deine Interesse? »
« Nachdem du mir von diesem schrecklichen Ereignis erzählt hast, ist es mir wieder in den Sinn gekommen. Ich möchte dir helfen, Helen. Eine wirkliche Hilfe war ich dir zuvor nicht und wahrscheinlich ist diese Reise nach Derby eher schädlich als hilfreich für dich. »
Sie nickte zustimmend und sehr direkte Fragen lagen ihr auf der Zunge, die sie aber aus Respekt nicht wagte auszusprechen. Es mag zwar zutreffen das sie stur, listig und unberechenbar sei, doch wollte sie nicht taktlos erscheinen und ihn Dinge fragen die sie nichts angingen. Sie konnte nur hoffen das sie ihr Interesse nicht noch übermannen würde.
« Ich habe schon damals, bei dem Ereignis auf Kincaids ridge gelebt. Meine Kindheit war sehr ungewöhnlich, da ich glaube das ich recht unkonventionell erzogen wurde. Mein Vater ist viel mit James und mir gereist, wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Darüber war ich sehr glücklich, denn er hat mich nicht einmal anders behandelt als meinen Bruder. Auch meine Mutter...zwar viel es ihr schwer auf dem Gut zu leben, sie stammt aus einem kleineren Dorf, und sie hatte schwer mit der Etikette und den Vorurteilen zu kämpfen...aber dennoch, ich hätte mir nicht träumen lassen, das diesen beiden Menschen jemals etwas zustoßen könnte. »
Aiden spürte einen Kloß in seinem Hals, er wollte das nicht hören, war aber nicht imstande sie zu unterbrechen ohne sie zu beleidigen.
« Einmal » Sie lachte. « haben James und ich uns gestritten. Ich wollte einen Ausritt machen, er, der nun mal vernünftiger war und mich nicht ohne Begleitung hätte ausreiten lassen, hatte keine Lust meinen Aufpasser zu spielen. Wir stritten und beleidigten uns, bis einer der Stallknechte kam und mir eine Ohrfeige für mein scheußliches Verhalten verpasste. »
Aiden hörte amüsiert zu, packte gleichzeitig die nötigen Reiseutensilien in die Satteltaschen und befestigte diese wieder an seinem Sattel.
« James war außer sich. Er ist so rot angelaufen, ich dachte er würde platzen vor Wut. »
« Was ist passiert? », fragte er und blinzte zur Sonne hinauf, er hoffte das sie Heute noch gut vorankommen würden.
« Das ganze endete in einer Mistschlacht und damit das wir eine gehörige Standpauke bekamen.“ »
« Was dich nicht davon abgehalten hat, deinen Willen zu bekommen. »
« Ganz und gar nicht. »
Er lächelte ihr kurz zu, half ihr beim aufstehen und beschloss dann, zum ersten Mal an diesem Tag zu reiten. Der Weg der vor ihnen lag, war eben und gut passier- sowie überschaubar.
« Du sagtest der Mord an deinen Eltern liegt sechs Jahre zurück. » Nachdem Helen angefangen hatte zu erzählen, ließ ihn seine Neugierde einfach nicht mehr los, alle Vorsicht war kurzerhand vergessen.
« Ich war damals Sechzehn, verwöhnt und naiv. »
Ein Blick zu ihm hinüber sagte ihr, das er sich mehr davon versprochen hatte, sie danach zu fragen. Ihr war es sehr unangenehm darüber zu sprechen, hoffte aber damit selbst an ein paar Informationen zu gelangen.
« Es geschah eines Abends. Ich war erst kurz zuvor von einer Reise zurückgekehrt und bekam nicht mit was tatsächlich in dem Arbeitszimmer meiner Eltern passierte. In der Nacht floh ich mit James, der verzweifelt und bebend vor Angst zu Onkel Andrew ritt. Kincaids ridge war zu diesem Zeitpunkt nicht so groß wie Heute. Wir hatten Pächter und mehrere kleinere Familien lebten auf unserem Land....dennoch waren wir gezwungen Kredite aufzunehmen und einiges zu verkaufen. Unser Gut wäre verloren gegangen hätte mein Onkel es nicht aufgekauft und renoviert. »
« Ein Glücksfall sozusagen. Gut das er zum rechten Zeitpunkt zur Stelle war. » Die Ironie seiner Worte ließ Helen herumfahren.
« Nein, er hatte nichts mit dem Schicksal meiner Eltern zu tun. Ich bin mir sicher. », fügte sie nachdrücklich hinzu und brachte ihm damit zum Schweigen.
« Sag, wo hast du deine Ausbildung absolviert? », fragte sie nach einer kurzen Gesprächspause, als es ihnen der Weg erlaubte nebeneinander zu reiten.
Ein stechender Seitenblick von ihm, reichte ihr um ihr seine Überraschung zu verdeutlichen.
« In Yorkshire. », antwortete er knapp und tonlos. « Ich stieß dort zu einem Regiment unter der Führung von Sir Timothy Craig. Nach meiner Ausbildung und seinem Rücktritt, arbeiteten wir in gemeinsamer Sache für meinen Vater. »
« Ihr wart also Partner? »
« Ja, sozusagen. Mein Vater schätzt ihn sehr, da er mir noch einiges beibringen kann...die Zusammensetzung war perfekt. »
« Wenn es so perfekt ist, warum bist du dann alleine? »
« Weil ich mich nicht mehr in der Ausbildung befinde. », sagte er kühl. « Es gibt Zeitpunkte an denen ich meine Aufgaben alleine ausführe. » Er wusste um diese Lüge und, dass er Craig eigentlich auf seiner Reise hätte antreffen sollen, durch seine Entführung allerdings der komplette Plan aus den Fugen geworfen wurde. Das Rätsel um seinen Aufenthaltsort schien Craigs vorrangige Priorität gewesen zu sein, andernfalls wäre er schon lange auf Kincaids ridge aufgekreuzt.
« Was mag Mr Black für ein Mensch sein? », fragte Helen jetzt und begegnete dabei Aidens abschätzenden Blick, der er ihr zuwarf. Sie biss sich schmerzhaft auf die Zunge.
« Mein Vater ist ein einfacher Unternehmer. Er besitzt ein ansehnliches Frachtschiff. » , sagte er kurz angebunden und mit solch einem geheuchelten Stolz, das Helen es nicht wagte erneut zu fragen.

Als endlich die Nacht hereinbrach, fühlte sich Aiden erbärmlich. Er wusste sie mussten ein Lager aufrichten, einen sicheren Unterschlupf oder eine Höhle finden, denn es hatte keinen Sinn weiter zu reiten. Seine Muskeln schmerzten, sein Magen knurrte unaufhörlich und seine Augen brannten vor Müdigkeit, dass er kaum mehr Umrisse voneinander unterscheiden konnte.
Außerdem waren seine Gedanken weit entfernt. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellenn dass er auch nur einen Hauch von Wachsamkeit mehr besaß.
Schon bald verfiel er in eine Diskussion mit sich selbst. Wirre Gedanken und halbe Pläne ließen ihn konfus von einem zum anderen Gedankenpunkt wandern. Wenn sie nur endlich Derbyshire erreichen würden. Das irgendwo dort draußen unsichtbare Feinde lauerten, die ihm den Schädel einschlagen wollten, war ihm zwar genauso angenehm wie eine eiternde Wunde, doch regten sie ihn wenigstens dazu an, sich nicht völlig seinen körperlichen Bedürfnissen nachzugehen. Schlafen konnte er immer noch, wenn sie angekommen waren.
Seine Debatte ließ ihn unbewusst den Kopf schütteln, worauf Helen ihm etwas zu rief.
« Hast du etwas gesagt? »
« Ja das habe ich. », sagte sie trocken. In der Dunkelheit, war sie nichts als eine wackelnde Silhouette. Ihr Pferd schnaufte und das seine antwortete mit einem ruckartigen Kopfschütteln. Eine Eule gab monotone Geräusche von sich, die Pferde traten auf den Boden auf, hier und da knackte ein Ast unter ihren Hufen, ansonsten war es wie ausgestorben. Die Windböen, die ihre Gesichter streiften und ihre Schweißbedeckten Stellen kühlten, hätten genauso gut Geister und Dämonen sein können.
« Ich habe gesagt das wir eine Pause machen müssen. Dort vorne sollten wir unser Lager aufbrechen. »
Er sagte nichts und schluckte seinen Missmut hinunter. Seine Sturheit wollte über die Vernunft siegen, kam aber nicht gegen seine Müdigkeit an. Mit verengen Augen, versuchte er zu der Stelle, auf die sie deutete zu sehen und gab dann ein grunzendes Geräusch von sich. Man konnte rein gar nichts erkennen. Mit einem Schwung stieg er hinab.
« Vermutlich hast du recht. Irgendwann müssen wir ja mal rasten, meine Knochen fühlen sich nämlich an als würden sie jederzeit zerbröseln. »
Helen sah ihn an, sagte aber nichts und schwang sich bei der Gelegenheit ebenfalls von ihrem gescheckten Wallach.
« Ich fessle ihnen die Beine, nimm du die Taschen mit, wir müssen zusehen, dass wir ein Feuer hinbekommen. », sagte Aiden.
« Wie du willst. » Mit einem Axelzucken zog sie die Satteltasche vom Rücken seines Pferdes und machte sich mitsamt dem Inhalt auf, den etwas umständlichen Weg, der steil und voller großer Äste war, zu erklimmen. Die Dunkelheit welche die Nacht so mit sich brachte half ihr nicht gerade dabei den wahrscheinlich nie zuvor benutzen Pfad glimpflich zu überwältigen und so fluchte sie wütend auf als sie über eine aus der Erde ragende Wurzeln stolperte.
« Mist, Mist, Mist. », schrie sie ungezügelt gegen den Baum dem die Wurzel offenbar gehörte und grübelte schon über Verstümmelungsmöglichkeiten nach als sie ausrutschte und unsanft auf dem Boden aufkam. Sich Blätter von Kopf und Schulter schüttelnd stand sie wieder auf, wobei sie die Lippen aufeinander pressend versuchte ihre Wut zu zügeln.
« Aiden », zischte sie und blickte den sich durch ein unsicheres Lächeln entschuldigenden Soldaten an, der ihr jetzt freundlicherweise den Arm als Stütze reichte. Sie lehnte beleidigt ab.
« Alles in Ordnung? » Sein Grinsen war durch seinen Tonfall leicht zu erraten und Helen musste sich zügeln.
« Ach verschwinde. », sagte sie engstirnig, schubste ihn beiseite und kraxelte den kleinen Berg hoch, ohne weiter auf ihn zu achten.
Angekommen schnaufte sie genervt aus und ließ die Taschen grob fallen.
« Ich dachte du hättest dir diesen Ort bewusst als Zwischenlager ausgesucht? »
« Würden wir nicht bei Nacht weiter reiten, wie du es wolltest.... » Aufgebracht versuchte sie ihm die große Satteltasche gegen den Kopf zu werfen, da sie aber groß, schwer und plump war, verfehlte sie ihr Ziel, worauf Aiden sie mit einer schnellen Bewegung auffing.
« Ist ja gut, das nächste mal trage ich dich ebend und die Tasche dazu. », sagte er beschwichtigend und legte die Tasche zu seiner eigenen Sicherheit ein Stücken von ihr entfernt auf den Boden.
Er lächelte ihr zuerst zu und ließ dann seinen Blick verträumt auf den Himmel fallen, dessen dunkles Blau hell im Gegensatz zu den schwarzen Baumgestalten auf der Erde wirkte. Stille breitete sich aus und Helen die seit dem Morgen durchgehend nervös war, dachte unentwegt daran Konversation über gleichgültige Themen zu führen und ihn so abzulenken damit er nicht an der einen oder anderen Sache nachhakte. Sie sah wie sich seine Schultern entspannten und blickte auf sein Profil das sich hell von seinem Körper abhob und fragte sich was er gerade dachte. Wie als hätte sie diesen Gedanken laut ausgesprochen drehte er sich zu ihr und war schon dabei den Mund zu öffnen als sie ihn hastig unterbrach.
« Es wird kalt, willst du nicht die Decken holen? »
Da die Nacht eher schwül war und ihm als auch ihr selbst die Haare durch den Schweiß an der Stirn klebten, blickte er sie verständnislos an.
« Nein danke. », sagte er knapp und drehte sich wieder zurück, während sie beruhigt aufatmete.
« Wovor hast du eigentlich Angst? », fragte er plötzlich ohne aber den Kopf zu wenden.
« Angst? Was meinst du damit? » Der Schweiß brach ihr aus und ihre Hände die sie unbeachtet aneinander rieb wurden zunehmend feuchter, da sie die Frage auf ihre halb entblößte Vergangenheit bezog.
« Na ich meine ob du Angst hast, im weitesten Sinne gedacht. Vor bestimmten Tieren, oder Phänomenen, vor einem Gewitter zum Beispiel, aber was weiß ich, vergess es am besten wieder. »
« Du meinst ob ich Feinde habe vor denen ich mich fürchte? »
« Nein so habe ich das nicht gemeint. », schnitt er das Thema ab und wie als hätte er hastig in seinem Gehirn rumgewühlt, um das für ihn plötzlich unschöne Gesprächthema zu wenden sagte er einfach was ihm als erstes in den Sinn kam.
« Ich werde Brennholz suchen gehen. » Ein Nicken bestätigte sein Vorhaben und er machte sich auf, geeignete Äste zu finden. Etwa eine halbe Stunde später kam er erschöpft zurück, warf seine Beute achtlos auf den Boden und überließ es Helen mit Feuerstein und Zunder zu hantieren.
« Glaubst du es wird uns jemand folgen ? », fragte er und eine seiner Augenbrauen schoss in die Höhe.
« Ich bin mir nicht sicher, James wird es nicht lange vor meinem Onkel geheim halten können. Aber wie zuvor gesagt, ich denke wir müssen uns keine Sorgen machen. Sie werden erst viel später herausfinden, dass ich nicht zurück komme. »
« Was Kincaid da über den Aufenthaltsort von Ferguson gesagt hat, glaubst du es ist wahr? »
Helen sah ihn von der Seite her an. Sein Profil war jetzt beleuchtet von einem milchigen Schein, der von dem aufgehenden Mond herrührte, doch sein Blick war jenseits dieser Welt, abwesend und dunkel und sie fragte sich was er vor sich sah, wenn nicht sogar wen.
« Ich glaube es, ja. Deswegen ist es umso wichtiger das wir nach Derby reiten, ich muss sofort Erkundungen einläuten und die Sache überprüfen. Es kann gut möglich sein das er geschäftlich nach London gereist ist. Ich meine, warum sollte mein Onkel lügen? »
« Was wenn er in dem Glauben war, das er die Wahrheit sprach? Seymour hätte ihm allerhand erzählen können. »
Die Sache schien eine logische Wurzel zu haben und sie presste unsicher was sie als nächstes sagen sollte die Lippen zu einer geraden Linie zusammen.
« Was willst du tun wenn du in Derby ankommst und Ferguson nicht dort ist? » Sein Blick klärte sich und er blickte sie fragend an und während er im Augenwinkel den hellen Mond sah versuchte er sich ganz auf das Mädchen zu konzentrieren.
« Ich habe Bekannte bei denen ich solange unterkommen kann. Es mag stimmen das Finn in London ist, ob Geschäftlich oder um herauszubekommen wo ich mich aufhalte....aber ehrlich gesagt ich weiß es nicht. »
Eine entfernte und nach Beute jagende Eule gab einen erstickenden Schrei von sich, der ihm eine Gänsehaut einjagte. Zum Teufel damit, dachte er und formte seine Beine zu einem Schneidersitz und versuchte jedes Geräusch in seiner Umgebung weitgehenst zu ignorieren.
« Kann es sein das du gar nicht bereit bist mit in diese Stadt zu kommen oder es eher gesagt nicht willst? » , gab sie spekulierend an ihn weiter und blähte vor schleichender Gewissheit, dass sie damit einen Wunden Punkt oder gar den Punkt überhaupt getroffen hatte, ihre Naselöcher auf. Er jedoch blieb gegen ihre Vermutungen sitzen und machte keinerlei Anstalten sich aufzuregen oder sich anders zu verhalten, sei es nun im guten oder schlechten Sinne.
« Und kann es sein das dieser Ferguson, mehr mit der ganzen Sache zu tun hat als du mir sagen willst und du deshalb so versessen darauf bist in die Stadt zu reiten? Um dir zu beweisen das dein Onkel im Unrecht ist oder sogar das er recht hat oder hatte und du dein Gewissen etwas getan zu haben, beruhigen willst? », entgegnete er mit einer Frage.
« Ich bin nicht James die ihn für eine Tat bestrafen will die er nicht getan hat. Außerdem geht dich das nichts an. »
« Natürlich nicht. », sagte er leicht gereizt.
Sie sah deutlich, wie er in den Wald hineinstarrte und fragte sich was er in der Stille hören konnte. Sie fühlte genauso wie er die Bedrohlichkeit welche sich Nachts auf die Umgebung legte. Das Wissen über die Augen und Ohren, welches einem durch unausgesprochene Worte zuteil wird, die verschleiert und heimtückisch mit den Lebenden umherschleichen, das alles wusste und kannte er so gut wie sie und doch schien er ihr immer ein Stück voraus.
« Du hast mich gebeten dich zu begleiten, mir freiwillig persönliche Dinge erzählt, es darf dich nicht wundern wenn ich spekuliere und frage. »
« Hör auf damit, verstanden? », gab sie fauchend zurück.
« Womit? Mache ich dir plötzlich Angst oder ist es der Wald hier? Wovor verkriechst du dich? Und warum? »
« Es geht dich rein gar nichts an. Du bist ein falscher Soldat und derjenige der sich aufdrängt und alles hinterfragt. »
Er erhob sich schnell und unsicher und war schon dabei zu gehen, als sie ihn hastig am Arm packte und daran zerrte.
« Warte, ich will nur wissen was dich plötzlich so unsicher stimmt mit mir dorthin zu reiten. » Er ließ seinen zuerst angespannten Arm sinken den sie festhielt und drehte sich zu ihr.
« Unsicher? Ich werde nach Derby reiten, keine Sorge, doch hör auf mit deinen Provokationen. Ich bin ein Soldat, ich werde dich bis nach Derbyshire begleiten und dann selbst zu meiner Familie zurück kehren. » Sie ließ ihn los, da sie sich sicher war das er nicht fliehen würde und setzte sich hin. Durch einen plötzlichen Schwindel, schloss sie die Augen und stöhnte auf.
« Alles in Ordnung? »Ihren Schwächefall skeptisch beobachtend ging er einen Schritt auf sie zu.
« Ja es geht schon wieder. » Sich die Hand gegen die Stirn pressend amtete sie ein paar mal schwer ein und aus.
« Ich bin nur etwas müde. »
Aiden der sie wie einen Sack Mehl schief von der Seite anschaute, erntete dafür eine abfällige Handbewegung und ein unschönes Schimpfwort, kniete sich aber neben sie und drückte sie mit sanfter Gewalt zu Boden. Er zog seine Jacke aus und faltete sie zu einem Knäuel das er ihr als improvisiertes Kissen unter den Kopf legte. Sie wehrte sich nicht und beobachtete seine plötzliche Führsorge mit Skepsis. Nachdem sie lag, setzte er sich neben sie, strich sich die verklebten Haarsträhnen von der schweißigen Stirn und runzelte diese.
« Hör mal, es geht mich natürlich nichts an. Wenn du sagst das du nur nach Derby zurück möchtest wegen Ferguson, weil er dein Verlobter ist, dann akzeptiere ich das. Ebenso das du dafür deine Familie hintergehst. Wahrscheinlich war das eine schreckliche Wahl die du da hinter dir hast. »
Die Arme um seine Knie schlingend wirkte er mit einem Mal klein. Seine Augen leuchteten zu ihr hinunter und sein Mundwinkel zuckte kurz als sich ihre Blicke trafen.
« Ich habe eine lange Reise hinter mir. Es war ein solches Glück das ich dich in der Kate gefunden habe und wir es gemeinsam geschafft haben zu fliehen, dass du sogar sicher nach Hause gelangt bist. Doch alles was jetzt passiert, hat nichts mit Glück zu tun. Es ist gefährlich. Vermutlich hast du bald einen zornigen Onkel und dazu Seymour, die dir nach dem Leben trachten, warum auch immer. Sie sind beide gefährlich, was schon die Soldaten von zuvor beweisen. Ich möchte nicht noch mehr Schwierigkeiten, für keinen von uns. Vielleicht ist es in deinen Augen ungerecht, doch hinterfrage mich nicht. Es ehrt mich dass du mich in deine persönlichen Angelegenheiten einbeziehst und dir meine Meinung anhörst, doch verlange nicht das gleiche von mir. Ich bin Aiden Black, Berufssoldat, dabei musst du es belassen. »
Seine Augen tränten und als er gähnte und zu Helen hinunterblickte, war sie schon in einen tiefen Schlaf gefallen. Ihre Gesichtszüge waren sanft, wie aus Porzellan und er musste sich zwingen den Blick davon abzuwenden. Ihr stand eine große Bürde bevor, denn ihr Leben würde schwer an der Seite ihres Verlobten werden. Fernab von ihrer Familie und mit der boshaften Gewissheit eine Schande für diese Menschen zu sein. Liebte sie diesen zu unrecht verurteilten Mann denn so sehr? War er das alles wert?
Er war sich der Bürde einer Familie nur allzu bewusst. Auch auf seinen Schultern lasteten die Aufgaben und Erwartungen der Wolvertons. Trotz alle dem war die Aussicht bald nach Hause zu kommen, seinen Bruder zu sehen und empfangen zu werden, so wundervoll, er würde jedes Risiko dafür eingehen, jede Katastrophe überwinden.
Die Angelegenheit mit Helen, wollte er schnell hinter sich bringen. Jegliche Verbindung musste in Derby zu ihr abgebrochen werden, niemand durfte das entflohene Mädchen mit ihm sehen. Es war eine schmerzhafte und schöne Aussicht zugleich. Er runzelte die Stirn und realisierte, wie viele Tage er nun schon abgekämpft und erschöpft in freier Wildnis verbracht hatte. Mit einem Mal fühlte er sich unendlich müde und gab sich endlich dem Luxus hin, diese anzunehmen. Langsam driftete er in einen traumlosen Schlaf.
Ein Warnsignal ließ ihn aufschrecken, reflexartig drehte er sich um und ließ seine Augen umherirren doch niemand war dort. Jedoch hätte er schwören können das ihn jemand beobachtet hatte oder es noch immer tat. Er stand mit verknoteten Muskeln auf und reckte sich um einige Verspannungen zu lösen, als ein leichter kaum erkenntlicher Schatten sich auf dem Boden zeichnete.
Er spähte, die Hand an die Stirn gelegt entlang der Bäume und blickte auf den fast direkt über ihn stehenden Mond, der wie ein fester Anker, sicher und unnahbar am Himmel ragte.
Der leichte, früh morgendlichen Duft, der ihm zwischen verkrustetem Schlamm der ihm überall an den Kleidern hing, Schweiß und kalten Stein in die Nase drang ließ ihn schaudern.
Ein heller weißlicher Farbton hing am Rand des Himmels der sich immer weiter heraufkämpfte und dabei einige Sterne mit sich riss und diese, so kam es ihm vor, mitsamt ihrem Schimmer verschlang. Er beobachtete seine Umwelt noch einige Zeit und genoss einen dieser stillen Augenblicke in denen sich nur das Wasser und sehr wenige Tiere bewegten und dabei Geräusche von sich gaben die ihn in angenehm benommen stimmten.
Er seufzte auf und betrachtete das Mädchen, dessen dunkle Gestalt zusammengerollt auf dem Boden lag. Ein Vogel schrie entfernt und krächzend auf, er schluckte und sein Adamsapfel fühlte sich in der Sekunde schwer und unvorteilhaft an. Sein Blick galt noch immer seiner Umgebung.

Als Helen ihre Augen öffnete, war es bereits Morgen und die Sonne hatte den Mond schon lange abgelöst, doch schien es ihr im ersten Moment, als wäre sie noch vollkommen von der Schwärze der Nacht umnebelt. Bis ihr überhaupt bewusst wurde, wo sie sich befand und warum, vor allem mit wem, hatte sich Aiden bereits seiner Jacke wieder angenommen und legte sie sich ohne ein Wort wieder an.
Noch in der Erinnerung von Mond und Sterne schwelgend, schloss sie die Augen und streckte sich, um genüsslich zu gähnen.
« Du bist wach? », fragte Aiden rhetorisch und ohne sie anzusehen.
« Ja! » , antwortete sie nur knapp, setzte sich auf und blinzelte ihm durch die hereinfallende Sonne entgegen.
« Geht es dir auch wieder gut? »
« Es geht. » , antwortete sie abermals bejahend und machte Anstalten aufzustehen.
« Ich finde wir sollten durchreiten. »
« Du findest was? » Sie war gerade ein paar wackelige Schritte gegangen, als seine Worte sie aus dem Halbschlaf rissen und endlich in die Wirklichkeit zurück holten. « Das ist doch unmöglich, weißt du was das für Strapazen wären? »
« Wir müssen so schnell wie möglich in diese Stadt. Die Zeit ist kostbar, das weißt du auch. Also wäre es besser durchzureiten und sich später auszuruhen. »
« Ja, aber- »
« Helen, ist dir diese Sache denn nicht schon ernst genug? »
»Natürlich, aber das rechtfertigt nicht -»
« Doch das tut es. Ich habe mich bereits um die Pferde gekümmert, wir reiten los und zwar auf der Stelle. »
Helen die es in keinster Weise gewöhnt war auf so einen Ton zu reagieren, verschränkte im ersten Moment stur die Arme, gab aber bei näherer Betrachtung seiner Worte nach. Sie hätte weiter diskutieren können aber im Augenblick gönnte sie sich einfach die Gewissheit nicht nachdenken zu müssen und einfach zu folgen.

10. Tinte und Feder

Mein lieber Sean,

Nach deinem letzten Brief, den ich mit großer Trauer gelesen habe, hoffe ich sehr das sich der Zustand deines Haushaltes wieder verbessert hat.
Es tut mir aufrichtig leid, was geschehen ist und ich möchte dir mein tiefstes Beileid ausdrücken. Deine Frau Emma, geborene Sparks, wird mir immer guten Herzens in Erinnerung bleiben.
Ich weiß es ist schwer während dieser heiklen Zeit, in der « unser Freund » , deine Hilfe benötigt, einen weiteren Anlass zur Trauer von Gott in den Schoss gelegt zu bekommen, doch so sehr es auch schmerzt weiß ich doch das du es meistern wirst und die dir gestellte Aufgabe, sei es nur wieder Mut zu fassen, mit der gleichen Intensität bewerkstelligen wirst wie es auch schon in der Vergangenheit des Öfteren der Fall war.

Wie ich gehört habe wirst du in einigen Tagen nach Derbyshire reisen und ich hoffe diesbezüglich das dich dieser Brief noch vor deiner Abreise erreichen wird. Bitte sende Adam Wolverton meine Grüße.
Meinen Informationen nach wird deine Familie nicht mit dir reisen, was ich einerseits von dir bewundere, anderseits als große Naivität ansehe, dir aber wünsche das ich mich irren werde und euch keinerlei Gefahr droht.
Sei es von den uns Bekannten oder den lauernden Unsichtbaren, die nur bei Nacht ihr wahres Gesicht zeigen.

Was meine Aufgabe bezüglich des Haupthauses angeht so muss ich dir mitteilen das sich mein Onkel, trotz meiner Bemühungen, zu keiner der ihm vorgeschlagenen Angebote breitschlagen lässt und er stur verharrt.
Im Gegenteil sogar, er sieht Lord George als wachsende Bedrohung und hat vor ihn als Verbrecher und Verräter zu verleumden und sich, sei es sogar mit Gewalt, gegen ihn zu stellen.
Was meiner Meinung nach schierer Geisteskrankheit zuzuschreiben ist oder bloßer Dummheit, wobei ich mich frage wie weit sich ein Mensch in so eine Illusion wie sie sich mein Onkel geschaffen hat, reinsteigern kann.
Er wird mit allen Mitteln verhindern wollen das Lord George Truppen sammelt und so weiter ins Landesinnere vordringen kann. Leider weiß ich das Lord George alles tun wird um sein Gut Mac tire zu beschützen und sich schnellsten Abberts Creek zu sichern.
Da er ein Mann mit altem Stammbaum und großem Einfluss ist, wird es natürlich schwer sein - für beide Seite - ihn entweder zu stürzen oder ihm zu helfen.
Es sei denn es gibt einen Schwachpunkt, von dem ich nicht mit Sicherheit weiß ob dieser vorhanden ist.
Doch es muss einen Grund geben warum er sich einerseits so lange zurückgezogen hat und andererseits plötzlich wieder auftaucht und dies mehr oder weniger freiwillig kund tut.

Vielleicht ist es nur eine stumpfsinnige Spekulation meines Onkels, aber wie er mir versichert hat beschließt Lord George sich das Gut Abberts Creek, das zurzeit Führerlos unter einem Damoklasschwert steht, tatsächlich anzunehmen und es sogar ganz zu übernehmen.
Meine Frage diesbezüglich lautet, wie er das bewerkstelligen will, da er höchstens durch einen Erben oder eine Blutsverwandtschaft dazu in der Lage wäre.
Außerdem kann ich nicht begreifen was er damit bezweckt und warum er gerade zu einem so heiklen Zeitpunkt wieder aufgetaucht ist, wo er in aller Munde ist. Er sollte sich lieber zurückziehen, die Gerüchte veralten und seine Feinde leere Reden sprechen lassen.

Zudem habe ich eine kleine Bitte an dich, so fern es deine Zeit zulässt und es sich im Bereich deiner Möglichkeiten befindet.
Wie du dir wahrscheinlich bereits gedacht hast wurde Helen gefunden.
Soldaten haben sie kurz vor Kincaids ridge aufgegriffen und wieder zurück gebracht, allerdings weißt du ja wie sie ist, stur und eigensinnig genau wie ich selbst, sie hat sich also weder geschämt noch ein Wort der Reue fallen lassen.
Sir Timothy Craig der mir in Form eines Soldaten seine Dienste erwiesen hat, indem er Helen kurz davor aus den Händen von Gauner befreit hat, bin ich zu großem Dank verpflichtet. Diesbezüglich bitte ich dich, etwas über diesen Soldaten in Erfahrung zu bringen. Sein Name ist Aiden Black.
Ich hege keinen großen Zweifel daran das meine Schwester nicht weiß was für sie gut ist, ich weiß es sogar mit Bestiemtheit das sie es nicht weiß. Trotzdem ist sie eine starke Frau die man nicht unterschätzen darf, vor allem kein Mann. Sie darf ihr Leben nicht für den Mörder unserer Familie riskieren, denn ich bin mir sicher, dass sie ebenso Rache nehmen will, wie ich.
Ich werde weiterhin nach ihm suchen lassen und bin mir deiner Hilfe gewiss.
Sobald Helen von einem Besuch bei einigen Bekannten zurück gekehrt ist, möchte ich dich gerne in unser Haus einladen.

Allerdings möchte ich dich bitten auch wenn es schwer wird, etwas über Black herauszufinden und mir schnellst möglich zu antworten, falls du auf etwas Nennenswertes gestoßen bist.

Mit bei sende ich dir eine Spende für die Organisation, ich hoffe sie wird helfen Lord Georges Unternehmungen zu stärken.

Dein Ergebener Diener

James Aurel Kincaid

Postskriptum

Ich werde dich, deine Familie und deine verstorbene Frau in meine Gebete mit einschließen und hoffe auf deine baldige Rückmeldung.

James legte den Federkiel zur Seite und las den Brief mehrere Male sorgfältig durch, bevor er ihn in einen Umschlag steckte und ihn mithilfe eines goldenen Rings den er aus seiner Schreibtischschublade holte, versiegelte.
Er konnte nur hoffen dass das Siegel nicht aufgebrochen wurde, doch das war auch schon das einzige, was er dafür tun konnte.
Er schnalzte entschlossen mit der Zunge und fing an mit seinem Stuhl zu kippeln und den Brief kritisch zu betrachten. Wenn er recht behielt wurde er höchstwahrscheinlich während der Reise aufgebrochen und gelesen, was aber nur daher rühren konnte das er in diesem Fall mit seiner Spekulation von der Wichtigkeit dieses Dokuments richtig lag und sich so einiges am brodeln befand.
Wo bist du nur Helen, wenn ich deine Anwesenheit brauche, fragte er sich abgelenkt und fühlte die Wichtigkeit des Briefes wie eine schwere Last auf seinen Schultern. Er schloss geistesabwesend die Augen, hörte aber auf zu kippeln und landete mit einem lauten aufkommen des Stuhls auf dem harten Boden. Er griff fast mechanisch erneut nach der Feder und tunkte sie in das kleine Gefäß mit der dunklen Tinte und schrieb auf die Rückseite des Umschlages den Namen und die Adresse des Empfängers:

Sean Matthew Sloan ...

James war aber in Gedanken viel zu weit von seinem Schreibtisch entfernt als hätte er wirklich darauf geachtet was er da eigentlich schrieb. Erst ein lautes Klopfen ließ ihn aus seinem Trance ähnlichen Zustand erwachen und kerzengerade aufrichten, sodass sich seine Muskeln, dessen Fasern vor Müdigkeit unangenehm zogen, steif wurden und er ein kleines schmerzerfülltes Stöhnen von sich gab.
Er massierte sich den Nacken und verhüllte noch gerade sein schmerzverzerrtes Gesicht zu einer gleichgültigen Maske, als einer der Diener herantrat.
Dieser verbeugte sich, als kurze Geste der Begrüßung knapp, die James mit einer Handbewegung würdigte und den jungen Mann der nun vor ihm stand nur mit einem Auge musterte, da das andere noch immer in Gedanken völlig andere Dinge vor sich sah. Doch er nutze die Gelegenheit, schrieb hastig die komplette Adresse seines Freundes, in dem er die Feder erneut in das düstere Tintenglas steckte, fertig und gab sie dem jungen Burschen - der vielleicht gerade mal Fünfzehn Jahre alt sein konnte - mit und nahm stattdessen einige andere Dokumente entgegen.
Vorne drauf fiel ihm sofort ein Brief ins Auge den er voller mistrauen und mit spannender Erwartung öffnete, noch bevor der Junge die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte. Er entfaltete den Brief und nur das laute Gongen der Standuhr die im selben Moment ihre Töne von sich gab übertonte seinen ertickten Ausruf über das, was er da von Sir Timothy Craig las.


11. Sommersturm

Düstere Wolken verdunkelten den neu angebrochenen Tag und laut platschender Regen ließ die Welt verschwommen und gestaltlos wirken. Während die Natur genüsslich das Geschenk des Himmels in empfang nahm saßen zwei zitternde Gestalten unter einer großen Eiche, die Zügel ihrer Pferde in den Schwielen übersehenen Händen.
Der Geruch von Schweiß, Pferdedung und dem Sattelzeug lag stark in der Luft und vermischte sich mit dem frischen Regen und dem sich immer stärker entwickelnden Pflanzengerüchen seien es die feinen Tannennadeln, das Gras oder kleinen Kamillepflanzen und versteckte essbare Wurzeln.
Aiden hob angewidert einen Fuß und betrachtete das dreckige etwas das sich unter seiner Sohle zu einer glitschigen Masse entwickelte und sich weiter den Weg zwischen der wuchernden Vegetation suchte. Er fing an in Gedanken einen leicht zynischen Hang in die sich bildenden Worte zu stecken und startete mehrer versuchte ihn sich wieder abzuschütteln indem er leicht mit dem Kopf ruckte und sich stattdessen auf die schwindende Körperwärme seiner Begleiter konzentrierte. Er leckte sich mit der Zunge über die eisigen Lippen und verfluchte leise murmelnd das Wetter, bevor er die Zügel der Pferde ergriff und sie mit einem schnalzen vorwärts trieb.
Eines der beiden streckte seinen Kopf nach ihm aus und schnüffelte ihm kurz unter dem Ansatz seiner Haare was ihn erschrocken erschaudern ließ, sodass sich seine kleinen Armhärchen aufstellten und er sich den warmen Atem des Tieres im Nacken spürend etwas verkrampfte.
Die Schultern wieder entspannend und schlaff nach unten hängen lassend, suchte er Helens Blick, den er fand und versuchte mit einem kleinen Lächeln der Situation etwas gutes abzugewinnen. Wenigstens konnte es im Moment nicht schlimmer werden!
Mit einer ächzenden Bewegung die seine durchnässte Kleidung an seine Haut drückte schob er einen Strauch Waldrebe zur Seite und machte sich mitsamt den beiden Pferden und Helen im Schlepptau auf, den von Pfützen durchlöcherten Pfad zu betreten.
Tausende kleine Kieselsteinchen gruben sich in seine Füße - seine Schuhsohle war kaputt - die durch den Schlamm und den immer größer werdenden Regenguss immer wieder ihre Position änderten oder ganz davon gespült und wer weiß wohin getragen wurden. Es war ihm auch egal und so ließ er den Blick stur gegen das Unwetter gerichtet auf dem Pfad ruhen und ging ihn so gut er konnte ab.
Seine Füße fingen vor Schmerzen an zu pochen, das taten sie bereits die ganze Zeit über, nur hatte er es geschafft dies zu vergessen oder gar aufgrund der Bestimmtheit das noch viele Schmerzen folgen würden, verdrängt.
Helen gab ein klägliches Husten von sich und auch er spürte seinen rasselnden Atemgang in seiner nach Luft schnappenden Brust und hörte den pfeifenden Unterton wenn er die Luft durch seine Nase sog.
Sich räuspernd versuchte er das nervtötende Kratzen im seinen Hals vorerst als weniger gefährlich einzustufen und machte sich mehr über seinen Magen der seit mehreren Stunden schon nichts Essbares mehr bekommen hatte sorgen. Der Wetterumschwung hatte sie unerwartet getroffen, sie waren beide noch vollkommen perplex.
Dieser gab ein glucksendes Geräusch von sich, das er lediglich spürte das ihm der Wind bedrohlich um die Ohren pfiff, dass sich aber regelmäßig mit einem in seinen Seiten ziehenden Knurren ablöste, so dass es ihm bereits schwindelte.
Er schluckte krampfhaft und hoffte auf irgendetwas, sei es ein kleines Wunder.
Der Pfad bog sich und mit der brutalen Geschwindigkeit die man annimmt wenn es die Hoffnung gibt das es hinter der nächsten Abzweigung etwas Besonderes oder gar während eines solchen Sturms etwas Warmes zu finden gab, hetzte er ihrem Zweimanns Trupp voraus.
Seine Anspannung musste sich irgendwie auf die Pferde übertragen haben denn auch sie eilten, gepeinigt von nassen Regen und mit hängenden Köpfen stur aber sehr schnell hinter ihm her.
Helen beeilte sich sogar so sehr das sie sich plötzlich neben ihm im Gleichschritt befand und ihn genervt mit zusammengepressten Lippen anstarrte.
Er krächzte auf, ein Geräusch das er unerwartete ausgestoßen hatte, dank eines Donnerns nicht zu hören war und ihn selbst überraschte die Pferde aber, denen der Laut des Himmels sorgen bereitete, die Ohren anlegen und nervös umhertaumeln ließ.
Der Regen hatte seine Wucht etwas gezügelt und begoss sie lediglich mit Nieselwasser was er nutze um kurz die Tiere zu beruhigen, die kräftig an den Zügeln zogen, die ihm dadurch noch zusätzlich in die Hand schnitten.
Sie wieherten laut und übertönten dabei jegliche Sturmgeräusche, legten weiter zaghaft die Ohren an und scharten mit den Hufen ohne sich dabei wirklich vom Platz zu bewegen.
Helen rief ihm etwas Undeutliches zu, aber aufgrund ihrer heiseren Stimme und dem dröhnenden Donner der darauf folgte verstand er kein Wort.
Langsam verlor er die Geduld. Sein Hals schnürte sich auf unnatürliche Art zusammen und er spürte widerlichen Schleim seinen Rachen hochklettern den er als Klumpen im Mund behielt.
Er schnitt seine Zähne in seine Unterlippen und schmeckte dadurch einen zusätzlichen metallischen Geschmack dank dem ihm übel wurde.
Sein Geduldsfaden riss und er zog brutal an den Zügeln, so dass die Pferde gezwungener Maßen brutal nach vorne geschoben wurden. Ein weiteren gewaltsamen Ziehen würden allerdings seine Arme, die unter den Strapazen zu zittern begannen nicht aushalten und er gab es auf und ließ locker.
Zufälligerweise blitze es im selben Moment auf und eines der Tiere verlor die Kontrolle, stürmte als wäre der Teufel selbst hinter ihm her, so plötzlich an ihm vorbei, dass er unter Schock über die Möglichkeit zertrampelt zu werden erst einige Sekunden später nachdachte.
Er blickte hilfesuchend zu Helen die versuchte mit heiseren Worten das andere sich nun aufbäumende Pferd zu beruhigen und erblickte durch einen puren Zufall der ihm der Blickwechseln zwischen dem Hengst und dem Mädchen bescherte den wahren Grund für die ungewöhnliche unruhige Haltung der Pferde.
Es war nicht mehr als ein leichtes Huschen, eine kleine Bewegung zwischen den Ästen, dem Gestrüpp und dem Gewirr aus Blättern und herumfliegenden Stückchen und Dreckklumpen, aber es war da und es ließ ihn ein für alle mal den pochenden Schmerz seiner blutig gelaufenen Fußsohlen vergessen.

Der Regensturm hatte sich beruhigt und sich in ein kleines Nieseln verwandelt dem größere Schauer fern blieben. Der Himmel dagegen gab abwechselnd lärmende Grollgeräusche von sich und erhellte die Szenerie mit zackenförmigen, plötzlichen Blitzen die vor den fast schwarzen Wolkenschichten umso mehr ihre bedrohliche Wirkung zeigten.
Aiden machte einen unsicheren Schritt nach vorne und wischte sich den sich mit einem Mal bildenden Schweiß von der Stirn, oder war es nur Regen? Er wusste es nicht und fühlte nur die erhitzte Erregung die seinen Körper überfiel, aber auch das war ihm egal.
Er spürte eine Hand an seinem Arm und verstand das Helen es ebenfalls gesehen hatte unsicher ob sie sich darauf zu bewegen oder lieber verschwinden sollten. Doch er fand es als falsch jetzt einfach so zu gehen und glaubte es fast selbst nicht als er mit fast drängenden Schritten an den Rand des dichter werdenden Waldes ging.
Helens bohrenden und zugleich ungläubigen Blick im Rücken hielt er inne und wartete bis sie ihn überholt hatte und voraus ging. Sie zeigte weder Angst noch Scheu was ihn ungemein ärgerte da er sein bleiches Gesicht und seine vor schreck geweiteten Augen förmlich vor sich sehen konnte. Ekel überkam ihm.
Ohne sich weiter umzusehen folgte er ihr und umklammerte seinen Oberkörper der zu zittern begann als er sich neben die vorausgeeilte Helen stellte.
Vor ihnen hingen drei Leichen.
Sie taumelten, im durch die Bäume abgefälschten Wind und gaben ein groteskes Bild ab.
Es waren alle drei Männer und Aiden fragte sich beiläufig ob es noch mehr von ihnen gab. Anscheinend hatte er diesen Gedanken laut ausgesprochen, denn ihm antwortete eine kühle Stimme.
« Ich denke es gibt noch mehr von ihnen » Sie musterte die Leichen eingehend und ging einen kleinen Schritt auf sie zu, kreuzigte sich und sprach einige Worte.
« Woher willst du das wissen? » , fragte er und wand den Blick ab um ihn an einen weiter entfernten Stein zu heften.
« Siehst du das viele Blut das an dem Baum klebt? Zwar ist der Regen bis in dieses Stückchen vorgedrungen, aber es ist selbst für drei Opfer viel zu viel. »
« Du meinst? »
« Ja sie wurden zuerst umgebracht und dann gehängt. Sollten wir sie nicht…herunterholen
Aiden blickte sie entgeistert an.
« Bist du verrückt? »
« Warum nicht? Wir können sie auf keinen Fall so da hängen lassen... »
« Früher oder später wird sie jemand anderes finden oder hast du jetzt vor den ganzen Weg nach noch mehr von diesen... » Er suchte das richtige Wort. « Gehängten zu suchen und ihnen allen die Absolution zu erteilen? »
« Natürlich nicht. » , gab sie trocken zurück, machte aber auch keine Anstalten etwas zu unternehmen.
« Was sollen wir dann tun? Einfach weiter reiten und so tun als hätten wir nichts gesehen? »
« Ja am besten. Selbst wenn die Mistkerle noch in der Nähe sind die das getan haben, sind wir zwar nicht mit Sicherheit vor ihnen gewappnet aber wir sind auch nicht ganz unvorbereitet. »
Er gab einen zustimmenden Ton von sich und wand sich angeekelt durch den Anblick auf die Toten ab. Sie musterte ihn kühl und ging dann zielstrebig an ihm vorbei.
« Wer immer das getan hat, hat sein Handwerk verstanden. », sagte er ihr im vorübergehen und wand sich ebenfalls ab.
« Du hast recht. Es klebt zwar eine menge Blut an dem Baum und am Boden sind auch einige dunkle Stellen, aber die Leichen an sich weisen nichts auf was an eine brutale Verstümmlung erinnert, es müssen sauber gezogene Schnitte oder vielleicht auch Kugeln gewesen sein oder... »
« Mord? », fragte Aiden und konnte trotz des Schauders der ihm überlief nicht widerstehen und blickte auf die immer kleiner werdenden hängenden Schatten zurück. Sie waren nicht mehr als im Wind dahinschaukelnde Umrisse. Menschliche Gestalten die so steif wie Holz fast ein teil des Waldes hätten seien können, doch das waren sie nicht und es würde noch einiges an Zeit kosten bis ihre Körper zu verwesen begannen.
« Wer weiß, es könnte jeder gewesen sein. Oder grenzen wir die Möglichkeiten einmal ein; Räuber sogar Auftragskiller oder Demonstranten. Allerdings glaube ich das weniger denn dann wären sie nach einem so abgeschiedenen Ort mitten in der Wildnis aufgehängt worden, sondern irgendwo wo sie die zugehörige Aufmerksamkeit bekommen würden und gezielt die Angst verbreiten. » Sie sagte es sachlich, als würde sie danach fragen ob er ihr die Wasserflasche reichen könnte und so schoss eine seiner Augenbrauen in die Höhe.
« Du kennst dich gut aus. »
« Es ist nicht lange her, da gab es eine Reihe von Morden in unserer Gegend. Eine Familienfede. », fügte sie auf seinen unverständlichen Blick hinzu. Das reichte ihm schon als Antwort, denn auf dieses Thema wollte er nicht weiter eingehen. Stattdessen betrachtete er den sich bessernden Himmel und ging zu dem sich selbstständig gemachten Pferd, das an der Biegung des Pfades unschuldig auf ihn wartete.
« Als wäre nichts gewesen, du alter Mistkerl. », brummte er dem Tier zu und schnappte sich erneut die Zügel.
Sie waren ganze zei Tage durchgeritten, hatten all ihre Vorräte aufgebraucht und waren heute morgen von dem unglücklichen Wetter gemein aus dem Schlaf gerissen worden. Kalt und zornig war der Himmel über ihnen aufgegangen, ein Vorzeichen des Schicksals? Ein böses Omen? Er wollte nicht so recht daran glauben.
« Ist dir klar das wir uns fernab der Städte befinden? Wir können von Glück reden wenn wir in nächster Zeit auf kleinere Dörfer treffen. »
« Ja dessen bin ich mir bewusst, warum? » , fragte er argwöhnisch.
« Nun wer weiß, vielleicht sind diese Menschen ja doch von Räubern getötet worden. Immerhin geht es hier drunter und drüber. Es ist ein gefundenes Fressen für Leute die andere ausbeuten oder überfallen wollen. Bei den ganzen Reisenden... »
« Ja ich verstehe. », pflichtete er ihr bei, hoffte aber insgeheim es erst gar nicht zu erfahren von wem und warum diese Männer getötet wurden.
« Aber wenn es Räuber waren und diese Reisende überfallen haben wo sind dann die Frauen oder Kinder? », hakte er nach und fixierte sie.
« Gute Frage. Wahrscheinlich werden sie diese irgendwohin verkaufen, in ein Bordell oder wer weiß wohin als Sklavinnen. Ich will es mir erst gar nicht vorstellen. »
« Es gibt viel zu viele von diesen abartigen Händlern. Sie verschleppen sie nach Jamaika, in die Kolonien oder sonst wohin. »
« Es ist grausam. » Sie streckte sich nun als sie den kleinen Lichtbogen bemerkte der sich durch die verdunkelte Wolkenschicht fraß und den Himmel ein wenig aufhellte und genoss den umständlichen Wetterumschwung.
Gemeinsam entschieden sie sich wieder auf den Pferderücken fort zu bewegen und stiegen mit der lebhaften Erinnerung der Leichen auf, gleichzeitig aber eine klärende Aussicht vor Augen.
Für Aiden war es eine Ekstase nicht mehr laufen zu müssen und er lehnte sich etwas entspannt, die Lieder halb geschlossen in den Sattel zurück und ließ Helen führen, sein Pferd würde dem ihren schon von alleine folgen.
Er kam zwar nicht wirklich zur Ruhe und nach einer Weile hatte er es aufgegeben ein wenig dort oben zu schlafen. Er war aber in einen dösigen, Tranceartigen Zustand geglitten bei dem er die Umgebung nur noch als Umrisse und Schattengestalten aufblitzen sah.
Das Wetter war jetzt so weit umgeschlagen, dass sich über ihnen eine graue Wolkendecke ausbreitete und sich eine schwüle Luft breit machte welche die Frische die der Regen mit sich gebracht hatte nicht vertreiben konnte. Er genoss es sichtlich.
« Du schläfst gleich ein. », sagte Helen nüchtern zu ihm und er hob seinen Kopf, der verräterisch nach vorne gekippt war.
« Jetzt nicht mehr. », antwortete er trocken und sah, dass sie neben ihn geritten war. Auf etwa gleicher Höhe ritten sie, in fast dem gleichem Takt, einem gefühlvollen Hoch und Runter, eine Alle aus grünen Eichen hinunter.
Die Blätter waren mit silbernen Stückchen, Überbleibsel des Regengusses besprenkelt und gaben einen herrlichen frischen Duft ab, der ihn wollig umfing.
Die Sonne ließ zwar ihre Strahlen noch immer nicht durch die dicke Wolkendecke aber ihre Scheibe war glimmend hell und rund dahinter zu erkennen und ließ sie wenigstens ein bisschen das Gefühl vom dahinschwelgendem Sommer behalten und erwärmte die Luft.
Helen die in ihrem Sattel hin und her rutsche betrachtete ihn eingehend. Ihr lag eine Frage auf der Zunge, etwas das sie seit mehreren Tagen beschäftigt, doch sie hatte noch nicht den Willen gefasst ihn danach zu fragen. Es machte sie einerseits unsicher, da sie ein gezieltes Netz aus Lügen erwartete, andererseits konnte sie sich seine wütende Reaktion sobald sie näher fragen würde, nur zu lebhaft vorstellen.
« Was starrst du mich so an? »
« Das bildest du dir ein. », erwiderte sie stockend und löste ihren gebannten Blick von ihm.
« Habe ich da irgendetwas? » Er suchte seinen Oberkörper mit seinen Händen ab und betastete sich, kam aber zu dem Schluss nichts gefunden zu haben und das sich alles in bester Ordnung befand und sah sie verwirrt von der Seite her an. Sie dagegen holte tief Luft, na dann würde sie halt jetzt fragen, es war eh nicht mehr lange nach Derby mit etwas Glück und ohne Regen würden sie binnen drei Tagen dort ankommen.
« Was hast du eigentlich für eine Narbe an deinem Oberarm? »
« Was für eine Narbe? » Er konnte sehen wie sie bei diesen Worten errötete, sich aber nicht unterkriegen ließ.
« Ich habe sie vorgestern gesehen, als du dich deines Hemds entledigt hast. Ist es eine Kriegswunde? Hast du Männer getötet? »
Er fuhr stocksteif in seinem Sattel herum und wand den Blick mit einer merkwürdigen Geste ab, fast so als wäre er völlig überrumpelt worden, was er ja im Grunde auch war.
« Es war nicht ganz zu Unrecht. », sagte er plötzlich mit einem glasigen Blick in ihre Richtung. Sie zögerte, wollte ihn aber weiter reden lassen, jetzt wo sie ihn schon einmal so weit hatte, war es vielleicht ganz nützlich ein bisschen über seine Vergangenheit zu erfahren...
« Ich habe etwas gestohlen, Brot um genau zu sein. Es war eine jämmerliche Stange Brot. Du weißt ja was mit Dieben geschieht wenn sie erwischt und gefangen werden, man verstümmelt sie, um sie Bloß zu stellen. Ich war Tage umhergeirrt, halb verhungert und glaube mir, nachdem du dich von Würmer, Echsen und anderen Dingen ernährt hast, erscheint dir ein Stück Brot, wie eine Sahnetorte. »
Sie schluckte, denn sie kannte diesen Brauch. Es war kein direktes Gesetzt und doch handelten die Leute so, nicht selten hatte sie verstümmelte Finger, abgetrennte Ohren oder sogar Zungen zu Gesicht bekommen. Man tat es einfach so, weil es immer so gewesen war. Ein alter Brauch der Ahnen, den keiner in Frage stellte oder daran zweifelte ob er sinnvoll ist, den er war es, wenn auch auf eine grausame Art und Weise.
« Wie ich sehe hast du noch all deine Körperteile, was ist also passiert? »
Er lächelte bei ihren Worten schief und wand den Blick ab, nicht auf den Pfad oder die Umgebung vor ihm, nein, er sah etwas anderes, ein Bild weit entfernt, eine lebhafte Erinnerung die verschwommen zurückkehrte.
« Tja ich wurde erwischt, nicht direkt gefangen. Man kreiste mich praktisch ein » , fing er an und sein Blick wurde immer abwesender. « Sie nahmen lange Stöcke in die Hand, Knüppel, Schießeisen und andere Waffen, einer hatte eine Axt bei sich. Ich konnte mich darin gespiegelt sehen, es war unheimlich und ich hatte Angst auch nur in die Nähe der scharfen Klinge zu kommen, die mich wie Butter durchtrennt hätte. Sie schauten mich mit reichlich Genugtuung an, in ihren Blicken saß der Teufel, sie leuchteten voll mit brutalem Eifer. Ich hatte wirklich reichlich Pech in die Arme von irgendwelchen besoffenen Banditen zu landen, die sich wahrscheinlich selbst skalpiert und zerstückelt hätten, wäre ich nicht dazwischengekommen. »
Er atmete tief ein und aus, sein Blick war noch immer abwesend, kurz zuckte er.
« Ich versuchte den Überraschungsmoment zu nutzen und mich davon zu machen, aber ihr Anführer lauerte mir auf. Ich weiß nicht ob es Zufall oder geplant war, jedenfalls überrumpelte er mich und legte mir fesseln auf. Ich konnte mich nicht wehren. »
Sie nickte und sein Blick nahm wieder einen normalen Glanz an, fast so als würde er langsam in die Realität zurück finden.
« Ich konnte also nichts dagegen ausrichten und er konnte mich vorzeigen, wie ein kleines Hündchen.. Ich habe mich so...so eingesperrt gefühlt. Es war eine grausame Art jemanden zu erniedrigen. Sehr effizient. »
Helen wand nun hastig den Blick ab und konzentriere sich auf die Bewegungen ihres Pferdes. Sie war leicht vom Weg abgekommen und lief halb auf bröckeligem Erdboden das dem Hengst überhaupt gar nicht gefiel und ihn dazu veranlasste eigenwillig mit dem Kopf hin und er zu wackeln.
« Ihr Anführer war ein dreckiger kleiner Kerl der ständig mit seiner Pistole herumgespielt hat. Ich glaube seine Bande, der ich das Brot klauen wollte, war nur teil seiner Geschäfte. Es muss eigentlich so sein, denn er brachte mich nicht gleich um, sondern beobachtete mich und wog ab, was er mit mir tun sollte. Er wirkte keineswegs so, als wären die übrigen Männer seine Freunde, denn sie fürchteten ihn alle. Sie wären ihn gerne wieder losgeworden, was ich nur allzu gut nachempfinden kann, allein seine Haltung strahlt eine einzige Drohung aus, ihm nicht zu nahe zu kommen. »
Er drückte seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und presste aus unterdrückter Wut die Zügel so fest zusammen, das sie, als er sie wieder los ließ dicke Abdrücke von ihnen in seinen Handflächen fand. Er blickte sie verständnislos an als verstünde er nicht ganz was das war oder es sollte, schüttelte aber dann energisch den Kopf und sog kräftig die Luft ein.
« Ich glaube der Kerl hat mich später mit Absicht entkommen lassen. »
« Wie kommst du darauf? » Sie hatte überhaupt nicht so eine Spekulation erwartet und hatte überrascht den Kopf zu ihm gewand und ihrem Wallach ausversehen einen kleinen Stoß gegeben. Er legte beleidigt die Ohren an, blieb aber ansonsten ruhig und marschierte neben dem anderen Tier weiter.
« Seine Art, weißt du, sie war grausam. Ich hätte kein Skrupel von ihm erwartet und dennoch schützte er mich vor den Anderen und zwar solange, wie es einige meiner Freunde schaffen konnten mich aufzuspüren und zu befreien. »
« Warum glaubst du sollte er so etwas tun? »
« Der Mann hat mir ein zweites Mal aufgelauert. » Mehr sagte er nicht. Helen sollte nicht wissen, das diese zweite Begegnung nicht allzu lange her war, zu einer Entführung ausgeartet war, kurz bevor er Sir Timothy Craig treffen sollte, um dann zu ihr zu gelangen. Der Mann war niemand anderes als Seymour.
« Vielleicht waren die Mörder ebenfalls von diesem Pack, ich könnte es mir gut vorstellen. »
« Was für Mörder? »
« Die von den Gehängten, drüben im Wald. » Er nickte zur veranschaulich in die Richtung hinter ihm. Das Bild von den Toten wollte ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen und ließ ihn zum dutzenden Mal erschauern.
« Das wäre ein großer Zufall oder meinst du nicht? Bei den vielen Vagabunden und Viehdieben. »
« Natürlich, aber es würde mich nicht wundern. Diese Leute haben ein ganzes Netz aus Faden, die zu anderen Männern, aus anderen Banden laufen. Ein ganzes Netzwerk sozusagen. Jeder würde die Verbindung zum anderen bestreiten, dennoch ist sie vorhanden »
Er fuhr mit seiner Hand den verblassenden Zaumzeugabdruck in seiner anderen nach und atmete tief ein und aus. Das Pfeifen in seinem Atem war immer noch vorhanden und das Kratzen juckte unangenehm in seiner Kehle, sodass er sich räusperte, um sich ein wenig von dem Schleim zu befreien.
« Du hattest gesagt Ferguson wäre nicht der Mörder deiner Familie. Doch wer hätte die Tat sonst noch begehen können? »
« Es hätte jeder sein können, Aiden, jeder. »
« Allerdings erklärt das nicht deine Narbe. » , wechselte sie abrupt. Aiden schien das nicht weiter zu stören und er schenkte ihr einen offenen und klaren Blick, genau das Gegenteil das sie von ihm erwartet hatte.
« Nun ja, ich war bis ihr Anführer kam, freie Beute und der wiederum verschaffte sich seine Macht nicht durch Reden, dass kann ich dir versichern. »
« Wann ist das passiert? »
« Es war schon nach meiner Ausbildung. Ich war auf dem Rückweg von Inverness. Mein Vater ist entfernt schottischer Herkunft, pflegt seine Verbindungen jedoch - nicht nur wegen der vorteilhaften Geschäfte. Ich habe dort den Winter verbracht und sollte an der Grenze Begleitschutz erhalten, um dann weiter über den Wasserweg nach Hause zurückzukehren. Bevor ich die Männer traf, wurde ich ausgeraubt. Ich geriet mitten in die Streitereien von Rotröcken und einigen Schotten. Die Engländer störte es nicht, mir Pferd und Waren abzunehmen und mich bewusstlos zu schlagen. Als ich alleine aufwachte, kämpfte ich mich weiter vor und traf dann auf das Pack »
« Passiert das öfter? »
« Gelegentlich, aber ich möchte es nicht sobald wiederholen. »
Er umfasste unbewusst seinen rechten Oberarm mit seiner Hand und zog ein leicht gequältes Gesicht.
Helen sah die Geste und betrachtete ihn aus verwunderter Verwirrung und steigender Spekulation.
« Wie bist du dann entkommen? », hauchte sie leise und drückte ihre Zügel fest in ihren Händen zusammen, langsam tat ihr das Hinterteil weh und sie wünschte sich eine Pause, was sie unausgesprochen ließ.
« Wie schon gesagt, da sie mich am Leben ließen und seid dem geraume Zeit vergangen war, fand mich mein eigentlicher Begleitschutz. Es war keine große Aktion, es ging schnell und wir ritten stumm so lange, bis wir glaubten weit genug entfernt zu sein, bevor wir es wagten uns gegenseitig das Geschehne zu berichten. », sagte er und hustete und spuckte einen großen Klumpen auf den Pfad. Sie dagegen sah angewidert weg und schürzte die Lippen.
« Ich habe schon lange damit abgeschlossen, es ist mir nicht wichtig und ich denke auch nicht oft daran. Es ist mir im Grunde gleichgültig. »
« Deswegen redest du wohl auch nicht so gerne darüber. »
« Das muss ich auch nicht, oder? », fragte er und zog die Stirn kraus, schnalzte dann mit der Zunge und drückte die Fersen in die Seiten seines Wallachs der stehen geblieben war, um am Wegrand an dem feuchten Gras zu knabbern.
Vergangenheit schön und gut, doch wie sah es mit der Zukunft aus, mehr und mehr an seinem Leben interessiert, wagte es Helen weitere Fragen zu äußern.
« Wen dir die Vergangenheit egal ist oder du sie vergessen willst, wonach suchst du dann in der Stadt? »
« Ich habe ja nicht gesagt das ich alles vergessen will, nur an manche Teile davon denke ich ungern, ja? »
« Du weißt was ich meine. Du bist dir im klaren darüber was mich in Derby erwartet, doch was genau wirst du tun, sobald sich unsere Wege trennen? »
« Interessiert dich das wirklich? »
Doch noch bevor sie ihm antworten konnte, war sie schon im Begriff einen erstaunten Aufruf von sich zu geben.
« Ein Dorf, siehst du? Ein Dorf! » Ihr Pferd legte ein weiters mal die Ohren an und verdrehte leicht die Augen, sie aber zog an den Zügeln und gebot ihm sich zu beruhigen und fing an es traben zu lassen. Eine Woge der Erleichterung überkam sie und ihr wunder Hintern war ihr mehr als dankbar dafür. Ihre Pobacken anspannend gab sie sich ganz ihrem Pferd hin und ließ es ihm überlassen sich weiter den Weg zu bahnen. Es wusste genau das auf ihn ein warmer Stall wartete. Nur Aiden war darüber nicht ganz so erfreut und blickte sich mit argwöhnischer Miene um, denn er konnte einfach keinen Fuß des Vertrauens aufsetzten, wie viel konnte er Helen noch erzählen? Und wie viel davon musste er erfinden? Ein Vogelpaar kreischte auf und die Sonne fing langsam aber sicher an sich durch die Wolkenmassen zu fressen. Es würde ein heißer, langer Nachmittag werden.
12. Bestürzende Wahrheit

Es handelte sich in der Tat um ein Dorf. Umringt von einer halb eingefallenen, maroden Mauern die noch teils aus einzelnen Bruchstücken ihrer früheren Pracht bestand.
Mehr als verstreute Hütten, lose Wege und Graslandschaften war nicht zu erblicken, doch herrschte ein kleiner, sicherer Trubel, der schon von weitem gut zu vernehmen war. Handels- und Kaufleute waren in geraumen Mengen anzutreffen.
Nicht zum Handeln, dafür war das Dorf mit großer Bestimmtheit zu mickrig, aber als kleine Rasstätte und Genesungshafen, nach den tagelangen Ritten und vor denen die sie noch erwarten würde, war es perfekt. Eine aus dem Nichts gewachsene Oase.
Dreck verschmiert, halb erfroren sogar ausgeraubt strömten die Leute an diesen kleinen Ort und waren bereit ihr letztes Hemd für einen wolligen Abend in einem richtigen Bett zu geben, nicht selten mehr.
Aidens Kehle fühlte sich staubig und trocken an, sein Gemüt war gereizt und als er seine Hände beim absteigen betrachtete bemerkte er neue Risse und Schwielen die ihn missmutig aufstöhnen ließen.
Er nahm die Zügel seines Wallachs fest in die Hand und ging Helen voraus auf die Hauptstraße, die aus teils losen Backsteinen bestand. Es tat gut wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, kein nasser Waldboden der dabei war sich in ein Loch aus Schlamm zu verwandeln sondern harter Boden der ihm Stabilität und Stärke vermittelte.
Die Straße war nicht voll und doch versammelten sich hier und da vor den ein, zwei Läden, die sich zum einkaufen darboten, Menschentrauben, die ersehnte Neuigkeiten austauschten. Etwas anderes hatten sie nicht, um sich von ihrer aufwendigen Arbeit abzulenken.
Aiden wusste wie erbärmlich er aussah, übermüdet und verschwitzt, mit Blättern und Zweigen in den Haaren und verdrecktem und zerrissenen Kleidern, wirkte er nicht gerade wie ein vornehmer Herr, doch zumindest noch besser als der ein oder andere Mann, der ihm unter die Augen kam.
Helen räusperte sich hinter ihm und er warf ihr einen Blick zu, den sie fordernd erwiderte.
Tags zuvor, hatten sie über dieses Dorf gesprochen, etwas abgelegen lag das Haupthaus einer Familie namens Conner mit denen sie gut bekannt war und die ihr eigentliches Alibi gegenüber James darstellen sollten. Sie plante, von dort aus eine Nachricht nach Kincaids ridge loszuschicken, um sich mehr Zeit zu verschaffen. Zwar plante sie natürlich nicht zurückzukehren, doch wollte sie, sobald sie einmal mit Finn zusammen war, eine Erklärung zu ihrem Bruder schicken. Ihr grauste bereits jetzt davor.
Gemurmel breitete sich aus und Wortfetzen glitten an ihr vorbei, während sie darüber nachdachte und Aiden hier und da einen unbekannten Gruß erwiderte.
Sie führten die Pferde weiter und entkamen den fragenden Blicken der Bewohner, als sie weiter entfernt ein Gasthaus erspähten. Der Sitz der Conners war nicht weit entfernt, doch wollten sie dort nicht unbedingt im jetzigen Zustand auflaufen.
Mehrere Pferde schnaubten zu ihrer Begrüßung aus einem nahe gelegenen Stall und wie als wäre es ein Zeichen, lichtete sich der Himmel etwas und ließ ein paar wenige Sonnenstrahlen zu ihnen durchsickern. Aiden war froh den dutzenden Geräuschen, Kraftaufwendiger Arbeit, johlendem Gelächter und den unendlichen Unterhaltungen ein Stück weit entkommen zu sein und genoss wie die Sonne leicht sein Gesicht liebkoste und seinen Nacken wärmte. Seine Müdigkeit die sich als pochender Kopfschmer bemerkbar gemacht hatte, verlange nach Stille, die ihm nur ein Bett geben konnte.
Sich den Schweißfilm von der Stirn wischend und seine Kehle durch ein gezwungenes Aufhusten ein wenig vom Schleim befreiend, machte er sich daran, die Veranda des Hauses zu betreten. Helen tat es ihm nach doch noch bevor sie beide einen Schritt weiter kamen wurde die Tür aufgestoßen und zwei aufeinander los schreiende Menschen kamen heraus gestürmt.
Eine ältere Frau, um die Fünfzig mit engem englischen Mieder der ihre schlaffen Brüste nach oben drückte und wehenden Röcken stampfte wütend mit dem Fuß auf und schrie wüste Beleidigungen die von einem Mann dessen Geruch stark an ein ganzes Fass Whisky erinnerte erwidert wurden. Die Frau holte zum Schlag aus, verfehlte den schwankenden Mann aber der ihr stattdessen auf den Hintern klopfte und anfing breit zu grinsen und einen merkwürdigen grunzenden Ton von sich gab. Anscheinend sollte er Freude ausdrücken.
Allerdings verlor er bei der nicht überdachten Aktion sein Gleichgewicht, schwankte nach vorne und fiel beinahe auf Helen die einen gekonnten Schritt zur Seite machte und anstatt etwas zu sagen lieber ihrem Pferd das Wort erteilte, das just im selben Moment bedrohlich aufschnaubte.
Erschrocken durch das plötzliche Geräusch fuhr der Mann herum, sammelte sich und stellte sich ordnungsgemäß, halb sicher auf seine Beine und fing an seine Kleider zu richten. Sein Rock und Weste, waren überseht von schlammigen Spritzern und Essensresten, während ein großes Loch im Rock einige Zuwendung bedurfte.
Das ganze wirkte mehr als belustigend, da seine kleine Statur und die aufgequollenen Augen, sowie die vielen geplatzten Äderchen in seinem Gesicht, die durch zu viel Alkohol hervorgerufen wurden, an eine mickrige Kröte erinnerten.
« Was wollen? », brachte er zusammen und erntete zum Dank einen stechenden Blick seiner Frau.
Sie richtete sich ebenfalls auf, glättete ihre Röcke - was ihr wesentlich besser gelang und machte formell zur Begrüßung einen kleinen Knicks, ohne weiter auf ihren Mann zu achten.
Aiden ließ sie dabei nicht aus den Augen, verbeugte sich kurz und lächelte ihr charmant zu. Sie nahm seine Avancen gelassen auf und bis auf ein erstauntes Glänzen blieb ihre Miene ungerührt.
« Ich nehme an, Ihr sucht nach einer Unterkunft? », fragte sie sachlich mit einer gewissen Spur an übertriebener Ernsthaftigkeit. Helen die antworten wollte, wurde abrupt von Aiden unterbrochen der ihr unhöflich das Wort abschnitt.
« So ist es, Ma`am. Wenn ich gestatten darf, Aiden Black und dies ist meine Frau Helen. », sagte er und nickte kurz zu Helen herüber, ohne den Blick von der kolossalen Wirtsfrau zu nehmen. « Ich hoffe Ihr habt noch ein Zimmer für uns frei. »
Sie sah ihn schräg von der Seite her an und wog die Chancen auf Trinkgeld und Gewinn ab. Doch offensichtlich kam sie zu dem Entschluss das sie die potenziellen Gäste ihren Erwartungen entsprachen und fing an nach einem Jungen, der sie seit einiger Zeit von den Ställen her anglotze zu winken.
Der Bursche kam schnell zu ihnen gerannt, nahm bei Aidens, wildem Anblick zögernd seine Mütze von seinem Kopf und verbeugte sich, das Stück Stoff unruhig in seinen knochigen Fingern drehend.
« Oui, Madame? »
« Versorg die Pferde, gib ihnen Wasser und einen Stall, du weißt was du zu tun hast.
« Jawohl. », antwortete er und verbeugte sich erneut, setzte seinen Hut falsch herum auf seinen Kopf, nahm die klimpernden Zügel an sich und verschwand, während seine Schritte im Getrappel der Hufe untergingen.
Ein plötzlicher Aufruf und die Aufmerksamkeit richtete sich wieder zurück auf das Geschehen und den Mann der ebend gesprochen hatte.
« Nein .», sagte er erneut und funkelte zornig über seine Mitmenschen hinweg. « Ich lasse nicht zu, dass solches Gesindel in unserem Haus schläft. Die sehen aus, als hätten sie die letzte Nacht in einem Misthaufen verbracht oder einem Bordell. »
Seine Frau schüttelte drohend den Kopf in seine Richtung und wies sie beide an ihr in das Haus zu folgen, was sie nach anfänglichen Zögern auch taten.
Der Mann murmelte noch immer undeutliche Dinge in seinen nicht vorhandenen Bart, der aus drei Tage alten Stoppeln bestand und runzelte mehrmals die Stirn als müsse er sich ihrer vollen Funktionsfähigkeit vergewissern, während Aiden eher froh war seine Worte nicht richtig zu verstehen.
Stattdessen meldete sich seine trockene Kehle erneut und er unterdrückte einen kurzen kratzenden Hustanfall der ihn so überrumpelte das aus seinem Mund brüchige Würgegeräusche kamen.
Die Wirtsfrau drehte sich besorgt um, eher um sich selbst und ihre Sicherheit als um ihn, dachte er bei näherer Betrachtung der Dinge und fing ihren glotzenden Blick auf, den sie hastig senkte und ihre Wangen eine leichte rosige Farbe annahmen.
« Wir haben oben noch Zimmer. » , sagte sie im Plauderton und ihre Gesichtsfarbe verstärkte sich. Dann hastete sie unnatürlich schnell und mit großen stampfenden Schritten davon ihren Mann böse im Rücken spürend.
Aiden spürte und hörte ihn ebenfalls. Er folgte ihnen aus sicherer Entfernung im schlurfenden Gang und blieb zwischendurch stehen, um dann seinen Schritt gezielt zu beschleunigen, auf jeden Fall war es eine penetrante Art der Verfolgung die man seinem Alkoholpegel zuschreiben konnte was Aiden fast wahnsinnig machte, da er sich nicht nur unhöflich behandelt sondern auch bedrängt fühlte.
Helen erging es nicht anders. Er konnte ihre angespannte Statur als groben Umriss in seinem Augenwinkel erkennen und hören, wie sie scharf die Luft Einsog. Es war einfach unheimlich und unangenehm verfolgt zu werden, selbst wenn es nur so ein mickriger und eigentlich ungefährlicher Mann war, der ihnen auflauerte und sie beschattete.
Sie blieben stehen, was so plötzlich geschah das er leicht irritiert den Kopf schüttelte.
Die Frau musterte ihn nun kritisch, er sah ihre Zweifel aufkommen, die sich bei seinem Blick jedoch zu verflüchtigen schienen. Etwas krampfhaft präsentierte sie ihnen das Zimmer.
Sie zog hastig ihre Finger wieder zurück als wäre der Rahmen glühend Heiß, legte sie unter ihre Schürze und zuckte darunter unruhig mit einzelnen Finger was er deutlich an den plötzlichen Abhebungen der Schürze erkennen konnte. Ihre Nerven schienen recht angespannt, was bei einem solchen widerlichen Kerl, kein wunder war.
Der Mann hatte sie nun eingeholt. Sein Atem rasselte wild in seiner Kehle. Er musste krank sein, was Aiden aufatmen ließ, da er noch immer mit einem kranken, betrunkenen fertig werden konnte.
Er machte bereits Anstalten ins Zimmer zu gehen als er eine Bewegung auffing, das Rascheln von Stoff hörte und den ängstlichen Schweiß roch der sich über den Mann ausbreitete und durch große Flecken unter seinen Axeln sichtbar wurde.
Er griff nach Helens Arm, die allerdings angewidert einen Schritt zurück ging und ihn so etwas aus der Fassung brachte. Das ganze geschah so schnell das er es gerade ebend gesehen hatte, die Wirtsfrau aber ahnungslos und unbeschwert dabei war abzuschätzen ob sie einen Fehler gemacht hatte, als sie die Fremden Reisenden in ihre Pension aufgenommen hatte. Vielleicht hätte sie den Rausch ihres Mannes erst abwarten sollen.
Aiden atmete schwer aus und sah wie erneut nach Helen gegriffen wurde, ein Fehler. Er ergriff in sekundenschnelle den nach ihr langenden Arm, bekam das Handgelenk des Mannes zu fassen, drückte kräftig und brutal zu und stoppte ihn so mitten in der Bewegung.
Er grunzte überrascht auf, wechselte dann aber in einen ächzenden Schrei und versuchte sich mithilfe seiner anderen Hand von den Schmerzen die er ihm bereitete zu befreien. Er hatte keine Chance.
Die Frau die nun ihre Aufmerksamkeit dem jauchzenden Mann gewidmet hatte, funkelte ihn böse an, fluchte kurz auf und beschimpfte ihn dann, dass er erschrocken verstummte.
« Elender Säufer. Es tut mir leid, aber mein Mann.... » Sie zuckte entschuldigend mit den Achseln und war schon im Begriff zu gehen, als Aiden das Wort ergriff.
« Versucht nicht noch einmal meine Frau anzufassen. Ihr werdet es bereuen. », sagte er kühl und heftete seinen Blick auf die zappelnden Umrisse des Mannes, der mit einem Mal aufhörte sich zu winden und ihn ängstlich anblickte.
Er verstärkte den Druck auf sein Handgelenk und spürte den kleinen Adrenalinstoß der durch seine Adern rauschte. Dann ließ er los und wand sich, ohne Helen anzusehen, umständlich der Wirtin zu.
« Wir sind lediglich auf der Reise nach Derby, wo wir ferne Verwandte besuchen werden. Unsere Hochzeit liegt nicht lange zurück und ihr werdet bestimmt verstehen, dass meine Frau » Er betonte die letzten Worte mit ungewohnter Heftigkeit und deutete mit einem Nicken auf die gemeinte Person « dass meine Frau und ich in der nächsten Zeit alleine und ungestört bleiben möchten. » Er nickte der Frau nochmals zu, die das Nicken stumm und fast mechanisch erwiderte. Dann drückte er ihr ein Geldstück in die Hand, drehte sich um und schob Helen in das Zimmer, um anschließend selbst darin zu verschwinden.
Die Tür wurde von ihm verriegelt, sie waren abgeschnitten von ihrer Umwelt und er sog die Luft in dem fremden Zimmer so genüsslich ein, als wäre es der erste Atemzug seines Lebens, oder der letzte. Wohl eher der letzte als er bemerkte wie ihn zwei Moosgrüne Augen beinahe erschlugen und er in ihnen den auspendelnden Takt seines vorüberziehenden Lebens erkennen konnte.
Ihre Hände zitterten vor aufgebrachten Gefühlen und er glaubte schon sie wolle ihn Ohrfeigen, als sie sich lediglich an die Wand abstützte und ihn zuerst keines Blickes würdigte.
« Sag mal, hast du noch mehr von diesen tollen Ideen? Vielleicht soll ich mich demnächst als Ziegenmagd ausgeben oder wäre dir eine Hure lieber? »
« Also siehst du es mit mir verheiratet zu sein an, als wärst du eine Hure? » , fragte er.
« Natürlich nicht. » Sie zog ihre Hand zurück und wand sich von ihm ab. « Aber meine Güte, du hättest nicht gleich so überreagieren müssen. Du sahst aus als würdest du ihm bei der nächsten Gelegenheit die Rippen brechen. »
Sie schnaufte auf, um ihre Wut ein wenig zu zügeln und ließ den Blick durch das spärlich möblierte Zimmer wandern. Mehr als ein grobes Bett und ein kleiner Nachttisch waren nicht darin vorhanden. Sie setzte sich zögernd auf das Bett das quietschend unter ihr nachgab, so dass sie sich überrascht an der Bettkante festhielt.
« Ich denke doch das ich richtig gehandelt habe. So empfinden sie wenigstens ein wenig mehr Respekt vor uns. Außerdem... »
« Außerdem wird es bald das gesamte Dorf wissen und es wird einen riesigen Tumult darum geben. », unterbrach sie und fühlte, wie sie im inneren mit den halb entsetzen halb zustimmenden Gefühlen rang die sich immer mehr zu einem dicken Knotenknäuel zusammen strickten. Aus welchem Grund war sie so wütend über seine Einmischung? Es war wie eine Erschütterung, ein böses Beben das sich über ihren ganzen Körper ausbreitete und ohne den Grund zu kennen war sie dem schutzlos ausgeliefert. Es widerte sie an. Ein anderes Wort der Erklärung wollte ihr permanent nicht einfallen und so verschränkte sie die Arme ineinander und biss sich gequält auf die Unterlippe.
« Hör mit doch erst einmal zu, bevor du mich mit deinen Argumenten zu Boden drückst. » Er sagte es in einem ruhigen Ton und hob schützend die Hände vor seinen Körper. Eigentlich sollten sie diese Gesten beruhigen, doch ihr stechender Blick ließ ihn auf der Stelle seinen Ton ändern.
« Ich schätze Mal dir ist entgangen, dass wir in einem kleinen Dorf voller Reisender sind. »
« Und? » , fragte sie mürrisch und hob kampflustig den Kopf ein Stück an.
« Und », fing er trocken an « Eine Frau hat ihrem Mann zu folgen. Sie lässt ihn sprechen und handeln, lässt ihn die Geschäfte abwickeln und verteidigt sie notfalls auch. »
Ein Schatten der Erkenntnis huschte über ihr Gesicht, den sie in einem bemerkenswerten Tempo versuchte zu verstecken. Allerdings hatte er sie fest im Blick und spürte die Genugtuung die ihm dieser kurze Zwischenfall gebracht hatte.
« Hätte ich ihm die Rippen gebrochen, hätte es einen schönen Gesprächsstoff geliefert, bei all den Nachrichtenhungrigen Menschen hier, die ja praktisch von nichts anderes leben. Das ich ihm jetzt gedroht habe, werden sie auch erfahren und sobald sie sich genügend darüber das Maul zerrissen haben ist es gut. Ein Ehemann der seine Frau gegen einen Trunkenbold verteidigt, ist wohl nicht viel Interessanter als wenn eine Kuh zum scheißen geht. »
Das brachte sie zum Lachen. Sie schüttelte sich herrlich und zitterte vor unterdrückter Belustigung das ihm innerlich heiß wurde und er fühlte wie sich die Scharmesröte über sein Gesicht zog.
« Du bist wirklich... », fing sie an und stieß mit ziemlicher Anstrengung verbunden einen Atemstoß aus um nicht wieder lachen zu müssen. Statt das sie aber ihren Satz beendete stieß sie sich vom Bett ab, fischte sich einzelne Haarsträhnen aus ihrem Gesicht und fixierte ihn mit einer zu Ironie verzogenen Miene, die ihn mit merkwürdiger Härte, beklommen seinen Herzschlag spüren ließ.
« Einzigartig. Ich muss sagen du überrascht mich immer wieder. » Die Spur von Ironie war vollständig aus ihrem Gesicht verschwunden und stattdessen schenkte sie ihm ein offenes, amüsiertes Lächeln das ihn innerlich aufflattern ließ und er sein Blut in seinen Ohren pochen hörte.
« Ich bin nicht einzigartig, aber es wundert mich das ich dich überrasche. » , gab er ehrlich zu und ging einen Schritt auf sie zu.
« Wieso solltest du nicht, Aiden Christopher Black? », antwortete sie mit einem grünen zu Dreiecken verzogenem Blick und ging ebenfalls auf ihn zu, eine Haarsträhne spielerisch zwischen den Fingern.
Das allerdings ließ ihn aufhören und er spürte die Flamme des Argwohn neu in sich auflodern, sagte aber nichts mehr, was sollte diese ungewohnte Betonung auf seinen Namen? Sie führte wieder etwas im Schilde, ihrer Mimik war nichts anzusehen und doch spürte er das sie dabei war einen Gedanken zu entwickeln oder bereits dabei war ihn auszusprechen sich nur noch die Taktik überlegte wie sie ihn beiläufig einwerfen konnte. Er verspannte sich etwas, was ihr nicht entging und sie ein weiteres Stück auf ihn zugehen ließ.
Er dagegen machte einen ungewollten, überstürzten Schritt zurück, was sollten diese großen Augen auf ihm? Was sollte dieses plötzliche Verständnis? Irgendetwas stimmte nicht und er fragte sich beiläufig, ob das ein neu eingeschlagener Plan war, um ihm ein paar Informationen abzuluchsen oder schiere Geisteskrankheit die sie in diesem Augenblick überfiel.
Sein Herz raste noch immer laut und schwer und seine Stimme, die sich im laufe des Tages zu einem Kratzen entwickelt hatte, versagte ihm nun vollends.
Er stieß gegen etwas Hartes und musste feststellen das es die Wand war die ihm bedrohlich im Nacken saß. Unablässig sah er in diese Augen, Augen die nur ihm gewidmet waren, Augen die unendlich tief schienen, Augen gemacht damit sie mit den seinen Verschmelzen sollten, Augen geschaffen um eins zu werden mit ihm – Was dachte er da überhaupt?
Wie von einem Schlag getroffen überfiel ihm ein plötzliches Zittern. Helen war nicht bei ihm, aber auch nicht weit entfernt, was würde gleich passieren? – Konnte etwas passieren? Nein.
Im gleichen Augenblick durchrang ein Geräusch ihre plötzliche Intimität und spaltete sie wie ein Atom. Sie beide schreckten auf und wichen hastig einander aus.
Helen drehte sich krampfhaft um, während Aiden der das Geräusch erst jetzt zu verarbeiten schien, identifizierte es als Klopfen.
« Herein. », sagte er schlicht und hoffte die Autorität in seiner Stimme nicht verloren zu haben. Seine Hände ballen sich an der Wand zu Fäusten und eine übertriebene Wut stieg in ihm auf, ob es dieser kurze Augenblick des Stillen und Unbekannten war in dem er und Helen sich intim und doch weit entfernt gegenüber gestanden hatten? Oder der Gedanke daran das es eine kindische List ihrerseits gewesen sein könnte? Oder aber der pure Gedanke das er überhaupt solche Gedanken pflegte und es dazu kommen ließ das sie sich in seinen Kopf nisteten.
An dem Türrahmen stand nun ein kleiner Junge. Genau genommen sogar der Junge der sich um ihre Pferde gekümmert hatte, er erkannte ihn sofort an der noch immer falsch herum getragenen Mütze und dem verdreckten Gesicht. Er schien seinen prüfenden Blick zu bemerken und setzte sich wie von einer Peitsche getroffen schnell die Mütze von seinem Kopf, die er dann unruhig in seinen Händen behielt.
« Warum schickt man dich? », fragte er halbherzig an den Burschen gewand und löste sich der Höflichkeit willen von der Wand. Der Befragte schien allerdings mehr mit dem beschäftigt zu sein was er da sah und antwortete so bruchstückhaft, das Aiden erneut fragen musste.
« Et toi, Tu appelles? »Damit erreichte er die gewünschte Wirkung und der Junge wand sich ihm mit seinen geweiteten braunen Augen zu.
« Moi, je m´appelle Frederic, Monsieur. J´ai une commission. Ich soll den Herrschaften sagen, dass sich gleich eine Dienstmagd um das Feuer kümmern wird, falls Eure Frau baden möchte, sollt Ihr diesen Wunsch einfach äußern. Das Essen wird im Gasthof serviert und wird extra berechnet. »
« Merci, du kannst dann gehen. » Er gab dem Jungen ein kleines Geldstück und entließ ihn damit schnell wieder. Wie schon erwartete hechtete er mit einem großen Sprung hinaus ins Freie, wohl froh so glimpflich entkommen zu sein. Schließlich wand er sich Helen zu und eine eisige Welle überkam ihn.
« On y va? » Fragte er und beobachtete ihren geraden Rücken mit einer hochgezogenen Augenbraue.
« Nein » , sagte sie barsch. Es überraschte ihn sehr das sie verstand, da sie der französischen Unterhaltung mit dem Jungen nicht folgen konnte, musste sich dann aber eingestehen das er seine Frage dem logischen Verlauf des kurzen Gespräches abgleitet hatte und sie natürlich den Hauptteil davon verstanden hatte.
« Ich wusste nicht das du Französisch sprechen kannst. » Sie sprach mehr zu sich selbst und endete in einem komischen Genuschel, was ihn aufblicken ließ. Sie stand ihm immer noch den Rücken zugekehrt entgegen und er fragte sich ob ihre Haltung dem kurzen - ja was war es gewesen? Diesem kurzen und doch intensiven Augenblick der Verlorenheit, der Blöße entsprang und wie er reagieren sollte.
In ihm stieg ein Drang auf zu ihr zu gehen und einfach die Arme um sie zu legen und doch sträubte sich etwas, ein kalter Instinkt in ihm dagegen und er ließ es bleiben. Als hätte sie gewusst das er nicht kommen würde schlang sie selbst die Arme um sich und zitterte kurz auf, vor Kälte oder Erinnerung wusste er nicht. Gab es ihren Plan noch? Hat er jemals existiert?
Er wollte sich nicht weiter den Kopf darüber zerbrechen und schüttelte ihn um die Gedankengänge zu zerstreuen. Er spürte ihren wachsamen Blick auf ihn, ignorierte ihn aber.
« Wie schon gesagt du überrascht mich immer wieder. » Sie drehte sich nun zu ihm um und er sah ihr unverblümt ins Gesicht. Sie strahlte eine gezwungen unbeschwerte Mimik aus, die ihn überhaupt nicht wunderte, denn es war etwas gewesen, der Augenblick vorhin war da gewesen und sie wussten das zu ihrer beider Leidwesen.
« Deine Frau wird jetzt ein Bad nehmen. » Sie lächelte ihn an und versuchte so schnell wie möglich an ihm vorbeizurauschen, er aber ergriff reflexartig ihr Handgelenk und stoppte sie in der Bewegung. Das Bild erinnerte ihn ungemein an die Situation mit dem angetrunkenen Mann und er ließ sie ruckartig los, wand aber keineswegs den Blick ab, dem sie versuchte auszuweichen.
« Was ist los? »
« Ich kann dir nicht folgen. »
« Das was ich dich gerade gefragt habe, was ist los mit dir? », beharrte er und fixierte sie so stark das sie gezwungenermaßen den Kopf hob und gleichzeitig die Schultern hängen ließ.
« Ich wollte es dich nicht fragen, nicht mehr aber... » Sie sah ihn nun an, versuchte ihre Gedanken in Worte zu fassen und er spürte wie ihre alte Stärke langsam wieder die Oberhand gewann.
« Warum hast du den Engländer dich damals ausgeraubt haben, nicht einfach deinen Namen gesagt? »
« Meinen Namen – Black? » Sie nickte schuldbewusst, bekam aber ein helles Glänzen das ihr ungeheuren Ausdruck verlieh.
« Sie hätten es nicht gewagt dir etwas anzutun, wenn sie gewusst hätten, dass du Soldat bist und Engländer dazu. Aber du hast es nicht getan, mir dagegen hast du ihn genannt, warum? » Er ließ schockiert von ihr ab, schockiert darüber das sie immer noch darüber nachdachte, was erstens seine Vergangenheit und zweitens sein Handeln betraf und war schockiert darüber das es sie interessierte, ob sie es nun für ihre List und ihren Vorteil, oder aber nur für sich wissen und gebrauchen wollte.
« Wieso ich das getan habe, wieso fragst du? Jemand wie du dem sein Stolz so wichtig sind das er sich dafür freiwillig stellt? Jemand der so etwas wie Kameradschaft kennt? Ich hatte dich für klüger eingeschätzt. Ich habe ihnen meinen Namen gesagt, doch es war ihnen egal, verdammt. » Er sagte es härter als beabsichtigt und biss sich als Dank schmerzhaft auf die Zunge.
« Von Anfang an, war mir bewusst das du kein Soldat bist. Ich habe in den Unterlagen meines Bruders nach Bekanntschaften und Namensvettern gesucht, doch nichts gefunden. James wollte ich nicht fragen, er war vollkommen eingenommen von dir und hätte mein Misstrauen nicht verstanden. »
« Dann ist es also viel mehr so, dass, als wir uns das erste Mal begegneten, du mich nur ausnutzen wolltest und als du mich dann das zweite mal darum batest, dass ich dich nach Derby bringe...du zu diesem Zeitpunkt wusstest das.... »
« Ich habe den Geschäftspartner meines Bruders gefragt, ob er mit anderen Blacks bekannt wäre, ihm der Name vertraut vorkommen würde. Also erzählte er mir, dass bis vor wenigen Jahren eine alte, einflussreiche Familie namens Black, auf einem Gut Namens Abberts Creek in seiner Nachbarschaft gelebt hat. Du hast mir erzählt, deine Mutter wäre an dem Umständen eines Feuers gestorben, das Anwesen ist ebenfalls durch ein Feuer zerstört worden.... »
« Was bildest du dir eigentlich ein? »
Was sollte dieses plötzliche Umdenken von ihr? Die Fragerei? Wollte sie einfach Informationen? Es reichte ihm und er war nicht bereit ihr weiter zu zuhören. Mit einem ungewollten Knurren das tief aus seiner Magengrube entwich, ging er wütend an ihr vorbei, besah sie mit einem kühlen, fast schon wütenden Blick und ging davon.
« Warte! », rief sie ihm hinterher und wedelte unbeholfen mit den Armen dem ein aufgebrachtes « Verdammt! » folgte. Sie lief ihm hinterher und erspähte ihn noch gerade rechtzeitig bevor er ihrem Blickfeld entkommen konnte.
« Du lässt mir doch keine andere Wahl. Erst nennst du mir deinen Namen und schenkst mir Vertrauen und dann lässt du mich fallen. Ich musste erst herausfinden woher du kommst, wer du bist, bevor ich dir hätte vertrauen können. » Die Worte kamen tief aus ihrer Brust die anfing vor Wut zu beben, sodass sie diese mit ihren Armen umschlang, um das erniedrigende Gefühl das sie die Kontrolle über ihren eigenen Körper verlor zu dämpfen, wenn nicht sogar im Keim zu ersticken. Er hatte natürlich gehört was sie gesagt hatte und warf ihr bevor er ganz verschwand einen zornigen, von ihr enttäuschten Blick zu, der sie traf wie ein Pfeil das Schwarze der Zielscheibe. Kalt und unerbittert.
Sie zitterte auf, innerlich erschreckend leer und schlug ihre geballte Faust gegen die harte Steinwand, was sie erst richtig bemerkte, als der stechende Schmerz in ihre Hand glitt und sie aufkeuchen ließ.
Am liebsten würde sie sich in das Bett legen, um einfach einzuschlafen, nicht der Müdigkeit willen sondern um zu entkommen, bestenfalls sogar um nie wieder aufwachen zu müssen.
Was hatte sie sich dabei gedacht? Einerseits wollte sie mehr erfahren andererseits hatten sie Respekt vor ihm und ja was eigentlich? Es war nicht gerade so das sie sich zu ihm hingezogen fühlte, aber es war etwas da. Ein kleines Feuer das sich warm in ihrem Bauch ausschwärmte wenn er sie mit einem seiner sturen, ironischen Blicke musterte oder nur verträumt betrachtete. Ja in der Tat, dieses Gefühl hatte sich zu einem potenziellen Komplizen entwickelt das aber zusammen mit dem Respekt mit dem sie ihn bis zu diesem Punkt angesehen hatte nicht ausgereicht hatte um ihre Wissbegierde zu stillen. Die Tatsache das sie in einem Teil seiner Vergangenheit herumgeschnüffelt hatte, war in seinen Augen einfach unverzeihlich.
Es traf sie wie ein Schock. Sich dessen bewusst zu werden, die Gefühle zu spüren und vor allem sich der Interesse die in ihr lauerte endlich gewiss zu werden, verwirrte und ängstigte sie, neutralisierte aber gleichzeitig die Wut. Sie hatte keine andere Wahl gehabt, dass sie noch immer Fakten und Dingen über sein Leben erfahren wollte, über seine väterliche Seite, warum er den Namen seiner Mutter trug...sie verstand es nicht, es war einfach ihre Veranlagung.
Von Anfang an war er etwas besonderes gewesen, obwohl es nicht nur an ihm selbst lag, nein, an der ganzen eingefädelten Situation. Sie hatte den Drang ihm so vieles zu erzählen, zügelte sich allerdings vor der Angst mangelnden Interesses seinerseits und konterte stattdessen mit Fragen über sein Leben. Genau genommen ging sie das nichts an, aber sie wollte erfahren, wie er gelebt hatte, was ihm zugestoßen war und wie es um ihn stand. Doch war das alles noch normal? War es nicht verständlich sich Gedanken um jemanden zu machen der seit Tagen schon sein Gefährte war? Und wenn nicht, lag es daran wie oft sie sich gegenseitig gerettet hatten oder wie die Dinge um sie standen? Sie waren beide allein, verfolgten beide ein großes Ziel, auch wenn er ihr seins noch nicht mitgeteilt hatte, und waren beide in der Lage einander zu verstehen. Sich ein Bild dessen zu machen wovon der andere Sprach und wie er fühlte.
Ohne es bemerkt zu haben, stand sie draußen auf der Veranda. Ihre Füße hatten eigenständig gehandelt und ihren Kopf außer acht gelassen, während ihre Hände, etwas das sie ebenfalls nicht bemerkt hatte, zu zittrigen Fäusten geformt waren.
Sie öffnete sie zögernd und fand wie erwartet dir schmerzhaften Abdrücke ihrer Fingernägel die sich achtlos in das Fleisch gedrückt hatten.
« Zum Teufel mit dir, Aiden. » , flüsterte sie und verstummte im selben Moment als sie die Stimmen von Leuten hörte. Es war draußen noch immer hell und doch konnte sie die dunklen Wolken die sich von Westen her anbahnten nicht unbeachtet lassen, die erneuten Regen und einen stürmischen Nachmittag priesen.

Es war schon spät als Helen die Treppen zur anliegenden Küche hinunter stieg und sogleich Aiden unter den Gästen herausfilterte und ihn scharf fixierte.
Ein wärmender Luftzug drang ihr entgegen der sich mit den Stimmen der Gäste und dem Geklapper der Küche vermischten und sich so zusammen eine gastfreundliche und heimische Atmosphäre bildete.
Sie konnte die kurzen aufschauenden Blicke der anderen Männer und Frauen in dem Raum spüren, achtete allerdings nicht darauf sondern ärgerte sich vielmehr über die einzige Person die ihr keinerlei Aufmerksamkeit schenkte, sondern es weiterhin vorzog in die Suppe vor ihm zu starren.
Sie ging hastig einen Schritt zurück, der sie vor der hektischen Kellnerin die an ihr vorbeistürmte rettete und grunzte empört und ebenso erschrocken auf.
Anstatt dadurch die Aufmerksamkeit Aidens zu ergattern, wurde sie von der dicke Frau vom Vormittag gemusterte die hinter der gut gefüllten Bar stand, und sie nun unverfroren anglotze.
Helen erwiderte den Blick kühl und ging mit einem verärgerten Grummeln im Bauch direkt auf diese zu - so einfach würde sie es ihm nicht machen.
« Sie haben sich aber fein gemacht, heute Abend Ms Black. », sagte die Wirtsfrau und schenkte ihr einen bewundernden, leicht berechnenden Blick. Ihre Stimmung schien vollkommen verändert.
Da Helen allerdings keinen Wert darauf lag eine Unterhaltung anzufangen, nickte sie nur kurz und bestellte sich prompt einen Krug Bier. Sie hatte sich in der Tat ein wenig verändert. Die abgetragenen, verschmutzten Sachen hatten sie in dem Dorf gegen ein, gebrauchtes, aber ansehnliches, gelbliches Kleid, das mit weißen Stickereien verziert war getauscht und ihr Haar, das sich lang und verführerisch über ihren Rücken legte, roch angenehm nach der billigen, aber effizienten Lavendelseife.
« Sie haben sich wohl vorhin gestritten, Sie beide? » Aus ihren Gedanken gerissen wurde sie hellhörig und blickte der Wirtsfrau offenkundig ins Gesicht.
Sie war wirklich nicht das was man Schönheit nannte, ihr rundes, errötetes Gesicht ähnelte mehr einer schwangeren Sau und doch strahlte sie herzliche Wärme aus die ihr zuvor entgangen war und sie einen besonderen Grad an Attraktivität bekam. Wie war sie wohl an ihren Mann gekommen?
« Nur eine kleine Auseinandersetzung. », tat sie die Frage ab und deutete kurz aber wirkungsvoll durch ihren Tonfall an, dass sie keinerlei weitere Fragen duldete.
Die Frau zuckte viel sagend mit den Achseln, kratze sich ungeniert am Oberschenkel und raffte dann ihre Röcke, um in die Küche zu verschwinden.
Helen der es nun endgültig reichte - sie hatte lange darüber nachgedacht was sie zu Aiden sagen sollte und sah es nicht ein, weiter unbeachtet an der Bar herumzusitzen - erhob sich stockend und griff nach dem Bier das ohne, dass sie es gemerkt hatte vor ihr ruhte.
Sie ging schließlich, etwas umständlich, aber sie tat es, zu ihm, knallte das Bier auf den Tisch, sodass es leicht überschwappte und forderte endlich die nötige Beachtung ein.
« Ich wollte ja nicht mehr als deinen Namen und deine Herkunft wissen. », flüsterte sie ihm zu, um sicher zu gehen niemanden anderen mit in das Gespräch mit einzubeziehen, gewollt oder ungewollt.
Er hob den Kopf und funkelte sie von neuem an, allerdings war seine Wut von vorhin etwas abgemildert und sie konnte klar sein heftiges Schlucken und das auf und ab seines Kehlkopfes erkennen.
« Du kennst meinen Namen, also was sollte das vorhin? » , fragte er kontrolliert, mit einem gereizten Unterton der seine wahren Gefühle an den Tag legte.
« Ich weiß es nicht. Ich habe dir gesagt, dass ich es dich nicht mehr fragen wollte, doch...ach kannst du nicht verstehen, dass mir das alles zu schnell geht? Alles zieht an uns vorbei und ich habe das Gefühl das weder Vergangenheit noch Zukunft hier eine Rolle spielen, als wenn dir alles gleichgültig wäre. », raunte sie, wobei er sich plötzlich schmerzhaft auf die Zunge biss.
« Mich stört deines törichtes Spiel das du hier treibst, dass ist alles. Du lässt Nichts ruhen und versucht jeden um dich herum zu kontrollieren, wobei du dich selbst außer acht lässt. Du gestehst dir ja nicht einmal ein das ich dir von Beginn an meinen richtigen Namen gesagt habe, geschweige denn, dass ich Soldat bin. »
Er stach den Löffel den er in der Hand hielt in das Holz des Tisches, seine Zunge pochte noch immer ein wenig, doch er ließ es unbeachtet.
« Ich spiele kein Spiel und das weißt du ganz genau. », zischte sie wütend und hielt seinem Blick stand. « Ich kann nur nicht die ganze Zeit so tun, als wären all die Umstände normal, mein Güte ich reise mit einem praktisch wildfremden Mann durch die Wildnis. Gut, Craig hat dich geschickt, doch hatte ich Beweise? Ich verstehe dein Verhalten nicht, es war doch nur natürlich das ich das Ganze hinterfragt habe. »
« Deine komischen Aktionen, seien es die Soldaten, Andrew Kincaid, Ferguson oder James. Von deinem sich stets verändernden Gefühlen mal ganz abgesehen, du willst dir einfach nicht eingestehen das es noch andere Menschen gibt, denen ihre Identität zu schaffen macht und sie aus bestimmten Gründen nicht verraten. Glaubst du etwa du allein wärst in einer Zwickmühle gefangen? Glaubst du hättest das Recht vor allem zu fliehen? » sagte er ungeachtet auf ihre kritischen Unterstellungen, stattdessen drückte er seine Zunge gegen seine Zähne um das taube Gefühl das sich seit längerer Zeit ausbreitete zu unterbinden.
« Ich habe dich nie gebeten das du zurück kommst. Es war deine freie Entscheidung und glaubst du wirklich mir ist alles egal? Du behauptest ich wäre egozentrisch und egoistisch, ist es das was du mir sagen willst? Das ich unfähig bin mich auf alles außer meiner selbst zu konzentrieren? Wenn das deine Meinung ist dann habe ich dich überschätzt. »
« Sag, um was geht es hier eigentlich? Ich habe weder behauptet du wärest egozentrisch noch egoistisch, die Sache um die es hier wirklich geht ist das du ein für alle Mal unterscheiden sollst was meine und deine Angelegenheiten sind. Ich habe dir viel erzählt. Schön und Gut, kannst du es nicht einfach dabei belassen? »
« Es war deine freie Entscheidung, glaubst du denn das ganze ist leicht für mich? Es ist nicht gerade so das ich mich über die Situation hier freue, angesichts dessen was uns erwartet. Ich will doch nur...“
« Ja was willst du? Sag es mir. Erst deine merkwürdige Zurückhaltung und die Überlegenheit die du mir gegenüber gezeigt hast und dann deine ständige Fragerei als wenn es dir um mich gehen würde. Gib doch endlich zu das du die Informationen über mich nur für deine eigenen Zwecke benötigst. », unterbrach er und wand den Blick erneut ab. Der Löffel in seiner Hand wurde brutal von seiner Rechten verbogen, sodass er ihn schließlich zögern fallen ließ.
« Wie bitte? Was denkst du über mich? Natürlich habe ich mich überlegen verhalten, hättest du mir sonst vertraut oder hättest es in betracht gezogen mich zu begleiten? Außerdem ist es nicht leicht -»
« Ja nicht leicht, dass ich nicht lache. Tu nicht so als hättest du keine Ahnung wie schwer es mir fällt über meine Vergangenheit zu sprechen, aber es ist jawohl nicht so das ich dir nicht trotz alle dem etwas erzählt habe, dir ein Stück Vertrauten geschenkt habe... » Das Unterbrechen ging weiter, worauf sie sich beide mehr und mehr verstrickten.
« Warum? », brachte es Helen schließlich auf den Punkt.
« Warum was? » Er musste die Stimme senken, da er permanent lauter geworden war und sich die allgemeine Aufmerksamkeit schon jetzt größtenteils um sie drehte.
« Warum hast du mir überhaupt etwas erzählt, wenn es, wie du es ja scheinbar siehst so aussieht das ich hier ein Spiel mit dir spiele? » Sie sagte es auf eine Art die ihm sagte, dass er sich jetzt gefälligst nicht herausreden sollte. Er sah sie zögernd an und schob eine seiner Augenbrauen in die Höhe, was ihn ungemein komisch aussehen ließ, doch der Spaß war ihnen beiden vergangen.
« Ich weiß es nicht. » Er stütze seine Stirn auf seine Hand und verbarg sein Gesicht unter einem Vorhang aus Haaren, während er sich bemühte ihr zuzuhören.
« Ich hatte keine Wahl, versteh das endlich. » Er stöhnte entsetzt auf und musste sich peinlicherweise an die intime Situation vom Mittag erinnern die ihn so plötzlich heimsuchte das er sich gestresst mit der Hand durch die Haare fuhr und schwer ausatmete.
« Woher soll ich wissen wo die Grenze ist? », fragte sie schlicht und fühlte sich als würde ihr jemand in den Magen boxen, da ihr eine unnatürlich Übelkeit aufkam.
« Ich kann es dir nicht sagen. Doch deine Unterstellung ging zu weit. Was meine Herkunft angeht, solltest du dir nicht einreden, dass du mich erpressen kannst. Abberts Creek ist vor Jahren zugrunde gegangen und ich habe nicht vor, jemals wieder einen Fuß auf dieses Land zu setzten. »
« Warum hast du mir das nicht vorher erzählt? » Sie faltete ihre Hände ineinander, vollkommen vergessend wo sie sich befand oder was um sie herum geschah, verfolgte sie jede Bewegung von Aiden.
« Ich sehe keinen Sinn darin dir so etwas zu erzählen. Du hast mich um einen Gefallen gebeten, der mich in große Schwierigkeiten bringen kann, sobald alles vorbei ist, werden wir uns hoffentlich nie wieder sehen. », sagte er hart aber unterschwellig. Helen die diese Bemerkung mit einem plötzlichen Schauer aufnahm, war sprachlos, riss sich aber zusammen und blickte konzentriert auf den Tisch vor sich, den Drang ihn anzustarren war just in diesem Moment verpufft.
« Was ist wenn ich den Kontakt pflegen möchte? Du hattest es mir selbst angeboten, falls du dich erinnern kannst. »
Es folgte eine beklommene Stille, die sich mit der Zeit verschärfte ohne das einer der beiden etwas hätte tun können. Aiden atmete ein weiteres mal schwer aus und pfiff kurz was in den Geräuschen der Umgebung unterging, er konnte sich tatsächlich erinnern. Die Alkoholgetränkte Luft umschwärmte ihn und er genoss den Geruch nach Gerste, dem süßen Wein und den Essensgerüchen, nach Pfeffer, Soße, angebratenem Fleisch und einem Hauch von weitern Gewürzen.
« Also, was erwartest du jetzt von mir? » Er sagte es sehr plötzlich und unterbrach damit die sich gestreckte Stille, wie mit einem Kanonenschuss.
« Ich dachte, das wüsste ich. Ich habe es die ganze Zeit gewusst, doch jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Genau genommen...ich will einfach nicht...und....na ja. » Um so mehr sie die Worte stammelte um so alberner kam sie sich vor und so stoppte sie schlagartig ihre bruchstückhaften Sätze und blickte beschämt weiter auf das Holz.
« So ist das? Und da erwartest du von mir das ich dir all mein Handeln erklären kann? Warum ich damals diesem Hurensohn meinen Namen gesagt habe? Warum ich ihn dir anvertraut habe und zurückgekommen bin oder genau in diesem Augenblick hier sitze und mit dir diskutiere? Mir deine Beleidigungen anhöre und dir deine hinterlist verzeihe? »
Sie musste ein ziemlich dämliches Gesicht gezogen haben, denn im selben Moment lachte er auf.
« Ja herausfinden, das ist es doch auch was ich will. Ich will weder meine Grenzen noch meine Belastbarkeit kennen lernen, aber mein Handeln verstehen und mich irgendwie zurechtfinden und... » Er stoppte plötzlich und wand sich seiner bereits kalten Suppe zu, die er langsam aber mit einem belustigten Glitzern in den Augen anfing mit dem gebogenem Löffel auszulöffeln.
« Zunächst einmal hoffe ich doch das dein Handeln überdacht ist und außerdem, wie kommt es das du dich zurechtfinden musst? Wie mir scheint erhältst du doch Befehle. »
Er lachte kurz auf und antwortete dann heiser.
« Ich glaube kaum das es ein Befehl war, dich nach Derby zu begleiten, denn wenn es einer wahr, dann ein sehr dummer. Ich weiß das es nicht einfach ist, wir sind jung, tragen Verantwortung, und müssen uns zurechtfinden. Jeder hat einen Auftrag von sich oder anderen vorgegeben, freiwillig oder gezwungenermaßen und wir versuchen doch beide den Vorgaben gerecht zu werden. »
« Jetzt nicht mehr. », gab sie zu. « Ich wollte einfach sichergehen das...ach ich weiß es auch nicht. »
« Etwas nicht zu wissen ist kein Verbrechen. »
« Ich weiß aber du machst es mir nicht leicht. Ich denke jedes Mal das da noch etwas ist, das es mehr sein muss, ansonsten ist es wertlos und ich habe angst das wenn ich es geschafft habe ich nicht die nötige Befriedung verspüre. » Ihre offene Art über Gefühle zu sprechen beunruhigte ihn, da er es von der sonst besserwisserischen und störrischen Helen nicht kannte, und doch jagte es ihm ein Lächeln auf die Lippen.
« Dazu hast du keinen Grund. » Er nahm seine Hände und griff nach den ihren, die er fest in die seinen schloss.
« Mein Gott sind deine Hände kalt. » , sagte er und zog die seinen zurück, was ihm einen entrüsteten Blick einbrachte. Er sah wie die Wut in ihr erneut zurück kam und wunderte sich über den plötzlichen Umschwung so sehr das er kurz zusammenzuckte.
Sie dagegen stand steif auf warf ihm einen finsteren Blick zu.
« Helen? », rief er ihr hinterher und sie stoppte abrupt aber ohne sich umzudrehen.
« Lass uns einfach nie wieder über solche Dinge sprechen. » Sie nickte schwach und er beobachtete sie bis sie ganz auf der Treppe verschwunden war.
13. Kartentricks

Alles kam ihm unendlich klar vor und doch regten sich in seinem Kopf die wirrsten Gedanken nur um sich kurzerhand wieder zu zerstreuen. Die Tür des Wirtshauses knarrte und von Draußen hörte er das Aufjaulen des Windes und dessen begierige Arme die durch die Straßen fegten und Dinge herumschleuderten und zerbarsten.
Kurze Aufrufe wurden gefolgt von Befehlen und packenden Armen die er zeitweise zwischen den lärmenden Menschen des Hauses heraushören konnte.
Hier drin war es warm, ein Feuer prasselte genüsslich vor sich hin das stets unter dem wachsamen Auge einer Dienstmagd an Brennholz gewann und hier und da ein leises unnatürliches Geräusch von sich gab, wenn sich ein Holzscheit löste oder zerbrach.
Mit der Zeit die verrann war der prozentuale Alkoholanteil der Luft gestiegen und er musste zugeben das er, langsam aber sicher selbst damit angesteckt wurde und in Versuchung geriet sich etwas zu bestellen. Er betrachtete sehnsuchtserfüllt ein paar Fässer und schaute dann prüfend in seinen kleinen Geldbeutel, der in der Tat klein und ziemlich leer war. Mit einem seufzen wand er seinen Blick ab und musste von neuem das bedrängenden Gefühl erleben beobachtet zu werden. Vielleicht war es doch ganz ratsam sich nichts zu bestellen und stattdessen mit einem kühlen Kopf alsbald nach oben zu verschwinden.
Der bohrende Blick, der hier und da mal von einem anderen ausgesandt wurde wollte permanent nicht aufhören und er konnte die sich teilenden und treffenden Blicke in seinem Rücken nur allzu gut spüren.
Ein lautes Geraschel holte ihn aus seinem Verfolgungswahn und erschreckte ihn, ohne aber das davon eine Spur in seiner Haltung oder seinem Blick zu erkennen war.
Ein Mann sah ihn aus kleinen, rot unterlaufenen Augen an und lächelte ihm zu. Er stand auf und ging lässig, fast schon elegant zu ihm herüber.
Sein Gesicht, das mit dunklen ausgeprägten Falten versehen war verzog sich zu einer Grimasse die auch nicht verschwand als er sich an Aidens Tisch lehnte und er ihm zur Begrüßung kurz zunickte. Er hatte einen kleinen Becher in der Hand den er plötzlich schüttelte und mit einem schnellen Ruck verkehrt herum auf den Tisch aufsetzte.
Er blinzelte ein paar Mal und wartete scheinbar ruhig auf Aidens Reaktion, die da war das er sich abrupt erhob und den Mann ungeachtet fixierte und mit ausdruckloser Miene versuchte gefasst darauf zu warten was passieren würde.
« Wie wäre es mit einem Spielchen, der Herr? », fragte er, mit einem seltsam fremdartigen Akzent, wobei er die letzten Worte besonders hervorhob und sich ein ironisches Glitzern in seinen Schlitzaugen breit machte. Wie zur Veranschaulichung hob er den Becher unter dem sechs Paar Würfel hervorlugten, die bis auf zwei alle mit unterschiedlichem Augenpaaren bestückt waren.
« Oh schlechte Runde. », kündigte er unnötiger Weise an und lächelte seinen Männern zu, die mit Spielkarten und anderen Utensilien bewaffnet, am anderen Ende des Raumes saßen und das Geschehne gebannt verfolgten.
« Nein, vielen Dank. Dafür fehlen mir wohl die nötigen Mittel. », sagte Aiden achselzuckend um einen höflichen Ton bemüht und wand sich ohne weitere Worte ab.
« Hey, wartet. Man kann auch um viel mehr als nur Geld spielen. » Ein berechnendes Lächeln zog sich über sein altes Gesicht als er sich ihm abermals zu wand und ihn offen musterte.
« Ich bedaure. », entgegnete er und ging. Er vernahm noch das Aufkratzen der Stühle und einige plötzliche Flüche des merkwürdigen Mannes, dann war es wieder ruhig.
« Lasst ihn. », knurrte dieser und Aiden ging endgültig in Richtung der Treppe, den plötzlichen Schweißfilm der sich auf seiner Stirn gebildet hatte vorerst ignorierend. Er war schon dabei den ersten Schritt zu tätigen als die Tür, gleich neben ihm schlagartig aufgerissen wurde.
« Leute kommt raus, da sind ein paar Männer, die für Informationen zahlen. », sagte ein Mann zu der Ansammlung von Kartenspieler und schloss die Tür wieder. Gier stand ihm ins Gesicht geschrieben. Der schlitzäugige Mann konnte ein Lächeln nicht mehr unterdrücken, befahl seinen Männern zu warten und nahm sich selbst das Privileg vorweg, Geschäfte abzuschließen. Als er an Aiden vorbeiging, demonstrierte er seine Zahnlücke und sah ihn ironisch an. Wieder huschten seine Augen über Aidens Körper. Er hätte ihm am liebsten auch die anderen Zähne ausgeschlagen.
Von draußen drangen Rufe, Pferdelaute, Geknarre und Rumpeln herein, dass man glauben könnte draußen wäre ein orientalischer Bazar eröffnet worden.
Aiden beschloss kurzerhand dem Mann zu folgen, ein schreckliches, vorahnendes Gefühl im Nacken mahnte ihn zur Vorsicht.. Draußen war dem erst grauen, dann sich leicht verbessernden Licht des Tages ein dunkles grau-blau gewichen. Blätter und Dreck wirbelten zeitweise durch die Luft. Fensterläden und Türen knallten und er fragte sich wie lange das sommerliche Sturmwetter noch anhalten würde.
Die Hauptstraße war voll von aufgewühlten bis entsetzt, hysterischen Menschen die sich gegenseitig anschrieen. Offensichtlich war ein Streit im Gange. Andere wiederum standen dicht zu einer großen Traube gedrängt und hielten sich gegenseitig, während ihre Mienen von Erstaunen und Ekel zu Interesse schwankten.
Der Grund für die gewaltige Woge an Gefühlen und den sich sammelnden Menschenmassen schien ein kleiner Trupp Reiter inmitten des Getümmel zu sein. Ihre Pferde schüttelten besorgt mit den Köpfen, wieherten und scharrten unruhig über das Geschehen mit ihren Hufen, sodass ihre Reiter Schwierigkeiten hatten sie ruhig zu halten. Ein grollendes Donnern lenkte für einen kurzen Augenblick vom Tatsächlichen ab, schluckte die Geräusche und brachte dafür noch größere Unstimmigkeit und Besorgnis mit sich.
Aiden dagegen blieb wo er war, verhielt sich ruhig und beobachtete wie einige von dem halben dutzend Neuankömmlingen sich von ihren Pferden trennten und gezielt hinter einigen Häusern verschwanden. Was hatten diese vor?
Kurz kam in ihm das Bedürfnis auf ihnen zu folgen, unbekannten Schatten die den Grund für die plötzliche Aufruhe kannten. Doch er widerstand und drängte sich durch die – für ein solch kleines Dorf – großen Menschentrauben. Die drei übrig gebliebenen Reiter, waren nun von ihren Tieren gestiegen, während sie sich mit einigen – darunter der Mann mit dem Würfelspiel – Leuten unterhielten.
Er fühlte sich wie gelähmt, als würden weder seine Nervenbahnen noch irgendein Muskel in seinem Körper arbeiten können, als wäre alles in ihm schlaff und leer. Mit weit aufgerissen Augen und unkontrollierter, stockender Atmung sah er mit an wie die Reiter einen in Decken gehüllten Körper von einem der Pferde hinunterzogen. Scheinbar war einer ihrer Kameraden tot.
Die Atmosphäre war zum zerreißen gespannt, die Blicke huschten herum, unsicher wohin sie wandern sollten und doch konnte niemand sie tatsächlich von dem schrecklichen Befund lösen. Auch Aidens Augen wanderten, allerdings mehr um sich selbst zu beruhigen und er dachte es mehr als das er spürte wie in ihm der Drang wuchs zurück zum Haus zu gehen.
Ein Arzt wurde gerufen. Gemeinsam mit zwei der Männer schleppten sie das unglückliche Bündel in ein nebenstehendes Gebäude.
Er hätte es eigentlich bemerken müssen, seine Instinkte hätten ihn warnen sollen, doch sein Körper schien ein paar Sekunden lang wie fremd dass er nicht realisierte wer die Männer eigentlich waren. Er hatte ihren Aufzug, ihre Embleme und Ausrüstung schon einmal gesehen, sogar die Pferde schienen ihm bekannt vorzukommen, als er sie als Männer Seymours wieder erkannte. Was sollte das ganze?
Er hörte etwas knacken, merkte aber zu spät das es nur ein Ast war der in zwei brach und bemerkte das er den Atem angehalten hatte. Einige der Umherstehenden lösten sich aus den Kreisen und gingen ihrer Arbeit nach, während Aiden den Spieler von zuvor mit einem der Männer reden sah. Sein Blick wanderte zu ihm, dem der des Mannes folgte.
Schweiß brach ihn an Händen und Nacken aus und obwohl es eher Kalt war spürte er wie ein kleines Rinnsal zwischen seinen Schulterblättern hinunter kroch. Mit einem Mal fing auch seine Zunge wieder an zu pochen und ein Schauer des Unbehagen überfiel seinen kompletten Körper. Die anderen Zwei Soldaten waren aus dem Haus des Arztes zurück gekehrt, sagten etwas zu ihrem Begleiter und holten dann etwas aus ihren Utensilien. Ein Bild wurde herumgereicht, eine bloße Skizze, die für aufgeregtes Murmeln sorgte. Als sie Aiden erreichte, blieb ihm das Herz stehen. Zwar war das Portrait schlecht und wohl unter Zeitdruck gestaltet worden, allerdings erkannte er seine dunklen Haare und ungefähren Züge, sofort.
Er gab den Zettel weiter, tat desinteressiert und löste sich langsam, aber zielstrebig aus den diskutierenden Mengen. Die Augen des Spielers lagen noch immer rücksichtslos auf ihm. Ihre Blicke kreuzten sich kurz und ein Lächeln kräuselte sich auf seinen Lippen, Aiden durchlief Panik. Für das ganze gab es nur eine Erklärung; Seymour musste ihn verfolgt haben – vielleicht war es auch nur Zufall – doch musste er wohl oder übel mit Andrew Kincaid über den mysteriösen Mr Black geredet haben. Tatsache war, das Seymour, seine Tarnung entdeckt hatte und nun mit seinen Männer als Unterstützung weiter nach ihm suchte. Wo war dieser Hund nur? War er unter den Männern? Überhaupt irgendwo in dem Dorf?
Aiden hatte es also nicht geschafft seinen Verfolgern gänzlich zu entkommen, im Gegenteil er hatte sie sich vermehren lassen, denn unter ihnen erkannte er Männer aus Kincaids ridge.
Das kurze Gespräch zwischen den Soldaten und dem schlitzäugigen Mann stoppte abrupt und obwohl er sie in seiner eigenen Verwirrung einige Zeit als apokalyptische Gestalten seiner Fantasie betrachtet hatte, holte ihn nun die Realität ein.
Helen hatte den Schauplatz betreten. Sie warfen sich einen unmissverständlichen Blick zu, als das Papier sie erreichte und während er in Deckung ging und auf Angriffe wartete, packte ihn das Gefühl einfach wegrennen zu wollen.
Er wollte weder gegen diese ganzen Menschen kämpfen, noch weiter in diese Misere verankert werden. Und Helen...er hatte keine Wahl, denn sie musste das gleiche empfinden.
Mit einem plötzlichen Kopfdrehen, spürte er wie er einen Krampf bekam, ließ diesen aber ungeachtet und blickte auf den Soldaten der verstummt war und nun auf ihn zu kam. Er marschierte durch die Menge, die ihm Platz machte, während Aiden sich den Weg mühselig zurück kämpfte. Es waren nur Sekunden, die ihm wie grausame Minuten erschienen.
Als er Helen erreichte und ihr in Wortfetzen klar machte, das sie sofort verschwinden sollte, hatte er nur noch einzelne Augenblicke ihr in die Augen zu sehen um dann zu türmen. Ihr Gesicht war blass. Sie schien schockiert, fassungslos und außerstande etwas zu tun.
Aiden rannte um das Haus herum, die Geräusche verklangen, doch sein Pulsschlag schien so laut, dass er für nichts anderes Gehör fand. Sein Atem ging flach, während er um die nächste Ecke lief, die Wand streifte und um das nächste Haus rannte. Er könnte höchstens in den Wald, in den Fluss springen oder zu den Pferden – alles war aussichtslos. Das Atmen brannte und der Schweiß kroch ihm widerlich über die Haut, seine Füße schmerzten, doch er hetzte weiter, dunkle Gestalten hinter sich. Er sah nach hinten und erkannte die Männer die ihn verfolgten, gleich würde er den Wald erreichen.
Fast stürzte er, wankte und lief weiter zu einem Baum. Kurz schnaufte er auf und fummelte mit glitschigen Händen an seiner Patronendose. War das Schießpulver während des Regens nass geworden? Der Schatten eines Mannes rammte ihn und er fiel schmerzhaft zu Boden. Hastig krabbelte er ein Stück, stand wieder auf und hörte das Fluchen seiner Verfolger. Seine Büchse war während der Attacke hingefallen. Er konnte sie in seiner Eile nicht finden und zog umständlich seinen Dolch, als er fast in ein Gebüsch stürzte, hinter dem es steil bergab ging. Mit einem Satz gelangte er zu einem Baum presste sich mit der schmerzenden Schulter, die bei dem Angriff auf ihn, gelitten hatte, dagegen und legte sich die Waffe in die Hand. Sie fühlte sich leicht und handlich an - sie war alles was er noch hatte. Doch die Männer hatten seinen kleinen Zwischenstopp bemerkt. Sie verlangsamten ihre Schritte und Aiden wusste er konnte ihnen nicht mehr entkommen. Plötzlich wurde es ruhig. Sein Adrenalin schnellte durch seinen Körper und Angst überkam ihn. Der Dolch war sein einziger Trost, sein einziger Freund in der unumgänglichen, dunklen Situation. Mit einem Mal wurde es sehr friedlich. Die Sonne brach kurz durch die Wolken und das Geäst unter dem er sich befand. Die Luft war noch immer erfüllt vom Regen.
Schlamm, Wasser, Holz und Schweiß vermischten sich zu einem klumpenartigen Unwettergeruch den er atemlos in sich aufnahm.
Der erste Schlag traf ihn mit voller Wucht. Sie hatten ihn zu dritt verfolgt. Zwei der Soldaten kamen von vorne, der dritte Mann tauchte erst auf, als seine Kameraden ihn entwaffnet und benommen geschlagen hatten. Aiden fühlte wie sich seine Hose mit Wasser voll sog, als er zu Boden ging und blickte mit tränenden Augen zu der Pistole des dritten Mannes auf. Er umfasste diese verkehrt herum und versetzte ihm mit dem Griff einen Schlag auf den Kopf, dass eine widerliche Schwärze zuerst sein linkes Auge, dann sein rechtes überfiel und er anschließend in eine düstere Benommenheit fiel.
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Im Moment drehte sich alles um Helen.
Die Menge hatte sich geteilt, denn die Ankömmlinge verloren an Reiz, was ihr keinerlei Vorteil verschaffte und sie nur zusehen musste wie die meisten Leute es vorzogen wieder in ihre Häuser oder Tavernen zu verschwinden.
Am Ende waren nur noch wenige Menschen da welche die Soldaten teils gaffend, teils ehrfürchtig betrachteten. Für sie gab es nur eins zu tun, sie musste mitspielen, noch ein wenig Interesse heucheln und dann unbemerkt ins Haus verschwinden. Hatten sie Aiden aufgegriffen? Sie verstand die Welt nicht mehr. Sein Augen waren voller Rage und gleichzeitigem Grauen gewesen....
Sie löste ihre Fäuste, die sie ohne es bemerkt zu haben während des Angriffes auf ihn geballt hatte und merkte wie ihre angeknackste Hand noch immer schmerzte. Doch sie hatte keine Zeit sich darum zu kümmern. Zwar waren drei der Männer hinter Aiden hergelaufen, doch waren wie aus dem Nichts drei Weitere zwischen den Häusern hervorgekommen.
Ein Mann trat plötzlich auf sie zu. Seine blutunterlaufenen Schlitzaugen lagen ruhig und doch berechnend auf ihr, worauf sich ihr ganzer Körper mit einer Gänsehaut überzog. Sie umschloss ihren Körper schützend mit ihren Armen und senkte ihren Blick.
Seine Art wie er sie betrachtete zerriss sie innerlich fast vor Scham. Die Sorge um Aiden war jedoch größer.
Der Wind wehte noch einmal mit ganzer Kraft durch die Straße und umwehte sie mit ihren langen Haaren, es donnerte erneut und leichter Nieselregen machte sich über sie her.
« Beeilt euch gefälligst », rief einer der Männer, seinen Kameraden zu, die ihre Sachen auf die Veranda eines Gasthauses stellten, um sie vor den Regen zu schützen.
Sie sah ihn ausdruckslos an, worauf er ihr ein dreckiges Grinsen schenkte, sich aber abwandt als er zwei seiner Kameraden die Straße hochkommen sah. Er begrüßte sie knapp und erklärte ihnen die Situation, während der schlitzäugige Mann nun auf sie zutrat. Wo war Aiden?, fragte sie sich und beobachtete wie sich die Soldaten unterhielten. Was war hier los? Warum erkannte sie niemand? Weshalb waren sie hinter Aiden her?
Sie ging mechanisch einen Schritt zurück, der Mann aber packte sie am Handgelenk und zog sie, das sich sein Finger in ihr Fleisch gruben, zu sich.
Er hauchte sie an, ein Gestank aus Bier und Rauch, der sich mit seinen Gerüchen nach Schweiß und Dreck vermischte, sodass sie angeekelt den Kopf abwandt. « Aber Schätzen. », flüsterte er ihr zu und griff auch nach ihrem anderen Handgelenk, welches er brutal umfasste. « Wenn du diesen Bastard ranlässt bin ich doch wohl eine Wohltat. »
Er drückte sie fest an sich und lachte amüsiert auf, sie schrie entsetzt auf und versuchte sich aus seinem Griff zu lösen. Dann erstarrte sie jedoch, als sie bemerkte wie die Männer - Männer von Kincaids ridge, ihre Untergebenen, dem Schauspiel unbeteiligt zusahen.
« Lass mich los. », würgte sie unter gegebenen Umständen hervor und trat nach ihm.
Einer der Männer löste sich von seinen Kameraden und rief ihrem Missetäter etwas zu, das ihn scheinbar sehr verstimmte. In einem empörten Ton, erwiderte er etwas. Der Mann kam nun näher und Helen wusste nicht ob sie verärgert oder dankbar sein sollte. Sein kalter, ja fast angewiderter Gesichtsausdruck ließen sie schließlich wütend werden.
« Miss Kincaid. », sagte Steward Seymour affektiert. « Das ich Euch hier antreffe, welch unglücklicher Zufall. »
« Ich bin auf der Durchreise. », erwiderte Helen und ging einen Schritt auf ihn zu, nachdem sie dem Griff des ekelhaften Mannes entkommen war.
« Oh ja, ich bin davon unterrichtet worden, das Ihr auf den Weg – wohin noch einmal? – ach ja, auf den Weg zu den Conners seid, wenn ich mich nicht irre. »
« Ihr irrt Euch nicht. »
« Wirklich? » Seine Ironie ließ sie aufschrecken. Seymour war keinesfalls aufgrund ihres Bruders hier, er hätte keinen Anlass diesen fiesen Kerl etwas anzuordnen. Doch ihr Onkel? Warum sollte er Aiden verfolgen? Wusste er von ihrem Unterfangen gemeinsam nach Derby zu reisen? Warum sollte man dann ihren Begleiter ergreifen? Warum sollte dieser vor ihm fliehen?
« Ich kann nur spekulieren, doch trifft nicht der Fall zu, dass Ihr vielmehr einen erneuten Ausflug plant? »
« Ich verstehe nicht. », sagte sie gleichmütig.
« Warum reist Ihr mit Black? », fragte er direkt. Zwar erhob er nicht seine Stimme, doch war die Drohung offensichtlich. Helen verengte ihre Augen.
« Sollte ich etwa nicht? » Er ging auf sie zu und Ohrfeigte sie. Der brennende Schmerz machte sie benommen und erschrocken wich sie von ihm weg.
« Das war nicht meine Frage. »
Sie blickte ihn erstarrt an, sein rücksichtloser, grausamer Ausdruck stahl ihr allen Mut.
« Er kennt den Weg nach Derbyshire, den ich niemals zuvor alleine angetreten habe. Er sollte meinen Schutz darstellten. », fügte sie unter tränenden Augen hinzu.
« Was hat er Euch erzählt? Weshalb will er nach Derbyshire? Warum war er auf Eurem Gut und mit wem hatte er seid dem Kontakt? »
« Ich weiß es nicht. » , schluchzte sie und hielt sich die brennende Wange.
Seymour war eindeutig hinter Aiden her, mit ihr hatte diese ganze Sache nichts zu tun. Durch die gemeinsame Reise mit ihm, hatte sie sich jedoch zur Komplizin gemacht. Wenn Seymour nun annahm sie wüsste etwas über seine Machenschaften oder schlimmeres, würde er sie anstaltslos töten. Selbst wenn sie die Wahrheit sagte – das sie nichts wusste – konnte er annehmen es wäre eine Lüge. Was fürchtete dieser Mann könnte Aiden ihr anvertraut haben?
Ihr Kopf fing an zu pochen und ihren Körper überfielen regelmäßig Wellen des Widerwillens der sie an die Nervengrenze brachte.
Seymour musterte sie genau und kam scheinbar zu einem nicht sehr zufrieden stellendes Ergebnis. Er deutete dem schlitzäugigen Mann und ihr an ihm zu folgen und führte sie in einen kleinen Hinterhof.
« Ihr werdet sicher verstehen, dass ich nicht Gefahr laufen kann, dass Eurem Bruder oder Lord George, an irgendwelche Informationen zukommen. »
Was zum Teufel hatte Lord George damit zu tun, frage sich Helen und hörte Seymours Worte wie von weit entfernt. Ein letzter Blick auf sie, abschätzend und ohne Mitleid, dann ging er und ließ sie mit dem Mann alleine.
Schlitzauge, so nannte sie ihn, packte sie grob an den Schultern und schüttelte sie heftig, um ihre plötzlichen Gegenangriffe zu unterbinden. Seine Hände wanderten weiter an ihrem Körper entlang und sie spürte die Gier und Erbarmungslosigkeit die in seinen Berührungen lag, sodass sie ihm vor Ekel mit der Faust einen Hieb in die Magengrube versetzte. Er stöhnte entsetzt auf, ließ seinen Griff locker und starrte sie aus einer Mischung von Überraschung und Wut an, dass sich ihr Inneres zusammenzog und wie ein Klumpen schwer in ihrem Magen legte.
Sie wand sich und stieß ihn mit schwacher Kraft von sich, ihre schmerzende Hand pochte noch immer, doch es war nichts im Vergleich zu ihrem Herzen das von Adrenalin durchsetzt riesige Hüpfer zu machen schien und störend ihren Körper lähmte. Dennoch versuchte sie ihr Gleichgewicht wieder zu finden und schnaufte gleichermaßen´, um die kalte wohltuende Luft in sich hineinzupumpen und sich ihrer Stärke wieder bewusst zu werden, soweit diese noch vorhanden war.
Die Tatsache diesem Kerl schutzlos ausgeliefert zu sein verstörte sie psychisch auf eine Art und Weise die sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht gekannt hatte und sie auf perverse Weise verwirrte.
Zu ihrem Entsetzen hatte Schlitzauge den kurzen Moment ihres Aussetzer bemerkt. Er atmete in röchelnden Zügen die durch den Schlag verloren gegangen Luft wieder ein und versetzte ihr im nächsten Moment einen gezielten Hieb ins Gesicht, dann einen Zweiten.
Schwankend vor Schmerzen verlor sie das Gleichgewicht, ließ sich zu Boden fallen und krümmte sich zu einem mickrigen Haufen aus Armen und Beinen zusammen, zu geschockt darüber das sie sich nicht wehren konnte.
Es war nicht der körperliche Schmerz der sie so traf, ihre Gedanken machten sie wirr und ließen sie umso mehr das störende Gefühl spüren das sich aus den Leeren ihres Inneren herausdrängte.
Falls es noch eine Steigerung gab, sollte diese nicht lange auf sich warten, denn sein schwarzer Schatten legte sich über sie.
Als Gegenreaktion schloss sie entsetzt die Augen, während sie mit ihren Armen ihr Gesicht schütze. Doch es geschah nichts und sie erkannte wie einer der Soldaten den Mann über ihr fest an der Schulter gepackt hielt, sein Gesicht war gezielt auf das von Schlitzauge gerichtet und es lag ein provokanter Ausdruck darauf.
Er sagte ein paar Worte die sie nicht verstand, da nur ein undeutliches Gemurmel zu ihr hinüber getragen wurde, allerdings beruhigte sie das nicht minder, denn sie erkannte die Tonlage der dunklen Stimme. Fieberhaft versuchte sie ihren immer schwerer werdenden Kopf zu heben um ihren neu ernannten Beschützer, bei dem Gedanken verdrehte sie innerlich die Augen, zu sehen der sich nun in eine heftige Diskussion verwickelt hatte.
Ihre Augen rissen sich entsetzt auf und ihre Glieder versteiften sich bei dem Versuch sich mit dem Bauch in Richtung Boden zu wenden. Mit ihren Beinen die sie kurzzeitig vergessen hatte stützte sie sich in wilder Panik ab, ihre Arme verankerten sich in den Boden und im nächsten Moment war sie dabei wie ein Wurm im Dreck davon zu kriechen.
Ein paar Meter weiter stießt sie sich sachte ab, ging in die Hocke und warf einen riskanten Blick zurück, so dass ihre Haare sich lose und wirr über ihren Körper legten.
« Hey sie haut ab. », schnitt eine Stimme durch den Wind, worauf die Diskussion abrupt abgebrochen wurde und jemand sie in sekundenschnelle unsanft an den Haaren nach oben zog. Sie umfasste die an ihr ziehenden Hände, ging abermals in die Hocke und versuchte den Drahtzieher mit ihrem Fuß zu erwischen.
Dieses gefährliche Spiel hatte bereits seinen Tribut gefordert, mehr konnte sie nicht mehr ertragen. Das einzige was sie jetzt noch wollte, war zu Finn zu gelangen.
« Lass die Frau los verdammt. », rief jemand ihrem Peiniger zu und sie erkannte die Stimme des Soldaten, nicht sonderlich bemüht aber dennoch verlangend.
Er sagte es erneut und sie spürte wie ihr Angreifer zögernd ein wenig locker ließ. Doch er hörte nicht auf den Mann und schrie ihm etwas zurück. Oh Himmel, ihr Mistkerle, dachte Helen.
Dann gab es einen brutalen Ruck und sie landete erneut im Dreck und stöhnte vor Schmerz auf, als einer der Männer auf ihr landete. Dieser regte sich sofort und sprang von ihr herunter, um sich auf den anderen zu stürzen, dessen Schatten sie im Augenwinkel ausmachen konnte.
Sie konnte deutlich die ächzenden Geräusche, das Gerufe der beiden und das Zerren an ihren Kleidern hören. Das war ihre Chance.
Wie schon zuvor krabbelte sie entschlossen über den Boden, sie hörte ihr Blut in ihren Ohren rauschen, ihren flachen Atem und das aneinander reiben von ihrem Körper und der Straße.
Ihre Lungen verlangten nach Luft, sie waren trocken und sie schmeckte nichts anderes mehr als Blut und Dreck auf ihrer Zunge. Wahrscheinlich hatte der Kerl ihr einen Zahn ausgeschlagen. Mit einem Ruck war sie wieder in der Hocke und faste sich sogleich an den dröhnenden Kopf, als ihr bewusst wurde das die Stimmen verstummt und außer dem Wind der verräterisch in den Bäumen verharrte nichts zu hören war.
Der Nieselregen von zuvor verstärkte sein Temperament und größere Tropfen klatschen vom Himmel herunter, doch dies entging ihr als sie jemand von hinten packte und einen Schlag versetzte.
Sie ließ ihren Körper schlaff und wehrte sich nicht, es gab nur noch eine Möglichkeit für sie zu entkommen. An offene Flucht war unter diesen Umständen nicht mehr zu denken, zu kämpfen ebenfalls nicht, die einzige Option die blieb war sich Schlitzauge zu ergeben und vorerst das Beste zu hoffen.
« Was willst du dann mit ihr machen? », hörte sie eine Stimme fragen.
« Ich lasse sie liegen wenn es nötig ist, du glaubst doch nicht das die jemand vermisst. », antwortete Schlitzauge, anscheinend hatten sie sich weitgehend geeinigt.
« Idiot. » , nuschelte er ihm zu und kehrte ihm den Rücken zu. « Na hoffen wir mal du machst dir keine unnötigen Feinde, wenn es wahr ist was über den Bastard gesagt wird. »
« Sobald ich hier fertig bin, werden wir ja sehen, was er uns zu sagen hat. Semyour wird keine Gnade zeigen. »
Der Soldat ging davon, seine ritterlichen Überzeugungen was eine potenziellen Vergewaltigung angingen, schien er über Bord geworfen zu haben. Für Helen hatte die Zeit längst ihren Sinn verloren und sie versuchte eine kurze Ohnmacht vorzutäuschen, ihre Wut schien ihr scheinbar den Verstand zu rauben. Schließlich wand sich Schlitzauge wieder ihr zu.
Er nahm sie sanft in die Arme und trug sie ein Stückweit in den nahe gelegenen Wald hinein, entschied sich für ein weitgehend trockenes Stück Erde und legte sie grob dort hin. Seine anfängliche Sanftheit verschwand in den Abgründen des Waldes und er beugte sich zu ihr runter, um ihr eine Ohrfeige zu verpassen, damit sie das Bewusstsein zurück erlangen würde.
Sie war schneller.
Mit dem Kopf voran traf sie seine Stirn. Er stöhnte erneut auf und drückte seine Hände gegen die Wunde. Sie aber nutze die Zeit rappelte sich hoch und verpasste ihm einen gezielten Schlag in dem Magen, worauf er schwankte, allerdings nicht fiel. Seine Augen wurden unnatürlich groß und seine Pupillen vergrößerten sich, sodass sie angewidert den Blick von ihm nahm und ihm mit einem schnellen Tritt zwischen die Beine trat. Sein erstickender Schrei wurde übertönt vom Geräusch seines aufschlagenden Körpers, der zucken zu Boden ging. Wie ein Wurm, war er ihr nun schutzlos ausgeliefert.
Nun auf dem Rücken liegend beugte sie sich über ihn und packte, wie er es schon bei ihr gemacht hatte, seinen Haarschopf und nahm das Messer das an seinem Gürtel befestigt war. Mit kindlichem Spieltrieb warf sie es hoch und fing es wieder auf, spielte damit zwischen ihren Fingern und beobachtete dabei sein vor Schreck, wie gelähmtes Gesicht.
Es war eine schöne Waffe, und es gefiel ihr die Macht über Schlitzauge zu haben, so sollte ihn doch sein eigenes Messer verletzten. Sie nahm den Dolch fest am Griff, wog es leicht hin und her und fuhr dann langsam damit über seinen Hals, sodass ein langer roter Strich erschien aus dem ein wenig Blut hervorquoll.
« Weißt du, mein Verlobter hat mir einige schöne Dinge beigebracht. » Hörte sie sich selbst wie von weit entfernt sagen und betrachtete ihn angewidert.
Nur was sollte sie jetzt, da sie ihn dingfest gemacht hatte mit ihm tun? Viele Möglichkeiten sah sie nicht. Er war in jedem Fall eine Bedrohung.
« Was soll ich tun? » , fragte sie und spürte wie ihr die Galle hoch kam, den Blick aber nicht von Schlitzauge nehmend.
« Hey, hey ganz ruhig. », antwortete eine Stimmte, diejenige die sie hören wollte. Erst jetzt begriff sie was ihre Instinkte ihr schon vor einiger Zeit mitgeteilt hatten, Aidens Anwesenheit und der Grund für ihre Frage ins Nichts.
Er kam langsam mit nach vorne gestreckten Händen auf sie zu, als er sie sah zuckte er kurz zusammen, behielt seine Meinung allerdings für sich und versuchte die Situation auszumachen.
« Ihr? », fragte er verblüfft und starrte auf Schlitzauge hinunter. Sein Gesicht wies mehrere Macken sowie böse Kratzer auf und sein Kragen war blutverschmiert, ebenso hing ihm getrocknetes Blut am Kinn, doch Helen sagte nichts dazu.
« Du kennst ihn? »
« Nein nicht richtig. Er hatte mir im Wirtshaus angeboten mit ihm Karten zu spielen, das war aber bevor er die Soldaten gegen mich aufgehetzt hat. » Der angesprochene grunzte und schüttelte energisch den Kopf, Aiden beachtete ihn nicht und wand sich Helen zu.
« Was hast du mit ihm vor? »
« Ich weiß es nicht, er wollte.... » Sie senkte den Blick und umklammerte wütend den Griff des Dolches und kehrte ihm den Rücken zu, bevor sie sich schlagartig umdrehte und den am Boden liegendem Mann einen Tritt verpasste. Dieser ächzte überrascht auf und krümmte sich unter Aidens erstaunter Miene.
Schließlich sank sie auf die Knie, ihr Mund formte Wörter doch nichts kam heraus. Ihre Kehle war trocken und sie schmeckte noch immer den metallischen Blutgeschmack...sie sah elendig und abgekämpft aus, selbst wenn es nicht ihren Gefühlen entsprach.
Allein ihre Gedanken brannten mehr als ihre Körperlichen Makel, die Wellen des Schocks und die Erinnerung prägten diese und sie fühlte sich...ja wie? Verletzt? In ihrer Ehre? In ihrem Schamgefühl? Was war los mit ihr? Die Schläge war nichts, einfach nichts...und doch geschah hier etwas das ihren Verstand überstieg.
Sie spürte wie ihr Begleiter sich neben sie stellte, er war beinahe so nah das sie seine Körperwärme spüren konnte und hoffte, dass er ihr bleiches Gesicht nicht sehen konnte, sie könnte jetzt keine Berührungen ertragen.
Ein unbeabsichtigtes Wimmern entkam ihren aufgesprungenen Lippen. Aiden beugte sich langsam zu ihr hinunter, sein Blick hatte etwas tröstendes, melancholisches und vernebeltes in sich und es schien als könnte der nächste Windzug diesen Blick zerstören und zersplittern wie einen einfachen Spiegel.
Ein knackendes Geräusch holte ihn gerade noch rechtzeitig zurück in die Realität, sein Körper glühte und er fühlte den Schweiß auf seiner Stirn, doch innerlich breitete sich eine eisige Kälte in ihm aus, die er mit allen Mitteln versuchte zu unterdrücken. Schlitzauge war aufgestanden; zu dem Aiden mit einem Hechtsprung gelangte. Er packte den Mann am Kragen, beäugte ihn kurz und hielt ihm drohend die Klinge seiner Waffen an den Hals.
« Warum verschwende ich eigentlich meine Zeit mit dir? », fragte er und fixierte den Mann mit einem gnadenlosen Blick.
Schlitzauge der diesen richtig interpretierte versteifte sich augenblicklich und versuchte einen Augenkontakt mit ihm zu vermeiden. Aiden genoss es den Angstschweiß des Mannes wahrzunehmen.
« Was soll ich mit ihm tun? », fragte er an Helen gewand und streckte leicht seinen Kopf in ihre Richtung. Sie allerdings drückte ihre bebenden Fäuste gegen ihre Oberschenkel, sodass das weiße des Knochens zu sehen war und presste mit geweiteten Augen die Lippen fest zusammen. Dieser Anblick reichte ihm vollkommen und mit ungewohnter Brutalität verpasste er dem Mann einen gezielten Kinnhaken. Sein Kopf fiel nach hinten, er stöhnte auf und zappelte herum, fast wäre er nach hinten gekippt, doch Aidens eiserner Griff duldete diese Schwäche nicht und er drückte ihm mit einem plötzlichen Ruck an den nächst liegenden Baum. Es gab ein leises dumpfes Geräusch als Schlitzauges Kopf gegen das Holz des Baumes prallte und wieder nach vorne sackte. Er schloss die Augen die eine Weile noch heftig zuckten, dann fiel er in eine Ohnmacht von der er schon jetzt wusste das der Mann sich nur wünschen konnte nicht mehr daraus aufzuwachen, bestenfalls zu sterben. Denn im Gegensatz zu Helens sich von innen heraus bildender, langsam wieder abbauender Wut war seiner noch lange kein Ende gesetzt.

Er wollte etwas sagen, etwas tun und ihr Erleichterung verschaffen, egal was es ihn kosten würde, doch sein Wissen reichte nicht aus, dass ihm diese Möglichkeit gewährt wurde.
Sie anzusehen, wie sie da saß, mit den Gedanken weit entfernt, den Blick abgedriftet in die Ferne gerichtet, höchstens unterbrochen von einem ruckartigen Atemzug. Langsam ging er auf sie zu, beobachtete sie ununterbrochen und fragte sich zum tausendsten Mal was geschehen war.
« Ist wieder alles in Ordnung? », fragte er und kniete sich neben sie. Falls sie ihn schlagen wollte war er bereit und auch gegen jegliche Wutausbrüche war er notgedrungen gewappnet, doch sie sagte nichts, schnaufte auf und starrte ihn aus ihren moosgrünen Augen genervt an.
« Fass mich nicht an. », zischte sie als sie seine Bemühungen sie zu Berühren bemerkte und wand den Blick wieder ab. Trotzdem er gab es nicht auf, wich ein Stück von ihr ab und versuchte diskret den Blick abzuwenden, doch es wollte ihm nicht gelingen. Es wäre klüger wenn sie bald von hier verschwanden, aber er sagte es nicht.
Er schluckte hörbar und fühlte wie sein Gesicht ein stückweit bleicher wurde, sein Blick wanderte zu seinem Gefangenen, den er kurzerhand an eine Tanne festgebunden hatte, dann zurück zu Helen die ihm einen mörderischen grünen Blick als Gegensatz anbot.
Mit einer schnellen Bewegung stand sie wieder auf den Beinen und starrte ihn an, als wäre er der Teufel selbst.
« Ich brauche dein Mitleid nicht. », bemerkte sie, worauf er klugerweise nicht antwortete. Er konnte genau sehen was ihren plötzlichen Umschwung verursacht hatte, stand ebenfalls wieder auf und betrachtete lieber ihre noch immer geballten Fäuste als ihr Gesicht, um sich nicht wieder seine Gedanken anmerken zu lassen.
« Das weiß ich. », entgegnete er selbstsicher und verschränkte, um sich selbst ein bisschen mehr Stabilität zu geben die Arme. Es kam ihm wie Unendlichkeiten vor das er in dem Wirtshaus etwas gegessen hatte und er fühlte die Leere in seinem Bauch, der nach etwas Essbaren gierte.
« Was ist passiert? » Er hatte es ausgesprochen und es gab kein zurück, er konnte ihre Reaktion nicht voraussagen, konnte sie sich aber in etwa ausmalen und versuchte Standhaft zu bleiben.
Zuerst sagte sie nichts und starrte weiter in die immer weiter zunehmende Dunkelheit des Waldes und ging nur einen zaghaften Schritt nach vorne, um sich mit der linken Hand an einem Baum abzustützen.
Der Himmel über ihnen wurde von leuchtendem Orange und sanftem Rosa geziert das die einzelnen Grautöne durchzogen. Es war ruhig um sie herum und eine gespenstische Atmosphäre machte sich breit und ließ die Luft umso angespannter und intensiver auf sie beide wirken.
« Ich habe ihnen Blöße gezeigt, verdammte Blöße. Ich kann dir dieses Gefühl nicht beschreiben, aber es zerreißt mich. » , sagte sie und er hörte ihre geschundenes Gemüt daraus.
« Bist du dir sicher das diese Reise die richtige Entscheidung war? »
« Was? », fing sie an und drehte sich abrupt um, sodass er ihr verwirrtes Gesicht und ihre rot unterlaufenden Augen sehen konnte, die mit Sicherheit nicht wie bei Schlitzauge vom Alkohol herrührten.
« Ich dachte du bist stolzer. »
Er hörte seine provozierenden Worte fremd und dumpf in seinen Ohren. « Wenn du jetzt aufgibst, war alles umsonst. Also bist du dir sicher das es die richtige Entscheidung war? »
« Natürlich, aber...», fing sie stotternd an.
« Dann reiß dich zusammen. », unterbrach er hart und blickte sie ungerührt an.
« Wie kannst du so etwas sagen? Du weißt nicht wie schwer es ist, wie...demütigend, wie... »
« Zerreißend, beschämend und erniedrigend. Ich weiß wie das ist, ja, und nur deshalb sage ich dir jetzt hör auf damit, wenn wir es noch schaffen wollen müssen wir uns beide zusammenreißen. », beendete er den Satz für sie.
« Ich kann es nicht verstehen. » Er hörte wie die blanke Wut aus ihr sprach « wie eine Regierung solchen Banden gewähren kann frei herumzulaufen, ich meine es waren nicht alles Männer von unserem Gut, wahrscheinlich ist es eine ganze Verschwörung, warum unternehmen sie nichts, warum unternimmst du nichts? »
« Ich? »
« Ja du! Du hättest mit dem Land, mit Abberts Creek viel mehr Möglichkeiten, politisch wie persönlich. Wenn du es nur einfordern würdest -»
« Sag mal bist du völlig verrückt geworden? » Er sagte es ruhig doch er spürte wie sein Gesicht einer Sekunde seiner Macht entglitt, ihres folgte und sie starrten sich halb gezwungen, halb entrüstet über sich selbst und den anderen eine Reihe von Minuten hinweg lang an.
Allerdings unterbrach Aiden diese, ging auf sie zu und packte sie bei den Schultern, da er größer und kräftiger gebaut war als sie, hatte es die dementsprechende Wirkung und sie fühlte sich kurz eingeschüchtert.
« Glaubst du das will ich nicht? Glaubst du ich will keinen Frieden, keine Gewalt mehr? Denkst du wirklich mir is es egal was in dem Land geschieht in dem ich aufgewachsen bin? Nur kann ich nichts tun, absolut nichts, ich will erst gar nicht wissen woher du weißt das Abberts Creek- das Gut meiner Mutter - mir nicht gehört, aber erwähne es ja nie wieder in meiner Gegenwart. »
Mit einem heftigen Schütteln versuchte er sie zur Vernunft zu bringen, bemerkte seinen Fehler jedoch sofort und hielt in der Bewegung inne, um sie einige Momente in denen sie sich beide sammeln konnten anzusehen.
« Ich will es doch so sehr, endlich den Respekt und die Kraft mich durchzusetzen, einfordern was mir zusteht, wenigstens dir darf das nicht verloren gehen, bitte du musst dich zusammenreißen. »
Sein flehender Gesichtsausdruck erschrak sie zutiefst, nicht das seine harten Worte nicht die gezielte Wirkung erreicht hatten, aber erst jetzt verstand sie warum er ihr nichts von dem Gut Abberts Creek auf dem er aufgewachsen war, erzählt hatte ; es schmerzte zu sehr.
Helen spürte wie ihr Tränen in die Augen schossen und unterdrückte diese mit einem lausigen Ergebnis.
« Bist du immer so...so..?“ » , stammelte sie und versuchte seinem Griff zu entkommen und kniff die Augen zu als sie bemerkte, dass er sie nicht loslassen wollte.
« Direkt? Nein, aber bei dir bleibt mir keine andere Wahl.“ » Das brachte sie zum lachen, obwohl es mehr einem Schütteln und einem dazugehörigen Lächeln ähnelte, aber er gab sich damit zufrieden.
« Was ist nur los mit dir? »
« Das ist nicht wichtig, nicht mehr. », sagte sie leise und wand sich ab.
« Es ist manchmal als wäre ich in einer Welt gefangen, einer unrealen, grausamen Welt, doch wenn ich versuche die Augen zu öffnen und zu mir zu kommen, ist es doch real und ich will nur noch weinen. », sagte er plötzlich hauchdünn und strich ihr sanft über die Wange. Sie dagegen sah ihn schräg und fasziniert an, war es Aiden der da offen über sich sprach? Es schien ihr schier unmöglich.
« Ich will nicht das dir das gleich widerfährt, also versprich mir das es nicht soweit kommen wird, ja? Ich kann mein derzeitiges Schicksal genauso wenig ändern wie du deins, aber wir können es verbessern, wenn du es willst. »
Diese direkte Einladung überraschte sie nicht nur sie schockierte sie gleichermaßen und so bekam sie diesbezüglich nur ein wortloses Nicken zustande.
Eine Stille legte sich über sie, jedoch keine unangenehme, vielmehr eine Auszeit die ihnen beiden erlaubte, frei zu sprechen, nicht über sie beide, nicht über die Welt, einzig über sich selbst und den Himmel der leuchtend und stark über ihnen ragte, unvergänglich und doch in den verschiedensten Variationen, bestimmt durch die Launen der Natur.
14. Wo ist eine Waffe wenn man sie braucht?

« Hast du ihn umgebracht? », fragte Helen und klammerte sich an seinen Arm.
« Eigentlich nicht. Es sei denn er ist vor Angst gestorben. »
Er kniete sich, seine Deckung verwahrend vor den Mann den sie Schlitzauge nannten und blickte ihn spekulierend an.
Seine Beine und Arme waren gefesselt und er lag da wie ein unschuldiges, elendiges Häufchen.
Da sich die Dämmerung über sie breit gemacht hatte und sich die Schatten der Nacht zielsicher über sie legten, war es nicht schwer die Abneigung ihm gegenüber ein wenig zu dämpfen und Aiden fühlte wie ihn Helen mit einem verdunkelten Blick im Nacken saß.
Er drehte sich leicht zu ihr um und musterte sie im stillen. Es war nicht verwunderlich das sie sich vor dem Mann zurück zog und doch hatte er etwas anderes von ihr erwartet, vielleicht war es auch nur sein eigener Wunsch das sie sich anders verhielt. Zwar war kein Wort der Erklärung über ihre Lippen gekommen, doch war ihr zurückgezogenes Verhalten, die Abneigung gegenüber diesem Mann und überhaupt ihre ganze Art auf Schlitzauge zurückzuführen. Vielleicht hatte er ihr Gewalt angetan, vielleicht auch nicht. Solange sie nicht darüber sprach, konnte er nichts für sie tun.
Zerstreut fuhr er sich durch die Haare. Helen, die seine Beobachtungen entschieden ignorierte, rückte ein Stück näher an ihn, sodass sie sich in der schnellen Bewegung leicht berührten. Es störte sie nicht und ein Gefühl von nicht vorhandenen Frieden breitete sich in ihr aus. Die Dunkelheit und die Mauern aus Bäumen und Büschen, der wachsenden Flora und Fauna, vermittelte ihr den Eindruck von Einsamkeit. Es beruhigte sie zutiefst.
« Hast du Angst im Dunkeln? » Er fragte es nicht auf ihre Annäherung hin, das wusste sie, vielmehr wollte er sie mit einbeziehen, wenn auch nur von außen her, um sie trotz allem vor dem Mann abzuschirmen. Völlig Unnötig, dachte sie mit einem Hauch von Ärger, ließ ihn aber gewähren und musste sich eingestehen das diese Frage nicht ganz unbegründet und Hirnlos war wie sie ihr anfangs vorgekommen war. Es beschäftigte sie sogar mehr als sie sich eingestehen wollte. Natürlich hatte sie Respekt vor den dunklen Gestalten und Schatten die sich im Wald versteckt hielten, die sich lautlos und unbeobachtet bewegen konnten. Aber hieß Respekt gleich Angst? Ein lauerndes Gefühl, worauf sich über ihren Körper eine Gänsehaut ausbreitete, kroch in ihr auf und sie musste sich unwirkürlich umsehen. Nichts als dunkle und formlose Umrisse, nichts was ihr hätte Angst einjagen können und doch war das Gefühl umgeben von etwas zu sein, beständig da.
« Ein bisschen. », gab sie zu und setze sich, zurücklehnend und die Arme um ihre Beine Schlingend auf den Boden nieder. « Du nicht? »
« Nein. Ich kann an der Dunkelheit nichts beängstigendes finden. Sie kommt und geht. Es ist eigentlich sogar schön zu wissen das alles seinen Ursprung hat und wie das Licht immer wieder zurückkehrt. »
« Ein stätiger Rhythmus. Aber machst du dir keine Sorgen darüber was geschehen würde, wenn es nicht so wäre? Wenn es nicht wieder kehrt. Der Wechsel von Licht und Schatten plötzlich unterbrochen wird? »
Die Frage überraschte ihn sichtlich und er presste unbewusst seine Lippen übereinander, den Blick nach oben in die Ferne gerichtet und machte ein ernsthaft nachdenkliches Gesicht.
« Wie sollte sowas möglich sein? Möchtest du jetzt Philosophieren? »
« Nein, es ist nur, dass ich ein bisschen abergläubisch bin, so etwas...interessiert mich. »
Er zuckte mit den Axeln und blickte sie offen an, es sollte auf keine Weise fordernd wirken und doch sah sie seinem Blick etwas an.
« Du fühlst dich sicher nicht wahr? Im Dunkeln, meine ich. Du bist nicht abergläubisch. »
Ein Hauch von Ärger durchflog seine vernebelten, müden Augen und ließen sie aufglänzen, als würde er in ein Feuer blicken, und er legte den Kopf um einige Grade schief.
« Manchmal, man kann gut Frauen beobachten, weißt du. », sagte er mit einem breiten Lächeln und schüttelte sich vor unterdrückten lachen.
« Kurz, je weniger Aberglaube, desto weniger Fanatismus, und je weniger Fanatismus, desto weniger Unheil. » , zitierte er ohne sie anzusehen. « Doch, ich bin abergläubisch, doch nur insofern wie für mich gut ist. »
Sie lächelte und sie sahen sich an. Sie konnte deutlich die vielen verschiedenen Pigmente in seiner Pupille ausmachen, so nah waren sie sich und sie fragte sich beiläufig wie viele Geheimnisse noch dahinter lauerten? Ihr war es zuerst nicht aufgefallen doch jetzt im nachhinein erkannte sie die unnatürliche intensive Ausstrahlung seiner Augen die sie gehabt hatten als er sie vorhin beruhigen wollte. Es war nur kurz gewesen, aber für einen Augenblick hatten sich die Geheimnisse in seinem Inneren gelöst und deutlich auf ihm abgezeichnet, seine Seele war ihr offen gewesen, wie ein Fenster in das man unverholen hineinschauen konnte. Jetzt war es geschlossen und nur sein leichtes Lächeln erinnerte sie daran, was sie für ein kostbares Relikt, wenn es auch nur Sekunden waren, festgehalten hatte ohne es zu nutzen.
« Erzähl mir mehr über dich. », forderte sie sachlich.
« Nicht jetzt, später. », sagte er um den gleichen Ton bemüht und das Lächeln verschwand ganz aus seinem Gesicht, er wusste genau worauf sie anspielte. Er sah sie noch einmal an, ernst und konzentriert, dann erhob er sich und trommelte mit seinen Fingern leicht auf seinem Unterarm, die er vor seinem Körper verschränkt hatte.
Bisher waren es nur Bruchstücke und Gesprächsfetzen die Helen halfen sich ein Bild von seinem Inneren und von seiner Vergangenheit zu machen, die ihr Orientierung verschafften und war das Verlangen nach weiteren Anhaltspunkten groß. Den Grund dafür kannte sie nicht und offen gesagt, glaubte sie kaum das, wenn sie einmal am Ziel ihrer Begierde war, es ihr nicht annähernd so viel Genugtuung verschaffen würde, wie sie es sich derzeit ausmalte.
« Geh ein Stück zurück. », sagte Aiden scharf. Sie wurde abrupt aus ihren Gedanken gerissen und zuerst wollte sie ihm starrköpfig widersprechen, allerdings warfen sie die Schlitzaugen die sie boshaft betrachteten, soweit aus der Fassung das sie Aiden für einen kurzen Moment ganz und gar vergaß. Es gab nur sie und den widerlichen Kerl, dessen fauliger Atem ihr ins Gesicht hauchte.
Sie stand, sich Blätter und Dreck vom Schoss wischend auf und spürte mit einem Mal das an ihr zerrende, unsichere Gefühl, als ihr bewusst wurde das sie vollkommen unbewaffnet war. Aiden sah es ebenfalls und ihm wurde endlich klar was ihm vorhin an ihr aufgefallen war, was ihm gefehlt hatte und das ihr Bild irgendwie verzerrt hatte wirken lassen.
« Wo ist dein Dolch? »,
Sie blickte gen Himmel, der bisweilen aus dunklen Wolken und zwischenzeitlichen bunten Tupfern der Abenddämmerung bestanden hatte und sich weiter verdunkelte und spürte die Kälte welche die Nacht mit sich bringen würde.


« Er liegt noch auf unserem Zimmer. », entgegnete sie und war sich nicht ganz sicher ob sie dies als klug oder dumm einstufen sollte.
« Am besten holst du sie... »
« Auf keinen Fall. Erst wenn wir mit diesem Mistkerl fertig sind. », unterbrach sie und fixierte Schlitzauge mit einem kalten, grünen Blick.
Dieser hatte währenddessen versucht sich aus seinen improvisierten Fesseln zu befreien und gab leichte Ächzgeräusche von sich, die bei ihrem stechenden Blick verstummten.
« Nun gut. », gab Aiden nach und wand sich dem Mann zu, der sich mit einem plötzlichen Schreck versuchte weiter gegen den Baum zu drücken.
« Angst? »
Ihm schien diese ganze Angelegenheit sogar noch Spaß zu machen.
« Nein. », antwortete der Mann und versuchte Aiden beißenden Blick zu entkommen und sah ausweichend auf den Boden.
« Solltet Ihr aber. » Ein hämisches Lächeln breitete sich wieder in seinem Gesicht aus das er eindeutig erkennen konnte, da er sichtlich zusammenzuckte.
« Hör auf damit. » , mischte sich Helen ein und trat vor.
« Los, sagt mir lieber was Steward Seymour in einem schäbigen Dorf wie diesem hier will. »
Völlig überrumpelt entgleiste Schlitzauge das Gesicht und gab eine Mischung aus Verwirrung und Angst preis die er schleunigst versuchte wieder zu überspielen.
« Ich weiß nicht wen Ihr meint, Miss. »
« Ihr wisst genau wen ich meine. » , schrie Helen als Antwort und packte den Mann am Kragen damit er sie ansehen musste. « Sagt es mir, sofort, oder ich lasse ihn auf Euch los.“ Den Ton keineswegs gemildert nickte sie Aiden entgegen der, nachdem Schlitzauge zu ihm herübergesehen hatte, seine Zähne entblößte und protzig die Arme verschränkte. Diese Drohung schien eine bestimmte Wirkung auf den Mann zu haben, leider keineswegs die Richtige und so sagte er gar nichts mehr, worauf Helen wütend mit dem Fuß aufstampfte.
« Gib mir deine Waffen. », forderte sie Aiden auf, worauf sich Schlitzauges Augen bis zum Maximum weiteten und seine Lippen übereinander presste. Aiden sah unbeholfen ihrem Ausbruch zu.
« Ich weiß nichts über ihn. », gab er flüsternd zu, worauf sich Helen zu ihm herunterbeugte.
« Ihr reist mit diesem Kerl und wisst rein gar nichts über ihn? », fragte sie ironisch und schob eine Augenbraue in die Höhe.
« Das stimmt. », pflichtete ihm Aiden mit einem plötzlichen trockenen Unterton bei. « Er war wie wir in dem Gasthaus, du hättest ihn sogar sehen müssen, er saß an einem Tisch in unserer Nähe und hat Karten gespielt. Er ist nicht mit den anderen gekommen. »
Helen musterte Aiden kühl, etliche Fragen lagen ihr auf der Zunge die ihn betrafen, doch sie wusste das sie kein Antworten erzwingen, geschweige denn erwarten konnte.
« Aber Ihr gehört zu ihm, richtig? », fragte sie beim zweiten Anlauf und spürte die Genugtuung die ihr zuteil wurde als sich sein Körper verkrampfte. « Also lasst hören. »
« Dreckige Hure. », entgegnete er und spuckte ihr einen widerlichen Schleimklumpen vor die Füße, worauf sie ihm ohne weiteres zögern mit der Faust einen Hieb ins Gesicht gab. Er stöhnte überrascht über ihre Kraft auf und spuckte ein zweites mal aus, diesmal um das Blut aus seinem Mund zu bekommen.
Der Schlag schien ihn unsicherer zu machen, seine Augen weiteten sich, sofern dies noch möglich war, und er fuhr sich immer wieder mit seiner Zunge über die Lippen und beobachtet sie dabei mit merkwürdigen Gesichtszügen.
« Hier », rief ihr Aiden zu und durch seine gezielten Wurf fing sie seine Waffe sicher auf. Sie war leichter als sie gedacht hatte und für einen Augenblick konnte sich nicht widerstehen sanft über die Scheide seines Dolchs zu streichen. Ein Räuspern seinerseits holte sie wieder in die Realität zurück und sie schob sachte, den Griff umfassend, die Waffe ein paar Zentimeter weit heraus.
Das Aufglitzern des geschmiedeten Metalls zog alle Aufmerksamkeit auf sich und Helen betrachtete es mit einem irren, mörderischen Blick der Schlitzauge keineswegs entging und scharf die Luft Einsogen ließ.
« Was seit Ihr? » , fragte er den Kopf, um der Realität zu entkommen, energisch schüttelnd und verkrampfte sich ein stückweit mehr, wodurch sich die Fesseln in seine Haut gruben.
« Ihr habt jetzt die Wahl. Entweder wir holen uns die Informationen selbst und Ihr werdet dafür...mpf. » Sie gab einen erstickenden Ton von sich der nichts Gutes verhieß « Oder aber Ihr erzählt uns ein bisschen und bekommt dafür eine Gegenleistung. »
Helen hatte seinen Angriff und die versuchte Vergewaltigung nicht vergessen und das Spiel ihn so unter druck zu setzten, versetzte sie in eine innere Extasse die sie mehr als genoss.
Er las ihr diesen Ausdrucks mitten aus dem Gesicht und deutete es als puren Wahnsinn. Dennoch ließ er den Kopf hängen, nuschelte etwas undeutliches und gab schließlich klein bei.
Im Grunde war alles ein simpler, fast schon dummer Plan. Er hatte Seymour während eines Aufstands in Edinburgh kennen gelernt, wo er nur knapp dem Tod durch erhängen entkommen war. In seinem Unglück - Helen schnaufte verächtlich an diesem Punkt der Geschichte - hatte er sich einer Gruppe radikaler Widerstandskämpfer angeschlossen, jedenfalls hatten sie sich als solche ausgegeben, und war mit ihrer Hilfe nicht nur wieder an Hab und Gut gekommen sondern auch heil aus der Stadt entkommen. Sein eigentlicher Beruf, wenn man es denn so nennen konnte, war das Glücksspiel, doch seine neue Aktivität ließ ihn nicht nur zu mehr Geld und Mittel kommen, er wurde dank seiner neuen Begleiter nicht mehr erwischt.
« Es ging mir natürlich zu weit als sie anfingen zu morden. », erzählte er und hoffte auf eine mitfühlende Geste. Als ihm diese nicht gewährt wurde, berichtete er ausdruckslos weiter.
Die so genannten Aktivitäten waren nichts weiter als, Plünderei, Schmugglerei und wie er schon betont hatte das Morden. Ihr Anführer, bzw. Auftragsbeschaffer war Steward Seymour, den er erst nach einigem Hin und Her kennen gelernt hatte. Denn die Truppen waren gut organisiert. Man teilte sich immer in Zehn bis Zwanzig Mann große Trupps, die je nach Auftrag und Gefährlichkeitsgrad speziell gerüstet waren und sich nach erfolgreicher Tat mit einigen anderen wieder treffen sollten um Beute und Informationen so schnell wie möglich auszutauschen.
« Ich habe wirklich nicht viel mit Seymour zu tun. Wir besprechen nicht mehr als.... »
« Das hat sich für mich allerdings vorhin anders angehört. Ihr hattet ein nettes Schwätzchen. », unterbrach Helen skeptisch und fixierte ihn.
« Na ja, es war mehr eine kleine Auseinandersetzung. Ich kenne den Mann nicht, wollte meine Grenzen ausprobieren. », verteidigte er sich in aller Logik und zuckte mit den Axeln.
« Was sollte das mit dem Leichnam? » Aiden trat vor und wirkte nicht minder einschüchternd als Helen. Ihre Methoden waren fragwürdig, dennoch schienen sie auf den Mann einen gewissen Einfluss auszuüben, was Aiden gar nicht so sehr genehm war. Helen durfte nicht mehr über Seymour in Erfahrung bringen.
« Leichnam? », fragte diese bestürzt und blickte ihn fragend an.
« Ja, sie hatten ihn schon weggeschafft als du herauskamst. »
« Also? »
« Also was? Ich weiß nicht was sie damit vor haben oder hatten. Manchmal wollen sie damit die Leute warnen oder verschrecken. Kann auch sein das es einer ihrer eigenen Leute war. Was soll ich also sagen? » Er blickte hilfesuchend von einem zum anderen und ließ es sich nicht nehmen sich kampflustig zu räuspern.
« Wie wäre es mit mehr Informationen? »
Er gab ein würgendes, ablehnendes Geräusch als Antwort das sie leicht verstörte, es sich aber nicht anmerken ließ.
« Lass ihn endlich in Ruhe, er kann dir nicht mehr sagen. Das ist jetzt unwichtig, wir sollten uns um andere Dinge kümmern. », unterbrach Aiden und verschränkte genervt die Arme, worauf Helen sich ihm mit wehenden Haaren zu wand.
« Ich weiß selbst was wichtig ist und was nicht. » , zischte sie ihm entgegen und riss ihren Kopf wieder in Schlitzauges Richtung, ohne das Aiden etwas hätte sagen können.
« Also was wollen die Männer hier ? »
« Mann, glaubt mir halt, ich weiß es nicht. Sie wollten irgendwen treffen, einen Verbündeten oder so, irgendeinen Henderson. »
Die Worte ließen sie schlagartig erstarren. Aiden machte Anstalten sich auf sie zu zu bewegen wurde aber durch ihre ablehnende Hand die sie ihm auf seine Reaktion entgegen hielt ruckartig gestoppt.
« Was ist los? »
« Henderson - Ferguson, das ist unmöglich. »
Aiden der langsam Begriff, wen sie damit meinte, erstarrte ebenfalls, konnte sich daraus aber keinen Reim machen.
« Ich weiß was du jetzt denkst, aber es muss nicht unbedingt so sein. », sagte er flüsternd, aus einem ihm unbekannten Grund, ein merkwürdiges Gefühl warnte ihn und er ging ein paar Schritte abseits von dem gefesselten Mann. « Dieser Kerl lügt, warum sollte sich Seymour mit Ferguson treffen? Oder falls das ein Irrtum ist, warum sollte Ferguson überhaupt hier sein? Du hattest gesagt er wäre in London. »
« Nein, mein Onkel hat das behauptet. »
« Helen, das ist -»
« Es ist nicht sehr weit bis zu den Conners. Da Seymour ein Bekannter meines Onkels ist, wird er ihnen mit Sicherheit die Aufwartung machen. Viel mehr glaube ich sogar das Mr Conner, einer der Geldgeber ist.... », nuschelte sie und sah kalkulierend zum Boden.
« Vergiss es, wir haben keine Zeit dazu. », machte Aiden ihre Vorstellungen zunichte und warf dem nun interessierten Mann einen misstrauischen Blick zu.
Dennoch ließ sie sich nicht beirren und fuhr immer wieder mit ihren Händen über seinen Dolch, aus Nervosität oder Kampfeslust konnte er aufgrund ihrer verschleierten Gesichtzüge nicht sagen, als ihm bewusst wurde, dass sie ihm gar nicht zuhörte. Mit einem verzweifelten Ruck griff er nach ihren Schultern, zog sie zu sich und musterte sie grimmig.
« Wir haben keine Zeit. », wiederholte er und hielt sie weiterhin fest.
« Unstimmigkeiten? », schnitt eine verhöhnende Stimme ihr das Wort ab und sie blickte gleichzeitig mit dem Soldaten auf den noch immer gefesselten Mann.
« Nein », versicherte ihm Helen, befreite sich aus Aidens gut gemeinten Griff und ging zu ihm zurück.
« Was will Seymour von Ferguson? Warum gerade hier? »
« Pah, keine Ahnung, Verehrteste. », gab er provokant zurück und fixierte sie mit einem dreckigen Grinsen, das Aiden innerlich kochen ließ.
« Du glaubst ihm doch nicht? », verlangte er zu wissen und trat widerwillig neben sie.
« Habe ich eine andere Wahl? Wohl kaum, komm also mit mir oder lass es. Du weißt was mir lieber ist.“
« Natürlich weiß ich es, doch es ist sinnlos, wir haben alles in der Gaststätte zurück gelassen, zudem würde es uns einfach zu viel Zeit kosten, hörst du mir überhaupt noch zu? »
Während seiner Worte hatte sie ihm unhöfflich den Rücken zugekehrt, den Kopf nachdenklich gen Himmel gewandt.
« Es wird bald vollkommen dunkel. », sagte sie, seine Worte ignorierend.
« Wie schön. », gab er keifend zurück. « Und jetzt hör auf damit, es ist sinnlos. »
« Ich habe dich bereits vorhin verstanden und es ist nicht sinnlos. Allein die Möglichkeit ist Grund genug. Sollte Ferguson hier sein, warum sollte ich dann noch nach Derby reisen? »
« Weil Seymour dich vorher umbringen lässt. Du müsstest allmählich ahnen wie skrupellos und abartig dieser Mann ist. »
« Wie mir scheint, weißt du es sogar noch besser. », sie sah ihn scharf an. « Ich habe nicht vergessen das sie hinter dir her waren. Ich habe gesehen, wie sie dich verfolgt haben, wie dir die Angst ins Gesicht geschrieben war. Doch ich frage dich nicht danach. Ich muss zu Ferguson, er ist mein Verlobter, verstehst du das denn nicht? »
Das wollte ihm zwar einleuchten, aber um Gottes willen nicht gefallen. Zudem war er müde, sein Magen gab protestierende Laute von sich und auf eine Diskussion war er so oder so nicht besonders scharf, denn er konnte es sehen. Den Kampfwütigen, nicht beirrbaren und sturen Ausdruck der sich über Helens Gesicht zogen und ihr deutlich an ihrer Haltung abzulesen war.
Sie sah aus wie eine wild gewordene Katze der man ihre Jungen geraubt hatte und die nach Rache sühnte. Nichts würde sie aufhalten, bis zu dem Zeitpunkt an dem sie bekam was sie verlangte. Ihre Körpersprache war mehr als unweiblich und untypisch für sie.
Sie war überlegen, hinterlistig und auf eine Art liebenswert, feminin und liebreizend gewesen, wer war dieses sture Monstrum vor ihm? Widerwillig schüttelte er seinen Kopf um sich der wirren Gedanken zu entledigen. Er sah es ihr an, er hatte keine Wahl. In jedem Fall würde sie gehen, mit ihm oder ohne, es war ihr gleich.
« Geht ruhig, geht. Seymour wird schlimmere Dinge mit Euch machen als ich es vorhatte », sagte Schlitzauge in die plötzliche Stille hinein. Die Antwort folgte prompt und Helen gab einen so heftigen, donnernden Ausruf von sich das es Aiden kalt den Rücken herunter lief. Kannte er diese Frau überhaupt?
Darauf folgte ein verächtliches Geräusch des Mannes und Helen ging, den Mann in der aufkeimenden Dunkelheit des Waldes irgendwann aus Sicht und Gedanken verlierend. Aiden folgte ihr mit verächtlichen Gedanken.
15. Fatale Konfrontation

« Du läufst einem Hirngespinst hinterher Helen. », sagte Aiden und schüttelte verständnislos für ihr Unterfangen den Kopf.
« Das ganze Leben ist ein Hirngespinst. », konterte sie kühl und sah sich um.
In zügigem Tempo gingen sie einen breiten Pfad entlang. Der Himmel war einem dämmrigen hellblau gewichen und einzelne leuchtende Punkte die gut als Sterne durchgingen, sprenkelten diese, wie kleine, zufällige Tapsspuren. Vom Mond war nichts zu sehen, doch das knappe Licht und der, durch die helle Farbe, sich vom düsteren Waldrand abgrenzende Weg, half ihnen sich zu orientieren.
« Kannst du etwas ausmachen? », fragte sie, als die von Licht durchfluteten Fenster ihr Interesse weckten. Zwar waren diese noch weit entfernt und mehr als schwarze Konturen waren nicht von dem Anwesen der Conners zu sehen, doch lag deutlich der Geruch nach Abendessen in der Luft. Aiden konnte sich nur schwer beherrschen.
« Ich finde es sieht alles recht gewöhnliche aus. Wahrscheinlich eine belanglose Gesellschaft. »
« Trotzdem können wir nicht einfach hineingehen. Lass uns darauf hoffen, das ich jemand Bekanntes treffe. »
Sie war zu einem mehr als merkwürdigen Punkt gekommen, der sie innerlich aufleben, körperlich aber immer schwächer werden ließ und sie die Ebene die diese beiden Merkmale verband nicht mehr ganz kontrollieren konnte. Sie war sogar zum zerreißen gespannt und obwohl sie den ganzen Tag nur ein Bier zu sich genommen hatte fühlte sie sich nicht hungrig sondern einfach nur flau, wie als wenn sie eine noch nicht ganz ausgeheilte Grippe mit sich herumschleppen würde
« Eine Hoffnung ist zumindest ein Anfang. », knurrte er und blickte zu ihr hinüber. Was tat er hier? Zuerst floh er vor Seymour und jetzt stieg er ihm nach? Er hatte große Lust, Helen einfach niederzuschlagen, sie sich zu packen und sie gewaltsam nach Derbyshire mitzuschleifen, hegte aber große Zweifel daran, dass er ihren daraus resultierenden Wutausburch überleben würde. Schön und gut, dachte er und wischte sich über Rock und Hemd, durchwühle seine Haare und rubbelte sein Gesicht. Wenigstens konnte er nicht erbärmlicher aussehen, als er es bereits tat. Langsam überkam ihn das Gefühl, dass sich sein Pflichtgefühl, dem Mädel zu helfen, zielstrebig verflüchtigte. Was würde er tun wenn er abermals auf Seymour traf? Er hatte bereits mit dem Gedanken gespielt ihn umzubringen. Es würde schnell gehen. Ein Schnitt durch die Kehle, eine Kugel aus seiner Pisolte, oder ein Dolchstoß mitten unter...
« Ich bereite dir einen ziemlichen Ärger. », sagte Helen und zog eine Grimasse.
« Ärger hört sich noch relativ harmlos an. Aber hör her, ich habe dich dort unten im Dorf in Gefahr gebracht. Es ist meine Schuld gewesen und ich bin dir zumindest schuldig, dass ich mein Wort halte und dich bis zu diesem Ferguson bringe. Ob in Derbyshire oder nicht. »
« Das ist schön zu wissen. », entgegnete sie leise, ohne den Blick vom Boden abzuwenden. « Lass uns einfach versuchen diesem stinkenden Bastard nicht zu begegnen. »
Eine schwüle Hitze hatte sich ausgebreitet, dass ihnen bereits sämtliche Kleidungsstücke widerlich an den Körpern klebten. Die Einfahrt und das Haupttor rückten näher und schon bald sahen sie wie sich die Vordertür kurz öffnete und wieder schloss.
Helens erhoffte Bekanntschaft, war zwar kein Gentleman oder eine Dame, geschweige denn jemand der Familie Conner, doch erwies sich der Stallbursche, als ebenso informativ, als er sie von früheren Besuchen wieder erkannte.
Er war gerade dabei das Pferd eines Herrn zu den Ställen zu führen, als sie ihm unauffällig folgten. Auf halber Streckte, sprach Aiden ihn an. Erschrocken fuhr der junge Mann herum, beäugte die Gestalten und senkte dann seinen Blick. Ein kurzer Gruß an die Dame, dann ergriff Aiden dass Wort.
« Ich fürchte ich komme mit einer recht ungewöhnlichen Bitte von meinem Herrn. », sagte er und verbarg seine Abscheu nicht. Der Stalljunge blickte verwirrt zu ihm hinüber, musterte Helen kurz und zuckte kurz zusammen, als er ihren stechenden Blick begegnete.
« Wer ist Euer Herr, Sir? »
« Tja, ich fürchte, er ist heute nicht sehr guter Laune. Du weißt ja wie das mit den reichen Gentleman von Heute ist, kommen sie einmal zu Geld, glauben sie ihnen würde das ganze Land gehören. »
« Wie wahr. », meinte der Bursche und ein unsicheres Lachen ließ seine Schultern beben.
« Nun gut, mein Herr : Mr Henderson, fürchtet um sein Pferd. »
« Sein Pferd? Mr Henderson? » Er überlegte, zog die Augenbrauen hoch und schien dann eine befriedigende Erinnerung gefunden zu haben.
« Aber ja, natürlich, sehr von sich eingenommen, der Mann, wirklich Sir. Aber kam er nicht mit einer Kutsche? »
« Das habe ich doch gesagt. » , sagte Aiden und half mit ein wenig angehobener Stimmte seiner Autorität auf die Sprünge.
« Mr Henderson fürchtet sie könnten entwendet werden. Halunken und Diebe laufen hier Nachts unbehelligt herum. Sorg dafür das die Tiere in Sicherheit sind. Und noch etwas, ist heute Abend ein Herr namens Seymour im Hause Conner? Mein Herr ist dem Mann ein guter Freund. », fügte er noch hinzu und bekam schnell eine nickende Antwort.
Helen schenkte Aiden ein warmes Lächeln, hakte sich bei ihm ein und ging dann mit ihm in Richtung Eingangstür.
« Ich hoffe du weißt, dass wir beide tot sind, wenn uns Seymour sieht. »
« Dessen bin ich mir allmählich bewusst. »
In der Einganshalle begrüße sie ein Bediensteter, der ihren unschicklichen Aufzug zwar bemerkte, jedoch kein Wort darüber verlor. Aiden führte an, dass es von äußerster Wichtigkeit wäre, sofort mit Mr Henderson zu sprechen, während sie stur im Eingansbereich verharrten. Der Diener sah sie fragwürdig an, widersprach aber nicht, sondern eilte schleunigst davon.
« Ist dir nicht gut? », fragte Aiden nach einer Weile.
« Es geht schon. », erwiderte sie und presste sich den Handballen gegen die Stirn, ein pochender Kopfschmerz hinderte sie daran klar zu denken und für ein paar Sekunden schloss sie die Augen. Gedämpftes Gerede hallte bis zu ihnen vor, eine Mischung aus Lachen, übertriebenen Darstellungen und höflichen Danksagungen. Zwischenzeitlich hörte man das Klirren der Gläser und Flaschen, während der Geruch nach Kartoffeln und Lammkotelette schwer in den Räumen lag. Die hell beleuchteten Räume, waren übermäßig aufpoliert worden. Landschaftsgemälde ruhten in goldenen Rahmen, Kerzenständer, Schmuckkästchen und Blumen in chinesischen Vasen, ruhten auf etlichen Kommoden und ein üppiger Kronleuchter, funkelte im goldenen, sanften Licht, dass er hier und da eine kleinen Regenbogen projizierte.
Als Aiden mit seiner Bestandsaufnahme der noblen Eingangshalle fertig war, erblickte er den Steward, der mit ausdrucksloser Miene die Treppe hinunter kam und auf sie zuhielt.
« Mr Henderson ist leider mitten in einer wichtigen Unterredung. Wenn die Herrschaften warten möchten? »
« Das ist sehr freundlich. », erwiderte Aiden und sie folgten den Mann in das obere Geschoss.
« Wichtige Unterredung? Wenn Finn hier ist, müsste er längst wissen das ich auf Kincaids ridge bin - sein sollte... », verbesserte sich Helen, als der Bedienstete gegangen war.
« Gut möglich das er noch gar nichts davon weiß – oder erst seid kurzem, jedenfalls werden wir bald mehr wissen, mach dir keine unnötigen Sorgen. »
Das tu ich schon zu genüge, dachte sie und konnte sich nicht davon abhalten vor dem Zimmer, vor dem sie warteten, auf und ab zu gehen.
Aiden hatte wahrlich genug Probleme am Hals und hoffte das diese Sache hier schnell ein glückliches Ende nehmen würde. Einer der Gründe warum er Helen begleiten wollte, war das er sie durch seinen Aufenthalt in ihrem Haus, in Gefahr gebracht hätte, wie er zynisch anmerken musste war dies nun leider auch so der Fall. Schlitzauge musste ihr etwas angetan haben...dann Seymour....er wusste nicht was er ihr erzählt hatte, doch dass was er angeführt hatte, nachdem er zu ihm in den Stall gekommen war, hatte ihm gereicht. Die Gedanken an seine kurzweilige Gefangenschaft verdrängend, wurde ihm mehr als unwohl.
Der Schweiß brach ihm trotz der angenehmen Raumtemperatur aus und seine Augen fingen an zu tränen. Ruckartig blickte er sich um, erspähte einen angrenzenden Balkon und ging zu den Glastüren hinüber. Kurz fummelte er an dem Öffnungsmechanismus herum, dann schritt er hinaus und spürte kühlenden Wind auf seiner Haut.
« Da, der Mond. », sagte Helen, die ihm gefolgt war und deutete hinter eine dunkle Ansammlung von Bäumen.
« Das sind vielleicht unsere letzten Augenblicke allein. »
« Ja, so ist es wohl. Ich....möchte dir danken. Ich weiß das du kein Soldat bist und offensichtlich in großen Schwierigkeiten steckst, trotzdem hast du mir geholfen. »
« Es war ein Befehl, dem ich folge geleistet bin. Diese Sache jetzt, beruht auf anderen Gründen. »
Sie lächelte ihn verstohlen an und berührte seine Schulter. Gerade wollte sie sich ihm zuwenden, als sie den Atem anhielt.
« Man kann in den Raum hineinschauen. » , murmelte sie und ging bis zum äußersten Rand der Balustrade.
« Ist Henderson in dem Raum? », fragte er leise, aus unbeabsichtigter Vorsicht, man könnte ihn hören.
« Ich weiß nicht. » Sie reckte ihren Hals um besser sehen zu können und wurde dann von Aiden zur Seite geschoben, der größer als sie war und besser sehen konnte.
« Seymour. », sagte er und Helen meinte, einen hasserfüllten Unterton in seiner Stimmte zu vernehmen.
Ein drängendes Gefühl umfing ihn, welches er nicht ignorieren konnte. Er versuchte sich eine Ablenkung zu schaffen um der Hilflosigkeit zu entkommen die ihn wie ein paar steinerne Mauern umschlossen, sah sich aber einem Abgrund nahe. Was tat Seymour um in ihm ein psychisches Chaos zu entfachen?
Sich über sein glühendes Gesicht fassend, nahm er zwei weitere Männer in dem Raum wahr.
Überhaupt schien in und an ihm alles zu glühen, seine Hände pochten und er fühlte den Schweiß auf seiner Stirn, der ihm die Haare verklebte, ebenso wie seine Kleidung die ihm feindselig an der Haut klebte.
« Dort sind noch weitere Männer, ich kenne Ferguson oder Henderson oder wie auch immer nicht, allerdings werde ich ihn wohl gleich antreffen, es sieht so aus, als würden sie das Gespräch beenden. Nein warte -»
Vorsichtig versuchte er näher an das Fenster zu gelangen und beugte sich waghalsig über die Balustrade, doch Helen zog ihn verärgert zurück.
« Wenn sie gleich herauskommen, werden wir hier warten und sie beobachten. Seymour darf uns nicht sehen. Vielleicht gibt es eine weitere Chance mit Finn in Kontakt zu treten, aber ich möchte nicht unser beider Leben riskieren. »
« Was zur Hölle bespricht er dann mit diesem Dreckskerl? »
« Woher soll ich das wissen? »
Die Tür des Raumes ging plötzlich auf und drei Männer kamen heraus. Der erste war Mr Conner, dem ein zweiter unbekannter Mann folgte, dann ein dritter, der ebenfalls nicht zu ihren Bekannten zählte.
« Das ist nicht Ferguson. », sagte sie halb wütend zu Aiden, doch dieser hörte ihr nicht zu. Er beobachtete die Männer und ein seltsamer Ausdruck legte sich über sein Gesicht. Einige Sekunden behielt er noch die Nerven und nickte dann resigniert. Er hatte jetzt die Chance – jetzt oder nie. Zuerst hatte er den dritten Mann für Seymour gehalten, doch da es ein ihm unbekannter Herr war, den er offensichtlich übersehen hatte, musste der Mann noch dort sein, wo er ihn zuletzt gesehen hatte.
Was als nächstes geschah konnte Helen nicht genau sagen. Es kam einem in Zeitlupe verlaufenen Albtraum sehr nahe. Sie konnte sich nicht bewegen, doch alles um sie herum war in wüster Aufregung. In ihrem Augenwinkel erkannte sie eine rasche Bewegung und eine Welle der Übelkeit überfiel sie.
« Was machst du da? » , schrie sie im nächsten Moment und drehte sich um Hundertachtzig Grad, dem sehr stillen Aiden zu. Da ihr niemand antwortete ging sie mit zwei hastigen Schritten zu ihm. Sie hatte vor ihm eine zu verpassen, ihn notfalls anzuschreien, damit er sich bewegte, doch noch bevor sie überhaupt registrieren konnte was ihn zum dem Schweigen bewegt hatte, war er in den Flur gestürmt; wort- und ausdruckslos.
Seinem schlechten Beispiel folgend, hechtete sie hinter ihm her und glaubte im nächsten Moment in Ohnmacht zu fallen.
Das Glücksgefühl verpuffte lautlos, welches sie bei Finns wahrscheinlicher Anwesenheit verspürt hatte. Und hätten sie nicht die Müdigkeit, der brutale Hunger und ihre blanken Nerven in die Knie gezwungen so war es doch der Anblick der sich ihr jetzt bot.
Es war eine aussichtlose Situation, hilflos und aufgewühlt fummelte sie sich an ihren Haaren herum nur um etwas zu tun, fasste sich über das Gesicht und versuchte so gut wie möglich ihren Wunsch zu unterdrücken Aiden jetzt gleich hier und sofort an die Gurgel zu springen.
Vor ihnen stand Steward Seymour der nicht minder überrascht dreinblickte und jetzt da er langsam begriff umständlich an seinem Waffengürtel herumfingerte. Mehr noch es schien sich Angst in Form von einem plötzlichen Schweißanfall über ihn her zu machen und seine kleinen Augen verengten und weiteten sich so unnatürlich schnell das sie kurz selbst die Augen schloss nur um sicher zu gehen, dass sie sich das nicht einbildete, doch das tat sie nicht. Was war mit Aiden los?
« Ich hätte nicht gedacht das wir uns noch einmal wieder sehen. », sagte Seymour nachdem er notgedrungen aufgehört hatte an seinem Gürtel herumzufummeln und sich jetzt verwirrt aber dennoch entschlossen und um einem gleichgültigen Gesichtsausdruck bemüht wieder aufrecht stellte.
Helen klappte der Mund auf. Er schloss sich wieder mechanisch und öffnete sich abermals, jedes Mal ohne das ein Laut daraus hervordrang. Sie kam sich vor wie ein Fisch der es nicht verstand im Wasser zu atmen.
« Ich dafür umso mehr. », antwortete Aiden, worauf Helen die diese Worte auf sich einwirken ließ einen entsetzten Schritt von ihm weg tat. Was war über ihren Begleiter gekommen?
« Du kennst ihn also tatsächlich? », fragte sie und wand ihren Blick nicht von seinem unruhigen, halb verzehrten Gesichtsausdruck. Zwar war ihr längst bewusst gewesen, das sie einander kennen mussten, da Aiden vor seinen Kumpanen geflohen war und wie er zuvor bewiesen hatte, einen großen Hass ihm gegenüber verspürte, doch traf sie der Beweis recht hart.
« Das ist -», wollte er ansetzten, doch sie baute sich jetzt vor ihm auf ohne ihn aus den Augen zu lassen und unterbrach ihn wirsch.
« Steward Seymour, Sie verlogener Mistkerl. »
« Was? » Entgeistert zog Aiden die Stirn kraus und vergaß für eine kurzen Augenblick sein Vorhaben. Helen hin oder her, er musste Seymour nun konfrontieren.
Seymour der die beiden mit mangelndem Interesse beobachtet hatte, witterte die kommende Gefahr wie ein Spürhund und wich vor ihnen zurück, wodurch er das Geschehen entgegen seiner Vorstellungen wieder auf ihn lenkte.
« Lass mich in Ruhe, Dämon. », drohte er und hob schaulustig seine geballten Fäuste, bis er bemerkte das er Waffen trug. Umherwirbelnd senkte er seine Hände wieder und tastete erst seinen Dolch, dann seine Schusswaffen ab.
« Was soll das ganze? », schnitt Helen die Luft in einem Messerscharfen Ton und fixierte Seymour, der leicht nervös mit eine seiner Pistolen umklammerte.
« Du? », fragte er plötzlich völlig hirnlos und streckte den Kopf nach vorne um sie besser sehen zu können. Er musterte sie eingehend, scheinbar mit einem erschreckenden Ergebnis was ihn die Waffe zücken ließ.
« Ihr beide? Was soll das ganze? Seid ihr hinter mir her? », forderte er zu wissen und richtete die Pistole zielsicher zwischen sie.
« Als wärt Ihr so wichtig, Sir. », sagte Aiden trocken und machte einen kleinen ironischen Diener, den er mit einem irren Lächeln abrundete, der ihn vollkommen aus der Fassung brachte.
« Ich dachte meine Mänenr hätten sich um Euch gekümmert, Black. Aber ihr plant etwas, ich habe doch recht. Was wollt ihr also? Mein Land? Oder nein, ihr wollt Lösegeld für mich oder nur Informationen. Ha, vorher töte ich euch. »
« Wovon redet der Kerl? », bohrte Helen nach und ließ Aiden nicht aus den Augen, während sie Seymour weitgehend ignorierte. Als Antwort bekam sie nur ein schwaches Axelzucken und einen Blick der ihr andeutete sie sollte lieber ruhig sein worauf sie anfing lauthals zu fluchen.
« HÖR auf damit. », schnitt er ihr prompt das Wort ab und machte einen Schritt auf sie zu um sie zu fassen zu bekommen.
« Es ist dein Verschulden das wir hier sind! »
Diesmal verstummte sie und sah gerade ebend nur noch wie Seymour der mit einem Satz näher an sie heran sprang den Lauf der Pistole umklammerte, abwartete bis ihm ein Schweißtropfen von der Stirn herunter lief und anschließend schoss.
Der Knall sauste an ihr vorbei, so überraschend und beängstigend das ihr das Blut in den Adern gefror und ihr für einen kurzen Moment das Herz aussetzte.
Auf wenn hatte er gezielt? Oder getroffen?
« Aiden? », fragte sie zögernd und nachdem sich ihr Blut beruhigt und seinen normalen betrieb wieder aufgenommen hatte. Dieser blickte ihr ebenso erschrocken entgegen, während sie sich still gegenseitig beäugten. Im nächsten Moment brach die Hölle los.
Als Seymour bemerkt hatte das sein Mordversuch gescheitert und die Kugel die Tür durchbohrt hatte, schrie er aufgebracht vor sich hin und versuchte seine Waffe neu zu laden. Gebrüll strömte jetzt von überall auf sie ein, Männerstimmen schrieen stürmisch herum, Leute polterten über die Treppe. Fußgestampfe, Schreie, Befehle und Geklirre von Waffen schollen von überall her als wären sie im Zentrum eines Schlachtfelds, im Auge eines donnernden Sturms, der ihnen die Körper zerfetzen würde.
Auch sie stürmten los.
In einer unausgesprochenen Übereinkunft liefen sie ans andere Ende des Raumes, direkt an Seymour vorbei der sie vergeblich versuchte aufzuhalten und weiter ins unbekannte Dunkle.
Und es wurde nicht besser. Das Geschrei der aufgebrachten Menschen verstummte nicht und verfolgte sie wie ein verwünschtes Geisterschiff. Mehr und Mehr Männer schienen ihre Spur aufgenommen zu haben. Sie gelangten bis in einen Steingarten ohne das sie auf jemanden trafen und versteckten sich hinter einer großen Rotfichte. Seymour war knapp hinter ihnen gewesen, entdeckte sie und schrie unschöne Dinge die in seinem eigenen Wutausbruch unter gingen. Der Mann hatte die totale Kontrolle verloren, über sich und die Situation. Aiden nutze diese sprang mit einem gewaltigen Satz in seine Nähe, schrie und zog sein Schwert, worauf der Mann erschrocken von ihm wich.
« Ich habe dich zweimal gekriegt ich werde es wieder tun, du Sohn eines räudigen Köters. » , keuchte er und presste sich vom anstrengenden Verfolgen die Hand gegen sein hämmerndes Herz. « Wo ist das Mädchen? », fragte er plötzlich und sah sich um, doch es war zu spät. Helen war von Hinten an ihn heran gelangt und stieß mit Aidens Dolch nach ihm. Sie erwischte nur Luft.
Dann stürzte sich Aiden auf ihn. Sie rollten sich hin und her, während dem menschlichen Paket aus Armen und Beinen fluchende und stöhnende Geräusche entwichen.
Seymour gab plötzlich einen erstickenden Ton von sich und krümmte sich unter Aiden, der ihm mehrere Male ins Gesicht schlug und schwer atmend über ihm trohnte.
« Elender Feigling, wo sind deine Männer und deine Waffen jetzt? », fragte er scharf und verstärkte seinen brutalen Griff, sodass er vor Schmerz das Gesicht verzog.
« Keine Zeit. », schrie Helen ihm entgegen und ihre Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde; wütend und schicksalsergeben. Dennoch ließ er ihn mit einem Ruck der seinen Kopf gegen den Boden schmiss, frei. Die ersten Männer erreichten sie.
Panik drohte Aiden zu überkommen, der mit Helen durch den Garten sprintete.
Das Stimmengewirr wurde lauter und er fühlte das Adrenalin in jeder seiner Bewegung durch seine Adern rasen. Jedes Mal ein kleiner Stoß voll mit Energie. Seine Sinne fühlten sich unnatürlich geschärft an und er sah die Szenerie viel mehr so vor sich, als wäre er ein unbeteiligter Zuschauer. Doch kaum hatten sie die Mauer des Gartens erspäht, drangen ihnen von Hinten die erbosten Rufe ihrer Feinde entgegen.
Verdammt war sein einziger klarer Gedanke für den Moment und als hätte Helen im gleichen Augenblick das exakt gleiche gedacht, rannten sie wild entschlossen weiter, um die rettende Mauer zu erreichen.
Das letzte Stück hastete er leichtfüßig, sein Gewicht exakt balancierend, aber leicht gebeugt und die Arme schützend an seine Seiten gepresst.
Die Mauer war nicht sehr hoch und sie kletterten hinauf, dann sprang er hinunter und ein erleichterter Seufzer entfuhr ihm, als ihm Helens vertrautes Gewicht entgegen sprang.

Die Stimmen und geballten Rufe wurden leiser, verstummten jedoch nicht, sondern ließen sich vom Wind durch die alten Gemäuer des Hauses zu ihnen tragen.
Der Mond, eine leuchtende Sichel am zornig, dunklem Himmel, spendete ihnen tröstendes Licht, das weiß auf dem verstaubten Fußboden, durch den kleinen Spalt, den man kaum ein Fenster nennen konnte hereinlugte.
Sie hatten sich nachdem sie erst einmal dem Garten entkommen waren, gleich einen Überblick geschaffen und sich dazu entschlossen weitgehend fern vom Haus zu verweilen, jedoch nicht gleich herauszutürmen.
« Schlechte Idee », murmelte Helen und betrachtete die morschen Balken und das alte Holz der Hütte.
« Das weiß ich selbst. », antwortete Aiden gereizt und lehnte sein Gewicht erneut an eines der Fässer, um seine Pobacken zu entspannen.
Sie hatten dicht neben den Stallungen mehrere alte Hütten gefunden, die neben Sattel- und Zaumzeug, Kistenweise, Whiskey, Rum und Wein, sowie altes stinkendes Heu und eine Reihe von Geräten für die Arbeit auf einem Feld beherbergten. Nun diente es ihnen als Schlupfloch, während sie wachsam das abnehmende Treiben des Haupthauses beobachteten, sich aber weitgehend versteckt hielten.
Nachdem ihnen das aufpuschende Adrenalin versiegt war, kehrte die Müdigkeit und der Hunger zurück und er spürte, wie sich seine Muskeln unschön anspannten. Ein ekelhafter Klumpen lag ihm im leerem Magen. Er piff langsam die aufgestaute, verbrauchte Luft aus seinem Körper und versuchte weitgehend die muffigen, vergammelten Gerüche des Innenraumes zu verdrängen und sich auf den Mond oder Helen zu konzentrieren die beide lauernd in seinem Rücken saßen.
« Kannst du das mal für eine Sekunde lassen? » , fragte er an sie gewandt und machte eine genervte Miene. Sie stoppte sofort in ihrem Auf- und Abgehen, welches ihm bereits Kopfschmerzen verursacht hatte und blickte beleidigt zurück. Ihre Gedanken schienen sich um exakt das Gegenteil von dessen was Aiden dachte zu drehen und so verwunderte ihn ihre nächste, herausfordernde Frage nicht so sehr, wie sie es eigentlich hätte tun müssen.
« Lass uns noch einmal hinein. »
« Auf keinen Fall. », erwiderte er prompt, fasste sich über sein Gesicht und fuhr sich anschließend gestresst durch seine wirren Haare.
« Ich bin mir sicher das wir es schaffen könnten. Wir müssen es riskieren. »
« Nein, falls du es noch nicht bemerkt hast ist das ganze Haus auf den Beinen und zwar wegen uns. Sie werden noch die ganze Nacht lang nach uns suchen und nicht eher aufgeben bis sie uns gefunden haben. »
« Dann sind wir hier auch nicht mehr lange sicher. »
« Vorerst schon und jetzt HÖR auf, du willst dich doch nur wieder auf die suche nach diesem Ferguson machen. »
Seine gebieterischer Ton verschreckte sie zuerst und die Sprache versiegte ihr, bis ihr klar wurde das Aiden sie noch niemals zuvor, so behandelt hatte. Er hatte zwar diskutiert und hier und da herumgemeckert und sich geweigert, aber ihr niemals etwas befohlen oder die Macht, wenn man es so nennen konnte an sich genommen. Doch bei dem Wort Ferguson schellten ihre Alarmglocken und sie biss entschlossen die Zähne zusammen, als stände ihr ein brutaler Kampf bevor dessen Ende noch lange nicht in Aussicht war.
« Woher kennst du ihn? », fragte sie vorerst ruhig um ihm eine Antwort zu entlocken.
Natürlich wusste er sogleich wer gemeint war, ließ sich aber nicht beeindrucken sondern schüttelte ihre Frage mit einer kleinen zuckenden Bewegung ab.
« Tu nicht so! Er hat sich ja wohl mehr als nur beunruhigt durch deine Gegenwart gezeigt, ihr kennt euch. Drück dich nicht vor den Tatsachen, ich weiß das du in dem Dorf vor Seymours Männern geflohnen bist »
« Wir kennen uns, ja in der Tat. » , gab er hastig zu und reckte seinen Kopf, als wollte er nach etwas bestimmten Ausschau halten.
« Und? »
« Und was? »
« Du weißt was ich meine. Es war ja nicht so, als wenn er meine Gegenwart sehr geschätzt hätte, aber du hast ihn völlig aus der Fassung gebracht. »
« Habe ich das? », fragte er ironisch und ein Hauch von einem Lächeln huschte über sein Gesicht. « Das war nicht beabsichtigt. », fügte er kurz gebunden hinzu und drehte seinen Kopf um sie besser sehen zu können. « Tatsache ist doch dass du diesen Ferguson willst. Steward Seymour steht an einer unteren Stelle, was soll das ganze Getue jetzt also? »
« Du willst es mir nicht sagen, du vertraust mir nicht. Ich habe dir so viel erzählt und dir muss ich jedes einzelne Glied deiner Selbst langsam herauslocken, macht dir das etwa spaß? »
« Keineswegs. », gab er zu und blickte sie ernst an. « Gut es war schwer für mich, aber ich glaube das man dir vertrauen kann, nein, ich bin mir sogar sicher. », verbesserte er sich und wand sich jetzt ganz offen an sie. « Nur du kannst mir nicht trauen, versuche es erst besser gar nicht. »
« Dafür ist es schon zu spät. », sagte sie trocken und erwiderte seinen Blick, kühl und ohne jede Spur von Angst.
« Wenn das so ist... » Er holte tief Luft. « Dann tut es mir leid. » Dann stand er vorsichtig, sich auf seine Knie stützend auf und machte sich daran seine Kleider zu richte, jedenfalls das was noch nicht, zerlöchert, zerrissen oder verschmutz war.
« Das war´s ? Mehr willst du nicht sagen? »
« Nein, nicht jetzt, ich habe es dir schon dort unten gesagt. »
« Dort unten? Du meinst....meinst in dem Wald, mit Schlitzauge? » Bei der Erinnerung schüttelte sich ihr ganzer Körper und sie musste sich unweigerlich die Arme um sich selbst legen. Er nickte stumm und sein Blick wanderte von ihr zu dem hellem, trostlosen Mond.
« Jetzt ist noch nicht die Zeit, wir müssen hier raus, ich gebe zu es war deine dumme Idee das wir hier rein sind, aber ich habe zugestimmt, ich wollte dich nicht alleine gehen lassen. Aber jetzt tun wir was ich sage. »
Zuerst wusste sie nicht so recht was sie antworten sollte. Sie verzog das Gesicht, erstaunt über seine Worte und entsetzt und entgeistert über ihren Inhalt, der sie langsam wie eine Droge überwältigte.
« Du wolltest mich nicht alleine gehen lassen. », wiederholte sie nuschelnd, was seine Aufmerksamkeit auf sie zog « Du hast gesagt du willst es mir später erzählen und gesagt das du mich beschützen willst, war das alles eine Lüge? »
« Nein. » , sagte er sehr leise und fühlte ein unerklärliches schlechtes Gewissen in sich aufblühen.
« Das habe ich mir gedacht, also warum sollte ich dir nicht vertrauen? Nur weil du mir einzelne Details verheimlichst hast? Meine Güte, natürlich möchte ich sie wissen, es ist deine Sache, das sehe ich jetzt ein, doch du kannst mir nicht vormachen das man dir nicht vertrauen kann, vergiss es. »
Das überraschte ihn sichtlich und er verlor für eine kurze Weile die Kontrolle über seine Gesichtszüge, halb entblößt riss er sich wieder zusammen und hoffte sie habe es nicht bemerkt, doch ihrem entrüsteten Gesichtsausdruck war abzulesen das sie es bemerkt hatte und nicht nur das.
« Es war eine Lüge, nicht wahr? »
« Ich weiß nicht was du meinst. », sagte er vorsichtig und ging einen Schritt auf sie zu.
« Deine ganze Gesichte, das du als Soldat einen Befehl von Timothy Craig bekommen hast nach mir zu suchen und das du mich begleiten willst, aus Mitleid aufgrund all meiner Probleme, aus Rücksicht auf meine Gefühle für meinen Verlobten? »
Er nickte resigniert und versuchte erst gar nicht irgendetwas zu seiner Verteidigung zu sagen.
« Ich habe dir gesagt ich werde es dir später erklären und so habe ich das auch gemeint. Ich habe nur nicht damit gerechnet, dass du es so früh herausfinden würdest, ich habe dich unterschätzt und das tut mir leid. Es sind merkwürdige Zeiten. »
Sie schnaufte sarkastisch auf und ließ es nicht zu das er sie berühren konnte.
« Doch das sind sie. », beharrte er und festigte seinen Blick. « Wenn das alles nur mich betreffen würde, hätte ich es dir erzählen können, doch das tut es nicht und jetzt komm. Wir kommen hier raus, das verspreche ich dir, und zwar schneller als du es dir vorstellen kannst und das ist keine Lüge. », fügte er vorsichtshalber hinzu, wodurch sie ihr Kinn nach vorne schob und ihre Lippen zusammen presste. Eins musste sie zugeben, er hatte sie bisher niemals im Stich gelassen.
Von weit entfernt hörte sie eine Eule rufen, der Mond bewegte sich weiter am Himmelskörper und die Sterne leuchteten klar und kalt über ihnen. Sie konnte nicht anders als ihre Standhaftigkeit und Schönheit bewundern, dann rannten sie beide, stürmten aus ihrem Versteck, sodass die schwüle Luft schwer in ihrer Brust brannte.

Es herrschte eine trübe Dunkelheit, Fackeln und das kalte Mondlicht erhellten diese, doch es war immer noch dunkel, sodass sie beide wie undefinierbare wandernde Schatten aussahen. Aiden schnaubte bei dem Gedanken auf und wand seinen Kopf, um Helen noch einen kurzen Blick zuzuwerfen den sie hoffentlich nicht bemerkte.
Sie tat es nicht. Im Gegenteil sogar, sie wirkte abwesend und nachdenklich, war sie ihm arg böse? Die Zeit reichte nicht mehr um eindeutige Schlüsse zu ziehen, er hörte die improvisierten Patrouillen, die erstickten Rufe und etwas wodurch sein Herz einen kleinen
dankbaren Hüpfer tat. Sie waren da.
Die Begrenzungsmauern des Anwesens ragten groß und mächtig vor ihnen auf und der reißende Fluss der in einigen Abständen neben ihnen verlief war das Einzige, dass durch dieses gewaltige Werk hindurch strömte.
« Was tun wir jetzt? Willst du etwa ertrinken? », fragte Helen genervt und spähte hinauf, ihr war Unbehagen zumute, fast so als säßen ihr mehr als nur ein paar Soldaten im Nacken.
« Warte ab. » Aiden blickte sich zu ihr um und sah ihr ernst in die Augen, er verstand die Gefahr der Situation, auch er spürte das Kribbeln im Nacken und das versiegte Adrenalin, welches sichtlich Spuren hinterlassen hatte.
Dann hörte er das Geräusch auf dass er gewartet hatte und seine körperlichen Probleme und alles um ihn herum schien vergessen.
« Was? », stotterte Helen und sah zweifelnd zu den zwei Gestalten die aus einiger Entfernung auf sie zuhielten. Ein Hund hechtete ihnen vorweg. Aiden gab einen Freudenruf von sich und eilte zu ihnen, während sie ungläubig die Szenerie betrachtet. Ihre Beine schienen plötzlich wie aus Blei, zwei große unbrauchbare Klötze.
« Komm beeil dich. », rief er ihr entgegen und blickte sie verständnislos an. Eine Erwiderung war kaum möglich, denn sie war fassungslos. Sie schluckte schwer, wiegte ihren Kopf nach rechts und links und verzog das Gesicht, bevor sie ihm folgte, die dunklen Gestalten neben der Mauer nicht aus den Augen lassend.
Als sie die kleine Ansammlung erreichte, hatte Aiden bereits einige Worte mit den unbekannten Gestalten gewechselt und folgte ihnen unter einigem Abstand, während sie in ihrem Kopf nach Erklärungen suchend, inne hielt. Da sie keine fand, berührte sie die Mauer und atmete schwer aus, Wut vermischte sich mit Verwirrung. Sie würde es vorziehen einfach umzudrehen und das Haus erneut durchkämmen, solange sie sich nicht von diesen Fremden helfen lassen musste.
Doch wo lag ihr Problem? Sie war sich selbst nicht im klaren darüber, spürte die kalte Mauer unter ihren Finger kribbeln, spürte ihr Blut durch die Adern rauschen und ihr klopfendes Herz. Mit einem letzten Blick zurück auf das Anwesen in dem sich Ferguson vielleicht grad wunderte, woher die Aufruhe kam, dann holte sie Aiden ein und nahm dessen stützende Hand entgegen.
16. Der Schotte und der Mann im Bärenpelz

Ein Hahn krähte und noch einer. Die Sonne stand am Himmel, tätschelte die Welt mit ihren warmen Strahlen und ließ sie friedlich, wie das Gemüt eines Kindes wirken. Ein Scheinbild, eine Illusion in der die Wirklichkeit so nah war, dass man sie bei der kleinsten Bewegung streifte und sich das wahre Bild zeigte; Grausamkeit.
Sie liefen noch immer durch den Wald. Der matschige Schlammboden gab erstickende, teils gluckernde Geräusche unter ihren Füßen, der reißende, mal leicht dahinrauschende Fluss, der ihnen seit je her begleitete rauschte in ihrer aller Ohren und das grelles Licht das durch das Netzwerk aus Ästen und Blättern hindurchsickerte, blendete sie.
Es besaß eine milchige, fast weiße Farbe und ließ hier und da einzelne Umrisse aufleuchten, als wären sie aus Gold, Schatten formten und zogen sich und einzelne nasse Wasserflecken glitzerten in der plötzlichen Morgensonne. Zudem herrschte eine schwüle Luftmischung, die um diese frühe Stunde nur durch die kräftigen Windstöße, die kraftvoll ganze Bäume mit sich zogen und verrenken ließen, zu ertragen war.
Ein einzelner Sonnenstrahl verirrte sich auf Aidens Gesicht und ließ ihn blinzeln, ließ ihn eine merkwürdige Wärme auf seiner Haut spüren und verschwand dann so schnell wieder, dass sich die kühlen Schatten der Bäume abermals über ihn zogen. Doch das kribbelige Gefühl der tröstlichen Wärme blieb noch eine Sekunde erhalten und er schaute um einiges entspannter durch das Geäst einer riesigen Eiche, deren grüne Blätter im Licht funkelten und schloss für einen winzigen Bruchteil dieser Zeit seine Augenlieder.
Er vernahm das Ächzen der drei anderen Körper deutlich, ebenso wie sie ihre Bewegungen verlangsamten, sich ihre Atmung beruhigte und sie schließlich zum stehen kamen. Der Hund hechelte ihm freudig zu, während seine Augen ihn zu durchleuchten schienen.
« Was ist los? », erkundigte er sich und blickte - Helen sorgfältig ignorierend - einen der beiden Männer an.
« Pause! », brummte dieser knapp und ließ sich hörbar auf den Boden plumpsen, wogegen der andere sich daran machte Brennholz aufzusammeln. Aiden antwortete nicht mehr, ließ sich ebenfalls auf ein Stück trockene Erde nieder - es war gar nicht so einfach solch eines zu finden - und ließ seine Gedanken wandern, fern von allen Geräuschen die ihn umgaben.
Doch wie jedes Mal an diesem Tag brachten diese ihn an den Punkt der Gegenwart zurück und er sah sich gezwungen den eingeübten Ablauf der beiden Männer zu beobachten, während diese Feuer und ein Frühstück organisierten.
Er hatte Helen in der Dunkelheit der Nacht nicht einmal ihre Namen genannt, geschweige denn irgend etwas anderes erklärt und versuchte dies auch noch hinauszuzögern so weit dies möglich war, doch er wusste, dass dieser Augenblick mit jedem Atemzug näher rückte.
Ihr regelmäßiger Atem vermischte sich mit dem Geräusch leichter Handfertigkeiten, das Richten ihrer Kleidung, das Abstreifen von Dreck und das Herumfuchteln in ihren Haaren und ließ in für eine kurze Zeit entspannen, doch bei ihrem unüberhörbaren Zischen, welches Wut und Hysterie deutlich mit sich zog, fuhr er auf und hob den Kopf schaulustig in ihre Richtung.
Er beobachtete eine Weile wie sie mit Blättern und anderen Gestrüpp kämpfte und sie immer aufbrausender wurde, bis er sich unfreiwillig dazu bereit sah sich an sie zu wenden.
« Geh weg. », nuschelte sie ihm entgegen und wand ihm den Rücken zu, sodass sie ihn nicht mehr sehen musste.
« Dann willst du meine Erklärung nicht hören? », versuchte er einzuwenden, doch ihre Schultern bebten bei seinen Worten und er wand sich entmutig wieder ab. Der Blick einer seiner Männer traf ihn, höhnisch und direkt, was ihn selbst die Wut in den Bauch pumpte und ihn ein Gesicht ziehen ließ, dass der Mann sich abrupt und grinsend schnell wieder seinem Handwerk zu wand, um einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen.
Allerdings war Aiden jetzt selbst so aufgebracht und was er sich nicht eingestehen wollte, peinlich berührt, dass er sich erneut dem Mädchen stellte.
« Ich hätte es dir früher gesagt. » , gab er zu, die neugierigen Blicke der Männer in seinem Rücken spürend.
« Dass du mich die ganze Zeit belogen hast? Dass du irgendwelche merkwürdigen Handlanger im Wald versteckt hältst oder nur die Tatsache das dir meine Anwesenheit eine Unannehmlichkeit ist? », feixte sie ihn an und verbarg ihre Verachtung nicht. Jedoch ließ er sich nicht beirren und ging um sie herum, sodass sie sich gegenüberstanden
« Du weißt das dies nicht der Wahrheit entspricht und mich beleidigt. »
« Ich bin dir eine Behinderung. Die Informationen die du mir zuteil werden lässt sollen mich gutmütig stimmen. »
Der plötzliche Ausbruch ihrerseits überraschte ihn, da sie den ganzen bisherigen Tag kein Wort gesprochen hatte und so konnte er zu seiner Verteidigung nur mit seinen Axeln zucken.
« Ich bin in dem kleinen Dorf auf die Beiden getroffen. Sie hatten sich in dem Schankraum zu mir gesellt. Was hätte ich denn bitte tun sollen? Sie haben mir geholfen mich zu befreien, nachdem mich dieses widerliche Pack stinkender Primaten bewusstlos in einen der Ställe geschleppt hatte – Seymours nette Gesellschaft, die mir daraufhin blühte, war ebenfalls nicht sehr angenehm. »
Er warf den beiden Männern, die sich nun brummend unterhielten einen Blick zu, er dachte Helen würde diesem folgen, doch sie starrte nur ihn an, unentwegt und mit glasigen Augen die von der Anstrengung der letzen Stunden herrühren könnten, wie gesagt könnten.
Er dagegen fühlte wie die Hitze in seinen Kopf jagte, wand diesen ab und machte einen kurzen seitlichen Schritt, sodass sie nur noch sein Profil sehen konnte. Er überlegte kurz, wobei er seinen Kopf vorsichtig hin und her wog und ins leere Nichts starrte, gefesselt von seinen Gedanken.
Schließlich schien er einen Entschluss gefasst zu haben. Mit einer plötzlichen Energie trat er an sie heran und entschuldigte sich in aller Form und mit bester Absicht.
Entrüstet, vielleicht auch gerührt über seine merkwürdige Art schreckte sie zurück und wäre fast in den Haufen aus Brennholz gestolpert, hätte sie nicht einer der Männer mit einem plötzlichen Ruf gewarnt.
Sie schreckte erneut auf, drehte ihren Kopf und blickte ihn verständnislos an, während er versuchte zu erklären.
« Das Feuer, Madame, das Feuer, aye? », sagte er und kratzte sich ungeniert am stoppeligen Kinn. Er hatte große Haselnussbraune Augen, gewelltes, rotes Haar und einen Muskulösen Körper der sie für wenige Sekunden faszinierte. Als sie ihre Dreistigkeit bemerkte, wand sie sich ab und war von all den Männern um sie herum einerseits unmöglich amüsiert, andererseits empört über solch ein Verhalten.
Als sie jetzt zu ihren Füßen blickte sah sie den Stapel aus übereinander gelegten kleinen Holzstückchen, die trockene Rinde und die Grasbüschel, während der Mann mit trockenen Strohbüschel versuchte ein Feuer zustande zu bekommen.
« Entschuldigen Sie Sir. », murmelte sie formell, als sie sich wieder gefasst hatte und wollte sich gerade wieder abwenden, als sie sich noch einmal an ihn wand.
« Aye? », fragte sie und ein ironisches Lächeln kam zum Vorschein.
« Er ist Schotte, einfach nicht beachten Misstress. », sagte nun der andere Mann der hinter einen der nahe gelegenen Bäume in ihr Blickfeld huschte.
« Er hat nicht die besten Manieren - ist doch wahr. », fügte er hinzu, als er den stechenden Blick des Schotten bemerkte. « Geben sie dem Jungen noch eine Chance, er ist im Grunde ganz ordentlich, hat einen guten Kern. », sagte er dann grinsend und blickte zu Aiden der stumm hinter ihr stand, während seine lange, schwarze Mähne aus verworrenem Haar über sein Gesicht tanzte. Auch sie blickte jetzt hinter sich und traf seinen schüchternen Blick, was etwas in ihr bewegte und sei es nur Mitgefühl für seine ordentliche Art wie es der schwarzhaarige Mann beschrieben hatte. Obwohl dieser nicht ganz glaubwürdig schien, besaß er etwas beruhigendes, denn so dachte sie, sein merkwürdiges Fell das er sich um die Schultern gehängt zeugte in jedem Fall von Stärke. Bewusst oder nicht, er hatte sie halbwegs überzeugt und wenn es nur der Höfflichkeit diente, denn davonlaufen, stellte sie resigniert fest, konnte sie erstmal nicht so schnell.

Eine Weile gingen sie stumm nebeneinander her, darauf bedacht den anderen weder anzusehen, geschweige denn zu berühren, als wären ihre beiden Körper geladen und könnten bei dem kleinsten Kontakt Feuer fangen und zu Asche verbrennen.
Sie folgten einen schlammigen Trampelpfad, dessen dunkelbraune Erde an einigen Stellen schlammig sowie rutschig war, nebenbei aber einige feuchte Pfützen aufwies, die sie geschickt umgingen.
Aiden warf einen kurzen Blick zum Lager zurück. Die beiden kräftigten Männer wurden kleiner, bis sie zu unscheinbaren schwarzen Punkten wurden und schließlich ganz verschwanden.
Die Sonne wurde mit jeder weiteren Stunde intensiver und nur das kühlende Dach aus Blättern schütze sie vor ihrer aufkeimenden Intensität, die sie trotz allem hier und da erreichte, wenn sie aus dem Schutz eines solches Daches hervorstießen und sich plötzlich auf einer Lichtung oder einer offenen Wiese befanden.
« Sie lassen dich einfach gehen? », fragte Helen, ihr Blick galt einem Baum, einer großen Tanne die sie nun übertrieben genau musterte.
« Ja, denn sie könnten mich jederzeit wieder aufspüren. Ich müsste ihnen schon Tage voraus sein um ihnen zu entkommen. », erklärte er im Plauderton und musterte statt eines Baumes ihren schlanken Rücken. Sie blieb jetzt stehen, unerwartet und doch hatte Aiden es voraus gesehen. Es war als wüsste er was passieren würde, als wäre er in einer Art Traum gefangen, einem ausgedehntem Dèjá vu.
Bei diesem Gedanken schluckte er laut, doch sie achtete nicht darauf und schritt langsam zu der großen Tanne, die einen harzigen Geruch ausströmte. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie sie langsam ihren Kopf hob, um dem Lauf des dunklen Stamms zu folgen, der sich irgendwo in der Höhe zwischen Ästen und Tonnenweise Nadeln verlor.
Doch er entschied sich anders und wand seinen Blick erst auf den Boden, gen Himmel und schließlich, ohne eine weitere Ausrede zu finden auf sie. Der Blick schien von solcher Stärke zu sein, dass er sah wie sie kurz bebte, ihre Hand aber auf eine seltsame sanfte Art auf den Baum legte und sich dann, den Rücken an die Tanne lehnend zu ihm umdrehte, einen verwirrten Schatten über dem Gesicht.
« Sind sie Kopfgeldjäger? », fragte sie leise, fast tonlos.
« Kopfgeld...? Nein natürlich nicht, wie kommst du denn auf so etwas? Oder meinst du ich wäre ein desatierter Soldat? »
« Also ist auf deinen Kopf keine Belohnung ausgesetzt? »
« Es gibt eine Belohnung auf mich, jedoch ist diese nur einem gewissen Kreis von Männern bekannt, die viel daran setzten würden, mich bald möglich wieder aufzugreifen. »
« Oh... », antwortete sie knapp sowie ermüdet und senkte ihren Blick und ihre Haltung, worauf er die seine noch verstärkte. « Männer die dich bis in ein kleines Dorf verfolgen würden, um dich bewusstlos in einen Stall zu schleppen? »
Aiden nickte vorsichtig, warf seine Achtsamkeit, aber schnell wieder über Bord. Es hatte keinen Zweck mehr ihr etwas zu verheimlichen.
« Es ist...kompliziert, aber gut. », fügte er auf ihre Geste des Missverstehens hinzu und schaute hilfesuchend zum Himmel. « Weißt du ich kann es dir nicht verübeln, aber nun gut... »
« Du hat bereits durch eigene Recherche herausgefunden das ich auf Abberts Creek aufgewachsen bin? » Er wartete kurz ihr Nicken ab, bevor er fort fuhr. « Um genau zu sein hattest du recht, ich gehöre der Familie Black an, meine Mutter war die Enkelin von Jonathan Abbert. »
Er fasste sich kurz mit der Hand an die Stirn und massierte sich die Schläfe, worauf er sich schließlich auf den Boden setzte.
« Meine Mutter, Faith Adriana Black, war die einzige Erbin und Nachfolgerin ihres Großvaters. Eine große Bürde, die sie allerdings nicht zu Gehorsam zwang, im Gegenteil...Ihre Herkunft und das ihr versprochene Vermögen zog viele Männer in der Gegend an, ihr Auserwählter sollte all der Reichtum der Blacks gehören. »
Bei seinen Worten, fühlte Helen einen Stich in ihrer Brust, der sie dazu bewegte sich ebenfalls nieder zu lassen und stumm seiner Geschichte zu folgen.
« Wenn du sagst sie war das Gegenteil von Gehorsam.... »
« Sie tat alles um ihren schlechten Ruf zu fördern. Töricht, eigensinnig... »
« Wen hat sie sich auserwählt, als Ehemann? » Seine gelblichen Augen schimmerten leicht golden und Helen sank der Mut, denn die erhoffte Euphorie blieb aus.
« Um Abberts Creek stand es in den letzten Jahren schlecht, sodass mein Urgroßvater, den äußerlichen Schein bewahrend auf eine Heirat mit einem reichen Mann bestand. Doch meine Mutter, hatte zu dem Zeitpunkt längst eine Affäre mit einem, zwar adeligen, jedoch armen Soldaten begonnen. Sie weigerte sich jemand anderen zu heiraten, geschweige denn überhaupt anzublicken »
« Hat ihr Großvater eine Heirat erzwungen? », fragte Helen und musste an die Pläne ihres Onkels denken.
« Das hat er in betracht gezogen, doch es war zu spät, denn sie war schwanger. Das machte natürlich schnell die Runde und die Anzahl der Bewerber die ihre Avancen zurücknahmen, stieg pro Tag beträchtlich, bis nicht einer mehr übrig blieb. »
« Hätte sie nicht den Soldaten, den Vater ihres Kindes heiraten sollen? »
« Der Vater, mein Vater, war längst in den Kolonien. Er hörte über Jahre nichts von ihr, geschweige denn von mir. Mein Urgroßvater, sah mich nur als das was ich war, einen Bastard.“
« Aber warum? Sie hätten dich töten können, einfach umbringen, warum haben sie es nicht getan als sie noch die Chance dazu hatten? », fragte sie interessiert und sogleich beschämt als ihr der Sinn ihrer Worte klar wurde.
« Gute Frage. », räumte er ein und schloss für einen kurzen Augenblick die Augenlieder.
« Hör zu, ich will dir jetzt nicht jede Kleinigkeit erzählen müssen, du wirst dir das meiste wohl selbst zusammenreimen können. Tatsache ist das ich dort aufgewachsen bin, jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt das Abberts Creek in dem Gesaufe meines Urgroßvaters unterging. »
Sie nickte kurz, aber ruckartig, was seinen Blick auf sie lenkte und sie leicht erröten ließ. Sie hatte in der Tat von dieser « Rebellion » gehört, es ist ein schwarzes Kapitel des Guts, worauf das komplette Chaos entstanden ist. Der Geschäftsmann ihres Bruders hatte es nur kurz erwähnt.
« Es gibt wirklich nicht viel zu erzählen. », räumte Aiden erneut ein und faltete seine Hände ineinander, während er tief ein und ausatmete.
« Die Bediensteten und Nachbarn, sogar die Pächter hatten irgendwann begonnen das Haus zu meiden und mein Urgroßvater starb an den Folgen eines Schlaganfalls. Ich weiß nicht was damals vor sich ging, doch ein Angriff auf unser Haus folgte nur wenige Tage darauf. Meine Mutter starb in einem gelegten Feuer der das gesamte Anwesen verbrannte. »
« Hast du eine Ahnung warum? »
« Ja, die habe ich jetzt. Aufgrund meines Vaters. Allerdings, um dass vornherein klar zu stellen; ich bin dazu verpflichtet mit ihnen zu gehen. » Er wies mit einem Kopfnicken in Richtung des längst verschollenen Lagers und wieder zurück.
« Aber warum? Verdammt warum, Aiden Black? Warum sind diese Leute hinter dir her? Erst Seymour, dann diese beiden Kerle? Und weshalb willst du mich nach Derbyshire begleiten, weshalb dieser Aufwand? »
Ihrer Forderung folgte eine kurzes verwirrtes Aufschnauben und sie stand auf, wackelig und wütend zugleich. « Andernfalls gehe ich. »
« Nein. »
« Dann hör damit auf. »
« Womit aufhören? Ich weiß nicht was du von mir verlangst. »
« Einfache Details reichen, sag mir einfach was hier los ist, dann werde ich gehen. »
Er stand nun ebenfalls auf, den Kopf voller wirrer Gedanken und einem Gefühl im Magen als hätte ihn ein Boxhieb getroffen.
« Es hat nichts mit dir zu tun. », flüsterte er hauchdünn und kehrte ihr den Rücken zu. « Es ist mir auch gleichgültig wohin du gereist wärst, du musstest nur fort. »
« Aiden... », setzte sie an, doch er ließ sie mit einer einfachen Handbewegung verstummen.
« Ich habe mit Steward Seymour gekämpft und einen seiner Männer getötet. Kannst du dir vorstellen wie schrecklich es ist jemanden zu töten? Dieses Gefühl...es ging mir durch Mark und Bein, fast als hätte ich mich selbst umgebracht, nicht diesen Mann. Es war als hätte ich ein Stück meiner Selbst mit herausgerissen und doch ist es berauschend eine solche Macht zu spüren. Als ich Seymour auf Kincaids ridge sah, dachte ich das es Schicksal ist, dass er mich ewig verfolgen wird, solange bis er seinen Mann gerecht hat und so ist es auch. Seymours Wut auf mich ist so... »
« Lebendig. », vervollständigte Helen.
« Es war Notwehr, es war Notwehr. », versicherte er ihr.
« Er hat mich gefangen genommen, dieser Mistkerl, hat versucht Geld aus mir heraus schlagen zu können und....hat versucht mich zu demütigen, mich zu erniedrigen. »
« Warum hätte er das tun sollen? Was war seine Absicht? »
« Doch er hat nicht damit gerechnet das sie mich finden würden. », fuhr er ungeachtet auf ihre Worte fort, während er es immer mehr als Erleichterung empfand sich darüber aus zu lassen, es endlich los zu werden und es laut auszusprechen.
« Ich hatte dir erklärt was auf der Reise von Edinburgh aus passiert ist. Der Mann der mich damals aufgegriffen hat, war Seymour, er ließ mich zwar praktisch laufen, doch das hielt ihn nicht davon ab, mir abermals aufzulauern. Die Männer meines Vaters befreiten mich, HA, und was habe ich getan? »
« Du hast doch nicht? », fragte sie mehr sich selbst als ihn.
« Oh doch. Ich habe Seymour nachgejagt, wie ein kleines rachsüchtiges Kind, ich war so dumm und blind vor Wut, ich hätte nicht...Ich habe dort einen seiner Männer getötet »
« Im Zustand der Wut...ist es egal ob wir noch so gutmütig sind, es ist nur ein Zeichen das wir empfinden, dass du lebst Aiden, dass du so etwas empfunden hast war ganz normal. Die Wut ist nur natürlich »
Sie spürte wie ihn diese Worte langsam erreichten und hoffte auf ihre Wirkung, doch diese blieb aus als wäre sie nur ein Sandkorn im Wind das davon getragen wurde.
« Ich jagte ihm nach. Ich war schwach vor Hunger und Erschöpfung und doch jagte eine ungeheure Energie durch meinen Körper...fast als wäre ich in Trance, die Stufen unter meinen Füßen wurden mehr und mehr, die Stimmen der Leute peitschten mir in die Ohren, doch ich hörte nicht zu. Der Wind fegte an mir vorbei, streifte mein Gesicht, ich roch den Schweiß, das Blut der geschlagenen Gegner..»
Die Worte verwirrten sich immer mehr und er verlor sich in einem Geschnörkelt der Sätze, sodass Helen erschrocken über seinen plötzlichen Erzählergeist einen Satz auf ihn zu machte.
« Hör auf. », rief sie ihm zu, doch es dauerte noch mehrere Male bis er verstummte und seinen Mund verständnislos offen ließ.
Schließlich verstrichen Minuten um Minuten und er fühlte wie sein Herz sich beruhigte, der Takt langsamer und gefühlvoller wurde und wie das plötzliche Schwindelgefühl das ihn umgarnt hatte sich zu seinem Ursprung zurück zog. Der Schweiß war ihm ausgebrochen, er verklebte ihm mehrere Haarsträhnen und seine Hände waren glitschig und für den Zeitpunkt ungebräuchlich.
« Es tut mir leid. », wisperte er jetzt und hoffte, dass sie ihn alleine lassen würde, doch das tat sie nicht. Im Gegenteil sogar, mit langsamen zögernden Schritten ging sie wieder auf ihn zu und stoppte kurz bevor sie sich berühren konnten. Sein Kopf war gesenkt und die Haare fielen ihm wirr um die Ohren, er atmete noch immer durch den Mund, doch der plötzliche Ausflug in die Vergangenheit schien beendet zu sein.
« Ist alles in Ordnung? » , fragte sie jetzt und berührte kaum merklich seine Schulter. « Du hast es noch niemanden zuvor erzählt, nicht wahr? »
Es dauerte eine Weile, jedoch beendete er ihr Warten mit einem zuckenden Kopfnicken, das sie jedenfalls als ein solches interpretierte und zwang ihn mit sanfter Gewalt sich zu setzen. Zugleich atmete auch sie schwer ein und aus und fühlte sich hin und her gerissen, als würde alles in ihr mit einem mal eine verschiedene Meinung haben.
« Ich bin ihm nachgejagt. », sagte Aiden plötzlich und sie fuhr überrascht auf, « bis zum Fluss, dort habe ich zwar nicht Seymour angetroffen, aber einen seiner Kameraden mit einem Stein erschlagen. Er hatte mich angegriffe...es war schrecklich und wir standen bald bis zu den Hüften im Wasser, als ich den Stein unter mir spürte, ging es rasend schnell... » Er blickte sie jetzt an, offen und vollkommen klar.
« Dir geht es besser? », fragte sie trocken, als sie seine Hand auf der ihren spürte.
« Irgendetwas ist geschehen. Ich habe noch seinen Körper gesehen, wie er leblos von den Strömungen davon getragen wurde und dann wurde es schwarz. Als ich zu mir kam war ich alleine, streifte Tagelang umher und dann... alles um mich herum war in Dunkelheit getaucht und dann kamst du. »
Stille breitete sich aus, tröstlich und beruhigend legte sich diese um sie beiden und sie genossen diese für ein paar wenige kostbare Augenblicke. Der Wind pfiff lautstark durch das Geäst der Bäume und ein Rauschen und Rumoren durchdrang den Wald, wie eine Trommel der Natur.
« Was ich nicht verstehe... » , setzte Helen an.
« Ja? »
« Weißt du warum Seymour hinter dir her war und was ist mit mir? »
« Ich weiß nicht, was er von dir wollte oder immer noch will, aber ich kann mir bereits ausmalen warum er hinter mir her war oder es noch ist. Seinen Auftraggeber kenne ich allerdings nicht, ich schätze er ist sich dessen auch bewusst, er arbeitet ziemlich gut. Seine Methoden sind grausam, aber effizient und sein Urteilsvermögen scheint von einem normalen Menschenverstand herzurühren, sonst hätte er uns nicht verfolgen können. »
« Ich bin mir da nicht so sicher. »
« Mm? », fragte er und sah in ihrem Gesicht ein kleines Grübchen. « Mm! », beantwortete er sich darauf selbst und legte seine Arme auf seine Knie.
« Wie schon gesagt, ich denke er wollte Geld von meinem Vater erpressen, Macht auf ihn ausüben...ich weiß es nicht. Lass uns einfach besser zurück gehen und nicht weiter darüber sprechen. »
« Das kommt nicht in Frage. » Sie war sich zwar sicher, dass er ihr jetzt den Hauptteil erzählt hatte, doch nach ihren Fragen zu schließen die ihr dröhnend im Kopf herum schwirrten, war für sie noch lange nicht Schluss mit erzählen.
« Wer sind diese beiden Kerle, wenn sie schon keine Kopfgeldjäger sind? » , fragte sie um ihn wieder zum Reden zu verleiten.
« Alexander MacKenzie und Sir Timothy Craig, sie sind Brüder, jedenfalls sind sie es seit geraumer Zeit. »
« Der Mann ist Craig ? » Es war nicht sonderlich schwer wer nun wer war, aber es überraschte sie trotz alle dem, dass diese beiden so unterschiedlichen Männer Brüder sein sollten. Aiden sah ihre Zweifel und zuckte mit den Schultern.
« Tja, was soll man machen? Sie gehören zu den Verbündeten meines Vaters. Sie sind schon seit längerer Zeit auf der suche nach mir. Sie waren es die mich damals aus Seymours Gefangenschaft befreit hatten. Es war nicht vereinbart, dass ich mich alleine auf die Suchen nach dir begeben sollte. Mein Auftrag lautete Craig und MacKenzie zu treffen, um dich dann aufszuspüren und nach Kincaids ridge zurück zu birngen. Bevor ich unseren vereinbarten Treffpunkt erreichen konnte, lauerte mir Seymour auf, zog mir ein`s über den Schädel und das war´s »
« Wie lange bist du nach der Entführung alleine umhergeirrt? »
« Ich weiß es nicht. Fünf Tage? Eine Woche? Aber nebenbei gibt es nicht mehr zu erzählen, ich reise nicht viel herum und bis auf diese Ausnahme war mein Leben nicht besonders Ereignisreich oder außergewöhnlich spektakulär. »
« Wenn dies zutreffen soll, warum hast du mir nicht von Anfang an, die Wahrheit erzählt? » , fragte sie kühl und spürte wie er ihrem Blick gradlinig auswich. « Es hätte uns einiges erspart, aber statt dessen erfindest du so einen Schwachsinn und machst alles verdammt kompliziert. »
« Ich habe dir schon gesagt das es mir sehr Leid tut, was verlangst du bitte noch? Der größte Teil entsprach der Wahrheit » , keifte er sie an und erhob sich von neuem. « Es wäre jetzt wirklich besser wir gehen zurück.“
« Und dann? Was dann? Willst du deinen absurden Helfern die nächste Lügengeschichte erzählen? Warum wolltest du mich nach Derbyshire begleiten? Beantworte endlich meine Fragen! »
Sie erhob sich ebenfalls und die Spannung zwischen ihnen wurde in Sekundenschnelle scharf wie die Klinge eines Messers, an der das Blut noch nicht getrocknet war.
« Weil dein Onkel bereits Verdacht hatte was Mr Black anbelangt. Hätte er früher mit Seymour gesprochen und hätte dieser dann in Erfahrung bringen können, dass du in meiner Begleitung zurück gereist bist... Er hätte dich als Druckmittel benutzen können, was ich nicht riskieren konnte. », erklärte er und machte Anstalten zu gehen.
« Geh doch, los verschwinde, aber wage es nicht mir noch einmal ins Gesicht zu sehen. », schrie sie ihm nach, während sie zornig die Fäuste ballte und sich ihr ganzer Körper höchst erregt schüttelte.
« Glaubst du ich lasse mir von einer aufdringlichen, übermütigen und dazu dreisten Frau etwas sagen? » , fragte er und neigte seinen Kopf.
« Ich bin keineswegs aufdringlich, nur bist du ein Dummkopf und ein schlechter Lügner. »
« Du bist...und deine Argumente sind... » Als ihm kein weiterer Streitgrund in den Sinn kommen wollte, schloss er resigniert die Augen. Es dauerte eine Weile und er fasste sich sorgevoll über das Gesicht bevor er wieder das Wort an sich nahm.
« Ich -»
« Wage es nicht dich noch einmal zu entschuldigen, es reicht mir jetzt. Du hattest nie vor mich bis nach Derbyshire zu begleiten. »
« Das ist nicht wahr. » Er machte sofort einen Schritt auf sie zu, dann wieder einen zurück und blieb schließlich unruhig stehen, unschlüssig und vollkommen missverstanden. « Ich habe es auch jetzt noch vor. Bist du etwa in dem Glauben, nur weil MacKenzie und Craig aufgetaucht sind, dass du mir gleichgültig bist? Ich habe damals gesagt das ich nicht will, dass du mit mir kommst, aber du hast mich inständig darum gebeten. Ich hätte dir nicht einmal meinen Namen nennen müssen, ich hoffe das ist dir klar. Ich muss nach Derby, also hör auf mit solch einem Unsinn! Ich verstehe, dass du wütend bist, ich wäre es an deiner Stelle ebenso, doch glaube mir, ich hatte keine andere Wahl. »
« Man hat immer eine Wahl, Aiden. », flüsterte sie leise und hoffte, dass er es nicht hören würde, allerdings wusste sie das er dies sowieso tat und blickte ihn dabei an, gereizt und vollkommen zerzaust.
« Weißt du wie schrecklich du aussiehst? », fragte er und lächelte.
« Das weiß ich in der Tat. », gab sie zurück und war schon dabei ihre Haare zu richten, als er zu ihr ging. Da er einen ganzen Kopf größer als sie war, hätte sie sich vielleicht eingeschüchtert fühlen sollen, doch das tat sie mit keiner Spur und das sagte sie ihm auch, worauf er ein leichtes grunzhaftes Lachen von sich gab.
« Es ist nur das ich dich nicht mehr verlieren will, es niemals wollte. Die meisten Leute sind ebend...empört über mein Dasein, entrüstet aufgrund meiner Herkunft, für das alles trage ich keine Schuld, doch ich hasse es. »
« Aiden? » Sie blickte zu ihm auf, mit großen glänzenden, grünen Augen. « Wer ist er? Dein Vater ? Der Mann, dessen Namen du offiziell nicht trägst und der dich dazu geleitet hat mich mit dir zu nehmen, aus Angst was mein Onkel und Seymour mir antun würden. »
Ein paar Vögel flogen übereilt über sie hinweg, ihr Flügelschlagen drang bis tief in sein Inneres, eine sanfte Brise ließ die Natur aufatmen und sich tänzerisch bewegen und von weitem erscholl das rauschende Wasser, wie eine kleine beruhigende Melodie am späten Mittag.
Nur er und Helen bewegten sich nicht, gaben keinerlei Ton von sich und standen einfach nur da wie zwei große unwirkliche Steinklötze die von der Sonne beschienen wurden.
« Ist dir klar was du da fragst? », hauchte er und umfasste sehr sanft ihre Schultern. Da sie nickte, atmete er schwer aus um sich die nötige Kraft für den nächsten Satz zu ergattern, doch er blieb aus und erst der zweite Versuch erreichte das erwünschte Ergebnis.
« Der Dämon des Westens, wie er genannt wird. Lord George Nathaniel Wolverton, Herr über das Gut Mac tire und dank mir, Anwärter für das Besitztum Abberts Creek. »

17. Dringlichkeit

Werter James,

Leider muss ich dir mitteilen das mich dein Schreiben erst kurz nach meiner Ankunft in Derbyshire erreicht hat. Meine Bediensteten haben ihn auf dem schnellsten Weg umgeleite,t um ihn mir zur Verfügung zu stellen, wobei ich feststellen musste, dass das Siegel längst aufgebrochen wurde.

Ich danke dir für dein Beileid bezüglich des gegebenen Anlasses und möchte dir im Namen meiner Familie meinen Dank aussprechen ; für alles was du uns bis zu diesem Zeitpunkt getan hast. Deine Großzügig- und Selbstlosigkeit ehrt mich.
Im Vertrauen möchte ich dir diesbezüglich die Dringlichkeit nahe legen die deinen Auftrag anbelangt und die deine Familie betrifft und hoffe du wirst noch einmal überdenken welches von beiden die momentan größere Aufmerksamkeit bedarf.
Meine Unterstützung ist dir in jedem Fall sicher. Ich weiß, dass du dich nach bestem Gewissen entscheiden wirst und hoffe das es eventuell noch einen Kompromiss geben wird.

Was deiner Bitte über Informationen über Lord George angeht, werde ich dir wenig behilflich sein können, da ich vermute das dieser Brief ebenfalls abgefangen und im schlimmsten Fall eingezogen wird und wir beide in äußerste Schwierigkeiten geraten können.
Aufgrund dessen schlage ich eine Zusammenkunft vor die wir dringlichst auf sicherem Wege veranlassen sollten.
Doch wenn es für dich Trost bedeutet so kann ich dir versichern, dass Lord George keinerlei charakterliche Schwächen besitzt und, dass es strategisch das Klügste von ihm ist, jetzt gleich zu handeln, bevor sich die Situation auf Abberts Creek noch verschärft.

Was deinen Onkel betrifft so danke ich dir für deine Bemühungen ihm die wohl bessere Variante angeboten zu haben, da er allerdings zu keiner Kooperation bereit ist, wird er früher oder später die Konsequenzen daraus tragen müssen. Er täte besser daran Lord George zu unterstützen, doch solange er Sympathien für andere dir bekannte Personen besitzt, sind wir machtlos.

Zu deiner Bitte kann ich leider nicht viel hinzu fügen. Aiden Black, wie du ihn mir beschrieben hast ist mir nicht persönlich bekannt. Allerdings kann ich dich insofern beruhigen das wenn überhaupt deine Schwester eine Gefahr für ihn bedeutet oder sie sich gegenseitig Schwierigkeiten bereiten werden. Denn Sturheit ist nicht gut auf Sturheit zu sprechen, so sagte es mir ein guter Freund, von dem ich keinerlei Zweifel hege das er damit unrecht hat.
Wir werden sehen welche Konsequenzen dies bringen wird, aber ich hoffe auf deine Zustimmung wenn ich deine Schwester und Aiden Black für eine Weile überwachen lasse, damit sie vor weiteren Gefahren vorerst in Sicherheit sind.
Ich denke du bist mit Alexander MacKenzie gut bekannt, der die beiden zusammen mit seinem Bruder bereits vor einer Weile aufgespürt hat und mir sogleich eine Mitteilung zukommen ließ. Da ich fürchte, dass du nicht davon unterrichtet wurdest, dass der junge Mann und deine Schwester in einer Übereinkunft gemeinsam reisen und sich auf dem Weg nach Derbyshire befinden, hoffe ich, dass dich diese Mitteilung nicht zu sehr überrumpelt oder dir ungelegen kommt.

Ich danke dir des weiteren für deine großzügige Spende, sie wird sinnvoll genutzt und hoffe auf baldige Rückmeldung deinerseits.

Dein treu ergebener Diener

Sean Sloan

18. Ungestüm

Eine kleine Welle des Unwohlseins überlief ihn, dann eine weitere und noch eine. Sein Inneres schien wie verschwunden und anstelle dessen befand sich nun ein tiefes leeres Loch in seinem Körper, sodass ein Gefühl von nervenaufreibender Melancholie durch seine Adern floss.
Er amtete, für kurze Zeit hatte er dies tatsächlich vergessen und mit einem plötzlichen Mal nahm er die Luft wieder in sich auf, dass er überrascht darüber wie simpel dieser Mechanismus doch war, am liebsten gelacht hätte. Doch ihm war nicht zum lachen zumute, ebenso wie Helen deren Augen auf den Boden vor ihr gerichtet waren, aber weit entfernt sahen.
Seine Füße traten auf den Waldboden auf, doch er spürte diese Berührung, als wäre es ein Windhauch der über ihn hinwegfegte, als Folge breitete sich eine zitternde Kälte auf seiner Haut aus und er bekam eine Gänsehaut.
Seid ihrem aufgewühlten und wirklich, wirklich, wirklich verwirrenden Streitgespräch hatten sie kein Wort miteinander geredet was ihn weniger verwunderte und es ihn eher beschäftigte warum Helen mit ihm zurück kam.
Er hatte nicht die Absicht sie nun zu verlassen, doch hatte er keine Ahnung wie er dies bewerkstelligen sollte, da er nicht über MacKenzies und Craigs weitere Vorgehensweise informiert war. Das der Plan, nach Helens sicherer Überführung, nach Edinburgh zu seinem Vater weiter zu reiten, natürlich schwer auszuführen sein würde, war ihm bereits bewusst gewesen bevor er von Seymour entführt wurde – doch jetzt? Die Zeit würde noch knapper bemessen sein, wenn es nicht schon schier unmöglich war, es noch rechtzeitig, bevor sein Vater per Schiff abreisen würde, dorthin zu gelangen.
Er musste stehen geblieben sein, denn aus irgendeinem Grund waren seine Füße wie angewurzelt und sein Körper bewegte sich kein Stück, außer das sich seine Brust in gleichmäßigem Rhythmus hob und senkte. Fast war ihm als wäre er nur ein Zuschauer, unbeteiligt und außen vor, während die Personen um die sich das tatsächliche Drama drehte nur Teil eines Theaters waren.
Allerdings war dies kein Theater und die Kluft zwischen ihm und Helen war größer als je zuvor, sein Verständnis und seine Geduld oder Willenskraft dagegen waren minimal geschrumpft, fast als hätte sie eine unsichtbare Kraft herausgepumpt.
Schlaff und müde ging er auf die beiden Brüder zu, nickte zur Begrüßung stumm und setzte sich ein Stückweit von ihnen an einen Baum, wo er steif und grimmig sitzen blieb ohne das weitere Geschehen zu beachten. Für den Augenblick war ihm alles gleichgültig, selbst Vernunft spielte hier keine Rolle mehr, er konnte nicht mehr, sein Körper war erschöpft und selbst das Denken viel ihm so schwer, dass er dies weitgehend ebenfalls ausschaltete. Sollte Helen doch sauer, beleidigt oder wütend auf ihn sein, mehr konnte er ihm Moment nicht für sie ausrichten. Ohne McKenzies oder Craigs Einwilligung war an Derbyshire, wo sich sein Bruder befand, nicht mehr zu denken.
Mit einem beleidigten « Mhpf », gab er sich anschließend selber Recht und fiel in einen unruhigen, traumlosen Schlaf.

Als er erwachte war es bereits Nacht. Ein prasselndes Feuer blendete ihn zuerst, doch nachdem seine Augen sich an die neue etwas dunklere Umgebung gewöhnt hatten, starrte er ein paar Sekunden in die züngelnden, hellen Flammen, bis er mit vom Schlaf tränenden Augen in die Runde blickte.
Helen war nicht da.
In sekundenschnelle sprang er auf, überraschte dabei einen der beiden Männer der erschrocken aufbellte und eilte näher an das Feuer, welches ein unheimliches Licht und große Schatten auf seine Haut warf.
« Wo ist sie? », brüllte er, plötzlich hellwach und deutete auf den leeren Platz auf den sich in seiner Erinnerung eine störrische Frau niedergelassen hatte.
« Weiß nicht. », brummte der ihm nächst gelegene Mann zu, es war MacKenzie, und zuckte zur Veranschaulichung mit den Axeln. « Hab sie schon länger nicht gesehen, kommt bestimmt gleich wieder. »
« Verdammt, so ein Mist. Ihr Idioten, ihr dürft sie nicht einfach gehen lassen, ihr kennt sie nicht, sie ist...wie ich, oh verdammt. »
Vollkommen überrumpelt, aber höchst aufgebracht lief er kurz auf einer Stelle hin und her, fuhr sich gestresst durch die Haare und trommelte auf seinem Kopf, das er mehr wie ein Affe als alles andere wirkte, auf jeden Fall nicht zurechnungsfähig.
« Immer mit der Ruhe. », sagte MacKenzie ruhig und rieb sich mit der Handfläche über sein übermüdetes Gesicht. « Sie kann nicht weit sein, warum sollte sie überhaupt davon laufen? Hast ihr doch nichts getan oder? » Ein spöttisches Lächeln machte sich in seinem Gesicht breit das sich sofort in weniger fröhliche Züge wandelte, als er Aidens zorniges Gesicht sah.
« Habt Ihr etwas zu ihr gesagt oder sie wütend gemacht? »
« Nein, obwohl na ja... »
« Was? »Wollte er wissen und ging auf ihn zu, während MacKenzie theatralisch schützend die Hände vor sich hielt.
« Wir haben uns kurz unterhalten, über dies und das und unser Thema wechselte zu....na ja, Euch. » , sagte er und betrachtete Aidens wandelnde Gesichtszüge, mit ängstlichem Interesse.
« Nein, oh nein, nein, nein, nein, verdammt! », bellte er und rannte sofort los, den rufenden Alexander ignorierend, während das Feuer in seinem Rücken kleiner und kleiner wurde.

Helen rannte und alles um sie herum verlor Umriss und Gestalt, dass einzige was ihr vor die Augen fiel, war Schlamm und ein Gewirr aus Büschen, Ästen und Blättern die sie ihn hektischen Gesten von sich schlug.
Der Schweiß war ihr schon vor einer ganzen Weile ausgebrochen, die Hitze kroch an ihr hoch und ihr rasender Atem stach ihr wild in die Brust, sodass sie schmerzhaft nach Luft schnappte.
Ihre Hände waren bereits überseht mit Harz, Schlamm und Rissen, während ihr die Kleidung lose am Körper hing ; doch was für sie zählte war die Geschwindigkeit, die sie zu halten versuchte.
Allerdings wollten ihre Muskeln nicht so ganz wie sie es sich vorstellte und mit einer plötzlichen Sturheit machten sich diese selbständig, indem sich ein schmerzhafter Krampf in ihrem Bein bildete, dass sie durch seine Plötzlichkeit Konzentration und Wachsamkeit verlor und über einen großen aus dem Boden ragenden Stein fiel. Sie schaffte es noch gerade ebend sich vor diesem zu retten, indem sie sich mit den Händen versuchte am nächsten Baum abzustützen, doch sie rutsche an seiner nassen Oberfläche ab und torkelte ein Stückweit, bevor sie mit einem Ruck gegen einen Stein stieß, sodass sich ihr verkrampftes Bein verzog und sie die Kontrolle verlierend, völlig überrumpelt stürzte.
Überrascht kniff sie die Augen zusammen und rollte sich noch im Fall zu einem kleinen menschlichen Bündel zusammen, und während ihr der markerschütternde Aufprall auf einen weiteren Stein die Luft aus den Lungen presste und ihr das Atmen versagte, rollte sie in einem Gewirr aus Ästen und Blättern einen kleinen Abhang herunter.
Unten angekommen hielt sie nur ein Baum auf, gegen den sie das letzte Stück kullerte und den sie mit vor Schmerz tränenden Augen wütend anblickte.
In der nächsten Sekunde versuchte sie aufzustehen, doch ihr Rücken, der unter dem Sturz arg gelitten hatte ließ sie wieder zu Boden gehen und raubte ihr zusammen mit ihrem verkrampften Bein den letzen Nerv.
Vorsichtig krümmte sie sich, bis sie das Knacken der Knochen spürte und legte sich anschließend, ihre Atmung bewusst kontrollierend ruhig hin, während ihre Hände zu ihrem Bein wanderten, welches sie sorgevoll massierte um den Krampf daraus zu lösen.
Was sollte sie jetzt tun? Sie dachte still nach, ihr Bein massierend und auf ihre Umgebung lauschend wand sie sich vorsichtig und versuchte den Hang auszumachen, der sich als kleiner entpuppte, als sie ihn eingeschätzt hatte.
Wütend über ihre Unvorsichtigkeit hörte sie auf den verkrampften Muskel zu massieren und versuchte abermals aufzustehen, die Zähne zusammenbeißend, klebten ihre Kleider an ihrer Haut und sie roch die widerliche Mischung aus Schweiß und Schlamm die sie umgab und sie würgen ließ. Doch trotz alle dem, riss sie sich zusammen und schaffte es sich auf ihre wackeligen Beine zu stellen.
Das Gewicht ihrer Kleidung und Utensilien kam ihr mit einem Mal, um ein vielfaches schwerer vor, es jedoch hartnäckig ignorierend ging sie langsam, aber zielstrebig weiter, die Dunkelheit jetzt hinter und vor sich, die ohne Ende unbegrenzt, schien. Und mit einem Mal kam ihr das Bild des Soldaten wieder vor die Augen, welches sie grimmig dazu nutze noch ein wenig schneller zu gehen. Das ließ sie sich nicht bieten, nicht von ihm. Erst diese komplett verwirrende Geschichte und anschließend das ironische Gegenstück zu seiner Erscheinung, Lord George. Sie war dermaßen Fassungslos, sie hatte gar keine andere Wahl, als alleine weiter zu ziehen. Sollte er mit diesen merkwürdigen Männer weiter reisen, sie hatte sich bisher alleine durchgeschlagen, sie konnte es auch noch immer. Bei dem Gedanken verzog sich ihr Magen und sie spürte einen Anflug schlechten Gewissens. Doch schon in der nächsten Sekunde, war es damit vorbei und sie kämpfte sich weiter durch die durchdringende, schwüle Nacht. Es war nicht die Tatsache was er ihr verheimlicht hatte, sondern wie, auf eine gemeine, hinterlistige Art.
« Läufst du vor mir weg? », fragte eine belustigte Stimme, sodass sie sich augenblicklich im Kreis drehte, um ihren Ursprung zu entdecken.
« Das hättest du wohl gerne, Aiden Black. »
Sie blieb stehen und kümmerte sich nicht länger um ihre körperlichen Makel, sondern versuchte so gut es ging gerade und respektvoll zu stehen und sich eine würdevollere Äußere Erscheinung zu erschleichen.
« Nein, das nun wirklich nicht....Nein. », schloss er und trat hinter dem Baum hervor, hinter dem er sich versteckt gehalten hatte. « Warum gehst du dann? »
« Warum folgst du mir? », fragte sie statt einer Antwort und schob ihren Unterkiefer weit nach vorne, ihn nicht anblickend.
« Meine Vergangenheit unterscheidet sich nun einmal von denen anderer. Ich habe bereits versucht mir dessen nicht mehr bewusst zu sein oder einen anderen Weg einzuschlagen auf dem diese keine Rolle mehr spielen, doch es ist mir unmöglich. »
« Du bist nicht der einzige der in der Vergangenheit schlimme Dinge gesehen und miterlebt hat. Das ist eine Tatsache, ich meinerseits habe mich vor eine Wahl gestellt, entweder ich gehe einen neuen Weg, wie du es genannt hast, oder aber ich wähle die Rache. Du weißt welche Wahl ich getroffen habe. Mit Ferguson werde ich die Mörder meiner Familie finden und du hast dich doch auch schon längst entschieden. »
« Das ist wahr aber... »
« Unsere Zeit ist begrenzt und weißt du, es ist so, wie ich es mir anfangs gedacht habe, du bist einfach nur nervtötend und unhöfflich, keineswegs erachtenswert. »
« Hör auf damit, ich...verdammt, ich brauche dich. Deine besserwisserische Art, deine Sturheit, deine sanfte Ader die du so selten zeigst...jedes Mal wenn ich daran denke, funken mir die Bilder meines eigentlichen Ichs dazwischen, ich konnte nicht anders als dich belügen. »
Mit einem Seufzer atmete Helen schwer aus.
« Wir sind einfach zu verschieden, sieh es ein, es stand von Anfang an fest, du kannst deine charakterliche Veranlagung nicht mehr ändern. Ich wäre früher oder später so oder so gegangen. Dein Schutz war zwar hilfreich, doch ich werde es ebenso gut alleine schaffe. »
« Ist es weil ich dich belogen habe? Mein Gott, du kennst jetzt den größten Teil der Wahrheit, was willst du mehr? », fragte er genervt.
« Weißt du langsam merke ich das du immer noch nervtötend bist. », sagte sie trocken und ging im normalen Tempo weiter.
« Es reicht. », bellte Aiden plötzlich und ballte seine Hände zu Fäusten, das Gesicht zu einer wütenden Grimasse verzehrt. Mit einem großen Satz und hektischen Bewegungen holte er sie ein. Sie aber war bereits stehen geblieben, den Kopf gesenkt, wich sie seinem Blick aus.
« Lass mich dich noch bis nach Derby begleiten. Nur noch das Stück und ich verspreche dir ich werde dich in Ruhe lassen. »
« Was hast du davon? » , fragte sie aufgebracht und er sah die glitzernden Fäden auf ihren Wangen.
« Lass es mich als Geste des Abschiedes tun, eine letzte gut gemeinte Tat »
« Ich kann deinem Urteil nicht mehr Vertrauen.“ «
« Helen ! », unterbrach er und festigte seine Stimme durch ein Räuspern.
« Ich habe keine andere Ausweichmöglichkeit, wie? Aber dann sag mir den wahren Grund warum du das tun willst! »
« Den wahren Grund? Du sprichst in Rätseln, wie könnte ich dich verstehen... », fing er an und war um einen verwirrten Ton bemüht « Dann sag mir weshalb du vor mir fliehst, als Gegenleistung, sozusagen. » Seine Mundwinkel zuckten und er konnte beobachten wie Helen eine Welle des Humors überlief und sich ihr ganzer Körper schüttelte.
« Einverstanden. » Gegen seine Sturheit konnte sie nun einmal nichts ausrichten, selbst wenn sie es wollte.
« Ist dir nicht kalt? »
« Ein bisschen, ja. Aber das macht nichts » , gab sie zu und wand ihren Kopf um einen geeigneten Sitzplatz zu finden.
« Dort drüben. », warf er ein und zeigte mit einem Kopfnicken auf eine vom Mond beschienene Lichtung, die ihm um einiges gemütlicher vorkam als die dunklen Umrisse die in hier umgaben. Dort angekommen dauerte es nicht lange bis sich eine neue peinliche Atmosphäre zwischen ihnen bildete. Obwohl sie schon so viele Nächte gemeinsam durchwandert hatten, kam es ihnen vor als wäre es die Erste und alle Fragen standen zwischen ihnen.
« Also? Erzähl es mir. Andernfalls würde ich es vorziehen weiter zu gehen. », sagte sie und schlang ihre Arme um sich selbst um sich vor dem plötzlichen Wind zu schützen, dann sah sie ihn kurz an, wand ihren Blick hastig wieder zu Boden und blieb stumm.
« Nun ja....die Sache ist die... » Auch er wich ihr aus, legte seine Arme angewinkelt an seine Hüften und lief unkontrollierbar auf und ab. « Ich wollte...nein konnte dir nichts von mir erzählen, um dich zu schützen. Ich wusste das Seymours Männer mich verfolgten, doch als ich dir begegnete und wie es der Zufall so wollte, ich es schaffte dich von den Soldaten zu trennen, musste ich dich so schnell wie möglich an einen sicheren Ort bringen. Hättest du meinen Namen erfahren, meine Verwandtschaft oder ähnliche Informationen, hätte man dich als Druckmittel benutzen können, niemand durfte erfahren mit wem du gereist bist. Als ich schließlich von deinem Onkel und Seymour erfahren habe, war es zu spät und ich musste dich von dort fortbringen. Das du nach Derbyshire, dem Sitz meines Bruders wolltest, kam mir dabei nur gelegen. Ich konnte dich damals in dem Wirtshaus doch nicht... »
Überrascht blicke sie auf, worüber wollte er denn jetzt reden? War es ein schlechtes Gewissen das ihn dazu bewog? Eine erneute Einsicht? Oder wollte er es sich einfach von der Seele reden?
« Was hat das jetzt damit zu tun? », fragte sie skeptisch und zitterte kurz auf, die Hitze die sie durch den Sturz und das Laufen entfacht hatte, war schon längst wieder verebbt und der Wind zeigte sich kühl und erbarmungslos.
« Ich hatte einfach nichts zu verlieren, damals, rein gar nichts. Im Grunde war es mir nach Seymours Demütigung sogar egal ob ich noch lebe »
« Tja, ziemliches Pech, dass du mich gefunden hast. »
« Wie gesagt, jetzt habe ich etwas zu verlieren. » Er räusperte sich kurz und setzte sich in das Hohe Gras, während der Mond seinen Rücken beschien und er wie eine unheimliche Gestalt am Boden wirkte.
« Was hast du denn jetzt bitte mehr zu verlieren als früher? », fragte sie verwirrt und biss sich auf die Lippe als sie seinem klaren, aufordernden Blick traf der exakt auf sie gerichtet war.
Sie schluckte schwer und wand ihren Kopf um ihm zu entkommen seitlich zum Himmel.
« Ich wollte dir einfach keine weiteren Probleme bereiten. Ich bin so ein Mensch der immer wieder...Ärger mit sich zieht »
« Das bin ich auch, was könnte also deine Anwesenheit schlimmer machen? »
Sie zuckte mehrmals mit den Axeln, als Zeichen das sie es nicht wusste, worauf er schwer seufzte.
« Tja tut mir ja leid, aber nur weil du plötzlich etwas zu verlieren hast, muss das Gleiche ja nicht für mich gelten. », gab sie darauf zurück und funkelte ihn an.
« Weshalb wolltest du dann meinen Begleitschutz? », fragte er und lächelte erneut. Da sie darauf nichts zu erwidern hatte, blieb sie stumm, zeigte sich aber resigniert und ging zu ihm, kniete sich hin und berührte seinen Arm.
« Erzähl mir von deiner Mutter, wenn es dir nichts ausmacht. », fügte sie auf seinen erstaunten Blick hinzu und setzte sich direkt vor ihn. Und so fing er an, erzählte unwichtige Details, kleine Geschichte, erzählte ihr von Farben, Mustern und Spielzeugen, während sie gebannt zuhörte und ihm langsam verzieh.

Der Mond stand noch auf seiner höchsten Position, während freche Wolkenfetzen immer wieder an ihm vorbeihuschten und ihn zu verdecken versuchten. Winzige Sterne funkelten, kalt und doch mit glänzendem Schein dazwischen auf, und die Bäume, unten auf der Erde bewegten sich sachte zu ihrem tröstlichen Licht.
Sie saßen beide dicht beieinander, Aidens Umhang über Helens Schultern gelegt und beobachteten diese Schönheit, fasziniert und doch abgelenkt durch sich selbst.
« Werden sie dich nicht aufhalten, wenn du mit mir kommst? », fragte Helen und drehte sich ein Stück, sodass ihr Körper ganz leicht den seinen berührte.
« MacKenzie und Craig? Sie werden nicht gerade begeistert sein...aber sie sind schlimmeres von mir gewohnt, außerdem werden sie die vorherige Zeitplanung nicht einhalten können, es wäre aussichtslos. Die paar Tage, werden ich ihnen schon abringen können. »
« Wie meinst du das, nicht aus den Augen lassen? Werden sie mit uns kommen? » Sie stützte sich jetzt auf ihrem Arm ab, ihr Ellbogen drückte sich dabei in das Gras und sie spürte das leichte kitzeln der Halme auf ihrer Haut.
Sein ruhiger Gesichtsausdruck veränderte sich nicht und doch glitzerte ein schemenhaftes Funkeln in seinen Augen auf.
« Nein, sie werden längst gemerkt haben, dass wir nicht mehr zurück kommen, dafür haben sie andere Mittel.»
« Erklär es mir.», forderte sie halb gereizt, halb belustig und stieß ihn mit ihrem Körper an.
« Craig hat einen Wolfshund, eher eine halb trainierte Bestie, der Hund ist ganz in unserer Nähe und wird uns wohl auch noch die nächsten Tage begleiten. Er sagt er hat ihn von einem Indianerdorf aus den Kolonien, er hat nur knapp die Überreise überlebt, doch wie man sieht.... »
« Ist er ein Dämon? »
« Das nun weniger, ich würde eher sagen er hat mehr etwas von einem Wolf, aber wer weiß das schon so genau? » Sie gab ein zustimmendes Geräusch von sich, als ihr Bauch plötzlich ein lautes Brummeln von sich gab.
« Hast du Hunger? ». Die Frage bejahend bereute ein Teil in ihrem Inneren das sie die beiden Männer verlassen hatten, denn dort hatte sie zumindest etwas zu Essen bekommen, seit dem war eine ganze Weile vergangen und sie fragte sich beiläufig was die beiden gerade taten und wohl aßen.
« Glaubst du Seymour ist weiterhin hinter dir her? »
« Ich weiß es nicht. Vermutlich schon, es kann sein das er mich für Tod gehalten hat, aber da ich vermute dass ich nicht gerade wie ein Geist aussehe, wird er diese Erkenntnis wohl wieder korrigieren. »
« Außerdem kommt es darauf an, wer sein Auftraggeber ist. Entweder er wird diesen informieren und eventuell erneut nach dir suchen oder aber er lässt es sein, was ich für unwahrscheinlich halte. », sagte sie und sah den großen, ungewaschenen Mann vor sich.
« Wenn er überhaupt einen Auftraggeber hat, was ist wenn er von alleine handelt? »
« Das kann natürlich sein. », spekulierte Helen, die bis zu diese Zeitpunkt noch nicht über diesen Aspekt nachgedacht hatte « Es kommt wahrscheinlich darauf an, wie wichtig er dich einstuft. »
« Oder dich. », erweiterte Aiden den Satz und sah sie misstrauisch an. « Ich habe dich wohl jetzt in noch größere Gefahr gebracht als zuvor, denn ich glaube das er damals von dir nur ein paar Informationen wollte oder das du schweigst, wie auch immer - Doch jetzt nachdem er uns in Verbindung gebracht hat... »
« Nein das glaube ich nicht. Er wird sich denken können das unsere Zusammenkunft nicht sehr wichtig war. Wenn du der Sohn von Lord George bist -» Sie sah ihn ernst an. « glaube ich eher das ihm etwas daran liegt, entweder eure Verbindung zu zerstören oder dich als Pressmittel zu benutzen »
« Das kann sein, aber unsere Zusammenkunft ist nicht sehr wichtig? », fragte er und zog seine Augenbrauen hoch.
« Du weißt was ich meine. Viel wichtiger ist jetzt Derby zu erreichen. Dort habe ich im Falle das du Recht hast und Seymour jetzt auch hinter mir her ist genügend Schutz, ich hoffe es jedenfalls. », fügte sie hinzu. « Wir können es in gut zwei Tagen schaffen, doch was dann? »
« Vorerst können wir zusammen bleiben », schlug er vor und wartete erst gar nicht auf eine Antwort. « Vielleicht ist es ganz klug, wenn du einige meiner Verbindungen dort kennen lernst, nur für den Fall dass ich dich wirklich mit in die Sache gezogen habe und danach....kannst du tun was dir beliebt. »
« Gut. », sagte sie knapp und spürte ein erneutes Bauchgrummeln tief aus ihrer Magengegend.
« Aber Vorher besorgen wir uns noch was zu Essen. », sagte er und sah sie belustigt an.

19. Morddurst

« Ich hoffe er macht keinen Ärger, oder was glaubst du? », fragte Helen und blickte durch das qualmige, menschenüberladene Zimmer, um einen kurzen Blick auf die sich gerade schnell öffnende und ebenso schnell schließende Tür zu erspähen.
« Ich denke nicht. Er wird ganz brav auf uns warten, jedenfalls auf einen von uns. », entgegnete Aiden und konnte einen Seufzer nicht unterdrücken. Er lehnte sich etwas weiter über den klebrigen, aber ganz robusten Tisch und blickte auf seinen halb vollen Teller, der eine ordentliche Fleischpastete enthielt.
Sie hatten wie vorher spekuliert Derby innerhalb von zwei Tagen und mehreren Stunden erreicht und befanden sich nun im Ortsteil Crewton. Ihr erster Eindruck fiel nicht sehr positiv aus, aber aufgrund der häufigen Besuche der beiden in der Stadt, waren der Geruch nach Kloake und ungewaschenen Menschen und Dung, welche alles überlappten nicht mehr ganz so aufdringlich und penetrant wie zuvor. Gebäude die hätten beeindruckend oder sehenswert sein können, fielen den beiden nicht in die Augen und für mehr als für das Gedränge der Menschen, die Kutschen und Tiere, der Gestank und der graue Himmel, hatten sie keine Zeit davon Notiz zu nehmen.
Gleich bei der erst besten Gelegenheit hatten sie sich in eine Taverne zurückgezogen in der sie nun Zigarrenqualm, Alkohol und ebenso ungewaschene Körper rochen, allerdings zogen sie diese Art von Gerüchen, den der Straßen alle Mal vor und so war ihnen die Entscheidung leichter gefallen. Einzig Craigs Hund, der sich wie angenommen ihnen angeschlossen hatte, lag draußen und wartete geduldig bis sie zurückkommen würden. Sein wedelnder Schwanz war hier und da zu sehen, wenn die Tür aufgestoßen wurde. Aiden hatte sich geweigert ihn mit hinein zu nehmen.
« Das du dir sorgen, um einen Hund machst. », sagte Aiden und lächelte.. Helen die sich von einem Teller ein Stück Brot nahm und dieses mit einem frischen Bier herunter spülte gluckste auf, sagte aber nichts mehr.

Da sie sich nun gestärkt fühlten, erinnerte sich Aiden an seine geplanten Besuch bei einer alten Bekannten. Helen würde ihrerseits die alten Wohnung aufsuchen, in der sie mit Ferguson über einige Zeit lang gelebt hatte. Sie wusste natürlich das dieses Verhalten mehr als unschicklich und recht peinlich war, doch Aiden verhielt sich dieser Angelegenheit gleichgültig gegenüber, dass sie nicht weiter darüber sprachen. Ob Andrew Kincaid nun recht behielt, mit seiner Anschuldigung, Ferguson würde geschäftlich in London sein, würde sie nun herausfinden, doch sie zweifelte instinktiv an dem Wahrheitsgehalt seiner Mitteilung. Es verwunderte sie viel mehr, dass er überhaupt Informationen von Ferguson besaß – oder sie viel mehr nicht James zukommen ließ, dem es ein Genuss wäre, dem beschuldigten Mörder seiner Eltern, das Genick zu brechen. Da ihr Onkel allerdings ebenso mit Seymour geschäftlich zu tun hatte, hielt sich ihre Verblüffung in Grenzen.
Sie musterte Aiden von der Seite und bemerkte zuerst nicht dass er zu ihr sprach, bis er sie leicht am Arm packte und sie rüttelte; verwirrt blickte sie ihn an.
« Wir treffen uns um fünf Uhr in der Taverne am Marktplatz, Black Mirror heißt sie. Versuche Pünktlich zu sein, ich habe wichtige Dinge mit dir zu klären, insbesondere über unseren weiteren Verbleib. »
« Deine Sorgen sind unbegründet, zwar bin ich kein optimistisch veranlagter Mensch, doch hoffe ich zumindest, dass die Dienstboten mir näheres über Finns Aufenthalt sagen können. »
« Dann ist es beschlossene Sache. », sagte er, nickte ihr zu, richtete seine Kleider und setzte stumm einen ernsten Gesichtsausdruck auf, bevor er noch einmal tief einatmete und ohne weiteres die Averston Street hinunterlief.
Er betrachtete die ringsum stehenden Häuser mit mäßigem Interesse, viele davon waren schon alt und durch Krieg, Wind und Wetter übel zugerichtet, doch sie standen, und die Leute tummelten sich in großen Trauben, um die kleinen Geschäfte, mit großen Schildern und dreckigen Schaufenstern. Ab und zu, wenn der Wind aus einer bestimmten Richtung kam, konnte er Flusswasser riechen, die Derwent konnte nicht weit von ihm entfernt sein.
Als er einen, alten, nicht funktionierenden Brunnen erreichte blieb er kurz stehen und sah sich um, schnell fand er was er suchte und machte sich ohne weitere Gedanken in eine anzweigende Gasse auf, in der er vor einer großen aus Eiche gezimmerten Tür erneut stehen blieb. Mit nicht sehr strengem Auge musterte er sich selbst und seine Kleidung, zog hier und da eine Falte glatt und rieb sich den Staub herunter, bis er keine weitere Ablenkung mehr findend die Hand an die Türklinge legte. Ein letzter Blick auf das verschnörkelte rostig-braune Schild und die goldenen Lettern, dann trat er ein.
Die Geräusche der Straße erstarben sofort, Wagenräder verstummten, Geschrei verblasste und Stimmen blieben stumm und ein gewaltiger wärmender Luftzug sprang ihn wie ein längst vergessener Freund zuvorkommend entgegen.
Als er die Tür wieder hinter sich schloss, vernahm er neues Stimmengewirr, doch es war leiser und entspannter und eine Wohltat für seine Ohren.
Ein Feuer knisterte nicht weit von ihm in einem alten Kamin, er konnte das Brennholz riechen und die Asche zu der es wurde und fühlte sich zum ersten Mal seid sehr langer zeit wieder ein Stück weit heimisch. Seine Schritte wurden automatisch schneller bis er schließlich den großen Empfangstisch erreichte, der verlassen, aber edel vor ihm stand, sodass er gezwungenermaßen, mit der Glocke nach jemanden läutete.
Es dauerte nicht lange und ein Dienstmädchen Mitte Zwanzig, mit einem rundlichen Gesicht und braunen Locken erschien. Höflich machte sie einen Knicks.
« Ich möchte die Pansionsleiterin sprechen. », sagte er und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Eine zeitlang geschah gar nichts und das Mädchen musterte ihn höchst neugierig, als sie aber seinen stechenden Blick bemerkte, senkte sie sofort die Augen und stammelte etwas so unverständliches, dass er kein Wort verstand. Doch er brauchte nicht danach Fragen, er konnte sich denken was sie gesagt hatte und folgte ihr, ohne weitere Blicke, in den anliegenden Salon, über eine Treppe in ein Hinterzimmer und schließlich in einen privaten Geschäftsraum, der ihm bekannten Dame, wo er alleine zurück blieb und wartete.
Die Frau auf die er gewartet hatte erschien einige Augenblicke später und glotze ihn verständnislos von der Tür aus an.
« Aiden ? » , fragte sie ungläubig und blieb wie erstarrt stehen, röte stieg ihr ins Gesicht.
« Euer Diener, Ma´am. », antwortete er, machte eine umständliche Verbeugung und lächelte ihr charmant zu.
« Was tut Ihr hier? Ich meine Euer Vater ist auf See und Euer Bruder...aber ich dachte...warum habt Ihr mir keine Nachricht zukommen lassen, ich hätte dafür gesorgt dass… »
Doch sie kam nicht mehr dazu zu sagen für was sie gesorgt hätte, denn er winkte ihre Worte mit einer einfachen Handbewegung ab.
« Mein Vater ist also wieder auf See? Ich sehe schon...aber was soll’s ich bin selber schuld, ich hätte früher wieder kommen sollen. Meine Pläne wurden leider....über den Haufen geworfen...und es tut mir auch aufrichtig leid aber ich konnte Euch keine Nachricht zukommen lassen, niemand sollte erfahren wo ich mich aufhalte. »
« Verständlich, verständlich. », entgegnete die Frau und auf ihren runden Wangen erschienen rote Flecken, sodass sie mit ihren eher pummeligen Körerpausmaßen Ähnlichkeit mit einem Schweinchen bekam. Er lächelte kurz bei diesem Gedanken, kehrte aber schnell wieder zum eigentlichen Thema zurück.
« Mein eigentliches Anliegen ist, dass ich ein Zimmer benötige. Es ist mir gleich welches, doch sollte es unter uns bleiben. Ihr kennt meinen Geschmack, als unsere ehemalige Haushälterin. Des Weiteren muss ich Adam eine Nachricht zukommen lassen, ebenso wie Sir Craig, er muss erfahren wo ich mich aufhalte, ich muss dringend mit ihm reden. Außerdem...ist etwas nicht in Ordnung? »
Die Frau hörte schon eine ganze Weile nicht mehr zu, sondern starrte hinter sich, wo er nun ebenfalls das Dienstmädchen von zuvor erblickte die angstgelähmt vor einem Hund zurück wich und mit einem zögerlichen « Kusch, kusch. », erfolglos versuchte ihn zu vertreiben. Aiden der die Situation sofort erfasste, eilte zu ihr und nahm den Hund am Rückenfell ins Zimmer schleifend hastig an sich.
« Böser Hund, böser, böser Hund. », flüsterte er, innerlich amüsiert und kniete sich zu ihm herunter. « Schau mich nicht so an Kiba. », sagte er schließlich und versuchte dem traurigen Blick des Hundes namens Kiba zu entkommen.
« Ich weiß das Ihr keine Tiere duldet, könnten wir... »
« Eine Ausnahme machen? », beendete die Frau den Satz und musterte den Hund mit grausiger Vorahnung.
« Es ist Sir Craigs Tier, er hat es mir für die Reise überlassen. », erklärte Aiden und tätschelte zuversichtlich Kibas Kopf.
« Dieser Mann glaubt tatsächlich man würde seinen Titel über sein Benehmen stellen, Sir Craig hätte Euch begleiten müssen...nach den ganzen Sorgen die sich Ihr Vater und Bruder um Euch gemacht haben. Ihr könnt von Glück reden, dass er nicht hier ist, dafür... » Über ihr Gesicht huschte ein Schatten, der ihm nicht entging und er ernst auf sie zuging.
« Dafür? » , verlange er zu wissen und blickte ihr in die Augen, dass sie ängstlich zusammenzuckte. « Verzeihen Sie, Ms Brian, die Nerven sind mit mir durchgegangen. » , sagte er und wand sich urplötzlich ab, die Stirn in Falten gelegt und den Blick in Richtung Fenster abgewandt.
« Wünscht Ihr etwas zu trinken? », fragte die Dame nun, sie hatte sich weitgehend beruhigt und überspielte die Situation gekonnt, jappte aber immer noch energisch nach Luft, was ihm aufrichtig leid tat. Allerdings wollte ihn dieses dafür nicht aus dem Kopf gehen, doch er schob es vorerst zur Seite um anderen Dingen platz zu machen.
« Könntet Ihr also bitte Adam ausrichten er soll um Vier Uhr in der Taverne Black Mirror erscheinen? Ich hoffe das lässt sich einrichten. »
« Gewiss doch, gewiss. », versicherte Ms Brian und nickte energisch, wie ein pickendes Huhn.
« Sir Craig schreibt bitte, dass ich wohlbehalten in Derby angekommen bin und mir sein Hund gute Dienste geleistet hat. »
« Sonst noch etwas, Sir? », fragte sie und blickte ihn besorgt an. « Ihr seht müde aus, ich werde Euch ein Zimmer herrichten lassen. Bevor Ihr Adam seht, solltet Ihr bei Kräften sein. »
« Wie Ihr wünscht. », antwortete er nur knapp und fragte erst gar nicht warum. Einzelheiten konnte er später klären und nachdem er und Helen, die gesamte Nacht durchwandert hatten, war ein Bett, die schönste Vorstellung die er sich seid langem machen konnte.
Das Zimmer befand sich im zweiten Stock des Hauses, es war spärlich möbliert, reichte ihm aber vollkommen aus. Mit müden Knochen hastete er auf das Bett, dass die Matratze quietschte und legte sich, die Augen geschlossen, auf den Rücken und schlief sofort ein.

Um Drei Uhr erwachte er, geweckt durch die nervtötenden Glocken der Kirchuhr und setzte sich mühselig auf. Es war ein heißer Tag und seine Kleider klebten ihm am ganzen Körper, sodass er gezwungenermaßen an die kleine Anrichte ging und sich mit einer Schüssel Wasser Gesicht und Nacken zu waschen. Er streckte sich und sah beiläufig aus dem kleinen runden Fenster, aus dem er Dächer über Dächer sehen konnte, die Meilenweit kein Ende nehmen wollten.
Es war in der Tat sehr heiß geworden und die morgendliche frische war vollständig verfolgen, als er jetzt eine halbe Stunde später durch die große Eichentür hinaus auf die Straße ging.
Außerdem wimmelte es jetzt von Menschen auf der Straße, die rufend, feilschend oder stumm an ihm vorbei gingen ohne ihn direkt zu bemerken oder gar anzusehen, er war ein Niemand, unbeachtet in der Fülle der Leute.
Er genoss dieses Privileg und schlenderte langsam über die gepflasterte Straße, während er sich in aller Ruhe, Häuser, Kutschen und Menschen ansah.
Schließlich war es kurz nach halb vier als er die Taverne erreichte. Das Mauerwerk war schon alt, wie die meisten in der Stadt, doch dieses Gebäude schien dadurch nur noch mehr an äußerlicher Schönheit zu gewinnen und machte einen robusten Eindruck. Die Fenster waren aus bunte Glasstücken und als er hinein ging fiel sein Blick sofort auf den großen, über dem Kaminsims befestigten Spiegel, der in einem Schwarzen Rahmen steckte. Black Mirror, dachte er resigniert und suchte nach einem freien Tisch. Jetzt, so spät am Nachmittag war die Taverne gut gefüllt, doch es war eine andere Atmosphäre als in derjenigen in der sie am Morgen gewesen waren. Diese hier war weniger verqualmt und es stank nicht so sehr, im Gegenteil sogar, ein verlockender Duft schlängelte sich durch den Raum, der aus frischen Hefeteig, Wein und Holzrauch bestand.
Er durchquerte den Raum zweimal, bis er endlich einen kleinen Eckigen Tisch im hinteren Teil fand und sich dort niederließ. Äußerlich sah er weitgehend entspannt aus, doch innerlich war er das reinstes Nervenbündel. Was würde Adam zu allem sagen? Vor allem nachdem sie sich so lange nicht mehr gesehen hatten? Wie würde er reagieren wenn er ihm sagte das er beschlossen hatte bei ihm zu bleiben? In sein Geschäft mit einzusteigen? Dass er noch am Leben war, musste ihm schon lange bewusst sein, allein schon Craigs und MacKenzies Suche bestätigten dies und so stellte er sich eher auf ein Streitgespräch ein, als auf eine brüderliche Konversation.
Doch er kam nicht zu weiteren verwirrenden Gedanken, da ihn jemand von hinten an der Schulter berührte ; er drehte sich vorsichtig um, erblickte jedoch Helen, nicht Adam und entspannte sofort seine Gesichtszüge und fing das Atmen wieder an, welches er kurze Zeit vergessen hatte.
« Wollten wir uns nicht erst um fünf Uhr treffen? », fragte Aiden und suchte vergebens nach einer Uhr. Über ihr Gesicht huschte ein Schatten und er bemerkte zum ersten Mal ihre dunklen Augenränder und ihre angespannte Haltung die schon an böse Verkrampfung grenzte.
« Alles in Ordnung? Wie war dein Treffen? Hast du etwas heraus gefunden? »
So viele Fragen schienen sie zu irritieren und sie blieb stumm und fuhr sich gestresst durch die Haare.
« Ich habe mir ein Zimmer besorg unten in der Avancer Street, wenn du willst kann ich dich dort hin begleiten? »
« Nein, es geht schon. », sagte sie abwinkend und fasste sich an die Stirn und zog ihre Hand seitwärts über ihr Gesicht. « Mach dir keine Umstände. Erwartetest du etwa jemanden? »
« Ja in der Tat, meinen Bruder. » Sie wollte etwas erwidern, doch er kam ihr zuvor.
« Du siehst wirklich müde aus, bist du sicher dass -»
« Kannst du für einen Augenblick mit diesem fürsorglichen Mist aufhören? », unterbrach sie ihn sehr ordinär und genervt.
« Ja, aber... », wollte er ansetzen, als er erneut zum Schweigen gebracht wurde, dieses Mal allerdings weniger durch Worte, Adam stand an seiner Seite, er erkannte seine stramme Haltung und seine elegante, einschüchternde Bewegung als er sich vor Helen verbeugte, noch ehe er richtig hinsah.
« Euer Diener Miss. », nuschelte er und lächelte sie freundlich an, was Helen noch mehr zu verwirren schien. Dann streckte er die Hand aus, die Aiden freudig ergriff und sie sich kameradschaftlich umarmten.
Als er sich setzte, warf er seinem Bruder einen fragenden Blick zu, versuchte etwas zu sagen, verstumme aber je als er in Helens Richtung blickte. Währenddessen musterten sie sich eingehend. Aiden sah deutlich seine angespannte Haltung, seine belesenen Augen und seinen großmütigen Gesichtsausdruck, der ihn Bitterkeit spüren ließ. Sein schwarzes zerstrubeltes Haar, fiel ihm vor die glänzenden Augen und ein wissender Zug umspielte kurze Zeit seine schmalen Lippen, die auf Widersprüche und Argumente warteten.
Er dagegen warf ihm ein spekulierendes, etwas provozierendes Lächeln entgegen, das er plötzlich erwiderte.
« Bruder, ich möchte dir meine Aufwartung machen, jedoch muss ich von vornherein sagen, dass ich mir davon erhoffe deine Gesellschaft länger in Anspruch zu nehmen. Wundere dich also nicht über meine eventuelle Dreistigkeit. », sagte Aiden und wagte es erst gar nicht seinen Blick abzuwenden, denn seine Methode, Adam für seinen Vorschlag zu gewinnen, bedarf einen kolossalen Anteil an Ernsthaftigkeit, ebenso durfte Rücksichtslosigkeit nicht minder darin verstrickt sein. Zweifel und Sorge, durfte ihn jetzt nicht schwach erscheinen lassen und sein Bild auf eine bittenden Narr hinunterspielen.
« Du verlangst von mir in mein Geschäft einzusteigen nehme ich dir einmal unverschämter Weise vorneweg. Doch dein Durchsetzungsvermögen hält sich in Grenzen, Sturheit und ein gewisser Grad an Galantheit und Intelligenz, die ich dir zusprechen muss, machen aus dir noch lange keinen erfahrenen Mann, den ich gebrauchen kann », sagte er scharf und ein stummer Blickwechsel folgte.
Helen dagegen war vollkommener Überraschung ausgesetzt. Unter seinem Bruder, hatte sich in ihrem Kopf eine völlig andere Vorstellung festgesetzt, die sie nun erfolglos versuchte wieder abzuschütteln. Stumm folgte sie der Unterredung der beiden, doch dieser Mann der ihr gegenüber saß, strotze vor Lebendigkeit und Tatendrang. Zwar waren seine relativ jungen Züge etwas verwirrend, doch alle Mal so einnehmend, dass sie ihn wie gebannt anstarren musste. Adam Wolverton war in der Tat, seines Vaters Sohn.
« Du scheinst dir ein klares Bild von mir gemacht zu haben. Überhaupt scheinst du dein Urteil so gefestigt zu haben, du würdest keinen Deut mehr davon abrücken – und mich nennst du stur? Was ist es das dich davon abhält deinem Bruder Hilfe zu leisten? Doch nicht etwa diese Fehleinschätzung meiner Wesenszüge! »
« Ob ich nun richtig liege mit meiner Einschätzung oder nicht, wenn es in meiner Macht liegen würde über dich zu urteilen und dich zu befehligen, ich würde dich mit dem ersten Schiff sogleich auf den nächsten Kontinent schaffen lassen, doch leider...um es einzuräumen, ich habe mir Sorgen gemacht, Kopfschmerzen hast du mir bereitet, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren können. Doch nun sitzt du nun einmal bei mir, lebendig, stur und ungehorsam, in belgeitung einer Dame. »
« So habe ich dich verwirrt? Oder bist du nur wütend über die letzten Ereignisse, dass du sie nicht verhindern konntest? Dass ich auf deinen Befehl, die Reise angetreten bin? »
« Verwirrt ist untertrieben. Schockiert hast du mich in aller Maßen, nur ist jetzt nicht der rechte Zeitpunkt dies genauer zu erläutern. Vater ist auf See und da ich dich sehen kann und meine Augen mir nur selten einen Streich spielen, hast du es nicht rechtzeitig geschafft dich zu ihm zu gesellen. »
« In der Tat nicht. Es wäre unmöglich gewesen, das Schiff in Edinburgh noch zu erreichen. Solltest du also nicht von deinem Entschluss zurück treten, mich nicht bei dir aufzunehmen, so frage ich dich, was soll ich deiner Meinung nach tun? Ich vertraue auf deinen Rat. »
« Deine übereilte Handlung hat uns in eine verquere Situation gebracht. Deine Entscheidungen nach diesem Unglück mit Seymour, waren nicht sehr hilfreich -»
« Dessen bin ich mir deutlich bewusst, verdammt. »
Die Anspielung seines Bruders war mehr als deutlich und kränkte in in jeder erdenklichen Weise; denn seine Vagabundenähnlichen Tage, in denen der stetige Hunger und die beständige Angst vor Verfolgern im Nacken ihn begleitet hatten, dies alles hatte er sich selbst zuzuschreiben. Wäre er nicht wie ein Verrückter, nach rachesühnender Engel hinter Seymour hinterher, wäre die Situation eine völlig andere. Sein effizienter Ausraster, hatte auch Adam und seinen Vater leiden lassen.
Es dauerte einige Zeit bis beide wieder aufgehört hatten sich über den Tisch hinweg stechende Blicke und alles sagende Gesichtsausdrücke zuzuwerfen, ehe sich ihrer beider Gemütsverfassung linderte. Scham über ihre Worte und Formulieren holte sie an den Boden der Tatsachen zurück und Aiden schließlich ihre Unterhaltung wieder damit aufnahm so detailliert es ihm möglich war über Seymour zu erzählen. Adam hörteihm ruhig zu und warf hier und da eine kurze Frage ein.
« Bist du sicher das der Mann den du auf Kincaids ridge und bei den Conners gesehen hast, er war? »
« Ich habe doch Augen im Kopf, Mann. », erwiderte er. « Ich weiß nicht was er dort wollte, aber er hat bereits einige Männer um sich gesammelt und nach Schlitzauge zu urteilen sind es noch weitaus mehr. »
« Schlitzauge? », fragte er und hob eine Augebraue. « Wie mir scheint hat sich diese Reise auf deine Ausdrucksweise nicht minder ausgewirkt, wie auf dein verdrecktes Äußeres. »
Mit müder Miene winkte er eine Kellnerin zu sich und bestellte, auf seinen Schrecken und um der Erleichterung willen, die er dank der Lebendigkeit seines Bruders Widerwillen verspürte. Noch während er sich mit ihr unterhielt warfen sich Aiden und Helen einen Blick zu, der unvorteilhafter nicht hätte sein können. Ihr seid beide nicht ganz bei Trost, sagte der ihre, während seiner von Belustigung bis höfflicher Versicherung, er sei ganz bei Verstand, so ziemlich alles hätte bedeuten können.
Er grunzte leicht auf, gestärkt in seinem Unterfangen, welches er plante und unsicher über dessen Methoden die er anwenden musste.
« Wie also kommt du darauf einen Mann Schlitzauge zu nennen? », fragte Adam erneut und lauschte mit guter Miene zum bösen Spiel seines Bruders Schilderungen. « Ich sehe schon » , sagte er nach einer Weile und rieb sich nachdenklich das Kinn. « Du kannst von Glück reden das mich Ms Brians Laufbursche noch erwischt hat, ansonsten säße ich gar nicht hier. Doch Tatsache ist, dass du das Schiff unseres Vaters verpasst hast, traurig, aber wir können es nun nicht mehr ändern.“
« Das ist wahr, das Schicksal kann man nicht umgehen, doch was waren seine Gründe? Was sein Ziel? »
« Dies ist weder der richtige Zeitpunkt, noch der richtige Ort und geschweige denn die richtige Gesellschaft, um dir darauf zu antworten. », brummte er herblassend.
« Nun gut, das mag sein und ich werde dich nicht weiter damit bedrängen, doch warte ich noch immer auf deinen Rat. Du benötiget zuverlässige Arbeiter, deren Loyalität dir gewiss ist, du weißt das es keine bessere Möglichkeit für mich gibt unterzutauchen »
« Meine Geschäfte, ja meine Angelegenheiten sind für jemand deines Schlag, ebend solche ohne Hirn, viel zu gefährlich, als dass ich mich dazu breitschlagen würde, deinen Argumenten zu lauschen. »
« Du schmuggelst, meine Güte, was stellst du dir vor, könnte passieren? Stoffe und Kaffee, Spirituosen, alles aus der Karibik, ich war selbst Zeuge, als du die Sicherheiten deines Geschäfts den Leuten versichert hast. », sagte er und sah Adam gereizt an.
« Bist du dir im klaren wie viel Zeit und Aufwand wir investieren mussten um deinen Hintern zu finden? Ich habe einige meiner besten Männer von ihren Missionen beordert, um dich rechtzeitig zu verschiffen, denkst du wirklich ich lasse es geschehen, dass du ein Krimineller wirst? »
Bei diesen Worten wurde Helen hellhörig, ihre letzten Erinnerungen an James, seine ebenso gefährlichen Unternehmungen und drastischen Maßnahmen – nix wusste sie von ihnen. Was nur verband ihr Bruder mit Leuten wie Sir Craig? Sie fühlte sich so unsicher, so überflüssig und mies über ihren Verrat, sie hätte davonlaufen mögen.
« Was soll ich dann tun? », fragte er wütend und ignorierte den Portwein den er jetzt von einer zweiten Kellnerin vorgesetzt bekam.
« Ich hatte noch keine Zeit darüber nachzudenken, mir schwirrt es von deinen überstürzten Handlungen und irren Ideen, die nicht umzusetzen sind. Wenn dir also etwas an meinem Rat, an meinem Urteil liegt, so verhalte dich vorsichtig. Meine Geschäfte warten nicht auf mich, doch sobald ich bei klaren Verstand bin und die Situation abgewogen habe, werde ich dir eine Nachricht zukommen lassen. »
« Neue Ware? », erkundigte er sich, worauf Adam ein verschwörerisches, leicht eingebildetes Funkeln in den Augen nicht unterdrücken konnte . « So in etwa. Aber für dich nichts von Bedeutung. Du benimmst dich nicht viel anders als dein Neffe und er ist gerade Mal halb so alt wie du. »
« Sind er und deine Mary auch hier? », erkundigte er sich, die Anspielung höfflich ignorierend.
« Ja, aber ich lasse meine Frau und mein Kind natürlich außen vor, was das Schmuggeln anbelangt, dich ebenso. », fügte er sicherheitshalber noch einmal hinzu und nippte an seinem Glas. « Was deine Informationen über Seymour angeht, bin ich ziemlich beunruhigt, aber dennoch, ich war sehr froh als ich hörte das du noch lebst, also interpretiere meine Worte bitte nicht falsch. »
« Du wusstest davon? », fragte er und blickte ihn berechnend an.
« Ja, durch stetigen Kontakt mit Sir Craig, war ich stets auf dem Stand der Dinge und konnte so in etwa erahnen, wie sich die Ereignisse bei dir überschlagen haben. »
Er warf Helen einen fragenden Blick zu, den sie offen erwiderte, allerdings nichts dazu sagte.
« Meine Begleitung, die ich dir nun vorstellen möchte, nachdem wir die familiären Dinge geregelt hätten – Miss Kincaid »
« Es freut mich sehr. », sagte Adam abermals an sie gewandt, machte kurze Bemerkungen über ihre Schönheit und Rücksichtsnahme und ließ es sich nehmen sie überschwänglich zum Essen einzuladen. Höfflich nahm sie an.
Aiden fühlte sich, als ob er einen Boxhieb bekommen hätte und gab einen ähnlich erstickenden Laut von sich. Er sah vorsichtig zu dem Mädchen, das allerdings keinerlei Anstalten machte etwas zu sagen oder zu tun, worüber er im Augenblick mehr als froh war.
« Du ziehst scheinbar weibliche Gesellschaft der deines Bruders vor. »
« Keineswegs, ich hoffe doch euch beide empfangen zu dürfen. »
Aiden hatte seinen vorsichtigen Blick genau gesehen und ein ironisches Lächeln flog über sein Gesicht und seine Augen blitzen verräterisch auf, er wusste anscheinend schon längst wer dieses Mädchen ihm gegenüber war.
Doch er ging nicht weiter darauf ein und wechselte abrupt das Thema.
« Du wirst fürs erste von Missionen freigestellt, keine Aktionen, kein gar nichts. »
« Wie bitte? », rief Aiden entsetzt aus und war schon dabei sich zu erheben, als er sich es anders überlegte, zurück sank und versuchte sich zu beruhigen.
« Ich befürchte...ich muss nun wirklich gehen, wir können später weiter diskutieren, wenn mir bis dahin keine Lösung eingefallen ist, zuvor werde ich mich mit einem Freund beraten. », meinte er ruhig und nippte ein zweites mal an seinem Glas. »Es hat mich gefreut Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Kincaid. », fügte er an Helen gewand zu, und erhob sich. Aiden erhob sich ebenfalls, die Fäuste grimmig geballt und die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst.
« Du ziehst es also vor, ohne weiteres zu gehen ? Ohne Lösung, ohne befriedigende Antworten? »
« Ich habe keine andere Wahl, Aiden, es geht hier um viel mehr als nur das Schmuggeln oder deine fatalen Fehler. Ich werde natürlich sofort nach Seymour fahnden lassen, meine Kontakte lassen einigen Spielraum nach oben offen, ich werde dich später noch einmal treffen, dann können wir ernsthaft diskutieren. »
Zur Antwort nickte er nur und blickte seinen Bruder, enttäuscht und wütend nach, bis er bemerkte das er nicht alleine war.
« Ich muss dich ebenfalls verlassen. », sagte sie an ihn gewandt « Ich habe vorhin nur einen alten Bekannten getroffen, der mir nähere Auskünfte versprochen hat. Dein Bruder wirkt übrigens äußerst reizend. »
« Tut er das? Aber bitte. », sagte er grob und lud sie zum gehen ein, worauf sie keineswegs einging.
« Er wirkt sehr erfahren, wie kann es sein das -»
« Helen, ich habe kein Interesse an jeglichen Themen dieser Art – nicht jetzt. »
« Wenn das der Fall ist, werde ich tatsächlich gehen. »
« Nun gut. », gab er knapp zurück, teilte ihr die Adresse seines Zimmers mit und nippte an seinem Glas, während er Adams noch Volles abschätzend betrachtete. Helen dagegen kippte ihres in einem Zug herunter, gab einen erstickenden Ton von sich und machte sich auf. Er blieb alleine zurück.
Jedenfalls fast alleine, als ein alter Freund zu ihm angetrottet kam und ihn aus großen Hundeaugen anblickte.
« Nicht jetzt. », nuschelte er an Kiba gewandt und leerte sein Glas ebenfalls in einem Zug, es fühlte sich an als würde der Wein seine Zunge verätzen, doch er sagte nichts und blickte wütend auf den Tisch. Er hatte mehr von seinem Bruder erwartet, viel mehr.

Die Tür der Taverne hinter sich geschlossen, spähte Helen die Straße einmal hoch und wieder herunter. Nur des Schicksals Willen hatte sie es zu verdanken, das Objekt ihrer Begierde zu erblicken, zumindest dessen wehenden Umhang. In eiligem Tempo folgte sie diesem Anhaltspunkt und sah sich schon bald auf einer Backstein gepflasterten Straße Richtung Fluss wieder. Sie beschleunigte ihre Schritte bis sie fast rannte, eilte die Straße hinunter und bahnte sich den Weg durch die Massen aus Menschen und Kleidern die ihr Sicht und Weg versperrten. Der Schweiß brach ihr schnell aus, denn die Hitze der Sonne prallte noch immer unerbittlich auf sie hinunter und bis sie die kühle Gasse die überflutet mit den Schatten der Häuser vor ihr lag erreichte, war sie gänzlich außer Atem. Doch nicht alles schien in so schwermütiges Licht getaucht, wie ihre kurzatmige Verfassung, denn sie konnte die Umrisse des Mannes den sie verfolgte klar ausmachen. Nur wenige Menschen hatten sich auf diesen Teil der Straße verirrt, da die Straße zu eng für eine Kutsche war und zu übel aufgrund einer nahe gelegenen Gerberei, als das sie für erholsame Spaziergänge gedient hätte. Und so lief sie schnell, aber behutsam weiter.
Sie schnaufte kurz auf und versteckte sich hinter eine Ansammlung von Holzkisten, spähte durch einen Seitenritz und musste feststellen, dass der Mann nur wenige Meter vor ihr stehen geblieben war. Dann ging er weiter, langsamer, doch die argwöhnische Sicherheit ließ sie darauf beharren ihm zu folgen. Wie ein Blinzeln, nicht mehr und nicht weniger hatte er für nötig gehalten um sich scheinbar unsichtbar zu machen.
Hastig rannte sie zu der Stelle an der sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte, drehte sich im Kreis, um ihn zu entdecken, als er mit einem Mal, dass sie überrascht aufkeuchte, aus einer Abzweigenden Gasse heraussprang.
« Eine fixe Idee hat mir geraten auf Euch zu warten. Wäre es nicht mehr als unhöflich gewesen Euch bis zum Fluss laufen zu lassen, ehe ich Euren scharfen Augen entkommen wäre », sagte Adam und klang übertrieben sachlich.
« So glaubt Ihr also besser darüber bescheid zu wissen, was in naher Zukunft wartet, als ich? Wie schätzt Ihr mich demnach wohl ein, frage ich mich. », meinte sie und sah ihm provozierend in die Augen.
« Jedenfalls nicht so dumm, dass Ihr mich verfolgen würdet. Aber wenn ich die Umstände betrachte in denen Ihr Euch befindet…Sie lassen Euch nicht genügend Spielraum, als dass ich Euch die Zustimmung für Eure erstaunliche Aktion geben könnte. »
« Euere Zustimmung interessiert mich nicht. »
« Das habe ich mir bereits gedacht. Dann können wir diesen Punkt ja auch gleich streichen und Ihr sagt mir warum ihr mich verfolgt? » Er lächelte, doch es war eine merkwürdige Art von Spott darin vermischt, die sie in sekundenschnelle wütend werden ließ. « Ihr denkt doch nicht das ich mich mit Eurem Bruder treffe? Da muss ich Euch enttäuschen, er ist Meilenweit entfernt. »
« Das ist es nicht. », sagte sie ruhig und wand ihren Blick von ihm ab « Ihr habt mein Interesse geweckt. »
« Aber natürlich, ich verstehe. Ich werde über Aidens Zukunft bestimmen, als sein Bruder..,. Ich weiß nicht was für eine Beziehung ihr miteinander pflegt, aber ich sollte Euch lieber vor ihm warnen, seine Charakterlichen Eigenschaften, lassen sich nicht sehr schnell definieren. »
« Und das sagt sein Bruder. »
« Ja das sagt er. », gab er ihr recht und lächelte nun auf ehrliche Weise. « Aber das ist doch wohl nicht der einzige Grund warum Ihr mich verfolgt. Ihr wolltet mehr, zum Beispiel in Erfahrung bringen ob ich tatsächlich weiß wer Ihr seid und was ich nun diesbezüglich vorhabe, nicht wahr? »
Sie nickte und ihr überkam das Bedürfnis fliehen zu müssen, sein Hochmut und seine Selbstsicherheit ließen sie innerlich vor Ärger fast vergehen.
« Nun, ich wusste von Anfang an wer Ihr seid, da ich mithilfe eines Freundes, der gut mit Eurem Bruder bekannt ist, Aidens ständige Position ausfindig gemacht habe. »
« Es wundert mich nicht das Sir Timothy Craig Euer ergebener Diener ist. »,
« So ist es, jemanden anderen hätte Aiden nicht als Autorität akzeptiert. Ihr müsst wissen, dass er ein sehr schwieriges Kind war, er hat einen hang zum Übertriebenen, ja wenn nicht gar zur maßlosen Unverschämtheit gegenüber Gouvernanten oder ähnlichen Personen. Nicht das es ihm an der nötigen Erziehung fehlt, er ist zu stur um sich so einiges einzugestehen. Es wundert mich jedoch, das ihr ihn dazu bringen konntet, Euch nach Derby zu geleiten. », warf er ein und legte wie schon zuvor in der Taverne nachdenklich die Hand an sein Kinn.
« Ist mein Bruder etwa auch in Euer fragwürdigen Organisation? »
« Organisation trifft sich gut und ja das ist er, wenn Ihr mich jetzt entschuldigt, ich möchte meine Verabredung nicht warten lassen. Aber ich kann Euch beruhigen, ich habe keinerlei Interesse an Euch, solange Ihr mir freundlich gesinnt seid. », sagte er und ließ sie nachdenklich zurück.
« Ein Gut gemeinter Rat, Aiden handelt vielleicht sehr oft Stur als wäre er ein Kind und durchschaubar, doch das täuscht. Er ist unberechenbar und wohl einer meiner Stärksten Verbündeten, passt also lieber auf. »
Dann ging er, winkte umständlich mit der Hand und pfiff vor sich hin, bis er aus ihrem Blickfeld gänzlich verschwunden war.
Zerstreut schüttelte Helen ihren Kopf, um sich der wirren Spekulationen nicht hinzugeben, die sich in ihr versammelten, wie ein gefährlicher Bienenschwarm. Es war einige Zeit und sehr viel Selbstdisziplin von Nöten bis sie die Beherrschung und die höfliche Fassade zurück erlangte.
Warum hatte James niemals ein Wort über seinen Freundeskreis verloren? Und vor allem warum war ihr Name so im Umlauf? Sie fürchtete sich vor dem Ausmaß dieser Entdeckung und verdrängte sie fürs erste so gut es ging. Die Kirchenuhr die nun abermals schlug, sagte ihr das es bereits fünf Uhr war, sie würde noch zu spät zu ihrer eigentlichen Verabredung kommen. Mit den Gedanken noch bei Aidens merkwürdigen Bruder eilte sie zurück auf die Einkaufstraße und setzte ihren Weg in die Entgegengesetzte Richtung, aus der sie gekommen war, fort. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis sie ihren Geliebten sehen würde.
Es war so lange her...und doch schien es ihr als wären nur ein paar bedeutungslose Tage vergangen, seid dem Tag an dem sie ihn zuletzt verlassen hatte. Unfreiwillig und unter großem Einsatz von Worten und drohender Gewalt.
Ihre Füße hatten von alleine gestoppt, denn sie war tief in Gedanken bereits von alleine bis zu dem Gasthaus gelaufen und starrte nun irritiert und leicht überrumpelt die Tür an, die es hieß zu öffnen.
« Wollt Ihr hinein, Miss ? », fragte sie jemand mit freundlicher Stimme, das es ihr eine Welle des Unwohlseins überlief, aufgrund der nicht erwarteten Plötzlichkeit. Sie wand ihren Kopf und sah eine Frau, Mitte Zwanzig. Ihre Augen waren exakt auf die ihren gerichtet, grau und mit unglaublicher Kälte darin, die sie für kurze Zeit fesselte. Braune, zottelige Haare fielen ihr aus ihrer Haube ins Gesicht, die sie neckisch kitzelten und über die sie nun Witze riss.
« Wollt Ihr nun also hinein ? » Die Dienstmagd, die sie zu sein schien, lächelte sie plötzlich an was ihren Augen ungeheuren Ausdruck verlieh und sie stotternd bejahte, sie aber ihren Blick nicht abwenden konnte.
Drinnen, einem kahlen Raum, schaffte sie es sich zu ihrer gewohnten Selbstsicherheit zurück und da sich niemand in dem Zimmer befand, ging sie langsam aber sicher auf die Treppe zu. Die Frau folgte ihr noch immer, sie lauerte wie ein schauriger Schatten in ihrem Rücken, wie eine Schlange die jederzeit zubeißen könnte. Ihre freundliche Affektiertheit konnte ihre kalten Augen nicht überbrücken und warnten sie vor dessen Ausmaß an Verlogenheit und potenzieller Grausamkeit.
Als sie die Treppe erreichte, fühlte sie sich wieder weitgehend beruhigt, die Bedrohung ihrer Verfolgerin nicht vergessend sondern nur aufschiebend, ging sie jede einzelne Stufe mit großem Bedacht bis sie zusammen den ersten Stock erreichten.
Es gab drei Türen. Da sie erst zuvor am Mittag schon einmal hier gewesen war, wusste sie wohin sie sich wenden musste und ging zielstrebig zur rechten Tür, die sie mit einer Handbewegung aufschob und hinein trat, worauf die Frau es ihr nach tat und sie die Tür von innen verschloss.
Das Geräusch des umgedrehten Schlosses, hallte in Helens Ohren wieder, als wäre es das Knacken von Knochen, leicht panisch weiteten sich ihre Augen. Ihre Vorahnungen und fixen Ideen trieben sich in unheilvollen Gewässern herum, die sie verdrängend, sehr schwer ignorieren konnte und an ihren Nerven zogen, wie schmerzliche, nervige Nadelchen, die unaufhörlich in ihre Haut pieksten.
Allerdings blieb die Frau, die sie nun offenkundig musterte, an der Tür stehen und schien nicht mehr zu existieren, so jedenfalls versuchte sie ihre Sinne zu täuschen und warf ihr einen letzten Blick zu bevor sie an dem kleinen Bett vorbei, zu dem großen Tisch ging, an welchem ein junger Mann saß.
Er blickte nicht auf als sie näher kam, warum sollte er auch? Er wusste das sie es war, und trotzdem fühlte sie sich dadurch nicht sonderlich beruhigt. Seine dunklen Haare fielen ihm regellos über sein Gesicht das leicht nach vorne gebeugt nicht sichtbar war, sodass er allein durch seine Haltung älter und kränker wirkte, als es den Tatsachen entsprach.
Seine Waffen ruhten gleich neben ihn, sie versuchte sie nicht zu beachten und doch schienen sie im Mittelpunkt ihres Blickfeldes zu stehen, eine Gänsehaut überzog ihre Arme. Sie wollte weiter auf ihn zugehen, doch just im selben Moment, stoppte er sie mit seiner nackten, ausgestreckten Handfläche, und sie wusste sofort das etwas nicht in Ordnung war.
Er stand auf, sein schwarze Kleidung, ließ ihn ungemein bösartig aussehen, doch sie machte keine Anstalten zu fliehen oder auch nur daran zu denken. Stattdessen betrachtete sie sein Gesicht, das zart und jungenhaft wirkte, dem allerdings auch nicht durch seine deutlich hervorgehobenen Wangenknochen an einflößendem Respekt fehlte und sie ihn sogar in Kombination mit seinen dunklen Augen, mordlustig aussehen ließen, wenn so etwas überhaupt möglich war.
Er stand nun direkt vor ihr, nahm ihre Hände in die seinen und sah, mit ebend diesen dunklen Augen, auf sie herab. Und ohne zu wissen was er tat schloss Helen die Augen, mit dem wissen wer vor ihr stand, Finn Ferguson. Ein Mörder, Geächteter, dem sie Respekt und etwas, dass sie in ihrer Torheit glaubte, dass es Liebe war zuteil werden ließ. Sein Anblick ließ sie alles vergessen und Tränen sammelten sich in ihren Augen, die unbemerkt ihre Wangen hinunterflossen. Erleichterung und Angst ließen diesen Augenblick zeitlos erscheinen.

20. Fremde Einmischung

Es war spät und doch leuchtete der Himmel an diesem Sommertag in einem kräftigen Grau-blau, auf dem ein paar wenige weiße Tupfer in Form von Wolken vorbeizogen.
Aiden lag auf seinem Bett und blickte mit einem mulmigen, verstörenden Gefühl im Bauch aus dem kleinen runden Fenster. Er konnte zwar nicht auf irgendeine Straße sehen und diverse Leute beobachten, doch der Anblick des sich verändernden Himmels und der durch die wandernde Sonne verändernde Farbton der Dächer, reichte ihm vollkommen zum dösen aus.
Kiba lag an seinem Bettende, zusammengerollt zu seinen Füßen. Der verdammte Hund wollte ihn auch nicht einmal alleine lassen, und schlief seelenruhig vor sich hin.
Er dachte noch immer über Adams Worte mit peinlichster Gründlichkeit nach und versuchte seine Argumente zu spalten und dahinter zu leuchten, eine Andeutung auszumachen oder einen Beweis für etwas, von dem er nicht genau wusste was es war, ausfindig zu machen. Erfolglos. Sein Bruder hatte sich ungewohnt zurückgehalten, seine Förmlichkeit und vor allem sein grober Ton, ließen ihn in seinen Überlegungen verzweifeln. Er ersehnte das nächste Gespräch mit ihm, in der Hoffnung auf eine positivere Variante der Ausdrücke und Gegebenheiten und ebenso auf ein glücklicheres Ende. Wann dies sein sollte, konnte er nur ahnen, so könnte es noch Stunden dauern, in denen er zerstreut, missmutig und überaus gereizt auf ihn warten würde.
Stimmengewirr ließ ihn aus seinen Gedanken auftauchen. Sein Halbschlaf, den er bis zu diesem Zeitpunkt genossen hatte, schenkte ihm keinerlei Befriedigung mehr und so stand er mühselig auf, reckte sich und wusch sich flüchtig.
Es war ein wunderbarer Luxus, dachte er und erinnerte sich an die kalten Bäche in denen er sich zuletzt gewaschen hatte.
Sein Blick schweifte zu dem schlafenden Hund, als er ein ungewöhnliches Rascheln vernahm und er seine Ohren spitzte. Das Geräusch schien seiner Fantasie zu entspringen, denn seinen Ursprung, geschweige denn etwas Genaueres konnte er nicht ausmachen. Den Kopf aus Angst vor kompletter Verrücktheit schüttelnd, redete er sich gut zu. Seine Paranoia würde ihn noch ins Grab bringen. Abermals spritzte er sich Wasser ins Gesicht und sah sich mit geröteter Haut und nassen Haaren in die Augen seines Spiegelbilds. Schabernack machte sich dort breit, denen bald Ernst und Trauer folgten. Wehmut legte sich über ihn, denn ebend diese Paranoia hatte er Seymour zu verdanken. Des Nachts, wenn alles ruhig, der Himmel klar und alles Zweifelhafte und Ungeklärte weit von ihm war, in einer düsteren Ebene seines Gehirns verstaut, überkam ihm das Gefühl von Zufriedenheit, doch ebend diese schien in ihm einen Groll zu produzieren. Daraus entwickelten sich Albträume, die ihn verfolgten, peinigten und nicht ruhen ließen, in Momenten die der Einsamkeit und der scheinbaren Idylle gehören sollten. Seine Entscheidungen trieben ihn in Verlogenheiten und Schmerz, an dem er bald zugrunde gehen würde, sollte sich nicht etwas verändern.
Das Geräusch erklang erneut. Erschrocken durch die Lautstärke und dem Eingeständnis das es keine Halluzination seines Geistes war, ging er zu seinen Waffen, legte sich Dolch und Pistole an, streifte sich sein Hemd über. Unruhig verhielt er sich leise, wartete und vernahm erneutes Schleichen, Tuscheln und Schaben. Den Grund für sein abnormes Verhalten, welches einfache Wachsamkeit schon längst überstiegen hatte, konnte er ebenfalls nur seiner Paranoia zuschreiben. In einem Gasthaus wie diesem waren Geräusche laut und einladend eine Normalität, die man nicht abstreiten konnte – und doch, verschärften sich sein Misstrauen und die damit verbundene Aufregung. Aufgrund seiner schlechten Erfahrungen und seinem untalentierten Wesen was das Entscheidungen treffen anbelangt, glaubte er kurz sich wie ein törichtes Kind zu benehmen, wäre nicht das erneute Knarren, Schleichen und Rutschen, Anhaltspunkt für die Wahrscheinlichkeit seiner Theorie; etwas war im Gange.
Das Schleichen verstummte, es blieb ruhig und er konnte außer dem übertrieben hohen Lachen irgendeiner Dame im Salon, und dem flüchtigen Pianospiel, eines weiteren Gastes nichts mehr vernehmen. Seine Anspannung ließ nach, waren die Umstände einer Gefahr doch nahezu absurd, als dass tatsächlich etwas hätte passieren sollen. Trotzdem ging er einen Schritt nach vorne und lauschte erneut.
Kampfeslust und Neugierde packten ihn und er nahm die kalte Türklinge in die Hand und öffnete seine Tür, doch der Flur war leer. Einzig die Laute aus Salon und Küche wurden deutlicher, doch sein Gespür für das Dramatische hatte ihn enttäuscht, nichts war zu sehen.
Er spürte wie an ihm gezerrt wurde und man ihm ruckartig einen Schlag versetzte. Aufstöhnend taumelte er, wollte sich umdrehen und sich verteidigten, als sein Angreifer überrascht von ihm ab ließ. Auch er stoppte seine Bewegung und wurde mit einer erneuten Plötzlichkeit in das gegenüberliegende Zimmer gestoßen, das ihm dies erst bewusst wurde als er sich dort befand.
Die Tür schloss sich und zum Vorschein kam ein Mann, der diese zu seiner Verwunderung, nur anlehnte und ihn schwach anlächelte.
« Rohe Gewalt schein Euch zu gefallen, Sir. Was wollt Ihr von mir? », fragte Aiden die Situation missbilligend.
« Hier seid Ihr also. », schnaufte sein Gegenüber, wischte sich mit seinem Hemdsärmel über das Gesicht und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Vollkommen konfus, wollten diese Worte erst nicht recht in das Bild des Mannes passen, doch bei genauerer Betrachtung, glaubte Aiden keinerlei Gefahr zu erkennen. Statt dessen schnalzte er verständnislos mit der Zunge, als er einen bewusstlosen Körper neben dem Bett vorfand.
« Nun ja, niemand wollte mir eine Auskunft über Euren Aufenthalt geben, diesen jungen Mann, habe ich letztendlich doch davon überzeugt, mir einiges wissenswertes zu erzählen und siehe da Euer Zimmer befand sich auf der Gegenüberliegenden Seite. »
« Welch Unglück. », nuschelte er abschätzend und musterte den Mann offen, sein Gesicht kam ihm vertraut vor, wenigstens insoweit, dass er sich sicher war, ihm schon einmal vorgestellt worden zu sein.
« Adam schickt mich. »
« Wie bitte? Mein Bruder hat Euch geschickt? Seid Ihr Euch dessen sicher? »
« Oh ja Bursche, dass bin ich. Vielleicht mag mein Äußeres nicht ganz Euren Empfindungen nachkommen, doch ich habe kein Vergnügen daran mit Euch zu diskutieren. »
« Dann verlasst dieses Haus. »
« Nun, das wäre eine Möglichkeit, aber da Ihr ohne Geld und Beziehungen seid, wie soll ich es Euch erklären.... »
« Warum seid Ihr hier? » Seinen Blick verhärtend versuchte er auszumachen ob der Mann, der in etwa Mitte Dreißig war, angreifen würde, als er dies nicht tat, entspannte er sich ein Stückweit und seine Augen blieben an seinen schmutzig, blonden Haaren, den scharfen blauen Augen und den markanten Gesichtszügen hängen.
« Wer seid Ihr? », fragte er erneut, als der Mann die erste Frage ignorierte. « Ich glaube Euch zu kennen. »
« Sean Sloan, Euer ergebener Diener. », erwiderte er und machte einen formellen Diener. « Ich habe Auftrag, Euch für eine gewisse Zeit auf mein Anwesen einzuladen. » Er schnalzte mit der Zunge und lächelte erneut.
« Ich verstehe nicht ganz, Sir. »
« Nun, aufgrund der letzten etwas dramatischen Ereignisse sucht Ihr einen Zufluchtsort den Euch Euer Bruder nicht bieten kann. Er berichtete mir von Eurer ungünstigen Situation, worauf ich ihm anbot Euch für einen gewissen Zeitraum eine Unterkunft anzubieten. »
« Dies kommt alles ein wenig plötzlich. », sagte Aiden und ließ den Mann nicht aus den Augen. « Ich kann mich daran erinnern Euch vorgestellt worden zu sein, dennoch.... »
« Es ist nur verständlich das Euch mein Angebot irritiert und vor allem überrascht, auch werdet Ihr nicht viel Zeit zum überlegen haben, denn ich werde die Stadt gegen morgen Mittag verlassen und nach London zurückkehren. »
« London? », rief Aiden überrascht aus.
« In der Tat, dort ist der Wohnsitz meiner Familie. Ich besitze außerdem etwas fernab ein luxuriöses Bonomie Landhaus, in welches wir vorerst einziehen würden. »
« Weshalb dann dieser Angriff? »
« Diesen werdet Ihr mir verzeihen müssen. Ich war überrascht, als Ihr hinaus kamt, von Eurer Leichtsinnigkeit ganz zu schweigen betrübt, so habe ich gehandelt und möchte mich dafür entschuldigen. »
« Leichtsinnig? Weshalb sollte dies leichtsinnig sein? »
« Vielleicht mag es sein, dass Ihr Euch in Derby sicher fühlt, doch ist die Gefahr in der Ihr Euch befindet fast greifbar. Sind es schon nicht Euer Vermögen, Land und Eure Aktien, so doch Eurer Name der den Umlauf macht und Gier und Verrat anzieht. »
« Ich verstehe. », meinte er nur knapp, ging kurz ein paar Schritte hin und her und überlegte. Schließlich lehnte er die Einladung von Sloan höfflich ab, doch dieser ließ das nicht zu.
« Die Reise wird eine gekonnte Abwechslung sein, denkt an London, an die Gesellschaften und vor allem die Ruhe die Ihr Euch verdient habt. Von dort und ich will es mal vorsichtig ausdrücken; mit meiner Gesellschaft, könnt Ihr Euch um Eure Geschäfte kümmern, kontakt zu all den wichtigen Persönlichkeiten, unter anderem Eurem Vater aufnehmen und die Fäden selbst in die Hand nehmen. »
Aiden erwiderte seinen fordernden Blick, wartete einige Zeit und wurde zunehmend wütender, als er die Schultern resigniert hängen ließ und aufgab, denn Sloan hatte recht. Es war Zeit sich den Geschäften zuzuwenden, Seymour aus dem Weg zu gehen und sich mit klarem Verstand den Sachverhalten zu stellen. Da er sich der Aufrichtigkeit des Mannes sicher war, allein schon durch Adams Zustimmung, die er jedoch abermals zu überprüfen gedachte, wäre eine Einladung nach London eine attraktive Lösung.
« Wie Ich erfahren habe, reist Ihr nicht allein. Natürlich sind Eure Gäste die meinen. »
« Da ich Eurem Angebot nicht zugesagt habe, bin weder ich noch meine Begleitung ein Gast Eures Hauses. Ich finde Ihr seid recht unverschämt. »
« Ihr redet wie ein eingebildeter Schönling. Gut ich weiß natürlich, dass Euer Verhalten auf Eure Verwirrung und auf die Strapazen der letzten Wochen zurückzuführen sind, dennoch erwarte ich mehr Respekt. »
« Den solltet Ihr nicht so übereilt erwarten. Euer Angebot ehrt mich, dennoch -»
« Wie mir scheint ist Euch der Ernst der Lage entgangen. Meine Einladung ist für Euch die einzige Möglichkeit sicher aus dieser Stadt zu gelangen und Eure Geschäfte aufzunehmen. »
« Jedoch erscheint es mir als würdet Ihr mich aufgrund meines Bruders oder Vaters bei Euch aufnehmen. »
« Ah, ich verstehe, darum geht es Euch. Doch ich kann Euch beruhigen. Euer Vater ist nicht einmal darüber informiert, dass Ihr Euch hier aufhaltet und Adam – der ein guter Freund von mir ist – würde mir nicht seinen Bruder aufhalsen, der mich womöglich von meinen Geschäften aufhalten würde. Es war meine Entscheidung. »
« Was geht Euch das an? », fragte er wirsch.
« Natürlich nichts, aber Tatsache ist doch, das es nichts für Euch gibt was Euch hier in dieser Stadt hält. Euer Vater ist Meilenweit entfernt, Adam muss seinen Geschäften, sowie der Leitung der Organisation von Lord George nachgehen, übrig bleibt nur Ihr, wie immer allein. »
« Was wisst Ihr schon vom alleine sein? Ihr habt keine Ahnung was mich in dieser Stadt hält oder was es überhaupt heißt jemand wichtigen zu verlieren. »
« Davon habe ich nie gesprochen, jemanden wichtigen zu verlieren... », sagte er ruhig und sah ihn an. « Doch ich weiß auch was es heißt alleine zu sein, anders als die anderen und immer wieder nach den Gründen der eigenen Existenz zu fragen, wie es ist, mit den eigenen Stärken und Schwächen zurechtzukommen, mit den Schwierigkeiten der menschlichen Beziehungen...nun ja. Allem in allem sind wir uns sehr ähnlich und ich will nicht das Ihr in der zurzeit nutzlosen Gesellschaft Eures Bruders bleibt. Und anders als Lord George kann ich Euch die Zeit widmen die Ihr braucht. »
« Ich benötige Euer Mitleid nicht, ich brauche niemanden der mir Zeit widmet, ich will nur das man mich Ernst nimm, mich Respektiert...verdammt. », fügte er hinzu, so viel wollte er nicht sagen, nicht über sich preisgeben. Sein Misstrauen war wie eh und je an seiner Seite.
« Ich handle teils Euretwegen, teils Eures Vaters wegen. Er ist mir ein guter Freund und ich bin mir sicher das er meine Beweggründe verstehen würde. Wir werden, so wie Ihr zustimmt, mit einer Post-Chaise abreisen und in wenigen Tagen in London sein. »
« Nun, da mir keine Zeit bleibt in voller Ausführlichkeit über Euer Angebot nachzusinnen, ich aber die Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit Eurer Worte verstehe, werde ich die Reise mit Eurer Erlaubnis antreten. »
Dann ging Sloan mit gerader Haltung und einem Lächeln, das zeigte, dass er bekommen hatte was er wollte – wie schon oft. Aiden schluckte und wusste nicht so recht wie ihm geschah, ging zurück und blickte in glänzende Hundeaugen. Sloans Schritte waren schon bald verhallt und er war verschwunden.
« Was sollte das nur? », keifte er Kiba an, bekam aber stattdessen von jemand anderem eine Antwort.
« Was sollte was? », fragte Helen die hinter ihm erschien und ihn aus müden, ja so schien es, zerbrechlichen Augen ansah. Er glotze sie unverfroren an, sodass sie sich von ihm abwandt bis er seine Fassung erneut zurück bekommen und seine Gedanken weitgehend geordnet hatte. Ihre Existenz hatte er für kurze Zeit vergessen.
« Es ist nichts. », sagte er vorsichtig und spekulierte darauf, dass sie nicht weiter darauf eingehen würde. Das tat sie nicht und setzte sich nachdem er langsam zum Fenster gegangen war, auf das Bett.
Er sah eine Weile stumm hinaus und bemerkte nur wie sie eine Kerze und noch eine aufgrund der nahenden Dunkelheit anzündete und sie sich dann wieder auf das Bett setzte das unter ihrem Gewicht leicht quietschte. Irgendetwas kam ihm merkwürdig vor.
« Geht es dir nicht gut? Du siehst blass aus. », bemerkte er ohne wirklich auf den Sinn seiner Worte zu achten.
« Ja, mir geht es bestens. », gab sie zurück und legte sich hin, sodass die Kerze ein sanftes Licht auf ihre Haut zeichnete, als er sich umdrehte und sie betrachtete. Er wollte etwas sagen, sei es nur ein kurze Wiedergabe seiner merkwürdigen Begegnung mit Sloan, doch ihre seltsame Art ließ ihn verstummen. Sie hatte sich auf dem Laken zusammengerollt, ihre Augen strahlten ins Leere und nur der Fackelschein der Kerze ließen sie unverhofft aufleuchten, während ihr ganzer Körper schlaff vor Erschöpfung und doch steif war, als hätte sie Angst vor einem plötzlichen Angriff. Die Situation erschien ihm verpönt, als würden sie eine Ehe führen, gingen sie bereitwillig und offen miteinander um, besaßen weder Scham noch übertriebene Höflichkeit für einander. In Aiden wuchs ein zwiespältiger Gedanke.
Im nächsten Moment schloss sie ihre Augen. Er hätte gern etwas über ihren Bekannten erfahren den sie noch treffen wollte und überhaupt über ihre Pläne und neuen Informationen. sofern es welche gab. Ob sie Neuigkeiten über Ferguson oder sogar eine Bestätigung bekommen hatte, dass er sich in der von ihrem Onkel genannten Stadt aufgehalten hat, doch das hatte wohl auch noch bis zum nächsten Morgen zeit. Morgen...bei dem Gedanken bekam er einen leichten Schauer, er würde nach London reisen. Seine Unruhe würde ein Ende haben, er würde einen Partner ins Sloan finden und nicht in ständiger Angst vor Seymour leben müssen.
Natürlich wusste er nichts von den Machenschaften Sloans, was genau er darunter verstand wenn er in seine Dienste trat oder überhaupt wie seine Stellung in dem Geheimbund seines Vaters war und ob er selbst zwar nicht in Georges oder Adams Plänen, dafür aber in denen des Fremden vorkam. Er hatte keine Ahnung und er war es ehrlich gesagt auch leid sich ständig darüber den Kopf zu zerbrechen.
Er dachte noch eine Weile über die verschiedensten Möglichkeiten nach und kam zu dem Punkt an dem er gar nichts mehr wusste. Doch leider sollte er bis zum nächsten Morgen eine Entscheidung fällen, die eine Frau betraf, die er mit großem Respekt und hoher Achtung betrachtete.
Sein Blick fiel wieder auf die zierliche Gestalt im Bett, die ihre Augen geschlossen, langsam in den Schlaf fiel. Was soll ich tun? fragte er im Geiste an das Mädchen gewandt. Natürlich bekam er keine Antwort.
Er wollte sie nicht verlassen, doch was wenn sie ihn verlassen würde? Sie hatten darüber gesprochen bis in diese Stadt zusammen zu reisen, doch nicht darüber hinaus, keine Pläne, keine Ideen, kein gar nichts. Wenn sie mit Ferguson fortgehen würde, war es wahrscheinlich, das sie einander nie wieder sahen. Doch es gab die Hoffnung das ihr Onkel recht behielt und sich ihr Verlobter in London aufhielt – der Stadt in die er am nächsten Tag reisen würde.... Es würde nur eine Frage der Zeit sein bis sie sich wieder trennen mussten.
Er seufzte resigniert auf und wand sich erneut zu dem Fenster in dem er nun deutlich seine Gesichtszüge erkennen konnte. Ausgeprägte Wangenknochen, gerade Nase, ein weicher Mund und im Kerzenschein dämonischen Augen.

Er erwachte erst, als er das Rascheln der Laken vernahm und öffnete seine Augen nur einen kleinen Spalt breit, wodurch er lediglich in der Lage war die glühenden Reste des Kaminholzes zu sehen, vor dem er eingeschlafen war. Das Bett hatte er Helen überlassen, denn es erschien ihm fremd und unnatürlich nicht in ihrer Nähe zu ruhen, war es doch eine Normalität während ihrer Anreise gewesen. Die ständige Nähe würde ihm fehlen.
Mit einer leichten Bewegung drehte er seine Schulter und blickte mit müden Augen zum Fenster hinüber an dem sie fest in ein Bettlaken gewickelt stand und durch das Glas nach draußen starrte. Ihr Gesicht zeichnete sich in der Scheibe ab, es war durch das milchige Mondlicht weiß und voller Schatten, dennoch gut erkennbar. Ihre Haut schien wie aus Porzellan, ihre grünen Augen grau und unberechenbar in der Nacht und ihr Mund; zusammengezogen zu einer dünnen Linie.
Er wusste nicht recht wie ihm geschah oder was er überhaupt denken sollte, doch im nächsten Moment fand er sich hinter ihr wieder, die Arme schlaff nach unten hängend und die schwarzen Haare komplett zerzaust, sodass sie ihm ins Gesicht fielen. Ein aufdringliches Gefühl aus Furcht und Scham überfiel ihn, so könnte doch jeder Moment der letzte mit ihr sein. Er hatte sich entschieden, jedoch konnte er fühlen das nicht nur er so empfand.
Für einen Augenblick, vielleicht um ihn für einen Bruchteil fest zu halten, vielleicht aber auch nur um ihn sich fest ins Gedächtnis zu prägen, hielt er inne und schloss die Augen.
« Aiden, wann wissen wir was richtig oder was falsch ist? », fragte sie urplötzlich, ohne sich zu ihm umzudrehen, die Augen weiterhin in Richtung der Endlosigkeit der in der Nacht liegenden Stadt gesenkt.
« Das hast du mich schon einmal gefragt... und ich denke das wir das immer wissen. Es ist tief in uns drin, manchmal nur ein Gefühl das man unbeachtet lässt und uns warnt, manchmal sind es auch Zeichen. Allerdings kann es sich auch erst deutlich zeigen, wenn es zu spät ist, wenn wir anfangen zu bereuen und nachzudenken. »
« Und wenn sich alles in dir vollkommen falsch und doch Widerrum richtig anfühlt, wenn es ein totales Durcheinander ist? »
« Das kann ich dir nicht sagen...aber egal welche Entscheidung wir treffen, wir hatten vorher immer eine Wahl, allein schon einmal zu wissen, dass wir wählen können ist doch ein Anfang, oder? », flüsterte er und ging ein Stück auf sie zu.
« Vielleicht », nuschelte sie und schlang die Arme um sich, als eine zittrige Welle sie schütteln ließ.
« Du wirst gehen », sagte er ruhig und fühlte sich erleichtert endlich das auszusprechen was während der ganzen letzten Tage und unruhigen Stunden zwischen ihnen gestanden hatte.
« Du auch. »
Er nickte nur, doch sie fühlte seine Bewegung deutlich, als er ruhig zu ihr ging und seine Arme von hinten um sie schlang.
« War das jetzt eine richtige oder falsche Entscheidung? », fragte er und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
« Es fühlt sich...für den Augenblick richtig an. », antwortete sie und er sah wie ihr Atem das Fenster beschlag.
« Glaubst du wir werden uns wieder sehen? »
« Ich weiß es nicht. », gab sie zu. « Mich beschäftigt mehr auf welche Art wir uns wieder sehen. »
« Auf welche Art? », wiederholte er und drückte sie ein bisschen fester an sich, er wollte sicher gehen das sie da war, dass er ihren vertrauten Körper spürte, sie sich nicht einfach so auflösen konnte und verschwinden würde.
« Vergiss es. », flüsterte sie jetzt und drehte sich zu ihm um, sodass sie sich beide in die Augen sehen konnten.
« Ich hoffe es trotzdem sehr. », sagte er und richtete seinen Blick über sie hinweg. « Du bist mir sehr wichtig geworden...wir sind Freunde, mehr sogar. Du sollst wissen dass wir weiterhin beieinander sein könnten, wenn du meine Frau wirst...ich empfinde... », wollte er ansetzten doch ihr Finger auf seinen Lippen ließ ihn verstummen und er sah sie erneut an, dieses Mal mit einer Spur von Schmerz und Verwunderung.
« Wenn du es nicht aussprichst, geht es vielleicht nicht verloren, es bleibt zwischen uns erhalten. Versiegelt. »
« Ich habe niemals zuvor jemanden wie dich getroffen, jemand so sturen und doch verletzlichen, so rücksichtlosen und doch verständnisvollen, so liebreizenden… »
« Hör auf damit. », widersprach sie, nicht belustigt oder beschämt, in ihrer Stimme hallte voller Ernst und bittere Kälte mit. « Preis mich nicht so hoch, das bin ich nicht wert. Ich habe dir viel abverlangt und selbst war ich egoistisch. »
« Das glaube ich kaum. » Er lächelte schwach, doch sie löste sich von ihm.
« Ich habe dich belogen, ich habe alle hintergangen, James... », wisperte sie. « Wenn du es erfährst hasse mich nicht. », sagte sie schließlich und kehrte ihm den Rücken zu.
« Ich hasse dich nicht, was kann so schlimm sein, dass... »
« Es tut mir leid, das ich damals so wütend darüber war, dass du mir verschwiegen hast wer dein Vater ist. Es war deine Sache und sie ist es noch immer, doch wie schon gesagt ich habe meine und du deine Entscheidung getroffen, was in der Vergangenheit liegt lässt sich nicht mehr ändern. Folgte nicht den falschen Leuten wie ich es getan habe, Aiden. »
« Helen, ich -», wollte er ansetzten, doch ihm fiel nichts passendes ein, sein Mund fühlte sich unglaublich trocken an.
« Du denkst du bist allein; als Bastard, doch das bist du nicht, erhalte dir deine Selbstbeherrschung und wenn es nur um meinetwillen ist und hoffe das wir uns niemals wieder sehen. »
Sie umklammerte das Laken jetzt noch fester, sodass das weiße ihrer Knöchel zu sehen war und sie verletzt den Blick zu Boden warf. Dann wand sie sich erneut dem Fenster zu und öffnete es.
Ein kalter Windzug fiel in das Zimmer ein und ließ die Gardinen wie Gespenster aufblähen und wieder sanft zurückfallen. Sie strich vorsichtig mit ihren Finger über den Stoff und atmete ein paar mal die süße, eindringende Luft ein, bevor sie mit einem langsamen, wackeligen Gang zu ihm ging.
« Vergiss mich nicht. », flüsterte sie ihm ins Ohr, so dass ihr warmer Atem seine Haut berührte. Sie waren sich so nah das sie die Körperwärme des anderen spürten, den Herzschlag hörten und das versteckte Lächeln hinter dem Glitzern ihrer Augen sahen. Anschließend strich sie sanft über seine Lippen, gab ihm einen kalten, letzten Kuss und ging an ihm vorbei. Erst jetzt bemerkte er das sie vollständig angekleidet war, ihre Sachen allesamt verpackt waren und sie kampflustig in die Nacht hinausspähte.
Dann ließ sie das Laken los, welches achtlos zu Boden fiel. Die Tür öffnete sich und Kiba sah kurz auf, blickte sie an und senkte seinen Kopf wieder zurück auf seine Pfoten. Doch Helen blickte nicht zurück.
Zuerst wollte er ihr nach, zur Tür hetzten und nachsehen wohin sie verschwunden war, doch schon im nächsten Moment war ihm, als würde das etwas zerstören, als wäre dort etwas das er nicht sehen wollte oder es konnte, in jedem Fall nicht verstehen würde und so ließ er es bleiben und blieb allein zurück. Das Laken hatte er aufgehoben und lag fest in seinen Händen. Im Geiste mit einer neuen, so hoffte er richtigen Entscheidung, denn wie er es schon ausgesprochen hatte, seine Wahl war gefallen. Er konnte nun nicht mehr, als sich damit abfinden und dieses Mädchen nicht vergessen, deren lieblicher Geruch noch immer in seinen Händen ruhte.

21. Die Schuld des Blutes

In meiner Erinnerung nur du, den Tränen nah, die so plötzlich von deiner Wange rannten wie mein Herz dabei zersprang. Das Blut tropfte von deinem Schwert, es würde vergehen doch die Seelen deiner Opfer würden ewig daran kleben.
Und es tat mir leid, was ich getan hatte das, was dich dazu veranlasste zu morden, so liebte ich dich im stillen, wie ein Mensch einen anderen nur lieben konnte, doch seit damals war ich kein Kind mehr, meine Kindheit war vorbei in dem Augenblick da ich es tat... während du mich von Sekunde zu Sekunde mehr hasstest und mir schworst meine Kehle zu durchtrennen und nicht nur mir sondern meinem ganzen Volk. Und doch kann ich dich jetzt vor mir sehen und ich lebe. Mein Puls schießt durch deine Adern, mein Blut rauscht durch deinen Körper, denn ich bin dein...für immer.
Wie könnte ich dir Tribut zollen? Wie dein Leid lindern und deine Sorgen ersticken? Ich kann es nicht, damals wie heute, denn das einzige zu dem ich in der Lage bin ist dich zu lieben, wie als Kind und so auch als Mann in der stillen Hoffnung das die Einsamkeit in deinen Augen versiegt und das vergossene Blut seine wahre Bedeutung preis gibt.
Ich würde sterben für dich...einzig für dich, denn alles was mir bleibt ist das Blut, das ich dir Schulde, das mich noch immer in der Grausamkeit der Nacht zu sich ruft, mich umherwandern und nicht schlafen lässt und mich zu dir führt.
Doch da du das Schwert nicht gegen mich erhebst kann ich es nur immer wieder sagen, es dir immer wieder beweisen...in meiner Erinnerung nur du, ich sehe dich, liebe nur dich, damals wie heute...
Finn Ferguson schloss resigniert seine Augenlieder und wartete in angespannter Erwartung vor dem Eingang eines Wirtshauses. Er hielt Ausschau; und mit den stechendem Mond zu seiner Rechten, sah er endlich auf was er so lange gewartet hatte : Helen.

22. Wer die Welt bewegen will...

Hitze brach in dem folgendem Monat über sie herein, was die Reise nach London anstrengeder und aufwendiger gestaltete. Wären sie nicht in dem schützenden Schatten der Kutsche, Aiden hätte es nicht für möglich gehalten zu reisen, doch dies war eine Möglichkeit dessen Unwahrscheinlichkeit er sich lediglich aufgrund der entlastenden Situation eingestand. Wäre er zu Pferd unterwegs, er hätte seine jetzige Reisemöglichkeit ebenso verabscheut. Diese Unentschlossenheit seinerseits ärgerte ihn in hohem Maße, kam er sich doch albern und töricht in seiner Lage vor. Während die Landschaft an ihnen vorbeizog, schweiften seine Gedanken ab und erklommen schmerzliches Terrain; Miss Kincaid.
Die systematische Fragerei, der ständige misstrauische Blickwechsel und die provokanten Worte die zwischen ihnen gefallen waren, hatten sich mit der Zeit zu einem Klumpen aus Vertrauen und Verständnis entwickelt, die er vielleicht für immer verloren hatte.
So schien es ihm, während sich ein großes, leeres Loch in seine Brust meißelte das sich, um so mehr Zeit verstrich mit neuer Einsamkeit füllte, denn er konnte wie zuvor niemanden vertrauen.
Trotz der Lügen, Wortgefechte und verwirrenden, listigen Art die sie beide perfekt beherrschten waren sie sich auf einer Ebene begegnet, die so etwas wie Freundschaft stattete, so etwas wie Verbundenheit deutlich zeigte und ihm das Gefühl von einer Partnerschaft vermittelte. Würde dieses Band jetzt reißen? Sich langsam selbst zerstören oder lag es an ihm, falls er vergaß oder die Erinnerungen unterdrückte und ignorierte, doch warum taten sie ihm dann so weh? Hatte er mehr empfunden? Er konnte sich diese Frage immer wieder stellen, doch tief in ihm wusste er, dass es vergebens war sich darüber den Kopf zu zerbrechen, er würde sie niemals beantworten können. Und jetzt? Wo sah er sich? Was wollte er? In erster Linie frei sein, nur regte diese Behauptung in ihm Zweifel, was bedeutete schon Freiheit? Hatte er sie denn jemals besessen? Würde er sie jetzt ergattern oder gab er sie gerade auf?
Vorsicht hielt er für angebracht und musterte seinen stummen Reisegefährten.
Noch am selben Morgen war ein Bote zu ihm geschickt worden, der ihm eine formell-schriftliche Einladung überbrachte, in der das Angebot von Sean Sloan taktvoll wiederholt wurde. Er hatte diese mit Schwermut gelesen, hatte er die Strapazen seiner letzten Reise noch nicht auskuriert – so sollte er abermals aufbrechen? Nachdem er einige Zeit ratlos vor sich hingefristet hatte und schließlich mit einiger Zeitinvestition und schriftlicher Bestätigung Adams alle Möglichkeiten abgewogen hatte, fiel seine Entscheidung schnell. Sloans Gastfreundschaft sollte ab diesem Vormittag von ihm angefordert werden, wobei dieser selbstgerecht eine Verspätung in Kauf genommen hatte, um auf ihn zu warten.
Vertrauen schenkte er dem Mann zwar keineswegs, doch drängten ihn seine Erziehung und seine Vorsichtsmaßnahmen zu übertriebener Höfflichkeit, die sie beide überschwänglich austauschten.
Doch er hatte sich in die Hände dieses Mannes begeben, fühlte die Sehnsucht in sich aufflammen und gleichzeitig das überwältigende Gefühl von einer fremden, unwirklichen Illusion, in die es ihn hineinzog, welche schier alles in seinem verwirrten Kopf überdeckte und keinerlei Platz für jegliche Auswege oder andere Pläne hinterließ.
« Mein Landhaus wird dir zusagen – wir können uns doch duzen? », fragte Sloan plötzlich und holte ihn damit aus seinen konfusen Gedanken.
« Ganz nach Eurem belieben, Sir. So will ich meine Dankbarkeit nochmals ausdrücken. »
« Das ist nicht nötig. Dies ist vor allem eine Tat mit der ich mir selbst Befriedigung schenke. So sag mir, warst du nicht in Belgeitung einer Dame? »
« Diese Dame hatte anderweitige Verpflichtungen. » , sagte er knapp und wand sich dem Fenster zu, um anzudeuten, das dieses Thema kein geeigneter Gesprächsstoff war, doch Sloan achtete nicht darauf.
« Wie ich höre ist Miss Kincaid erst seid kurzem wieder...nun ja abkömmlich. Wenn du es wünscht, können wir sie gerne in mein Haus einladen, immerhin möchtest du sie bestimmt sehen. »
« Ich verstehe nicht ganz. »
« Eure Verlobung ist allgemein bekannt. » , entgegnete er lächelnd und beobachtete seine Reaktion.
« Wie bitte? », entfuhr es Aiden und vergaß dabei jegliches Höfflichkeitsgefloskeln.
« Ganz recht, dieses Gerücht macht seid einigen Tagen den Umlauf. »
« Dann ist es ein absurdes Gerücht, denn es ist nicht wahr. »
« Trotzdem bist du in ihrer Begleitung? » , fragte er und hob eine Augenbraue.
« Zweifelt Ihr an meiner Aufrichtigkeit? »
« Das tue ich. »
« Schön. », sagte er zähneknirschend und verachtete den linkischen Mann mit jeder Minute mehr, während sie im holprigen Tempo dahinfuhren und er am liebsten hinaus gesprungen und zurückgelaufen wäre.

Einen ermüdeten Glanz in den Augen betrachte Aiden den sternenklaren Himmel. Neben ihm züngelte sich ein kleines Feuer in die Höhe und schenkte der Nacht eine ironische, aber herzliche Atmosphäre, die er angesichts der Situation als tröstlich empfand. Dahinter lehnte Sloan an einem Baum, die Augen geschlossen und vor sich hinphantasierend lag ein fast freundlicher und beruhigender Ausdruck auf seinem Gesicht, unschuldig und doch mit Zügen eines Soldaten und der ihm gut vertrauten Rücksichtslosigkeit. Wie sich während ihrer Fahrt im Wagen, herausstellte hatte Sloan die Kutsche nur für drei viertel des Weges bezahlt – aus purer Boshaftigkeit – und bevorzugte es nun den Rest des Weges zu Pferd zurückzulegen.
Unbewusst schnalzte er mit seiner Zunge und zog Sloans Aufmerksamkeit auf sich, er nutze den Moment und startete den Versuch ein Gespräch in gang zu setzen, um mehr über diesen undurchschaubaren Kerl zu erfahren.
« Wie könnt Ihr Euch so sicher über mich sein? Ich meine, dass ich Euch nicht feindlich gesinnt bin? » , fragte er und blickte unter einem Vorwand in Richtung des düsteren Waldes der ächzend hinter ihnen lag, seinen fragenden Ton absichtlich heruntergespielt.
« Ist das Wirklich die Frage die du mir stellen wolltest? Aber um sie zu beantworten, ich glaube nicht das du mir feindlich gesinnt bist, reine Intuition meinerseits. »
Er lächelte offen und versuchte ihm auf eine beruhigende und doch ernste Art seine Gedanken klarzumachen
« Du willst wissen wie diese Welt funktioniert, wie jemand wie ich darin überleben kann, wie sie aufgebaut ist, oder nicht? », fragte er jetzt und hob eine Augenbraue.
« Jemand der solches vertrauen in eine ihm unbekannte Person setzt... » , setzte er an, verstummte jedoch schlagartig und ließ seinen Kopf nach unten hängen, sodass ihm die Haare wirr übers Gesicht fielen..
« Du bist leicht zu durchschauen, das muss sich ändern! Aber ich kann dir diese Frage nicht beantworten, das kann niemand ausgenommen dir selbst, du musst deine eigenen Erfahrungen machen, gewollt wie erzwungen. Jedoch...glaubst du nicht das dort draußen noch etwas ist? Uns das Schicksal vorbestimmt hat...uns eine Aufgabe zugeteilt wurde die jeder erfüllen muss? »
Während seine Züge kühl und ruhig blieben schienen seine Augen etwas fanatisches auszustrahlen und musterten Aiden mit geheimnisvoller Intensität. Die plötzliche Redseligkeit verwunderte ihn.
« Nein » Aidens Stimme klang fremd und bereits als das Wort über seine Lippen ging wusste er das es gelogen war, wand sich erneut ab und sah zu dem klaren Himmel hinauf, während ein leichter, wohltuender Wind umher strich und ihm kurz eine Ablenkung verschaffte.
« Unsere Welt ist so aufgebaut das der Stärkere überlebt. Ich weiß nicht sehr viel über solche Dinge und ich bin nie so viel herumgekommen, dass es vielleicht bedeutsam wäre. Ich verstehe nichts von Ehre, von Rache...nur sind es gerade diese die mir das Leben schwerer machen, denn ich fühle sie in mir, doch verstehen tue ich sie nicht. So ähnlich wie es sich beim Kampf der Schottlandclans verhalten hat, das ganze Hin und Her der Menschen....ist es nicht schwachsinnig? », schloss Aiden seine Gedanken und war sich nicht sicher was er da überhaupt von sich gab und warum. Sloan war ein recht zurückhaltender Mensch, der bei Gelegenheit wusste wie man mit seinem Gegenüber umzugehen hatte, um ihm Informationen abzugewinnen oder gar einem seinen Willen oder seine Meinung aufzuzwingen.
« An was denkst du gerade? », frage Sloan nach einer Weile. Die höfliche Konversation der letzten Tage hatte sich nach und nach gelegt, bis ein angenehmer Umgangston zustande gekommen war.
« An nichts. », log er erneut und sah die Nacht vor sich, die Nacht in der Helen so spurlos verschwand, ohne das er es hätte verhindern können.
« Du wirst deine Chance erneut bekommen. », sagte er aufmunternd und lächelte auf seine merkwürdige Art, die Mitgefühl und Belustigung ausdrückte. « Im Grunde sind wir uns sehr ähnlich. Unsere Bekanntschaft beschränkt sich auf die wenigen Tage die zurück liegen, trotzdem habe ich dich, aufgrund der Berichte einiger Freunde und meinen kurzen Eindrücken zu mir eingeladen. Ebenso verhält es sich nicht anders mit Miss Kincaid. Nach deiner Erzählung, hast du dich mithilfe von Informationen von Sir Craig und deinen eigenen Erfahrungen dazu bewegt sie nach Derbyshire zu begleiten. »
« Was für eine Chance? »
« Dich zu beweisen. Es ist schwer alleine zu sein, viel schwerer als so mancher glaubt, ob man dabei seine wahren Gefühle zeigt oder sie versteckt oder gar leugnet, spielt keine Rolle, den die Einsamkeit bleibt, egal wie vielen Leuten wir diese mitteilen, die Zahl ist einfach bedeutungslos. Mir scheint als weichst du meinen Erläuterungen bezüglich Miss Kincaid aus. »
« Kann sein. », stimmte er unsicher zu und schob einen nach dem anderen aufkommenden Gedanken beiseite. Dann schloss er die Augen, drehte sich auf den Rücken und hörte auf die Geräusche die ihn umgaben. Das sanfte Tätscheln des Grases wenn der Wind es berührte, die wehenden Bäume, die Vögel die unverständliche Laute von sich gaben, seinen eigenen Herzschlag, den ruhigen und in seiner Einbildung summenden See und auf noch vieles mehr.
Er dachte noch lange über Sloans Worte und Gesten nach, über ihre Bedeutung, über ihren wahrheitsgemäßen Anteil und über das was er nicht ausgesprochen hatte, denn langsam fing er an zu bereuen und sich die Frage zu stellen ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Später spürte er noch wie sich Kiba in seine Nähe legte, die Augen schloss und bald darauf selbst einschlief mit einem Traum voller verwirrender Einzelheiten.

Als die Morgendämmerung einsetzte standen sie auf, vernichteten ihre Überreste, packten all ihre Sachen zusammen und kontrollierten Waffen und Proviant. Aiden sah elend und abgekämpft aus, doch er fühlte sich innerlich, im Gegensatz zum gestrigen Abend, eher zufrieden und selbstsicher als erschöpft und müde. Dieses merkwürdige Reiseverhalten von Sloan setzte in ihm Kräfte frei die er bislang unterdrückt hatte. Seine bisherigen Erfahrungen der Reise per Pferd waren mit negativen Erinnerungen verbunden – so war dies eine willkommene, neuartige Erfahrung die ihn berauschte und erinnerte ihn an Tage, in denen er mit seinem Vater und Adam Auf Hirsch- oder -Eberjagt gewesen war. Tagelang von jeglichen Städten und Menschen abgeschottet, frei und unabhängig, ebenso auf Blutrausch.
In weiter Ferne summten ein paar Insekten, Vögel sangen eintönig und der Wald spielte sein eigenes Lied. Es lag ein Geruch von Gras und Tau in der Luft der vom zaghaften Wind mit sich getragen wurde.
Er leckte sich gerade über seine raue Lippe und beäugte Sloan mit einem herausforderndem Lächeln, als er sich ihm gegenüber sah und der Mann ihm das einzige Gewehr hinüberwarf. Sein Magen knurrte merklich, doch er ignorierte es und schien fast auf der Grasoberfläche zu schweben als er es überrascht auffing. Schließlich schwiegen sie. Die Vertrautheit mit der Sloan ihn behandelte ließ ihn stutzig werden und er vergaß für einige Augenblicke seinen Argwohn und seine anfängliche Verachtung.
« Weiß außer Euch und Adam sonst noch jemand, wo ich mich aufhalte? », fragte er unsicher und verstaute das Gewehr sicher.
« Bis jetzt nicht, aber das werde ich noch regeln, darüber musst du dir keine Gedanken machen. Es wird wahrscheinlich keine Probleme diesbezüglich geben. Einen guten Grund habe ich ja », versicherte er ihm mit einem weiteren undefinierbaren Grinsen.
« Und der wäre? », fragte er misstrauisch und blickte verständnislos zu ihm.
« Ich werde dich in meine Dienste stellen, dir Buchführung, die Leitung meiner Güter und Aktien, weiterer Wertpapiere und einiges diplomatisches Geschick näher bringen. Du hast während deiner Zeit bei deinem Vater viel Wissen angeeignet – doch ohne eine führende Hand, wirst du deine zukünftigen Erben nicht antreten können. »
« Wie kommt Ihr zu Eurem, scheinbar grenzenlosen Wissen? Und behauptet nicht das es Eure Intuition wäre. », meinte er um einen ruhigen Ton bemüht, den Blick langsam zu seinen Waffen wandernd, entspannte er seine Muskeln und trommelte ungeduldig mit seinen Fingern auf seinem Oberschenkel herum.
« Du glaubst ich würde dich einfach mit mir nehmen ohne vorher einige Einkünfte zu gewinnen? »
« Zugegeben vielleicht nicht, doch das kommt mir alles ein wenig plötzlich vor. »
« Das ist wahr und ich verüble dir dein Misstrauen nicht, dir steht es frei zu gehen, wann du willst und wohin du willst. Sei aber gewarnt zurück kannst du nicht und ohne vorher einen gewissen Eindruck zu gewinnen solltest du nicht vorschnell handeln. »
« Das werde ich nicht. », sagte er ernst und blickte ihn offen an, um seiner Ehrlichkeit zu veranschaulichen.
« Wenn Ihr sagt, dass Ihr mich Euren Geschäften näher bringen wollt, so schließt das Eure Geschäftspartner, sowie Freundschaften mit ein? »
« Auf jeden Fall. Ohne Beziehungen – und ich werde dir einige gesinnte deines Vaters vorstellen- hast du keine Chance deine Geschäfte gewinnbringend zu fördern. Weshalb fragst du? »
« Ich habe mich nur gefragt, ob Ihr mit einem gewissen Finn Ferguson – ein Geschäftsmann der angeblich zurzeit in London seinen Sitz haben soll – bekannt seid? »
« Ferguson sagst du? » Die Mundwinkel verziehend dachte er kurz nach, während sie im Gleichschritt nebeneinander hergingen. « Mir ist leider kein Herr dieses Namens bekannt. »
« Glaubt Ihr man könnte Informationen über Ihn bekommen – diskret? »
« Was liegt dir an ihm? », fragte er nicht ohne eine gewisse Schärfe in der Stimme.
« Es ist nur, dass ich von seinem Einfluss und seinen weitläufigen Beziehungen gehört habe. »
« Ich werde mich umhören. », schloss Sloan kurz darauf das Thema und blieb für die nächste Zeit still. Sie würden das Landhaus, welches etwas außerhalb Londons an einem sonnigen Hang seinen Platz hatte, am nächsten Tag erreichen.
« Sagt, wo habt Ihr das Gerücht aufgeschnappt? », fragte er nach einigen stummen Minuten.
« Gerücht? »
« Von meiner Verlobung. »
« Ein guter Freund hat es in den Umlauf gebracht. »
« Dann wisst Ihr das es eine Lüge ist? », fragte er entrüstet und brachte sein Pferd zum stehen. « Wer ist Euer Freund? »
« Diese Annahme ist nur um das unschickliches Benehmen von Miss Kincaid zu entschuldigen entstanden. Ihr Bruder selbst hat es so gewollt, nachdem er herausfand das sie in Begleitung eines jungen Herrn war, dessen richtigen Namen er nicht einmal kannte. »
« Kennt er ihn jetzt? »
« Oh gewiss doch. Black ist ein alter, vorteilhafter Familienname, ich wüsste nicht das es ihn zu interessieren hat, dass dieser Name von deiner Mutter stammt. » Seine unglaubliche Gewandtheit, wie er diese Worte vorbrachte, faszinierte Aiden.
« Ich glaube Ihr bewegt Euch auf sehr dünnem Eis. »
« Auf sehr dünnem, das kann ich dir versichern. Nach deiner heroischen Tat zu schließen machst du dir nicht sehr viel aus den eventuellen Konsequenzen eines solchen Betragens. »
« Ich hatte meine Gründe. »
« Davon bin ich überzeugt. Nun gut, da aber Miss Kincaid nicht mehr bei uns ist und das Gerücht das du alleine in London auftauchen wirst dementiert wird, ist es nicht mehr wichtig. Eure angebliche Verlobung brauch nicht länger zu bestehen. »
Aiden seufzte resigniert auf, die gefährlichen Spielchen würden beginnen, die Fäden der Beziehungen und Lügen legten ihm schon jetzt Fesseln auf.

Am nächsten Tag erreichten sie das Gut, dessen große, malerische Tore schon von weitem zu sehen waren. Das Land etwa 100 Hektar, umfasste Wiesenflächen, Waldstücke, eine Obstplantage sowie das große Haupthaus, das im Mittelpunkt des Besitzes stand. Weiße Pfosten säumten den Eingang, während Aiden eine große Pforte ausmachen konnte. Rosenbüsche passten sich dem Verlauf der Auffahrt an, wobei unregelmäßige Kieswege eine Art Spazierweg darstellen sollten. Weiter entfernt stand ein reizender Pavillon um den sich Efeu rankte und in der Mitte der Auffahrt gab es eine steinerne Sonnenuhr.
« Hör mal », hatte Sloan ihn bei Einbruch der Dunkelheit des vorigen Abends angesprochen, « ich schenke dir Vertrauen und Respekt und hoffe dass du entsprechend diesen handeln und reden und immer berücksichtigen wirst. » Aiden wandte etwas unerfreulich den Kopf zur Seite und sagte vorerst nichts, ein schändliches Glühen machte sich auf seinen Wangen bemerkbar.
« Morgen werden wir meinen Landsitz erreichen und auch wenn du einiges nicht verstehst möchte ich das du meinen Anweisungen folgst und sie nicht in Frage stellst. Ich möchte dein Wort. »
Er zögerte, zuckte dann mit den Axeln und sah Sloan nachdenklich, dann geistesanwesend an, schließlich gab er sein Wort. Er hatte ja doch keine Wahl und gab sich unter den gegebenen Umständen bereitwillig in dessen Hände, denn er ließ sich hier auf ein Spiel ungeahnten Maßes ein, dessen Regeln er nicht kannte und sich selbst nur als Marionette darin fühlte. Dennoch kannte er seine Grenzen.
Der nächste Morgen brach schneller an als gewollt. Es war der erste Graue und nach Regen riechende Tag seid langem und eine leicht schwüle Luft strich umher und ließ ihn schwitzen.
Als er das Anwesen dann endlich sah, vermischten sich Sorge mit Misstrauen in ihm, wogegen er versuchte die Freude gänzlich zu ignorieren, es klappte erstaunlich gut.
Eine graue Wolke schien Aidens Gemüt zu verstimmen, fürchtete er sich vor dem inoffiziellen Antritt seiner Geschäfte, nahm er doch damit den Namen und das Erbe seines leiblichen Vaters an.
Er versuchte alles mit seinen Sinnen in sich auf zunehmen, Gerüche, Farben, Konturen und Formen. Das Land und dessen Gestaltung zeugte von Schönheit und Annmut, wie es nur die gut meinende Hand einer vornehmen Dame schaffen konnte. Anspannung überfiel ihn bei den Gedanken an Sloans Familie.
Ein plötzlicher Regenschauer überraschte sie, sodass sie gezwungen waren das letzte Stück zu galoppieren und sich auf dem schnellsten Weg in die sicheren Räumlichkeiten zu machen.
« London ist berühmt für seine Dichter, Denker und Gelehrten, wusstest du das? Hier eine Ausbildung zu ergattern ist der Traum vieler, doch nur Wenige können ihn auch umsetzten. » , sagte Sloan nachdem sie über eine Wiesenfläche zunächst unter einem kleinen Gartenunterstand Schutz gefunden hatten.
« Glaubt Ihr es ist nötig mir das jetzt zu erzählen? », entgegnete er darauf, keuchte gestresst und fühlte wie der Regen seine Kleidung durchweichte. Als Antwort lächelte der Mann nur, gab ihm ein Zeichen fürs weiterreiten und nickte ihm schließlich ernst zu, als sie das Haupthaus und dessen Eingang erreichten. Ein Donnern ließ beide zusammenfahren, wobei der Regen mit apokalyptischen Ausmaß auf den Boden prasselte und den Kiesweg zu einem Schlammfluss umformte.
Die Türen öffnete sich und wohlwollende Wärme strömte ihnen entgegen. Blumendüfte; getrockneter Lavendel und Rosmarin durchstreifte die herrliche Atmosphäre, wobei Kaffee und Gebäck einladend im anliegenden Salon zurecht gemacht wurden. Der Glanz und die exquisite, geschmackvolle Einrichtung ließen Aiden kurz stumm vor staunen werden, bis er – immer noch durchweicht – Komplimente und Höflichkeiten von sich gab.
Gerade Linien, gemütliches Flair und Blumen verliehen dem Haus Stärke und eine charakteristische Ader die unerhört zu pulsieren schien. Entgegen anderen pompösen Häusern strahlte dieses hier Stil aus.
Die erneute Rückkehr des Hausherren schien eine plötzliche Aufruhr bewirkt zu haben. Dienstmägde und Boten begrüßten die beiden Neuankömmlinge überschwänglich. Handtücher wurden gereicht, Begrüßungen ausgetauscht und sogleich ein Whisky als Wärmezufuhr herumgereicht.
« Sind unsere Gäste schon angekommen? », fragte Sloan nun und blickte sich hoffend um, als würden diese irgendwo in einer Ecke lauern und darauf warten dass man sie bemerkte.
« Noch nicht Sir. Die Brooks sind heute früh zu Euren Schwiegereltern hinübergefahren und werden gegen Fünf zurück erwartet. Mr Davies wird in etwa um die gleiche Zeit erwartet und die Herrschaften Richards haben dem Essen noch nicht zugesagt. »
« Da kann man wohl nichts machen. »
« Sir, wenn ich Euch eines unserer Gästezimmer anbieten darf? », fragte der Bedienstete an Aiden gewandt, der bejahte und dem Mann unaufgefordert folgte.
« Wir sehen uns beim Essen, Aiden. », rief ihm Sloan hinterher und wand sich einer seiner älteren Bediensteten zu, die ihm überschwängliche Vorwürfe, aufgrund seines gewissenloses Verhalten, bei Regen zu Reisen, machte. Schließlich verlor er sie aus den Augen

Er bahnte sich seinen Weg durch das riesig erscheinende Haus und wusste zwischen staunen und erfurcht nicht was er von all dem halten sollte. Es kam ihm vor als wäre seine Stimme versiegt und er hätte niemals das Sprechen gelernt, so geblendet schien er von dem Prunk und Glanz in diesem Haus. Sloan hatte sich, wie erwartet sofort zurückgezogen. Dieser Mann, hatte wahrscheinlich mehr Pflichten und Tätigkeiten zu erledigen sowie einzuhalten als er selbst ahnen oder schätzen konnte. Er grübelte noch eine Weile darüber nach, als John, der Bedienstete der ihn führte, inne hielt und ihm ein Zimmer zuwies. Gedankenverloren und erschöpft, schaffte er es noch sich auszuziehen, als er auf das Bett fiel und einschlief.

Ein grauer Schimmer hatte sich auf die Außenwelt gelegt und nur ab und zu drang ein gelblich, durchsichtiger Sonnenstrahl durch diese vermummte Atmosphäre. Wie schon zuvor regnete es, ein leichter Nieselregen platschte fast lautlos auf umherstehende Gebäude und Lebewesen und ließ sich vom aufbrausenden Wind in alle Richtungen lenken. Aiden stand vor einem Fenster im zweiten Stock des Hauses und blickte gequält hinaus. Ihm kamen die Mauern des Hauses wie ein Kerker voller Augen vor die ihn ständig beobachteten und sich hinter seinem Rücken zum Angriff vorbereiteten. Mit jeder Sekunde bereute er seine Entscheidung, fragte aber gleichzeitig was er schon hätte anders machen können und ob es ihm dann besser ergangen wäre. Doch wusste er auch, das es die zu ignorieren geltene Sehnsucht nach Helen war, die ihn so denken ließ und nicht das Anwesen.
Im stillen kämpfte er mit dem Drang das Fenster aufzureißen und lauthals nach draußen zu springen, den Regen auf seinem Gesicht zu spüren und einfach fortzurennen. Seine Füße sollten schmerzen und das Atmen sollte ihm versagt bleiben, sein Herzpuls schwer und doch lebendig unter seiner bebenden Brust versteckt.
Langsam verlor er sich in einer verstrickten Verwirrung die sich wie ein imaginärer Regen über ihn ergoss und frösteln ließ.
Gestresst fuhr er sich mit der Hand durch die Haare und schloss für ein paar Sekunden seine Erinnerungsgeprägten, verschleierten Augen, bevor er sich achtlos auf den Boden setzte, die Beine von sich ausgestreckt und den Kopf müde an die Wand gelegt.
Ein dösiger Zustand überfiel ihn, ungewollt und zu schön, um wirklich der Realität zu entspringen, wohl aber auch mit der süßen Wonne einer Ehrleichterung vermischt.
Nach einiger Zeit glaubte er wieder aufzuwachen, seine Augenlieder zuckten und Traumbilder verflüssigten sich um in sein tiefstes Unterbewusstsein zu entschwinden, eingekerkert bis die nächsten Stunden verflogen und sein Körper sich erneut nach einem Augenblick der Ruhe verzehrte.
Das kleine Zimmer mit seinen Augen durchwandernd stand er ächzend auf und fasste sich über sein Gesicht, um den letzten Funken unbegreiflichen Schlafes daraus zu vertreiben. Der Regen von zuvor war verebbt und golden erleuchtete Wolken zogen sich quer über einen in sanftes blau gehüllten Himmel dessen graue Unebenheiten noch immer vom Grau des Regens verharrten.
Er spürte seinen knurrenden Magen plötzlich mit immenser Intensität und umfasste ihn mit gespielter Sorge die ihn langsam zu seiner Zimmertür trieb. Diese aufschließend lugte er auf den leeren Gang und kam mit einer tänzerischen Drehung heraus, die einen Funken der Belustigung durch sein Gesicht huschen ließ, schloss sie wieder und marschierte, mit leerem Kopf die Treppe hinunter. Die ungeklärten Dinge blieben einsam und ungewollt in seinem Zimmer zurück.
Fast war es so als würde er auf einer sorgenfreien Wolke dahinschweben, wäre da nicht tatsächlich sein knurrender Bauch der unschöne Protestlaute von sich gab die für ihn schon fast einem Rhythmus gleich kamen. Sollte es überhaupt so einen in Verbindung mit einem leeren Magen geben, aber falls nicht so hatte er diesen ebend erschaffen.
Es war merkwürdig leer im Haus, sodass er aufhorchte. Ein leichtes Tuscheln, Schlurfen und Klirren war zu vernehmen. Das Kratzen von Füllfederhaltern und das Rascheln von Papier drang aus einem Nebenzimmer dessen Tür nur angelehnt war, ansonsten rein gar nichts und doch blieb ihm sein Herz kurzzeitig stehen als er mit mechanischem Gang den Flur entlang ging.
Seine Beine und Füße hatten den Zustand lebloser Steine angenommen, die sich aufs verrecken nicht bewegen ließen und seine Augen sahen mit einem Ausdruck großen Erstaunens und verständnisloser Dummheit auf die junge Frau die auf einer Chaiselounge im Salon saß und nachdenklich hinaus blickte.
Ein Lichtschimmer der durch das Fenster drang, schien die ganze Szenerie in plötzliches helles Treiben zu versetzen, bevor er ein überraschtes « Hallo » von sich gab das ihm nur schwer von der Zunge glitt.
« Ihr müsst unser Gast sein von dem Sean berichtet hat. », sagte sie freundlich und lächelte ihn an.
« Aiden Black. », entgegnete er und verbeugte sich leicht. Ihre intelligenten, hellen Augen schienen ihn angenehm zu durchleuchten. Kurz spielte sie mit einer ihrer blonden Haarlocken, dann stand sie auf, reichte ihm die Hand und stellte sich als Miss Elisabeth MacAdown vor.
« Sind Sie Mr Sloans Gast? », fragte er nach einer Weile und ließ sich von einem Bediensteten einen Tee bringen.
« Ja seid einigen Monaten bereits schon. »
« Darf ich fragen weshalb? »
« Ihr seid sehr aufdringlich Mr Black. », sagte sie leicht gereizt.
« Das tut mir leid. Sie müssen mir meine Neugierde entschuldigen, doch habe ich mich gefragt was eine junge Dame, alleine im Salon mit nachdenklicher Miene so durch den Kopf geht. »
« Ihr nehmt kein Blatt vor den Mund. »
« Sollte ich etwa? »
« Es wäre einer jungen Dame gegenüber angebracht. », antwortete eine dunkle Stimme. Als er sich umdrehte erblickte er einen älteren Mann, mit kleinen Augen und vom Regen nassen Haaren, dessen einfaches Gesicht bedeutungslos wirkte.
« Und Ihr seid Sir? », fragte nun Aiden und stand auf.
« Robert Davies. Wie ich annehme, seid Ihr Black? Ah gut, man hat mir schon berichtet das Ihr etwas...ungezwungen sind. » Nach dieser kurzen Offenbahrung, verabschiedete er sich schnell wieder mit der Begründung nach Sloan zu suchen.
« Wer ist dieser Mann? », fragte Aiden darauf an Miss MacAdown gewandt.
« Er ist gut mit Sean bekannt und nun sagt mir, weshalb seid Ihr hier? »
« Eure plötzliche Aufdringlichkeit überrascht mich. », sagte er trocken und setzte sich wieder. « Aber ich kann Euch insoweit davon unterrichten , dass mich Mr Sloan in seine Geschäfte einführen wird. »
« Ich verstehe. Das muss bedeuten, dass Ihr bei ihm ein hohes Ansehen genießt, denn er hat wenig Zeit zur Verfügung. Seine Geschäfte verursachen viel Aufwand. »
Das fand bei Aiden sofort Gehör. Er hoffte mehr über Sloans Vorgehensweise und Charakter in Erfahrung zu bringen, auch war die Gesellschaft der jungen Dame nicht sehr unangenehm.
« Sind Sie mit seiner Frau befreundet? », fragte er.
« Ich glaube Ihr seid sehr unwissend, wenn Ihr mir diese Frage stellt. Habt Ihr denn kein Ehrgefühl? »
« Ich verstehe nicht ganz. »
« Seine Frau Emma ist vor wenigen Monaten auf einer Reise ums Leben gekommen. »
« Ich bitte um Verzeihung. », sagte er schnell und war schockiert über diese plötzliche Veränderung von Sloans Bild das er sich ausgemalt hatte. Schließlich wendete sie sich allgemeineren Themen zu, redeten über das schöne Anwesen, das Wetter und nicht zuletzt über das bevorstehende Essen.
« Ihr stammt also aus Abberts Creek, sagt Ihr? Ein schöner Ort. Ich hatte in der Nachbarschaft Verwandte und war vor einigen Jahren dort zu besuch. »
« Tatsächlich? », fragte er positiv überrascht und wollte das Thema genauer bereden, als ein gewisser Mr und dessen Frau im Raum erschienen, die Miss MacAdown standesgemäß vorstellte. Beide schienen noch sehr jung und schüchtern zu sein. So setzten sie sich etwas fernab, redeten kaum und reduzierten die allgemeine Unterhaltung in eine Art bedrückende Konversation, dass schon bald niemand mehr etwas sagte. Die peinlichen Minuten verstrichen, wobei sich Aiden albern und vorgeführt vorkam und sich vergebens wieder an Miss MacAdown wand, die kein weiteres Interesse an den Tag legte ihre Unterredung fortzuführen.
Erleichterung machte sich breit als Mr Davies gemeinsam mit Mr Sloan das Zimmer betrat.
Zwar betrachtete Ersterer Aiden etwas mürrisch, sagte aber nichts, sondern machte den nachfolgenden Gästen platz.
Sloan machte nun Anstalten verschiedene Weine anzupreisen, während es Miss MacAdown überlassen wurde, die Neuankömmlingen miteinander bekannt zu machen. Ihre Rolle schien die einer ältesten Tochter zu entsprechend. Verwundert betrachtete Aiden sie kurz, ihre Schönheit und ihr Anmut waren wirklich kaum zu leugnen.
« Dies sind Seans Schwiegereltern. Mr und Ms Sparks und ihre jüngste Tochter Anne. Außerdem hätten wir da noch Mr und Ms Richards – unsere reizenden Nachbarn und natürlich Harry, Seans Sohn. »
Der etwa Zehnjährige Bursche betrachtete den neuen Gast erstaunt und schien vollkommen fasziniert seinen Blick nicht mehr abwenden zu können. Etwas schüchtern, versteckte er sich hinter seinen Großeltern. Ms Sparks die diese Geste scheinbar amüsierte, blinzelte und lächelte Aiden übertrieben charmant so lange zu, bis er sich irritiert umwand. Ein flüchtiger Seitenblick ließ ahnen das diese Frau einiges mit ihm in Sinn hatte, jedenfalls wurde ihm mulmig als er beobachtete, wie sie ihrer Tochter etwas ins Ohr tuschelte und diese darauf empört die Gesichtsfarbe wechselte. Mr Sparks dagegen behandelte ihn völlig gleichgültig, wand sich Mr Davies zu und blieb stumm bei ihm stehen.
Als sie schließlich mit Wein versorgt und ordnungsgemäß einander vorgestellt worden waren, galt es sich zu Tisch zu begeben und während die Vorspeise serviert wurde, passierte nichts außergewöhnliches. Zwar schien es zwischen den verschiedenen Ehepaaren einiges an komplizierten, unausgesprochenen Worten zu geben, doch ließ sich niemand die gute Stimmung nehmen.
Mr Davies, so fiel es Aiden nach einer Weile auf, war im Grunde nicht etwa Grob oder Missmutig veranlagt, sondern schien sich einfach an der Gesellschaft der Eheleute Briggs zu stören, denen er feindlich gesinnte Blicke über den Tisch hinweg schickte und brummend seine Suppe schlürfte. Diese Angelegenheit hätte vielleicht lustig gewirkt, hätte Ms Briggs nicht so ausgesehen, als würde sie jeden Moment weinend davonlaufen. Miss McAdwon sagte während des ganzes Essens kein Wort mehr zu ihm, wogegen Miss Sparks ihn damit zu überhäufen gedachte.
« Wissen Sie, ich bin der Meinung ein richtiger Verehrer sollte seiner Herzensdame Geschenke machen. Natürlich keine einfachen, sie sollten ihm schon etwas wert sein, denn umso höher der Preis ist, desto höher ist seine Verheerung. », sagte sie einmal zu ihm und sah ihn fordernd an, wobei sie neckisch mit ihren braunen Haaren spielte und an ihrer Haube zupfte.
« Dann wünschte ich Ihnen viel Erfolg beim suchen eines solchen Herrn. », erwiderte Aiden honigsüß und vereitelte damit weitere Anspielungen ihrerseits.
Das alles wurde natürlich aufs genauste von Ms Sparks beobachtet. Zwar hörte sie nicht die genauen Worte, doch sagte der entsetzte Gesichtsausdruck ihrer Tochter alles nötige aus, um ihren Ehrgeiz zu wecken. Ms Richardson dagegen, mit der Aiden noch nicht ein Wort gewechselt hatte, beobachtete die Szenerie merkwürdigerweise ebenso aufmerksam und lächelte verstohlen vor sich hin. Für ihn gab es jedoch kein Entkommen. Sloan redete ausgelassen mit Mr Richards, Davies grummelte vor sich hin und Mr Sparks beachtete niemanden außer sich selbst. Miss MacAdwon die ebenfalls dem ganzen Schauspiel keinerlei Beachtung schenkte, warf ihm jetzt einen ironischen Blick zu, den sie, sobald er ihn bemerkt hatte, hastig senkte und ihre klaren Augen ihrem Teller widmete.
« Sagt, was macht Ihr beruflich, Mr Briggs? », fragte er an den ihm gegenüber sitzenden Herrn gewandt, um nicht wieder Gefahr zu laufen, mit Anne zu sprechen.
« Ich bin Anwaltsgehilfe. »
« In London nehme ich an? Sagt…geht es Eurer Frau nicht besonders? »
« Ja in London, das stimmt. Allerdings wohnen wir zurzeit, aufgrund....einiger unglücklicher Gegebenheiten zur Untermiete bei Mr Sloan. Wissen Sie, der Umzug hat meiner Frau etwas zugesetzt, aber ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. »
Bei den Worten « Unglückliche Gegebenheiten », sah Davies plötzlich auf, nuschelte etwas Grimmiges und bemerkte überrascht, dass Miss MacAdwon etwas zu ihm gesagt hatte. Scheinbar beleidigt darüber, antwortete er unhöflich, was die junge Dame nicht zu stören schien.
« Meine Oma sagt, Mr Davies ist so gemein, weil er noch Junggeselle ist. », warf der junge Harry mit einem Mal ein und überrumpelte damit die ganze Tischgesellschaft. Schweigen breitete sich aus, das nur kurz durch ein unsicheres Husten der Ms Sparks unterbrochen wurde. Selbst Sloan sah jetzt auf, bemerkte die gereizte Stimmung und warf hastig etwas lustiges ein, dass sich die Situation wieder lockerte und alle affektiert auflachen konnten.
« Wo Ihr gerade die Berufswahl angesprochen habt, Mr Wolverton, was ist Ihre derzeitige Tätigkeit? Sie sehen noch so jung aus. », fragte Ms Sparks plötzlich, die ihn gemeinsam mit Anne begierig anblickte. Sie schien weder ihn noch seinen Vater zu kennen.
« Ich werde demnächst das Gut meines Vaters verwalten und bin nun hier, um von Mr Sloan einiges über dieses Geschäft zu lernen. »
« Sehr vernünftig, wirklich. Sagen Sie ist Ihr Gut, denn groß? »
« Ist dies nicht eine etwas persönliche Frage? Ich bin der Meinung, wir sollten Mr Black für heute Abend nicht mit solchen Belanglosigkeiten stören, da er erst vor wenigen Stunden angereist ist. », sagte Miss MacAdwon.
« Wenn Sie dieser Meinung sind, meine Gute, bitte, aber man wird jawohl noch fragen dürfen und ein höfliches Gespräch in Gang setzten. Aber wie mir scheint fehlt Ihnen jegliches Interesse an gesellschaftlichen Veranstaltungen wie diesen, da wundert es mich nicht, dass es ihnen gleichgültig ist, wie es um Mr Black steht. »
« Aber aber meine Damen. », sagte Ms Richardson schnell um die bohrenden Blicke der beiden Damen zu unterbinden. Mit ihrer weichen Stimme und den sanften Augen schaffte sie es schnell beide Parteien wieder zu beruhigen und lächelte Aiden zuvorkommend zu, der dieses gerne erwiderte. Diese kleinen Streitereien, merkwürdigen Diskussionen und mehr als seltsamen Angstzustände der Ms Briggs, gingen eine Weile so weiter, bis sich letztere kurz nach Ende des Dinners kurz entschuldigte und aus dem Raum stürmte, dicht gefolgt von ihrem Ehemann. Verwundert blickten ihnen die anderen Gäste nach
« Sehr merkwürdige Leute. », sagte Ms Sparks die wie immer ihre Meinung nicht zurück halten konnte. « Nicht wahr, mein Guter? » Doch Mr Sparks, warf ihr einen desinteressierten Blick zu, bejahte knapp und sagte den übrigen Abend nichts mehr.
Nach dem Essen zog man sich in einen anliegenden Raum zurück. Miss Sparks gab einige musikalische Stücke an dem Piano zum besten ( alle eher mittelmäßig), wobei ihre Mutter Aiden aufmerksam über die Talente ihrer Tochter unterrichtete. Mit einer geschwindelten Entschuldigung er müsse ganz dringend mit Mr Sloan sprechen, entkam er ihren Fängen, die schon eine Verlobung mit Anne herbeisehnten und ging schnellstens durch den Raum auf der suche nach ihm. Dabei ging er an Ms Richardson vorbei, die ihn zwar freundlich, aber eingehend beobachtete und er leicht beklommen das Zimmer wechselte, um nach dem verschwundenen Hausherrn zu suchen, den er seit dem Essen nicht mehr gesehen hatte.

23. Offenbahrung

25. Merkwürdigkeiten

Am nächsten Morgen fuhren sie früh nach Flat hall zurück. Aiden hatte ein Gespräch mit Miss MacAdwon gemieden und schob jegliche Unternehmung dieser Art in weite Ferne.
Auf dem Anwesen angekommen, zog er sich schnell zurück und gab seinem Wissensdurst und dem Drang nach Gesellschaft erst am späten Nachmittag nach. Er hoffte Miss MacAdown in der Bibliothek anzutreffen, wurde aber mit ihrer Abwesenheit gestraft. So stellte er sich auf einen banalen Abend, in kleiner Runde ein. Etwas raschelte und ein Buch fiel zu Boden, so dass er bereits die Hoffnung hegte, sie gegen all seinen Erwartungen anzutreffen. Den Raum durchforschend hielt er nach ihr Ausschau und erkannte letzt endlich tatsächlich die Umrisse einer Dame.
Seine Enttäuschung fiel dementsprechend aus, als er Ms Briggs erkannte. Ihm kam in den Sinn, dass er niemals zuvor ein Wort mit ihr gewechselt hatte und wünschte ihr kurz darauf einen guten Tag.
Kaum hatte sie geantwortet, wie zuvor von nervösen Anfällen gepeinigt, als er Mr Davies nicht weit von ihr erkannte. Er grüßte ihn ebenfalls und machte schnell kehrt, da er in keinerlei Gespräche verwickelt werden wollte.
Im Salon sollte es ihm nicht besser ergehen, denn die gleiche Erfolgsmisere stellte sich ein, als er in den Raum ging und die Anwesenden, sprich Mr und Ms Sparks streitend vorfand. Bei seinem Eintritt verstummten sie, sahen sich gereizt einen Augenblick lang an und schienen im Stillen weiter zu fechten. Ms Sparks rang sich schließlich dazu durch ihn zu begrüßen und ein paar kurze, höffliche Worte mit ihm zu wechseln.
« Meine liebe Anne, ist zurzeit auf der Reise zu meiner Schwester und deren Mann in Devonshire. Sie wird dort einige Wochen bleiben – die arme Seele, getrennt von ihren Eltern. »
« Was redest du da? Sie fährt zu deiner Schwester ! Wahrscheinlich wird sie sich prächtig amüsieren, wo dein verschwenderischer Schwager doch beinahe täglich (!!!) Bälle und Abendgesellschaften gibt. », erwiderte Mr Sparks.
« Wie kalt du manchmal sein kannst. Hast du denn kein Herz? », fuhr ihn Ms Sparks an und schien den Tränen nah. Aiden der diesem Streit in keinster Weise beiwohnen wollte, entschuldigte sich hastig, sprach zuvor mitfühlend, mit der einen oder anderen Schmeichelei dazwischen und besänftigte so beide Parteien. Der Herr sagte kein Wort dazu, blieb Aiden gegenüber völlig gleichgültig und ignorierte ihn beinahe. Seine Frau dagegen sah ihn entzückt von solcher Gewandtheit an und sagte noch einiges über ihre Tochter, die sie so schmerzlichste vermisse und akzeptierte nach einigen Minuten endlich, dass Aiden sich abwenden wollte.
Zu seiner Erleichterung trug nun die Tatsache bei, dass er auf keine weiteren Gäste des Hausherrn treffen würde – ausgenommen Mr Briggs, der wie er hoffte bei Sloan war – und brachte ihn soweit zu hoffen, einen angenehmen Nachmittag zu verbringen. So Gott es wolle, allein oder mitsamt Miss MacAdwon. Leider nur hatte er die Möglichkeit, dass sich die vorhandenen Gäste in den Räumlichkeiten frei bewegen konnten nicht mit einkalkuliert und traf so, nach einigen Minuten auf dem Weg zum Garten, abermals auf Mr Davies, den er nach Ms MacAdwon fragte.
« Jedes Mal, wenn ich Ihnen auf den Gängen begegne, haltet Ihr Ausschau nach einer bestimmten Person. Genügt Ihnen meine Gesellschaft nicht? »
« Entschuldigt, falls ich Euch damit gekränkt habe. », sagte er leicht überrumpelt.
« Keineswegs.“ », meinte Davies nur und beäugte ihn misstrauisch. Er sah aus, als läge ihm eine bösartige Gemeinheit auf der Zunge, schluckte diese aber hastig hinunter und zog ein teilnahmsloses Gesicht.
« Wenn ich mir die Frage erlauen darf -»
« Nur zu. », ermunterte Aiden ihn, froh über das Ende einer kurzen peinlichen Pause.
« Es ist offenbar zutreffend, dass Eure Verlobung mit der mir unbekannten Miss Kincaid nicht mehr besteht. »
« Woher -»
« Ms Richard. », sagte er hastig. « So denkt Ihr daran Miss MacAdwon einen Antrag zu machen? »
Völlig verständnislos blieb er eine Weile still, außerstande zu Antworten. Diese Frage war einfach zu abwegig, zu albern, einfach unsinnig....und doch musste er einräumen, dass er seine meiste Zeit, selbst während seiner Studien mit ihr verbracht hatte. Es war ihr Klavierspiel, welchem er gelauscht hatte, ihre Zeichnungen die er ehrlich bewundert und ihre Meinung und ihr Wissen auf welches er stets zurück gegriffen hatte. War es möglich – und es schien sehr eindeutig, dass er ihr Hoffnungen gemacht hatte? Er sich seinem Betragen, seinen Höflich- und Aufmerksamkeiten zu sehr hineingesteigert und falsche Andeutungen gemacht hatte?
« Mit allem nötigen Respekt, Sir...Ich kann Euren Worten nicht ganz folgen, habe ich denn jemals Anstalten oder Andeutungen in eine solche Richtung gemacht? »
« Nun ja. Ihr wisst, wie die Weiber oft tratschen. Dies sollte keine Beleidigung oder Verurteilung sein, ich wollte nur eine wahrheitsgemäße Auskunft. »
« Ich wusste nicht, dass Sie an Klatsch interessiert sind? »
Schließlich verneinte er und Aiden glaubte, in seinem abgestumpften Gesicht, so etwas wie ein Lächeln zu erkennen, hatte er grad mit dem Mundwinkel gezuckt? Überhaupt erschien ihm Davies, als er ging, um einiges fröhlicher, wenn nicht gar erleichtert. Leicht widerwillig schüttelte er sich.
Die Nachmittagssonne hatte schon längst ihren wärmsten Punkt überschritten, und man spürte den erfrischenden Wind deutlicher, der die sanften Strahlen leicht besiegte und einen frösteln ließ.
Der Himmel war ein Meer aus zartem Blau, dessen leicht gelblicher Schimmer die späte Stunde erahnen ließ. Miss MacAdwon saß wie Tage zuvor mit ihm gemeinsam, auf der einsamen Bank, mit Blick auf den nun leicht golden schimmernden Teich.
Ihr Gesicht der Sonne entgegengestreckt, als wolle sie Ikarus ausfindig machen, badete sie in einem Wasserfall von Licht. Ihr Haar war lose und bewegte sich sachte mit dem Windzug der sie umschlich. Ihre Augen, Augen aus klarem Eis begrüßten ihn freudig und luden ihn ein, sich zu setzten. Neben ihr lag breit, mit müden Augen und heraushängender Zunge Kiba, der ihn vorwurfsvoll anblickte, da Miss MacAdwon aufgehört hatte ihn zu kraulen.
« Guten Tag, Cousin, wie geht es dir? »
Erfreut über den unkomplizierten Umgangston, ging er zu ihr, machte ihr kleine Komplimente und redete vorerst über das milde, bereits herbstähnliche Wetter.
Nach seinem Gespräch mit Sloan, der ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, dass Miss MacAdwon, Miss Elisabeth, wie er sie fortan nannte, über seinen Aufenthalt und seine Person informiert war, hatte er ihn Abends darauf, über die verwandtschaftlichen Verhältnisse zwischen ihnen befragt. Ihre Verwandtschaft verlief mütterlicherseits. Wie sich herausstelle, war sie die Tochter einer der Cousins seiner Mutter.
« Sagen wir Mal, es war ein ereignisreicher Tag, für mehrere für uns. », sagte er auf ihre Frage hin, wie sein bisheriger Tag war und dachte an das auffällige Verhalte aller Gäste in Sloans Haus.
« Wie gut ist dir Mr Davies bekannt? »
« Mr Davies? Ich entsinne mich, mit ihm ein oder zweimal ein angeregtes Gespräch geführt zu haben, allerdings ist das für die beträchtliche Zeit unserer Bekanntschaft schätzungsweise wenig. Weshalb fragst du? »
« Ich bin ihm vorhin begegnet. Er scheint mir recht....missmutig. »
« Da muss ich dir zustimmen. Seid ich ihm vorgestellt wurde, ist er ein zurückhaltender, einsamer Mann mit wenigen Worten und übler Laune. Natürlich abgesehen von den zwei Ausnahmen von denen ich dir gerade berichtet habe. »
« Elisabeth...ich möchte dir danken, für die Zeit und die Fürsorge die du mir zuteil werden lässt, durch deine Unterstützung während meiner Studien. »
« Du sprichst als wolltest du bald wieder abreisen? »
« Oh nein, keineswegs. Ich habe mich nur gefragt, inwiefern Mr Sloan dich über gewisse Sacherhalte aufgeklärt hat.“
« Gewisse Sachverhalte? », fragte sie amüsiert. « Du spielst auf deine Anwesenheit, die Verbindung zu Sean, deine speziellen Studien über Verwaltung und Buchführung und deine Familie an? »
« Exakt. »
« Nun, ich kenne den Grund für deinen Aufenthalt, dass du deine Studien, aufgrund deines potenziellen Erbes macht und Sean dir helfen möchte, ein beständiges Mitglied in deines Vaters Geschäfte zu werden. Er selbst erhofft sich natürlich einigen Einfluss durch dich. »
« Dies habe ich mir bereits gedacht. », sagte er und sie blieben für einige Minuten still. Während sie beide ihren Träumereien und Illusionen nachgingen, atmete Aiden plötzlich heftig tief ein und aus. Die Luft war angenehm mild, der Garten von ihrem Punkt aus, hübsch zu betrachten.
« Natürlich weiß ich, dass Sloan mich auch aus eigennützigen Gründen bei sich aufgenommen hat. Würdest du mir verraten, weshalb du seine Fürsorge bekommst? »
« Mein Fall ist ein anderer. Sean, verspricht sich nichts daraus, er tut es lediglich aufgrund seiner Gutmütigkeit. Mein Onkel ist ihm ein guter Freund und Geschäftspartner, er tat es um ihm einen Gefallen zu tun. Aber urteile nicht voreilig über Sean. Er ist davon überzeugt, dass du früher oder später zu deinen Angehörigen gehen wirst. Ich bin der Ansicht, dass du kein Einzelgänger bist. »
« So erscheint es mir leider oft. », sagte er wehmütig und versteifte sich in seiner Haltung.
« Nun, Sean ist meiner Meinung. », sagte sie belustig über seine Naivität und lächelte ihn an.
« Du lächelst wie er. », meinte er und blickte sie an.
« Weißt du, ich glaube er kann gar nicht anders als Lächeln, es ist wohl seine Art seine Gefühle auszudrücken, weil er es mit Worten nicht mehr vermag. »
« Was ist mit ihm passiert, dass er nicht mehr dazu in der Lage ist? »
« Ich weiß es nicht genau. Doch schätze ich, dass er noch sehr um seine Frau trauert. Er glaubt sich schuldig, da er sie auf der Reise, die sie antraten und auf der sie starb, überredet hat. »
Aiden schluckte und wand seinen Blick wieder ab, ein unangenehmes Schweigen überkam sie.
« Was war mit dir, bevor dich Sean nach Flat hall eingeladen hat, bevor du bei deinem Vater gelebt hast? Während deiner Zeit auf Abberts Creek? », fragte sie plötzlich und ließ die Stille zerschellen, als wäre sie aus Glas.
« Damals ist so viel geschehen, ich kann es selbst nicht richtig realisieren. », räumte er ein und riskierte einen erneuten Blick. Sie musterte ihn ungeniert, wackelte dabei mit ihren Füßen und schloss dann die Augen, während ein heller Sonnenstrahl sie überdeckte, wie der Pinselstrich eine leere Leinwand. Sie schien so schön, das es ihm kurz die Sprache versagte.
« Weißt du, dass ich mich am Anfang gewährt habe, mich Sean anzuschließen ? Ich hatte meine ganze Familie verloren. Hatte kein Einkommen, kein Erbe, keine Rente, war vollkommen mittellos. Sean hat auf mich eingeredet, mir Argumente vorgebracht denen ich nicht widersprechen konnte und mir eine Aussicht auf eine Zukunft gegeben. » Ihre Stimme war bei jedem Wort leiser und zurückhaltender geworden und ihre Anspannung war ihr plötzlich wie ins Gesicht geschrieben, dass er es nicht wagte etwas einzuwerfen, geschweige denn einen Laut von sich zu geben. Statt dessen konzentrierte er sich auf den im Schatten liegenden Teich, über dem haufenweise Insekten kreisten und hier und da mit kaum einem Geräusch von einem drohenden Fischmaul in die Tiefe gerissen wurden.
« Ich habe lange bei meiner Mutter gelebt. Abberts Creek war für mich mein Herz, nie war ich woanders gewesen, nie habe ich es verlassen. Es war...wie soll ich es erklären? Isolation? Ich glaube, dass trifft es am besten. Es war wie eine einzige Dunkelheit die stets über mir gehangen hat und vor der jedermann Angst hatte, denn alle fürchteten mich. Als wäre in mir ein Monster das ohne zu zögern, herauskommen und alles und jeden verschlingen würde. Es war nicht so das ich wirklich allein war, es waren nur immer wieder diese Blicke und Worte, insbesondere diese. Als wären sie Gewichte, die vor allem mein Urgroßvater an mich hängen wollte, alles aufgrund meines Vaters. »
« Wie ist es jetzt? », flüsterte sie.
« Das ist das grausige. Es ist besser, nach dem Tod meiner Mutter ist so vieles einfacher geworden und ich frage mich ob ich darüber weinen oder lachen soll? Es ist eine verdammte Ironie und ich könnte wahnsinnig werden wenn ich auch nur daran denke. Was ich natürlich so oft tue, dass mir der Kopf davon dröhnt, würde ich es nicht ab und zu blockieren. Schließlich frage ich mich, habe ich genug getan? Genug getrauert? Oder bin ich ihr mehr schuldig, ihrer nicht würdig? Ich, der Bastard ? »
« Wenn der Tod uns zerreißt ist es, ich würde es nicht normal nennen, aber es ist ein Zustand den man nicht beschreiben kann. Immer mit verschiedener Fassade und immer wieder mit mehr Herzstichen verbunden. Aber offensichtlich ist doch, dass die Frage ob man genug getrauert hat, nicht zu beantworten ist, denn man wird nie damit aufhören. »
« Glaubst du an ein unverrückbares Schicksal? »
Er sah ihre im schwindenden Nachmittagslicht zarten Gesichtszüge, die sich in ihren zerbrechlich-hellen Augen zu verlieren schienen. Er war fasziniert von ihr.
« Erzähl weiter. », forderte sie ihn auf, ohne die Frage zu beantworten und löste ihn aus seiner kurzen Trance, indem sie ihn sanft ihre Hand auf seinen Oberschenkel legte, die er kaum bemerkte. So schier unmöglich fand er seine eigene plötzliche Offenheit.
« Ich wäre der einzige Erbe. Der einzige rechtmäßige, wenn auch inofizielle Nachfolger meines Vaters, vor dem sie einen Groll und eine unbändige Angst vor seiner potenziellen Macht hegten. Sollte er aus den Kolonien lebend zurückkehren…so projezierten sie den Groll vorerst auf mich. Niemand sollte davon erfahren. Meine Mutter sollte Heiraten doch sie entschied sich dagegen und statt dessen für meinen Vater, den ich bis zu diesem Zeitpunkt nie zuvor gesehen hatte. Dessen Ebenbild ich war und der den wahren Grund für den Hass meines Großvaters verkörperte. Er war der Anfang von all dem und sollte auch der Wendepunkt sein, sprich der Beginn des Ruins von Abberts Creek. »
Er machte eine kurze Pause, denn Miss Elisabeths Anblick beeindruckte ihn, eine Mischung aus Melancholie und Unschuld die etwas in seinem inneren längst vergessenen bewegten.
« Ich kann mich nicht richtig daran erinnern, doch irgendetwas geschah. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es niemand gewagt mich oder meine Mutter zu belästigen. Sei es auch nur die wahnsinnige Angst vor meines Vaters Rache gewesen die ihren Drang stoppte. Doch an diesem einen Tag, als die Nacht einkehrte. »

Das Haus brannte, brannte entsetzlich das die lodernden Flammen die Nacht zur Hölle machten. Das Feuer züngelte sich bis in den Himmel empor, Rauchschwaden, verzweifelte Schreie und immer wieder der rote Schatten auf jedem und überall schreckten ihn auf, ließen seinen Puls rasen und ihm den Atem rauben. Es war fast als könnte das brennende Gebäude ihn verfolgen, würde seine feurigen Arme ausfahren und ihn mit in die Hölle schleifen, wo er elendig verrotten würde. Er hatte weder eine Ahnung warum es brannte noch wer dies getan haben könnte, und doch war es als würden die brennenden Flammen direkt aus seinem Herzen kommen, um all die verzweifelten Menschen die ringsherum vor Angst oder Wut herumschrieen einfach verbrennen zu lassen. Dieser Gedanke kam ihm nur kurz und doch löste er in ihm eine Welle der Übelkeit über seine eigene vorher nicht gekannte Art von Hass aus.
War es Panik, Vorahnung? Er wusste es nicht, aber seine Füße trugen ihn zurück. In seinem Inneren war bereits ein Teil gestorben, ein dunkler Fleck thronte an dessen Stelle und breitete sich innerlich aus. Fraß sich förmlich durch ihn hindurch. Seine Mutter. Einem Impuls folgend wusste er das es keine Rettung für sie gab, sie war tot. Schon lange von den reißendem Flammeninferno erfasst, da sie sich zum selben Zeitpunkt im Inneren des Gebäudes befunden hatte.
Sie war für immer verschwunden und er allein. Wie erbärmlich. Ein wandelnder, körperloser Haufen aus Angst. Die Panik überwältigte ihn schließlich und er rannte so schnell er konnte. Vielleicht aus mangelndem Mut, vielleicht aus einem sich vor Gram zerreißenden Herzen oder schierem Wahnsinn, stoppte er sich mitten in der Bewegung und ließ sich vornüber auf die Knie fallen.
Dann wurde es schwarz, eher rot...der Geruch von Angst, Schweiß und Blut klebten überall. Das knisternde Feuer machte ihn halb taub, während sein Körper, ein einziger schmerzender Muskel, mit dem Drang kämpfte weiter zu rennen oder aber lieber doch liegen zu bleiben und zu sterben.
Jemand kämpfte, er hörte eiserne Klingen aufeinander treffen, hörte sie rufen und spürte Bewegungen. Sah sprunghafte Schatten, welche ihn vor seinen verschleierten Augen ganz wirr machten und wünschte es würde aufhören. Die Geräusche endlich versagen.
Schließlich bot sich ihm ein Anblick aus Feuer, Zerstörung und Hass. Dort kämpfte wirklich jemand, doch die heftige Hitze, der stickige Rauch, es machte ihn halb blind, so versagte sein Körper...

Mechanisch legte er die Hand an seinen Kopf
« Ständig wurde es schwarz, es sind ganze Minuten in denen ich nicht wusste was um mich herum geschah. Irgendwann war ich nicht mehr allein. Ob Feind oder Freund, Schmerz oder Erleichterung, es schien alles so gleich, so unbedeutend. Ich kann noch immer den kalten und nassen Steinboden an meinem Körper spüren, als ich auf ihm erwachte. Ich fragte mich erst gar nicht wie ich dort hingekommen war sondern versuchte zu entkommen. Vor mir, vor dem noch glühenden Feuer, vor dem Schicksal? Alles was vor mir lag war eine Straße, Dreck und Unvernunft. Ich hätte leicht in den Wald laufen können um mich zu verstecken doch ich konnte nicht... » Sein Blick war getrübt vor Erinnerungen, kurz brauchte er eine Pause, um sich zu beruhigen.
« Irgendwann stand ich auf, mit leerem Kopf und keinem Gefühl im Körper. Schließlich packte mich jemand, riss mich mit sich und ich dachte es wäre vorbei. »
Wieder kehrte Stille ein, bisher hatte er Linderung gefühlt, wie er seine Geschichte erzählt hatte, doch er konnte nur bis zu diesem Punkt und nicht weiter.
Als Elisabeth merkte, dass er nichts mehr sagen würde, schloss sie die Augen, um sich ein Bild zu machen. Mit klarem Verstand und versuchsweise nachempfundenen Gefühlen, versuchte sie seiner Geschichte Leben einzuhauchen. Dieses grauenhafte Schicksal und die Erfahrung seine Mutter dem sicheren Tod zu überlassen belasteten ihn noch immer, machten ihn wütend und zerstörte seine Selbstachtung. Dies jedenfalls vermochte sie ihm ansehen, seine wahren Regungen konnte sie nicht entschlüsseln. Ihr Mitleid war nicht angebracht, Trost eventuell schon, weshalb sie einige besänftige Worte zu ihm sagte.
« Wie theatralisch, mein Vater an jenem Tag erschien .Ich erkannte ihn sofort, wollte jedoch weder ein Wort hören, noch sein Gesicht sehen, um die Wahrheit daraus zu lesen. Seine Augen voller Trauer und Reue, die in der Vergangenheit lebten und nun dessen Ergebnis entgegen sahen, das alles wollte ich nicht verstehen. Konnte es nicht. Aber ich brachte schließlich nicht die Kraft dazu auf, um ihm tatsächlich zu entsagen. Nicht ein Laut schaffte es aus meiner verrauchten Kehle und so nahm er mich mit, mein Vater. Zu sich, ohne das ich wusste was zu denken, noch was zu tun war. »
Niemals hätte sie mit einer so plötzlichen Konfrontation und Offenheit seinerseits gerechnet, niemals. Das einzige was sie jetzt tun konnte war ihm stumm zuzuhören, doch als hätte er einen Schlag versetzt bekommen, schreckte er auf, starrte sie überrascht an und stand ruckartig auf. Sein Mund öffnete sich, doch kein Wort kam heraus, seine Hände bewegten sich, doch ihre Mimik war unverständlich und auch sein Blick schien vernebelt und undeutlich.
« Ich wollte es nie. Dieser Zwang, dieser Druck der mir befiehlt in seine Fußstapfen zu treten, der dies alles hier veranlasst hat. »
« Manchmal hat man keine Wahl. Ich glaube daran, dass manche Menschen kein eigenes vorgeschriebenes Schicksal haben, sondern ihr Leben von das anderer bestimmt oder in die Wege geleitet wird, ohne das man diese unsichtbaren Fäden ergreifen noch verstehen kann. »
Er kehrte ihr den Rücken zu und zitterte in mehreren Wellen die ihn wie Regen übergossen. « Warum erzähle ich das ? Davies wird mein Wort ohne Zweifel in Frage stellen... »
« Ich fühle mich geschmeichelt, dass du mir das alles anvertraut hast. Es beweist mir dein Vertrauen und ich danke dir dafür. », sagte sie und stand ebenfalls auf. « Weshalb wird Mr Davies dein Wort anzweifeln? »
Sein Kopf fing schmerzhaft an zu pochen und er presste sein Handgelenk gegen seine Stirn um den Schmerz zu unterbinden oder vielleicht doch nur um dieser traurigen Fassade zu entkommen die ihn und seine Gefühle widerspiegeln sollte?
« Das mit Davies ist nicht weiter wichtig. Vergiss meine letzten Worte, ich werde Sloan nicht enttäuschen. Ich hoffe du erkennst meine Wertschätzung dir gegenüber und entschuldigst meine zwischenzeitliches unpassendes Verhalten. »
« Aiden Black, ich glaube dein unpassendes Verhalten, hat dir bereits so manches Ärgernis gebracht. »
« Da hast du recht. », sagte er nüchtern, lachte ironisch auf und biss sich auf die Unterlippe, als lache er über seine eigene Naivität, die ihn schon immer verfolgt hatte und er sich jetzt zum ersten Mal sicher wahr das er sie endlich hinter sich gelassen hatte. Er hatte Ziele, die es zu erreichen galt, selbst wenn abermals jemand anderes entschied wohin sein Weg ihn führen sollte.


Dem nervtötenden Höflichkeiten der Ms Sparks entkommen, rannte er fast in Mr Davies, der aus Richtung Eingangshalle, gedankenverloren um die Ecke hechtete und dabei fast mit ihm zusammenstieß.
« Ihr habt nicht zufällig Mr Sloan gesehen? », fragte Aiden kurz darauf, als er sich von dem Schrecken erholt hatte.
« Doch das habe ich. Er hat einen wichtigen Brief aus Derbyshire bekommen und möchte vorerst nicht mehr gestört werden. »
« Derbyshire sagt Ihr? »
« Und er möchte nicht gestört werden. », fügte er nochmals scharf hinzu, sodass ihn Aiden spekulierend betrachtete.
« Wenn diese schreckliche Musik aufhören würde. Wirklich, die Sparks sind eine schreckliche Gesellschaft. Hätte ich gewusst, dass diese Leute kommen, wäre ich Zuhause geblieben. Dort hätte mich mit einem Schachspiel vergnügt und meinen eigenen Wein verkostet. »
« Nun denn. », sagte Aiden nur, dem der unhöfliche, recht verbitterte Herr, mehr als abstoßend erschien.
Schließlich schaffte er es seiner schlechten Laune zu entkommen, ging voran in die Eingangshalle und überlegte, wo er sich am effektivsten verstecken konnte, um der Gesellschaft, wenigstens noch eine gute halbe Stunde zu entkommen. Zunächst ging er eine Weile an den Gemälden und Skulpturen interessiert, die Gänge entlang, bis er die großen Türen zur Bibliothek des Hauses fand. Er war nie ein besonderer Bücherliebhaber oder Leser gewesen, doch gefielen ihm die Räumlichkeiten und die unterschiedlichen Ausstattungen der jeweiligen Häuser umso mehr. Begierig auf außergewöhnliche Architektur schlenderte er durch die Regalgänge, bis er in der sanften, von Kerzen beschienenen Lichtatmosphäre eine liebliche Gestalt sitzen sah. Der Unterhaltung und der Verzögerung willen, Ms Sparks nicht so bald wieder zu sehen, ging er zu Miss MacAdwon.
« Euch interessieren Bücher? », fragte er.
« Sie sind dieser Gesellschaft allemal vorzuziehen. »
Aiden lachte darauf leise und fragte sich was Sloan sich bei dieser Gästeliste nur gedacht hatte, aber warscheinlich hatte er selbst keinen Einfluss auf die Hartnäkigkeit seiner Schweigereltern. Einige Minuten verstrichen und Aiden setzte sich bald zu Miss MacAdown an den Tisch und gab sich ganz der Schönheit des Raumes hin.
« Was führt Sie hierhin? », fragte sie nach einer Weile und blickte von ihrem Buch auf.
« Ähnliche Gründe wie Ihre. Ms Sparks war etwas...“
« Übermütig, unhöflich, eingebildet? », half sie ihm.
« Exakt, ich hätte es nicht besser ausdrücken können. Während des Essens schien es mir einige Spannungen zwischen Ihnen beiden gegeben zu haben. »
« Das liegt an ihrem Mangel an Selbstdisziplin. Ihr Mundwerk ist unerträglich, vor allem wenn es um ihre liebe Anne geht. Bis Morgen früh wird sie alles über Euer Einkommen, Eure Herkunft und Euer geschätztes Erbe wissen, um zu sehen, ob Ihr eine gute Partie für ihre Tochter wärd. »
Wieder schwiegen sie einige Minutenlang, bevor Aiden wusste, wie er die nächste Frage formulieren sollte.
« Sie hatten mir zuvor erzählt, dass Sie Verwandte in der Nähe von Abberts Creek hatten – wie darf ich das verstehen? »
« Nun, ich will mir keine, vielleicht völlig falsche Behauptung anmaßen, aber wie ich glaube sind wir miteinander verwandt. Sean, berichtete mir etwas über Euch und sagte etwas ähnliches. Um sicher zu sein, müsste ich ihn allerdings noch einmal fragen. »
« Verwandt? Das freut mich aufrichtig. », entfuhr es ihn und war tatsächlich begeistert. Zwar kannte er die junge Miss MacAdwon nur geraume Zeit, doch standen ihre Aufrichtigkeit, ihre Intelligenz und Schönheit, schon jetzt hoch in seiner Achtung.
« Ich kann mich nur sehr schlecht an den Besuch damals auf Abberts Creek entsinnen, doch habe ich große Gärten und eine wilde, schöne Landschaft in Erinnerung »
« Ich hätte es selbst nicht besser ausdrücken können. Leider ist das Land und das Haupthaus nun in einem schlechten Zustand. Außer dem Verwalter und ein paar Bediensteten, lebt dort keiner mehr – eine Renovierung ist überfällig. »
« Werdet Ihr demnächst dafür sorgen? »
« Ich will es versuchen. Mr Sloans Hilfe ist hier unersetzlich, denn ich habe keine Erfahrung mit solchen Dingen und auch nicht das nötige Wissen dazu. »
Anschließend plauderten sie noch über die bezaubernde Landschaft in dieser Gegend, die beschwerliche Reise bis dorthin und über allgemeinere Themen.
« Ihr müsst wissen ich bin in Borton aufgewachsen. Meiner Familie hat ein schönes Stadthaus gehört, welches wir im Sommer verlassen haben, um weiter Abseits ein kleines Landhaus zu mieten. Die Gegend ist wirklich wunderschön. »
« Wenn Ihr mir die Frage erlaubt, was ist Euer Vater beruflich? »
« Mein Vater war Kauffmann. Ich muss beschämend hinzufügen, ein miserabler, denn er ist schnell dem Wahnsinn des Geldes verfallen, mitunter menschenunwürdigen Verfahren. »
« Das tut mir aufrichtig Leid, wenn Sie so sprechen – lebt Ihr Vater nicht mehr? »
« Ja, seit etwa einem halben Jahr schon nicht mehr. Er ist in seinen letzten Jahren einer habgierigen und eifersüchtigen Natur verfallen, verschwenderisch im Geldausgeben und skrupellos beim erwirtschaften. Dies wurde ihm letztendlich zum Verhängnis. »
Im Grunde konnte jeder in Miss MacAdowns Familie ahnen das mit dem luxuriösen Leben und den immer größer werdenden Ausgaben nur eins zu erreichen war: der vollkommene Ruin. Es entfaltete sich eine ungeheure Spannung innerhalb des Hauses und Ihre Eltern, schrieen sie sich nicht gegenseitig an, hüllten sich in eiskaltes Schweigen das die vorerst genervten Dienstboten zu Ängsten um ihre Arbeit und später auch ihr Leben trieb. Sie verließen die Familie der Reihe nach, und der Druck und die Sorge um das anfänglich so erfolgreiche Geschäft und den Segen des Hauses stieg mit jedem Tag im Takt einer Stundenuhr die unaufhaltsam weiter die Zeit verstreichen ließ. Wäre der zu ahnende Bankrott der Familie nicht schon zum greifen nah gewesen, hätte man meinen können es gäbe eine noch nicht in Erwägung gezogene Lösung. Etwa ein Kredit oder ein rascher Verkauf oder Pächter der Ländereien, doch der plötzliche Tod ihres jüngeren Bruders Randall zog sie alle ins Verderben. Es brachte das Fass endgültig zum überlaufen.
So dachte man vorerst, aber der Kummer und der Tod die an den Wänden ihres Hauses umher strichen und alles zu betäuben schien waren nicht der Grund für ihren tatsächlichen Fall, denn kurze Zeit später wandten sich alle Geschäftspartner von ihnen ab. Ihr Vater der die kommende Gefahr eines Bankrots im nicht vorhandenen Geld zu ersticken versuchte und nicht im mindesten daran zweifelte das es ihm die nötige Sicherheit verschaffte, zog sich in seine eigene Fantasie voller unrealistischer Vorstellungen und verwirrenden Machenschaften zurück, so dass er den vollkommenen Bezug zur Realität verlor. Einzig seine Gattin Sophie, eine Frau von gut dreißig Jahren erfasste die Situation mit kühlen Kopf und versuchte sich und ihr einzig verbliebenes Kind noch zu retten. Doch auch sie raffte eine Lungenentzündung dahin.
« Das ist ja schrecklich! Sie können gar nicht glauben wie aufrichtig ich mit Ihnen leide. », sagte Aiden und wusste nicht wie er der jungen Dame Abhilfe schaffen sollte. Worte schienen unpassend, Gesten zu aufdringlich.
« Nun ja, an dieser Stelle erschien Mr Sloan. Sean, half meinem Vater die Kredite zu tilgen, seine Gläubiger zu beruhigen und lud mich zu ihm ein, bis sich die Geschäfte wieder weitgehend beruhigen sollten, doch mein Vater hat dies nicht mehr miterlebt. »
« Wie mir scheint ist Mr Sloans Gutherzigkeit und Großzügigkeit beträchtlich. »
Eine beklommene Stille legte sich über sie welche sich mit der plötzlichen Dunkelheit der Außenwelt, heimlich zwischen sie geschlichen hatte und nun ihren Tribut zollte. Aiden wusste nicht was er sagen sollte und ob er dazu überhaupt im Stande war, denn während Miss MacAdown ihm ihre Geschichte, man berücksichtige wahrhaftige Lebensgeschichte nahe legte, überlegte er sich schon eine Lüge die er ihr auftischen konnte falls er später noch zum Zug kommen sollte. Er fühlte sich erbärmlich.
Das Geräusch von Schritten rettete ihn aus dem peinlichen Drang heraus etwas sagen zu müssen und die schreckliche Spannung die sich selbst in den kleinsten Ritzen des Zimmers eingenistet hatte, schien sich beim näher treten eines Mädchens zu verflüchtigen.
Eines der Dienstmädchen trat an sie heran, in ihren Händen trug sie ein Tablett mit Tee und Gebäck. Sie stellte es auf den Tisch zwischen sie, wobei sich seiner mit Miss MacAdowns Blick traf, den beide abrupt wieder abwandten und sich ganz auf das Mädchen konzentrierten.
« Es tut mir so leid das ich nicht früher gekommen bin, der Herr hatte mehrere Wünsche und die Küche sah sich nicht imstande mich zu entbehren, es tut mir wirklich außerordentlich leid sie so unhöfflich versetzt zu haben. Wenn ich irgendetwas tun... » An dieser Stelle wurde sie von Miss MacAdown unterbrochen die sie mit einem sanften Ausdruck aus ihrer beschämten Erklärung erlöste.
« Das ist schon in Ordnung, wir hatten die Zeit sowieso vergessen, nicht wahr? », fragte sie an Aiden gewandt, worauf er ihre Worte mit einem Lächeln bestätigte.
« Ich Rufe dich wenn ich noch etwas brauche, du kannst gehen. », sagte sie anschließend und entließ das Mädchen, das ihr Glück kaum fassend, schnell das Weite suchte und sich davon machte.
« Hattet Ihr den Tee zuvor bestellt? », fragte Aiden, um überhaupt etwas zu sagen.
« Ja, das habe ich. », erwiderte sie nur und goss sich und ihm ein.
Wieder allein, war die Sprachlosigkeit die ihn zuvor überfallen hatte erneut zurückgekehrt und er nahm sich zu dessen Überbrückung eine dampfende Tasse Tee, den er unter den Augen seiner weiblichen Gesellschaft trank. Er hatte während ihrer Erzählungen nicht nur seine Müdigkeit sondern mit ihm auch die Zeit vergessen.
Ihre Erzählung hatte abrupt gestoppt und nachdem sie im übereinkommenden Schweigen den Tee tranken waren beide der Ansicht sich zurück ziehen zu wollen und das Gespräch auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Miss MacAdwon ging darauf auf ihr Zimmer, ließ sich bei den anderen Gästen entschuldigen und überließ Aiden sich selbst.
Zurück bei der Gesellschaft, empfingen ihn einige überraschte und recht beleidigte Blickte der Ms Sparks, die er gutmütig ignorierte. Doch ihre wehenden Röcke nahmen direkten Kurs auf ihn.
« Mr Black, Sie werden nicht glauben was ich gerade gehört habe, was für eine schreckliche, bösartige Lüge ich doch da vernehmen musste. »
« Nun ich bin schon sehr gespannt. », sagte er gelangweilt und gähnte rücksichtslos, als sich plötzlich auch Ms Richards zu ihm gesellte und ihm einen Stuhl an einem nahe gelegenen Tisch anbot. Gerne nahm er diesen an.
« Nun, ich habe Ms Sparks gerade ebend von dem allgemein bekannten Gerücht berichtet, welches bezeugt, dass sie mit einer gewissen Miss Kincaid verlobt sind. »
Aiden blieb stumm.
« So, hab ich mir doch gedacht, dass hier etwas nicht stimmt! », redete Ms Sparks plötzlich laut daher und warf ihrer Tochter einen zufriedenen Blick zu.
« Der junge Herr hat doch noch gar nicht geantwortet, meine Liebe, warten Sie doch erst einmal ab. »
« Nun ja, meine Damen...ich muss darauf bestehen, dies als mein persönliches Geheimnis zu betrachten. Ich hoffe sie werden diesbezüglich meine Gründe – auch wenn ich sie ihnen nicht nenne – verstehen. »
Schon wollte Ms Sparks etwas entgegnen, als Ms Richards ihr zuvorkam. « Natürlich, die Herzensangelegenheiten jünger Leute sind heutzutage sehr kompliziert, dass verstehen wir. »
Damit beendeten sie das kurze Gespräch und Aiden verabschiedete sich, mit einigen höflichen Gesten von der Gesellschaft und ging müde auf sein Zimmer.
In Erinnerungen an die komplizierte Beziehung mit Helen und ihre halb lügenden Schilderungen, sah er dies als die beste und wohl einfachste Lösung an, nämlich vorerst rein gar nichts über ihre angebliche Verlobung zu sagen. Sollten sich diese Hühner doch ihre eigenen Gedanken machen.
Viel wichtiger war es am nächsten Morgen mit Sloan zu sprechen.
Er grübelte noch eine Weile über diesen rätselhaften Mann nach, machte sich automatisch in sein Zimmer auf und schloss erleichtert seine Tür hinter sich.
Wortlos legte er sich auf sein Bett, in Gedanken schon so weit fortgeschritten sich zu überlegen, wie er nun mit Miss MacAdwon verwandt war und wie sie es geschafft hatte die Gunst von Sloan zu gewinnen.
Am nächsten Morgen würde er sich nicht mehr an seine abendliche Zerstreutheit erinnern. Das einzige was ihm blieb war ein furzender Hund am Ende seines Bettes und die wehenden Gardinen, als er das Fenster öffnete und eine sanfte, von Nässe und Sonne bearbeitete Luft hereinströmte und sich über ihn legte.

Der nächste Morgen brach still und in schlichten Farben an. Sein Zimmer war schon von der frühen Helligkeit des sich vorbereitenden Tages erleuchtet und als er aufstand um sich für den kommenden Tag fertig zu machen, schenkte er seinem Fenster keinerlei Aufmerksamkeit. Zu wichtig schienen ihm seine Belangen und Erwartungen an das vorgenommene Gespräch mit Sloan, dass er für das Wetter nicht den Hauch von Interesse zeigte.
Als er die Stufen erneut hinunter ging, fragte er sich wo er überhaupt seine Suche nach ihm beginnen sollte, beschloss aber das Haus nach einem ungefähren, selbst entworfenem Plan gründlich zu durchsuchen. Doch so weit kam es nicht. Deutlich konnte er Sloans Gestalt im Türrahmen des Frühstückzimmers erkennen, nach seinen gestikulierenden Händen zu urteilen, in ein Gespräch vertieft. Unten angekommen, erblickte er Mr Briggs, der mit blasser Haut und besorgtem Gesichtsausdruck auf Sloan einredete. Dieser Widerrum, hörte nun aufmerksam zu, sagte etwas und klopfte dem jungen Mann verständnisvoll auf die Schulter, der darauf ging.
« Guten Morgen, Sir. », sagte Aiden und trat an ihn heran.
« Ah, Aiden, guten Morgen. Was kann ich für dich tun? », fragte er, als sie sich gegenüber standen.
« Die Frage ist eher was kann ich tun? »
« Gute Frage. »
Er nickte mit dem Kopf und deutete ihm an, er solle ihm folgen. Er tat es ohne ein Wort der Erklärung zu verlangen und eine grausame Hoffnung heftete sich an ihn die ihn stumm verfolgte. Grausam da er diese Empfindung als aufgezwungen empfand und da sie von anderen so leicht zu zerbrechen oder ganz und gar zu zerstören vorhergesehen war.
Zusammen erreichten sie ein Zimmer im gleichen Stock in dem das Chaos eines organisatorischen Talentes hätte versteckt sein können. Hätte...denn es waren die dutzenden Haufen von Papieren, Landkarten, Urkunden, Tintenfässchen, Büchern und weiteren Unterlagen, eines Chaoten der sich Aufräumarbeiten mit leib und Seele so ganz und gar nicht verschrieben hatte.
Sloan entschuldigte sich knapp für dieses Durcheinander, worauf Aiden ihm versicherte er hege keinen Zweifel an seinen Fähigkeiten Ordnung zu halten und beschwichtigend mit den Armen ruderte. Kurz darauf setzte Sloan sich an seinen Schreibtisch, überflog einzelne beschriftete Blätter und legte sie sogleich wieder an ihren Platz zurück, als wolle er das bevorstehende Übel erst gar nicht an sich heran lassen.
« Ich weiß du hast etwas anderes erwartet. »
« Das macht mir wirklich nichts aus. », beruhigte er, suchte kurz nach einer Sitzgelegenheit und entschied sich vorsichtshalber stehen zu bleiben.
« Ich meine nicht meinen Sinn für Ordnung, ich meine Bemühungen dich von nun an, sagen wir mal zu unterrichten. »
Eine kurze spannungsüberladene Pause überfiel sie.
« Zugegeben, ich habe mir etwas anderes erhofft, aber das heißt nicht, dass sich meine Erwartungen nicht noch erfüllen können. Zuallererst würde ich vorschlagen Ihr weist mich in die Bilanzen des Haushaltes ein... » Er hielt mitten im Satz inne, als würde er das richtige Wort suchen, ersetzte dieses aber mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck.
« Nun, für so etwas habe ich einen Gutverwalter, ich dachte eher daran, wir würden praktischere Dinge den Vorrang gewähren. », räumte er ein, lachte kurz, aber sarkastisch auf und ließ Aiden keinen Augenblick aus den Augen. « Vorstellungen können trüben, Erwartungen zunichte gemacht und durch neue heiklere ersetzt werden, positiv wie negativ. Während ich nicht in London war, ist vieles geschehen, worüber ich teils sehr wütend bin. Es liegt leider in meiner Verantwortung so manchen begangenen Fehler zu beheben. Aber ich kann dir versichern das ich -»
« Es ist die Organisation meines Vaters, nicht wahr? », unterbrach er und hüllte sich in anschließendes Schweigen.
« Teils ja, teils nein. Ich bin ein Mitglied, falls du diese Tatsache anspielen wolltest und leider wirst du in nächster Zeit viel davon mitbekommen. Ich weiß, du bist nur inoffiziell darin verankert. Die letzten fünf Jahre bei deinem Vater, kann man nicht wirklich mitzählen, aber trotzdem wirst du dich kaum aus den Machenschaften deiner Familie heraushalten können. »
« Das habe ich auch nicht vor, nicht im mindesten. Ich bitte Euch sogar darum, ich will Informationen, aktiv werden und wenn es denn sein muss meinen Mann stehen. »
« Informationen? Ich kann mir keineswegs vorstellen wozu du Informationen benötigst, es sein denn du bist auf der Suche nach jemanden? »
Er antwortete nicht und ein Teil in ihm zog sich schmerzhaft zusammen, was er angesichts der Situation, stillschweigend ertrug und die Zähne zusammenbeißend ein würgendes Geräusch verdrängte. Er war wahrhaftig hinter Informationen her, nicht wie Sloan unausgesprochen angedeutet hatte, über Miss Helen Kincaid, sondern den Mann dem sie folgte, eine für ihn schleierhafte, sich hinter Mauern der Untastbarkeit versteckenden Person ihrer Vergangenheit und baldigen Zukunft; Finn Ferguson, bzw. Henderson.
« Nicht ganz, aber ich will hier nicht unnütz herum sitzen, während Gestalten wie Seymour herum laufen und wer weiß wen auf ihrer Liste abhacken. », redete er sich heraus.
« Da hast du natürlich vollkommen Recht, aber ist es Rache oder der Wunsch jemandes Erwartung gerecht zu werden, das du ihn suchen willst? »
« Davon kann keine Rede sein. », sagte er verdrängend und setzte ein vorwurfsvolles Gesicht auf.
« Du wirst mir verzeihen müssen aber der Grund, dass du dich nützlich machen möchtest reicht mir nicht aus. Ich weiß sehr genau darüber bescheid, dass dich Seymour vor nicht allzu langer Zeit aufgegriffen und als Druckmittel benutzt hat, es wäre nur verständlich wenn du dich nach Rache sehnst. »
Aiden der sich merkwürdig ertappt fühlte, da er nicht einmal selbst auf so einen Gedanken gekommen war oder ihn bisweilen verdrängt oder vergessen hatte, wand seinen Blick hilfesuchend ab, fand aber nichts das ihm seine vorherige Sicherheit hätte wieder geben können.
« Um Gottes willen, Sloan ! Ihr spekuliert da ohne jede Spur von Verstand, glaubt Ihr nicht, dass Ihr nicht genügend Anhaltspunkte habt um das alles nachzuvollziehen ?. »
« Weißt du was ich glaube? »
« Wie meinen? »
« Ich glaube du fühlst dich schuldig, weil du deinem Vater mit dieser ganzen Sache solchen Ärger bereitet hast. Nachdem eure Beziehung mehr oder weniger nicht die Beste ist hast du ganz einfach ein schlechtes Gewissen. Du bist anschließend für mehrere Wochen untergetaucht ohne das jemand deinen Aufenthaltsort kannte und hast dir währenddessen wahrscheinlich nur noch mehr Ärger eingehandelt. Die Sache ist doch die, dass du zu mir gekommen bist weil du den Gedanken nicht ertragen konntest erstens einen so dummen Fehler begangen zu haben und zweitens dir diesen auch noch vor Adam oder weiß was ich wem einzugestehen. Ich dagegen bin dir fremd, biete die neues Terrain und neue Aufgaben die dich jeglicher vergangener Verantwortung entziehen. Und viel mehr noch, die dich auf deine zukünftigen Geschäfte vorbereiten. »
« Das ist nicht wahr. », brachte er knapp heraus und bis sich auf die Zunge « Ich sehe nicht ein mich vor Ihnen zu rechtfertigen, Ihr habt mir das Angebot unterbreitet und ich habe es angenommen, Ihr wusstet ganz einfach, dass ich zu dieser Zeit Probleme hatte und habt dies schamlos ausgenutzt. »
« Nachdem wir das geklärt haben lass uns darüber einig bleiben, dass du Probleme hattest wie jeder andere auch. Du bist genauso in die Geschäfte von Lord George verwickelt wie ich und wenn es denn so sein muss, wirst du mich auf meinen nächsten Unternehmungen begleiten. », wechselte er abrupt in einen friedenssicheren Kompromiss und faltete seine Hände, als wäre er ein gutgläubiger Priester, über seinem Schreibtisch zusammen. Aiden dagegen blickte in diese noch immer verschleierten und jetzt vermeintlich gut meinenden Augen und fühlte seine Zunge in seinem Mund langsam taub werden.
« Wann? »
Sloan blickte ihn noch einmal an, entfaltete seine Hände und durchwühlte mehrere seiner Unterlagen bis er einen etwas mitgenommenen Papierbogen herauszog und diesen nochmals aufmerksam las.
« Ich habe Morgen ein nettes Gespräch mit einem Informanten der von seinem Glück nur noch nichts weiß. Wahrscheinlich sind wir zu zweit ja erfolgreicher und bieten ihm dadurch gleich zwei Argumente uns freiwillig zu helfen. » Ein boshaftes Lächeln, wie er es noch niemals zuvor an Sloan beobachtete hatte, ließ ihn sich diese Situation einprägen und gleichzeitig verstummen. Ohne ein weiteres Wort, machte er auf dem Absatz kehrt und ging zu der geschlossenen Tür die er öffnete und dann noch einmal zurück sah. Sloan wühlte in einem Haufen aus Papieren. Er war bereits über die Schwelle getreten und vermied es noch einmal zurück zu blicken oder auch nur einen weiteren Gedanken an dieses kalte Lächeln zu verschwenden.
« Ich werde dir einiges für die Buchführung dalassen. Du könntest Miss Elisabeth bitten, dich soweit zu unterrichten. », murmelte er mit der Sicherheit, dass er verstanden worden war. Aiden dagegen schüttelte es von Kopf bis Fuß. Die Sache war ihm nicht geheuer. Gerade wollte er Anstalten machen nach Miss MacAdwon zu suchen, als ihm eine überschwängliche, gut gelaunte Anne entgegen kam. Auf die Frage wo sich Erstere befinde, schüttelte sie nur den Kopf und hakte sich bei ihm unter.
« Ein paar Herrschaften unter anderem meine Eltern und Mr Richard werden einen ausgedehnten Spaziergang machen, ich bin der Meinung es gibt nichts schöneres, zumal das Wetter heute wirklich wunderbar ist. »
Dieser offensichtliche Einladung hatte er nicht viel entgegenzubringen und wurde sogleich dazu genötigt dem Ausflug beizuwohnen.
Draußen war es tatsächlich warm und angenehm frisch. Die Grasflächen glitzerten in der Sonne, wann immer ein Strahl die vergossenen, willkürlichen Regentropfen von Gestern traf. Über den Kiesweg der Auffahrt schlenderten sie zuerst zu fünft durch den anliegenden Obstgarten und schließlich in ein kleines bewaldetes Gebiet hinein. Die herrlichen Düfte der Zierrosen, Hortensien und dem einen oder anderen wildem Löwenzahn und Gänseblümchen erreichten eine unglaubliche Intensität, das Aiden zuerst nicht bereute eingewilligt zu haben und sich ganz der erholsamen Natur widmete. Mit Anne plaudernd, enftlammte er zwar Ms Sparks Hoffnungen, doch sah er nicht ein, Anne mit Stillheit für ihrer Mutter betragen zu bestrafen.
« Wie lange werdet Ihr vorrausichtlich bleiben, Mr Black? », fragte sie einmal und lächelte ihn an.
« Das ist noch nicht abzuwägen. Mr Sloan wird mich zunächst in seine Geschäfte einführen. Zudem fallen wichtige andere Angelegenheiten an, die ich hier, in aller Ruhe zu bewerkstelligen versuche. Ein paar Monate schätze ich mal. »
Interessiert hörte sie ihm zwar zu, war aber viel zu sehr mit sich selbst und ihrer – wie er bald herausfand – idealistischen Vorstellung eines Ehemanns ( der einem holden Prinzen recht nahe kam, aber trotzdem nicht das Wasser reichen konnte) beschäftigt, als wenn es wirklich viel Sinn gehabt hätte, weiteres über seine Persönlichkeit preiszugeben. Anne wurde dem Ausflug bald überdrüssig, beschwerte sich bei ihrer Mutter und jammerte eine Zeitlang herum, bis sie beschlossen zurückzugehen – viel zu früh. Enttäuscht über die jämmerlichen Resultate des Tages, blieb Aiden ein Stückweit zurück, beschäftigte sich mit seinen Gedankengängen und erfreute sich so gut es ging an den Fichten, Pappeln und Obstbäumen, als er bemerkte wie Mr Richards stehen blieb, um einen lilanen Fingerhut genauer zu betrachten. Dieser ging erst weiter, als Aiden ihn erreicht hatte und gemeinsam liefen sie stumm eine Weile nebeneinander her.
« Wie gefällt es Euch hier? »
« Es ist sehr schön, so nah an der Natur. Das Haus ist eine Quelle der Gemütlichkeit und die Gastfreundschaft die man mir erweist ist zu gütig. », antwortete er formgewandt und betrachtete das Walrossähnliche Bartgewühl das Mr Richards rundes, schon recht faltiges Gesicht, ulkig und freundlich wirken ließ.
« Das freut mich zu hören. Mr Sloan ist mir ein guter Freund – seid Jahren schon, so bin ich auch mit Ihrem Vater recht gut bekannt. »
Ein Schatten huschte über Aidens Gesicht und zu seiner eigenen Überraschung legte sich weder das schamlose Gefühl der Machtlosigkeit noch dasjenige ertappt worden zu sein über ihn. Er hätte es sich denken können.
« Seid beruhigt. Ich habe nicht vor mich in Eure Angelegenheiten oder die Eures Vaters einzumischen. Lord George ist ein Mann der meine Achtung verdient, ebenso halte ich viel auf seinen Sohn. Es scheint mir wichtig, dass Sloan Euch in vieles dieser Welt einweist, damit meine ich den Umgang Eures Vaters und dessen Methoden – die Methoden seiner Organisation. Wie ich höre habt Ihr bereits eine kurze Militärausbildung hinter Euch? »
« So ist es, allerdings war ich nicht mehr als durchschnittlich. Ich will meinen, dass mir diese Methoden, wie Ihr es nennt, sehr gut vertraut sind, denn ich habe andere Gründe Mr Sloans Gesellschaft zu suchen. »
« Tatsächlich? »
« Oh ja, die Güter Mac tire und Abberts Creek, werden irgendwann in meinen Aufgabenbereich fallen. », sagte er und hielt dies für Antwort genug. Mr Richard schien dies zu spüren.
« Soll es wohl so sein...aber bitte haltet Euch von Miss Sparks fern. Sie ist töricht und egoistisch, ohne Verstand und Eleganz. »
« Da werdet Ihr mich schon meine eigenen Erfahrungen machen lassen müssen, dennoch kann ich Euch beruhigen, ich lege keinen großen Wert auf ihre Gesellschaft. »
« Wie sieht es dann mit Miss Kincaid aus? »
Diese Dreistigkeit überraschte ihn und während ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich, suchte er nach einer Antwort.
« Ich bin gut mit Ihr bekannt. Eine reizende Person. »
« Glaubt Ihr? Ich habe gehört sie soll sehr...eigen sein. »
« Wisst Ihr dies mit Bestimmtheit oder ist es Euch durch Dritte erzählt worden? », fragte er und beäugte ihn aus einer Mischung von Misstrauen und freudiger Verwunderung.
« Nun, ich will ehrlich sein. Ich kenne die Familie Kincaid gut, ihr Ruf ist anerkennenswert, ihr Einkommen recht ordentlich – trotzdem ist die Tochter des Hauses eine Medusa. Blickt man ihr in die Augen so kann es passieren, dass man zu Stein wird. »
« Diesbezüglich möchte ich mich nicht äußern. Doch wisst Ihr etwas über den Aufenthaltsort von Miss Kincaid? »
« Nein das tut mir leid. Wie ich hörte hatte ihr Bruder etwas von einer Reise erzählt, doch ob man dem glauben schenken kann – ich weiß es nicht. »
« Oh doch, dies ist zutreffend, nur leider weiß ich nichts genaueres. Ich glaube es war ein gewisser Finn Ferguson, dem die Ehre zuteil wurde? »
« Ferguson? Das kann ich mir nicht vorstellen, nun wirklich nicht! », erwiderte er, scheinbar belustigt und schnitt das Thema schnellstmöglich wieder ab.
« Ihr kennt den Gentleman? », fragte Aiden jedoch und blieb stur.
« Nur flüchtig, er ist recht gut im Umgang mit Wertpapieren, ist beliebt und soll ein wahrer Frauenheld sein. Mehr kann ich Euch allerdings auch nicht sagen. »
Dabei blieb es. Umso mehr Aiden es auch versuchte, Mr Richard blieb den gesamten Rückweg über stumm, zeigte sein Interesse an einigen öden Pflanzen und lächelte Ms Sparks kurz gefällig zu, als diese sich umdrehte. Aidens Gedanken kreisten wirr, während ihm ein sonniger, erholsamer Tag bevorstand – innerlich stöhnte er gequält auf.

« Konntet Ihr Eure Neugierde um Seans Geschäfte heute stillen? », fragte eine Stimme, später an diesem Tag, die er als Miss MacAdowns identifizierte. Er wand seinen Kopf zielsicher zur Gartenlaube ( er selbst war auf der Veranda stehen geblieben und trank eine Tasse Kaffee) wo sie stand, ein selbstsicheres Lächeln aufgelegt hatte, einen Sonnenschirm in beiden Händen festhielt und dabei überaus malerisch wirkte.
Als Antwort zuckte er nur mit den Axeln und ging zu ihr, seine Gedanken kreisten. Zu seiner Überraschung ging sie, als er sie erreichte los, sodass er gezwungen war ihr zu folgen.
« War meine Neugierde denn so offensichtlich? »
« Nun ja, sie war zu erwarten. Nach Eurer Unkenntnis zu schließen, die mir Sean am Mittag berichtete und Eurer Bitte so frühzeitig wie möglich mit den Einweisungen zu beginnen, habe ich dies angenommen. », sagte sie und schenkte ihm einen klaren Blick. « Konntet Ihr bei dem Gespräch mit ihm Eure Wünsche oder viel mehr Erwartungen befriedigen? »
« Es hielt sich in Grenzen. », räumte er ein. « Mr Sloan ist ein undurchschaubarer Mensch. Er vermag es seine Wesenszüge zu ändern wie seine Gesichtszüge vielseitig sind. »
« Das ist wahr. Eine erstaunliche Gabe. Er kann äußerlich sehr ruhig und gelassen wirken, dabei schäumt er innerlich vor Wut »
« Wo gehen wir hin? », fragte er anstatt auf ihre Aussage einzugehen und vermied es außerordentlich gut ihren fragwürdigen Blicken zu begegnen.
« Ich weiß es nicht, ich habe noch kein Ziel vor Augen. », gab sie ihm schlicht zu verstehen.
Sie verließen den Garten ohne weiter miteinander zu sprechen und folgten den anliegenden Kieswegen bis sie das Anwesen nicht mehr sehen konnten. Er warf einen letzten Blick zurück und fühlte sich in der Wärme des neues Tages und der bunten Mischung aus Pflanzen wollig umschlossen. Ranken ummantelte Torbögen, Sonnenblumenbeete, zugeschnittene Rosenbüsche, Sträucher und Stauden, Knollen- und Zwiebelgewächse; Tulpen, Narzissen, Traubenhyazinthen. Das herrliche Durcheinander, von Blüten und Farben, ließen sie tief in eine Welt der Schönheit versinken. Die Abgeschiedenheit wirkte idyllisch und strahlte auf Aiden einen gewissen, unbegreiflichen Charme aus, den er bewunderte. Schon bald erreichten sie das Herzstück des kurzen Spazierweges und liefen durch eine Allee, an dessen rechter Seite ein Teich, in der Nachmittagssonne übersäht von Fischschuppenähnlichen Glitzerpunkten angelegter worden war.
« Ihr erscheint mir so ruhelos. » , sagte Miss MacAdwon in die angenehme Ruhe hinein und sie setzten sich auf eine kleine Bank, von der aus sie den kleinen Teich, mitsamt eines niedlichen, ungenutzen Stegs sehen konnte. Miss MacAdwon hatte sich dicht neben ihn gesetzt. Sie trug ihr langes dunkelblondes Haar offen unter ihrer Haube und fixierte ihn mit einem durchdringenden, fast unverschämten Blick. Ihre schmalen Lippen zogen sich leicht zu einem Lächeln zusammen.
« Ich bin nicht ruhelos, lediglich nachdenklich. Ich war die letzten Wochen unentwegt auf Reisen. Diese Ruhe nun, erscheint mir so ungewohnt. », erwiderte er. Nach reden war ihm so gar nicht zumute, zumal Miss MacAdwon ihm aufdringlich und zugleich allwissend erschien und ihm das Gefühl umschlich, dass sie ihn womöglich noch verstehen könnte, da sie beide auf undefinierbare Weise Flüchtlinge waren. Sei es nur aus unterschiedlichen Gründen und Anfängen heraus entstanden.
« Manche Wunden brauchen Zeit bis sie heilen. », flüsterte sie ihm leise zu, ihre eisklaren Augen auf ihn legend und scheinbar schon wissend, sowohl was ihn betraf, wie über sich selbst. Er beneidete sie dafür.
« Und wenn ich es nicht will? Wenn ich nicht vergessen, nicht aufhören kann an sie zu denken? »
« Also geht es um Ihre Verlobte? », fragte sie vergnügt und der wissende Ausdruck auf ihrem Gesicht verwandelte sich augenblicklich in kindische Spekulation. Sie hatte einfach geraten.
Diese Frage wollte er nicht beantworten, vielleicht konnte er es im Moment auch nicht. Sicher war nur, dass es ihm die Scharmesröte ins Gesicht trieb und ihn sogleich bloß stellte, als hätte er gegen Miss MacAdwon in einem einfachen, dummen Spiel verloren.
« Ich bin nicht verlobt. », sagte er ernst. « Dies ist ein Gerücht, dass für die Dame von Vorteil war, doch ist es nicht mehr nötig die Wahrheit zu verschweigen. »
« Und doch habt Ihr zugegeben, dass Eure Gedanken an sie gebunden sind. »
« Natürlich. Die Dame liegt hoch in meiner Achtung, Miss Elisabeth. » , sagte er und benutzte absichtlich ihren Vornamen, worauf sie ihn tadelnd anblickte, jedoch nichts dazu sagte.
Durch eine simple, gelogene Ausrede trennte er sich kurz darauf von ihrer Gesellschaft. Nachdem sie einige Stunden durch die Parkanlage gewandert waren, stillschweigend ihren Gedanken freien lauf gelassen und abwechselnd wie gute Bekannte miteinander diskutiert hatten, war ihm der Sinn nach Begleitung entschwunden. Ein Bedürfnis des Alleinseins, wie es einen nach einem anstrengenden, voller Hektik bepackten Tag überkam, ließ seinen Kopf Sätze der Lügen erfinden und mechanisch wurde seinem absurden Schwindel freien lauf gelassen. In seinem Zimmer eingeschlossen, setzte er sich noch abends an ein Buch, welches jedoch bald seinen Reiz verlor und er, nach einem weiteren Abendessen in der selben Gesellschaft müde noch einige Zeilen an seinen Bruder verfasste und schließlich zu Bett ging.

24. Beunruhigung

Die sorgenfreien Tage im Kreise von Sloans Familie, seinen kleinen Gesellschaften und die zwischenzeitlichen Ausflügen nach London, um diesen oder jenen Geschäftspartner zu treffen zogen sich schleppend dahin. Aiden – der diesen Lebensstil als weniger erholsam betrachtete und einigen Angewohnheiten mit Skepsis begegnete, kam zu dem vorwurfsvollen Resultat, dass all diese Leute lediglich eins im Sinn hatten; Vergnügen. Ob es das Essen, die Landschaft, die Zeichnungen oder das Musikspiel einer jungen Dame war. Scheinbar waren alle Gäste verzweifelt daran interessiert, diese zu bewundern und mit Komplimenten zu überhäufen, als gebe es nichts von höherer Wichtigkeit. Ihre Naivität ließ ihn wütend werden. Allein bei dem Gedanken an weitere Spaziergänge, Whistabende oder Verkostungen, empfand er Empörung und Ablehnung, die ihn bald in die Arbeit trieben und sich so auf ähnlichen Abenden entschuldigen ließ.
Etwa eine Woche nachdem er sich in mit aller Kraft auf die Buchführung des Gutes konzentriert, fleißig gearbeitet und als Resultat tiefe Ränder unter den Augen bekommen hatte, bewegte Sloan ihn, mit ihm nach London zu reisen. Die Reise von Flat hall, wie die Länderein um das Landhaus genannt wurden, dauerte nur eine Stunde mit dem Wagen und brachte Sloan, Miss MacAdown, Davies und ihn recht bald in die Stadt.
Müdigkeit verdrängend, war Aiden nicht dazu in der Lage eine gute Laune vorzutäuschen und so blieb er ungewohnt still und in sich gekehrt in der Stadtwohnung - die Sloan gehörte - zurück, während Miss MacAdown Ms Richard einen Besuch abstattete. Alsbald legte er sich auf das Bett, schlief ein und erwachte erst wieder, als man ihm zum Abendessen rufen ließ. Sloan und Miss MacAdwon die ihre Tagesberichte ablieferten, hörte er kaum zu, hatte wenig Appetit und sah allgemein recht kränklich aus.
Doch es gab einen Lichtblick, den öden gesellschaftlichen Abenden in Sloans Haus für einen Abend entkommen, hatte man sie – der eigentliche Grund für ihren Besuch – zu einem gewissen Mr Clerk eingeladen. Dieser Mann war nicht nur ein Mitglied in der inoffiziellen Organisation seines Vaters, sondern konnte ihm Auskünfte über Abberts Creek geben, da er, wie Sloan ihm berichtete, erst vor kurzem in der besagten Gegend gewesen war.
Den Weg zu seinem Haus liefen sie vorerst zu dritt, ( Davies hatte sich zu einigen Verwandten zurückgezogen ) doch schon bald wurden sie von Sloan aufgehalten, der nicht umhin kam mit einigen Bekannten ein paar Worte zu wechseln. Mit wenigem Interesse entschied Aiden, dass er nachkommen sollte und ging mit Miss MacAdown die Einkaufsstraße entlang, wurde aber auch von ihr aufgehalten, als sie von weitem ein Schmuckgeschäft sah. Die Ketten, Medaillons, Armbänder, Ringe, Schatullen, Zahnstocherdosen, Taschenuhren und weitere nützliche Gebrauchsgegenstände, waren alle in Reih und Glied poliert und für die potenziellen Käufer ins beste Licht gerückt. Aufstöhnend bemerkte Aiden Miss MacAdowns Begeisterung.
« Der Laden wird in einigen Minuten schließen. Es ist sinnlos hier weiter die Zeit zu vertrödeln. »
« Ich vertrödele sie nicht, ich nutze sie. », erwiderte sie gelassen und ging erhobenen Hauptes in das Geschäft. Aiden blickte ihr durch das Schaufenster nach, entschied dann, dass er alleine weitergehen würde und blieb sofort wieder stehen. Er konnte die junge Dame wohl kaum sich selbst überlassen, nicht zu solch später Stunde. Besser ausgedrückt, Sloan würde ihm weiß gott was antun.
Die Stadt wich langsam einem düstererem Bild, das nah an Dunkelheit grenzte. Schatten und anderen Gestalten, schienen unaufhörlich zwischen den Gassen, auf den Wänden und auf der Straße umherzuwandern. Wenn man sie denn sehen wollte. Aiden fröstelte es plötzlich.
Auf der Stadt lag ein schalkhaftes Lächeln das zum verstecken einlud, wiederum aber davor warnte unüberlegtem Humbug nachzugehen. Eine zu offensichtliche Drohung, als dass er der süßlichen Luft, die einladende Dunkelheit und seiner eigenen Gemütsverfassung, nachgegangen wäre. Angespannt wartete er vor dem Geschäft. Es war eine Mischung aus düsteren Wolken die einen vor dem Vergessen warnten und vor dem erinnern zurück halten wollten, die sich jetzt über den Himmel zogen und ihn zum nachdenken anregten. Die gleichzeitig jedoch einen Fluchtweg zurück ließen den es zu finden galt, für jedes einzelne Individuum.
Sein Körper war eingehüllt und doch zitterten seine Muskeln mit seinen verblassenden Gedanken, als wären sie verbunden, fast unzertrennlich miteinander verknüpft. Dunkle Hauswände ragten an den Seiten der engen Gasse aus dem schwarzen Boden, wie aus einem Teil der Hölle heraus und ließen nur einen kleinen Blick, nach oben, zum Himmel frei. So jedenfalls erschien ihm die nähere Umgebung, als er sie eingehen betrachtete.
Die Ladenklingel riss ihn wieder aus seinen düsteren Vorstellungen und nach einer Auseinandersetzung aufgelegt wollte er Miss MacAdwon schon entgegen treten, als er einen Satz zurück machte.
Ein Hauch von Schweiß und Fisch drang ihm entgegen und als er dem Mann vor ihm Platz machte, mischte sich ein Schwall von Rauch und Tabak dazu. Eine widerliche Kombination.
Der Mann stand reglos da. Seine Zigarette ruhte behutsam in seiner rechten Hand, von der ein rötliches Glimmen und weißer Rauch zu erkennen war. Das Gesicht des Fremden blieb verdeckt und selbst, als er zum Zug ausholte, sah Aiden nichts, als einen wehenden weißen Dunstschwall der vom Wind in alle Richtungen getragen wurde.
« Wollt Ihr nicht weitergehen, Sir? », fragte Aiden gespielt beleidigt. Doch der Mann beobachtete ihn aus dunklen Augen, ging dann die einzelnen Treppen vor der Einganstür hinunter und gesellte sich neben ihn.
« Was wollen Sie, Sir? »
« Euch antreffen. », antwortete die körperlose Stimme. Aiden schüttelte es innerlich.
« Nun, das habt Ihr. Was ist Eurer Anliegen? »
« Lediglich Euren Zustand mit eigenen Augen sehen. Wie mir scheint, habt Ihr alle Hände voll zu tun – aber natürlich Flat hall ist ein großes Anwesen. »
« Was interessiert Euch das? », fragte er und ein widerliches Prickeln breitete sich in seinem Nacken aus, dass ihm die Haare zu berge stehen ließ.
« Ich bin kein Freund Mr Black, nun wirklich nicht. Nur tut es mir leid, denn ich muss Euch in abzuwägender Zeit beobachten, damit ich Bericht erstatten kann. »
« Bericht erstatten? Wem? Was wollt Ihr? »
« Jemand der Euch nicht gut gesinnt ist und ich bin hier, um Euch eine Warnung auszusprechen. Seymour ist hinter Euch her und wird nicht ruhen. Versteckt Euch und lasst die Nachforschungen ruhen, versucht nicht ihn zu finden, sonst findet er Euch. »
« Das ist mir gleich. »
« So? Ihr wollt Euch abermals von ihm demütigen lassen, wieder jedermanns Schande sein? »
« Was wisst Ihr darüber? », hauchte er dünn, während teuflische Unsicherheit in ihm anschwoll.
« Mehr als Euch lieb ist, denn ich musste ihm helfen. Er weiß noch nicht das Ihr hier seit, in London und von Mr Sloan will ich erst gar nicht anfangen. Ich kann Euch nur darum bitten, den Wunsch nach Rache – falls Ihr diesen verspürt – ruhen zu lassen. Nehmt Seymours Beleidigung – unhumane Beleidigung hin. »
« Ich kann Eure Bitte nicht verstehen. Weshalb sollte Euch daran gelegen sein? », hielt er dagegen und war sich über die seltsame Aufmachung des Mannes unsicher. War er Freund oder Feind?
« Er hat die Macht über etwas, dass uns beiden sehr teuer ist. Natürlich werdet Ihr dies nicht verstehen und schon gar nicht als befriedigenden Grund betrachten, doch... werdet Ihr den Einfluss und die Macht Seymours nicht vergessen haben. Ich muss gestehen, es war schwierig Euch hier zu finden. Ich musste Euch lange Zeit verfolgen, denn nicht eine Minute wart Ihr allein. »
« Was seinen Grund hat. »
« Natürlich. Mr Sloan ist ein fähiger Gentleman. Ich möchte mich für meine Aufdringlichkeit entschuldigen, doch ich musste diskret handeln. Für mich steht zu viel auf dem Spiel, als das ich es nicht riskieren konnte, Euch vor Seymour zu warnen. »
« Eine Warnung ist nicht nötig. Ich habe bereits Erfahrungen mit seinen Methoden gemacht. »
« Dessen bin ich mir bewusst, nur war meine Absicht Euch von weiteren Tätigkeiten die in seine Richtung führen zu...befreien »
Dann wand er sich abrupt um, ließ den Zigarettenstummel zu Boden fallen und zertrampelte ihn mit seinem Schuh.
« Lasst Eure Vergangenheit ruhen und geht Schwierigkeiten aus dem Weg. Sucht keineswegs nach Seymour, Ihr würdet Euch lediglich selbst kasteien. », sagte er noch und ging anschließend mit fast lautlosen Schritten in die bläuliche Dunkelheit zurück. Aiden stand da wie gelähmt, unfähig etwas zu spüren oder zu denken. Das schalkhafte Lächeln lag noch immer über der Stadt. Er sah es und wusste es war das Zeichen des Bösen.
Als er realisierte, dass die Straße in einer Sackgasse endete, wand er seinen Kopf ruckartig zu den Seiten und folgte weiter, einer kleinen, gerade Mal so breiten Gasse, dass er hindurch passte, bis er den Hafen erreichte. Die Docks und ankernden Schiffe lagen ruhig vor ihm, Lichter in den umliegenden Häusern deuteten ihm Leben an und die Themse bewegte sich sachte in einem Auf und Ab, sodass sie ein sanftes Geräusch von sich gab.
Nachdem Miss MacAdwon begeistert aus dem Lädchen heraus gekommen war, hatte er seine äußerliche Fassung zwar wieder gewonnen, doch kämpfte er noch immer mit den Einflüssen die auf ihn einwirkten. Reichte es nicht, dass Seymours Gesicht bestand seiner Gedanken war, musste nun auch sein Umfeld von seiner Präsenz belästigt werden?
Hastig hatte er sich bei ihr entschuldigt, gewartet bis Sloan sie eingeholt hatte und war dann, innerlich aufgewühlt, alleine davongegangen. Die Freude über das Treffen mit Mr Craig, war erloschen und Sorge machte sich stattdessen breit, die bald zur Angst wurde. Wo war Helen?

Er kehrte spät Abends zurück. Grelles Licht erwartete ihn in Sloans Stadtwohnung, dass er blinzeln musste, allerdings stumm zu seinem Zimmer trottete. Auf halben Weg begegnete er Miss MacAdown die ihn in Begleitung von Harry war, der auf ein Privatinternet ging und nur am Wochenende auf Flat hall lebte. Tonlos wünschte er ihnen eine gute Nacht. Als Antwort erhielt er aufmunternde Worte und besorgte Augen der jungen Dame, aber es war ihm gleichgültig.
Die Türen seines Zimmer schließend und sich kraftlos auf sein Bett fallen lassend bemühte er sich nicht einmal eine Kerze anzuzünden, sondern beobachtete von dort aus den hinter dem Fenster liegenden Himmel, der dunkel und mächtig die Stadt einhüllte. Dann drehte er sich auf die andere Seite, Himmel und Stadt verschwanden und er schlief ein. Verwirrt und allein.

Am nächsten Morgen, brach er mit Sloan nach dem Frühstück auf, um wie dessen Worten zufolge, einen Informanten zu befragen. Seiner eigenen Meinung nach, klang Sloans Bericht nach Erpressung und Korruption, war er doch darüber aufgeklärt worden, dass sie mit allen Mitteln an die nötigen Auskünfte kommen mussten. Umso verwunderter war er, als Sloan inständig verlangte, dass er ihn begleiten solle, wo er doch in der Annahme gewesen war, Sloan wolle potenzielle heikle Situationen vermeiden. Seine Anmaßung ließ ihn stutzen, wo er sich doch ganz auf die Geschäfte des Gutes konzentrieren sollte. Schon bald sollte er wissen warum und es würde ihn grämen und verfolgen.
Sie gingen langsam, als wäre es ein entspannter Vormittagsspaziergang, die Straßen entlang, während kaum ein Wort zwischen ihnen fiel. Die Sonne verweilte verborgen, hinter gräulichen Wolkenschichten.
« Wie ich höre hast du meinen Rat angenommen und mit Miss Elisabeth einiges an Buchführung erledigt? » , setzte Sloan an, um das Gespräch in Gang zu setzen. Aiden seufzte innerlich über diesen kläglichen Versuch. Seine Ungeduld stieg.
« Ja das entspricht der Wahrheit. Sie ist sehr intelligent. Es wundert mich jedoch, dass sie über solche Kenntnisse verfügt. »
« Es ist für eine junge Frau recht ungewöhnlich. », gab er ihm recht und lächelte. « Aber sie ist eine kluge, elegante und zumal hübsche junge Dame. Sie sollte über solche Geschäftsvorgänge meiner Meinung nach alles wissen, was wie begehrt. Ich will ihr keine Bildung vorenthalten, zumal sie daran nur gewinnen kann, ebenso ihr zukünftiger Ehemann. »
« Soll dies eine Anspielung sein? »
« Wahrscheinlich. », sagte er und ließ seinen Blick durch die Mengen von Menschen vor ihm wandern. « Übrigens habe ich meinen Schwiegereltern, ebenso einigen anderen wichtigen Bekannten, vorerst mitgeteilt, dass du eine Weile mein Gast sein wirst, ich hoffe das geschah ganz in deinem Sinn? »
Er nickte und fragte sich gleichzeitig was er ihnen für einen Grund genannt haben mochte, dies sprach er laut aus und erntete dafür ein ungezwungenes Lächeln.
« Ich habe ihnen gar keinen Grund genannt, solche Dinge braucht niemand zu wissen. »
Aiden überkam der Drang innerlich aufzuatmen und empfand Dankbarkeit Sloan gegenüber, als ihn seine kommenden Worte trafen wie ein Eiszapfen der ihm in den Nacken gelegt wurde. « Ich habe lediglich Miss Elisabeth darüber informiert. »
Ohne ein Wort darauf, fiel er in ein halb erbostes, halb verständnisloses Schweigen und ihm wurde bewusst warum Miss MacAdown, den einen Tag so offen, den anderen so verschwiegen gewesen war. Hätte er ihr davon berichten sollen? Hatten ihn seine eigene Eitelkeit und sein Stolz, dazu veranlasst sie unabsichtlich zu beleidigen?
« Woher seid Ihr mit Miss MacAdown bekannt ? », fragte er übereilt, alle Konsequenzen verdrängend.
« Meine Frau. », antwortete er nur knapp und unterband mittels seines Tonfalls jegliche Anspielung auf weitere Konversation, worauf Aiden nur allzu gerne einging. Erst kurze Zeit später, als er das Gesagte verarbeitet und zugeordnet war, kam ihm ein neuer Gedanke.
« Wo werden wir hingen, viel mehr was wird uns dort erwarten? », fragte er um die Sache diskret zu regeln. Das Gespräch mit dem Unbekannten lag nur allzu kurz zurück, als dass er es wagte darauf anzuspielen oder mehr als nur naiv über diese ganze Sache zu denken. Vorsicht war geboten.
Sloan beäugte ihn kurz, wog ein paar Möglichkeiten ab und schien zu einem vernünftigen Schluss gekommen zu sein, da er nickte.
« Einem meiner Informanten zufolge soll der Mann den wir jetzt aufsuchen unter Verschluss und falschem Namen wichtige Dokumente weiterleiten. Er soll nur einer von vielen in dieser und anderen Städten sein. Doch haben wir einen, haben wir mit viel Glück und vor allem Geduld alle diese Übeltäter. »
« Wichtige Dokumente über wen?“
« Du musst beachten, dass dein Vater, mit seinen rechtschaffenen Plänen und seinem zufällig entstandenen Vermögen, ein beachtliches Maß an menschlicher Eifersucht, Argwohn und Niederträchtigkeit verursacht. Sein Name wird oft nur gezwungen ausgesprochen, ist verpönt und gar gehasst in vielen Haushalten. Wichtige Dokumente über seine Schwächen, Geschäftsvorgänge oder Investitionen, seinen Sohn...dies alles kann später vielleicht einmal belastend sein oder ihm gar Schaden zufügen. » Da Aiden nur nickend zustimmte, fuhr Sloan fort. « Ein Mann, dessen Habgier und Herablassung auffallend extrem wirkt, ist beispielsweise Andrew Kincaid. Er steht unter Verdacht mehrere Überfälle auf Mitglieder unserer Organisation geplant und ausgeführt zu haben. Ein Freund von mir berichtet mir in gleichmäßigen Abständen von seinen Anordnungen, leider weiß niemand so recht wie viel Macht dieser Mann ausüben kann, wozu er überhaupt in der Lage ist. »
« Kincaid? Ich habe den Mann nur einmal flüchtig gesehen, doch ist sein Wahnsinn und sein Bedürfnis nach Kontrolle unübersehbar. »
« Es war eine einzige Kränkung für ihn, als er erfuhr, welches Gerücht sein Neffe in die Welt gesetzt hat – eine Verlobung seiner Nichte mit dem Sohn, seines Rivalen. »
« Aber wenn Ihr Freund Sie bereits von seinen Plänen unterrichtet, ergibt es für mich keinen Sinn diesen ominösen Mann mit seinen Dokumenten aufzusuchen. », lenkte er ab.
« Mal wieder hast du Recht. Kincaid ist nur einer von vielen Fischen, seine Vorgehensweise, ist nicht ausschlaggebend. Wir sind eher auf jemand ganz anderen aus und dafür brauche ich dich. Wir sind übrigens da. », sagte er und blieb unmittelbar vor einem Geschäft stehen. In dem schmutzigen Schaufenster konnte Aiden Stapelweise Bücher erkennen und ein Schild welches darauf hinwies das dies ein Büchergeschäft zum An- und Verkauf jeglicher literarischer Exemplare des letzten Jahrhunderts war.
Etwas konfus wollte ihm sein Verstand den Eintritt verbieten und so blieb er vorerst unschlüssig stehen, bis Sloan ihn aufforderte hineinzugehen. Er ließ ihm den Vortritt und folgte ihm unter geringem Abstand – er durfte keinen Eindruck erwecken, es gäbe einen Grund für ihn, vorsichtig zu handeln. Die neckische Drohung des Mannes, dem er eine schreckliche Nacht und schmerzende Kopfschmerzen verdankte, konnte er zwar nicht völlig außer Acht lassen, doch durfte er sich erst zu gegebener Zeit damit befassen, da Gründlichkeit und Bedachtsamkeit von Nöten waren. Zur Zeit war sie überflüssig.
In dem Geschäft war es dunkel und verstaubt. Der ganze Laden glich mehr einer Höhle oder Grotte und nur das wenige Licht das die verdreckten Scheiben zuließen hielt diesen Ort davon ab komplett zu verrotten.
« Sie wünschen? », fragte ein Mann der, ihnen den Rücken zugekehrt auf dem Boden kniete.
« Das erlaubt etwas Diskretion. », gab Sloan darauf zurück und blinzelte Aiden verstohlen zu. Der Mann, der schon um die sechzig war, mit vollem weißen Bart und buschigen Augenbraun drehte sich nun interessiert um, schrak aber überrascht auf, als er die beiden Gentleman in seinem Laden erblickte.
« Was wollen Sie? », fragte er so plötzlich. Aiden wusste zu gut über Sloans Aufdringlichkeit und Unverschämtheit bescheid, als das er keine Regungen verspüren konnte, für das was den Mann erwarten würde.
« Das kommt ganz darauf an. Zuerst einmal-» Er nahm sich ein nahe gelegenes Buch und blätterte es desinteressiert durch, um es anschließend wieder zurück zu legen, « sollten sie Ihren Laden schließen. »
Verständnislos sah der Mann ihn zunächst an, vernahm den befehlsähnlichen Ton und sah schon bald kein entkommen.
Ohne große Umschweife schloss er die Tür ab und unter ständigen beunruhigten Blicken des Besitzers, zogen Aiden und Sloan sich in eine hintere Ecke des Ladens zurück. Als der Mann, mit gutem Abstand zu ihnen trat, hatte sich bereits ein dicker Schweißfilm auf seiner Stirn gebildet, die er sich mit einem dreckigen Taschentuch unablässig abtupfte. Die Luft war von Menschenausdünstungen geschwängert.
« Ich will hier nicht meine Zeit verschwenden, deshalb komme ich gleich auf den Punkt. »
« Natürlich, natürlich, wie Ihr wünscht, Sir. »
« Diese Bücher sind Dreck, jedenfalls in Euren arschkriecherischen Händen, ein Vorwand um dieses makaberes Spiel zu unterstützen das sich in Eurem Laden abspielt. »
« Ich weiß nicht was Ihr meint... »
« Natürlich wisst Ihr das nicht. », seufzte er auf und lächelte abgestumpft, ja beinahe auf eine solch fanatische Weise, dass ihm alles zuzutrauen war.
« Natürlich wisst Ihr nichts über die illegalen Einwanderung aus Russland und von den Frauen in einem Ihnen ebenso unbekannten Etablisment die kein einziges Wort englisch, dafür aber umso besser russisch sprechen. »
Darauf wurde der Ladenbesitzer kreidebleich und stammelte unverständliche Entschuldigungen er wisse nicht wie er darauf käme.
« Da es mir vollkommen gleichgültig ist, was Ihr hier in Eurem Keller treibt, werden wir einen Handel betreiben. »
« Vollkommen egal? », wiederholte der Mann und wischte sich erneut über seine Stirn, deutlich unruhiger.
« Was ich will sind Informationen über Isaac Merriweather. », sagte er ruhig und fesselte seinen Blick auf den immer kleiner wordenen Mann, dessen Nerven scheinbar am Ende ihrer Grenzen angelangt waren.
« Ich wollte das nicht. », stammelte er, worauf seine Augen ängstlich hervorquollen. « Sie haben mich gezwungen, ich wollte das nicht. Ich musste es tun »
« Immer mit der Ruhe, wann bekommt Ihr Eure Informationen und wann gebt Ihr sie wieder ab? »
« Jeden ersten Montag der Woche, es kommt mit der Warenlieferung, schließlich muss ich nur noch am darauf folgenden Tag die Pakete, also die Rücksendungen bereit legen und warten, dass sie abgeholt werden. »
« Wer holt es ab? », fragte Aiden in die Runde, sodass er von den anderen Beiden überrascht angestarrt wurde.
« Das weiß ich nicht. », versicherte ihm der Mann und gelangte zu einem winzigen Hauch Selbstbewusstsein zurück. Anscheinend sah er Aiden, als das kleinere Übel an und lächelte ihm ängstlich zu.
« Was ist mit Merriweather? Ihr kennt seinen Namen, also habt Ihr ihn schon einmal getroffen? Wie verständigt Ihr Euch falls etwas schief geht? Und keine Spielchen, bis jetzt lief alles doch recht gut. »
« Merriweather? », fragte er nachdenklich und wich Sloan entschieden aus, als wollte er sich die bereits nicht mehr vorhandene Blöße nicht auch noch nehmen.
« Großer Kerl, widerliche Schlitzaugen, meist dunkle Ränder unter den Augen, fettiges Haar, Kartenspieler. » Da die Beschreibung den Mann nur noch mehr zu verwirren schien, atmete Sloan gestresst auf.
« Wir gehen nach hinten. », sagte er an Aiden gewandt, packte den Mann am Kragen und schleifte ihn förmlich mit, während dieser hilfesuchende, ja fast panische Blicke zurück warf und ein hektisches Grunzen von sich gab.
Doch Aiden konnte nichts tun. Er war selbst wie gelähmt und spürte seinen rasenden Puls, als heftiges Hämmern das seinen Körper erzittern ließ.
Die Beschreibung...der Mann den der Ladenbesitzer kennen soll...ein Kartenspieler mit Schlitzaugen...er glich dem Profil von Schlitzauge, einem Gefolgsmann von Seymour.
Er selbst hatte Seymour zu diesem Zeitpunkt nur kurz gesehen, da er mit zwei ihn mitschleifenden Männer zu kämpfen hatte, die anschließend von Craig und McKenzie überrascht worden waren. Helen jedoch war Seymour geradezu in die Arme gelaufen. Die Umstände an jenem Tag waren unmenschlich gewesen. Mit grauen dachte er daran zurück.
Leider reichte seine Erinnerung auch bis zu dem Zeitpunkt, da sie sich alle gegenüber gestanden hatten und so schloss er genervt über diesen Mann die Augen um ihn endlich aus seinem Kopf zu vertreiben.
Hatte Sloan ihn deshalb mitgenommen, um ihn an Seymour zu erinnern? Um ihm bei seiner angeblichen Rachgier behilflich zu sein und ihn aufzuhetzen? Es schauderte ihn, denn diese ganze Aktion entsprach dem genauen Gegenteil von dem was er erwartet und bezweckt hatte. Die Warnung des Unbekannten Gefolgsmann brannte ihm wieder vor Augen und am liebsten hätte er lauthals los geschrieen über die ganzen verqueren Grausamkeiten und dem Verrat der hier betrieben wurde. Er wusste sich nicht mehr daraus zu retten. Sein Elend, welches er teils durch seinen Egoismus und seine Unschlüssigkeit zu verantworten hatte, konnte doch nicht einzig von einem Mann besiegelt werden?
Eine kalte Rage breitete sich in ihm aus, die er dazu nutze um sich selbst auf eine undefinierbare Weise zu trösten und um sich in ihre dunkle Hülle zurück zu ziehen. Es war eine Wohlwissende Notwendigkeit das er Seymour nicht entkommen konnte. Die bis zu diesem Zeitpunkt nicht empfundene Ernsthaftigkeit rüttelte ihn wach, riss ihn aus seinem Delirium in dem er seid Tagen wanderte. Daneben war es stumpfsinnig weiter auf eine nicht existierenden Illusion zu vertrauen und so wartete er, geduldig und gleichzeitig tief im inneren entflammt, auf Sloan, dessen Handeln ihm ein Rätsel war.
Dieser kam kurze Zeit später mitsamt seinem Opfer wieder, welches zitterte und mit weit geöffneten Mund vor sich hinquiekte.
« Ich hatte keine Wahl. », erklärte er, sein Lächeln war ihm ausnahmsweise vergangen.
Doch Aidens Gedanken kreisten und führten ihn immer wieder zu diesem verdammten Seymour. Er hätte wissen müssen, dass das äußerliche elegante Erscheinen von Sloan völlig affektiert war und war dankbar seine grausamen Methoden, die er scheinbar für angebracht gehalten hatte, nicht miterlebt zu haben.
Sie warteten noch etwa fünf Minuten. Sloan ließ von dem Ladenbesitzer ab, rieb seine Hände mehrmals übereinander und hielt ihm dann die Tür auf. Zuerst zögerte Aiden und suchte den hilflosen Blick von Sloans Opfer, dessen Namen er nicht einmal kannte und von dem er nicht mehr wusste als das er Bücher verkaufte und Dokumente schmuggelte. Warum hatte Sloan ihn dort mit hinein gezogen? Dann ging er durch die offene Tür, blickte nicht zurück und fühlte sich plötzlich wie in eine andere Welt gesogen. Der dunklen Grotte, voller Schweiß und Angst entkommen, hinein in einen heißen Mittag, voller unbesorgter Menschen die ihren Alltag nachgingen, als wäre es reine Routine. Er wünschte er wäre einer von ihnen.

« Was werdet Ihr mit ihm machen? », fragte Aiden später an diesem Tag. Sie waren noch eine Weile stumm durch die Straßen Londons gelaufen, hatten die Schiffe und Matrosen am Hafen der Themse beobachtet und liefen jetzt in unausgesprochenem Einverständnis zurück zu ihrer derzeitigen Wohnung.
« Was mit wem machen? »
« Dem Buchhändler, was wird mit ihm geschehen? Ihr lasst es doch nicht etwa zu das er dort ein Etablissement führt? Es sei denn... »
« Zwar gebe ich zu, das ich kein Gentleman bin, ein Schurke oder Bandit würde wohl er passen, doch so weit ist es noch nicht gekommen. » Mit einem schiefen Lächeln beantwortete er sich selbst, fuhr aber weiterhin ernsthaft fort.
« Ich werde ihm die örtliche Polizei auf den Hals hetzen, das dürfte genügen. Der Mann wird es nicht wagen mich mit ihm in Verbindung zu bringen. »
Aiden sah ihn von der Seite her abschätzend an, worauf Sloan zustimmend lachte und ihm kameradschaftlich auf die Schulter klopfte. Seine offene, ja fast rüde und freundschaftliche Art überraschte ihn.
« Nichts für ungut. Aber du hast deine Sache gut gemacht. »
« Meine Sache gut gemacht? Ich habe überhaupt nichts getan, ich weiß immer noch was meine Anwesenheit bezweckt hat. »
« In erster Linie solltest du verstehen, dass es hier sehr gefährlich sein kann und die Dinge leider nicht so sind wie sie oft scheinen. Oder hättest du gedacht das dieser alte Buchhändler sich junge Mädchen hält? »
Er schüttelte den Kopf und lauschte Aufmerksam seinen Worten. Die Rufe der Fischer und Händler verharrte in seinen Ohren und während er so dahinging überwältigte ihn die Vorstellung er sein ein wankendes Schiff das bald auf ein Riff auflaufen und dann zerschellen würde.
« Da ich sozusagen für dich verantwortlich bin, wollte ich dir auch eine nicht so attraktive Seite von mir zeigen und dich außerdem testen. »
« Testen? Womit testen? » Der Eindruck des Schiffes verstärkte sich und er versuchte sich auf ein geisterhaftes Pfeifen des Windes zu konzentrieren, welches unkontrolliert um die Häuserblöcke zog.
« Ich wollte wissen ob du nach unserem Gespräch immer noch so erpicht darauf bist Seymour zu folgen oder ob du eingesehen hast das es im Moment andere Prioritäten gibt. Zum Beispiel das du endlich mal deinen naiven Kopf wäscht und erwachsen wirst um irgendwann, wenn du es für den richtigen Zeitpunkt hältst deinem Vater zur Seite zu stehen. », erklärte er ungezwungen und berührte ihn erneut. Aiden schien es wie ein Wohltat, ein längst verdrängtes Gefühl und doch kribbelte alles in ihm, aus dem Misch der Gefühle oder der bedrückenden Vorstellung des nahenden Riffes heraus, darüber konnte er im Moment nicht urteilen.
« Ich werde Seymour nicht folgen, ich war heute allerdings sehr überrascht... »
« Weshalb überrascht? »
Kurz kam er in Versuchung ihm von der Begegnung mit dem Mann und dessen Warnung zu erzählen, behielt diese Möglichkeit aber erstmal noch in seinem Hinterkopf. Für den Moment ging dieses Gespräch nur ihn und diesen Fremden etwas an und in keinster Weise Sloan. Statt dessen erzählte er ihm von Schlitzauge und das er dort auf Seymour getroffen war. Helen ließ er außen vor.
« Interessant. Andererseits heißt es das Seymour nicht weit von dir war. Hätte es funktioniert dich verschleppen zu lassen, wer weiß was dann geschehen wäre. »
« Glaubt Ihr er hat mich tatsächlich verfolgt? »
« Ich habe keine Ahnung. Es wäre nicht so ganz seine Art. Meiner Meinung nach hat er etwas gegen komplizierte Planung, erledigt lieber alles schnell und nach Möglichkeit selbst. Wie gesagt das ist meine Meinung, er kann auch vollkommen anderer Natur sein. »
Aiden der es lieber für sich behielt das er Seymour anschließend Angesicht zu Angesicht
getroffen hatte, versuchte das Thema lieber zu wechseln, bevor er sich in seinen Aussagen verstricken würde.
Er wollte es unter allen Umständen vermeiden, Helen mit in diese Sache zu bringen. Das alles war eine Angelegenheit zwischen ihm und Seymour, die irgendwann, wahrscheinlich eher nicht in nächster Zeit, ausgetragen werden musste. Tatsache war das ihre Begegnung mit ihm, kein Zufall und ungeklärt und damit eines von vielen unpassenden Puzzelteilen war, die er sich im stillen zurechtgelegt hatte.
« Sagt, warum liegt Ihnen soviel daran, dass ich mir Zeit nehmen soll und dass ich selbst entscheide wann ich der Organisation zur Seite stehe und auch was die ganzen anderen Dinge betrifft? »
« Ich dachte das liegt auf der Hand. Ich weiß wie es ist so jung kämpfen zu müssen. Der Druck der auf dir gelastet hat war zu groß, das konnte jeder sehen, wenn er es wollte. Adam und dein Vater sind meine Freunde. Die Organisation ein wichtiger Teil von mir und du bist sozusagen eine der tragenden Säulen, ich will nicht das diese Risse bekommt, sondern noch lange standhaft und sicher bleibt. Es tut mir leid wenn ich dich mit meiner eigentlichen groben Art, überrasche, nur ist ein gewisses Maß an Disziplin von Nöten.
« Standhaft und sicher. », wiederholte er und eine Welle der Traurigkeit die er bis zu diesem Zeitpunkt nicht empfunden hatte überfiel ihn. Wortlos und bitter. Er sehnte sich, wenn er es auch nicht zugeben wollte, sehr nach seinem Vater und Bruder. Doch wie gesagt er gab es nicht zu, noch wollte er es hören. Er wollte einmal in seinem Leben etwas so machen wie er es für richtig hielt.
« Wie viel weiß Miss MacAdown? » , fragte er, diesen Gedanken plötzlich irgendwo zwischendrin aufgeschnappt.
« Dies musst du Ihr selbst entlocken. », sagte er nüchtern und zeigte ihm ein Lächeln.


25. Merkwürdigkeiten

Am nächsten Morgen fuhren sie früh nach Flat hall zurück. Aiden hatte ein Gespräch mit Miss MacAdwon gemieden und schob jegliche Unternehmung dieser Art in weite Ferne.
Auf dem Anwesen angekommen, zog er sich schnell zurück und gab seinem Wissensdurst und dem Drang nach Gesellschaft erst am späten Nachmittag nach. Er hoffte Miss MacAdown in der Bibliothek anzutreffen, wurde aber mit ihrer Abwesenheit gestraft. So stellte er sich auf einen banalen Abend, in kleiner Runde ein. Etwas raschelte und ein Buch fiel zu Boden, so dass er bereits die Hoffnung hegte, sie gegen all seinen Erwartungen anzutreffen. Den Raum durchforschend hielt er nach ihr Ausschau und erkannte letzt endlich tatsächlich die Umrisse einer Dame.
Seine Enttäuschung fiel dementsprechend aus, als er Ms Briggs erkannte. Ihm kam in den Sinn, dass er niemals zuvor ein Wort mit ihr gewechselt hatte und wünschte ihr kurz darauf einen guten Tag.
Kaum hatte sie geantwortet, wie zuvor von nervösen Anfällen gepeinigt, als er Mr Davies nicht weit von ihr erkannte. Er grüßte ihn ebenfalls und machte schnell kehrt, da er in keinerlei Gespräche verwickelt werden wollte.
Im Salon sollte es ihm nicht besser ergehen, denn die gleiche Erfolgsmisere stellte sich ein, als er in den Raum ging und die Anwesenden, sprich Mr und Ms Sparks streitend vorfand. Bei seinem Eintritt verstummten sie, sahen sich gereizt einen Augenblick lang an und schienen im Stillen weiter zu fechten. Ms Sparks rang sich schließlich dazu durch ihn zu begrüßen und ein paar kurze, höffliche Worte mit ihm zu wechseln.
« Meine liebe Anne, ist zurzeit auf der Reise zu meiner Schwester und deren Mann in Devonshire. Sie wird dort einige Wochen bleiben – die arme Seele, getrennt von ihren Eltern. »
« Was redest du da? Sie fährt zu deiner Schwester ! Wahrscheinlich wird sie sich prächtig amüsieren, wo dein verschwenderischer Schwager doch beinahe täglich (!!!) Bälle und Abendgesellschaften gibt. », erwiderte Mr Sparks.
« Wie kalt du manchmal sein kannst. Hast du denn kein Herz? », fuhr ihn Ms Sparks an und schien den Tränen nah. Aiden der diesem Streit in keinster Weise beiwohnen wollte, entschuldigte sich hastig, sprach zuvor mitfühlend, mit der einen oder anderen Schmeichelei dazwischen und besänftigte so beide Parteien. Der Herr sagte kein Wort dazu, blieb Aiden gegenüber völlig gleichgültig und ignorierte ihn beinahe. Seine Frau dagegen sah ihn entzückt von solcher Gewandtheit an und sagte noch einiges über ihre Tochter, die sie so schmerzlichste vermisse und akzeptierte nach einigen Minuten endlich, dass Aiden sich abwenden wollte.
Zu seiner Erleichterung trug nun die Tatsache bei, dass er auf keine weiteren Gäste des Hausherrn treffen würde – ausgenommen Mr Briggs, der wie er hoffte bei Sloan war – und brachte ihn soweit zu hoffen, einen angenehmen Nachmittag zu verbringen. So Gott es wolle, allein oder mitsamt Miss MacAdwon. Leider nur hatte er die Möglichkeit, dass sich die vorhandenen Gäste in den Räumlichkeiten frei bewegen konnten nicht mit einkalkuliert und traf so, nach einigen Minuten auf dem Weg zum Garten, abermals auf Mr Davies, den er nach Ms MacAdwon fragte.
« Jedes Mal, wenn ich Ihnen auf den Gängen begegne, haltet Ihr Ausschau nach einer bestimmten Person. Genügt Ihnen meine Gesellschaft nicht? »
« Entschuldigt, falls ich Euch damit gekränkt habe. », sagte er leicht überrumpelt.
« Keineswegs. », meinte Davies nur und beäugte ihn misstrauisch. Er sah aus, als läge ihm eine bösartige Gemeinheit auf der Zunge, schluckte diese aber hastig hinunter und zog ein teilnahmsloses Gesicht.
« Wenn ich mir die Frage erlauen darf -»
« Nur zu. », ermunterte Aiden ihn, froh über das Ende einer kurzen peinlichen Pause.
« Es ist offenbar zutreffend, dass Eure Verlobung mit der mir unbekannten Miss Kincaid nicht mehr besteht. »
« Woher -»
« Ms Richard. », sagte er hastig. « So denkt Ihr daran Miss MacAdwon einen Antrag zu machen? »
Völlig verständnislos blieb er eine Weile still, außerstande zu Antworten. Diese Frage war einfach zu abwegig, zu albern, einfach unsinnig....und doch musste er einräumen, dass er seine meiste Zeit, selbst während seiner Studien mit ihr verbracht hatte. Es war ihr Klavierspiel, welchem er gelauscht hatte, ihre Zeichnungen die er ehrlich bewundert und ihre Meinung und ihr Wissen auf welches er stets zurück gegriffen hatte. War es möglich – und es schien sehr eindeutig, dass er ihr Hoffnungen gemacht hatte? Er sich seinem Betragen, seinen Höflich- und Aufmerksamkeiten zu sehr hineingesteigert und falsche Andeutungen gemacht hatte?
« Mit allem nötigen Respekt, Sir...Ich kann Euren Worten nicht ganz folgen, habe ich denn jemals Anstalten oder Andeutungen in eine solche Richtung gemacht? »
« Nun ja. Ihr wisst, wie die Weiber oft tratschen. Dies sollte keine Beleidigung oder Verurteilung sein, ich wollte nur eine wahrheitsgemäße Auskunft. »
« Ich wusste nicht, dass Sie an Klatsch interessiert sind? »
Schließlich verneinte er und Aiden glaubte, in seinem abgestumpften Gesicht, so etwas wie ein Lächeln zu erkennen, hatte er grad mit dem Mundwinkel gezuckt? Überhaupt erschien ihm Davies, als er ging, um einiges fröhlicher, wenn nicht gar erleichtert. Leicht widerwillig schüttelte er sich.
Die Nachmittagssonne hatte schon längst ihren wärmsten Punkt überschritten, und man spürte den erfrischenden Wind deutlicher, der die sanften Strahlen leicht besiegte und einen frösteln ließ.
Der Himmel war ein Meer aus zartem Blau, dessen leicht gelblicher Schimmer die späte Stunde erahnen ließ. Miss MacAdwon saß wie Tage zuvor mit ihm gemeinsam, auf der einsamen Bank, mit Blick auf den nun leicht golden schimmernden Teich.
Ihr Gesicht der Sonne entgegengestreckt, als wolle sie Ikarus ausfindig machen, badete sie in einem Wasserfall von Licht. Ihr Haar war lose und bewegte sich sachte mit dem Windzug der sie umschlich. Ihre Augen, Augen aus klarem Eis begrüßten ihn freudig und luden ihn ein, sich zu setzten. Neben ihr lag breit, mit müden Augen und heraushängender Zunge Kiba, der ihn vorwurfsvoll anblickte, da Miss MacAdwon aufgehört hatte ihn zu kraulen.
« Guten Tag, Cousin, wie geht es dir? »
Erfreut über den unkomplizierten Umgangston, ging er zu ihr, machte ihr kleine Komplimente und redete vorerst über das milde, bereits herbstähnliche Wetter.
Nach seinem Gespräch mit Sloan, der ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, dass Miss MacAdwon, Miss Elisabeth, wie er sie fortan nannte, über seinen Aufenthalt und seine Person informiert war, hatte er ihn Abends darauf, über die verwandtschaftlichen Verhältnisse zwischen ihnen befragt. Ihre Verwandtschaft verlief mütterlicherseits. Wie sich herausstelle, war sie die Tochter einer der Cousins seiner Mutter.
« Sagen wir Mal, es war ein ereignisreicher Tag, für mehrere für uns. », sagte er auf ihre Frage hin, wie sein bisheriger Tag war und dachte an das auffällige Verhalte aller Gäste in Sloans Haus.
« Wie gut ist dir Mr Davies bekannt? »
« Mr Davies? Ich entsinne mich, mit ihm ein oder zweimal ein angeregtes Gespräch geführt zu haben, allerdings ist das für die beträchtliche Zeit unserer Bekanntschaft schätzungsweise wenig. Weshalb fragst du? »
« Ich bin ihm vorhin begegnet. Er scheint mir recht....missmutig. »
« Da muss ich dir zustimmen. Seid ich ihm vorgestellt wurde, ist er ein zurückhaltender, einsamer Mann mit wenigen Worten und übler Laune. Natürlich abgesehen von den zwei Ausnahmen von denen ich dir gerade berichtet habe. »
« Elisabeth...ich möchte dir danken, für die Zeit und die Fürsorge die du mir zuteil werden lässt, durch deine Unterstützung während meiner Studien. »
« Du sprichst als wolltest du bald wieder abreisen? »
« Oh nein, keineswegs. Ich habe mich nur gefragt, inwiefern Mr Sloan dich über gewisse Sacherhalte aufgeklärt hat.“
« Gewisse Sachverhalte? », fragte sie amüsiert. « Du spielst auf deine Anwesenheit, die Verbindung zu Sean, deine speziellen Studien über Verwaltung und Buchführung und deine Familie an? »
« Exakt. »
« Nun, ich kenne den Grund für deinen Aufenthalt, dass du deine Studien, aufgrund deines potenziellen Erbes macht und Sean dir helfen möchte, ein beständiges Mitglied in deines Vaters Geschäfte zu werden. Er selbst erhofft sich natürlich einigen Einfluss durch dich. »
« Dies habe ich mir bereits gedacht. », sagte er und sie blieben für einige Minuten still. Während sie beide ihren Träumereien und Illusionen nachgingen, atmete Aiden plötzlich heftig tief ein und aus. Die Luft war angenehm mild, der Garten von ihrem Punkt aus, hübsch zu betrachten.
« Natürlich weiß ich, dass Sloan mich auch aus eigennützigen Gründen bei sich aufgenommen hat. Würdest du mir verraten, weshalb du seine Fürsorge bekommst? »
« Mein Fall ist ein anderer. Sean, verspricht sich nichts daraus, er tut es lediglich aufgrund seiner Gutmütigkeit. Mein Onkel ist ihm ein guter Freund und Geschäftspartner, er tat es um ihm einen Gefallen zu tun. Aber urteile nicht voreilig über Sean. Er ist davon überzeugt, dass du früher oder später zu deinen Angehörigen gehen wirst. Ich bin der Ansicht, dass du kein Einzelgänger bist. »
« So erscheint es mir leider oft. », sagte er wehmütig und versteifte sich in seiner Haltung.
« Nun, Sean ist meiner Meinung. », sagte sie belustig über seine Naivität und lächelte ihn an.
« Du lächelst wie er. », meinte er und blickte sie an.
« Weißt du, ich glaube er kann gar nicht anders als Lächeln, es ist wohl seine Art seine Gefühle auszudrücken, weil er es mit Worten nicht mehr vermag. »
« Was ist mit ihm passiert, dass er nicht mehr dazu in der Lage ist? »
« Ich weiß es nicht genau. Doch schätze ich, dass er noch sehr um seine Frau trauert. Er glaubt sich schuldig, da er sie auf der Reise, die sie antraten und auf der sie starb, überredet hat. »
Aiden schluckte und wand seinen Blick wieder ab, ein unangenehmes Schweigen überkam sie.
« Was war mit dir, bevor dich Sean nach Flat hall eingeladen hat, bevor du bei deinem Vater gelebt hast? Während deiner Zeit auf Abberts Creek? », fragte sie plötzlich und ließ die Stille zerschellen, als wäre sie aus Glas.
« Damals ist so viel geschehen, ich kann es selbst nicht richtig realisieren. », räumte er ein und riskierte einen erneuten Blick. Sie musterte ihn ungeniert, wackelte dabei mit ihren Füßen und schloss dann die Augen, während ein heller Sonnenstrahl sie überdeckte, wie der Pinselstrich eine leere Leinwand. Sie schien so schön, das es ihm kurz die Sprache versagte.
« Weißt du, dass ich mich am Anfang gewährt habe, mich Sean anzuschließen ? Ich hatte meine ganze Familie verloren. Hatte kein Einkommen, kein Erbe, keine Rente, war vollkommen mittellos. Sean hat auf mich eingeredet, mir Argumente vorgebracht denen ich nicht widersprechen konnte und mir eine Aussicht auf eine Zukunft gegeben. » Ihre Stimme war bei jedem Wort leiser und zurückhaltender geworden und ihre Anspannung war ihr plötzlich wie ins Gesicht geschrieben, dass er es nicht wagte etwas einzuwerfen, geschweige denn einen Laut von sich zu geben. Statt dessen konzentrierte er sich auf den im Schatten liegenden Teich, über dem haufenweise Insekten kreisten und hier und da mit kaum einem Geräusch von einem drohenden Fischmaul in die Tiefe gerissen wurden.
« Ich habe lange bei meiner Mutter gelebt. Abberts Creek war für mich mein Herz, nie war ich woanders gewesen, nie habe ich es verlassen. Es war...wie soll ich es erklären? Isolation? Ich glaube, dass trifft es am besten. Es war wie eine einzige Dunkelheit die stets über mir gehangen hat und vor der jedermann Angst hatte, denn alle fürchteten mich. Als wäre in mir ein Monster das ohne zu zögern, herauskommen und alles und jeden verschlingen würde. Es war nicht so das ich wirklich allein war, es waren nur immer wieder diese Blicke und Worte, insbesondere diese. Als wären sie Gewichte, die vor allem mein Urgroßvater an mich hängen wollte, alles aufgrund meines Vaters. »
« Wie ist es jetzt? », flüsterte sie.
« Das ist das grausige. Es ist besser, nach dem Tod meiner Mutter ist so vieles einfacher geworden und ich frage mich ob ich darüber weinen oder lachen soll? Es ist eine verdammte Ironie und ich könnte wahnsinnig werden wenn ich auch nur daran denke. Was ich natürlich so oft tue, dass mir der Kopf davon dröhnt, würde ich es nicht ab und zu blockieren. Schließlich frage ich mich, habe ich genug getan? Genug getrauert? Oder bin ich ihr mehr schuldig, ihrer nicht würdig? Ich, der Bastard ? »
« Wenn der Tod uns zerreißt ist es, ich würde es nicht normal nennen, aber es ist ein Zustand den man nicht beschreiben kann. Immer mit verschiedener Fassade und immer wieder mit mehr Herzstichen verbunden. Aber offensichtlich ist doch, dass die Frage ob man genug getrauert hat, nicht zu beantworten ist, denn man wird nie damit aufhören. »
« Glaubst du an ein unverrückbares Schicksal? »
Er sah ihre im schwindenden Nachmittagslicht zarten Gesichtszüge, die sich in ihren zerbrechlich-hellen Augen zu verlieren schienen. Er war fasziniert von ihr.
« Erzähl weiter. », forderte sie ihn auf, ohne die Frage zu beantworten und löste ihn aus seiner kurzen Trance, indem sie ihn sanft ihre Hand auf seinen Oberschenkel legte, die er kaum bemerkte. So schier unmöglich fand er seine eigene plötzliche Offenheit.
« Ich wäre der einzige Erbe. Der einzige rechtmäßige, wenn auch inofizielle Nachfolger meines Vaters, vor dem sie einen Groll und eine unbändige Angst vor seiner potenziellen Macht hegten. Sollte er aus den Kolonien lebend zurückkehren…so projezierten sie den Groll vorerst auf mich. Niemand sollte davon erfahren. Meine Mutter sollte Heiraten doch sie entschied sich dagegen und statt dessen für meinen Vater, den ich bis zu diesem Zeitpunkt nie zuvor gesehen hatte. Dessen Ebenbild ich war und der den wahren Grund für den Hass meines Großvaters verkörperte. Er war der Anfang von all dem und sollte auch der Wendepunkt sein, sprich der Beginn des Ruins von Abberts Creek. »
Er machte eine kurze Pause, denn Miss Elisabeths Anblick beeindruckte ihn, eine Mischung aus Melancholie und Unschuld die etwas in seinem inneren längst vergessenen bewegten.
« Ich kann mich nicht richtig daran erinnern, doch irgendetwas geschah. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es niemand gewagt mich oder meine Mutter zu belästigen. Sei es auch nur die wahnsinnige Angst vor meines Vaters Rache gewesen die ihren Drang stoppte. Doch an diesem einen Tag, als die Nacht einkehrte. »

Das Haus brannte, brannte entsetzlich das die lodernden Flammen die Nacht zur Hölle machten. Das Feuer züngelte sich bis in den Himmel empor, Rauchschwaden, verzweifelte Schreie und immer wieder der rote Schatten auf jedem und überall schreckten ihn auf, ließen seinen Puls rasen und ihm den Atem rauben. Es war fast als könnte das brennende Gebäude ihn verfolgen, würde seine feurigen Arme ausfahren und ihn mit in die Hölle schleifen, wo er elendig verrotten würde. Er hatte weder eine Ahnung warum es brannte noch wer dies getan haben könnte, und doch war es als würden die brennenden Flammen direkt aus seinem Herzen kommen, um all die verzweifelten Menschen die ringsherum vor Angst oder Wut herumschrieen einfach verbrennen zu lassen. Dieser Gedanke kam ihm nur kurz und doch löste er in ihm eine Welle der Übelkeit über seine eigene vorher nicht gekannte Art von Hass aus.
War es Panik, Vorahnung? Er wusste es nicht, aber seine Füße trugen ihn zurück. In seinem Inneren war bereits ein Teil gestorben, ein dunkler Fleck thronte an dessen Stelle und breitete sich innerlich aus. Fraß sich förmlich durch ihn hindurch. Seine Mutter. Einem Impuls folgend wusste er das es keine Rettung für sie gab, sie war tot. Schon lange von den reißendem Flammeninferno erfasst, da sie sich zum selben Zeitpunkt im Inneren des Gebäudes befunden hatte.
Sie war für immer verschwunden und er allein. Wie erbärmlich. Ein wandelnder, körperloser Haufen aus Angst. Die Panik überwältigte ihn schließlich und er rannte so schnell er konnte. Vielleicht aus mangelndem Mut, vielleicht aus einem sich vor Gram zerreißenden Herzen oder schierem Wahnsinn, stoppte er sich mitten in der Bewegung und ließ sich vornüber auf die Knie fallen.
Dann wurde es schwarz, eher rot...der Geruch von Angst, Schweiß und Blut klebten überall. Das knisternde Feuer machte ihn halb taub, während sein Körper, ein einziger schmerzender Muskel, mit dem Drang kämpfte weiter zu rennen oder aber lieber doch liegen zu bleiben und zu sterben.
Jemand kämpfte, er hörte eiserne Klingen aufeinander treffen, hörte sie rufen und spürte Bewegungen. Sah sprunghafte Schatten, welche ihn vor seinen verschleierten Augen ganz wirr machten und wünschte es würde aufhören. Die Geräusche endlich versagen.
Schließlich bot sich ihm ein Anblick aus Feuer, Zerstörung und Hass. Dort kämpfte wirklich jemand, doch die heftige Hitze, der stickige Rauch, es machte ihn halb blind, so versagte sein Körper...

Mechanisch legte er die Hand an seinen Kopf
« Ständig wurde es schwarz, es sind ganze Minuten in denen ich nicht wusste was um mich herum geschah. Irgendwann war ich nicht mehr allein. Ob Feind oder Freund, Schmerz oder Erleichterung, es schien alles so gleich, so unbedeutend. Ich kann noch immer den kalten und nassen Steinboden an meinem Körper spüren, als ich auf ihm erwachte. Ich fragte mich erst gar nicht wie ich dort hingekommen war sondern versuchte zu entkommen. Vor mir, vor dem noch glühenden Feuer, vor dem Schicksal? Alles was vor mir lag war eine Straße, Dreck und Unvernunft. Ich hätte leicht in den Wald laufen können um mich zu verstecken doch ich konnte nicht... » Sein Blick war getrübt vor Erinnerungen, kurz brauchte er eine Pause, um sich zu beruhigen.
« Irgendwann stand ich auf, mit leerem Kopf und keinem Gefühl im Körper. Schließlich packte mich jemand, riss mich mit sich und ich dachte es wäre vorbei. »
Wieder kehrte Stille ein, bisher hatte er Linderung gefühlt, wie er seine Geschichte erzählt hatte, doch er konnte nur bis zu diesem Punkt und nicht weiter.
Als Elisabeth merkte, dass er nichts mehr sagen würde, schloss sie die Augen, um sich ein Bild zu machen. Mit klarem Verstand und versuchsweise nachempfundenen Gefühlen, versuchte sie seiner Geschichte Leben einzuhauchen. Dieses grauenhafte Schicksal und die Erfahrung seine Mutter dem sicheren Tod zu überlassen belasteten ihn noch immer, machten ihn wütend und zerstörte seine Selbstachtung. Dies jedenfalls vermochte sie ihm ansehen, seine wahren Regungen konnte sie nicht entschlüsseln. Ihr Mitleid war nicht angebracht, Trost eventuell schon, weshalb sie einige besänftige Worte zu ihm sagte.
« Wie theatralisch, mein Vater an jenem Tag erschien .Ich erkannte ihn sofort, wollte jedoch weder ein Wort hören, noch sein Gesicht sehen, um die Wahrheit daraus zu lesen. Seine Augen voller Trauer und Reue, die in der Vergangenheit lebten und nun dessen Ergebnis entgegen sahen, das alles wollte ich nicht verstehen. Konnte es nicht. Aber ich brachte schließlich nicht die Kraft dazu auf, um ihm tatsächlich zu entsagen. Nicht ein Laut schaffte es aus meiner verrauchten Kehle und so nahm er mich mit, mein Vater. Zu sich, ohne das ich wusste was zu denken, noch was zu tun war. »
Niemals hätte sie mit einer so plötzlichen Konfrontation und Offenheit seinerseits gerechnet, niemals. Das einzige was sie jetzt tun konnte war ihm stumm zuzuhören, doch als hätte er einen Schlag versetzt bekommen, schreckte er auf, starrte sie überrascht an und stand ruckartig auf. Sein Mund öffnete sich, doch kein Wort kam heraus, seine Hände bewegten sich, doch ihre Mimik war unverständlich und auch sein Blick schien vernebelt und undeutlich.
« Ich wollte es nie. Dieser Zwang, dieser Druck der mir befiehlt in seine Fußstapfen zu treten, der dies alles hier veranlasst hat. »
« Manchmal hat man keine Wahl. Ich glaube daran, dass manche Menschen kein eigenes vorgeschriebenes Schicksal haben, sondern ihr Leben von das anderer bestimmt oder in die Wege geleitet wird, ohne das man diese unsichtbaren Fäden ergreifen noch verstehen kann. »
Er kehrte ihr den Rücken zu und zitterte in mehreren Wellen die ihn wie Regen übergossen. « Warum erzähle ich das ? Davies wird mein Wort ohne Zweifel in Frage stellen... »
« Ich fühle mich geschmeichelt, dass du mir das alles anvertraut hast. Es beweist mir dein Vertrauen und ich danke dir dafür. », sagte sie und stand ebenfalls auf. « Weshalb wird Mr Davies dein Wort anzweifeln? »
Sein Kopf fing schmerzhaft an zu pochen und er presste sein Handgelenk gegen seine Stirn um den Schmerz zu unterbinden oder vielleicht doch nur um dieser traurigen Fassade zu entkommen die ihn und seine Gefühle widerspiegeln sollte?
« Das mit Davies ist nicht weiter wichtig. Vergiss meine letzten Worte, ich werde Sloan nicht enttäuschen. Ich hoffe du erkennst meine Wertschätzung dir gegenüber und entschuldigst meine zwischenzeitliches unpassendes Verhalten. »
« Aiden Black, ich glaube dein unpassendes Verhalten, hat dir bereits so manches Ärgernis gebracht. »
« Da hast du recht. », sagte er nüchtern, lachte ironisch auf und biss sich auf die Unterlippe, als lache er über seine eigene Naivität, die ihn schon immer verfolgt hatte und er sich jetzt zum ersten Mal sicher wahr das er sie endlich hinter sich gelassen hatte. Er hatte Ziele, die es zu erreichen galt, selbst wenn abermals jemand anderes entschied wohin sein Weg ihn führen sollte.

26. Verlobung

Die nächsten Tage brachen heiß und mit unerbittlicher Intensität der Sonne an, die ihre Strahlen dazu nutze noch einmal so etwas wie einen Sommer zu illusionieren, der schon bald in regnerische Herbsttage wechseln würde.
Aiden lag kraftlos auf seinem Bett, unfähig etwas zu tun, geschweige denn rational zu denken. Dies lag nicht an der Tatsache, dass er Elisabeth, seid ihrem vertrauterem Umgang und seinen versehentlichen, übertriebenen Aufmerksamkeiten, umständlich auswich und eine Begegnung aufs äußerste Mied. Es war vielmehr sein innerer Konflikt der ihn Vergleiche ziehen ließ, ausgelöst durch Davies Mutmaßung.
Helen war aufbrausend, rechthaberisch, eigensinnig und doch von unbeschreiblicher Leutseligkeit und Schönheit, wie keine zweite. Er kam nicht dagegen an, sie fesselte seine Gedankengänge.
Kurz: er war verwirrt, wusste nicht was er denken sollte und wünschte sich, insbesondere Sloan, weit fort.
Die Zeit entglitt seinem Verstand und die Tage zogen dahin, als wollten sie so schnell wie möglich in die dunkle Nacht wechseln, um erneut anzubrechen. Ein ewiger Kreislauf, ununterbrechbar und beständig, wie sonst nichts auf der Welt.
Die meisten Stunden des Tages verbrachte er fortan mit Sloan. Neben unwichtigen Aufgaben die er erledigen sollte, besuchten sie des Öfteren Investoren, Geschäftspartner, jedoch auch weitere bemitleidenswerte Menschen, denen er grausam drohte. Sloan wünschte er sich nicht zum Feind. Zusammen mit Druck und Erpressung, Angst und seinem mysteriösen Lächeln besaß er die perfekte Kombination, um anderen Informationen zu entreißen. Natürlich war ihm bewusst, dass dies nicht allein sein Aufgabenbereich sein konnte. Des Nachts hörte er oft wie er mit anderen, unbekannten Herren, lange diskrete Unterhaltungen führte und bemerkte wie er ganze Nächte lang verschwand.
Eines Abends, der Himmel war von einer sprunghaften Wolkendecke überzogen und die Luft erfüllt von zarten, frischen Düften die ihn hinauszogen, sollte es sich teilweise verändern, die Situation sich zumindest ein Stück weit verschärfen.
Er vernahm nur ein undeutliches, unfreundliches Gemurmelt, wurde zur Seite geschupst und sah noch eine Gestalt in das Empfangszimmer stürmen, dass er nicht einmal etwas erwidern konnte und sich gerade ebend noch auf den Beinen hielt. Aufgebracht über diese Frechheit wollte er den Übeltäter verfolgen, doch eine Stimme hielt ihn zurück.
« Entschuldigt meinen Vater, Sir. In seinem Zorn ist er blind für alles weltliche. »
« Zorning wirkt er alle Mal. », erwiderte Aiden und musterte den jungen Burschen, der zu ihm trat. Seine kräftige Gestalt und sein blondes Haar ließen ihn ungemein attraktiv aussehen, wogegen seine eher gewöhnlichen Augen, welche die Farbe einer verdreckten Pfütze besaßen, sein Gesamtbild um einiges herunter zogen.
« Ihr seid gerade angekommen? Darf ich fragen – seid Ihr aus London zu uns gekommen? », fragte Aiden und wand den Blick von ihm ab, nachdem er gemerkt hatte, das er ihn ununterbrochen, fast schon penibel genau beobachtet hatte. Vielleicht war dies die Möglichkeit mit einem potenziellen Geschäftspartner, vor Sloan zu reden und zu verhandeln.
« In der Tat, unsere Chaise ist vor wenigen Minuten von einem Dienstboten weggefahren worden. Leider muss ich Euch enttäuschen, unsere Reise hat in Borton begonnen. Mein Pflegevater Mr Olivier Bouchon, ist ein Bekannter von Mr Sloan. »
« So? Ich hoffe die Reise war nicht zu anstrengend, es ist ein langer Weg von dort. », sagte er und wand seinen Blick zu dem Gebäude, welches friedlich und pompös hinter ihm lag.
« Es war anstrengend, doch war das Gemüt meines Vaters daran schuld. Wie wäre es wenn wir hineingingen? »
Die Frage bejahend, gingen sie in das Haus, durchquerten das Empfangszimmer und fanden menschenleere Räume vor. Mit einer hastigen Entschuldigung, ließ er Mr Turner, wie der junge Mann hieß, im Salon zurück und schickte nach einem Dienstmädchen, dass ihn versorgen sollte.
Ein merkwürdiges Gefühl umschlich Aiden. Es war eine Art Vorausahnung, die nichts Gutes zu bedeuten hatte. Unbewusst war er zu Sloans privaten Empfangszimmer gegangen, dessen Tür angelehnt war. Sich noch einmal bedacht umsehend ging er zögernd darauf zu und wagte es einen Blick durch den angelehnten Schlitz zu werfen. Drinnen sah er vier Gestalten. Sloan war mit dem Rücken zu ihm gewandt, trotzdem angespannt und die Hand an seine Stirn gepresst, sodass Aiden reflexartig Schlucken musste. Sein Herz klopfte schnell vor sich hin. Den Impuls unterdrückend sich hastig abzuwenden, oder die angespannte Gesellschaft zu unterbrechen, lehnte er sich noch ein Stück weit nach vorne, um Elisabeth und eines der ältere Hausmädchen, welche Elisabeth Gesellschaftlerin war, auszumachen. Alle wirkten sehr niedergeschlagen, ja beinahe wütend. Immer wieder schüttelte es Elisabeth, vor unterdrückter Freude? Beschämtheit? Er wusste es nicht recht zu deuten, glaubte aber einen schiefen, glänzende Blick in seine Richtung zu erkennen, der ihn nachdenklich stimmte. Das Hausmädchen dagegen blickte vorwurfsvoll zwischen all den Leuten hin und her, wollte mehrmals zum Gespräch etwas hinzufügen, wagte es aber schließlich nicht und verharrte stumm. Sie alle drei saßen. Entgegen dem lief auf nervöse und ziemlich aufgebrauste Art und Weise der Mann von zuvor umher und nuschelte umständlich vor sich hin.
Aiden wollte seine Haltung gerade ein Stück weit entspannen, als ihn ein Gefühl überkam beobachtet zu werden und sein bisher rasendes Herz für eine Moment regelrecht aussetzte. Langsam drehte er sich um und starrte auf den leeren Gang zurück. Niemand war dort und doch fühlte er sich ertappt und überwand die Neugier sich weiterhin auf diesem riskanten Terrain zu bewegen. So wand er sich ab, hechtete ein paar Schritte zurück und atmete unbehaglich, über diese verquere Situation auf. Doch statt wieder zurück zu Mr Turner zu gehen, entschied er sich für ein anderes Zimmer. Ausgelöst durch einen kurzen Blick der ihn geradezu zu der offenen Tür, Sloans Studierzimmer, gehen ließ. Fast schon als wäre die Tür aus kostbarstem Stoff der bei der kleinsten Berührung zerfallen könnte, tastete er mit Vorsicht in den Fingerspitzen den Rahmen rundherum ab und öffnete sie dann gänzlich, um sich dem unordentlichen Chaos eines undurchschaubarem Wesens entgegen zu stellen.
Seid er das letzte Mal dieses, fast ehrfürchtige Zimmer, betreten hatte, war einige Zeit vergangen. So viele Ereignisse lagen dazwischen und doch war ihm als betrete er einen Ort den er nur allzu gut kannte und auf den es brannte neu entdeckt zu werden. Leise und mit angespanntem Körper glitt er zu dem mit Stapeln übersehten Schreibtisch, ging um ihn herum und heftete seinen Blick schlagartig auf das hervorstechende Blatt Papier, welches halb beschrieben, Sloans Handschrift trug. Leise las er:

Mein hoch geschätzter Freund James,

Schon bei der Anrede überkam es Aiden, als hätte er einen Schlag versetzt bekommen oder schlimmer, sein Herz wäre von kaltem Eis umschlossen, das langsam aber sicher jede Faser seines Körpers lähmte.

Handle nicht übereilt. Ich muss dich dringlichst warnen deine Pläne nicht in die Tat umzusetzen. Du vergisst die Wichtigkeit deines Auftrages deinen Onkel weitgehend zu überwachen und dabei seine Geschäfte zu beeinflussen oder gar zu unterbinden!
Es mag sein das ich dir die Wahrheit verschwiegen habe, aber das alles ist nur zu deinem Wohl geschehen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten das deine Schwester unserer Überwachung so schnell entkommen würde.
Ich kann es nur nochmals wiederholen, dass es mir zwar aufs äußerste Leid tut, aber die Umstände mir kein anderes Handeln frei gelassen haben.
Unserer beider Aufgaben ist es nun, von deiner Seite her jegliche Verbindungen zu dem Mann Steward Seymour herauszufinden, meine dessen Verbindungen zu zerstören. Er hat sich mit der Zeit ein Netzwerk aus Informanten und Untergebenen aufgebaut. Es wird schwer sein es aufzulösen, aber wir sind auf dem besten weg, wenn wir zusammen arbeiten.
Über das Verbleiben von Lord George kann ich dir schon wie zuvor nur mitteilen, das er seine Verwalter nicht überzeugen konnte und sich so gezwungen sieht Carter mit einzubeziehen, weißt du bereits. Ebenso welche Konsequenzen das zur Folge hat und bitte dich diesbezüglich um deine Unterstützung.
Zu gegebenem Zeitpunkt, sprich wenn die Gefahr bis zu einem bestimmten Grad abgeschwollen ist, entdeckt zu werden, kann ich dir versichern das ich mich sofort mit meinem ehemaligen Partner in Verbindung setzten werde, um dir soviel wie ich imstande sein werde, über Helen zu berichten. Bis dahin kennt nur er ihren Aufenthaltsort und ob sie, entschuldige meine Wortwahl, noch am Leben ist und

Bei dem Satz endete der halb fertige Brief. Aiden sah sich außerstande ihn wieder hinzulegen, starrte ihn stattdessen ungläubig an und las immer wieder Zeile für Zeile. Sloan wusste etwas von Helen. Wie konnte das sein? Vor allem wie konnte sie in die Machenschaften der Organisation verknüpft sein? Wo war sie gerade und was sollte es bedeuten ob sie noch am Leben ist...
Wo war sie da hineingeraten, als sie sich in Derbyshire getrennt hatten?
« Werter Herr, wie ich leider glauben muss, ist dieser Brief nicht der Eurige. Eure Bestürzung ist ja gewaltig. », hörte er völlig überraschend eine Stimme am Eingang des Zimmers und drehte sich, halb geschockt, halb verständnislos herum. Es war Mr Turner.
« Nun, dieser Brief, er ist... »
« Diese Angelegenheit ist mir gleichgültig. Nur ist es alleine im Salon recht langweilig. », unterbrach er ihn und stierte ihn tadelnd an.
« Ich wurde abgelenkt. », erklärte Aiden und legte den Brief mit bleischweren Händen zurück auf den Schreibtisch, ging hastig zurück und verbarg sein Gesicht bis er endlich aus diesem verwunschenen Zimmer heraus war, sprich die Tür geschlossen hatte.
« Weshalb gesinnt Ihr Euch nicht zu Eurem Vater? Wie mir scheint sind die Gespräche die er zurzeit führt, sehr interessant. », fragte er und warf jegliche Schuld von sich. Mr Turner schüttelte den Kopf, als würde er die Frage nicht verstehen, antwortete aber gegen all seine Erwartungen.
« Es ist mir nicht möglich. Der Grund für den Streit, für all die Unannehmlichkeiten ist meine Person. Miss Elisabeth wird mir hoffentlich verzeihen können... »
« Ihr seid mit der jungen Dame vertraut? », fragte er und lud ihn mit einer Handbewegung in ein anliegendes Zimmer ein, von wo er ein Dienstmädchen mit dem Wunsch nach etwas Warmen und vor allem Essbarem losschickte. Er setzte sich umständlich hin und beobachtete dabei jede Bewegung des Mannes. Was wusste er über Elisabeth oder besser noch über Sloan?
Er musste diese Chance ergreifen.
« Mein Name ist Aiden Black. Ich lebe schon seid einiger Zeit im Haus meines Onkels Sean Sloan und bin daher mit Miss Elisabeth sehr gut vertraut. » Die Worte entstammten nicht seiner Idee. Sloan war es gewesen der ihn dazu aufgerufen hatte, sich unter falscher Identität vorerst in Unschuld zu wiegen. Zwar war dies nur in Gegenwart von einzelnen Gentleman von Nöten und auch nur auf Sloans Wort hin, aber er rechtfertigte seine Lüge, mit der Neugierde die ihn sonst umbringen würde.
« Ich bin sehr dankbar für Eure Gastfreundschaft, die Reise von Borton war lang und ich bin sehr erschöpft »
« Wie wahr! Ich habe erst selbst vor einiger Zeit eine lange Reise angetreten. Nun, Mr Turner, was sind die Umstände für Euren Besuch? »
Mr Turner schaute ihn an, wog die Möglichkeiten kurz ab, wie er es am besten beginnen sollte und fing dann an, stoppte mitten in seiner Bewegung und startete einen erneuten Versuch.
« Es geht hier wohl um Miss Elisabeth. Bitte ziemt Euch nicht, sie ist mir eine gute Freundin. »
« Nicht das ich an Eurer Verschwiegenheit zweifle...aber nun gut, da Mr Sloan wohl bereits informiert ist, gibt es kein entrinnen mehr. »
« Ich habe Miss Elisabeth auf einer Abendgesellschaft ihrer Eltern kennen gelernt, dies war natürlich lange vor ihrem, nun ja, Ruin. Zwar war unserer beider Interesse aneinander zuerst sehr gering, wenn nicht gar voller Vorurteile und von Eitelkeit besessen, so lernten wir einander doch über Monate hinweg näher kennen. Uns Verband eine innige Freundschaft, als ihr Schicksal so unerwartet umschlug und Tod und Trauer die Familie heimsuchte. Natürlich versuchte ich ihr Trost zu spenden, doch in ihrer Verzweiflung ließ sie niemanden an sich heran. »
« Seid Ihr schließlich noch dazu gekommen, ihr Eurer Beileid auszudrücken? »
« Nach einer mir sehr lang in Erinnerung liegenden Zeit. Ich fürchtete Miss Elisabeth würde zu Verwandten oder Freunden ziehen, ehe ich mit Ihr sprechen konnte. Ihre Verfassung war damals grauenhaft. Erst nachdem Ihr Vater, den Bankrot noch nicht offiziell bestätigt, sie in die Situation einweihte und sie in völlige Bestürzung und Depression stürzte, gelang es mir sie unter einem Vorwand aufzusuchen. Als ich sie dort sah, so zerbrechlich und liebenswürdig, den Tränen nah – wie konnte mein Herz da empfindungslos bleiben? Zuerst wollte mein Egoismus es sich nicht eingestehen, ich und ein armes Mädchen? Doch dieser Zweifel zerstreute sich, als wir die ersten Worte miteinander wechselten. Vollkommen hingerissen, wahnsinnig vor Schuldgefühlen und Vorwürfen gegen mein Vorhaben und ebenso geschwächt vor unterdrückten Gefühlen, musste ich einsehen, mit Schauder und heftiger Selbstkritik, dass ich sie liebte. »
Alarmiert starrte Aiden Mr Turner an. Seine Bestürzung war kaum zu beschreiben Unglaube und das plötzliche Entsetzten, wenn auch ein wenig Eifersucht, beherrschten ihn für wenige Minuten, dass er außerstande war überhaupt etwas zu sagen. Doch dies musste er auch nicht, denn ihre Aufmerksamkeit wurde ganz von dem klopfenden Dienstmädchen eingenommen.
« Ina, gut, stell es dort drüben hin. », begrüßte er sie und nahm das Essen in Empfang.
« Sehr gerne der Herr. », sagte sie darauf, lächelte ihm zu und verließ den Raum wieder. Eine bedrückende Stille machte sich breit. Mr Turner nahm eine Tasse Tee, die Aiden ihm einschenkte.
« Ich kam nicht umhin, meine Gefühle zu verstecken, sie wenn Sie es so sagen wollen zu verleugnen. Mein Pflegevater hätte mich womöglich enterbt, mich keines Blickes gewürdigt, wäre er hinter dieses Geheimnis gekommen. Seine Fünftausend Pfund, jährlich für eine Frau die in einen solch niedrigen Stand abgerutscht war? Der Gedanke war irrsinnig. »
« Euer Vater ist jedoch sehr aufgebracht. Er wird doch kein so laszives Verhalten an den Tag legen, aufgrund einer Liebe, die schon so lange unterdrückt wird und vor allem niemals bestand hat. Miss Elisabeth ist nicht einmal in Eurer Nähe! », erwiderte er, seine Stimme wollte ihm nicht gehorchen, sein Puls raste.
« Ich habe die Gefühle nicht unterdrückt, es nicht geschafft. Mein Charakter war zu schwach, um diese Hürde zu meistern. Nur drei Tage später, machte ich ihr einen Antrag. Ihr Ruin war bereits durchgesickert, doch diese Tatsache konnte mich nicht mehr abschrecken. Mein Entschluss war gefasst und doch ist es ein Geheimnis geblieben. Miss Elisabeth bat mich um stillschweigen. Unsere Verlobung, von jedermann verurteilt, sollte im stillen fortgeführt werden, bis zu jenem Tag, an dem es uns gestattet sein würde, beieinander zu sein. »
« Sie hat den Antrag angenommen? », fragte Aiden verblüfft.
« Das hat sie. Ich war niemals glücklicher und trauriger zugleich. Mein Elend, es war kaum zu beschreiben, sollte Miss Elisabeth doch ein weiteres Mitglied ihrer Familie verlieren. Ohne Mittel stand sie plötzlich da, nicht einmal ein Dach über dem Kopf und meine Empfindungen zu dem Zeitpunkt? Ich hätte zugrunde gehen können. Doch bald darauf erschien Mr Sloan. »
« Habt Ihr einen Verdacht, weshalb mein Onkel Ihr diese Hilfe angeboten hat? », wollte er wissen und nippte an seinem Tee, der seinen noch vom Schock erschlafften Körper neue Kraft schenkte.
Mr Turner blickte ihn kurz verständnislos an. « Miss Elisabeth ist die Nichte eines früheren Partners. Er und ihr Onkel verbindet eine lange Freundschaft. »
« Es tut mir leid, aber ich höre von diesem Partner zum ersten Mal. Vielleicht ist etwas vorgefallen, etwas schmerzliches, weswegen mein Onkel mir nichts davon berichtet hat – wisst Ihr denn genaueres? »
« Ich weiß nur das der Mann ein gewisser Aaron Henderson ist. Ein reicher Mann, durch dessen Unterstützung Miss Elisabeth einige Zeit nach dem Tod ihres Vaters gelebt hat. Er war es, der Mr Sloan darum gebeten hat, sie bei sich aufzunehmen. »
Aiden fühlte, wie sich seine Kehle verengte bei dem Gedanken Miss Elisabeth könnte etwas mit Henderson zu tun haben. Er hatte den Namen nur beiläufig vernommen, war sich aber bewusst, dass sich hinter Henderson das gleiche Gesicht wie hinter Ferguson versteckte. Allein die Neuigkeiten von Helen reichten aus, um ihn völlig aus dem Konzept zu werfen und seinen Puls aufs maximale Hochzupuschen. Sollte Miss Elisabeth jetzt auch noch in diese ganze verwirrende Geschichte verwickelt sein, könnte er gleich von nächst gelegenem Dach springen.
« Verstehen Sie dies bitte nicht als aufdringlich, aber ist Ihnen nicht gut? » Mr Turner der seinen wirren Blick und seine plötzliche Blässe, als aufmerksamer Beobachter bemerkt hatte, sah ihn beunruhigt an.
« Ja mir geht es gut. », setze er an, verfiel aber kurzzeitig in stockendes Gemurmel. « Wirklich es ist alles in bester Ordnung. », wiederholte er als sein Gegenüber bereits Anstalten machte aufzustehen.
« Das alles ist nur sehr überraschend, wie Ihr verstehen werdet. » Als er zustimmend nickte sprach er weiter. « Nach Eurem Besuch zu schließen, ist Euer Geheimnis bis zu Eurem Vater vorgedrungen. Wie konnte das geschehen? »
« Ich habe keinen blassen Schimmer! Diese grausame Tat – das Glück zweier Liebenden zu zerstören, wer hat sie zu verantworten? Derjenige muss von arglistiger Bosheit und üblem Charakter gezeichnet sein....dennoch, nachdem die unglückliche Botschaft meines Vaters Ohr erreichte, hatte ich keine Wahl und musste ihm Rede und Antwort stehen. »
« Worauf er sich dazu entschloss zu Miss Elisabeth zu fahren. Hätte er diese Angelegenheit nicht auch von Borton aus regeln können? Euch nicht umstimmen lassen, die Verlobung zu lösen oder gar Maßnahmen ergreifen können um jeglichen Kontakt zwischen Ihnen zu zerstören? »
« Natürlich hätte er dies tun können. Mein Vater hat eine berechnende Natur und sein Zorn bleibt ihm lange erhalten. Unter normalen Umständen hätte er die Verlobung auflösen lassen, doch eine Abneigung gegenüber Mr Sloan ließ ihn anderweitig handeln. Er betrachtet diese Misere als persönliches Attentat auf sich. »
« Was wird nun geschehen? Wird er versuchen meinen Onkel zur Rechenschaft zu ziehen? Womöglich noch Miss Elisabeths Namen Schande bereiten? », fragte Aiden und musste seinen Ärger kontrollieren.
« Wieder kann ich Euch keine Auskunft geben. Mr Sloan wird von dieser Verlobung ebenfalls zum ersten Mal hören. Was die Herren vereinbaren werden –wenn es denn zu einer Vereinbarung kommt und nicht in einen Streit ausartet, werde ich bald erfahren. »
« Doch woher stammt die Feindseligkeit unser Verwandten, dass Euer Vater eine solch beschwerliche Reise auf sich nimmt um ihm die Stirn zu bieten? »
« Eine Feindseligkeit ist noch untertrieben. Ich habe gehört, dass sie sich einst in einem Duell (!!!) gegenüber gestanden haben, doch dies ist niemals von meinem Vater bestätigt worden. »
« Wir können uns also nur in Geduld üben. », fing er an, verfiel aber in ein seltsame Stille.
Ein weiteres Klopfen erlöste sie aus einer langen Redepause und herein trat Miss Elisabeth. Sie wirkte weitgehend gefasst, wenn auch blass und schwach in ihrer Körperhaltung. Auf ihr Erscheinen hin, standen beide Männer auf, hüllten sich jedoch in weiteres Schweigen.
Mr Turner, dem die Situation äußerst unangenehm war, verhielt sich zunächst recht abweisend und wartete erst eine Reihe von peinlichen Minuten ab, ehe er sich Miss Elisabeth zu wand. Aiden dagegen, hielt es für angebracht, beide alleine zu lassen, entschuldigte sich höflich und nickte Miss Elisabeth noch zu ehe er hinausging. Die Augen gen Boden gerichtet, blieb sie stumm und wartete bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Mit grausigen, ihn frustrierenden Gefühlen verließ Aiden fast sturmartig den Gang. Eine Verlobung! Welch erschütterndes Geständnis!
Eine Weile irrte er nachdenklich umher – widerstand dem Drang Sloan aufzusuchen und ging schließlich, sich nach Ablenkung sehnend in den Salon. Zwar traf er dort nicht auf die, etwas penetrante und aufdringliche Ms Sparks, deren Charme und einnehmendes Wesen, recht unterhaltsam und auf jeden Fall ablenkend gewesen wäre, sondern fand einzig Mr Davies vor. Eine Zigarre in der Hand und ein Glas Cognac vor sich, las er interessiert in einer Zeitung. Aiden vermutete, dass er auf Sloan wartete und leistete ihm stumm Gesellschaft. Erst nach einiger Zeit legte der Herr die Zeitung an die Seite, prostete ihm dann überschwänglich zu und fixierte ihn dann mit direkten, unangebrachten Blicken.
« Gibt es einen bestimmten Grund für Euren Aufenthalt auf Flat hall? », fragte Aiden um eine Konversation zustande zu bekommen. Er hätte alles gefragt, um seinen Gedanken an diese absurde Verlobung zu unterbinden.
« Nein, gibt es nicht. », antwortete Davies knapp und ließ sich auch bei weiteren Fragen nicht dazu bringen sich höflich zu unterhalten. Bei all den verwirrenden Gedanken, die sich in Aidens Kopf sammelten, wie eine grässliche Plage die ihn schikanierte, erinnerte er sich an seine Vermutung, dass Davies Miss Elisabeth sehr zugetan war. Die Erleichterung die er ihm angesehen hatte nachdem er ihm versichert hatte, ihr keine Antrag zu machen, war ihm Beweis genug. Mitleid regte sich in ihm, für diesen armen Kerl, würde er noch heute eine schreckliche Nachricht über ihre Verlobung erhalten.
« Sagen Sie Mr Davies, waren Sie jemals verheiratet? » Diese zielbewusste Frage überraschte Davies, ließ ihn aber nicht vor einer Antwort zurückschrecken.
« Nein das war ich nicht. »
Aiden darauf erpicht sich abzulenken und Davies Informationen abzuringen, fragte weiter.
« Sehnt Ihr Euch nicht nach einer häuslichen Niederkunft und einer liebevollen Ehefrau? »
« Mr Black, ich weiß nicht woher Euer plötzliches Interesse an meinem Privatleben kommt, doch könnte ich Euch die selbe Frage stellen. Haben denn so junge Burschen nichts anderes im Sinn als das Jagen, Träumen und Faulenzen, wann immer sie es können? »
« Das könnte man meinen, doch mache auch ich mir Gedanken über meine Zukunft. »
« Gewiss. », sagte er und beide verfielen in eine Schweigeminute. « Entschuldigt meine unerlaubte Behauptung. Dieses Klischee hat sich nur leider in letzter Zeit sehr oft bewahrheitet, dennoch kann ich von Euch behaupten, dass Ihr Fleißig und Aufmerksam in Eurem Wesen seid. »
« Ich danke Euch für diese Wertschätzung -», wollte er beginnen, doch Davies unterbrach ihn ungeniert.
« So macht Ihr Euch verständlicherweise Gedanken über Mac tire und Abberts Creek, doch über eine Eheschließung habt Ihr noch nicht nachgesinnt. »
« Ich habe darüber nachgedacht, hegte bereits eine Zuversicht, doch wies mich die auserwählte Dame ab. »
« Nun denn, wie mir bereits zu Ohren gekommen ist, bleibt meine Hoffnung Euch und Miss MacAdwon vereint zu sehen unerfüllt. »
« Eure Hoffnung? », fragte er verwundert und kam nicht umhin den skurrilen Tag zu verwünschen. « So wart Ihr nicht Erleichtert, als Ihr mich fragtet, ob ich der Dame einen Antrag gemacht hätte und ich verneinte? »
« Aber natürlich war ich das! », entgegnete er, scheinbar leicht gereizt über solche Naivität. « Wie hätte ich es nicht sein sollen, wo Ihr Euch doch mitten in Euren Studien befindet, weder Einkommen, noch Land besitzt? Doch lag es ganz in Mr Sloans und meinem Interesse, wenn eine Verbindung dieser Art zustande gekommen wäre, später versteht sich. »
« Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass Ihr Euch solche Gedanken um mich macht? »
« Auch wenn mein Gemüt recht verbittert ist, was ich offen und ohne Schwermut zugeben kann, so glaubt doch nicht, dass mir anderer Leute Vorteil gleichgültig wäre. Sloan hat eine hohe Meinung von Euch, als mein engster Freund und Geschäftspartner, teile ich diese und würde sie mit allen Mittel unterstützen. »
Über diese ihn verunsichernde Offenbahrung konnte er nur schweigen und verabschiedete sich schnellstmöglich, aufgrund gemeiner Kopfschmerzen. Tatsächlich jedoch, grauste es ihn davor, welch weiteren Umstände Mr Davies in seiner plötzlichen Redseligkeit an den Tag legen würde und hoffte nicht auf weitere Gäste des Hauses zu treffen. Der Sinn nach Gesellschaft, überhaupt nach Ablenkung war verflogen. Mutlosigkeit und Melancholie legten sich statt dessen über ihn.

In der folgenden Nacht schlief er schlecht. Sie Sonne stand schon hoch hinter den grauen Wolken, es war kalt und die Stimmung, die über dem Haus lag war zermürbend. Wie dunkle Schatten hauste Missmut und Frustration mit ihm, als würden sich diese irgendwo hinter einer lauernden Ecke versteckt halten und auf ihn warten. Dieser wirre Gedanke drang bis tief in sein Bewusstsein und rüttelte ihn auf unmissverständliche Weise soweit wach, dass er sich dazu durchrang endlich aufzustehen.
Der Kälteschock seiner Morgentoilette zeigte bald seine gewünschte Wirkung und so zog er sich an, gähnte nochmals und ließ sich auf einen entspannten Tag ein, der wie er hoffte nicht allzu viele Tücken beinhalten würde.
Sein Gesicht war noch immer von dem schlechten Schlaf und dem absurden Albtraum, der ihn zwischenzeitlich heimgesucht hatte, gekennzeichnet.
Langsam zog er sich an, er hatte keinerlei Lust nach unten zu gehen, er wollte alleine sein, für sich und legte sich angezogen wieder auf sein Bett. Zuerst waren seine Augen geschlossen, doch schon bald plagten ihn die Erinnerungen an seinen Traum, einer Illusion die ihn wieder tief hatte zurückkehren lassen in die Tage von denen er Miss Elisabeth nur allzu ausführlich berichtet hatte. Es galt ihnen zu entkommen. Nicht, dass er sie verdrängen wollte, doch das Gefühl von Feigheit und Scham legte sich auf eine so makabere Art auf ihn, dass er fürchtete es wäre ihm vom Gesicht abzulesen. Er ging kurz zu seinem Fenster, blickte in den Garten und erkannte die zierliche Gestalt von Miss Elisabeth. Gedankenverloren wanderte sie umher und blieb ruhelos mal Hier mal Dort stehen.
Der Schock der Verlobung hatte ihn Gestern noch zu überwältigen gedroht, betrachtete er ihn schon Heute als ein Ärgernis, wenn nicht gar eine einfache Unannehmlichkeit. So sehr er auch während seins Besuchs den Gedanken, gegenüber Miss Elisabeth mehr als nur freundschaftlich zu empfinden verächtlich angesehen hatte, so sehr war ihm bewusst gewesen, dass er sie zwar sehr hoch schätze, als Cousine und Freundin, doch diesen Empfindungen nichts mehr hinzuzufügen war. Die Überraschung und sein Egoismus, der doch tatsächlich eine Liebe ihrerseits wahrgenommen hatte, hatten ihn fehl geleitet und so trauerte er lediglich über die nie vorhandene Wertschätzung ihrerseits, jedoch keineswegs aufgrund der unsittlichen Verlobung an sich. Seine Fehleinschätzung dagegen verärgerte ihn umso mehr und so würde er sich selbst für seinen Hochmut und seine Eitelkeit bestrafen, gäbe es nicht gleichzeitig die Freude, die aufkam wenn er an Miss Elisabeths Glück dachte.
Doch Zweifel drohten ihn zu übermannen, denn wo er dem jungen Paar mit Achtung und Freude entgegensah, so war Mr Bouchons Ansicht, schlichtweg ablehnend ausgefallen. Wie Sloan darüber dachte, konnte er nur erahnen und spekulierte darauf, dass es ihn amüsieren würde. Einige Minuten später jedoch verbesserte er sich. Nein, Sloan war kein Mann der einer so ernsten Angelegenheit Vergnügen abgewinnen konnte. Allein seine Anmaßung ihn gedanklich mit Miss Elisabeth vereint zu sehen, verriet ihm, dass er mit all seiner Macht eine Verlobung verhindern würde, um seine tatsächlichen Pläne zu realisieren.
Freudlosigkeit hatte ihn mit der Erinnerungen an Sloan und seine Pflichten überfallen und so ging er kommentarlos in Richtung Arbeitszimmer, trat ohne klopfen ein und registrierte dies erst als ihn Sloan etwas genervt und verwundert anschaute.
« Mr Sloan. », sagte er, statt sich zu entschuldigen und wartete auf eine Gegenreaktion.
« Aiden. » Mit einer Handbewegung befahl er ihm sich zu setzten. Eine bedrückende Stille breitete sich aus. Sloans melancholische Augen lagen auf ihm, während sie darauf warteten das Ina, ein Dienstmädchen das ihn zu verfolgen schien kommen und ihnen Tee, sowie etwas zu Essen bringen würde. Als diese Eintrat nahm er die von Ina gereichte Teetasse an und trank. Es war wie immer eine Wohltat. Sloan wollte etwas sagen, versteckte dies aber eher unabsichtlich hinter einem Lächeln und wartete bis sie wieder verschwunden war.
« Sir Craig hat seinen Hund am gestritten Mittag wieder bekommen. », setzte er ernst an, ohne das Essen zu beachten.
Aiden beachtete es ebenso wenig, betrachtete Sloans eingefallenen Wangen, gläsernen Augen und die dunklen Augenränder und wurde durch seine Erscheinung in seiner Meinung bekräftigt.
« Ich hatte mich schon über seine plötzliche Abwesenheit gewundert. », antwortete er schlicht.
« Nun ja, ich glaube du warst auf einem längeren Spaziergang, als Sir Craig Gestern nur kurz mit seinem Wagen auf Flat hall halt machte und mir einen Besuch abstattete. Er hätte dich gerne begrüßt, konnte aber leider keine Zeit entbehren. »
« Wie mir scheint, war der gestrige Tag recht ereignisreich. »
« Das war er in der Tat. Mr Bouchon und Mr Turner sind allerdings heute Morgen recht früh wieder abgereist. Du siehst das Haus gehört ganz wieder den alten vertrauten Gesichtern. »
« Alte vertraute Gesichter. », wiederholte er und wurde zunehmend wütender. « Was wird nun passieren? Haben Sie es geschafft Mr Bouchon zu beschwichtigen? »
« Du hast also davon gehört? Eine...heikle Angelegenheit, entstanden aus törichter, illusionierter Liebe und mangelnder Reife. Mr Bouchons Groll trifft mich jedoch nicht mehr so hart wie er es einst getan hat, was seinen Sohn anbelangt. So liegt es nicht in meiner Macht ihn zu einer Auflösung dieser Verbindung zu drängen. Doch da wir am gestrigen Abend nicht zu einer Lösung gekommen sind, wird es weitere Streitereien geben. »
« Mr Bouchon ist selbstsüchtig und voreingenommen! Miss Elisabeth ist unter seiner Würde, hätte er sie einer näheren, unparteiischeren Betrachtung unterzogen.... »
« Das mag wohl sein, nur liegt mein Bestreben nicht in einer Bekräftigung dieser Verlobung. Keineswegs, ich hatte andere Pläne, die, aufgrund dieser Sturheit, nicht mehr auszuführen sind. » Aiden hörte seinen Bitterkeit und den Ärger in seiner Stimme, zeigte sich aber davon unbeeindruckt.
« Eure Pläne sind zweifellos unmöglich auszuführen. Mir wäre keine Vernunftehe in den Sinn gekommen, niemals. »
« So hat dich Mr Davies über diese Möglichkeit informiert? »
Er nickte und konnte seine Geringschätzung nicht länger verbergen.
« Dies war ein Eingriff in eine persönliche Entscheidung, wie ich sie niemals von Euch erwartet hätte. Es obliegt meiner Wahl, meinen Vorlieben und meinen Erwartungen, wen ich wann heirate!»
« So wäre dir ein Mädchen, dessen Familie sie verachtet, deren Namen eine Schande und deren Verhalten undiszipliniert und eigensinnig ist und die nur eine belanglose Schönheit besitzt lieber? »
« Die Veranlagung einer Frau, kann ich noch eingeständig analysieren und wenn dies meine Vorlieben wären, so würde ich es nicht ändern wollen. », sagte er grob.
« Nun denn, ich habe nicht das Recht mich einzumischen.“
« Das habt Ihr tatsächlich nicht. »
Kurz schwiegen sie. « Meiner Ansicht jedoch nach wäre es schwachsinnig sich derartig von einer Dame verleiten zu lassen. Du machst sie zu einem Ideal, welches keiner anderen Frau gerecht wird. Denn wo findet man einen solch schlechten Ruf und ein heftigeres Temperament? », warf Sloan kurz darauf ein.
« Ich kann nicht behaupten sie nicht als ein solches zu betrachten, doch schwachsinnig ist es nicht. Wenn nicht der Liebe willen heiraten, weshalb dann? »
« Du redest unreif und frei daher. Natürlich, dir ist die gesellschaftliche Stellung nicht bewusst. Deine Wahl, wäre unangebracht, denn du verdienst eine intelligentere, ansehnlichere Frau. »
« Was nutzt mir die gesellschaftliche Stellung einer Dame, wenn ihr Herz kalt und ihr Temperament das eines Huhns ist? Ich verzichte darauf Eure Meinung darüber zu hören, sie mir überhaupt durch den Kopf gehen zu lassen. Ihr hattet kein Recht den Ehestifter zu spielen. »
« Vielleicht nicht, doch habe ich lediglich mit den Gedanken gespielt, nicht etwa zu Tat gegriffen. Deine Meinung jedoch verdient nichts als Verachtung. Diese Dame und ich scheue mich nicht sie bei Namen zu nennen; Miss Kincaid hat sich bereits für einen anderen Gentleman entscheiden, hat ihre Familie verpönt und verraten und sich rücksichtslos davongemacht. Wo du mich beschuldigst ein Ehestifter zu sein, bist du selbst nicht viel anders. »
Eine angespannte Atmosphäre machte sich breit, bis Sloan sich dazu durchrang über neutralere Themen zu sprechen und sich kurz den täglichen Aufgaben und Pflichten zu widmen. Langsam beruhigte sich Aidens Gemüt und auch wenn Sloan über Miss Elisabeth Entscheidung und den Sachverhalt dieser Angelegenheit stumm blieb, so sah er ihm doch seinen Ärger an. Hochzufrieden, dass er es vermocht hatte sich durchzusetzen, litt er für Miss Elisabeth die von Sloan abhängig war und sich nicht in der Lage sah sich seiner Entscheidung zu widersetzten. Den Brief an James, sprach er nicht an, behielt ihn aber im Hinterkopf und wartete auf einen geeigneteren Zeitpunkt diesen zu erläutern und für seinen Vorteil zu nutzen. Sein Zorn der diesen jedoch mit sich brachte, musste er bändigen, denn seine Gefühle durften ihn nicht übermannen. Sloan, den er allgemein schätze und achtete, war in seiner Ansicht tief gesunken.
« Ich gehe jetzt. », presste er schließlich hervor und erhob sich krampfhaft. Sloan erwiderte nichts. Die Ruhe seines spät begonnenen Morgens war zu einem Sandkorn geschrumpft, umhüllt von der gesammelten Wut über all die verborgenen Geheimnisse dieses Hauses, seinen Bewohnern und insbesondere Sloan. Dieser schloss gestresst die Augen und wollte gerade seine Schläfe massieren als es Aiden überkam. Er riss die Tassen mitsamt ihrem heißen Inhalt von ihrem Tablett. Hörte voller Genugtuung, wie sie zerschellten und ging ohne ein weiteres Wort hinaus. Er wusste das Sloans Blick ihn verfolgte. Es war ihm vollkommen gleichgültig.

27. Krankheit

Als Aiden das Mädchen gesehen hatte, dachte er sein Herzschlag würde aussetzten. Die Vertrautheit die er in ihren Gesichtszügen und ihren Augen gefunden hatte, die Ruhe die von ihr ausgegangen war, diese Sanft- und Reinheit, sie war wie weggeblasen. Ein dunkler Schatten hatte sich auf ihrem Gesicht niedergelegt und kleine Schweißperlen sammelten sich an ihrer Stirn, während sie angespannt und im Delirium vor sich hinmurmelte. Seit dem war eine geschlagene Woche vergangen. Eine komplette Woche in der er um Miss Elisabeth bangte, die wenn es das Schicksal wollte, sterben würde.
Kurz nach dem Streitgespräch in Sloans Studierzimmer, war sie vor den Augen der Eheleute Briggs zusammengebrochen und lag nun in einem Zimmer, vor Fieber wirr und ohne Bewusstsein. Schnell hatte man nach dem Hausarzt rufen lassen, doch seine Diagnose war nicht sehr informativ, geschweige denn annähernd positiv ausgefallen. Bettruhe war das einzige das er Verordnen konnte, nachdem er es mit zahlreichen Medikamenten und angeblichen Wundermitteln probiert hatte, die allesamt versagt hatten.
Zuerst war Aiden wütend, dann zerstreut doch schließlich nur noch ruheloser geworden, als er es ohnehin schon war.
Tagsüber verbrachte er die Stunden draußen, wo die Kälte des Herbstwindes an ihm zerrte. Er zog umher und verabscheute sein eigenes Dasein, welches so kompliziert und verstrickt schien, das nicht einmal er selbst es verstehen konnte. Er schluckte die Verzweiflung und die Depression die sich in ihm sammelte herunter und machte sich auf zurück in das Haus, das er vor geraumer Zeit geliebt hatte. Jetzt da es seine Opfer verlangte, die Kälte und Dunkelheit sich über es legte, war der Glanz des Neuen verschwunden und er sehnte sich nach der alten Freiheit.
Es war gegen Mittag des neunten Tages, als er, nachdem ein Hausmädchen den Morgen über bei Miss Elisabeth gewacht hatte, sich zu ihr gesellte. Er öffnete die Fenster, stütze sich auf die Fensterbank und blickte hinaus.
Ein Seitenblick auf die Kranke und er konnte ihren schlechten Zustand ausmachen, ohne genauer hinzusehen. Ihre Decken waren durchnässt vom Schweiß, ihre Wangen hohl, ihr Gesicht angespannt und ihr ganzer Körper ausgemergelt, wobei sich ihre Wangenknochen, heftig unter der Papierhaut abzeichneten.
Aufgrund eines Windzuges tränten ihm die Augen und er setzte sich, ermüdet und verzweifelt auf den Stuhl neben ihrem Bett. Er wusste das Sloan seine Anwesenheit an ihrem Krankenbett nicht duldete, sah diese Entscheidung allerdings, aufgrund des vorherigen Streits als nichtig an und widersetzte sich seinen Anweisungen mit grimmiger Sturheit.
Der Arzt wurde gegen zwei Uhr erwartet und nachdem er besorgt und mit leerem Kopf – er wusste einfach nicht was zu denken – einige Zeit bei ihr gewacht hatte, machte er sich auf in die Bibliothek, um an einem Ort des Lernens und der Ruhe, endlich klare Gedanken zu fassen.
Nachdenklich ging er durch die Regale, zog hier und da ein Buch heraus, blätterte es durch und legte es dann doch zurück, bis er nach einigen Minuten die er am Fenster verbracht hatte, zu seinem gewohnten Platz ging und sich hinsetzte. Auf dem Tisch, lagen unberührt die Lektüren die er sich vorgenommen hatte zu lesen, ein Stapel Bücher die er bereits bearbeitet hatte und wiederum einer, den er aussortiert hatte, da diese Bücher ihm keinerlei Wissen mehr liefern konnten. Daneben, ganz unscheinbar ruhte ein kleines Notizheft. Ein Stift war zwischen die Seiten geschoben, das er desinterssiert aufschlug, nachdem das Büchlein sein Interesse geweckt hatte. Dort war in sauberer, weiblicher Schrift jedes Buch, jedes Kaptiel und jede Lektion erfasst, die er gemeinsam mit Miss Elisabeth während seiner Studien durchgenommen hatten. Wobei an den Rändern, hier und da kleine Notizen über seine Leistungen und sogar über das Wetter und die Uhrzeit standen:

Zehn Uhr. Der Himmel ist klar und frei von jeder Wolke. Es wird ein herrlicher Tag. Mr Black arbeitet konzentriert an den Soll-Beständen des Haushaltes. Seine Miene wirkt sehr entschlossen.

Diese und weitere Beschreibungen seines Verhaltens und des bearbeiteten Stoffs, fand er auf jeder folgenden Seite und musste bei der Vorstellung, wie eifrig Miss Elisabeth sie verfasst hatte – teilweise waren sie ein halbe Seite lang – lächeln. Als er dann wieder in die Gegenwart zurück gelangte, packte ihn Missmut und er verfiel in eine Säuerlichkeit die er nicht zu unterdrücken wusste.
Dem Drang widerstehend, die Bücher von dem Tisch zu schmeißen, überkam ihm eine plötzliche, erschütternde Idee. Erschütternd, da er sich über seine Einfältigkeit und Ignoranz so sehr schämte – er hätte bereits vor Tagen an Mr Turner schreiben müssen. Natürlich wollte er sich nicht eingestehen, dass Miss Elisabeths Gesundheit so arg gefährdet war, sie womöglich sterben könnte und hatte diese Pflichtaufgabe immer wieder hinausgeschoben. Nun war es vielleicht zu spät. Sich Papier und Stift besorgend, fing er an zu schreiben. Es dauerte bis er die richtigen Worte gefunden hatte, doch machte er dem jungen Mann unmissverständlich klar, dass seine Anwesenheit dringlichst erforderlich war. Sloan, würde ihm nicht schreiben, nicht unter den gegebenen Umständen und so sah er es als seine Pflicht an, diese Angelegenheit diskret zu regeln. Wenn Miss Elisabeth Mr Turner wirklich schätze und sogar liebte – wofür natürlich ihre Verlobung sprach – so war dieser Brief etwas, dass er in ihrem Willen tat und lediglich seiner Verantwortung obliegen konnte. Er war beinahe fertig mit dieser unschönen Aufgabe, als Mr Briggs unerwartet herein trat und ihn förmlich begrüßte.
« Ich habe Sie bereits gesucht. Mr Martin, der Hausarzt, war gerade bei Miss MacAdwon und nach seiner furchtbaren Miene zu schließen...Mir geht es darum, natürlich weiß ich, dass dies gegen alle Grundsätze dieses Hauses verstößt, gegen Mr Sloan, doch kann ich ihr Leid nicht länger mit ansehen. »
« Was könnten Sie tun? »
« Ich will nach ihrem Verlobten schicken lassen. Mehr noch, ich will selbst der Überbringer dieser schrecklichen Nachricht sein und dafür sorge tragen, Mr Turner nach Flat hall zu bringen. »
Die Ernsthaftigkeit, die der sonst recht jungenhafte, unsichere Mr Briggs aufwies, beeindruckte Aiden und ließ ihn keine Minute an dem Erfolg seines Vorschlags zweifeln. Mr Briggs blonden Schopf, sein schmales Gesicht und die wässrig wirkenden Augen studierend, war Aiden froh einen Gleichgeinnten gefunden zu haben.
« Das ist ja wunderbar, Mr Briggs! », rief er aus und stand auf. « Allerdings...wie wird Mr Sloan auf diesen Vertrauensbruch reagieren? »
« Nun, ich vermag es nicht zu ändern, seine Missbilligung zu bekommen. Doch war es stets Miss MacAdwon die uns – meiner Frau und mir – mit offenem Ohr und Herz zur Seite gestanden hat. Sie war es die ein gutes Wort für unseren Aufenthalt hier bei Mr Sloan einlegte und uns eine folgerichtige Miete abverlangte, die ganz in unser aller Interesse lag. »
« Wird er dies denn nicht als Verrat betrachten, Euch womöglich aus seinem Haushalt jagen? »
« Soweit möchte ich nicht gehen, doch dies sollte keine Schwierigkeiten aufwerfen. Ich habe Gestern von einem sehr gutherzigen Bekannten, doch tatsächlich eine Pfründe bekommen? Meine Frau und ich können noch nächsten Monat einziehen! »
« Das ist wahrhaftig großzügig. Doch was soll mit Eurer Frau geschehen, solange Ihr auf der Reise nach Barton seid? », fragte er und spürte, wie oft in den letzten Tagen, einen unangenehmen Kopfschmerz.
« Oh, sie wird in ein paar Tagen, nach London zu einigen Freunden fahren. Ich brauche mir, da Mr Sloans Bekannte nicht länger in ihrem Umkreis sind, keine weiteren Gedanken darüber zu machen. », sagte er und verzog seine Mundwinkel. Bald darauf verabschiedete er sich, nahm den Brief vorher an sich und ritt noch am selben Tag los. Seine Botschaft, würde viel Trauer und Hektik für den Empfänger mit sich bringen.
Eines der Hausmädchen, welche Aidens Aufenthalt in Miss Elisabeth Räumlichkeiten als sehr ungehörig angesehen hatte, sollte zwei Tage später, mit einer Vermutung die sie einmal ausgesprochen hatte, recht behalten. Miss Elisabeths Zustand und somit Aidens wurden von Tag zu Tag schlimmer. Anfängliche tränende Augen, Kopfschmerzen und Schwindelanfälle gefährdeten auch bald seine Gesundheit, bis er eines Morgens, vor dem Frühstück zusammenbrach.
Inmitten von schwarzen, bunten, verrückten, ja grässlichen Träumen, konnte er nicht ausmachen was um ihn herum geschah. Immer wieder erwachte er für einige Minuten schweißgebadet, um anschließend wieder in zermürbende, ihn quälende Träumereien zu driften. Manchmal glaubte er in seinen wirren Fantasien Stimmen zu hören, klare Bilder zu sehen, um sich dann wiederum vor der Flut seiner Gedanken in eine Leere zu stürzen, die Stille und Einsamkeit bedeuteten.
Erst viele Tage später wachte er für so lange Zeit auf, um sich tatsächlich sicher zu sein, dass dies kein Traum war. Mit vor Fieber glänzenden Augen und abgemagertem Körper schaffte er es an die Schwelle des Bewusstseins zurückzukehren.
Endlich konnte er wieder sehen.
Die Sonne strahlte grell in sein Zimmer. Er versuchte sich aufzurichten, verzagte aber und fiel geschwächt zurück.
« Ihr habt so lange geschlafen, Ihr Körper ist nicht in der Lage sich schon recht zu bewegen. », hörte er eine Stimme die er zuerst nicht zuordnen konnte. Die ungewohnte Helligkeit und der arge Hunger trübten sein Bild. An seine körperlichen Defizite vermochte er nicht einmal zu denken.
« Wenn Euch meine Ehrlichkeit eine Hilfe ist...Ihr seht so grauselig aus, ich wage es kaum Euch zu berühren, aus Angst Ihr würdet zusammenfallen. »
Endlich erkannte er Umrisse. Ein Dienstmädchen sprach von der anderen Seite des kleinen Raums mit ihm, sie blickte ihn besorgt an, wand sich dann ab und redete auf einen wartenden Mann ein, der sich ebenfalls in dem Zimmer befand. Als dieser näher kam, erkannte er Sloan in Reisekleidung. Wo war er gewesen oder wo wollte er hin?
« Wie lange? », fragte er mit trockenen Mund. Die Worte hörten sich fremd an und brannten in seinem Kopf wie in seiner Kehle. Mehr als zwei Wörter brachte er nicht zustande.
« Ich weiß es nicht genau, vier Tage vielleicht... » Er zuckte mit den Achseln, doch Aiden wand seinen Blick ab. Er wollte ihn nicht sehen, nicht mit den Augen voller Mitleid und Verständnis. Aiden wollte wütend auf Sloan sein, ihm ein schlechtes Gewissen eintreiben und ihn dazu zwingen ihm mehr Respekt, wenn nicht sogar Vertrauen zu schenken. Seine so plötzliche Krankheit dagegen schien perfekt dazu diese Vorstellungen in binnen zu zerstörten. Er hasste sich für diesen Zusammenbruch, den er hätte voraussehen können.
Etwas Verbindliches murmelnd schloss er die Augen vor Angst, der Schwindel und somit die Schwärze würde wiederkehren.
« Ina wird dir gleich etwas zu Essen bringen, ich habe leider keine Zeit mehr und bin froh das ich dich noch sehen konnte. Wenn ich wieder komme werden wir uns unterhalten müssen. »
Natürlich wusste er worauf er anspielte und ließ seine Lieder geschlossen, die ihm im Augenblick so etwas wie Sicherheit gaben.
« Also gut, ruh dich aus, werde wieder gesund und Aiden, bitte verlass das Haus nicht mehr bis ich wieder komme. Ich verlange dein Wort. » Eine lange Stille folgte. « Aiden? »
« Gut... » Etwas war ihm plötzlich in den Sinn gekommen und ließ ihn nicht mehr los. « Elisabeth? »
« Mach dir keine Sorgen, sie ist kräftig und wird bald wieder genesen. »
Die Augen wieder öffnend überkam ihm eine unnatürliche Übelkeit und er musste heftig würgen, sich aber nicht übergeben. Der Atem in seiner Brust rasselte. Wäre das nicht genug, schmerzte ihn diese bei jeder Bewegung und selbst das Schlucken kratzte so arg in seiner Kehle, dass er sich baldig erneuten schmerzfreien Schlaf wünschte, den er in den nächsten Sekunden erhielt. Er war völlig entkräftet.

Es war spät Abends. Die Dunkelheit hatte ihren Schleier über das Land gelegt, die Luft war feucht und angenehm und der prasselnde Regen, läutete eine neue Jahreszeit ein. Kaum ein Licht brannte mehr, nur die nächtlichen Patrouillen gingen mit keuchenden Atem, und mit unter den Uniformen schwitzenden Körper und melancholischen Gemüt umher und warfen grausige Schatten an die kahlen, kalten Wände des elendigen Viertels welches sie passierten.
Im nördlichen Teil wurde ein betrunkener, um sich schlagender Mann festgenommen, ein Frau klagte im westlichen über Geburtsschmerzen und im östlichen ruhte sich eine kleine streunende Katze in einem Unterschlupf aus. Im selben Viertel lief ein Mann mit tief hängender Kapuze umher. Er war eben so schwarz wie die Nacht und nur seine aufleuchtenden, schleierhaften Augen verrieten ihn. Er bewegte sich nicht schnell. Im Gegenteil, doch die Anmut und die Geschicktheit die er benutze glichen diese Unachtsamkeit aus. Wie anmaßend von mir, dachte er bei sich, als er über seine Stärken nachsinnte und blieb vor einen kleinen, schäbigen Pub stehen. Es war leer und totenstill. Als er eintrat nahm er die Kapuze hinunter, ging durch die Küche in den Lagerraum und ließ die gespenstische Dunkelheit auf sich wirken. Es war wahrhaftig sehr ruhig. Beinahe zu ruhig, doch sein Herz machte einen Hüpfer der Erleichterung, als er mit seinen scharfen Augen, seinen Gegenüber erkannte und zu ihm trat. Leise und selbstsicher.
« Bist du es, Sean? », fragte eine Stimme und eine Kerze spendete für flackerndes Licht.
« Ja, aber ich habe kaum Zeit – eine dringliche Angelegenheit wartet auf mich. Hast du einen neuen Auftrag? » Der Mann kam näher. Sean Sloan betrachtet Adam Wolverton nun genau. Sein Gesicht litt durch die Schlaflosigkeit und ebenso schien sein Körper nicht in Bestform. Sloan sah dessen dunkle Ränder, die roten Äderchen im weißen des Auges. Seine Leichenhafte Blässe war selbst durch das schwache Licht der Kerze, die Adam in der Hand hielt auf schreckhafte Weise gut erkennbar. Allem in allem sah sein Freund erbärmlich aus, ebenso wie er sich selbst fühlte.
« Nein, es bleibt wie besprochen. Aiden kann vorerst in deiner Obhut bleiben. »
« Dies war bisher aufwendiger, als ich es vermutet hätte. Aiden lässt sich kaum eine Gefühlsregung anmerken, streunt herum und bleibt stur, allerdings habe ich ihm die Suche nach Steward Seymour ausgetrieben – falls überhaupt vorhanden. », fing er an zu erklären, wobei er stark gestikulierte und gestresst wirkte.
« Bist du dir da sicher? Nach der ganzen heiklen Aktion, der Entführung, der Epressung und dem versuchten Mord... », unterbrach Adam ihn. « Wir hatten uns lange nicht gesehen...nachdem er plötzlich in Derby aufgetaucht ist, war ich vollkommen aus der Bahn geworfen. Aber nun gut, unser Plan ist aufgegangen. Jetzt ist er vorerst hier in Sicherheit, weit entfernt von Seymour und seinen Machenschaften Abberts Creek zu übernehmen. »
« In der Tat. Aidens Verhalten ist nach all diesen üblen Vorkommnissen, noch sehr vernünftig und ruhig, auch wenn es einige Probleme gab. Dennoch war es knapp, hätte Sir Craig nicht vorschnell gehandelt und ihn statt nach Derby gehen zu lassen ihn zu Lord George geschickt... »
« Daran wollten wir erst gar nicht denken. » , warf Adam ein und rang sich zu einem kalten Lächeln durch. « Aiden hätte den ganzen Plan gefährdet. Wäre er gezwungen worden zu seinem Vater zu gehen, hätte er es sich nicht nehmen lassen später nach dieser Miss Kincaid zu suchen. So aber, ist sie von selbst gegangen und er ist nicht in die ganze Sache verwickelt worden. Weder in das Attentat auf unseren Vater noch in das plötzliche Verschwinden ihrerseits. »
« Da hast du Recht. Nach der ganzen Entführung, hätte er das nicht verkraftet. Wer hätte aber auch ahnen können das sich daraus so eine Verbindung entwickelt? »
« Wohl keiner. Aber lassen wir das Thema. Wie sieht es mit Ferguson aus? », stoppte Sean den Redefluss, um endlich voran zu kommen. Seine Mimik blieb in dem wenigen Mondlicht und der kleinen Kerze unverändert, doch etwas angespanntes lag in seiner Stimme. Adam sprach ihn nicht darauf an.
« Er ist frei, arbeitet aber weiterhin für die Organisation. Er ist der beste Schmuggler und Spion den ich habe. »
« Und der gerissenste. Es ist schade das wir keine Partner mehr sind. », fügte Sean mit einer Spur Stolz und unausgesprochenem Kummer hinzu.
« Ja, ein außergewöhnliches Talent…ach, ja da fällt mir ein, er wird demnächst hier auftauchen, sei also gewarnt. Ich glaube das irgendetwas während seiner verdeckten Spionage vorgefallen ist. Es ist keine leichte Aufgabe Steward Seymour zu dienen und uns gleichzeitig die nötigen Informationen zukommen zu lassen. »
« Da wirst du wohl recht haben, allerdings hat er das Vertrauen von Ms Oval. Nach dem Tod des Mr Oval, scheint er sich ihrer angenommen zu haben, eine linkische Frau. Ich weiß nichts genaueres über diese Verbindung, jedoch sieht sie in Ferguson keine Gefahr, dass sie ihn an Seymour verraten würde, oder irre ich mich? »
Adam runzelte die Stirn und sagte darauf: « Nein es gibt nichts, dass uns dazu veranlassen würde zu glauben Ferguson wäre aufgeflogen oder stände auch nur unter Verdacht. Hätte er uns nichts von den Plänen auf das Attentat auf Lord George berichtet, wer weiß was passiert wäre. », meinte Adam nachdenklich.
« Es ist kaum auszusprechen, doch was soll nun mit Aiden geschehen? Ich werde ihm das Fragen nicht verbieten können und er wird dies nur so lange tun, wie ich ihm Antworten kann, was bald nicht mehr der Fall sein wird. »
« Für´s erste ist er ruhig gestellt. Seine Erkrankung hat ihn geschwächt und er wird einige Zeit benötigen um sich wieder kräftig genug zu fühlen, irgendetwas zu unternehmen. Warte ab, was passiert und falls es zu einem weiteren Zwischenfall kommt werde ich ihn mit mir nehmen. »
« Glaubst du nicht das wäre zu gefährlich? », fragte Sean mit offensichtlicher Skepsis.
« Gefahr hin oder her, mein Bruder ist nicht dumm. Er wird uns auf die Schliche kommen und sich verraten fühlen. Das Beste ist wenn er in einer, recht normalen Familie untertaucht, solange er ein Objekt von Seymours Begierde ist, kann ich nichts ausschließen. Früher oder später wird man ihn auch hier finden. »
Sloan gab ein zustimmendes Brummen von sich und verfiel dann in ein Schweigen.
« James Kincaids dutzend Männer stehen bereit, ebenso hat Carter, seine Pächter und Untergebenen bereit gestellt. Wenn Lord George schnell und effizient handelt ist das schlimmste bald vorbei und die beiden Familiengüter unter unserer Kontrolle. Hoffen wir das dies geschieht. »
« Ja hoffen wir es. », gab Adam ihm recht und sah wie sich Sean zum gehen abwandt.
« Ich habe noch eine wichtige Unterredung zu führen. Diese Sache ist sehr...persönlich, wundere dich nicht, wenn du einige Zeit nichts von mir hören wirst. Aber hab ein Auge auf mein Haus. »
« Natürlich. Und mach dir keine Sorgen, Aiden wird schon erkennen, dass es gefährlich ist wirklich alles zu hinterfragen. »
« Ich hoffe es. », antwortete Sean schlicht und Adam blies mit einem dünnen Hauch die Kerze in seiner Hand aus. Das Licht erlosch und sie fielen zurück in die Dunkelheit des Lagerraumes und tauschen in dieser einen unverkennbaren und resignierten Blick, den sie gegenseitig mehr erahnten als sahen.

Ein Trommeln weckte ihn. Es erschien ihm so laut, das er sich gestört durch das Geräusch aufsetze und sackartig wieder zurückplumpste, als ihn ein ziehender Schmerz das Atmen versagte.
« Geht es Euch nicht gut? » , erklang neben ihm eine sanfte Stimme und durch tränende Schlitzaugen heraus sah er die Umrisse Inas weiblicher Gestalt.
« Es....geht. », presste Aiden hervor und ließ sich langsam zurücksinken, versuchte aber erneut die Nerven des Hausmädchens zu strapazieren und wurde darauf scharf zurechtgewiesen.
« Ich will nicht respektlos erscheinen, Sir, aber Mr Sloan hat mir genauste Anweisungen gegeben. »
« Lasst das Mädchen ihre Arbeit tun. », hörte er eine Stimme und sah die aufrichtigen, gut meinenden Augen der Ms Richards. Sie wartete nur kurz auf seine Bestätigung und ging dann hinaus um neue Laken zu holen.
Ein pochender Schmerz breitete sich durch seinen Körper aus und er bereute sich bewegt zu haben, sagte allerdings kein Wort mehr, sondern fixierte das Mädchen mehr als aufdringlich, um alleine gelassen zu werden. Er wollte nicht das sie oder irgendjemand ihn so schwach, so erbärmlich sah. Im Grunde hatte er nur Angst vor den Leuten, oder war es Neid? Er wusste es nicht und wünschte sich nur aus seiner eigenen Haut herauszuschlüpfen, sich selbst zu entkommen.
« Jetzt hört mir zu. Es ist mir verdammt gleichgültig, wie hoch Ihr Mr Sloan oder Ms Richards, die gute Seele schätzt. Ich habe Euch während der letzten Tage ausnahmslos gepflegt, damit Ihr wieder zu Kräften kommen und lasse mir meine Mühe, doch nicht durch Eurer tadelhaftes Benehmen zurückzahlen. Also haltet Euch zurück. »
Entsetzt über ihren unangebrachtes Verhalten blieben ihm die Worte im Hals stecken. Er wand seine Blick ab und versuchte ihre Anwesenheit zu ignorieren. Jetzt da sie erkannte, dass er keine Widerworte von sich geben würde, schnalzte sie mit der Zunge und wusch ihm mit einem nassen Tuch sowohl Gesicht, als auch Nacken ab. Er leistete keinerlei Widerstand, was sie mehr als friedlich stimmte.
« Sobald Ihr Euch kräftig genug fühlt, solltet Ihr etwas essen und Euch außerdem bewegen. »
Sie wartete erst gar nicht auf sein Einverständnis, sondern begnügte sich mit ihrer Forderung. Doch erst am späten Abend aß er tatsächlich etwas, abermals am nächsten Morgen und war dann dazu bereit sie in die Küche zu begleiten. Er hielt es keine Minute länger in seinem Bett aus.
Die Küche war menschenleer und Ina fing an, in einer Ecke einen Kochtopf, Tücher und andere Utensilien zu begutachten bis sie mit einem Kessel ihrer Wahl zu der Feuerstelle ging und dort Wasser für ihn aufsetzte. Er dagegen ließ sich behutsam auf einen Stuhl sinken, die Wärme des Raumes ließ ihn wie in Trance fallen, ein Schwindelgefühl überkam ihn und er fragte sich ob das die richtige Entscheidung gewesen war.
« Sobald Ihr Euch unwohl fühlt, sagt es mir. », sagte Ina nüchtern doch er schaute auf die Ansammlungen von Gläsern und Trinkgefäßen die neben ihm auf einem Tisch ruhten und ignorierte sie.
« Was ist mit mir passiert ? », fragte er und ohne auf ihre Worte einzugehen. Sie sagte erstmal nichts, beendete ihre Arbeit mit dem Kessel und ging dann zu ihm um ihn eindringlich zu mustern.
« Ihr habt Euch, wahrscheinlich bei einem Spaziergang eine schlimme Grippe geholt. Eure Übermüdung und die Sorge um Miss MacAdwon...als ich dass Frühstück vorbereitet habe, seid Ihr mit einem Mal vom Stuhl gefallen. Ihr glaubt nicht was ich für eine Angst hatte. »
« Ich danke dir für deine Pflege.“ »
« Als Tochter eines Soldaten und Angestellte eines Kochs hat man viel zu tun. Verbrennungen, Schnittwunden, ich war froh etwas für Euch tun zu können. » Sie wand sich wieder der Feuerstelle zu, warf ein, zwei Kräuter in das kochende Wasser und roch vorsichtig daran, bevor sie es für ausreichend hielt und mit einer Kelle einen Teil davon in einen Becher schüttete, welchen sie ihm reichte.
Auch er roch daran, konnte aber nur eine Mischung aus Fenchel heraussondern und nippte zaghaft daran.
« Dort hinten sind Betten. Sie sind eigentlich für das Personal, nur...ich würde niemals so frei und unsittlich mit Ihnen sprechen, mein Verhalten grenzt an eine Beleidigung nur.... » Sie nickte in die entsprechende Richtung und wand sich dann zum gehen. « Ihr könntet Euch dort ausruhen, die Krankenbesuche von Ms Sparks und den anderen, drängenden Gästen, müssen Euch sehr anstrengen. »
Schließlich befolgte er ihren Ratschlag und legte sich erschöpft auf die Decken, die ein Bett darstellen sollten. Erst zuletzt war ihm eingefallen, dass er sich nicht nach Miss Elisabeth erkundigt hatte.
Es verging eine ganze Weile, seine Augenlieder wurden schwer und sein Körper erschlaffte. Er war kurz vor dem einschlafen, als Ina vor sich hinsummend hereinkam und einen Blick auf ihn warf. Anscheinend war sie zu der Erkenntnis gekommen er würde schlafen, denn nach wenigen Sekunden wand sie sich von ihm ab und begrüße eine für ihn unkenntliche Person. Seine Sinne registrierten lediglich Stimmengewirr und verschwommene Bewegungen, nicht genug um ernsthaft etwas mitzubekommen, aber gerade so laut, um sich selbst in eine beruhigende, warme Wolke zu hüllen die ihn schläfrich und friedlich stimmte. Die unbefangene Art, im Bett eines Küchenjungen zu liegen – er empfand große Dankbarkeit dafür. Sein Kopf war frei und er konnte schlafen.

27. Verlorenheit

Die Welt war grau. Die Wolken standen tief, waren finster und ließen keinen Lichtstrahl hindurch, während sich die Welt in dieser frühen Stunde noch im Schlaf befand. Am Rande eines dunklen Waldes, voller Tannen an deren Ästen die Regentropfen der letzten Tage verweilten, stand Helen.
In der Ferne heulte ein Wolf, ein Vogel flatterte aufgeregt über ihren Kopf hinweg und der Wind ließ die Baumkronen singen. Vorsichtig ging sie aus dem Schutz der Bäume, sie musste sich beeilen wenn sie ihren Auftrag noch erledigen wollte, die Sonne würde bald das Land erleuchten. An ihrer Schulter spürte sie das aufeinander reiben von Stoff. Lautlos neigte sie ihren Kopf und sah in Finns dunkle Augen. Beide nickten sich zu. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, wie sie am gestrigen Abend noch genüsslich gebadet und sich für das Essen fertig gemacht hatte. Nur kurz darauf war ein Beauftragter von Finns Mentorin gekommen, und hatten den beiden mitgeteilt sie hätten ihn gefunden. Einen Mann, dessen Namen sie nicht einmal kannte und der glimpflich ausgedrückt, nicht weiter stören sollte. Sie wusste um diese grausame, sie abschreckende Tat, die ihr Verlobter tun musste. Doch die Notwendigkeit überwog und sie fand kein Argument das ihn hätte abbringen können. Das er mordete, bedrohte und erpresste, war eine Sache, die ihr grause, die sie mit Angst erfüllte und die sie immer wieder in den Augen ihres Liebsten lesen musste, der ebenso viel Angst empfand. Schlimmer war es daher, für wen er dies tat. Seymours Aufträge verhießen selten einen ruhigen Tag, geschweige denn einen erholsamen Schlaf.
Von weitem erspähte sie die ersten durchdringenden Strahlen der Sonne, jetzt oder nie!
Finns Augen wurden kalt, sein Gesichtsausdruck untergründlich. Er mordete auf eine skurrile, fast übernatürliche Art. Skrupellos war er eins mit der Dunkelheit, der sich auflösenden Nacht und dem Glanz seiner Klinge. Wahrlich, sie selbst hatte vor ihm und seinen dunklen Augen angst.

« Du hättest mich nicht begleiten müssen. », sagte Finn am darauf folgenden Mittag. Sie waren wieder in Cambridge, wo sie eine kleine Mietwohnung besaßen. Finns Einkommen war nicht sehr beträchtlich, doch reichte es aus, um nach außen hin, ein verliebtes, unvoreingenommenes Ehepaar darzustellen, das sich gerne an gesellschaftlichen Abenden und Wohltätigkeitsaktionen beteiligte. Es war das erste Mal, dass er seit dem Auftrag mit ihr sprach, denn er pflegte es stumm zu arbeiten. Leute drängelten sich an ihnen vorbei, Geschrei von Hühnern, Schweinen und anderen Tieren waren unverkennbar, überall schrieen Verkäufer. Der Markt florierte wie jeden Tag.
« Wir brauchen überhaupt nichts. », erwiderte Helen nur und ließ ihren Blick schweifen.
Sie dagegen pflegte es erst gar nicht über diese Aufträge zu reden. Nicht davor und nicht danach.
Finn und sie waren ein eingespieltes Team, sie verstanden sich auch ohne viel miteinander zu kommunizieren, auf ihre Art. So war es während der Nacht, doch am Tag waren die beiden so unscheinbar und gesprächig, wie jeder andere in der Stadt.
Kalt war sie geworden, das Gesicht so weiß wie ein Pergament Papier und ein Lächeln das einen schwach werden ließ vor Entzücken. Doch diese Schönheit war auch die Maske die sie trug. Den unschuldig, gesenkten Blick, das schüchterne und herzensgute Wesen welches sie verkörperte, war für sie das reinste Schauspiel. In ihrem Inneren war es schwarz, wie die Tinte mit denen sie Gedichte schrieb. Sie war seid dem Tag in Derby ein Teil von Finn, dem Mann der ihre Familie so viel Unglück bereitet hatte.
Finn war bei ihr und das war alles was zählte, alles was sie berührte und das Einzige was sie motivierte voran zu kommen, wahrhaftig zu existieren.
Nachdem sie ihn und seinen ominöser Bekannten Jahre zuvor auf einem Ball kennen gelernt hatte und sich leidenschaftlich in Finn verliebte, brachte sie ihren Vater dazu, diese beiden Gentleman auf ihr Gut einzuladen. Die Einladung wurde herzlich angenommen, Anreise und Aufenthalt wurden geplant, wobei Helen die ihr Glück kaum zu beschreiben wusste, nicht anders konnte, als sich einer romantischen Vorstellung hinzugeben.
Sie hoffte naiv auf einen pompösen Heiratsantrag von Finn, vom damaligen Mr Aaron Henderson. Die beiden Freunde blieben etwa drei Wochen, neben abendlichen aufregenden Konversationen, zahlreichen Spaziergängen und etlichen auswärtigen Gesellschaften und kleineren Ausflügen, war es Helen ernster als je zuvor mit ihrem Auserwählten geworden. Mr Henderson schenkte ihr große Aufmerksamkeit, hörte ihr stets aufrichtig zu, bewunderte sie und sprach in den höchsten Tönen von ihr und ihrer Familie.
Doch schließlich, an einem Dienstagabend, dem allgemeinen Whistabend, zerstörte ein bestialischer Vorfall ihr Denken über Glück, Freude und Schicksal. Verbitterung, Enttäuschung und ein eigensinniges Verhalten hatte sie seit je her gepackt, welches sie nicht mehr in der Lage war abzuschütteln.
Sie war am Nachmittag des selben Tages, mit Finn auf einem lange Spaziergang gewesen, hatten die ortsansässige Kirche, sowie einige Freunde besucht, bis Finn ihr, in einer stillen Minute, auf einer mit Gänseblümchen und Löwenzahn übermalten Wildwiese einen Antrag machte. Überglücklich und euphorisch nahm sie diesen an und strahlend und mit Liebe erfüllt gingen sie zurück zum Haupthaus.
Der junge Verehrer plante sogleich zu ihrem Vater zu gehen, um ihm offiziell um dessen Tochter Hand zu bitten – es sollte niemals soweit kommen. Es wurde spät und nach einer etwas skurrilen Meinungsverschiedenheit zwischen ihr und Finns Bekannten, machte sich ihr Bruder sorgen, der natürlich sogleich eingeweiht worden war, und nun zu den baldigen Verlobten und seinen Eltern gehen wollte, um sie alle zu beglückwünschen. Nachdem Finns Bekannter nach der kleinen Streitigkeit angeblich abgereist war und Finn sowie Helen selbst, in der Gegenwart des Mr Kincaid erwartet wurden, war die Schlussfolgerung die James an jenem Tag, als er die noch warmen Leichen seiner Eltern in seines Vaters Studierzimmer fand, leicht zu erahnen. Aaron Henderson musste seine Eltern, die sein Werben um seine Schwester wahrscheinlich abgelehnt hatten, aus Hass ermodert haben.
Für Helen bedeutete dies ein seelischer Schock, den sie niemals hatte verarbeiten können.
Vor einem Jahr dann, war sie ungeachtet auf ihren Bruder davongelaufen, mit der Hoffnung sich endlich von dem Herz so zerstört durch Rachewünsche zu befreien.
Tatsächlich hatte sie Aaron Henderson, unter falschen Namen gefunden. Seine Augen waren wirr, sein Gesicht schattenhaft, sein Körper durch den seelischen Schaden beinahe am Ende gewesen. Er war ein Todsuchendes, umherwanderndes Geschöpf dessen Melancholisches Wesen selbst ihr die Tränen gebracht hatten. Ob sie um ihn oder sich geweint hatte wusste sie nicht genau, doch sie war sich, seid dem Moment der erneuten Begegnung zwischen ihr und Finn sicher gewesen, dass sie sich selbst zerstörte, würde sie ihm das letzte bisschen Leben nehmen. So war auch schließlich ihre eigene unabschüttelbare Vergangenheit, die sie so lange verdrängt hatte, an die Oberfläche ihres Wesens zurück gekehrt und sie hatte begonnen sich zu erinnern. Daran zu erinnern, was damals tatsächlich auf Kincaids Ridge geschehen war...
Ihr wurde Übel bei dem Gedanken, könnte weinen, schreien....und sich doch nur zurückziehen und die Erinnerung an diese Vergangenheit, die schlagartig zurück gekehrt war, irgendwie ertragen. Jedoch lange nicht verstehen...
Sie hatte Finn gepflegt, geliebt und sich von ihm abhängig gemacht, als wäre er eine Droge der sie nicht entkommen konnte ebensowenig wollte. Lange Zeit war sie hin und her gerissen, ihn zu lieben und ihrem Bruder die Treue zu halten, der in Finn noch immer die Erlösung seiner Rachegedanken sah. Schließlich nach langen Reisen zwischen den Städten, zwischen zwei Männern die sie inständig liebte, war sie Aiden begegnet und alles andere hatte seinen Lauf genommen. Jetzt war sie hier und Finn gehörten ihr Herz und ihre Seele. Ebenso wusste sie um seine Unschuld und zweifelte keine Sekunde daran. Ihre inoffizielle Verlobung wurde nie gelöst.
Sie wusste von seinem Machenschaften, dem doppelten Spiel das er trieb. Der Organisation unter Lord George Informationen über seine Vorgesetzten und über ihre Vorgänge zu liefern und sich dabei selbst ständig auf Terrain zu begeben auf dem die Gefahr lauerte entdeckt zu werden. In diesem Schauspiel nahm er die Rolle eines Attentäters, einem gehorsamem Untergebenem Ms Ovals an die für Steward Seymour arbeitete.
Diese Frau hatte ihn nach dem Tod seiner eigenen Eltern wie ein Sohn aufgezogen und war zwar verwitwet, verkehrte jedoch in bester Gesellschaft. Steward Seymour war einer ihrer engsten Freunde. Das ihr Sohn – denn als da betrachtete sie Finn - sie verriet und verachtete, hatte sie selbst zu verschulden. Denn durch eine frühere Verbindung zu Sean Sloan hatte Ms Oval den noch jungen Finn die ersten Kontaktmöglichkeit zu einem Mitglied der Organisation gegeben.
Helens Akt war dagegen simpel. Sie unterstütze Finn in all seinen Aufträgen, war also nichts weiter als eine Gehilfin, unbedeutend für Ms Oval, die ihr mit gleichgültigen Gefühlen entgegensah. Sie war sein Schatten, der Teil von ihm der ihn davor bewahrte zurück zu diesem verlorenem Menschen zu werden der er einst geworden war, während er ihr die Last abnahm jemandem Rechenschaft zu schulden. Insbesondere sich selbst. Denn dass einzige was sie wollte, war nicht gekannt und ebenso nicht vermisst zu werden. Die schreckliche Tat die in ihr Gedächtnis zurück gekehrt war, würde sie sonst über die Qual die sie bereits jetzt verspürte, hinaus tragen.

Eine ganze weitere Woche war vergangen, bis Aiden endlich wieder zu menschenähnlichen Kräften gekommen war. Es war Nacht, und sehr spät, doch da Aiden die Schlaflosigkeit plagte war er aufgestanden, hatte sich von den warmen, ihn erdrückenden Decken seines Bettes befreit und irrte nun gedankenlos durch das Haus, auf der Suche nach etwas von dem er es nicht kannte.
Alles war ruhig. Die Gänge und Zimmer lagen in völliger Dunkelheit. Er hörte die Menschen atmen und sich sachte Bewegen. Aber nichts deutet darauf hin das sich außer ihm noch jemand wach war. Als ihn seine Füße über die Veranda trugen umschloss er, erschrocken durch die plötzliche, windschwache Kälte, seinen Körper mit seinen Armen und ging ziellos weiter.
Der Herbst war in den letzten Tagen hereingebrochen und der Winter, der dieses Jahr früh und heftig erwartet wurde, würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Vermutlich hätte er seine Augen schließen können, er wäre in die selbe Richtung, durch die selben Gänge gegangen, denn langsam dämmerte ihn wohin ihn sein Unterbewusstsein trieb. Es war nicht Elisabeth. Sie hatte ihn während der letzten Tage schwer beschäftigt und er hatte stets auf ihre Stimme oder auf andere Anzeichen für ihre Anwesenheit gehorcht, doch ihm blieb nichts als Inas Zusicherung, dass sie das Fieber, welches sie schamlos überfallen hatte, zwar geschwächt, aber nicht dahingerafft hatte. Sie jedoch war nicht teil seiner Beweggründe, nicht einmal der Drang sie nach ihren, wie Mr Turner ( er war während Aidens Erkankung bei ihnen gewesen, wohnte zurzeit in London und besuchte Miss Elisabeth jeden Tag ) es ihm erzählt hatte, Verwandten zu fragen, ließ ihn so unsicher, so erregt und gleichzeitig diesen Willen verspüren. Es war Helen.
Vor Sloans Studierzimmer blieb er stehen. Entschlossen dessen Abwesenheit dazu zu nutzen weitere Briefe über ihren Verbleib zu finden, wurde dieser Wunsch mit einem Mal zerstört, als er ein Licht in dem Zimmer aufleuchten sah. Jemand schien auf die gleiche Idee gekommen zu sein wie er, wenn auch aus anderen Gründen. Sein Körper spannte sich an und er spürte wieder den Schmerz, der sich in den letzten Tagen vermindert hatte, mit neuem Feuer ausbrach, so dass er seine Brust heftig umklammerte, um sie zu entspannen und zu schützen. Er musste ein Geräusch gemacht haben, denn das Licht im Zimmer bewegte sich langsam, keineswegs mit nervös oder gestört geführter Hand auf ihn zu. Mit einem großen Schritt nach hinten, wich er zurück und starrte auf die sich jetzt öffnende Tür die einen Mann Mitte Zwanzig preis gab.
Die flackernde Kerze die er in der Hand hielt, beleuchtete seine zarten und jungenhafte Züge die sich durch seine ausgeprägte Wangenknochen verhärteten. In der Dunkelheit wirkten seine Augen riesig, zwei gigantische schwarze Pupillen aus denen Aiden beobachtet wurde. Wobei sich ein bösartiges Lächeln auf seinen Lippen kräuselte. Aiden erschauderte zwangsweise. Das Atmen war ihm ausgesetzt und sein ganzer Körper, mitsamt der pulsierenden Brust verkrampften sich, dass er sich nicht imstande sah sich zu bewegen. Vor ihm stand, er wusste es mit grausamer Sicherheit, der Mann der ihn Wochen zuvor, vor Steward Seymour gewarnt, wenn nicht sogar von ihm aus bedroht hatte.
Er wollte etwas sagen, doch die Stimme versagte ihm und so wartete er auf eine Gegenreaktion. Dass einzige was geschah, war ein gegenseitiges anstarrten.
« Geh lieber. », sagte der Fremde ohne jegliche Betonung, doch er konnte es nicht, seine Gedanken waren ebenso an diesen Platz befestigt wie seine Beine die sich keinen Zentimeter bewegten. Im nächsten Augenblick wollte auch er etwas sagen, aber der Fremde schnellte vor, sodass er selbst erschrocken die Augen schloss. Als nichts mit ihm geschah wand er noch gerade ebend rechtzeitig seinen Kopf, um ihn um die nächste Ecke laufen zu sehen, bevor sich der Gang durch mehrere Lichter erhellte und er ein Stimmengewirr vernahm.
Verdutzt wand er sich um und wartete, dass die Besitzer der Stimmen erscheinen würden. Es war unter anderem Sloan. Er hatte den einen Arm um Mr Davies, den anderen um Ina gelegt, die ihn aus besorgten Augen ansah, während der Fremde Mann mit dem bösartigen Lächeln, leise auf ihn einredete. Sie näherten sich langsam dem Studierzimmer vor dem er wartete, als Sloan ihn erkannte, lächelte er ihm unbeholfen zu. Ina und der ihm unbekannte Mann allerdings, verärgert wenn nicht sogar entsetzt über seine Anwesenheit, zu ihm starrten. Sie schleppten den verletzten Mann in das Zimmer und legten ihn nach Inas Anweisungen sachte auf den Boden. Jetzt da er unmittelbar vor ihm lag, erkannte er seine verdreckte, blutverschmierte Kleidung, doch das Blut schien schon mehrere Tage alt zu sein und er fragte sich wo er sich seid dieser anscheinend ernsteren Verletzung rum getrieben hatte. Das gleiche schien auch Ina zu interessieren die die Männer herumkommandierend in lautem Tonfall auf Sloan einredete und sich gestresst durch die Haare fuhr, während sie in einem Wortschwall Beschimpfungen von sich gab.
« Aiden, geht heißes Wasser und saubere Tücher holen. Schnell! », rief sie ihm zu ohne sich umzudrehen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er die ganze Zeit über da gestanden und ihnen zugesehen hatte. « Na macht schon. » Daraufhin rannte er los.
Als er etwa Fünfzehn Minuten später wieder kam, mit einem Kessel heißem Wasser und den gewünschten Tüchern, hatte sich die Situation weitgehend wieder beruhigt und Sloan lächelte schwach über Inas übertriebenes Verhalten.
« Beruhig dich wieder, du machst die Sache dramatischer als sie ist. », erklärte er, worauf sie keineswegs einging.
« Wer hat Ihnen diese Wunde versorgt? Und dazu vollkommen falsch? Wer? », verlangte sie zu wissen und starrte in die kleine Runde, als würde sich der Schuldige mit Sicherheit unter ihnen befinden. Da sich aber keiner für schuldig meldete, nahm sie Aiden das Wasser ab und wusch mithilfe der Tücher vorsichtig die Wunde aus, die nun, da Sloan sein Hemd ausgezogen hatte, entblößt und grausam zur schau gestellt wurde. Er war blass und zitterte, aber anscheinend war er nicht so schwer verletzt, dass es ihm das Sprechen oder Spotten versagte und so ließ er sich zwar von Ina behandeln, redete aber unterdessen mit den Anderen, als hätte er nur einen kleinen Kratzer.
Einer von ihnen war noch immer der Fremde, dem Aiden schon zuvor vor dem Juweliergeschäft begegnet war. Leider aus einem nicht sehr edlen Beweggrund heraus, so dass er ihn aus misstrauischen Augen heraus beobachtete. Sloan der diesen Blick als Interesse interpretierte, sah ihn nur zögernd an und blieb stumm.
« Ihr hättet früher kommen sollen. Eure Gesundheit ist viel wichtiger als irgendein stumpfsinniger weiß gott wie gefährlicher Auftrag. », tadelte Ina ihn und machte sich daran einen Verband anzulegen. Davies und der ihm unbekannte Mann wechselten einen viel sagenden Blick.
« Unmöglich. », sagte er und konnte einen gequälten Ausdruck nicht verbergen.
« O natürlich! Zwar könntet Ihr eine Infektion bekommen, Bewusstlos werden und mir unter den Fingern wegsterben, aber Ihnen wurde ja schon übler mitgespielt was soll’s also. »
Aiden der über diese Strafpredigt, die ihm selbst schon zuteil geworden war, innerlich wie äußerlich grinsen musste, wurde von einem strafendem Gegenblick Sloans unterbunden der ihn dazu ermahnte ja kein Wort zu verlieren. Er überlegte kurzerhand ob er nicht besser gehen sollte, entschied sich jedoch aufgrund des ihm Fremden anders und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um, die der kleine Raum scheinbar nicht für ihn bereithielt. Während er sich nochmals umsah bemerkte er den raschen Blicktausch zwischen Sloan und dem ihm unsympathischen Mann, tat aber so als hätte er anderweitige Überlegungen und überspielte das ganze mit einer grüblerischen Miene.
Zwar hatte er bisweilen seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt, doch der Hausherr schien dem Fremden zugenickt, oder auf andere Art seine Zustimmung vermittelt zu haben, da er überraschend das Wort ergriff.
« Wie konnte das passieren? », fragte er ausdruckslos und sprach damit aus was seid ihrer Ankunft im Raum und zwischen den eingeweihten Personen gelegen hatte.
« Bouchon. », antwortete er und wartete auf entsprechende Reaktionen die nur von dem Fragenden selbst kam, indem er ein keuchendes, halb entsetztes Geräusch von sich gab und die Antwort ungläubig wiederholte.
« Ina, willst du mich hier umbringen? »
« Zu gerne Herr und jetzt seid ruhig sonst mache ich den Verband noch enger. », schloss sie auf Sloans entsetzte Reaktion auf ihre ärztlichen Fähigkeiten und setzte sich nach einem Seufzen der von Anstrengung durchsetzt war nach hinten weg. Allerdings beachtete Aiden sie nicht mehr, wobei ihm nicht entging das Davies als stummer Betrachter der Szenerie geduldig und ausgeglichen blieb. Für ihn schienen das keine Neuigkeiten zu sein.
Er selbst blieb ebenso stumm und wartete bis Ina sich mit einer genuschelten Entschuldigung entfernte und die vier Männer alleine zurück blieben. Scharf ausamtend erhob sich Sloan mühsam und lehnte sich an seinen Schreibtisch. Die Runde daraufhin behutsam beäugend.
« Ich weiß nicht was wir jetzt tun sollen. », sagte er beängstigend ruhig und ließ die Worte ihre Wirkung zeigen. Aiden packte eine Gänsehaut.
« Es war dumm von mir, aber mein Stolz hat mich nicht anders handeln lassen. »
« Ihr Stolz ? Sean, wie lange besteht unsere Freundschaft schon? Wie oft habe ich mit ansehen müssen, wie du unüberlegt, geleitet von Eitel und Wut gehandelt hast? », sagte Davies und musste seine Stimme beherrschen.
« Es war dumm, natürlich, unüberlegt und unvorsichtig. Ich habe alles dafür riskiert, ihn noch einmal zu besiegen. »
« Sean, Sie wollen damit nicht andeuten ...? », warf der Fremde ein und wirkte fassungslos.
« Zwischen Bouchon und mir liegt ein Groll, der über Jahre besteht. Es hatte nichts mit den letzteren Ereignissen zu tun, dennoch.... » Er verstummte und lächelte zaghaft, der Schweiß lief ihm von der Stirn, doch er ließ ihn unbeachtet. « Das Schlimmste, habe ich euch noch nicht berichtet. Nachdem ich Bouchons unverfrorene Nachricht erwidert hatte und zu unserem Duell aufgebrochen war, hat mich das Gefühl, verfolgt zu werden nicht losgelassen. Ich wollte es mir nicht eingestehen – selbst nach einem Gespräch mit einem mir vertrauten Freund » Er blickte Aiden an und presste die Lippen unbewusst zusammen, « doch nachdem wir unsere Waffen aufeinander gerichtet hatten, glaubte ich, dass Gesicht einer Frau gesehen zu haben, ein Stückweit entfernt von Bouchon. Irritiert, habe ich daneben geschossen, wobei mich sein verdammter Schuss streifte. Als ich zu Boden ging...nun ja, ich hatte seine Wut verdient. »
« Wie haben Sie es zurück geschafft ? », fragte Davies und schenkte Sloan nun ein Glas bernsteinfarbene Flüssigkeit ein.
« Das Waldstückchen war nicht weit abgelegen von einer kleinen Pfründe. Genauer gesagt , von Mr Briggs neuem Wohnsitz. Ich schaffte es bis dorthin und ließ mir von ihm helfen. », erwiderte er und nahm das Glas in seine zittrigen Hände, wohl weniger vor Schmerz, als vor der nachträglichen Nervosität.
« Aber wer war die Frau ? », warf der Unbekannte, besorgt ein.
« Ich kann mich irren, doch liegt es nicht fern, dass es die lieblichen Züge von Ms Oval waren. »
Der Fremde machte ein wütendes Geräusch. Die unnatürliche Boshaftigkeit von zuvor legte sich erneut über sein Gesicht.
« Das Beste wäre Ihr bleibt für die nächste Zeit unscheinbar. Haltet Euch aus den Geschäften heraus und zieht Euch weitgehend zurück. Ich selbst wäre besser daran, sogleich zurück zu reisen. »
« Das kling vernünftig. Es ist kein Geheimnis wo sich mein Haus befindet, nur sollte nicht jedermann über meine Gäste informiert sein. » Sein Blick wanderte zu Aiden und zurück zu seinem Gesprächpartner. Dieser leckte sich über die Lippen und verharrte in einem nachdenklichem Schweigen, das Aiden nur allzu gern durchbrochen hätte. Aber er wusste das dies nicht der richtige Zeitpunkt dafür war, diesem Fremden irgendwelche Dinge an den Kopf zu werfen. Er konnte ja nicht einmal mit Sicherheit beweisen das er der Mann war der ihn gewarnt hatte, warum eigentlich? Sollte das ein hinterhältiger Trick gewesen sein um ihn dazu zu bringen sich Seymour zu ergeben? Oder wollte er ihn tatsächlich warnen, aus Mitleid oder Verständnis für seine Situation heraus? Jedenfalls war es ihm gelungen ihn ziemlich zu verwirren, worauf er in Gedanken diese schwarzen Augen feindselig betrachtete und sich für kurze Zeit dem Gespräch vollkommen entzog.
« Seymour würde es nicht wagen uns direkt anzugreifen, weder durch Worte noch durch Taten. Er würde es nicht fertig bringen sich jetzt dazu hinreißen zu lassen, die Güter an sich zu reißen. Selbst wenn er ein paar bestimmte Mittel an sich bringen könnte. » Sein Kopf wand sich erneut Aiden zu, dann dem Fremden. Davies tat es ihm nach.
« Was schlägst du also vor? », mischte sich mit provozierender Mimik Davies ein.
« Das ist eine berechtigte Frage. » Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und sog im nächsten Moment scharf die Luft ein, da ihn die instinktive Bewegung, Schmerzen bereitet hatte.
« Am besten reist du gleich zu Carter. Berichte ihm, das Seymour es wagt bis auf meine Besitztümer vorzudringen und bitte ihn so schnell wie möglich seine vorhandenen Männer zu rüsten und sie Lord George bereitzustellen. Wir dürfen in diesem ganzen Spiel nicht auf der falschen Seite stehen, jedenfalls nach außen hin. Sollte es zu einer erneuten Abstimmung, gegen Lord George kommen, haben wir keine Wahl als uns die Ländereien mit Gewalt zu holen. Hoffen wir das es nicht soweit kommt. »
« Hoffen wir es. », pflichtete der Fremde ihm nuschelnd bei, wogegen Aiden den Kopf schüttelte.
« Was hat Ihr unerlaubtes Duell mit den Ländereien meines Vaters zu tun? », verlangte er zu wissen und bemerkte das Sloan ihn kurzzeitig ganz vergessen hatte.
« Im Grunde nichts. Doch falls Ms Oval, tatsächlich an dem Ort war, können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass Seymour weiß wo du dich aufhältst. Wir müssen Abberts Creek, dessen Besitzanspruch noch immer ungeklärt ist, durch ein paar militärische Schachzüge so schnell wie nur irgend möglich erobern »
« Der Zeitpunkt ist ausschlaggebend. Seymour hat bisher keinerlei Rechtsansprüche oder nötige Druckmittel um die Ländereien zu beanspruchen, doch dies kann sich jeden Moment ändern. », schloss Davies und tippte mit seinen Fingern seiner rechten Hand nervös auf seinen Oberschenkel.
« Du solltest jetzt gehen. Dein Zustand lässt dir keinen so großen Spielraum, du weißt was Ina mit uns machen würde wenn du einen Rückfall erleidest. », hörte er den Fremden in einem gebieterischen Ton verkünden, worauf er diesen trotzig musterte.
« Und Ihr seid? », fragte er trocken, beinahe desinteressiert und als ob er ihn zum ersten Mal überhaupt bemerkt hätte.
« Er hat Recht, wir können morgen Einzelheiten besprechen, aber für dich wird sich nicht viel ändern. » Er sagte es leichthin, sodass er das Gefühl vermittelt bekam er wäre Nutzlos, ja fast schon eine Last, was ihn ungemein verärgerte. « Bis dahin muss dir mein Wort genügen. Mr Davies, Finn und ich werden dir mit Sicherheit nicht davon rennen. »
Mit einem seiner gleichgültigen, alles beendenden Lächeln schloss er die offene Veranstaltung und entließ ihn vorerst, worauf er nichts mehr zu sagen hatte. Wahrscheinlich auch nicht mehr konnte, da ihm im Augenblick da er das Zimmer verließ, die drohende Warnung besser nicht zu lauschen, welches in Sloans sich kräuselnden Lächeln verborgen hatte, noch vor sich sah. Nach ein paar Schritten schüttelte er unmissverständlich den Kopf, diskutierte noch in Gedanken mit sich selbst, als ihn ein schrecklicher Verdacht überfiel.

Zuerst wollte er zurück, wollte es wagen zu lauschen, doch eine innere Stimme verbat es ihm und so ging er, einen grausamen Schatten der aus Unbehagen und Verzweiflung genährt war im Nacken, zurück auf sein Zimmer.
Er hatte die letzten Tage in der Küche verbracht, sich von Ina pflegen lassen und zwischenzeitlich wieder damit angefangen seinen geschwächten Körper zu trainieren, sprich hatte Arbeiten verrichtet und seine Kondition verbessert. Meistens half es ihm. Er vergaß den noch immer leichten Schmerz und bekam Abwechslung wenn nicht sogar etwas das einem Ziel gleich kam das es zu erreichten galt. Doch wenn er all dem entkommen wollte, schlich er im Haus umher, vertraute auf sein Gehör und ließ sich selbst weder hören noch sehen. Jetzt war ein solcher Moment. Die Schlaflosigkeit von zuvor hatte sich keineswegs verzogen, sie hatte sich wenn nicht gar gesteigert und so lief er, bis ihn die Stimmen der anderen Männer aus seiner Trance entrissen, durch die Gänge des Hauses. Da er fürchtete aus einem Missverständnis heraus würden sie denken er hätte sie belauscht oder ihnen aufgelungert, ihr aller Vertrauen ausgenutzt und den eindeutigen Befehl Sloans missachtet, schreckte er unverzüglich auf.
Ihre Schritte rückten näher, worauf er sich ungeachtet, wo er sich tatsächlich befand in den nächst nahe gelegenen Garten warf und in das nächst beste Gebüsch hechtete.
Dort beobachtete er aus dunklen Augen und ihn umzingelnde, stechende Blättern heraus, wie sich ihre in der Nacht Körperlosen Silhouetten, die wie nichts als Schatten wirkten, bewegten und anschließend auch wieder verschwanden. Aiden atmete erleichtert auf und bemerkte wie sich der halbe, zunehmende Mond hinter seinen Rücken durch die dunkle Wolkendecke zwängte und seinen Rücken kaum merklich erhellte.
Dann vernahm er Schritte. Sofort machte er sich noch um ein Stück kleiner, versuchte aber dennoch etwas zu sehen und spürte, wie sich etwas in seiner Nähe immer wieder bewegte.
Schon vorher hatte er einen beißenden Geruch, vermischt mit Staub und Gras gerochen, der als er sich jetzt darauf konzentrierte intensiver und für ihn erklärbar wurde. Gleich hinter ihm befanden sich in der Dunkelheit verborgen die Ställe. Um ein lautloses Schleichen bemüht führte ihn sein neu eingeschlagener Weg darauf zu. Ein finsteres Gebäude, aus dem ihm Heu und Strohgerüche entgegenkamen. Noch einmal einen Blick über seine Schulter werfend, ging er zu der aus massiven Holz erbauten Tür. Sie war mit einem Riegel verschlossen. Er klappte diesen Hoch und öffnete sie mit einem leisen Knarren, welches ihm in der Stille der Nacht ungewöhnlich laut erschien.
Es war stockfinster. Bis sich seine Augen an die sich durchsetzende Schwärze gewöhnt hatten, vernahm er das leise Rascheln von Stroh. Köpfe wandten sich aus den Boxen, die links und rechts neben ihm her liefen und Hufe und unterbrochenes Wiehern war zu vernehmen.
Oberhalb erkannte er die Umrisse des Heuboden, auf dem er, wie er sich kurzfristig entschlossen, die Nacht verbringen wollte. Weit entfernt von den Geheimnishütenden Männern und seinen ihn nicht mehr loslassendem Verdacht. Mit einem Glücksgefühl, entfacht durch die ruhigen, zutraulichen Tiere, ging er zu dem erstbesten Pferd, eine, wie er mehr erriet als wusste, dunkelbraune Stute mit sanften Augen. Er tätschelte ihren Hals, flüsterte ihr etwas zu, als er plötzlich erstarrte. Die Pferde wurden unruhig und die Stute wand sich abrupt von ihm ab, dass er seine Hand zurückzog und er sich umzudrehen versuchte. Doch ein Fausthieb gegen seine Schulter ließ ihn ungemeint taumeln. Er wehrte sich nicht.
Es war nicht mehr als ein freundschaftlicher Knuff gewesen, doch wie es mit einem Phantomschmerz so üblich war spürte er die Stelle an der er getroffen wurde mehr als intensiv sodass er sie mit verzogener Miene rieb.
Eine Gestalt, die Haare voller Stroh und mit einem Geruch der Reisenden anhaftete, kam diese aus ihrem scheinbar improvisierten Versteck, in dem er geschlafen hatte und langte mit seinen Armen nach ihm aus. Da kein entweichen nach Hinten möglich war, er es auch gar nicht für nötig hielt, fuhr er mehr als überrascht auf, als ihn die Stute begierig nach etwas Fressbarem mit ihrer Nase an Hals und seiner linken Schulter beschnüffelte. Die Gestalt ging nun zu ihr, strich ihr friedvoll über das Fell und lächelte Aiden verstohlen an, wobei er Zähne zeigte. Sie waren makellos.
« Du wolltest doch nicht etwa einen Ausflug starten, Aiden? »
« Und du hältst dich im dunklen Stall versteckt, weil es dich so sehr an dein Zuhause erinnert, Adam? », fragte er dagegen und blickte zu der Stute die ihn tadelnd, fast schon mit der Frage was die beiden ungebetenen Gäste zu der späten Stunde hier trieben, anschaute und ihren Kopf dann zur Seite wand.
Aiden gab ihr vollkommen recht, sie beide hatten ihr nichts zu suchen und doch waren sie hier, hatte sie das Schicksal zusammen gebracht.
« Bist du schon lange in der Stadt? », fragte er jetzt und hoffte so weniger angenehmen Fragen vorerst zu entrinnen.
« Nicht sehr lange, jedenfalls ist mein Aufenthalt nicht mit deinem zu vergleichen. », sagte er belustigt über die Ausweichversuchte seines Bruders, fasste ihn aber an der Schulter und zog ihn zu sich um ihn kameradschaftlich zu umarmen.
« Du weißt, dass ich dich damals nicht zwingen wollte mit Sloan mit zu gehen. » Es war kein Vorwurf, doch tief in seinem Inneren spürt er erstmals so etwas wie Schuld und ein schlechtes Gewissen schädlich vor sich hinbrodeln.
« Ich weiß, aber ich musste von dort verschwinden. », entgegnete er, machte einen abwehrenden Schritt nach hinten und kratzte sich unbeholfen am Kopf. « Apropo, woher kommt dein plötzlicher Drang mich zu besuchen? »
« Ich wusste, dass du dich auf Dauer einsam fühlen würdest. Sloan ist ein schwieriger Mann. »
« Tatsächlich? Weshalb hast du mir das verschwiegen? » Er verschränkte Antwort verlangend die Arme. Adam schien lange Zeit nichts zu sagen, wog ein paar Möglichkeiten ab und lud ihn entgegen einer Antwort statt dessen ein, sich mit ihm auf einen Heuballen zu setzten. Ihm nur widerwillig folgend verweigerte er das Sitzen und blickte nur weiter vorwurfsvoll auf ihn hinunter.
« Ich hätte dich nicht bei mir aufnehmen können und da du einen Ortwechsel dringend nötig hattest...ich hielt es für eine gute Idee. » Er sagte es sehr ungezwungen, wodurch sich ihr zuvor eher angespanntes Verhältnis etwas lockerte und er setzte sich ächzend auf das Stroh.
« Umso mehr wundert es mich das du jetzt hier bist. »
« Nun ja, ich kann dir versichern, dass ich nicht gekommen bin um dich aus deinem jetzigen Umfeld heraus zu reißen, nicht dass du es nicht erwarten kannst, wie ich dir ansehen kann », fügte er tadelnd hinzu, « aber ich hatte vor, mich mit Sloan zu treffen. Als ich von seinem Duell erfuhr, bin ich sogleich aufgebrochen. Ich war schon seid längerer Zeit in London, deshalb diese Schnelligkeit und nun, als ich bemerkte, dass niemand mich empfangen würde, blieb ich hier. »
« Im Stall? »
« Wie man sieht schon. » Er lächelte und zuckte belustigt über die verquere Situation die Achseln. « Bleibt die Frage was du hier machst? »
« Ich? »
« Wenn alles seinen gewohnten Gang gehen würde, würdest du bequem im Haus schlafen. »
« Das würde ich auch. », antwortete er missbilligend und warf instinktiv einen Blick zurück.
« Ich störe mich lediglich, an Sloans Besuchern. Ich hatte keineswegs die Absicht, im Dunkeln davon zu reiten. »
« So will ich dies als die Wahrheit annehmen. Trotzdem hätte es nicht mehr lange gedauert, bis du diese Maßnahme als unausweichlich betrachtet hättest, nicht wahr ? »
Er sah seine Bruder an, es war schon immer so gewesen, das er der einzige Mensch gewesen war, der ihn lesen konnte. Aus seinem Gesicht, seiner Gestik, irgendetwas tat er in seiner Gegenwart falsch, was Adam dazu nutzte herauszufinden was er plante oder dachte.
« Also habe ich recht. Das ist kein schönes Leben, ständig herumzuirren, weit entfernt von Zuhause. Ich spreche da aus Erfahrung. »
« Dessen bin ich mir bewusst. Nur will ich nicht tatenlos herumsitzen, das ist nicht meine Art. Ich habe es ja wirklich versucht, nur… »
« Das war sie noch nie, das stimmt, aber was kannst du hier schon erreichen? Mehr als ein paar sinnlos vergeudete Wochen bekommst du hier nicht. »
« Wesshalb stimmst du mir zu ? », fragte er genervt. Er hatte schon längst bemerkt das sich das Gespräch zu ernsteren, tiefer liegenden Ursprüngen drängte.
« Vielleicht habe ich ja gelogen und ich habe tatsächlich vor, dich darum zu bitten mich zu begleiten. Was würdest du sagen wenn ich dich einfach dazu zwingen würde? Du weißt, dass du mir nicht entsagen könntest. »
« Als hättest du jemals zu solchen Mitteln greifen müssen. Wenn ich mich recht entsinne, warst immer du derjenige, dessen Verhalten Vater verärgert hat, indem du den ungehörigen Sohn gespielt hast. »
Daraufhin lachte er und Aiden stimmte mit ein, er setzte sich jetzt doch auf den Ballen und beobachtete im Stillen die Pferde die sie aus leuchtenden, gierigen Augen heraus ansahen.
« So war es, doch nach deiner Entführung, deinem angeblichen Tod, einer hektischen Suche und dutzenden von Angriffen, sieht die Sache leider ein wenig anders aus. »
« Mag sein. Das alles kommt mir jetzt so oder so unendlich lange her vor. »
« Es ist auch lange her, nur irgendwann ist auch genug. Es wird ernst und wir können deine Unterstützung nur allzu gut gebrauchen. »
« Ich weiß, nur- »
« Nur was? », unterbrach er und ein Hauch von Wut regte sich in seiner Stimme. « Was hat sich in dir verändert seid du auf Seymour getroffen bist ? Zuvor war uns deine Loyalität sicher. Du hast Befehle befolgt und deine Leute nicht im Stich gelassen, was also hat sich verändert? »
Es lag ihm auf der Zunge. Bitter und Unheil verkündend strömte es durch seine Gedankengänge, diese eine Sache, diese eine Person, die der Grund zu all dem war, obwohl er es selbst nicht verstand. Dem Anschein nach bemerkte Adam seinen Konflikt, in dem er darum kämpfte ihm den Grund zu nennen und wiederum nicht und schob fragend seine Augenbrauen nach oben.
« Du hast das Recht mir Befehle zu erteilen, als Bruder, als Landsmann, als Kamerad, du hast auch das Recht mich zu unterweisen, mir einen Rat zu erteilen und deine Meinung zu all dem zuzugeben, aber ich will keine Vorwürfe von dir hören. Weder von dir noch von Vater, dieses Recht habt ihr euch selbst zerstört, nach Vierzehn Jahren des Stillschweigens, habt ihr es verbürgt. »
« Dann sage ich dir jetzt als Bruder meine Meinung und meinen Rat : komm mit mir. Wenn es einen aufrichtigen Grund gibt mich nicht zu unterstützen, dein Land, das seid deiner Geburt dir gehört nicht zurückzufordern und als Sohn deines Vaters zurückzukehren, dann nenn ihn mir und ich werde mich damit abfinden. »
Beklommenes Schweigen breitete sich aus. Aiden wusste es gab diesen Grund nicht, das einzige das ihn davor zurückschrecken ließ, war seine eigene Angst, seine Zweifel und ein Hass auf Vierzehn Jahre in denen er glaubte allein, von der Welt verachtet worden zu sein. Der Überfall auf das Anwesen von dem er Miss Elisabeth so detailliert erzählt hatte, das plötzliche Erscheinen seines leiblichen Vaters, der Ansprüche auf ihn erhoben hatte und die so drastische Wende in seinem Leben hatten ihn geprägt, doch genauso hatte ihn die Zeit mit Helen geprägt, die er nicht vergessen konnte. Was genau er jetzt wollte, wusste er nicht. Seine Pflichten, wie sollte er sie empfinden? Wie mit ihnen umgehen? Wie sein weiteres Leben führen? Als Sohn eines Kriegsherren an dessen Seite treten? Sich in die verworrenen Zweige der Organisation miteinbringen, wie Sloan es getan hatte? Oder ein geteiltes Leben führen, zu dem sich Adam verpflichtet hatte?
« Nach der Entführung. » Er schluckte, er hatte mit keinem außer Helen über diesen Zwischenfall geredet. « Irrte ich herum. Eine Zeit lang dachte ich wirklich ich würde...ich würde sterben, doch es kam anders, wie du natürlich siehst. Später habe ich viel unternommen um nach Derbyshire zu kommen. Ich bin Seymour ein zweites Mal begegnet und... » Er stockte und die Worte die er aussprechen wollte, verschwammen in einem undeutlichen Durcheinander, sodass er sich selbst stoppte.
« Ich habe wirklich alles unternommen meinen Auftrag nicht zu vernachlässigen, um anschließend Derby zu erreichen, zu dir oder jemanden aus der Organisation zu gelangen. », sagte er nach einer Weile und war froh darüber das Adam ihn nicht unterbrach. « Aber dort angekommen, wusste ich, dass ich nicht bleiben konnte...nicht nachdem... »
« Ich glaube ich verstehe es und es tut mir leid wenn du den Eindruck hattest ich würde an deiner Loyalität zweifeln. Es ist nur so, das du mein Bruder bist, und dazu viel zu unvorsichtig, Seymour, er hätte… » Er lächelte ihm aufmunternd zu, stand auf und hielt ihm die Hand entgegen.
« Reise mit mir nach Newport. Ich habe dort ein paar geschäftliche Abwicklungen zu kontrollieren und nebenbei noch eine Angelegenheit bezüglich der Organisation zu regeln. Vater ist noch immer in Edinburgh und ich versichere dir, solange du nicht in die Sache mit Seymour und ihm einbezogen werden möchtest, werde ich es zu verhindern wissen. Doch du weißt, dass du hier nicht mehr bleiben kannst. Ich sehe dir an, wie sehr du dich mit Sloans ungewöhnlicher Art quälst, außerdem ist er ein Mann voller Geheimnisse und ich, der dich besser kennt, als sonst jemand, weiß wie sehr du Geheimnisse verachtest. »
Aiden zögerte, sah Adam ernst an, überlegte aber nicht weiter, sondern nahm die Hand seines Bruders, drückt sie fest und entschlossen und stand auf. Angesicht zu Angesicht lächelten sie sich brüderlich zu.
« Ich hatte nichts anderes von dir erwartet. », sagte Adam selbstgefällig.
« Du bist die einzige Person der ich aufrichtig vertraue. Ich kann nicht anders, als dir folgen und das hast du von Anfang an gewusst. »
« In der Tat, gut kombiniert. » Jetzt da die Sorge um seinen Bruder durch eine einfache Lösung bedeutungslos geworden war, wand er sich praktischeren Dingen zu und gähnte ausgiebig, worauf ihm die Augen tränten. Aiden tat es ihm nach, verzog seine Miene und spürte wie sich sein Körper unter seiner eigenen Last überfordert fühlte. Seine Muskeln zitterten, er roch seinen eigenen Schweiß und seine Augen brannten in der stickigen Luft des Stalls. Allen in allem hätte er wahrscheinlicher jeden von Adams Vorschlägen angenommen, denn so hastig wie ihn die plötzliche Erschöpfung eingeholt hatte, hätte er bei jeder törichten Idee bedingungslos kapituliert.
Er wollte sich zurücklehnen, sich irgendwo hinlegen oder zumindest die Augen schließen können, doch das Bedürfnis weiter mit Adam zu reden hielt ihn wach. Zumindest entwickelte sich seine Müdigkeit in ein hyperaktiven Impuls der ihn, als er die sich nähernden Geräusche vernahm blitzartig reagieren ließ.
« Es kommt jemand. », zischte Aiden. Seid er seinen Bruder gefunden hatte, oder eher er ihn, waren eventuell eine Stunde, höchstens zwei vergangen und erst jetzt kamen ihm die zuvor durchleben Ereignisse wieder in den Sinn.
Gewarnt durch die Schärfe in seiner Stimme schlich Adam bis an die noch angelehnte Stalltür und drückte sich lautlos gegen die kalte Steinmauer, um hinaus spähen zu können. Aiden tat es ihm nach, wobei er den Ernst der Lage in Sekundenschnelle in Form eines Kribbeln auf seinem gesamten Körper spürte. Es war der Fremde von zuvor, Finn wie ihn Sloan genannt hatte, der heftig diskutierend ein Stück weit vor der Tür stehen blieb. Die Pferde schreckten kurz auf, stießen Geräusche aus und auch Adam wollte etwas sagen, wurde aber durch seinen fordernden Blick zum Stillschweigen gezwungen. Die Tatsachen waren so klar definier, dass er überhaupt nicht anders konnte, als fest an seinen bereits zuvor empfundenen Verdacht zu glauben und sich an ihn zu klammern. Aidens Herz fing an zu rasen und er spürte einen Stich von Adrenalin durch seine noch bislang müden Adern fließen, die ihn warnten und gleichzeitig drängten etwas zu unternehmen. Es war als würde er jedes Detail, jeden Strohhalm, jedes Grasbüschel, jede sich noch im kleinsten Lichtfleck unterscheidende Wolke erkennen und ebenso sein Gesicht, die scharfen Züge, die dunklen Augen, das böse Lächeln. Er konnte nicht anders und erschauderte unwirkürlich.
Sich in Sicherheit wiegend hatte er vor diesen Mann umzubringen. Er hatte nie zuvor jemanden getötet, nicht absichtlich und war jetzt da ihn dieses Gefühl umgarte sich nicht ganz schlüssig wie er handeln sollte. Die Tatsachen das Finn ihn vor Seymour gewarnt oder gedroht hatte, seine merkwürdige, ja fast böse Art, sein Alter, sogar sein Name, alles passte auf die Person die Helen ihn als den angeblichen Mörder ihrer Familie beschrieben hatte. Als ihren Verlobten. Seinen Rivalen. Den Mann der ihr ganzes Leben in ein Chaos gestürzt hatte und sie von fort an ohne Frieden für sich Leben musste. Dieser Gedanke machte ihn rasend vor Zorn und er wollte hinausstürzen, als ihm zum ersten mal bewusst wurde mit wem Finn da eigentlich redete. Die Worte drangen honigsüß an sein Ohr.
« Bitte, Finn, was soll ich tun? », fragte Ina und er hörte ein wehmütiges Flehen aus ihrer Stimme heraus.
« Du sollst mich in Ruhe lassen, lass mich gehen und vergiss mich. »
« Das kann ich nicht, Finn, bitte...ich... »
« Nichts wirst du, ich werde das nicht mehr tun. Mein Körper, meine Seele sie gehören jemand anderem, ich kann sie dir nicht mehr überlassen. » Er sagte es hart und mit einer unnatürlichen Brutalität.
« Lass mich nicht allein, ich verstehe es einfach nicht. Zuvor dachte ich...das wir beide...du warst so einsam, hattest diese Traurigkeit in den Augen und... »
« Hör auf damit. », schrie er beinahe, ihre Worte schienen ihn hart zu treffen. Aiden genoss es. Er sah wie Ina sich auf ihn zu bewegte und seine Hände fasste, die sich jetzt um seinen Kopf geschlossen hatten, vor Schmerz oder Verwirrung wusste er nicht.
Er schien eine Weile mit sich selbst zu reden, hatte die Augen geschlossen und öffnete sie abrupt.
« Ich Liebe sie mehr als meine Seele es zulässt, hörst du. Es zerreißt mich beinahe, ständig sehe ich sie vor mir und begehre sie mehr, ich kann nicht anders. »
« Hör auf, hör auf, verdammt. », schrie ihm Ina entgegen und versuchte ihn zu schütteln, doch er hatte selbst die Kontrolle über sich verloren, packte ihre Handgelenke und stieß sie unsanft von sich, so dass sie aufstöhnend zu Boden ging. Als er sah was er angerichtet hatte, wollte er zu ihr, doch er blieb mitten in der Bewegung stehen. Sah auf seine zitternden Hände und blickte im nächsten Moment zu dem sich auf ihn stürzenden Mann.
Für Aiden war es zu viel gewesen. Die auf dem Boden kauernde Ina vor Augen hatte er die Tür mit seiner Schulter aufgerammt, war hinausgestürmt und sprang nun, wutentbrannt auf Ferguson.
Seine Faust traf auf einen harten Knochen, er spürte die Erschütterung, hieb aber ungeachtet auf den Schmerz weiter auf Finn ein, der vollkommen überrumpelt zunächst nicht wusste wie ihm geschah. Bereits Blut schmeckend, hatte er die Gefahr zu spät erkannt…

28. Teestunde

Aiden roch das Gras, die herbstlich-stürmische Luft und die nasse Erde, als er prompt auf den Boden geworfen wurde und regungslos auf dem Rücken liegen blieb. Sein Blick war entsetzt und stur auf den Himmel gerichtet und seine Hand grub sich vor Schock und Schmerz in den Rasen. In seinem Mund breitete sich ein metallisch, süßer Geschmack aus, worauf er sich aufsetzte und Adams warnendem Blick begegnete, der verärgert und gleichzeitig mit einer ironisch gehobenen Augenbraue vor ihm stand, um weiteres Angreifen zu unterbinden.
Mit einem zynischen Lächeln stand er zitternd auf, wischte sich den Dreck von den Kleidern und traf auf Adams entgleistes Gesicht, der dem Anschein nach, dass seine ausführlich beobachtet hatte.
Wäre sein Bruder nicht, Sekunden nachdem er Finn Schmerzen zugefügt hatte, gekommen und hätte ihn, sich wehrend und schreiend von ihm gezogen, wer weiß wie dieses Desaster ausgegangen wäre. Doch jetzt, mit versiegtem Adrenalin, regelmäßigem Herzklopfen und Muskelkaterähnlichen Schmerzen am gesamten Körper, konnte er sich gerade ebend noch halten und kehrte die ihn ungläubig anstarrenden Menschen um ihn herum den Rücken zu. Schweigen trat anstelle von heftigen, wütenden Wortfetzen und Knochentreffenden Schlägen und er spürte, wie ihm Adam die Hand auf die Schulter legte.
Sie beide gingen wortlos zurück in die Pferdestelle, worauf er bei geschlossener Tür, zornig und enttäuscht gegen einen Heuballen trat, bis sein Gefühlsrausch abrupt der Müdigkeit wich.
Das Pferd von zuvor sah ihn tadelnd an, doch er funkelte zurück und behauptete sich gegen die Stute, die er mit ein paar unschönen Worten aufgrund ihres Blickes beschimpfte.
« Jetzt ist aber gut. Setzt dich da hin und halt den Mund. », befahl ihm Adam der ihn kompromisslos scheuchte und keine Widerworte dudelte.
Er tat wie ihm geheißen. Ließ sich kraftlos in das umherliegend Stroh fallen und schloss entnervt die Augen. Die Fäuste taten ihm noch immer weh, er rieb sie und wünschte in Gedanken Finn eine Menge übler Dinge an dem Kopf.
« Was sollte das grad ebend? », vernahm er Adams Stimme, aber anstatt ihm auch nur einen Blick zuzuwerfen, drehte er sich auf die Seite, winkelte seine Beine an und schlief mit beachtlicher Verachtung auf die Welt ein.

Als er am folgenden Tag erwachte, war die noch zuvor verachtete Welt in reines Gold getaucht und er musste mehrmals seine Augen schließen und wieder öffnen, um sich überhaupt klar zu machen, wo er sich befand. Nämlich eingehüllt und über und über mit Stroh das ihn durch die sowieso herbstlich-goldene Sonne neckisch blendete. Staubige Partikel folgen wirr durch die Luft, schlugen Purzelbäume und überall um ihn herum herrschte eine stickige, doch gemütliche Atmosphäre, die von gelegentlichen neugierigen Blicken und Geräuschen der Pferde vollendet wurde.
Sich das Stroh aus Kleidung und Haaren ziehend richtete er sich auf und sah zuallererst Inas von Sarkasmus geprägtes Gesicht. Was ihr wohl gerade durch den Kopf schoss? Sie so betrachtend fiel ihm die heikle Situation der letzten Nacht wieder ein und er wand beschämt den Kopf zu einer anderen Seite, sodass sie nur sein Profil, beleuchtet, als hätte er einen goldenen Schimmer, um sich herum, sah.
« Eure Aktion vom gestrigen Abend, war überflüssig. », sagte sie schließlich und drehte sich ein Stückweit, um ihm ein Tablett mit einer Kanne, die verdächtig nach Tee roch, und frischen Brot, sowie Butter zu reichen. Da er es aber nicht annahm, sondern seinen Blick nicht von den Boxen der Pferde abwandt stellte sie es mit einem grimmigen Pfeifen, klirrend ab.
« Diese « Aktion » hatte nichts mit dir zu tun. », meinte er nüchtern und bemerkte das die Stute von zuvor verschwunden war.
« Wenn das so ist. »
Er blieb noch ein paar Sekunden steif sitzen, streckte sich dann und goss sich, Inas Anwesenheit bis aufs weitere ignorierend, Tee ein und nahm sich ein Stück Brot das er wortlos kaute. Schon beim Reden hatte seine Lippe gebrannt, jetzt da er etwas aß, schmerzte sie ungemein und er strich sich unsicher mit dem Zeigefinger darüber. Außer einem kleinen Riss konnte er nichts spüren. Dies musste Gestern geschehen sein, als er sich vor Zorn auf Finn gestürzt hatte. Während er sich die Lippe betastete, begegnete er Inas Blick. Sie blieben beide Stumm, doch er fragte sich woher sie ständig wusste, wann sie auftauchen musste und wann nicht. Das sie es schaffte genau bei ihm zu sein wenn er aufwachte.
Nebenbei fiel ihm auf das von Adam keine Spur zu sehen war. Er wollte das Dienstmädchen fragen, doch sie kam ihm mit ausdrucksloser Stimme vor.
« Ich soll Euch ausrichten, dass Eurer Bruder und Mr Sloan Euch nach Eurem Frühstück im Haus erwarten. »
Mit einem Nicken bestätigte er ihre Aussage, wand sich ganz seinem Brot zu, welches er jetzt mit Butter bestrich und genoss es von der Sonne den Rücken gewärmt zu bekommen, als ihm etwas entscheidendes in den Sinn kam.
« Du bist mit Ferguson vertraut. »
« Diese Angelegenheit tut hier nichts zu Sache. », erwiderte sie ungerührt, wand sich aber leicht von ihm ab um ihr Gesicht zu verbergen. Allerdings ließ er sich nicht beirren und fuhr gelassen fort.
« Für ein Dienstmädchen, nimmst du dir viel zu viel heraus, du solltst nicht so frech sein. »
« Ich bin in Mr Sloans Diensten und helfe in der Küche aus, aber desswegen bin ich noch lange kein einfaches Dienstmädchen. Aber das kann Euch egal sein. »
« Nach allem was ich mitbekommen habe, ist Ferguson sehr gut mit Sloan bekannt. Also nehme ich mal an er ist öfters zu Gast in diesem Haus. », sagte er ohne ihre Worte weiter zu beachsten.Sie nickte, konnte ihm aber nicht direkt ausweichen.
« Ihr habt eine Affäre », sagte er sachlich und sie Ohrfeigte ihn.
« Das ist lange vorbei und wenn Ihr es wagen solltet, ein Wort- »
« Was dann? », fragte er provokant, als sie mitten im Satz stoppte. Seine und ihre Stellungen waren trotz ihrer aufmüpfigen und sarkastischen Art klar definiert. Sie hatte sich klar unterzuordnen, sei sie nun ein Dienstmädchen oder nicht.
« Es tut mir leid, Mr Black. » Er schluckte den letzten Bissen herunter und spülte seine Tee hinterher. Ein Fehler da er schmerzhaft in seinem Hals brannte. Er erhob sich ebenfalls, dass er Ina plötzlich um gut einen Kopf überragte.
« Ich will lediglich wissen, woher er kommt, was er hier tut und von wem er sich so dermaßen angezogen fühlt das er sich so wie gestern in deiner Anwesenheit verhalten hat? Danach können wir dein Verhalten vergessen. »
Ihre Reaktion folgte sogleich, ein Zögern, ein zweites, dann ein entsetzter Gesichtsausdruck, dann ein eher beleidigter, doch schließlich schien sie sich ihm fügen zu wollen.
« Ich weiß nicht woher er stammt. Ich kann Ihnen nur das sagen was ich zwischendurch mitbekommen habe und zwar war er bis vor kurzem Mr Sloans Partner in dieser Organisation, allerdings habe ich keine Ahnung warum sich das geändert hat. »
« Hast du einen Verdacht? »
Sie nickte und sprach weiter: « Ja, ich habe die Vermutung er spielt eine Doppelrolle. Zwar ist er auf unserer Seite, doch agiert er in Mr Sloans Auftrag auch mit anderen Parteien. Ich weiß nur nicht welche das sein könnten. Wahrscheinlich war die Gefahr aufzufliegen zu groß... »
Aiden hatte diesbezüglich eine schwerwiegende Idee, behielt diese aber lieber erstmal für sich.
« Und diese Frau...er hat mir zum ersten Mal von ihr erzählt....ich wollte es nicht glauben das es jemanden gibt den er aufrichtig liebt...er.... » Dann verstummte sie abrupt, sammelte die Reste von Aidens Frühstück ein und ging so hastig davon, als hätte er ihr sonst was angetan, doch er ließ sie vorerst in Ruhe von dannen ziehen.
Wenigstens wusste er jetzt ein bisschen mehr, auch wenn es nur Bröckchen waren. Sie bestätigten seine Vermutung das dieser Finn im Auftrag von Steward Seymour handelte. Da er nach Inas Ansicht, aber eigentlich für die Organisation und Sloan arbeitet, war seine Warnung oder wie er es bezeichnen sollte, aufrichtig gewesen. Ohne Absichten, wie einen Hinterhalt. Trotzdem, aus einem Grund den er nicht kannte, hasste er diesen Kerl. Sei es schon aus der fixen Idee heraus er könnte der Mann sein, den Helen ihren Verlobten nannte. Was sollte er tun ?

Nach einer Weile ging er hinaus. Es war wahrhaftig ein sonniger, klarer Tag, der durch kühle Herbstluft und rote, orangene sowie gelbliche Farben gekennzeichnet war. Er lehnte sich an die angrenzende Koppel, an der er bisweilen nur einmal kurz mit Elisabeth spazieren gewesen war und beobachtete die dort grasenden und trabenden Pferde. Bis es ihm müde wurde und er sich lieber mit seinen eigenen Gedanken befasste.
Apropo Elisabeth, er hatte sie seit Tagen nicht gesehen, hatte sich nicht einmal nach ihrem Zustand erkundigt und fühlte plötzlich ein schlechtes Gewissen in sich wachsen. Die Arme über das Gatter legend und den Kopf darauf bettend, überlegte er sich was jetzt zu tun war. Natürlich würde er mit Adam gehen, doch was dann? Zwar hatte sein Bruder recht damit, das er die Pflicht hatte sein Land einzufordern, nur wie genau er das anstellen solle war leider nicht ganz so offensichtlich. Zudem war da die Angelegenheit mit Finn Ferguson. Sollte er der Mann sein, für den er ihn hielt, sah er sich gezwungen nach Helen zu suchen. Er grübelte eine Zeitlang darüber nach, als er nebenbei bemerkte, wie sich eine Person neben ihn gesellte.
« Hat dieses Dienstmdächen dir nicht ausgerichtet, dass ich dich sehen will? », fragte Adam, ohne ihn anzusehen.
« Sie ist kein Dienstmädchen. », sagte er geistesabwesend, fügte aber noch hinzu : « Doch das hat sie. Entschuldige ich habe es irgendwie...vergessen. »
« Dir scheint in letzter Zeit viel durch den Kopf zu gehen.», spekulierte er und lehnte sich entgegen Aiden mit dem Rücken an die Umzäunung.
« Das ist wahr. Doch mir wird langsam vieles klarer. »
« Willst du mir dann auch erzählen, weshalb du solch hasserfüllte Empfindungen gegenüber Mr Ferguson hegst ? Seine Unverfrorenheiten gegenüber dem Mädchen, werden dich nicht dazu veranlasst haben, ihn gestern so hinterrücks anzugreifen. »
Beschämt wich er seinem Blick aus und tat als würde ihm eines der Pferde besonders interessieren.
« Schöne Tiere, nicht wahr? », fragte Adam absurder weise ohne hinzuschauen und blickte ihn stattdessen fordernd an. « Sean hatte schon immer ein glückliches Händchen in der Zucht. ».
« Ja. », sagte er und zuckte mit den Schultern, fühlte dabei aber den Drang Adam alles erzählen zu müssen, ausnahmslos, um endlich diesen Teils seines verwirrenden Lebens mit jemanden zu teilen. Und so sprach er sich aus. Stück für Stück und vertraute sich seinem Bruder haltlos an.
Als sein Mund sich schloss, sein Kopf einen leeren, hohlen Raum hinterließ und ihm die Stimme versagte, hatten sie sich schon in das Gras gesetzt. Adam mit einem Halm im Mund und Aiden die Beine lässig von sich gestreckt, hockten sie da und nahmen die plötzliche Stille in sich auf, wie ein seltenes Relikt.
« Langsam verstehe ich deine Beweggründe. Vor allem aber weshalb du nicht in Derby bleiben konntest.“
« Wirklich ? »
« Aye, das tue ich. Vielleicht ist es dir selbst nicht bewusst, aber ich denke andernfalls wärst du auf kurz oder lang der jungen Dame gefolgt oder hättest sie gar aufgehalten. Verliebte glauben, dass sie jedes Hindernis überwinden können. »
« Zwar will ich mir nicht eingestehen verliebt zu sein, doch hast du mit deiner Schlussfolgerung recht. », stimmte er ihm zu und verlagerte sein Gewicht von einem auf den anderen Muskel. « Aber es ist ebenso zutreffend, dass du dich in letzter Zeit sehr viel mit Mr MacKenzie rumgetrieben hast « Aye ». », verhöhnte er ihn, worauf beide lachten.
« Da hast du verdammt recht. », gab er zurück und kaute auf seinem Grashalm herum, wobei die Fragerunde noch nicht zu Ende war, im Gegenteil, sie hatte gerade erst begonnen.
« Deine Vermutung, bezüglich Finn -»
« Ja? » Gebannt auf seine Worte setzte sich Aiden gerade auf.
« Ich kenne ihn jetzt schon mehrere Jahre. Zugegeben du hast recht mit deiner Vermutung. Er treibt ein doppeltes Spiel und ja er hat, sagen wir mal eine dunkle Art an sich, aber ich kann mir nicht vorstellen dass er, wie du scheinbar glaubst, am Mord der Kincaids beteiligt war. Ebenso bezweifle ich, dass – so wie du es auslegst – er Seymour die Treue hält. »
« Warum nicht? »
Es wurde kurz ruhig und nur die gedämpften Geräusche der grasenden Pferde und der Insekten die in Aiden Ohren summten waren zu vernehmen. Ein Vogelpaar, es waren Amseln, pfiffen vor sich hin und ein Keilförmiger Schwarm schwarzer Vögel flog über ihre Köpfe hinweg.
« Miss Kincaid hat dir nicht die ganze Wahrheit erzählt. »
« Wie meinst du das? » Eine Welle der Nervosität überfiel ihn, er wollte nicht an Helens Worten zweifeln, fühlte sich aber irgendwie an ihre listige Art erinnert, der ihn glauben ließ, dass Adam wohl recht hatte.
« Zum einen bezweifle ich das Finn ihr Anwesen überhaupt je betreten hat. Sein – damals noch lebender – Vater, hätte die Kincaids als gesellschaftlich unzulänglich betrachtet. Eine Verlobung wäre ihm nie in den Sinn gekommen. So kann es auf jeden Fall keine offizielle geben. Außerdem was hätte er von einem Mord haben können ? Es hätte ihm nichts, außer einer grausigen Erinnerung bescherte, sollte er überhaupt unentdeckt fliehen können. Deshalb kann ich nur dazu tendieren, dass etwas an der Auslegung der Miss Kincaid falsch ist. »
« Nein. », zischte er und spannte sich an.
« Oh doch. Mehr sogar noch, ich war selbst nicht dabei und kann dir nichts über Finns Vergangenheit sagen, da ich sie nicht kenne, doch ich weiß das die Kincaids einst hinterhältig von Finns Familie reingelegt wurde. Nach einer langen Fehde, war es beschlossene Sache das die Güter auf Kincaids ridge, in die Hände der Hendersons übergehen sollten. Somit schließlich in Finns. Es war die Rede von Drohungen und Erpressungen, die endgültig aufgedeckt wurden und der Besitzanspruch zurück an die Kincaids fiel. Finn hätte, nach dieser Schmach, die sein Vater noch miterlebte, niemals auch nur einen Fuß auf diesen Boden gesetzt. »
« Doch wäre dies ein vorbildliches Motiv gewesen. », setzte Aiden fort, ein unschönes Bild vor Augen. « Ja, das mag stimmen, doch es ergibt für mich keinen Sinn, Finn hätte niemals so gehandelt. »

Mit der angeblichen Tatsache konfrontiert, Helens Verlobung war ein einzige Fassade, ein Grundstein aus Lügen, waren sie zurück in das Haus gegangen, wo sie ein etwas zu kooperativer Sloan empfing.
« Da seid ihr ja. », sagte er und bot Adam und ihm an, sich zu setzten. Da Aiden noch immer erschöpft war nahm er dieses Angebot dankend an, nicht sonderlich gespannt auf das was ihn erwarten sollte.
« Wir werden noch Morgen, per Pferd, die Reise nach Newport antreten. Wenn wir die Stadt noch rechtzeitig erreichen wollen, ist das die einzige Möglichkeit. Die Schiffe werden in Fünfzehn Tagen einlaufen, meinen anderen Auftrag kann ich unterwegs erledigen. »
« Ein guter Plan. Es wäre einfach zu riskant noch länger hier zu bleiben. », stimmte Sloan Adams Aussage zu und nickte mehrmals mit seinem Kopf. « Du hast dich also entschieden, ja ? »
Die Frage war eindeutig an Aiden gewandt, der vorsichtig lächelte, aber schon kurz darauf bejahte.
« Ich werde ihn im Auge behalten. », meinte Adam und gab ihm einen Klaps auf die Schulter. « Wir werden Seymours Gefolgsleuten wenn möglich aus dem Weg gehen. Zwar wird uns das einigen Aufwand und viele Umwege kosten, doch was bleibt uns schon für eine Wahl? In Newport werden wir dann weiter sehen. »
« Ich stimmte dir zu. Auf halben Weg wird höchst wahrscheinlich Mr Davies zu euch stoßen, er hat ein großes Anwesen in Newport und einige Dinge – er ist Advokat – zu regeln. Doch falls du es vorziehst könnt ihr euch bei Mr Teddy Carters Familie versteckt halten, er hat dort einige Verwandte. Da du ihn ja sowieso treffen wirst, kannst du diese Angelegenheit gleich mit ihm klären. »
« Was ist mit Finn ? » warf Aiden drohend ein und warf Sloan einen misstrauischen Blick zu, der prompt erwidert wurde.
« Mr Ferguson, ist von großer Wichtigkeit, insbesondere was deine Zukunft anbelangt. » Wie schon vermutet, hatte Adam ihm wohl einiges über die vergangene Nacht erzählt. « Er ist ein Henderson, ein potenzieller Anwärter für Abberts Creek ich will nicht das du dich über ihn hinaussetzt und ihn unbegründet... » Weiter kam er nicht. Aiden war ruckartig aufgestanden, die Fäuste drohend Sloan entgegengestreckt, taub für Adams mildernde Worte.
« Ferguson. » presste er hervor. « Wo hält er sich auf ? »
« Er ist abgereist. » , entgegnete Adam und ging jetzt zu ihm. « Er ist längst fort, wenn du noch immer Bedenken wegen ihm hast, dann frag uns jetzt, aber lass diese verdammten Ausbrüche. » Wütend packte er ihn, zwang ihn sich wieder zu setzten und schüttelte ihn leicht, dann warf er Sloan einen fragenden Blick zu, der darauf aufstand und ein Stück Papier und einen Stift mit nahm und ersteres auf seinen Schreibtisch ausbreitete.
« Wenn wir das geklärt haben, lässt du das sein. Wir können uns dein stures Verhalten nicht leisten. »
« Soll dieser Mistkerl von Seymour doch kommen, ich werde ihm ordentlichen die- »
« Nichts wirst du. », befahl Adam hart. « Du hast uns bzw. mir die Treue geschworen, erinnerst du dich? Solange du also in unserem Land und unter meinem Befehl reist... »
Er erinnerte sich mehr als genau. Es war kurz nach dem Überfall auf sein damaliges Zuhause gewesen. Nach Tagelangem Ritt mit seinem Vater, Adam und dessen Männern, hatte er unter mindestens zwanzig Zeugen und Vierzig paar Augen, diesen beiden die Treue geschworen.
« Schau her. » Sloan fuhr mit seinem Federkiel vorsichtig über das weiße Blatt. Er malte einen interessanten Stammbaum. Zuerst erschien der Name seiner Eltern, schließlich die Eltern seiner Mutter und deren Geschwister.
« Wie du siehst, war die Schwester deiner Mutter, geboren Eleanor Black, mit einem Mr Henderson verheiratet. Während dieser Ehe kamen zwei Kinder, mit beträchtlichem Zeitunterschied, zur Welt. Das ältere Kind, ein hübsches Mädchen, sollte später einmal Miss Elisabeth Mutter werden – du kennst ihr Schicksal. Das jüngere Kind, allerdings war ein Junge, Aaron Henderson, der sich jetzt Finn Ferguson nennt. »
« Dann ist er Miss Elisabeths Onkel, und mein….Großcousin ? » Der Schreck war ihm anzusehen, doch Sloan ignorierte dies.
« Finns Schwester war schon lange verheiratet, als seine Eltern starben. Er war noch recht jung und benötigte eine geeignete Erziehung, so wurde entschieden ihn in die Hände von Mr und Ms Oval zu geben, bis er Volljährig sein würde. Dort in noch jungendlichem Alter machte er erste Bekanntschaft mit Seymour. »
« Nun gut, er hätte also Anspruch auf Abberts Creek, da er neben mir der einzige männliche noch lebende Familienangehörige ist. »
« Das trifft es genau. Du weißt, dass Seymours Attentat auf dich kein Zufall war ? »
Er nickte und hörte stumm zu, unfähig zu sprechen oder gar logisch zu denken.
« Er wollte Lord George erpressen, damit er sein Interesse an Abberts Creek öffentlich absagte und keine Gefahr mehr bestehen würde, dass er durch dich an das Land gelangen würde. Seymour hätte dich wahrscheinlich dazu gezwungen ihm das Gut zu überschreiben. »
« Da er dies nicht geschafft hat, weshalb dann diese Eile ? »
« Diese Eile ist nötig, da wir nicht sicher sein können, dass man sich für dich als rechtmäßigen Erben entscheiden wird. Es könnte genau genommen auch Ferguson zugesprochen werden. Seymour allerdings, hofft durch eine Heirat mit der verwitweten Ms Oval, mehr Einfluss auf Finn ausüben zu können - als Stiefvater - und sich so die Rechte zu erschleichen. Natürlich können wir erwarten, dass er Finn, wenn es sein muss, erpressen wird, das Gut auf seinen Namen zu überschreiben. So wie er es bei dir plante. », erklärte Adam.
« Und wird Ms Oval seinen Antrag annehmen ? »
« Das Trauerjahr um ihren Gatten ist noch nicht vorüber, sollte es Seymour bis dahin nicht gelungen sein, dich zu einer Urkundenunterschrift zu bewegen – sprich dich zu zwingen, wird er alles daran setzten, Ms Oval und ebenso Finn unter Druck zu setzen, um dann trotz allem an sein Ziel zu gelangen. », sagte Sloan und wechselte einen alles sagenden Blick mit Adam.
« Sollte es zu einer Heirat kommen, wäre das Gut so gut wie verloren. Schlimmstenfalls könnte Seymour, noch Ansprüche auf Mac tire erheben. Zwar war meine Mutter nicht mit meinem Vater verheiratet, doch wären sie es gewesen, würde ihr das Land zustehen. Dies bedeutet, dass selbst wenn Seymour durch Ferguson an Abberts Creek kommt, er mich nicht in Ruhe lassen wird. »
« Du überrascht mich immer wieder. », meinte Sloan und schnalzte entzückt mit der Zunge, da sich dieses schwerwiegende Geheimnis endlich offenbart hatte oder auch nur weil er wusste das es Adam war der den sturen Aiden nun davon abringen musste, Ferguson noch die Kehle durchzuschneiden, während dieser schlief.

29. Reisende

Es war einer der letzten warmen Tage dieses Jahres. Helen mit einem Schleier über den Augen und ausgemergelten Wangen fand die Hitze schier unerträglich.
Sie bekam nicht einen Bissen des vor ihr liegenden Essens herunter und schleppte sich mit ihrem dünnen Körper herum.
Wie schwach und müde sie aussah. Erschrocken sah sie später in ihr Spiegelbild. Etwas anderes als ihren Handspiegel hatte sie ja nicht, um sich zu betrachten.
Der Hass steigerte sich von Tag zu Tag, manchmal glaubt sie an ihm zu ersticken, dann wiederum besann sie sich darauf das sie nichts anderes besaß.
Ihr Vagabundenleben, reizte nicht mehr, die vielen Opfer, waren sie nötig gewesen? Irgendetwas brauchte sie noch, etwas schier unmögliches, etwas...
« Ihr seht nicht gut aus, Miss Kincaid » Es war Ms Ovals Stimme die sie in die Realität holte.
Ihre langen Finger legten sich unter ihr Kinn, sodass sie ihr in die Augen sehen musste.
« Ihre dunklen Augen sind von schlichter Schönheit. In ihnen ist so viel Wärme, du klammerst dich an etwas, eine Hoffnung, ein Wunsch? Wir werden sehen. »
Helen sagte nichts.
« Als deine Schwiegermutter, kann ich Euch nur nahe legen, Euch bald häuslich einzurichten. Ein zurückgezogenes Leben, würde Euch besser stehen. Wir wissen doch beide, dass das Leben von Finn, viel zu gefährlich für eine potenzielle Mutter ist. »
Helen wand sich von ihr ab, mit den Gedanken bei Finn, wodurch sich ein merkwürdiges Prickeln in ihrem Nacken entwickelte. Sie würden sich in Fünf Tagen in Newport treffen, wo sie ihn bei seinem geplanten Mord unterstützen würde. Seine Adoptivmutter, wusste nichts davon, hatte nicht den blassesten Schimmer, dass er kurz darauf war Steward Seymours Regiment zu zerstören - ihn umzubringen.
Bei einem Streit mit Finn, hatte er ihr ein schreckliches Geheimnis anvertraut, es war die Wut, die dieses an den Tag gefördert hatte. Ihr ganzer Körper bebte bei diesem Vorstellungen und sie musste sich zusammenreißen damit Ms Oval es nicht bemerken würde. Steward Seymour, war der damalige Bekannte gewesen, der ihre Eltern ermordet und Finn die Schuld daran gegeben hatte.
Ms Ovals fanatische, irre Art ließ sie so etwas wie Angst vor der Größe ihres Wahnsinns empfinden und sie hoffte bitterlich, dass sie sich niemals selbst, zu einem solchen verirrten Menschen entwickeln würde. Obwohl die Grenze zwischen Wahn und Wunsch ihr in der letzten Zeit geradezu minimal erschien, klammerte sie sich daran, denn sie konnte vergeben, sie konnte lieben und sie konnte sich erinnern. Entgegen dieser Frau wusste sie was zu tun war. Hatte Entscheidungen getroffen, Opfer gelassen, sich aber niemals so weit treiben lassen dass ihre Seele so weit entblößt war, das es sie selbst peinigte. Sie bereute ihre Wahl nicht, klammerte sich an sie und erinnerte sich an die erlösenen Worte des jungen Soldaten. Es ist tief in uns drin, manchmal nur ein Gefühl das man unbeachtet lässt und uns warnt, manchmal sind es auch Zeichen, allerdings kann es sich auch erst deutlich zeigen wenn es zu spät ist, wenn wir anfangen zu bereuen und nachzudenken
Das hatte er über die Wahl die jeder zu treffen hatte gesagt, es aufrichtig gemeint und ihr kurz darauf fast seine Gefühle gebeichtet. Sie bereute nicht, dass sie ihn nicht gelassen hatte...
Die beiden Frauen bestiegen wieder ihren Wagen, die Pferde wurden angetrieben und die Reise ging weiter, in fünf Tagen würden sie Newport erreichen.

Voller Schmerz röchelte Aiden nach Luft und während sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, realisieret er nur langsam was er ebend gesehen hatte. Mit starken Kopfschmerzen beugte er sich vor. Der Druck ließ nach und er erinnerte sich an die letzten Bilder. Es war ein Traum, nur ein Traum, dachte er bei sich und wusste das es nicht normal sein konnte, Dinge die so real und doch so unwirklich schienen, zu sehen. Sie zu spüren, sogar zu riechen. Den Wind auf seiner Haut, der süßliche Geruch in seiner Nase, alles war so wirklich gewesen...Helen...könnte er sie denn niemals vergessen?
Die Momente rasten dahin und während die nahende Dunkelheit langsam ihre Arme über das Land streckte, Farbe und Wärme mit sich nahm, stand er unruhig auf und ging hinaus.
Es war noch herrlich warm. Die Luft roch so süßlich wie in seinem Traum, das Leben pulsierte, erwachte und doch fand er keinen Trost darin. Lange stand er regungslos da. Regungslos im Nichts ,unscheinbar und doch real. Beobachtet von vielen Wesen guten, bösen oder wie sollte man sie beschreiben?
Wesen der Dunkelheit...Dämonen? Tiere? Götter?
War er denn jemals unbeobachtet gewesen? wirklich allein? Nein. Oder doch? Er wusste es nicht und konnte sich nicht daran erinnern..
Sollte er hier alleine, beobachtet von Fremden wirklich warten und dem Schicksal der ihm sein Traum vermittelt hatte glauben schenken. Oder vergessen...ignorieren...?
Was sollte er tun?
Doch die Zeit reichte nicht um sein Gedanken, Wünsche, Ängste zu ordnen denn diese verging in schnellen Takten. Zu schnellen, für seinen Geschmack.
Nach der ausführlichen Familienanalyse von Sloan hatte er sich eine Weile hingelegt und war prompt eingeschlafen. Jetzt kurz vor Sonnenuntergang, überkam ihn der Drang weiter zu Schlafen, doch da er wusste, dass sie am nächsten Morgen sogleich aufbrechen würden, rappelte er sich hoch. Er musste zu Miss Elisabeth, sie ein letztes mal sehen und sich in Sicherheit wiegen, dass es ihr gut ging.
Sich den Weg mühsam erschwerend versuchte er die Begegnung mit jedem Atemzug herauszuzögern, seien es nur wenige Sekunden. Doch die Qual die in jedes Mal bei drohenden Abschieden überkam, hielt ihn davor zurück.
Zuletzt war es der Abschied von Helen gewesen, an den er sich mit Haut und Haaren erinnern konnte und ein Zittern überfiel ihn bei der Erinnerung an ihre schlanke, so geheimnisvolle Gestalt umgeben von der schützenden, ihr vertrauten Dunkelheit. Sie hatte ihn davor gewarnt seine Gefühle auszusprechen, ihn davor zurückgehalten sie zu stoppen und ihm die grausame Wahrheit verdeutlicht das sie ihn belogen hatte. Zwar waren ihre genauen Worte aus seinem Gedächtnis verschwunden, doch sein gestörtes Gefühlschaos hatte er nicht vergessen. Er wünschte er könnte es ihr erklären, sie nach all ihren Mysterien und Geheimnissen fragen und dabei ihrem belustigten, berechnenden Blick begegnen, der ihn verhöhnte.
Ein Seufzer entfuhr ihm, der ihm halb im Hals stecken blieb, als er sich vor Miss Elisabeth Schlafzimmertür wieder fand. Es wäre nicht gerecht einfach zu verschwinden, sie unwissend zu lassen und so klopfte er zaghaft an die Tür, holte noch einmal tief Luft und wartete und wartete. Als er weder ein Wort noch ein sonstiges Geräusch vernahm trat er ein. Schloss die Tür wieder leise hinter sich und fand sich in einem verdunkelten, stickigen Raum wieder. Miss Elisabeth lag in ihrem Bett, auf die Seite gerollt und friedlich schlafend. Er wollte sie nicht stören oder wecken und war schon dabei wieder zu gehen, als er dem Drang ihr noch einmal in das sanfte Gesicht zu schauen, nicht widerstehen konnte. Sich hinkniend betrachtete er sie eine Weile, wollte schon fast wieder gehen, als er sah wie sie sich wand und er in ihren glänzenden, jetzt offenen Augen Resignation herauslas.
« Ich werde morgen früh Abreisen, ich wollte mich von dir verabschieden. »
« Wird dies ein Aufwidersehen oder Lebewohl? », fragte sie leise ohne sich zu bewegen. Aiden der ihrem Blick nicht standhalten mochte, streckte sich gespielt, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und stellte sich hoch, sodass er kurz ihren Augen entkommen konnte. Es war ihm als würden ihn seine eigenen entgegenstrahlen, als würde er endlich erkennen was seid Monaten vor ihm lag. Eine Blutsverwandte.
« Ich kann es dir nicht sagen. », sagte er jetzt und half ihr, auf ihre Bitte hin sich aufzusetzen. Da sie nur ein kurzes, weißes Nachthemd trug, starrte er beschämt zu Boden, was ihm selbst albern erschien und worauf er in seinem Augenwinkel ein Lächeln erkannte.
« Gehst du mit diesem Mann? »
« Mit Adam, meinem älteren Bruder, ja. Wir werden, noch morgen früh nach Newport aufbrechen. »
« Dann benötigst du keine weitere Zeit, um dich vorzubereiten ? Ich hoffe du wirst mich einmal auf dein Gut, welches du irgendwann dein eigen nennen kannst, einladen. »
« Das werde ich tun. », versprach er und lächelte sie an. « Es wird mir eine Ehre sein, Ms Turner dort willkommen zu heißen. »
« Ja vielleicht. », stimmte sie zu und lud ihn mit einer Geste ein sich auf den nächst gelegenen Stuhl zu setzen. Etwas zerstreut nahm er an. « Und ich hoffe, ich werde eine gute Gesellschaft bekommen. »
« Wie meinst du das? », fragte er und beäugte sie aufmerksam von der Seite. Ihr Profil hob sich weiß in der zunehmenden Dunkelheit ab, es leuchtete beinahe.
« Studien ? Du wirst mir nicht weiß machen können, dass du in ganz England, Seans Anwesen ausgewählt hast um dort in Ruhe zu lernen. Er hat dir ein Angebot gemacht, welches du notgedrungen angenommen hast. Ich schätze dies liegt mit der falschen Verlobung in Verbindung. »
« Ich könnte diese Behauptung mit Lügen widerlegen, doch ich kann dir gegenüber nicht die Tatsache verleugnen, dass dies der Wahrheit entspricht. Ich hatte mir so vieles von Flatt hall erhofft, doch mir scheint es, als wären alle Probleme in meinem Kopf, nur einem größeren Durcheinander gewichen als zuvor. Was diese Verlobung angeht…ich werde die Dame aufsuchen, sie bitten und auf das Beste hoffen. »
« Du hast mir nie ihren Namen verraten. », bemerkte Miss Elisabeth, sagte es aber mehr zu sich selbst, sodass er nicht antwortete
« Man hat mir ebensowenig von deiner- von unserer Beziehung erzählt. » , meinte er unterschwellig und wand seinen Blick nicht einen Zentimeter von ihrem Gesicht ab, das ihm so schön wie nie zuvor erschien.
« Unserer Beziehung? Ja ich glaube ich verstehe schon auf was du da anspielst. »
« Dann wusstest du es? »
« Das habe ich, nachdem Sean mir berichtet hatte, das du mein Cousin bist, hat er mir die Komplikationen erklärt. Ebenso das ich meinen Onkel nicht in deiner Gegenwart erwähnen soll, was mich doch sehr überrascht hat. »
« Hast du Ferguson während seines Aufenthalts getroffen? », fragte er nach einer Weile und veränderte seine Stellung Sitzposition.
« Er war hier ja, doch nur kurz, er sah sehr mitgenommen aus, wenn du mich fragst. »
« Wahrscheinlich habe ich ihm das Gemüt verdorben. » Daraufhin lachte sie auf, ein Schütteln überkam ihren Körper, der den seinen mitriss . « Warum denn das? »
« Es gibt ein paar Dinge die mir über ihn nicht ganz klar sind. Es ist alles irgendwie ein wenig kompliziert und ich... »
« Er hat wahrhaftig eine merkwürdige Art an sich. Er ist, wie soll ich es erklären, ständig auf der Suche, so ruhelos. Er kann nicht genug von etwas bekommen, als könnte er so etwas wie Befriedigung nicht fühlen. Führer war er in schlechten Kreisen... »
« So wie er sich verhält, ist das kein Wunder. », stimmte er zu, ließ sie aber weiter reden und sah sie sanft von oben herab an.
« Sein Vater, mein Großvater, hatte sich mit meiner Mutter, seiner einzigen Tochter Verstritten als sie den Mann heiratete den sie liebte. Finn wurde wie du ja durch sein Alter weißt erst viel später geboren und hat irgendwie so den ganzen Hass seines Vaters mit abbekommen. Dann kam es außerdem in der eigenen Familie zu weiteren Vorfällen. Ich weiß nicht was damals geschehen ist, ich war ja selbst noch sehr jung, aber Finn kam, nach dem Tod seines Vaters zu Pflegeeltern und schloss sich in späteren Jahren einigen Aufwieglern an. Später dann der Organisation deines Vaters. »
« Weshalb hat er diese Aufwiegler verlassen, sie sogar verraten und ist der Organisation beigetreten ? »
« Ich weiß es nicht. Es muss ein schwerwiegender persönlicher Entschluss gewesen sein. »
Diesen persönlichen Entschluss konnte er sich nur allzu gut vorstellen. Er hatte Helens Eltern ermordet. Aus Rache für die Schmach die seinem Vater durch die Kincaids zu Teil wurde ? Elisabeth die seinen plötzlich veränderten Gesichtsausdruck bemerkte, lehnte sich einstückweit auf und versuchte ihre Haare zu ordnen. Er wand seinen Blick ab.
« Leg dich bitte nicht mit ihm an. Ihr seid beide so grundverschieden und doch.... Er ist mit dir Verwandt, hab Nachsicht Aiden, egal was er dir angetan hat. »
« Wenn ich es denn wäre dem er etwas getan hätte. », nuschelte er, sodass sie nachfragte, er aber lässig abwinkte.
« Ich will nicht das dir etwas passiert, doch ich kann dich hier nicht beschützen. »


« Ich brauche keinen Beschützter. », erwiderte sie und lächelte ihm entgegen. Aiden war aufgestanden und ging noch einmal zu ihr.
« Ich will dich irgendwann einladen können. Zu mir und Miss Kincaid. »
Dann küsste er sie, zärtlich und innig, ließ mit einem süßlichen Geschmack im Mund von ihr ab und ging mit hängenden Schultern und zerstrubelten Haaren, ohne noch einmal zurück zu blicken.

30. Wölfe

Die folgende Nacht, war für Aiden grässlicher denn je. Er lag wach, mit wütendem Blick und leeren Augen, und das seit mehreren Stunden in unangenehmer Stellung. Die unglaubliche Stille die ihn anfangs so beruhigt, und welche er verstanden hatte zeigte ihre grausame, peinigende Seite und versuchte ihn zu erdrücken.
Langsam winkelte er die Knie an, um etwas Erleichterung zu verspüren. Sein Körper fühlte sich schwer und klobig an, sein Atem ging flach und stossweise. Ein plötzliches Geräusch ließ ihn zusammen fahren. Er stand sofort auf. Jemand öffnete seine Tür, nur Spaltbreit, dann ganz. Eine dunkle Person schlüpfte in das Zimmer und er erkannte Adam, dessen Gesicht verschwöererisch in der Dunkelheit aufleuchtete.
« Was, du schon so früh hier? », fragte er streitlustig
« Ich komme um dich abzuholen, wenn du noch dazu gewillt bist. »
« Natürlich, aber Sloan... »
« Das ist unwichtig. Er wird verstehen, dass unsere Sicherheit vor geht. »
Aiden ging ein letztes Mal in dem großen Gebäude umher, atmete tief die herbstlich frische Luft ein und lauschte in die Stille, dann folgte er seinem inneren Ruf zurück in sein Zimmer, Adam wartete schon davor. Langsam aber zielstrebig machten sie sich davon. Einsam wie zwei Wölfe, zwei Vagabunde, verließen sie das sichere Nest. Auf in die herrenlose Welt die er zuletzt mit Helen so frei bereist hatte.

Resigniert stellte Finn fest, dass er nicht schlafen konnte. Er brauchte so gut wie keinen Schlaf, hier und da mal ein paar Stunden, doch selten eine ganze Nacht.
Er wanderte, wie so oft durch die dunklen Gassen einer schlafenden Stadt, einem Ort ohne Namen, umringt von Gebäuden, kaltem Stein und aschgrauen Himmel der über ihn hereinbrach und seine Gedanken in weit entfernte Gegenden ziehen ließ. Sie brannten teils fürchterlich in seinem Kopf.
An einer Hauswand ließ er sich zu Boden sinken und spürte die kalte, dreckige Mauer an seinem Rücken.
Die Arme und Beine ausgestreckt kam er sich vor, wie ein alter abgestellter Sack Mehl und er musste zugeben, dass diese Beschreibung den Tatsachen recht nahe kam. Er war wie Tod. Dieser Gedanke entlockte ihm ein spöttisches Lächeln. Lange würde es nicht mehr dauern, bis er diese Welt verlassen würde.
Er musste sich bereit machen am Hafen ein Schiff zu finden und dann auf dem schnellstmöglichen Weg Newport erreichen. Es waren lediglich nur noch vier Tage bis er sich mit Helen treffen wollte. Umständlicher hätten sie nicht handeln können und doch war die Gefahr von Ms Oval oder Steward Seymour, sogar Sloan entdeckt zu werden, zu groß. Er konnte sich nicht anders entscheiden und musste mit dem einzigen, dass er noch besaß verhandeln : sich selbst. Natürlich war das leicht gesagt und selbstredend war ihm seine Schuld gegenüber Helen nur allzu sehr bewusst, doch dieser Weg war umumstritten der aufwendigste und somit sicherste. Wahrhaftig idiotensicher. Per Schiff zu reisen und das aus einem entlegenem Ort wie diesem...nicht einmal die Männer der Organisation würden ihm auf den Fersen sein.
Er wusste natürlich wie er verfahren musste und hielt sich im nächsten Augenblick für völlig verrückt.
Die Chance aufzufliegen steigerte sich mit jeder Sekunde die er fürs Atmen verschwendete, jede Sekunde da sein Körper mit Blut durchrauscht wurde und jeder Sekunde da er Zeit mit läppischen Gedanken wie diesen verbrachte. Er musste zu Helen, um dann endlich seinen letzten Auftrag zu erfüllen - Seymour zu töten und damit Helen von ihm und sich selbst zu befreien.
Einen Sarkasmus durchtränkten Ton von sich gebend, den er mehr als verstörten Laut von sich gab, stand er ruckartig auf.
Die Sonne zog bereits ihre ersten Strahlen durch die dicken, Kälte verheißenden Wolken und bis zum endgültigen Durchbruch, wollte er am Hafen sein.
Dort angekommen, kam ihm der Geruch des Meeres fast schlagartig entgegen. Kloake, Fisch, Salzwasser und nasser Boden. Erste Fischer lotsten ihre kleinen, beladenen Boote zwischen den größeren, Handels- und billigen Passagierschiffen hindurch und riefen sich unwirsches Zeug entgegen.
Zügig schlenderte er über eine Brücke die ihn auf den noch fast leeren Fischmarkt führte und schließlich über einen großen Versammlungsplatz, um an einem eher tristen Ort zu gelangen an dem sich einzelne verwahrloste Kneipen und Pubs sammelten. Kurz hielt er noch inne, dann folgte er seinen Augen und fand schnell einen Laden mit dem Namen Toter Kranich, blindlings ging er hinein. Zu seinem Erstaunen war geöffnet, ein schlafender Säufer und eine alte putzende Frau stellten die einzigen Insassen dar. Es dauerte eine Weile bis er bemerkt wurde, da er sich weder bewegt oder etwas gesagt hatte. Eher unfreundlich rief ihm die Frau etwas zu: « Geh nach Hause Junge, hier gibt es nichts für jemanden wie dich. »
Finn nickte resigniert, dann ging er wieder hinaus und lief in Gedanken versunken den Weg zurück. Zwar war der Drang nach einer Wärmequelle und einem heißen Getränkt groß und überwältigte ihn fast, doch war der Wunsch sich selbst diesen menschlichen Dingen zu entsagen stärker und besiegte letzt endlich diesen letzten Funken der sich noch nicht an den Gedanken gewöhnt hatte, das er selbst leiden musste. Andernfalls würde er an den in seinem Kopf herumirrenden, geisterhaften Stimmen förmlich verrecken, langsam und qualvoll dahinsterben. So zog er dahinvegetieren und Helen die letzte Wahl lassend allemal vor.
« Entschuldigung. » Eine gehetzte Person, fast ganz vermummt hatte ihn angerempelt. Irritiert nahm er es gar nicht richtig war.
Ein eher kleines und auch schäbig aussehendes Personenschiff mit großen hängenden Segeln stach im in die Augen, welches einsam am Rande der Anlegestellen ankerte. Es war ein maroder Zweimaster, an dessen Seite der mit roter schon abblätternder Farbe hervorgehobene Name le bonheur stand.
Als er an Bord gehen wollte, wurde er von einem rundlichen Kerl in die Mangel genommen, aber nachdem er mit Geld, statt mit Worten verhandelt hatte wurde er in Ruhe gelassen und ergatterte sich so einen Platz auf dem seetüchtigen Kahn, der ihn, wie er sich zuvor erkundigt hatte, in wenigen Tagen nach Newport bringen würde.
« Setzt dich da hinten irgendwo hin, Essen gibt’s einmal am Tag. Wir legen in drei Stund ab, mehr brauchst du nicht zu wissen. », brummte ihn einer der Seeleute an, der sein Geschäft mit dem, wie er später herausfand, Kapitän, beobachtet hatte, ihn aber trotzdem argwöhnisch fixierte.
Stumm wand er sich, wie ihm geheißen, an den hinteren Teil des Schiffes. Dieser war mit Heu überseht auf das er sich nach einigem Widerwillen setzte. Da der Gestank von Übelkeit und Schweiß schwer darüber lag und sogar den leichten modrigen, salzigen Seewind übersackte. Außer ihm und der Mannschaft, waren noch ein paar ältere Leute, eine Frau mit einem energisch schreienden Kind, zwei tuschelnde Weibsbilder und ein recht dünner Mann an Bord. Niemand schien ihn wahr zu nehmen. Gut so, dachte er und legte seinen pochenden Kopf zurück. Das Gefühl das er seit dem Gedanken an Helen hatte, wollte ihn einfach nicht in Ruhe lassen. Es war schon als wäre er süchtig, abhängig von ihrer Gegenwart, woraus er sich bei näherer Betrachtung nicht viel machte, sollte es ruhig so sein.
Kalter Regen und ein eisiger Wind weckten ihn urplötzlich. Er hatte nicht einmal bemerkt das er eingeschlafen war, so schaute er sich etwas orientierungslos um und stellte fest das ihn durch die kalten Temperaturen jegliches Gefühl in Beinen und Armen fehlte. Sie waren mitten auf See, laute Wellen klatschen gegen das Schiffgehäuse und immer stärker werdender Regen hämmerte auf das Holz, während die Segel sich regelrecht aufbäumten und die obenauf angebrachte kleine Flagge ordentlich mit dem Wetter zu kämpfen hatte.
Die meisten Leute hatten sich unter eine große Plane zurückgezogen, die vom Kapitän nur widerwillig bereitgestellt wurde, allerdings hatte er keine Lust auf Geselligkeit. Er wollte seine Melancholie spüren und sich mit ihr treiben lassen, das Nichts und die Unendlichkeit des Meeres an sich vorüberziehen sehen und weit entfernt abschweifen, am besten wieder einschlafen.
Er starrte noch eine Weile vor sich hin als er kurze Zeit später die am äußersten Rand des Schiffes stehende Person bemerkte, nicht weit von ihm. Diese umklammerte fest die Rehling und streckte das Gesicht gen Regen. Es sah fast so aus als wolle der Fremde gegen den Sturm schreien oder genoss er diese Feuchtigkeit? Er war ihm vorher nicht aufgefallen, also war er wohl kurz vor knapp an Bord gegangen...da erkannte er ihn. Es war der gleiche Umhang, die gleiche Person die ihn vor kurzem eingehüllt in Stoff angerempelt und sich rasch entschuldigt hatte.
Etwas zögernd beobachtete er den Fremden noch. Es war nicht seine Art Leute anzusprechen oder Freundschaften zu schließen, das hatte er in frühester Kindheit verloren. So wusste er nicht was ihn geritten hatte, als er sich erstmal stumm neben den Unbekannten stellte. Es dauerte eine Weile bis er bemerkt wurde und ihn schließlich ein Gesicht mit funkelnden Augen und schmalen Gesichtszügen anblickte. Der Unbekannte war eine Frau, besser gesagt die Frau mit der er vor nicht allzu langer Zeit Nacht für Nacht verbracht hatte.
Finn reagierte sofort und verbeugte sich zum Gruß, sie machte einen Knicks und lächelte ihn an.
« Belle Carter», nuschelte Ina, worauf er « Finn Ferguson », antwortete, sie kannten ihrer beider Namen, doch waren diese in der Öffentlichkeit nicht zu gebrauchen, es wäre zu gefährlich.
« Ferguson ist also außerdem dein Reisename? »
« Wie du siehst. », sagte er trocken worauf sie langsam den Blick von ihm abwandt und stumm das Wellenschlagende Meer betrachtete. Der Regen ging über in ein feuchtfröhliches Nieseln, aber es schien als würde der sich beinahe zusammengebraute Sturm in ihren Augen weiterfunkeln.
Und da erkannte er wieder was Aiden erst nach einer Weile bemerkt hatte, wie sehr sich Inas Wesen von ihrer Äußerlichen Erscheinung unterschied. Wie sich die sarkastische, ungezwungene Persönlichkeit von dem hübschen, Untergebenen Hausmädchens trennte. Denn wenn er etwas konnte, dann einen Menschen in kürzester Zeit, zu analysieren, so hatte er ihre Wesenzüge nach einer Nacht in sich aufgesogen und seid dem nicht mehr vergessen. Es war ihm bisher immer gelungen, nur einmal hatten seine Instinkte versagt und das war bei Helen gewesen, der Frau der er sein Leben schuldete und seine Liebe schenkte, dem einzigen das er besaß.
« Was siehst du da draußen? », fragte Finn und merkwürdiger weise interessierte es ihn wahrhaftig. Er wollte ihre Art die Welt zu betrachten, ihre Geschichte in sich saugen und sie festhalten, selbst wenn er über ihr Erscheinen mehr als ärgerlich war.
« Dort draußen », sie lachte. « Ist die Welt, eine friedliche, unbekümmerte Welt. »
« Du hast wegen mir Schlimmes durchlitten, nicht wahr? » Seine Stimme nahm einen seltsamen Klang an.
Sie musterte ihn ausgiebig bis sie sich entschied, etwas dazu zu sagen
« Ich denke nicht, ich hätte einfach früher erkennen sollen, das ein Mann deiner Stellung sich nicht mit jemanden wie mir abgeben sollte. Wusstest du das ich in London aufgewachsen bin? » , fragte sie und schlug ihren Umhang zurück, sodass Inas Gesicht und ihre blonden Strähnen zum Vorschein kamen.
« Was hat das nun damit zu tun? Was tust du hier überhaupt? »
« Glaubst du ich bleibe dort, während das einzige was mich in diesem Haus gehalten hat vielleicht für immer verschwindet? »
Er war schon dabei nach diesem Grund, nach diesem Etwas dem sie folgte zu fragen, als sie ihren Blick, mit einem unnatürlichen Glänzen und wohlgenährten Wahnsinn auf ihn richtete.
« Du hättest das nicht tun sollen. »
« Keine Sorge, ich werde dir nicht folgen. In Newport werde ich meine eigenen Wege gehen, kannst du mich denn so gar nicht verstehen? »
« Mehr als du glaubst, das ich ja das Schlimme. », gab er zu und lehnte sich leicht an die Rehling. Der Regen hatte ihn bis fast auf die Knochen durchnässt, doch es machte ihm nichts aus.
« Das wirklich schlimme ist, deine Ansicht. Du glaubst mit deiner Melancholie und deinem nach Qualen hungernden Drang, könntest du dir deine Vergangenheit, sei sie wie sie ist, leichter machen oder dich für irgendetwas entschuldigen. »
Daraufhin leckte er sich über die durch Trockenheit aufgesprungenen Lippen und schüttelte sich vor unterdrückter Kälte und unnatürlicher Belustigung, ohne auf ihre Worte einzugehen.
« Erzähl mir mehr von deiner Heimat. », forderte er sie stattdessen auf und folgte ihr beinahe mechanisch unter ein kleines Vorderdach, um sich vor der neu aufkeimenden Nässe zu schützen.
« So vieles hat sich geändert. », fing sie an, nicht ohne ihm noch einmal einen stechenden, argwöhnischen Blick zuzuwerfen. « Nachdem ich mit meiner Familie in London gelebt habe, zogen wir nach Yorkshire, wo mein Vater ein großes Stück Land erworben hatte. Er siedelte dort Pächter an und kurz, wir lebten ein einfaches Leben als Bauern. Doch die Ernten vielen schlecht aus und nach einigen Raubzügen, kehrte mein Vater zum Militär zurück. Sein Einkommen reicht leider nicht aus. » sagte sie tonlos, halb verärgert über seine Ausflüchte, halb beeindruckt durch sein hohes Maß an Schamlosigkeit und Gewandtheit.
« Hätte er nicht seine Freunde, um Geld bitten können ? »
« Mein Vater ist ein stolzer, streitlustiger Mensch. Er wäre lieber verhungert, als Lord George, der damals ebenso wenig Mittel zur Verfügung hatte oder Mr. Sloan um einen Gefallen zu bitten. »
Nach diesem kleinen Einblick, bekam er das Gefühl einer Ablenkung gefunden zu haben und wollte diese für die nächsten Augenblicke nicht verschwenden, seinen Ärger noch immer unterdrückend, dass sie ihm gefolgt war.
« Ich suchte ebenfalls Arbeit, doch das Schicksal…es war mir nicht sehr hold. Schließlich rang sich meine Mutter dazu durch, Mr. Sloans Hilfe zu erbitten, der uns natürlich sofort seine Unterstützung zusicherte. Um meinen Vater nicht zu kränken, erschien er mit dem Vorwand Arbeitskräfte zu suchen… » Finn wusste, dass sie nicht Weitersprechen würde, zu seiner Verwunderung sagte sie : « Bitte versteht mich nicht falsch. Ich habe wirklich viel durchgemacht und so manchen Schandfleck an mir, aber dennoch, ich hänge sehr an meinem Leben, an dieser Welt, ihre Natur ist einzigartig, ebenso wie du. »
« Wie kannst du an dieser Welt hängen, wenn sie doch so grausam ist? », verlangte er mit einem brutalen Unterton zu wissen.
Ina lächelte und kurz fühlte er sich wieder sehr zu der ihm eigentlich Fremden, nur körperlich vertrauten Frau hingezogen. Er übermalte diesen Gedanken indem er gestresst die Augen schloss, tief durchatmete und sie für einen kurzen Augenblick vergaß. Es war schwerer als geahnt.
« Ich hatte seid dem Umzug nach Yorkshire stets die Natur um mich herum, habe Sonnenaufgang und Untergang, Tag für Tag betrachtet, habe mit den Jungen wettlaufen veranstaltet. Der Geruch der Blüten, der Wiesen, diese herrlich dicken Wolken und das Glitzern der Sonne auf den Seen in denen wir schwammen...ich sehe sie stets vor mir. Dieses Land zeigt uns viel zu viel Schönes, als das Menschen es zerstören könnten. », fuhr sie fort und betrachtete dabei mit ausdrucksloser Miene sein Gesicht, um irgendetwas, sei es um einen kleinen warmen Funken zu erkennen. Sie sah nichts.
Wie unrecht sie hat, dachte Finn, sah sich aber mit der Tatsache konfrontiert das ihr Traum, ihre so friedliche Welt die sich zusammengereimt hatte, nur erstrebenswert war, selbst wenn er sich niemals für ein solches Ziel engagieren würde.
Mit gesenktem Blick lehnte er sich ebenfalls an die Wand und als könnte sie Gedanken lesen sagte sie: « Du glaubst mir nicht. Für dich ist diese Welt anders ? »
Sie lächelte erneut und auch wenn er ihr Lächeln nicht erwiderte, lächelte er innerlich, denn im Grunde war er froh sie bei sich zu haben. Zwar konnte er nicht sagen warum oder was dies ausgelöst hatte, doch diese Frau ließ ihn, wenn auch nur kurz sein eigenes Leben vergessen. Jedes mal wenn er mit ihr geschlafen hatte war es so gewesen, sein Leid und seine Depression war für einige Momente eingeschlossen in einem nicht zugänglichen Raum, weit entfernt und sicher verschlossen. Jetzt da er zum ersten mal wahrhaftig mit ihr redete, sie nicht als Objekt der Begierde oder kurze Ablenkung betrachtete, entdeckte er dieses Gefühl von neuem.
« Belle Carter? Wie kommst du auf diesen Namen? », fragte er nach einer Weile.
« Carter ist mein Familienname. Ich benutzte ihn nur beim Reisen, ansonsten bin ich Ina das Dienstmädchen. Ich bin unter anderem auf dem Weg nach Newport um dort Verwandte und meine Schwester zu treffen, ihr Name ist Belle. »
« Verstehe. », antwortete er knapp, dann blieben sie stumm, schauten auf das Meer hinaus und verharrten so in stiller Übereinkunft für den Rest des Tages, darauf bedacht sich nicht zu berühren oder sich auch nur im geringsten nahe zu kommen.
Zwei volle Tage vergingen, die See blieb ruhig.
Ina war stets fröhlich, ihr Lachen ging ihm nicht aus dem Kopf und ihre Augen funkelten wie Kristalle wenn sie von ihrer frühen Kindheit sprach. Sie redeten oft bis spät in die Nacht, über alles, manchmal mehr, nur nicht über ihn oder ihre Beziehung. Er wich ihr stets aus, wechselte das Thema oder verdrehte die Worte, er wollte und durfte nichts von sich preisgeben. Zu seinen Leid würde es noch dauern bis sie Newport ,seine geliebte Helen und sein nächstes Opfer erreichen würden und so war es gefährlich in Inas Gegenwart. Denn weder die Organisation, noch Ms Oval oder Seymour, noch sonst wer wusste von seinen und Helens Plänen.

31. Der Verräter kehrt zurück

Wie aus einem fiebrigen Traum erwacht öffnete Aiden plötzlich die Augen ; er hatte einen seltsamen Traum von Sternen und Gärten gehabt und...Argh es war ihm entfallen.
Langsam setzte er sich hoch, es dämmerte erst leicht, doch er konnte die kommende von Nässe durchsetzte Luft schon riechen und bereitete sich im Geiste schonend darauf vor mit seinem Bruder bald durch peitschende Regengüsse zu reiten. Er und Adam waren die ganze Nacht geritten, während gewellte Hügellandschaften und Wälder an ihnen vorbeizogen, machten sie einen umso größeren Bogen um Dörfer und Städte, um keiner Menschenseele zu begegnen und Konfrontationen auszuschließen.
Leichte Nebelschwaden zogen umher und er wischte sich mit seinem Ärmel Nässe und Schweiß aus dem Gesicht, stand mit vor Anstrengung zitternden Beinen auf und reckte sich in der frühmorgendlichen Gemütlichkeit, die sich keck hinter einem grausamen Schaubild versteckt hielt.
« Ein schöner Morgen, nicht? », gähnte Adam rhetorisch und streckte sich neben ihn. Ihre Gedanken schienen einen gleichen Faden gefunden zu haben.
« Ja. », antwortete er nur knapp, den Kopf nach hinten beugend betrachtete er den Himmel, dessen milchig rosane Töne einen mit den herbstlichen Rot und Gold beinahe verzauberten und er auf Tiere horchend die Luft anhielt und still verharrte.
« Machst du dir Gedanken aufgrund unserer übereilten Abreise ? », unterbrach Adam seine Lauschaktion, worauf er ihn entrüstet ansah, allerdings nichts sagte und sich stattdessen darauf konzentrierte sich einen verknoteten Muskel im Rücken zu massieren.
« Nein nicht besonders, aber ich hatte erwartet Mr Davies würde mit uns reisen. »
« Ja natürlich das tut er auch noch. Er wird in etwa zwei Viertel unseres Wegs zu uns stoßen. Er ist schon Gestern aufgebrochen und wird seinen Rückstand schnell aufholen. »
« Wenn das so ist. », wollte er das Gespräch schließen, doch Adam hielt ihn noch zurück.
« Sobald wir gemeinsame Sache mit Mr Davies machen, werden wir zuallererst in das Lager von Mr Carter reiten, dort habe ich meine Mission zu erledigen. Anschließend geht die Reise weiter nach Newport. Sobald wir einmal in dem Lager sind gibt es kein zurück für dich, ich hoffe das weißt du. »
« Dessen bin ich mir bewusst. », sagte er ernst, erwiderte seinen Blick ungeniert und versuchte selbstsicher zu klingen. Er war sich dessen bewusst, mehr als Adam glaubte, doch wollte er wieder nur davonlaufen jetzt da sich die Schwierigkeiten in Sloans Haus angesammelt hatten? Wirklich mit der Organisation handeln und eventuell seine Beziehung und Gefühle gegenüber Helen außer acht lassen? Konnte er falls es ihm untersagt wurde sie einfach gehen lassen? Nicht weiter nach ihr suchen? Mit einem energischen Schütteln versuchte er sein wirres Netzt aus halbgeformten Gedanken zu zerstreuen und gelangte an einen Punkt der es ihm untersagte weiter darüber nachzugrübeln, denn, so glaubte er, konnte er erst eine bestimmte Antwort auf das alles finden wenn es wahrhaftig soweit war. Sich im Augenblick der Gegenüberstellung, soweit frei bewegen um ebenso frei zu handeln und sich zu entscheiden, auf Kosten derer die er damit verraten würde.
Er schluckte, wich Adams Blicken beschämt und gekonnt aus und machte sich daran den Gurt am Sattel seines Pferdes zu kontrollieren, welches mehr aus Ablenkung, als aus Besorgnis geschah.
Wieder auf dem Rücken seines grauen Wallachs, tätschelte er dessen Hals, beugte sich nach hinten und sah über seine Schulter zurück. Er konnte nichts außer, zwischen den Bäumen versteckt, giftige Chrysanthemen und Brennnesseln ausmachen. Fürs erste waren sie in Sicherheit. Adam der diesen Gedanken anscheinend auf seinem Gesicht gelesen hatte oder im selben Moment das selbe gedacht hatte, lächelte ihm beruhigend zu, was er nur aus dem Augewinkel sah, ihm darauf aber wieder etwas in den Sinn kam.
« Was ist das für eine Angelegenheit die du unterwegs regeln möchtest ? »
« Nur ein kleiner Gefallen. Da es so oder so geplant war, dass ich nach Newport aufbreche hat mich ein Freund darum gebeten seine Tochter dorthin zu begleiten. Sie ist noch in seiner Obhut, aber er hält es zu gefährlich sie weiterhin dort zu lassen. »
« Tochter? So, so. », nuschelte er in seinen nicht vorhandenen Bart und legte sich diesbezüglich seine eigenen Spekulationen und Vorstellungen zurecht
« Sie ist noch ein wehrloses Kind. Ihr Vater Ted Carter, hat einige Pächter und Nachbarn dazu aufrufen können sich Vaters Sache anzuschließen. Sie sammeln sich in diesem Augenblick um einen eventuellen Vorstoß zu wagen. Natürlich werden wir erst versuchen Abberts Creek mithilfe deines Rechtsanspruchs zu bekommen, doch sollte dieser Versuch scheitern… so werden wir nicht vor Gewalt davon schrecken. Ein Kind an einem solchen Ort, nicht auszudenken.», sagte er gelassen und trieb sein Pferd von einem sehr delikat aussehenden Busch weg, worauf es ihn etwas beleidigt anfunkelte und den Kopf hin und her warf.
« Ted Carter sagst du? Ich habe den Namen schon einmal gehört, was ist das für ein Mann? » Aiden der den Kampf zwischen seinem Bruder und dem störrischen Pferd belustigt beobachtete, zuckte mit den Mundwinkeln. Er wollte mit allen Mitteln die Unterhaltung von sich selbst ablenken, gleichzeitig aber ein paar Dinge bezüglich Adam, seinen Geschäften und seinen Verbündeten herausfinden.
« Wie gesagt er ist ein Landbesitzer, der... du sturer Bock, benimmt dich. », zischte er das Pferd an, riss an den Zügeln und behielt so die Macht über das Tier, das sich widerwillig fügte. « Was habe ich mir hier nur für ein Mistvieh ausgesucht? Schnell, aber bockig... » Ein Achselzucken in Aidens Richtung und ein berechnendes Lächeln, dann wand er sich wieder dem kleinen Trampelpfad vor sich zu.
« Carter war in seiner Jugend Soldat und ein Kamerad Vaters. Später setzte er sich jedoch mit seiner Familie in London ab, zog kurz darauf nach Yorkshire und trat dort den Militärsdienst von neuem an. »
« Hältst du es für möglich, dass sie tatsächlich Gewalt anwenden werden, um das Gut zu bekommen ? », fragte er entsetzt und richtete sich kerzengrade auf, jede Faser seines Körpers schien sich anzuspannen und für einen kurzen Augenblick setzte sein Herz aus.
« Ich glaube nicht das es wirklich ernst wird. Seymour, hat ohne dich kaum eine Chance irgendwelche Ansprüche zu erheben, jedenfalls so lange bis das Trauerjahr der Ms Oval nicht vorbei ist. Natürlich besitzt er trotzdem einen großen Einfluss, dennoch… »
Adam der Aiden während seiner Worte aufmerksam beobachtet hatte, spielte mit voller Absicht auf Seymour an, konnte aber nichts außer mäßiger Interesse erkennen, was ihn ungemein beruhigte.
« Daher kenne ich Carter. Sein Name muss mir durch Vater vertraut sein, oder ich habe ihn zwangsläufig mitbekommen. Aber nun gut, sobald wir Carters « Lager » verlassen haben, wie sehen deine Pläne für Newport aus ? »
« Ich muss... » Er zögerte kurz, überlegte sich seine Wortwahl äußerst behutsam und fuhr dann fort, Aiden bemerkte dies und sah misstrauisch zu ihm herüber. « Ich muss einen sehr einflussreichen Mann dazu bewegen, für unsere Sache Partei zu ergreifen oder ihn wenn es nicht anders geht, unfähig machen zu jemand anderem überzulaufen. Keine große Sache. », fügte er noch hinzu, als er den Blick seines jüngeren Bruders sah und ihn statt Misstrauen, als Interesse interpretierte. Schließlich sagte niemand mehr etwas und sie ritten stumm, die aufgehende Sonne im Rücken, überdacht von dem verstrickten Gewirr aus bald kahlen Ästen und einem unsicheren, staubigen Pfad voraus, weiter ihrem Ziel entgegen.

Sie erreichten den verabredeten Ort, an dem sie sich mit Davies treffen wollten, kurz vor Sonnenuntergang. Versteckt hinter einer Ansammlung dicht stehender Nadeltannen, beobachteten sie die Hauptstraße, die seid geraumer Zeit von nicht minder Fünf bis Zehn Männern zu Pferd regelmäßig patrouilliert wurde. Dies war ein beliebter Ort für illegalen Handel und Raubmord.
Zur Zeit konnten sie keinerlei Truppen sehen, dennoch herrschte zwischen ihnen eine angespannte, zwiespältige Atmosphäre die Aiden, um den kühlen Verstand brachte.
« Davies ist äußerst unpünktlich. Wo bleibt er nur ? », fragte er verärgert und blickte gen Himmel um den Stand der fackelnden Sonne, die den Wolkenüberzogenen Himmel in sanftes Licht tauchte und sich hinter einem im Schatten liegenden Berg davon machen wollte, zu erkennen und die Uhrzeit auszumachen.
Vorsichtig schüttelt er den Kopf « Nein, wir treffen uns hier erst bei Sonnenuntergang, wenn der Mond aufgegangen ist. »
« Wie umständlich. », entgegnete er und kassierte dafür einen empörten Blick. Er ließ seinen Blick erneut zur Straße wandern auf dem sich nun kleine schwarze Punkte hin und herbewegten. « Männer. », zischte er.
« Ja, aber nicht viele wie mir scheint, es kann sich auch um ein kleines Reisetrupp handeln. »
Die Zeit verstrich in einem langsamen Takt der Aiden ermüden ließ und er sich erschöpft von dem langen Ritt auf den Boden setzte und leicht vor sich hindöste. Den Pferden hatten sie die Beine gefesselt und während er vor sich hinträumte, legten sich die gewaltigen Schatten der Nacht über sie, die nicht einmal durch den wandernden Mond beeinträchtigt werden konnten. Gerade öffnete er ein Auge, halb und schläfrig, als ihn Adam kräftig am Arm schüttelte und ihm etwas zuzischte, wovon er lediglich seine Stimme und undeutliches Brummen herausfiltern konnte. Als er sich streckte, fühlte er den kalten Wind, der erbarmungslos umher strich und die Tanne über ihn hin und her wiegen und ihn frösteln ließ. Schicksalsergeben umklammerte er seinen Körper um einerseits das aufkeimende Zittern dorthin zu zerstreuen wo es hergekommen war und andererseits um sich an etwas klammern zu können, um den Halt und seine schwankende Sicherheit nicht zu verlieren.
« Bist du so von Davies Zuverlässigkeit überzeugt, wie du den Eindruck machen willst ? », fragte er plötzlich, missmutig über den geraubten Schlaf.
« Das bin ich. Doch ich kann dir nur mein Wort darauf geben, mehr habe ich nicht anzubieten. Er jagt den gleichen Idealen wie Vater nach, er ist mir sehr sympathisch.», meinte er trocken und war schon dabei dem kommenden Reiter entgegen zu laufen, als ihn Aiden nochmals stoppte.
« Welche Ideale wären es denn ? »
« Er sucht die Freiheit, eine bedingungslose, gleiche Freiheit, ohne Zurechtweisungen und Etikette. »
« Ich bin mir im unklaren, ob ich diese Träumerei nachvollziehen kann. »
« Dann lass es gut sein, wenn du es jetzt noch nicht verstehst, dann wirst du es auch nicht verstehen wenn ich es dir erklären würde. Such dir deinen eigenen Weg es herauszufinden. »
War das Stolz oder Furcht, welches Aiden heraushören konnte? Er wusste es nicht genau, war sich aber sicher dass, das Gespräch jetzt beendet war und wand sich auf Adams Befehl hin zu ihren Pferden. Davies begrüßte ihn knapp und Aiden antwortete ihm kühl.
Er fühlte sich erschöpft, nicht durch die Reise, das ewige wandern und den wenigen Schlaf. Er war aufgewühlt, seine Seele sträubte sich, die Informationen häuften sich und er glaubte umzukippen vor Ungereimtheiten über seinen Vater. Der ewige nicht zu stillenden Wissensdurst über ihn war verschwunden, an seiner Stelle traten Furcht und eine Verwirrung die er sich selbst nicht erklären konnte. Dabei dachte er an Sloans melancholische Augen und dessen verschleiertes Lächeln. Dieses Bild wollte sich einfach nicht mehr unterdrücken lassen.
Immer wieder wollte er fragen, schreckte jedoch gleichzeiten vor den Antworten zurück. Wer war nur dieser Lord wirklich? Das er sich ständig Gedanken über ihn machte, was ging nur ihn ihm vor? Kannte er den Mann den er seinen Vater nannte wirklich oder hatte er sich unbewusst so etwas wie eine zufriedenstellende Illusion geschaffen, in die er sich bei bedarf flüchten konnte? Mit einem mal entspannte sich sein glühender Körper und er spähte, ruhig und mit ein wenig mehr Enthusiasmus als er es zulassen wollte durch das Geäst auf den sternenlosen, alles verschlingenden, kalten Himmel. Irgendwie würde er auch diese Situation meistern, irgendwie...

Den Weg über die Hauptstraße passierten sie leichter, als Aiden es vermutet hatte. Sie waren zu gegebener frühmorgendlicher Stunde, Dreck verschmiert und verschwitzt, an dieser entlang geritten, hatten Mitreisende gegrüßt und sich mit Davies in keinerlei Gespräche verwickelt. Sie alle blieben weitgehend stumm.
Auch den Tag über sprachen sie nicht mehr ; Aiden war viel zu aufgewühlt, Adam zu besorgt und Davies in einer zerknirschten, säuerlichen Stimmung, als das sie ausschweifende Diskussionen hätten führen können.
Erst am Abend wechselten sie kurze Blicke, hier und da Mal ein aufmunterndes Wort. Der warme Funken, ausgelöst durch das vor sich hin brennende Lagerfeuer, schien auf sie übergesprungen zu sein und zwischen Brot, spärlichem Eintopf und wässrigem Kaffee kamen sie sich etwas näher, sprich fingen hier und dort eine Unterhaltung über belanglose Themen an.
Aiden warf sich eine Decke um die Schultern, starrte auf das entblößte Himmelszelt und malte sich aus, was er zu Helen hätte sagen können, in der Nacht als sie ihn verließ. Hatte sie es absichtlich getan oder war sie gezwungen gewesen? Und wenn ja, hatte sie sich selbst gezwungen, aus welchen Gründen auch immer, oder war es jemand anderer gewesen? So ein Jemand wie Finn Ferguson? Diese Gedanken fesselten ihn. Von Müdigkeit war keine Spur in seinen Zügen abzulesen und er fragte sich beiläufig, warum ihn solche Einfälle immer in Situationen wie diesen überfielen, Nachts am Lagerfeuer, auf der Reise zu unbekannten Orten.
Kurz begegnete er Adams ironisch glänzendes Blick, dem er nun entschieden auswich, da er keinerlei Lust verspürte, sich weiter zu unterhalten. Er hatte angst vor dem durchleuchtenden Augen seines Bruders, die jede Veränderung in seinem Gesicht abzulesen schienen. Davies schien es nicht anders zu ergehen, sparte sich Antworten und verhielt sich schlecht gelaunt wie an den Tagen da er ihn kennen gelernt hatte.
« Nun denn, zwar ist es höchst unwahrscheinlich, dass wir jemanden sofern ab der Hauptstraße begegnen, doch bin ich der Meinung wir sollten Wachen aufstellen. », sagte Adam und erhob sich um die Erste zu übernehmen. Kaum war er verschwunden, wand sich Davies Aiden zu.
« Ihr solltet Euch vor Carter hüten. »
« Wie bitte ? », fragte er sichtlich überrascht.
« Er hasst Seymour aus ganzem Herzen – finanzielle Angelegenheiten – und hat schon mehrmals verläuten lassen, welchen Groll er Euch gegenüber empfindet. »
« Weshalb sollte er das ? »
« Nun, er betrachtet die Sache, von einer militärischen, nicht etwa rechtlichen oder organisierten Seite. Für ihn gibt es keinerlei Ausflüchte die erklären, weshalb Seymour es damals geschafft hat, an Euch heran zu kommen, oder wie Ihr ihn entkommen gelassen habt. »
« Ich denke das werden wir regeln müssen. », entgegnete Aiden leicht gereizt, von solch stumpfsinnigen Gedanken. « Weshalb erzählt Ihr mir das ? »
« Mein Freund, ich schätze Euch sehr. Da sehr viel von Carter abhängt, möchte ich Euch darauf aufmerksam machen, ihn nicht zu provozieren. » Eine Pause trat ein, in der sich Aiden beklommen und fremd fühlte, die Nacht schien schier undurchdringlich.
« Was führt Euch nach Newport, Mr Davies ? », fragte er nach einer Weile.
« Ich habe gewisse…Abstände nötig. », sagte er nach einiger Zeit und wand sich ab.
« Sicher. Sloan, ist ein anstrengender Herr, seine Art ist…unbeschreiblich. »
« Oh nein, gewiss hat das alles nichts mit Sloan zu tun. Ich habe nur falsche…Ich brauche mal etwas anders. » Seine Stimme erstarb und Adam kam zurück, um sich eine Tasse Kaffee zu holen. Nickend begrüßte er sie und verschwand anschließend in der Dunkelheit. Davies Redefluss war erstickt.

In den folgenden Tagen trafen sie immer wieder auf Reisende, Pilger oder Kaufleute die versuchten ihnen unnütze Dinge anzudrehen. Sie alle waren auf Vergnügungsreisen, Geschäftsausflügen oder hausten förmlich auf den Straßen. Davies war in Aidens Anwesenheit still geworden, hatte allerdings auch zu Adam kein weiters Wort mehr gerichtet. Schon bald jedoch, würden sie das kleine Lager erreichen und Aidens Gedanken lenkten sich in andere Bahnen.
Erst als die sanfte Dämmerung eintrat, die leuchtend untergehenden Strahlen der Sonne den schweißtreibenden, Kräfte zehrenden Ritt etwas erträglicher machte, konnten sie von weitem leichte Rauchschwaden über den Baumwipfeln aufsteigen sehen. Unter dem grauen Himmel waren sie nur schwer zu sehen und erst als das drückende Licht auf sie fiel wurden sie für einige Minuten lebendig und sichtbar.
Als sie schließlich aus dem Wald kamen erkannten sie einen kleine Trupp aus etwa dreißig Männern, die emsig damit beschäftigt waren, sich um die Feuerstelle zu drängen. Große Planen waren zu Zelten errichtet worden, wobei ein kleiner Unterschlupf aus Ästen als Stall diente.
Adam vertraute einem herumlaufenden Jungen die Pferde an, um sie versorgen zu lassen während er seine zwei Begleiter durch das kleine Gewirr in eines der kleineren Zelte führte.
Im inneren des Zeltes war es gemütlich warm und der Geruch von Salbei vermischte sich mit Wein, Metall und Leder. Sein ganzer Körper verfiel beim Eintritt durch die Wärmezufuhr in einen Ekstasengleichen Zustand. Seine Mundwinkel zuckten und er seufzte vor unterdrückter Glückseligkeit auf. Aiden wäre im Augenblick sogar mit einer einfachen Decke in diesen Glücksrausch geraten, war er dank des Rittes doch ziemlich durchgefroren.
« Ich werde gleich Mal sehen, wie es mit einer warmen Mahlzeit aussieht. », sagte Adam, steckte den Kopf aus dem Zelt, sprach kurz mit jemanden und kehrte dann zurück, um sich stöhnend auf die ausgebreiteten Decken direkt vor die Feuerstelle zu setzten. Aiden setzte sich ebenfalls hin, sein Blick ruhte kurz auf den beiden Männern, dann wandte er in ab und fixierte einen unbestimmten Punkt, um die Geräusche und Gerüche dieses Ortes auf sich einwirken zu lassen. Nach einiger Zeit weckte ihn die Stimme einer Frau, er hatte erst gar nicht bemerkt das er eingeschlafen war und hoffte er hatte seinen Gefährten gegenüber keinerlei Blöße gezeigt. Ein Traum durchsetzt von endlosem Treiben verfolgten ihn und auf seiner Stirn konnte er den noch immer feuchten Schweiß spüren, den er sich ungeachtet mit seinem Hemdsärmel abwischte, ihm aber dennoch die Haare verklebte.
Die Frau brachte ihnen etwas Essbares. Er versuchte nicht daran zu denken was er für ein grauenhaftes Bild abgeben musste und löffelte gehorsam seine Suppe aus. Schließlich legte er sich hin, zu entkräftet um etwas zu sagen, geschweige denn zu denken und so überließ er sich seinem Schicksal.

Am nächsten Tag schien es ihm, als wäre er in eine andere Welt getaucht, als würde er noch immer träumen und staunte so mit blankem Entsetzten, vermischt mit einem Hauch von Bewunderung auf das wahrhaftig durchorganisierte Treiben der Männer. Jetzt unter der kalten Sonne überlappte das Lager einen großen Platz, an dessen Grenzen, patrouilliert und diskutiert wurde. Lärm, Geklirre, Gerede, Geschrei und Hundegebell ertönte in einem hektischen Durcheinander, welches ihn an seine Zeit im Militär erinnerte.
Der Geruch von Leder, Schlamm, Metall und vor allem Schweiß und Ammoniak lagen in der Luft, doch ungeachtet darauf genoss er die Kühle und den frischen Wind, war es im inneren der Zelte doch nervtötend stickig und drückend. Von Adam oder Davies war keine Spur zu sehen und so streunte er fürs erste herum, sah sich die Pferde und die Ausrüstung an, beobachtete die ächzenden, arbeitenden Männer, während sie neue Hütten und Zelte aufbauten und sah ihn beim trainieren und kämpfen zu. An einer angelegten, aus Ästen erbauten Koppel, auf der ein Mann versuchte ein Pferde, mit mäßigem erfolg zu zähmen, blieb er letzt endlich stehen, lehnte sich an den Zaun und sah die sich windende Gestalt des Mannes, der verärgert über seine Misserfolgte vor sich hin fluchte und das nicht zu bändigende Pferd beschimpfte. Dieses schnaufte wütend auf, funkelte aus zornigen, Rotunterlaufenden Augen zurück und hob kampflustig seine Vorderbeine an. Aiden lächelte leicht in sich hinein, was würde er anstelle des Mannes tun? Wahrscheinlich erst gar nich ein solch Wildes Tier kaufen. Doch noch bevor er sich darüber Gedanken machen konnte, sah er aus den Augenwinkel heraus eine Gestalt umherlaufen, die mit ziemlich verwirrter Miene hinter ihrem Zelt verschwand. Er folgte Adam sofort. Zwar holte er in nicht wieder ein, sah nicht einmal seine Silhouette, geschweige denn irgendein weiters Zeichen seines Bruders, doch kroch in ihm ein merkwürdiges unsicheres Gefühl hoch, welches nichts Gutes verhieß.
Er wartete noch eine Weile, blieb im schützenden Schatten des Zeltes, als er dröhnende Geräusche vernahm, die von einer beachtlichen Menge aus Menschen herrührte die einen etwas überrumpelten, ihm fremden Mann mit Fragen oder waren es Lob und Wünsche? Überhäuften und ihm am weiterlaufen hinderten. Der Fremde wirkte gestresst und wand der sich zunehmend lauter werdenden Menge von gut einem dutzend Männern ab. Er bahnte sich einen Weg durch sie hindurch und ließ seinen Blick schließlich auf Aiden ruhen, ausdruckslos, wie harter Stein.
Erst nach einer Weile beruhigte sich die Menge und Aiden sah den stürmisch umherlaufenden Adam, der dem Mann etwas zurief, welches aber im allgemeinen Lärm unterging und er schnellstmöglich versuchte ihn einzuholen. Beide gingen direkt auf das ihm am nächsten stehende Zelt zu und etwas beunruhigt folgte Aiden ihnen mit den Augen.
Er hatte alles erwartete nur das nicht. Wütend und gleichzeitig mit einem Ausdruck von Sorge und Verzweiflung trat der Mann plötzlich zu ihm, fackelte nicht lange und schlug Aiden mit der Faust hart ins Gesicht, sodass er überrascht nach hinten schwankte und den Schmerz erst viel später wahrnahm.
« Du, wagst es hierher zu kommen? Nachdem du uns alle im Stich gelassen hast, du...du.. », schrie er Wutentbrand auf den etwas hilflosen, vollkommen aus dem Konzept gebrachten ehemaligen Soldaten ein und holte erneut zum Schlag aus. Doch soweit kam er nicht, Adam war direkt hinter ihm gewesen und verdrehte dem um sich schlagenden Mann den Arm, der sich wehrend herumzappelte und erschrocken das es Adam war, plötzlich mitten in der Bewegung stoppte.
Immer noch geschockt und mit schmerzender Wange festigte Aiden seinen Stand, spuckte einen Klumpen aus Blut und Speichel auf den Boden und wollte zum Kontern übergehen, als ihn die warnenden Augen seines Bruders daran hinderten und er statt dessen den ihm fremden Mann fassungslos musterte.
« Was sollte das, Mann? », entfuhr es ihm. Adam sah ihn warndend an so folgte er seinem Bruder schließelich ins innere des Zeltes und wartete ab was passieren würde.
« Beruhigt Euch. », redete Adam vorerst auf den, immer noch in seinem Griff haltenden Mann ein und stieß ihn mit einem Ruck von sich. Er schwankte unter der plötzlichen Freiheit, wand sich den beiden Brüdern zu und schob sein wuchtiges Kinn nach vorne. Überhaupt schien an ihm alles ein wenig kolossal zu sein, von seinen langen Gorilla ähnlichen Armen bis zu den Glubschaugen und dem hochroten Kopf, mit seiner kurzen, fettigen, vollkommen zerzausten Frisur.
« Hört augenblicklich damit auf. » brüllte Adam den Mann barsch an und unterband damit seinen stechenden, mörderischen Blick der auf Aiden gerichtet war.
« Ich habe weder persönliche noch geschäftliche Verbindungen mit Euch, weshalb also habe ich Euren Hass verdient ? », mischte sich Aiden jetzt ein und tat einen gewagten Schritt nach vorne, den Blick nicht von dem Mann abwendend, sondern provozierend haltend.
« Das ist es ja, nichts hast du getan. Dich feige in irgendein Loch verkrochen. Was hat dieser Seymour mit dir gemacht? Dein Hirn weich geprügelt oder hat er gefallen an kleinen Jungen? Ha! Egal was er getan hat, du hättest wie ein Mann handeln müssen und zurück zu deinen Kameraden reiten müssen. »
Der Vorwurf sickerte langsam durch sein Gehirn, durch die Nervenbahnen und bis in sein Blut, welches schlagartig gefror.
« Schweigt still, Carter. Ihr wisst nicht was nach Aidens Entführung geschehen ist. Ihr könnt ihm keinen Vorwurf machen. Er hat ehrenhaft gehandelt und ist sogleich nach Derbyshire zu mir gereist. Wenn jemand Euren Tadel und Ihre Wut verdient, dann bin ich es. », warf Adam ein und blickte die beiden anderen ernst und entschlossen an.
« Carter ? Ted Carter ? », fragte Aiden jetzt und leckte sich über die rissige Lippe, die leicht brannte aber wenigstens aufgehört hatte zu bluten.
« Richtig. », brummte er und schien einen Teil seiner Wut gezügelt zu haben « Ehemaliger Oberst und Ergebener Lord Georges. Wie könnte ich Euch nicht frei ergeben sein und Euch Schuld zuweisen ? », fragte er erstaunt an Adam gerichtet.
« Ich habe die Situation nach meiner Meinung eingeschätzt und Aiden zu Sloan geschickt. Ich hielt es für das einzig richtige. »
« Was für eine verdammte Situation denn? », schrie Aiden in die Runde und verlor seine Beherrschung. Sein Gesicht glühte und der Schweiß brach ihm aus, während seine Lippe unangenehm pochte.
« Ich habe es gestern Nacht noch erfahren. », startete Adam einen Erklärungsversuch, hielt abrupt inne und blickte verärgert zu Boden, die Hände zu zittrigen Fäusten geballt.
« Seymour, hat Abberts Creek schon fast gekauft. Mit seinen Bestechungsgeldern und vielen einflussreichen Bekannten, konnte er überzeugen ein würdiger Gutsherr zu sein. Dies würde natürlich nicht ausreichen, doch scheint es, als würde Ferguson ihm seinen Rechtsanspruch abtreten und das Gut auf ihn überschreiben. Er ist seit Tagen verschwunden.», fuhr Carter fort und beäugte Adams angespannte Haltung und biss selbst die Zähne fest aufeinander.
Diese plötzliche Wende : sein Land...unter Seymour, es traf ihn wie ein Schock und er musste dem Bedürfnis nachgeben sich zu übergeben.
Sich anschließend, bleich, unglücklich und verwirrt auf den Boden setzend, war jegliche Kraft aus ihm gewichen.
« Und Vater? » Er schluckte. Soviel er wusste, war er in Edinburgh gewesen um wenig später das Gut zu besichtigen.
« Keine Nachricht. », sagte Carter mit einem trockenen Unterton der ihnen nicht entging.
« Bisher. », fügte Adam hinzu und presste die Lippen aufeinander.
« Was hätte ich ausrichten können ? », fiel Aiden überraschen ein und er erhob sich wie vom Blitz getroffen, Carter verächtlich und zornig gegenübertretend. « Nur weil Ihr nicht in der Lage seid – unfähig - abzuschätzen wann Seymour seine Untergebenen auf mein Land setzt und selbst dieses unerlaubte Verhalten nicht unterbindet -»
« Du kleiner Köter. », bellte er dazwischen und ging einen Schritt auf ihn zu. « Dein Bruder hat mir von dem Debakel mit Seymour berichtet ! Du wusstest wo er sich aufhält, wessen Unterstützung er bekommen ! »
« Ist das so ? », fragte er sarkastisch. « Versucht Ihr Euer Versagen mit meiner Demütigung zu rechtfertigen ? Ihr seid unter meiner Würde ! Jahrelang habt ihr euch nicht für mich interessiert und jetzt soll ich den Sündenbock spielen? » Die Stimme zunehmend erhebend, schrie er zum Schluss beinahe. « Eure verlogene Organisation der dieses verfluchte Land mehr wert ist als ein Leben ! Was habe ich davon ? Ich werde Seymour töten, nicht aus Gründen wie ein Gut oder Geld oder Kapital, ich will ihm diese Schmach heimzahlen. Was er den Menschen angetan hat, die ich verehre und liebe. »
Schloss er seinen Wutausbruch voller aufgestauter Gefühle und verließ abrupt das Zelt. Adam wollte dem Einhalt gebieten, doch er schlug seine Hand von sich und stürmte hinaus um sich nicht vollkommen zu verlieren, sei es seinen Verstand oder die Gewalt über sich. Kurz sah er noch Davies, der ihn freundlich Grüßte. Mit einem verächtlichen Blick, kehrte er auch ihm den Rücken zu.

Der Mond strahlte hell und klar durch die eisige, aber wolkenlose Nacht. Sterne funkelten glanzlos, auf die Lebenden herunter und versetzten die Welt in einen melancholischen Zustand.
Aiden war lange einfach am Waldrand sitzen geblieben. Er hatte nachgedacht, die Angst in sich gespürt und zeitweise, aus einem ihm unempfindlichen Grund getrauert und war letzt endlich dazu gekommen, umher zu laufen.
Hinter dem im dunklen liegenden Pferdestall, fand er endlich die gewünschte Ruhe und ließ sich zerstreut, entkräftet und den Bauch voller ihn erdrückender Wut nieder.
Die Beine an den Körper gepresst saß er da und versuchte der Kälte zu trotzen. Der graue Wolf dicht an ihn geschmiegt sah elend aus, versuchte aber zu trösten. Er war plötzlich erschienen, wie aus dem Nichts, als wäre er aus dem inneren seiner Seele gesprungen, um sich hier in der Realität eine feste Gestalt zu suchen und zu ihm zurück zu kehren.
Fast lautlos, hatte sich Kiba an ihn herangeschlichen, sich stumm neben ihn gesetzt und sich friedlich an ihn geschmiegt. War Sir Craig vor Ort ?
Wortlos betrachtete er das Tier, kraulte den warmen, zerzausten Kopf ohne sich weitere Gedanken zu machen und seufzte auf.
« Du fühlst dich schuldig, glaubst das es wahr ist, oder? »
Sein Blick schnellte sofort hoch und starrte den Mann der gesprochen hatte ungläubig an. Er wusste nicht ob seine Anwesenheit jetzt ausreichen würde, um einen Riss in seine harte Schale aus Trauer und Wut zu hauen, doch er ließ sich gerne auf einen Versuch ein.
Wenn er mit ihm reden würde, sie über alles sprechen könnten, dann wäre es wieder gut, die Tränen versiegt und der Schmerz vergessen, so hatte er es geglaubt. Leider war es nicht so. Im Gegenteil es schmerzte umso mehr, als er jetzt Adams ebenso trauernde Miene sah.
« Und was glaubst du? », fragte er tonlos, den Blick nicht von Kiba nehmend.
« Es ist Schwachsinn, was Carter behauptet. Du alleine hättest Seymour nicht aufhalten können. »
« Ich hätte es versuchen können. »
« Was du auch getan hast, die Sicherheit von dir und Miss Kincaid hatte oberste Priorität. Mach dir also keine Vorwürfe. »
Aiden schluckte, wagte es kurz zu seinem Bruder hochzusehen und entdeckte ein aufmunterndes Lächeln.
« Carter ist verärgert, dass ist verständlich und er wird einsehen, dass du nichts hättest ausrichten können. »
« So ist es in der Tat. Was hätte ich auch ausrichten können ? »
« Aiden, jetzt reiß dich zusammen. Es ist eine schwere Zeit für uns alle. Sobald wir Nachricht von Vater bekommen, wird sich Carter wieder beruhigen. Wir beide dagegen haben ein anderes Ziel. » Er setzte sich jetzt kameradschaftlich neben seinen jüngeren Bruder, fasste ihn an die Schulter und versuchte ihm so seine Unterstützung klar zu machen.
« Welches da wäre? », fragte Aiden aufgewühlt.
« Ich habe mit Carter gesprochen. Wir werden morgen Früh abreisen. Etwa zwei Tagesreisen von Newport entfernt, wird er uns mit seiner Tochter treffen, die wir dann sicher mit uns nehmen werden. Anschließend werde ich meinen eigentlichen Auftrag erfüllen. »
Aiden spürte wie eine mit sich getragenen Last von ihm fiel, er wollte und wenn er dafür mit seinem Herzblut bezahlen musste, nicht länger an diesem Ort verharren müssen. Die Umgebung, die treu ergebenen Männer, Carter, selbst Davies ; alle trugen dazu bei, dass er sich als Außenseiter fühlte, als Verräter.
« Das Vertrauen ist dir sicher.», sagte Adam plötzlich, der sein Gesicht aufmerksam beobachtet hatte.
« Nicht mir, sondern Lord George. »
« Vater schätzt dich sehr. Du bist sein Sohn, sein leiblicher Sohn ! Er vertraut dir, ebenso wie ich. Er ist ein Mann voller Willenskraft und Ausstrahlung, Entschlossenheit und Charsima, ich weiß, dass die Männer ihm ansehen können, wie viel ihm an dir liegt. »
« Es ist umständlich, wenn wir Carter erneut treffen sollten, wo er doch vor Ort und Stelle ist, oder ? », fragte er jetzt ausweichend und stoppte das Kraulen von Kibas Kopf, der empört die Augen aufschlug und ihn tadelnd anblickte, worauf Aiden nur mit den Achseln zuckte.
« Das ist er, nur seine Tochter nicht. Carter ist bereits abgereist, um sie zu holen. Allerdings werde ich jetzt gehen müssen, wir haben einen Besucher bekommen und gemeinsam werden einige organisatorische Dinge besprechen müssen – natürlich kannst du der kleinen Versammlung beiwohnen. »
« Vielleicht. » , räumte er ein, hielt Adam aber noch einmal auf, als dieser Anstalten machte zu gehen.
« Dein eigentlicher Auftrag ist nicht irgendeinen einflussreichen Mann von unseren Plänen zu überzeugen, oder irre ich mich da? Du bist in der Organisation viel zu wichtig, als dass du dich auf so etwas einlassen würdest, wofür sie dir vorher erst einmal einen so banalen Auftrag verschaffen müssten... »
« Nein da irrst du dich nicht. Mein Auftrag ist einen Mann zu töten, der in wenigen Tagen in Newport sein wird. Und aus diesem Grund Aiden habe ich gewollt das du mich begleitest, denn in weniger als einer Woche wird Seymours Blut von unseren Händen in den kalten und vor allem stummen Boden sickern. Sollte dies vereitelt werden, habe ich keine Wahl, als Ferguson aufzusuchen… »

32. Versammlung

Wohin sollte er gehen? Wie zu seinem Vater Verbindung aufnehmen? Wie zu Helen gelangen?...wenn sie beide überhaupt noch lebten. In ihm krampfte sich alles zusammen. All diese Fragen, hatte er überhaupt Zeit, um darüber nachzudenken?
Entschlossen ging Aiden ihnen aus dem Weg. Er hatte über diese problematischen Beziehungen weder mit jemanden offen gesprochen, noch sie sich anmerken lassen und so fühlte er bedrohlich, dass immer schwerer werdende Gewicht auf seinen Schultern. Am frühen Morgen, so hatte es ihm Adam erzählt, war ein Abgesandter der Dixons gekommen und hatte die baldige Ankunft John Dixons angekündigt. Ein Gentleman an dessen erstes Zusammentreffen er sich nur allzu gut erinnern konnte. Es war im Winter zuvor gewesen. Durch einen Unfall war er von seinem frühere Partner, Sir Craig, mitsamt Kiba getrennt worden und irrte verlassen in der Einöde eines ihm unbekannten Gebietes umher. Dixon hatte ihm Unterkunft gewährt und ihm eine zuvorkommende Gastfreundschaft zukommen lassen. Aufgrund dieser Begegnung, war Dixon mit seinem Vater in Kontakt getreten und ist zu einem guten Freund der Familie geworden.
Bei dem Gedanken an diese Begegnung, wurde ihm warm und er verlor sich weiter in Erinnerungen. Sich zurück in die Realität zwingend, sah er sich schließlich um und beobachtete, halb vor sich hinträumend seine Umgebung.
Es herrschte Trubel und Unordnung, so sah er Davies sich zittrig und aschfahl umherschleppend und bei dessen Anblick er stutzig wurde. Von Adam fehlte jede Spur.
Mit jedem Kommen und Gehen erwartete er Johns aristokratisches Gesicht zu erkennen und wurde doch jedes Mal enttäuscht. Es war bereits tiefste Nacht, welche ihre Schatten über die sonst so graue Welt legte. Die Feuer waren die einzige Lichtquelle, in der unbekannten Finsternis, als John dann endlich eintraf. Er wirkte sichtlich mitgenommen. Sein braunes Haar zerstrubelt, sein Gesicht glänzend vor Schweiß und seine dunklen Augen vor Aufgregung ganz groß, begrüßte er seinen alten Freund sofort.
Zu seiner Verwunderung befand sich Davies, als er jetzt gemeinsam mit John zu der kleinen, einberufenen Versammlung ging, nicht unter den Männern. Statt dessen sah er Adam unter den dort Sitzenden. Er glich einem Mann mit Autorität und strahlte ähnliche Entschlossenheit aus, die er in den Zügen seines Vaters in Erinnerung behalten hatte – es wirkte grotesk gestellt auf Aiden.
Er versuchte diesen Gedanken zu verdrängen, spürte seines Bruders Blick und versuchte sich nicht in seine Nähe zu setzten.
Mit dem Eintreffen des letzten Mannes, begannen die Gespräche. Lange Reden über das Vorrankommen das Gerichtsverfahren, welches man plante in wenigen Tagen anzusetzen. Das Sammeln aller Pächter, Verbündeter und Organisationsmitglieder, die Versorgung und eventuellen Hindernissen die auftreten könnten, ließen einen eher einseitigen Abend beginnen. Wie in Trance lauschte Aiden dem Gespräch, als es schließlich zu Lord George selbst führte, wurde er hellwach. Man sagte Worte des Mitgefühls und lobte ihn in höchsten Tönen. Manche erwähnten seine Vorsetze, seine Ziele als weile er schon unter den Toten. Es kam wie es kommen musste und das Thema wechselte zu ihm. Viele der ihm Fremden Männer nickten ihm zu, sprachen kurz mit ihm, andere schauten nur irritiert als hätten sie etwas Besseres erwartet.
Zum Schluss folgten einige Anweisungen der Organisation, die er als sehr fragwürdig einstufte und sich umso verwirrter, als an Informationen bereichert fühlte. Ihm beschlich die Gewissheit, dass die Versammlung in einem merkwürdigen Klima statt fand, es kein Vertrauen, keine Ergebnisse und umso mehr unausgesprochene Worte gab. Zum Beispiel sagte niemand konkrete Namen, Orte oder Städte nicht ein bestimmer Zeitpunkt oder ein Datum wurde erwähnt und Aiden war froh, als er in einer kurzen Pause entkommen konnte.
Er seufzte schwer in die kalte Nacht, sah vor sich seinen geisterhaften Atem und erschrak nicht im geringsten, als John sich ihm näherte und ihn kurz begrüßte.
« Viel Getue », nuschelte er und lächelte ihm verschmitzt zu.
« Es sind zu wenig kluge und zu viele begierige Köpfe dort drin, als dass es wirklich zu ernsthaften Entschlüssen kommen wird. », sprach Aiden seine Gedanken aus.
« Du hast recht, Aiden, umso mehr war ich verwundert, als ich vernahm, dass du der Versammlung beiwohnen wirst. »
Aiden lächelte bitter, das Schicksal ist doch wirklich unergründlich. Kurz musste er wieder an ihr erstes Treffen denken.
« Es ist schrecklich was dort passiert ist. », sagte John. Aiden wusste sogleich was er meinte.
« Nun keine Nachricht von meinem Vater, kann ebenso ein Zeichen dafür sein, dass er sich versteckt hält oder auch aus tausend anderen Beweggründen heraus. Zwar war es sehr überraschend, nur… »
« Es war in der Tat, überraschend, doch ist diese Tatsache das kleinere Übel. Falls Geroge nicht bald Kontakt mit seinen Geldgebern und Begünstigten aufnimmt, werden sich Gerüchte entwickeln, die dann Widerrum zu Ärgernis, Komplikationen und Streit führen. Ehrlichkeit ist höchstes Gebot, so hat es dein Vater seinen Gefolgsleuten vermittelt, als man von deiner Entführung erfuhr…es war eine schreckliche Stunde. Zwar hat dieser unmenschliche Seymour nicht sein Ziel erreicht, aber Unstimmigkeiten in den Reihen deines Vaters verursacht. »
« Das ist… » Er verharrte in einem melodramatischem Schweigen, was John nicht entging.
« Nein, gewiss ist es ist nicht deine Schuld. Ich wusste ja nicht das die Organisation ein solches hin und her mit den wahren Gegebenheiten deiner Herkunft gemacht und dir so lange die Wahrheit über diese und die Verbindung zum Gut deines Vaters verschwiegen hat. »
Gegebenheiten wie sich das anhörte! Innerlich wurde in ihm eine tiefe noch immer blutende Wunde aufgerissen. Behutsam sagte er: « Die Organisation hat so manchen Fehler begangen aber, dass George, mein Vater nun vielleicht...ich meine mein Vater von so einem Tyrannen... »
« Tyrann ist untertrieben. Steward Seymour, ist der skrupelloseste Mörder den ich kenne... »
Ha, als wenn er das nicht selbst wüsste...es schauerte ihm bei dem Gedanken, musste er doch an die Schläge und peinigenden Augenblicke seiner Gefangenschaft in dessen Hände denken.
« Wirklich, welch Elend, es ist doch offensichtlich… »
Aiden hörte schon längst nicht mehr zu, dass war alles was er bisweilen verkraftete. So wollte er nicht wieder, wie schon zuvor mit Carter in einem üblen Streit enden, denn das Gespräch entwickelte sich, entgegen dem was er erwartet hatte, immer mehr zu seinem Nachteil. Etwas hastig wimmelte er John wieder ab und nuschele schnell eine Entschuldigung, nicht zurück zur Versammlung gehen zu können.
Es waren nur wenige Augenblicke vergangen, doch er fühlte sich als wäre jeder Atemzug unendlich lang und er würde kostbare Zeit vergeuden. So rannte er aus Panik durch das Lager. Er musste weg, mit dem Pferd? Ohne einen Rückblick, rannte er zu den Ställen. Kaum erkannte er das wackelige Gerüst und die sich bewegenden Tiere, als er streitende Stimmen vernahm.
« Es ist mir egal ! », donnerte Davies Stimme ihm entgegen, der darauf von einem ihm unbekannten Mann zum Flüstern verwiesen wurde.
« Ich verstehe Ihre Wut, doch solltet Ihr Euch mit der Situation abfinden. Sie ist eine verheiratete Frau. »
« Als wenn ich dies nicht wüsste! Wie oft habe ich sie angefleht, wie oft hat sie meine Avancen verschmäht und ist diesem jungen, einfältigen Burschen in die Arme gelaufen. »
« Ihr leidet unter Eurer Zurückweisung, doch Ms Briggs, wird nie mehr die Eure sein. »
Aiden hörte diese Worte und fühlte sich peinlichst Berührt. Wie oft hatte er Davies grimmige Laune, Ms Briggs Verzweiflung und Mr Briggs säuerliches Schweigen beobachtet ?
Ich brauche mir, da Mr Sloans Bekannte nicht länger in ihrem Umkreis sind, keine weiteren Gedanken über meine Frau zu machen. Diese Worte oder ähnlich, hatte ihm Mr Briggs an einem ruhigen Nachmittag vermittelt, hatte er damals auf Davies angespielt ?
Während die Gedanken sich in ihm überschlugen, lief er zurück, unentdeckt führte sein Weg ihn mitten in den Wald.
Eine leichte Paranoia schien ihn zu verfolgen, er lief schneller und spürte sein wild klopfendes Herz.
Durch ein Gewirr von Ästen blickte er zum abnehmenden Mond, verborgene Instinkte wachten in ihm auf und erglühten in seinem Eifer zu Feuer das in seiner Seele brannte.
Der Boden war kalt und voller Frost, er ignorierte es. Kühle, berauschende Luft schwebte umher und ließ ihn euphorisch werden.
Nach einer Weile verließ er den Wald. Er fühlte noch immer die Hast und die angespannten Muskeln, aufgrund der riskanten und überstürzten Flucht, als er tiefe Abgründe überwindend einen kleinen Berg hochkletterte. Vor ihm lag die Weite des Landes, eine Klippe unter ihm. Die Kälte des Waldes und das Rauchschwaden umgebende Lager lagen weit hinter ihm.
Er atmete tief und kontrolliert ein, wollte sich jetzt beruhigen, sich konzentrieren. Es war wohl wirklich ein bisschen schnell gegangen, hatte er eine Wahl gehabt? Er war in dem kurzen Sprint nicht weit gekommen, hatte nur ein kurzes Stück Wald hinter sich gelassen. Er wollte nur weg, kurze Zeit allein sein und diese Einsamkeit in sich aufnehmen, wie ein rettendes, längst vergessenes Seil, welches ihm in der Stunde der Not diente.
Das Knacken eines Astes ließ ihn herumfahren.
Zuerst sah er nichts, dann ging langsam, aber zielstrebig ein Mann auf ihn zu. Als er stehen blieb trennten sie nur wenige Meter. Adam, mit einem wissenden Blick und ruhiger Art stand vor ihm und zerstörte den Augenblick nach dem er sich seit Tagen so sehr gesehnt hatte ; alleine, mit einem leeren Geist, einen vor Adrenalin wankenden Körper und gedankenlosem Kopf.
« Eine stürmische Flucht. Ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell die Initiative ergreifen würdest. »
« Nicht wahr? », sagte er heiser und auf eine durchschaubare rhetorische Art. Er befand sich noch immer in einem erregten Zustand. Sein Herz beruhigte sich nur in einem gezwungenen Takt und er widerstand dem Drang weiter zu laufen. « Warum bist du nicht bei der Versammlung? », fragte Aiden schließlich, um sich selbst zu zügeln und mit der Tatsache konfrontiert, dass er nicht ohne Adam gehen konnte.
« Es ist doch alles immer das gleiche, eintöniges Gerede. Es schadet nicht wenn ich mir einen ruhigeren Abend vor unserer Abreise gönne, als mich mit einem so hohlen Gesindel abzugeben und mich hinterher mit irgendeinem streitsüchtigen Mann im Gebüsch wieder finde. Mit blauem Auge und gebrochener Rippe wohl gemerkt. »
Aiden der darin auch seinen eigenen Plan, der ihm zu der überstürzten Flucht hatte greifen lassen, sichtlich erkennen konnte, musste lachen und schüttelte sich vor Belustigung, worauf Adam nach dem Grund fragte. Er sagte es ihm und beide fielen in ein dummes Gelächter.
« Zwei Idioten in ihrem Element. », meinte Adam und sah ihn aus glänzenden, erheiterten Augen an.
« Und das kurz vor einem Mord. », tadelte er ironisch, drehte sich von ihm weg und blickte erneut in die vor ihm liegende Landschaft. Ja, er hatte sich entschieden, Seymour durfte ihm sein Leben nicht länger zur Hölle machen. Der Mann musste verschwinden.
« Wir haben keine Wahl. », sagte Adam sanft und legte, wie üblich, seine Hand auf Aidens Schulter, wodurch er das Gefühl bekam das mitten in diesen Weiten der Unendlichkeit dies das einzige war was ihm Halt gab. Aiden war seinem Bruder unendlich dankbar. Im stillen wussten sie das beide, sagten aber nichts, sondern beobachteten staunend, wie sich vorsichtig die ersten Schneeflocken, kleine weiß Pünktchen in der Dunkelheit vortasteten und eine neue Jahreszeit einläuteten.

Da er sich nicht hinauswagte blieb er vorerst in dem seltsamen Gefängnis, dem Zelt in das sein Bruder und er nach ihrem, spontanen Ausflug vor Müdigkeit, am Rande der Erschöpfung, hineingeflüchtet waren, um endlich selig zu schlafen. Wenigstens für ein paar kostbare Stunden. Adam...er schlief wieder, die Erschöpfung und die Ruhelosigkeit standen ihm ins Gesicht geschrieben. Was sollte er nur tun? Letzt endlich konnte Aiden nur warten und hoffen, doch worauf? Vermutlich das Beste...Denn er sah sich schon kämpfend mit einer Meute von wilden Tieren und Dämonen in Menschengestalt. Er konnte ihre Atemzüge, ihre Schritte und sie sprechen hören.
Zuerst wurde er unruhig, doch schließlich ließen ihn der neu heranströmende Geruch nach Essen und die fast im Takt ablaufenden Geräusche, eine ungewöhnliche Ruhe empfinden und er schlief ein. Träumend und vor sich hinmurmelnd schaffte er es, die vorzeitig missliche Lage zu vergessen.
Er träumte er wandere in einem Kräutergarten. Undefinierte Gerüche stiegen ihm in die Nase, während er sich halb blind durch den Garten kämpfte. Seine Sicht wurde immer schlechter, letztlich sah er nur noch verschwommene Umrisse und fühlte, wie ihm der Schweiß von der Stirn lief und an seinen Handflächen klebte. Er hörte einen Wolf knurren und musste erkennen, dass er da bereits wieder die Augen aufgeschlagen hatte und den Geräuschen die der Wind zu ihm trug lauschte. Kiba lag an seiner Seite. Das prasselnde Feuer erklärte die Hitze, welche er in seinem Traum verspürte hatte und die ihn so schwitzen ließ. Er wand sich von Kiba und dem Feuer ab und stand auf. Sein Kopf war so leer, als hätte er niemals etwas gewusst, doch schon im nächsten Moment kam die Erinnerung wieder und er heulte auf vor Entsetzen. Helens Augen starrten ihn an. Dieses Bild wollte nicht vor seinem inneren Auge verschwinden, ließ ihn aber inne halten. Er schluckte einen merkwürdigen Klumpen hinunter und drehte sich aus Scham von jedem Lebewesen im Zelt weg und ging hinaus. Obwohl sie alle schliefen, wollte er ihnen noch immer weder Trauer, noch irgend eine andere Blöße zeigen.
Im selben Moment machte sich Aiden bereit, nicht zum angreifen oder zum zurückkehren, er ging dem Mond entgegen. Wie hypnotisiert betrachtete er ihn, dann sah er zurück, Adam drehte sich kurz im Schlaf.

Merkwürdige Böen zogen umher. Eine klare stille legte sich über das Land und der Duft von Laub, Erde und Schnee lag in der Luft.
« Er sollte schon längst hier sein, hoffentlich hat man ihn nicht erkannt. », stammelte Adam zum dritten Mal und faltete seine nervösen Hände ineinander. Nachdem sie früh aufgebrochen und ohne weitere Zeit zu verlieren zu dem ausgewählten Treffpunkt mit Carter geritten waren, hatten sie diesen nach zwei schweißtreibenden Tagen erreicht und warteten nun auf dessen vermeintliche Ankunft.
Aiden, der sich unkonzentriert zu einem Dösen verleiten ließ, schreckte bei den nahenden Geräuschen auf.
« Kannst du das vernehmen ? », fragte er, keineswegs beunruhigt. Adam setzte sich in seinem Sattel gerade auf, die Nervosität war ihm ins Gesicht geschrieben.
« Ich höre es ebenfalls. Trotz unserer Vereinbarungen... lass uns hier im Schatten der Bäume bleiben. »
Die Geräusche kamen näher, bis aus Schatten, Umrisse und schließlich Menschen wurden. Aiden gab feierlich Entwarnung, stöhnte freudig auf und trieb sein Pferd aus dem schützenden Unterholz.
Carter mit leichtem Bartansatz und seltsamerweise freundlichem Gesicht, sowie ein Mädchen gerade mal sechs oder sieben Jahre alt, grüßten vom Pferderücken aus mit der Hand. Als sie abstiegen folgte eine formelle Begrüßung der beiden Männer. Aiden fühlte den missbilligenden Blick Carters und drehte sich zu dem Mädchen um, die ihn mit interessierten Blick beobachtete, während er selbst den ihres Vaters umständlich auswich. Da er dessen Angriff innerlich noch verarbeitete und zu gegebener Zeit ein Pochen oder leichten Schmerz in seiner bis gestern noch geschwollenen Lippe spürte, ließ ihn Carters Anwesenheit wütend werden.
« Bleib vorerst hier. », sagte Carter plötzlich zu dem Kind, Aiden gekonnt ignorierend, dann er ging mit Adam davon.
Aiden drehte sich um und folgten ihnen mit seinem Blick, dann sprach er das Kind an, die ihm schüchtern auswich und zu Boden starrte. Er versuchte es mit ein paar Komplimenten und schaffte es ihr ein Lächeln zu entlocken. Wie er darauf erfuhr hieß sie Belle Carter. Die Pferde grasten genüsslich vor sich hin und schritten umher, während das Mädchen sie dabei beobachtete. Sie redeten noch eine Weile, doch ihre Introvertiertheit ließ nicht nach, das es ihm bald sinnlos erschien, sie weiter zu bedrängen.
« Belle. » Das Mädchen drehte sich um und blickte zu dem Mann der mit ihr angereist war, Ted Carter eilte jetzt unverbunden zu ihnen zurück.
« Vater. »
« Wie zuvor besprochen, werde ich dich in der Obhut meines Freundes lassen. Ich vertraue auf deine Erziehung, dass du mich nicht enttäuschen wirst. »
« Wie Sie wünschen. » Ihre Stimme klang leicht unsicher, dann wandte sich Carter, ihm zu und sprach: « Ich bitte Euch meiner Tochter sicher nach Newport zu bringen. »
Etwas ungläubig starrte Aiden zu Adam, dieser nickte ihm zu, sagte jedoch nichts und auch Aiden schwieg, was Carter dem Anschein nach als ein « Ja » interpretierte.
« Selbstverständlich. », antwortete Adam. « Wir werden die junge Miss Belle zügig und sicher nach Newport bringen. Machet Euch keine Sorgen um sie. » Ein Teil der Anspannung wich von Carters Gesichtszügen, zumindest wirkte es einigermaßen freundlicher.
« Ich danke Euch und wünsche euch gutes Gelingen für euren Auftrag, es wird nicht leicht. »
« Wie wahr. »
Mit einer Umarmung und einem Kuss verabschiedeten sich Vater und Tochter.
Drei Tage waren seit ihrer Bekanntmachung vergangen und die Reise wurde zunehmend anstrengender, wenn nicht gefährlich, ging man auf die Umstände ein, das sie nur zu dritt, mit Pferden, deren Fell in der kalten Sonne strapaziert glänzte und das Abseits jeglicher Zivilisation reisten. Die letzten Regenreichen und zwischendurch, matt glänzenden, in all den Herbstfarben leuchtenden Tage zogen sich dahin. So wirkte ihre unmittelbare Umgebung auf sie beruhigend, ja fast unschuldig, mit dem unterschwelligen Grollen verbunden der diese Harmonie bald in ein wüstes Chaos aus Schnee und Eis verwandeln würde.
Sie ist eine lebenshungrige Katze, dacht Aiden und beobachtete Belle, wie sehr sie sich an ihre irdischen Güter und der Vorstellung ihr Vater würde alles in Ordnung bringen klammerte.
Zugegeben, er selbst war nicht sehr mit dem Ausmaß und den Schwierigkeiten der Probleme seines Vaters vertraut, doch konnte er sie umso eher einschätzen.


Er verstand lediglich das Leid welches sich breit machte, wie dichter Nebel, verstand die Ungerechtigkeit und die Entschlossenheit seines Vater. Konnte er schon nicht seine Geliebte, so doch ihren Sohn und womöglich dessen Land retten. Er verstand, wie sich das zornige Feuer in den ungeduldigen Seelen der Krieger, ausbreitete und sie in Anspruch nahm als wäre es ihr Lebenselixier, eine Droge die ihnen das Atmen erleichterte und die Zeit für sie still stehen ließ. Sie auflöste und bändigte. Es war lange her. Der Unfall der ihn zum Halbweisen gemacht hatte, doch der Schmerz, die Angst und Verzweiflung brannten im stets im Gedächtnis.
Nach einem weiterem Kräftezehrenden Tag erreichten sie Newport.
Aiden ritt in die Arme der Stadt, mit fast penetranten Vorahnungen. Einerseits war er froh die ihn aufwühlende, strapazierende Reise nun endlich zu beenden, andererseits dämmerte ihm etwas worüber er sich bisher keine Gedanken gemachte hatte. In mitten dieser riesigen Stadt bekam er es mit der Angst, bei der Vorstellung bald einen Menschen zu töten.
Er sah den Fluss Usk, erinnerte sich an den Sitz einer der einflussreichsten Familien, den Morgans, über deren Sympathien sein Vater sich nicht ganz im klaren war. Er sah die Fischerboote, die florierenden Geschäfte, die wunderschöne Landschaft und ritt mit seinem kleinen Geleit durch die lärmenden Viertel der Stadt. Wäre er hier in dieser kolossalen Stadt nicht ein gefundenes Fressen für das Pack, unter anderem den Anhängern Seymours die hinter ihm her waren?
Mit einem Mal flutete alles auf ihn ein, warum war er nicht vorher darauf gekommen?
Wieso hatte Sloan ihn nicht auf eine solche Tat vorbereiten können ? Weshalb nicht sein Vater oder Bruder ? Wie würde es ihm ergehen, sollte er erst einmal den offiziellen Schritt gegen Seymour machen? Was würde auf ihn zukommen? Was geschehen und vor allem wie und wann? Mit einem Schüttelten vertrieb er die ungewünschten Spekulationen wieder und ließ statt dessen seinen Blick zwanghaft umherwandern. Er versuchte einigermaßen ruhig zu wirken und atmete kontrolliert ein und aus. Jeder seiner Schritt, würde nun unter Beobachtung stehen.

Die gigantische Stadt blieb hell, beleuchtet unter den wachsamen Augen der Polizei, die wie Bäume aus dem Boden wuchsen, wohin man auch sah. So etwas hatte Aiden nie zuvor erlebt. In Newport taumelten die skurrilsten Persönlichkeiten umher, in den Nachtlokals wurde gefeiert, getrunken und randaliert. Die Vergnügungsviertel standen offen und die Menschen genossen das Leben in der Nacht wie am Tag.
« Du siehst so sehnsüchtig nach Draußen. » stellte Adam nüchtern fest.
Sie waren Gäste in einer Wohnung, direkt über der dazugehörigen Druckerei. Verwandte von Ted Carter lebten hier und zeigten sich für ihren Bringdienst erkenntlich, in dem sie ihnen Unterkunft und Verpflegung boten.
« Diese Stadt fasziniert mich. », antwortete Aiden vorsichtig und legte seine Hände auf die Fensterbank. Sein eigenes Gesicht und die strahlenden Augen lächelte ihm durch die in der Nacht, wie Spiegel wirkende Fenster entgegen, verheißungsvoll und mit unschuldigem Verlangen.
« Du hast Zeit genug, dir alles anzusehen und auch für die eine odere andere Gesellschaft, wenn nicht gar für einen Theaterbesuch. Wir werden noch ein paar Tage hier bleiben. »
Um dann so schnell wie möglich wieder zu verschwinden und unterzutauchen, dachte Aiden und spürte die Übelkeit die bei diesem Gedanken aus ihm heraus brach. Hinter den Fenstern wirkte die Stadt wie eine einzige hügelige Landschaft. Sanft gewellt, derweilen verkantet und an den großen Plätzen und nostalgischen Straßen hell, ja fast pompös erleuchtet, wie ein hinterlistiger Pfad direkt in die Tiefen der Hölle, wo sich dessen Herrscher selbst genüsslich und sadistisch über einen hermachen würde.
Vier Tage würden sie bleiben, so hatte es Adam gemeint. Gut, dachte er nur, genug Zeit, sich von den Zweifeln zu lösen und sich selbst, nach dieser anstrengenden Tortur und Hetzerei einem belanglosen, ruhigen Voranschreiten hinzugeben, um sich innerlich wieder die alte Kraft zurückzuholen, die ihm mit der Zeit verloren gegangen war.
Die Sonnenstrahlen am nächsten Tag weckten die tüchtigen Handwerker, ließen die Menschen sich strecken und Gähnen, die Frauen einkaufen und die Händler um jede six Pence Münze veilschen, während die Kinder ihre Flausen in die Tat umsetzten.
Es war gigantisch, wie viele Leute sich herumtrieben. Kinder spielten wie selbstverständlich in den Menschenbevölkerten Straßen, Tiere streifen umher, ebenso herren- wie furchtlos. Festplätze die bis zum nächsten Abend erbaut werden mussten, Baustellen und viele andere merkwürdige und fremde Bauten, streuten sich wie Sandkörner in den Straßen aus. Denkmäler, Kirchen, Gerichtsgebäude, kleine Läden mit seltsamen eher ekeligen Dingen darin zu kaufen, reihten sich hier neben ganz normalen Lebensmittelgeschäften, Hufschmieden, Bücherständen und Theatern wie Operetten. Die Parkanlangen waren zwar nicht mit dem St. James Park in London zu verlgeichen, waren aber durchaus dazu geeignet einen schönen Spaziergang zu machen. Seine Sorgen konnte man in jemden Fall, für eine Weile vergessen
Der Markt, der riesige Fluss, die Gassen mit den Sternen übersehten Himmel... Wo er hinblickte erkannte Aiden etwas Neues und wagte sich bis tief in dessen Geheimnisse hinein, die sein Herz entzückten. Die Gerüche nach Fisch und gebratenen Nudeln vermischten sich mit Schweiß, Gewürzen und süßlichen Parfüm das stetig in der Luft zu liegen schien, dem Aroma, dem Kennzeichen der Stadt.
Eine Welle der Freude lag über dieser, von der sich Aiden ganz und gar mitreißen ließ.
Den Tag verbrachte er ruhig, indem er hier und da umherstreifte. Er sah den Dieben belustigt bei der Arbeit zu, besuchte den Markt mit seinen riesigen Angeboten von Fisch, Fleisch, Kräutern, Ale und Wein, sowohl auch ausländischen Spezialitäten. Es gab Etablisments und Vergnügungshäuser, Restaurante und Pubs, in die er allerdings nur reinlugte und nicht besuchte - bei dem Gedanken überfiel es ihm mit einer beachtlichen Menge an Scham. So jedoch hätte er schwören können Adam zwischen all den markanten, dreckigen Halunken gesehen zu haben...er verdrängte dieses Bild lieber ganz schnell wieder...
Gegen den späten Nachmittag lief er zum großen Hafen. Die Seefahrerei hatte ihn noch nie groß beschäftigt oder interessiert, er hatte zugegebenermaßen nur selten ein solches Menschenwerk, ein Gerippe aus Holz, welches über dem Ozean gleitete, betreten und es schauerte ihm immer wieder davor.
Er streifte noch eine Weile umher, dann entschloss er wieder zurück zu gehen und bahnte sich den Weg, der beleuchtet durch die Abenddämmerung war, durch die vielen Straßen. Wo musste er noch einmal lang? Die Orientierung verloren, musste er die eine oder andere Dame fragen, die ihm entzückt über seine Galantheit und gespielte Einfältigkeit sehr gerne behilflich waren.
Zurück in der heimeligen Wohnung, erwartete ihn Adams Zorn. Zu gefährlich war die Umgebung, zu ungestüm seine Unternehmungen und zu sorgenvoll seine Gedanken, als dass er seinen Bruder der Stadt alleine aussetzen konnte.
« Mir geht es ausgezeichnet. » , sagte Aiden trocken, doch seine Worte gingen im Lärm der hinter ihm liegenden Stadt und dem Knarren eines von Pferden gezogenen Wagens unter. Adam dagegen sah ihn noch eine Weile böse an, sagte aber selbst nach dem Essen nichts mehr, sondern sparte sich seine weniger höfflich ausformulierten Worte für später auf.
Darauf beschloss Aiden notgedrungen früh schlafen zu gehen und verschwand kurz darauf in dem bereitgestellten Gästezimmer. Schließlich öffnete er das Fenster und legte sich dann auf sein Bett, um den Sternenhimmel zu betrachten. Die Zeit verrann und als er nach langem hin und her und den ihn störenden Geräuschen beinahe eingeschlafen war, vernahm er das aufstoßen seiner Tür.
Sich umdrehend erblickte er Adams, etwas vom Alkohol benebelten Kopf hineinschauen und dann wieder verschwinden. O Himmel, dachte Aiden ironisch und drehte sich wieder auf die andere Seite.
Am nächsten Tag war ihm, als würde sich die Strafe für seinen gestrigen, eigentlich unerlaubten Ausflug in die Stadt, schneller materialisieren, als ihm lieb war. Schicksalsergeben schlich er um die nächste Ecke, im Rücken nicht nur einen widerlichen Krampf und verspannte Muskeln, sondern als kostenlose Drauflage einen bitterkalten Zug, dessen Wind ihm wie Hiebe ins Gesicht schlugen. Wäre dies nicht schon schlimm genug, fegte im nächsten Moment eine Böe, ungeahnten Ausmaßes durch die Straße und gewaltige, Schneeregengüsse platschten auf die gepflasterte Straße, dass er dachte es würde sich um die Apokalypse selbst handeln, die drohend über sie hereinbrach.
Als er schließlich in die voller Sehnsucht erwartende Wärme des Hauses drang, fühlte er sich mit einem Mal wie ein fremdartiger Körper. Überrascht und auf eine gewisse Weise ebenso positiv überrumpelt, nahmer mit zitternder Hand das ihm von Ina gereichte Handtuch entgegen. Sie war mindestens so durchnässt wie er und zitterte am von den nassen Kleidern beklebten Körper, während sich ihre langen blonden Haare, vollkommen zerzaust, wie glitschige Algen, um ihr Gesicht und ihre Schultern legten.
Er war wohl keinen deut zu früh erschienen und rubbelte sich schon mit dem Handtuch über den Kopf und wischte sich das perlende Wasser, welches ihm striemenähnlich über Wangen und Stirn lief, vom Gesicht, doch sagen konnte er nichts. Viel zu gefroren waren seine Glieder, gleichermaßen seine Zunge, als dass er es auch nur in Betracht zog. Ina dagegen sah ihn haltlos an. Etwas an ihrer Art irritierte ihn und er fragte sich woher sie so plötzlich aufgetaucht war, war sie doch ein Eingeweihte der Organisation, die Tochter von Carter (das hatte er sich aufgrund einiger Tatsachen zusammengereimt), unberechenbar und doch...es war lediglich Ina.
Bevor er sich weiter darüber Gedanken machen konnte, zog ein mickriges, aber mit dicken Locken gesegnetes Dienstmädchen die Aufmerksamkeit auf sich und führte sie aus der Eingangshalle in den anliegenden Salon, wo sie schließlich ruhig und etwas entspannter verharrten.
Aiden wollte ihr das Handtuch zurückgeben, doch sie lehnte mit einer Geste ab, ging auf einen alten, aus Eichenholz gezimmerten, mit Fresken übersehenen Schrank zu und holte etwas heraus. Zum Vorschein kamen Zwei Gläser und eine Flasche Portwein, die sie jetzt auf eine Anrichte stellte, die Gläser füllte und ihm eines anbot. Er nahm es ohne Zögern.
« Du bist gut mit der Ausstattung der Wohnung vertraut. », sagte er und schwankte sein Gefäß hin und her.
« Könnte man meinen, nicht? », lächelte sie ihm entgegen und tat es ihm nach. Der Wein war eine Wohltat, nachdem er der Grausamkeit des Sturmes, der immer noch unerbittlich vor sich hinfegte, entkommen war. Er lockerte seinen Gaumen und belebte ihn von neuem.
« Wie bis du hierher gelangt ? », fragte er darauf prompt und fixierte sie, teils argwöhnisch, teils herausfordernd.
« Ich bin mit einem Schiff angereist. Dank dem Sturm, der jetzt ja auch in Newport wütet, hat sich die Reise aber um mehrere Tage verzögert, ist Mr Wolverton anzufinden ? » erklärte sie offenkundig, was ihn ziemlich überraschte.
« Ich schätze Adam befindet sich in den obigen Räumlichkeiten. »
« Seit wann seid IHr hier, wenn ich mir die Frage erlauben darf ? », fragte sie jetzt plötzlich und setzte sich auf eine nahe gelegene Bank. Sie war nun wirklich kein Dienstmädchen, wofür er sie bei Sloan noch gehalten hatte. Vielleicht hatte auch sie Unterschlupf bei ihm gefunden und sich dort einfach eine nützliche Arbeit gesucht.
Ihre nassen Kleider schienen sie nicht zu stören und so tat er es ihr nach, zeigte keinerlei Blöße und somit keine Anzeichen von aufbrausenden Gefühlen.
« Natürlich, dies ist das Haus deiner Verwandtschaft. Wir sind vor zwei Tagen angekommen. », entgegnete er schlicht und nippte an dem Wein, der wie mit Blut gefüllt, eine rote intensive Farbe hatte und wirbelte anschließend aufgeschreckt herum als das Dienstmädchen mit einem Tablett, dich gefolgt von Adam in das Zimmer trat. Ein leichtes Zittern nicht unterdrückend wand er sich zu ihm. Ihre Blicke trafen sich kurzzeitig, brüderlich und gefasst.
« Ina Carter, nicht wahr? », fragte er jetzt ohne auf eine Antwort zu warten und begrüßte sie so höflich, als wenn er sie noch nie gesehen hätte. Ina dagegen gab die Geste mit einem Damenhaften Knicks zurück.
« Wollt Ihr Euch nicht erst zurück ziehen? Wie ich gehört habe seid Ihr erst vor wenigen Augenblicken angekommen? » Zielstrebig hielt Adam auf den Wein zu, goss sich ebenfalls ein Glas voll ein und stellte sich in die Mitte des Raumes, aufdringlich und gebieterisch, was Aiden irritiert beobachtete. Seine Zähne klapperten unaufhörlich aufeinander, sodass er Herr über seinen Körper, diese fest aufeinander presste und die gelegentlichen Schüttelwellen die ihn überfielen, gekonnt überspielte.
« Aber nein, das ist nicht von Nöten. Mehr interessiert mich warum man mir mitgeteilt hat, das Ihr mich zu sprechen wünscht? », meinte sie jetzt, schlug elegant die Beine übereinander und trank einen Schluck. Sie schien keinerlei Schwierigkeiten damit zu haben, entweder ihren Kälteschock zu verstecken oder aber ihn tatsächlich zu unterdrücken.
« Du warst also über Inas Ankunft informiert ? », warf Aiden, leicht erzürnt, mehr jedoch überrascht ein und traf den offensichtlichen Blick seines Bruders, der ihm zeigte, das er entgegen ihm gearbeitet und sich richtig informiert hatte. Ein flaues Gefühl im Magen spürend, winkte er den tadelnden Blick von Adam barsch ab und schluckte ein paar Mal um die Funktionstüchtigkeit seines merkwürdigerweise heißen und doch schmerzenden Halses herauszufinden.
« Ja ich wusste das Miss Carter hierhin unterwegs ist. Einerseits von Ted Carter selbst, der es mir am Vorabend unserer Abreise aus dem Lager erzählt hat und durch ihre Familienangehörigen, die hier eine Nachricht von ihr empfangen haben. »
Aiden nickte und wollte wiederum etwas entgegnen, wurde aber durch Adam Anweisungen dazu verordnet sich standesgemäß zu kleiden. Da Ina ebenso darauf bestand, sich selbst umzuziehen, lächelte er verstohlen in sich hinein, schritt als Erster hinaus und spürte zum ersten Mal seid ihrer Ankunft das Bedürfnis, endlich zu handeln, wahrhaftig etwas zu tun und dessen Resultat, kraftvoll zwischen seinen Händen zu halten.

33. Rendezvous

Ausdruckslos blickte Adam in das Feuer, dessen rötlich glimmender Schein das Zimmer in ein tröstlich, gemütliches Licht tauchte und ringsherum Schatten warf.
« Bist du einverstanden? », fragte er mit heiser Stimme vom langem Erklären sowie Reden und rückte noch näher zum Kamin, die Wärme empfing ihm wohlig.
« Ich soll Mr Black bei Mr Davies Empfang als Begleitung dienen? Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein…klingt mir das ein bisschen zu übertrieben, zu waghalsig, wenn nicht sogar zu leichtsinnig... »
« Miss Carter, ich bitte Euch nicht als Hausmädchen, wie ich Sie kennen gelernt habe, sondern als Tochter eines Verbündeten, als Sympathisantin Lord Georges. Mr Sloan hat Euch mit so viel Güte aufgenommen. Ich weiß Ihr habt eine Arbeit angenommen, die Eurer Herkunft widersagt und zu niedrig für Euch war…trotzdem, ich bitte Euch. », unterbrach Adam sie, nahm sich einen Feuerhaken aus seinem Gestell und stocherte orientierungslos in der Glut herum. « Natürlich ist es ein problematisches Unterfangen und selbstredend könnte Ihnen Gefahr drohen, doch die Organisation ist vorbereitet und wird uns die nötige Sicherheit verschaffen. Ebenso werde ich selbst vor Ort sein. »
« Wird man keinen Verdacht schöpfen, wenn sich so viele eigenartige Gestalten um unsere Sicherheit bemühen?», warf Aiden plötzlich ein. Er hatte während Adam seine Überredungskünste an Ina probierte, stumm seinen Plan verfolgt. Mit halb interessierter, halb zweifelnder Miene, mischte er sich zum ersten Mal in das Gespräch mit ein.
« Keineswegs, zumal die Gefolgsleute Vaters keine eigenartigen Gestalten sind. Doch selbstverständlich kann ich nichts versprechen, aber... » Er zuckte kurz mit den Schultern, unterließ das Herumstochern und blieb Kerzengerade, den Rücken zu ihnen gewandt stehen. « Nun, Davies hat diesen Empfang natürlich nur für unsere Zwecke in die Wege geleitet. Da er hier ein großes Anwesen, sowie Weitschweifenden Einfluss besitzt, hat sich das alles, ohne das jemand seine Gründe hinterfragt hat, von alleine organisiert. Seymour ist nur einer der inoffiziellen prominenteren Gäste die erwartet werden. Es wäre die beste Chance ihn dort zu überwältigen. »
« Aber mit Bestimmtheit kann man nicht sagen, dass er auftauchen wird. », sagte Aiden darauf und beobachtete Inas angespannte Haltung. Er konnte gut verstehen, dass sie in dieses ganze, verlogene Unterfangen nicht mit einbezogen wollte, denn wenn sie erst einmal diesen Schritt hinter sich gebracht hätte, gäbe es kein Zurück. Für niemanden von ihnen. Sie schien zu dem gleichen Schluss gekommen zu sein und ließ sich gestresst auf einen Sessel nieder, den Blick verloren ins Nichts gerichtet.
« Selbst wenn dieser Seymour nicht auftaucht, werden die Leute mich als Aiden Begleiterin im Gedächtnis behalten und ich bin der Ansicht, dass Aiden für sich schon eine gewisse Prominenz beansprucht. Die Leute werden sich an mich erinnern. Falls Eurer Plan scheitert, Aiden oder Ihr erwischt werdet, » Sie warf Aiden einen kurzen, ernsten Blick zu, ungerührt darüber, dass sie ihn beim Vornamen nennt « dann sieht es für mich ebenfalls nicht sehr gut aus, will ich doch meinen. »
« Das ist das Risiko. », stimmte Adam ihr zu, hob seinen Kopf als würde er das Gemälde von Gainsborough über dem Kaminsims betrachten und drehte sich dann um. Sein Gesicht besaß einen fanatischen Ausdruck.
« Wird es danach vorbei sein? Ich meine wenn Seymour erst einmal tot ist, wird man dann das von jedermann begehrte Gut Lord George zusichern ? »
« Wahrscheinlich nein. Wir können nicht mit Bestimmtheit sagen das Seymour der alleinige Verursacher und Befehlshaber ist, von seinen vielen Untergebenen mal ganz abgesehen.
Aber wir können seine Ziele ins Wanken bringen, seinen unmöglichen Einfluss unterbinden und mit viel Glück seine « Truppen » zerstreuen. »
« So ist es selbst nach dieser Aktion, nicht sicher. »
« Das ist es in keiner mir bekannten Möglichkeit. Solange wir keine Nachricht von meinem Vater haben, stehen uns zwar Geld, Kapital und Verbündete zur Verfügung, diese würden aber ohne sein Wort nichts unternehmen, bzw. wären sinnlos. Es hängt alles davon ab wie Seymour heute Abend handeln wird. Möchte jemand etwas trinken? », fügte er noch hinzu und machte Anstalten sich auf den Eichenschrank zu zu bewegen.
« Lasset mich das machen. », sagte Ina knapp, stand auf und ging zu dem Schrank aus dem sie einen starken Likör und drei Gläser holte.
« Wir können also nicht mit Bestimmtheit sagen, dass Seymour kommt. », fasste Aiden nun zusammen. « Wir werden Männer aus der Organisation vor Ort haben, zu unserem Schutz und es wird ein großer, recht pompöser Empfang, veranstaltet von Davies mit zahlreichen Besuchern. Können wir wenigstens schon einmal spekulieren ob Seymour Männer mit sich nimmt? »
« Das können wir. », meinte Adam, überrascht über Aidens Geistesgegenwart die Situation so schnell zu erfassen und durchzukalkulieren. « Wir rechnen mit Drei bis Vier, er will nicht auffallen, sich allerdings nicht schutzlos einem potenziellen Attentat aussetzten. Das er noch nicht zugesagt hat, lässt mich aber glauben, dass er plant kurzfristig zu kommen, damit sein Erscheinen nicht an die Öffentlichkeit gerät. Das schwierige dabei wird nur, herauszufinden wer seine Gefolgsmänner sein werden. Sie herauszufiltern ist jedoch nicht unsere Aufgabe. »
« Hier. », sagte Ina knapp und reichte den beiden jeweils ein Glas mit durchsichtigem Inhalt, ihres kippte sie in einem Zug herunter und war schon dabei sich ein zweites einzuschütten als sie weiter sprach. « Wird dieser Seymour, Aiden nicht sogleich erkennen? »
« Natürlich wird er das, doch der Abend wird lange andauern und Davies Anwesen ist groß, was die Chance das sich die beiden über den Weg laufen verringert und selbst wenn, würde er es nicht wagen ihn vor all den Leuten zu beschuldigen oder in die Mangel zu nehmen. », erwiderte Adam. Auch er kippte seinen Likör in einem Zug herunter, erschauderte kurz und leckte sich dann über die Lippen.
« Wir werden uns unauffällig verhalten, hier und da mit ein paar Leuten sprechen und uns immer in der Nähe unser Männer aufhalten, uns unauffällig in die Gesellschaft einbringen. Sobald Seymour auftaucht, wird Adam ihm unter falschen Namen um ein Gespräch unter vier Augen bitten. Er weiß das Davies viele Bekannte, die im florierenden Handel mit Schmuggelwaren arbeiten eingeladen hat, sich selbst einmal ausgenommen. Wir können nur hoffen, das diese Maskerade aufrecht gehalten werden kann. Der Rest, ist nicht nun leider nicht für deine Ohren bestimmt.. », meinte Aiden und blickte sein Glas prüfend an.
« Wie Ihr meint. », entgegnete Ina nüchtern und wartete bis auch er den Likör getrunken hatte und hoffte auf sein entsetztes Gesicht, als der Alkohol seinen Rachen verätzte. Doch außer, dass er die Augen zusammenkniff, zeigte er keinerlei Blöße und redete etwas geschwollen weiter.
« Gut, wirst du dann mit uns kommen? »
Sie schien kurz zu überlegen, zuckte mit ihren Mundwinkeln und sah ihn dann herausfordernd an. « Eine Frage bleibt noch offen. » Als beide nickten, fuhr sie fort « Weshalb ist Aidens Anwesenheit notwendig, wenn Ihr Mr Wolverton es seid der Seymour umbringen wird? »
« Ich werde ihn vermutlich töten, ja, aber Aiden für ihn…ist es eine persönliche Notwendigkeit, mehr möchte ich Ihnen darüber nicht erzählen. » Ein Schatten huschte über sein Gesicht und Ina fragte sich entsetzt was in der Vergangenheit geschehen sein muss, damit Aiden diese schwere Aufgabe in die Hände gelegt bekam, höchst wahrscheinlich selbst Seymour anzugreifen oder zu überwältigen.
« Währenddessen werden Ihr Euch einen anderen Gesprächspartner suchen müssen, somit wärt Ihr außer Verdacht auch nur irgendein Verbrechen begangen zu haben. Am besten verhöhnt Ihr Aiden vor den anderen Gästen. Wir dürfen keine zu offensichtlichen Fehler begehen. » Den Blick nicht von seinem Bruder abwendend, bemerkte sie sogleich das er ernst, wenn nicht sogar ein Stück zu ernst blieb und nichts auf diese vermeintliche Beleidigung zu erwidern hatte. Kurz bewunderte sie seine Standhaftigkeit, glaubte sie doch im nächsten Moment so etwas wie einen grausamen Funken in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Erschrocken erschauderte sie, gab den beiden Männern im stillen jedoch recht und versicherte ihnen darauf wortkarg ihre Unterstützung.
Aidens Miene erhellte sich schlagartig. Sie konnte förmlich sehen wie sehr er auf diesen Abend brannte, wie sehr es ihn dorthin zog und wie sehr er einem bestimmten, für sie nicht zu definierbaren, Beweggrund entgegensah. War er so erpicht darauf Seymour zu töten? Vermutlich ja, angesichts dessen das er Lord George Sohn und Erbe von gewaltigen Länderein war. So mussten ihn die letzten Ereignisse innerlich zerreißen : keine Nachricht von seinem Vater und einem Gut vor Augen das seinem Ende zusteuerte oder aber in die dreckigen Hände dieses Seymours fiel.
Nie im Leben hätte sie vermutet das es für Aiden weit mehr Gründe gab, dass es seinen Körper drängte in die Schlacht zu stürzen, endlich tiefe Befriedigung und Buße ausgezahlt zu bekommen und vor allem Blut zu spüren, warmes, dahinsickerndes Blut und die winzige Hoffnung etwas über Helen herauszufinden. Der eigensinnigen Dame, die anfing sein Leben zu beherrschen und nach der er sich seit Wochen verzehrte, wie nichts auf der Welt. Steward Seymour sollte bereuen auch nur einen Finger an ihn gelegt zu haben. Zwar hatte er selbst noch nie jemanden über die schrecklichen Tage seiner Gefangenschaft erzählt, doch brannten sie noch immer tief in seiner Seele und suchten ihn gelegentlich des Nachts Heim. Bei dieser Erinnerung brach ihm plötzlicher der Schweiß aus, er sah sich um und forderte ohne weiteres Zögern einen zweiten Likör, den er ungeachtet auf seinen brennenden Hals in einem Zug leerte.
« Wir haben den Vorteil das Davies schon vor Eintritt in die Organisation mit Seymour bekannt war. Es ist unsere einzige Chance ihn noch zu töten, bevor... »
Da Aiden verstand nickte er, denn er war endlich bereit. Er sah anschließend aus dem schneeverhüllten Fenster, gegen das Unmengen von Schneeflocken brutal einschlugen und verlor sich in dieser unnatürlichen weißen Helligkeit.

Es war der vierte Tag. Als sie Davies Haus betraten scholl ihnen bereits das taktähnliche Geplauder der anderen Gäste, das flackernde, beruhigende Licht und die pulsierende Wärme die Raum und Wände des Hauses ausstrahlten entgegen. Aiden nahm als vorbildhafter Gentleman Inas Umhang von ihren Schultern und reichte ihn zusammen mit seinem eigenen dem wartenden Diener. Dieser machte sich kurzerhand mit einer nuschelnden Entschuldigung davon und ließ sie alleine zurück.
Ina sah atemberaubend aus. Sie trug, entsprechend dem vorgegebenen Anlass, der da wäre vorteilhafte Seeverbindung und Davies Geschäftspartnern zu beglückwünschen, ein modisches französisches Kleid in einem samtroten Ton. Um ihren Hals trug sie eine lange, extravagante Perlenkette die im matten Licht vor sich hinfunkelte. Ihre Haare waren mit einem Netzt nach oben gesteckt worden, wobei zwei einzelne, gelockte Strähnen ihr Gesicht liebkosten. Sie nickten sich zu und ein gelblich-brauner traf auf einen blauen Blick. Entschlossen und amüsiert hackte sie sich in seinem Arm unter und gemeinsam betraten sie den pompösen Raum, in dem der Empfang abgehalten wurde. Drei herrliche Kronleuchter säumten die Decke deren Stuck penibel genau ausgearbeitet und zu den Eichenholzmöbeln im Raum, dessen Fresken mit Blattgold bearbeitet waren, hervorragend passten. Wo man hinsah erkannte man Gold, schimmernde Farben und prächtige Verzierungen, wobei sich die amüsierenden Leute in den funkelnden Steinen der Kornleuchter widerspiegelten und hübsche Lichtspiele an die Decke projizierten. Orientalische Teppiche, chinisische Vasen und kostbarer Kristallschmuck, importierte Gläser, Stühle, Statuen und nicht zuletzt Zigarren und Alkohol, alles zeugte vom Reichtum seines Besitzter.
« Kannst du bereits etwas wichtiges ausmachen ? », fragte Ina Aiden und riss ihn damit aus seinen Erkundschaftungen des Raumes. Sie ließ ihren Blick über die hunderten von Köpfen der vermeintlichen Gäste wandern. Es herrschte in der Tat ein regelrechtes Drängen und Treiben.
« Noch nicht, es ist aber auch erst sehr früh », entgegnete er, einen zweifelnden Unterton nicht versteckend und bahnte sich mit seiner Begleitung den Weg weiter nach vorne. Sein Blick ruhte auf einer, wie zu erwarten war, vergoldeten Standuhr deren kleiner Zeiger auf der Neun stand. Gerade erwiderte er ein, fast nicht zu deutendes, Nicken eines guten Freundes. Mr Alexander McKenzie stand zielsicher, mit einem Glas bernsteinfarbener Flüssigkeit, umringt von drei attraktiven Frauen am geöffneten Westflügel, der in den Salon führte, als Aiden auch schon Sir Craig, selbstverständlich ohne Kiba, sowie zwei andere bekannte Gesichter aus der Organisation erspähte.
« Mach dir keine Sorgen, es läuft bisher alles wie besprochen. », versicherte er Ina, die kurz zusammengezuckt war und führte sie weiter nach vorne. Als Zielpunkt sah er ein Schmuckstück eines Pianos, welches unmittelbar neben Davies, seinen Platz hatte, der mit bedrückter Miene, das vermeintlich böse Spiel veranschaulichte.
« Das ist es nicht. », widersprach sie und blieb halb entsetzt stehen, doch noch bevor er hätte fragen können was sie so beunruhigt hatte, wurde es im Saal, der vollkommen überfüllt mit Menschen war, plötzlich unangenehm ruhig. Einzig ein leises Raunen und Tuscheln ging durch die Menge und als Aiden nach dem Grund der Stille suchte, erkannte er wie sich Davies Gestalt, auf eine extra gefertigte Art Bühne stellte und zur Begrüßung seiner Gäste sein Glas hob. Aiden erkannte, wie sehr er sich zwingen musste, seine freundliche, erheiterte Maskerade aufrecht zu erhalten. Ms Briggs schien noch immer seine Gedanken zu vernebeln und ihn in Depressionen zu stürzen.
Vereinzelte Leute, die meisten von ihnen die extra beorderten Franzosen taten es ihm nach, bevor er einige überzogenen Worte der Begrüßung fallen ließ.
Aiden hörte kaum hin, sodass ihn lediglich vereinzelte Wortfetzen erreichten und nutze die wie festgefrorenen, sich kaum Bewegende Szenerie, um sich ein genaueres Bild von dem umherstehenden Menschen und dem riesigen Raum zu machen. Unmittelbar vor ihm ragte die Bühne auf, auf der Davies seine Rede hielt und rechts von ihm befanden sich eine Reihe von verglasten Scheiben, die dank der Nacht und des noch immer wütenden Schneesturms so etwas wie einen perfekten Spiegel abgaben. Hinter ihm war noch immer der aus Suälenumrahmte Eingang, wo er ein paar vereinzelte Diener herumlungern sah und ganz nebenbei gab es noch drei riesige, fast Tor ähnliche Türen. Vor ihm eine und die anderen zwei links von ihm. Er wusste das eine von ihnen, die hintere in den Salon, die andere in einen angrenzenden pompösen Raum und schließlich nach draußen führte, doch die dritte Tür blieb für ihn ein Rätsel.
Ina wurde neben ihm immer unruhiger, zappelte umher und hielt es nicht aus still zu stehen, sodass er sich genervt zu ihr umdrehte. Er wollte gerade ihrer Blickrichtung folgen, als er eine, in einem blauen Rock hereinkommende Gestalt erkannte, die nach ihm suchend über die Menge spähte. Adam kam wahrhaftig, wie es leider oft der Fall war viel zu spät. Sie hatten es absichtlich so arrangiert, mit der idiotischen Hoffnung, den Anschein zu erwecken, sich ebenfalls, ganz zufällig hier zu treffen. Er widerstand den Drang zu winken. Seine Nervosität hatte bereits einen erschreckenswerten Höchstpunkt überschritten der sich, um so mehr Zeit verrann in nervtötende Euphorie entwickelte, was ihn ungemein Aktiv, wenn nicht sogar Hyperaktiv werden ließ.
Die Gerüche von Schweiß, Reispuder, ungewaschenen Menschen, Parfum, Alkohol und Rauch lagen in der Luft und als er es endlich schaffte Inas verdammten Blickweg zu verfolgen, gefror in ihm alles. Die sich gestaute Euphorie verpuffte und an dessen Stelle trat eine widerliche Übelkeit die im Begriff war sich mit seiner neu stauenden Wut zu vermischen. Seine ganze Haltung verhärtete sich und er nahm nicht einmal war, wie Davies seine Rede beendete, die Gäste beeindruckt klatschten und sich ein neues, lautes durcheinander an Gesprächen entwickelte.
Die zu Schlitzen geformten Augen trafen mit ungehaltener Brutalität und Hass auf die lässig an der Wand lehnende Gestalt, die mit einem zu einem Lächeln verzogenen Mund mit dem Inhalt seines Glases spielte und dieses Hin und Her schwanken ließ. Finn Ferguson, strahlte zum ersten Mal seid er ihn kennen gelernt hatte, nicht seine übliche Boshaftigkeit aus. Es lag entgegen dem sogar ein ruhiger, ja fast sanfter Ausdruck auf seinem Gesicht, durch den sich Aidens Haare aufstellten und sich alles in ihm heftig sträubte. Das war es also was Ina gesehen hatte. Er schüttelte sie kurz damit sie ihn ansah, deutete ihr mit einem Zeichen an, dass er zu ihm gehen würde und war auch schon auf dem Weg, bevor sie ihn hätte aufhalten können.
Mit einem durch die Wut und die drückenden Hitze, die sich in dem Raum gesammelt hatte, glühendem Kopf, kämpfte er sich den Weg durch die ihm entgegen kommenden Menschen, die ihn wegdrängten und immer wieder vor sein Blickfeld huschten. Für einen Moment hielt er inne, um seinen nur Stossweise funktionierenden Atem zu kontrollieren, als er wie gebannt Ferguson anstarrte und sich zum ersten Mal fragte was der Grund für sein so abnormales Verhalten war. Sich in die Richtung seines Blicks wendend sah er das, was er bis zu diesem Zeitpunkt für unmöglich gehalten hatte und es war ihm als würde jemand ein Schwert durch sein Herz rammen, dieses Wunderwerk des Körpers herausziehen und in der Hand zerdrücken.
Durch ein Gewirr aus trinklustigen Menschen, Zigarrenwolken und den sich aufstauenden Tränen die ihm in die Augen traten sah er Helen. Sie lachte, ungezwungen und mit einem Glas in der Hand, welche sie spielerisch an die Lippen führte. Dann wurde sein Blick getrübt, sodass er seine Kopf recken musste, um erneut ein Stück ihres Haarschopfes zu erkennen. Die Menschenmassen schienen immer dichter zu werden und drängen ihn nach hinten. Er versuchte ihnen auszuweichen und zu entkommen, sah kurz Adam der ihn zu sich ruf, doch für ihn gab es nur noch ein Bild vor Augen, welches sich Stück für Stück von ihm entfernte. Die ganze Zeit über hatte er ihr Gesicht als dumpfe Erinnerung mit sich getragen. Es jetzt real vor sich zu sehen, kam ihm mit einem Traum gleich.
Als ihm schließlich die Sicht komplett geraubt wurde, versuchte er sich den Weg zu Ferguson durchzukämpfen und eine kalte Rage brach im inneren seines Wesen aus ihm heraus, die ihn die Wut in die Adern injizierte. Aus einem ihm unempfindlichen Grund kam ihm der Gedanke, das Ferguson so sanft auf Helen blickte, sie sogar liebevoll betrachtete, schier unerträglich vor. Wusste sie denn nicht das er so unmittelbar in ihrer Nähe weilte? Was tat sie überhaupt hier und was ihn Gottes Namen sollte er jetzt tun?
Die letzte Frage wurde ihm beantwortet in dem ein gestresster Adam hinter ihn trat, reflexartig die Situation analysierte und ihn umgehend in einen hinteren Teil des Zimmers zerrte. Wie gesagt, zerrte, denn er war ganz und gar nicht mit dieser Zwangsrekrutierung einverstanden und wehrte sich aus Leibeskräften, bis ihm die erstaunten und teils empörten Blicke der um ihn herum stehenden Menschen trafen und ihm Einhalt geboten.
« Hast du den Verstand verloren ? », feixte er Aiden an und fasste ihm brutal am Oberarm um jegliche Fluchtversuche zu unterbinden.
« Ich kann dir nicht ganz folgen. », erwiderte er knapp, wand aber sein Gesicht von ihm ab.
« Das kannst du ganz gut. Stell dir vor Seymour wäre aufgetaucht, während du unverfroren Ferguson anglotzt und dir mal wieder sonst was für Mordversuche vorstellst. »
« Das ist nicht... », wollte er widersprechen, beendete seinen Satz aber nicht, als Adams Hand kräftig an seinem Arm zog und seine Finger tief in sein Fleisch drückten.
« Misch dich jetzt unter die Leute, unterhalte dich und vergiss Ferguson. Andernfalls werde ich dafür sorgen das du verschwindest und zwar noch bevor Seymour oder einer seiner Männer hier aufgetaucht ist. »
« Dann wird er kommen? », fragte er um Adam vom eigentlichen Thema abzubringen, er musste so schnell wie möglich Helen finden.
« Das weiß ich nicht. » Seine Hand entspannte sich und er ließ von Aiden ab. « Ich werde am besten sofort zu Davies gehen. Du schließt dich der Gesellschaft an und Aiden, verhalte dich gleichgültig, man darf dir deine Nervosität oder deine Wut nicht anmerken, verstanden? »
Mit seinem knappen Einverständnis trennten sie sich wieder. Er sah seinem Bruder noch kurz hinterher und beobachtet wie er Davies freundschaftlich begrüßte, als er auch schon Ina erkannte. Ihr Kleid stach perfekt aus der Meute von Gästen heraus und so beeilte er sich schnellsten zu ihr zugelangen. Er Wich hier und da ein paar Hindernissen in Form von drängelnden Menschen aus, nahm sich noch schnell zwei Gläser von der Servierplatte eines Dienstboten und scheuchte einen Mann der Ina seine Aufwartung machte mit einem stechenden Blick davon.
« Du hast ihn nicht gesprochen ? », fragte sie und nahm das Glas das er ihr reichte ohne ihn anzusehen.
« Nein, seine Person ist belanglos, es gibt Wichtigeres. » Bei seinen Worten musterte sie ihn verwirrt, nahm es aber hin und zog es vor, besser nicht weiter darauf einzugehen, wobei Aiden ihre merkwürdige, angespannte Haltung nur allzu gut erkennen konnte.
« Na dann, ich möchte ein paar Freunde begrüßen und ihnen meine bezaubernde Begleitung vorstellen. », sagte er lächelnd, machte einen gekonnten Diener und bot ihr seinen Arm an, im Hinterkopf die Wut und das unglaublich peinigende Verlangen endlich Helen zu sehen.

Die Zeit verrann schnell und mit jedem Glas das Aiden trank, sank ein Stück von der aufkeimenden Nervosität aufgrund Steward Seymour, während er sich schon an den Gedanken gewöhnte, dass dieser wohl nicht mehr kommen würde. Seine Unternehmungen dagegen Helen wieder zu finden waren mehr als erbärmlich. Nachdem Davies seinen Gästen eröffnet hatte, dass das zweite Empfangszimmer sowie der Salon nun offiziell zu betreten waren, hatte sich die Menge geteilt und somit seine Chance sie endlich wieder zu sehen und mit ihr zu reden ziemlich minimiert. Gerade wand er sich von einem alten Veteranen und seinen banalen, sich widersprechenden Meinungen und Eindrücken bezüglich Charles Stuart ab, als er ein bekanntes Gesicht erspähte. Ohne lange zu fackeln, entschuldigte er sich bei den Damen in der Runde, unter anderem Ina und machte sich auf, den Mann zu grüßen, der mit dem Rücken zu ihm, in ein Gespräch vertieft war.
« Mr Bouchon, es freut mich Euch wieder zu sehen. », sagte er und reichte ihm die Hand. Der überraschte, aus seinem Gespräch aufblickende Mann sah ihn zuerst verdattert an, als er ihn dann schließlich langsam zuordnen konnte, erkannte Aiden in seinen Augen einen erfreuten Ausdruck. Er ergriff haltlos dessen Hand, klopfte ihm Väterlich auf den Rücken und lachte freudig auf um ihn dann seinem Gesprächspartner, einem Amerikaner namens Christopher White vorzustellen.
« Sehr schön, wirklich sehr schön Euch hier wieder zu treffen. Das letzte Mal als wir uns gesehen haben, war zu wenig Zeit, als das wir uns einander richtig vorstellen konnten. Die Umstände, damals waren…schrecklich. », meinte er und strahlte übers ganze Gesicht, was wohl eher dem Alkohol zu verdanken war, dachte Aiden, behielt diese Vermutung aber lieber für sich.
« Ihr müsst wissen, das Mr Black, der Sohn von Lord George, ein guter Bekannter meines Pflegesohnes Aaron ist. », sagte er jetzt an Mr White gewandt, der unbeholfen, wohl eher desinteressiert lächelte und sich dann unter einem Vorwand zurückzog. Vielleicht auch nur um Bouchons endlich zu entkommen, der jetzt mit schlechten Schauspielkünsten seine ganze Aufmerksamkeit auf den jungen Mann richtete.
« Wo ist denn Mr White hin ? », meinte er überrascht, fand aber schnell ein weiteres neues Opfer, das er von hinten an der Schulter packte und zu sich zerrte.
« Mein jüngster Sohn. », verkündete er Stolz und präsentierte ihm einen Jungen Anfang Zwanzig mit kindlicher Nase und rosigen Wangen. « William, William Bouchon. »
Ihn ebenfalls formell begrüßend, ließ ihn der Verdacht nicht in Ruhe er hätte ihn schon einmal getroffen oder von ihm gehört, so versuchte er ihn in ein Gespräch zu verwickeln, den Blick aber zur Vorsicht noch einmal über die Menge schweifen lassend um eventuell Helen herauszusondern. Seid er sie gesehen hatte, schien sich sein ganzer Körper in eine Art zitternder Sack verwandelt zu haben und er musste sich mehr als zwingen nicht ständig von seinen geführten Unterhaltungen abzuschweifen.
« Was machet Ihr zur Zeit, Mr Bouchon ? » fragte er an William gewandt, fühlte den kalten Schweiß seine Schulterblätter hinunter kriechen und blickte ihn zwanghaft, freundlich an.
« Ich werde bald in die Politik gehen. »
« In die Politik? Also nicht wie Euer Vater in die Dienste des Königs treten ? »
« Davon halte ich recht wenig. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigt, ich muss nach meiner Verlobten sehen. », sagte er mit einem arrogante, unterschwelligen Unterton und ließ ihn abrupt stehen.
« Ach herrje. », murmelte nun sein Vater und versuchte abzuwiegen ob auch Aiden gleich so schnell verschwinden würde. Da er dies nicht tat bat er ihm noch etwas zu trinken an, was er allerdings höfflich ablehnte. Noch ein Glas Hochprozentiger und Aiden würde bald umkippen.
« Nehmt es ihm nicht übel, aber er hat vor nicht allzu langer Zeit einen nicht sehr taktvollen Korb einer Dame bekommen, deren Rang und Einfluss ihm sehr ideal erschienen. »
« So? Anscheinend hat er diesen schnell überwunden, wenn er von seiner Verlobten spricht. »
« Ja wie man es nimmt, aber sie ist leider nicht mit so viel Land beglückt wie die Kincaids. »
« Kincaids? » Da dies der Name von Helens Familie war wurde er hellhörig, als ihm plötzlich wieder in den Sinn kam, woher er diesen William Bouchon kannte. Er war der Mann gewesen der Helen Avancen gemacht hatte. Zwar hatte er ihn niemals zu Gesicht bekommen, doch Helens Erzählung hatte ihm bereits gereicht sich ein weitreichendes Bild von diesem verwöhnten Jungen zu machen.
« Ja die Familie ist noch immer sehr Reich auch wenn... » So ging es eine ganze Weile weiter und während Aiden hier und da nickte und zustimmte verfiel er in einen dösigen Zustand, der erst zerschellte als Ina ihn sanft an den Arm fasste und ihn aus unergründlich tiefen blauen Augen ansah.
« Darf ich Euch meine Begleitung vorstellen? », kam es ihm plötzlich in den Sinn, stellte Ina standesgemäß vor und verabschiedete sich, einen neuen Gesprächspartner für Olivier Bouchon gefunden zu haben, ohne das er davon etwas mitbekam, da er ganz hingerissen von seiner Begleitung schien, der er jetzt ohne Punkt und Komma von einer weitreichende Familienanalyse berichtete. Ina warf ihm noch einen empörten Blick hinterher, doch er konterte diesen mit einem unschuldigen Lächeln und tauchte in der Menge unter.
Er durfte nicht noch mehr Zeit mit irgendwelchen dämlichen, sich in ihren so glorreichen Taten übertreffenden Leute verschwenden und machte Anstalten Adam zu suchen, sei es nur um sich zu erkundigen ob er weitere Informationen besaß, die von Wichtigkeit sein könnten.
Gerade sah er dessen Gestalt, in Begleitung eines ihm unbekannten Mannes in den Salon gehen, als er zum zweiten Mal an diesem Abend und gleichermaßen geschockt Helen erspähte. Im nächsten Augenblick verschwand sie hinter der dritten Tür, vorne nahe der Bühne. Als sie sich schloss, war ihm als würde er innerlich wanken und schließlich etwas in ihm zerbrechen, sei es nur die Chance mit ihr zu Reden, die im Sekundentakt dahin sickerte, während er nutzlos und geschockt herum stand. Nach vorne eilend stürzte er ihr hinterher, rempelte dabei einen Dienstboten an, der das Gleichgewicht verlor und mitsamt seinem volgeladenen Tablett zu Boden ging. Er sprang über diesen herüber und schlängelte sich mit rasendem Herz und pochenden Schädel durch die Massen. Während Gesichter und Kleidungsüberladene, schwitzende Körper an ihm vorbeizogen suchte er sich die passenden Worte aus, doch was sollte er sagen? Wie ihr sein Erscheinen und seine Pläne verdeutlichen? Es wollte ihm einfach nicht gelingen einen klaren Gedanken zu fassen und so hechtete er weiter, stürzte plötzlich über einen langen Teppich, rappelte sich sofort wieder unbeholfen hoch und gelangte schweißüberströmt und mit vor Angst und Sehnsucht gemischten Gefühlen zur Tür.
Sie war von innen abgeschlossen.
Hektisch herumwirbelnd suchte er sich den nächst besten Dienstboten, packte diesen energisch am Kragen und deutete auf die Tür, bevor er mit bebender Stimmte erklärte er müsse dort unverzüglich hinein.
« Das Tut mir leid, Sir, aber wenn sie von innen verschlossen ist... »
« Gibt es einen anderen Weg? », unterbrach er und schüttelte den Mann, so dass dieser panisch wurde und plötzliche große Schweinsaugen bekam.
« Ja, Sir, ja den gibt es. Wenn Ihr mich loslassen würdet könnte ich Euch hinführen. »
Sich vorerst beruhigend, ließ er von dem unschuldigen Mann ab, machte eine Geste das er den Vortritt hätte und ließ sich, ungeachtet was sonst um ihn geschah herum von ihm führen. Ihr Weg brachte sie zuerst durch den vollen Raum, den sie, wie ihm vorkam, im Schneckentempo durchquerten, um anschließend in den anliegenden Salon zu treten. Adam unterhielt sich dort mit mehreren Bekannten, sagte etwas, worauf seine kleine Runde lachte und erspähte plötzlich Aiden. Ihm zuwinkend forderte er ihn auf, zu ihm zu kommen. Hin und her gerissen, gab Aiden letzt endlich nach, gab dem Dienstboten die Anweisung so lange auf ihn zu warten und bemühte sich um Selbstbeherrschung.
Nach der Reihe wurde er den Männern und Frauen in der kleinen Runde vorgestellt. Er blieb höfflich, beantwortete alle Fragen und wollte sich schnell wieder entschuldigen, als Adam ihn fragend anblickte. Da er einem Nervenbündel, mit beachtlichen Schweißmengen und wirren Blick gleich kam und sich selbst unter den gegebenen Umständen als mehr als Verdächtig eingestuft hätte, wunderte es ihn nicht als sein Bruder ihn bat unter vier Augen mit ihm zu sprechen. Sich in eine Ecke des Salons verkriechend fragte er was los sei.
« Es ist nichts, ich mache mir lediglich Sorgen das Seymour nicht mehr auftauchen wird. », erfand er, wobei der Wahrheitsgehalt seiner Meinung nach, doch recht hoch war.
« Das brauchst du nicht. Er wird kommen. Davies hat mir erzählt, das er ihm mitgeteilt hat das er ihn unterstützen und ihm ein Geschäft vorschlagen will, worauf Seymour sofort eingegangen ist und später hier sein wird. Halt also die Augen offen, wir müssen ihn erwischen noch bevor er mit Davies redet. »
« Gut, ich...ich werde mich dann weiter unter die Leute mischen. », sagte er kurz angebunden und machte Anstalten zu gehen.
« Wo ist Miss Carter? », fragte Adam plötzlich, was ihn schlagartig aus dem Konzept brachte.
« Sie, äh, ja sie ist....da hinten irgendwo. », stammelte er und kehrte Adam hastig den Rücken, bevor dieser Einwände erheben konnte und suchte schnellsten nach seinem Dienstboten der ihn führen sollte. Doch von ihm fehlte jede Spur. Mit der Verzweiflung die ihn überkam hätte er ja noch leben können und so fuhr er sich durch das schweißnasse Haar, aber als er sah wie Ferguson den Raum betrat, selbstsicher und höhnisch dreinblickend, hielt ihn nur die mit einem mal zurückhaltende Hand auf seiner Schulter auf, ihn zu attackieren. Er wusste sogleich das es Adam war, drehte sich zu ihm um und sah über dessen Schulter, eine Treppe die in die oberen Stockwerke führte. Unterwürfig entschuldigte er sich zum hundertsten Mal an diesem Abend, wimmelte Adam nochmals ab und schlich unter dessen strengem Blick zu der gegenüberliegenden Wand des Salons, um dort Schritt für Schritt, mit zittrigen Beinen die Treppe hochzusteigen.
Von dort oben warf er nicht einen Blick zurück, sondern öffnete, mit zum zerreißen gespannten Nerven und ebenso kindlicher Vorfreude eine der Türen die ihm zur Auswahl standen. Als er diese hinter sich schloss, erstarb der Lärm der Gäste sofort und an dessen Stelle trat ein brummendes Dröhnen, welches ihn nicht weiter beschäftigte. Sich innerlich über seine wunderbare Vorstellungskraft bedankend, die es ihm erlaubt hatte, einen imaginären Plan des Hauses zu erschaffen, ging er vorsichtig durch die schwach erleuchteten, mit rot-goldenem Teppich ausgelegten Gänge. Die in Reihe und Glied angebrachten Lichter warfen ein düsteres Licht auf die Wände und spiegelten sich auf eine mysteriöse Art in den Fensterscheiben wieder, dass er nicht überrascht gewesen wäre in der nächsten Biegung einen alten Uhrahnen, einen nach Rache dürstenden Geist vorzufinden. Auch dieses Mal wurde er nicht enttäuscht. Zwar traf er auf keinen untoten Poltergeist, doch die ebenso blasse und mit dunklen, moosgrünen Augen aufblickende - die Unglauben und Verwirrung ausstrahlten - Gestalt kam diesem recht nahe.
Er versuchte zaghaft ihren Namen auszusprechen, doch er blieb ihm, wie ein Unheil verkündender Schmerz, schwer im Hals stecken, sodass er mehr ein beklopptes Ächzen von sich gab. Mit zitternden Körper sah er einfach den Gang entlang um ihren Blick, ebenso leer und ausgehungert zu erwidern. Im nächsten Moment glaubte er zusammenzusacken, sein eigenes Gewicht nicht mehr tragen zu können und hinderte sich nur daran indem er an dem Gedanken fest hielt, dass wenn er den Blick von der jungen Dame abwenden würde, sie beide Fallen könnten. Das sie wahrhaftig zerschellen und elendig zugrunde gehen würden, bis in den Tod verdammt, gepeinigt und ohne ein Wort über die Lippen gebracht zu haben. So standen sie, sich gegenseitig an ihren Blicken festigend eine Weile da, stumm und bewegungslos, bis Helen schwer ausatmete und zu Boden starrte. Der Augenblick der die Zeit fest gehalten hatte, verschwand und auch Aiden wand seinen Blick ab und schloss, von einer heftigen Müdigkeit überfallen unwillkürlich die Augen.
Vielleicht war es der Verdacht, sie könnte verschwunden sein, geflohen vor ihm oder seinem Wesen, wenn er die Augen wieder öffnen würde, vielleicht auch nur die eigene Angst, das er träumen oder halluzinieren könnte, doch er blieb wo er war, starr und voller Purzelbaum schlagender Gefühle.
Einen letzten Moment der Blindheit gönnte er sich noch, hielt sich entkräftet an der Wand fest, das sich die Adern an seiner Hand und seinem Arm anspannten und sah dann auf, fasziniert und doch überrumpelt, dass sie noch auf dem gleichen Platz stand wie er sie vorgefunden hatte.
Zu seiner eigenen Überraschung sprach er ihren Namen erneut aus, es klang kräftig und ungewohnt, fast als wäre nicht er es der da sprechen würde. Sie wich einen Schritt vor ihm zurück.
Da überkam es ihn. Die Sehnsucht, die Verwirrung, die ständige aufwühlende Geheimniskrämerei und seine ihn peinigende Albträume. Es reichte ihm und er ging entschlossen, die Lippen zu einer schmalen Linie gepresst auf sie zu. Als er vor ihr stand, war ihm als wären nur wenige Minuten seid ihrer letzten Begegnung vergangen, als hätte es den Moment in Derby niemals gegeben, worauf er vorsichtig, aus Angst sie könnte vor ihm zurückschrecken seine Hand ausstreckte, sie ihr sachte unter das Kinn legte und es mit sanfter Gewalt hob, damit sie ihn ansehen musste.
Schlagartig riss sie sich von ihm los, wich erneut einen Schritt nach hinten und musterte ihn von dort Unversonnen, mit einem Hauch von Belustigung in den Augen.
« Ich habe doch gesagt es wäre besser wenn wir uns nicht wieder sehen. », sagte sie tonlos, so dass er sich fragte was sie überhaupt empfand, da er weder Freude noch einen Hauch von Ärger aus ihrer Mimik lesen konnte. Ihre Art war wie immer. Mit ausdrucksloser Miene, verschleiert, funkelnden Augen kombiniert mit einem Hauch von Belustigung und ihrer Katzenähnlichen Haltung, als würde sie jeden Moment planen einem die Kehle durchzuschneiden und einem das Blut genüsslich von der Haut zu lecken.
« Hast du nicht auch gesagt wir würden uns unter veränderten Situationen wieder sehen? »
« Nicht ganz. », entgegnete sie, hielt aber inne und schien kurz zu überlegen. « Aber so in etwa. Was zum Teufel machst du hier? »
« Das selbe könnte ich dich auch fragen. », gab er zurück, langte sich müde über das Gesicht und sah sie von der Seite her an. « Helen, ich... »
« Lass gut sein, lass es einfach gut sein. », unterbrach sie und wand sich energisch von ihm ab.
« Nein, ich werde es dieses mal nicht gut sein lassen. Ich habe es satt es ständig gut sein zu lassen, verdammt merkst du denn nicht, was hier um uns herum passiert? »
Durch seinen aggressiven Ton aufgeschreckt sah, sie sich mit bleichem Gesicht nochmals um, sagte jedoch nichts, sondern ließ es zu das er zu ihr ging, sie sanft an den Schulter packte und schüttelte.
« Ich habe diese elendigen Konflikte satt. Tag und Nacht habe ich mich nach dir verzehrt, ununterbrochen versucht dich aus meinen Gedanken zu verscheuchen und weißt du was… »
Noch bevor sie antworten konnte, drückte er sie fest gegen sich, hielt sie umschlossen und glaubte fast umzukommen vor aufgestauten Gefühlen, die seinen ganze Körper in regelmäßigen Wellen überfielen. Sie zu halten, ihr vertrautes Gewicht zu umschließen und ihre Körperwärme in sich aufzunehmen, während ihr heißer Atem in seinen Nacken kribbelte und ihr Herz bedrohlich wild an seiner Brust hämmerte, es war als gäbe es nichts wichtigeres auf der Welt. Nichts, dass er mehr wollte und nichts das es mehr wert war zu schützen.
« Es ist mir gleich, alles so verdammt gleich, solange ich dich jetzt endlich halten kann. », flüsterte er in ihr Haar und war fast mehr über seine Worte geschockt, als Helen es hätte sein müssen. Sie versuchte sich aus seinem eisernen Griff zu winden, doch seine brutale Sanftheit ließ sie entweder scheitern oder ihr den Willen dazu nehmen. So konnte sie nichts tun, als die sich aufstauenden Tränen zu unterdrücken und den Augenblick vorüber ziehen zu lassen, doch wollte sie das? Mit einem plötzlichen Ruck löste er sich wieder von ihr, drückte sie gegen die kalte Wand und verhinderte ihre Flucht indem er seine Hände in Höhe ihrer Schultern, jeweils ebenfalls an die Wand legte.
Sein Blick war gläsern, seine Arme zitterten, wogegen sie innerlich vollkommen überfallen und zerstreut den Schatten der über ihr Gesicht huschte nicht verbergen konnte. Da Aiden ihn sah und richtig deutete, musste er heftig schlucken, wollte er doch die Wahrheit die sie ihm ohne ein Wort verdeutlichte unter keinen Umständen erkennen. Er senkte seinen Kopf, dass sein Haar wirr vornüber fiel, um dieser Wahrheit zu entkommen.
« Entfernt Euch von mir Mr Black. Welch untadeliges Verhalten. », sagte sie jetzt, kalt, ohne sich zu bewegen und erst als er nicht darauf reagierte, schloss sie darauf das er die Kontrolle über sich verloren hatte.
Ihn rücksichtslos fixierend, rammte sie ihm das Knie in den Magen, doch mehr als das er zusammenzuckte und zu ihr aufsah passierte nichts. Entgegen all ihren Erwartungen lächelte er sogar.
Die Kontrolle hatte er nicht über sich verloren, doch es war etwas anderes, dass sie in seinem Gesicht sah, Zuneigung? Bitterkeit? Oder war es ein neuer irrer und durchtreibender Wesenzug von ihm? Die Geduld nun schon viel zu lange überstrapazierend schrie sie ihn plötzlich an, stieß mit ihren Händen gegen ihn und hörte nicht auf ihm zu drohen, bis sie erschrocken jeglichen Widerstand unterließ, als er seine salzigen Lippen auf die ihren presste. Salzig durch die unaufhaltsam laufenden Tränen die ihm in kurzen Abständen über das Gesicht liefen.
Sich ihm plötzlich bedingungslos ergebend, stoppte sie jegliche Versuche sich von ihm zu reißen, überwältig von der Situation und den unerwarteten Resultaten die diese mit sich brachte, bemerkte sie nicht einmal wie er sie erneut umschloss, in eines der Zimmer drängte und dort gegen eines der Bücherregale drückte. Erst als ihr die plötzliche Dunkelheit die in dem Zimmer lag bewusst wurde, registrierte sie erneut was hier mit ihr geschah, wodurch sie unwirkürlich aufzittern musste und ein weiters Mal versuchte ihm zu entkommen. Ihm wie ihr selbst.
Dem Teil in ihr der sich mit Freunden in seine Arme warf und sie, entgegen allem was sie bis zu diesem Zeitpunkt für Notwendig gehalten hatte, vergessen ließ. Doch dieser Teil war vergraben, tief im inneren ihrer Seele versteckt, an einem Ort den nicht einmal er erreichen konnte. Sie stieß ihn abermals weg, mit einem erbärmlichen Ergebnis. Aiden der diese Geste als Zuneigung sah, küsste sie heftiger, die Hitze die sie ausstrahlten in sich aufnehmend, prickelte sein ganzer Körper und sein Herz war dem zerreißen nah, würde es nicht ebenso die flammende Leidenschaft in sich aufnehmen, die sie nun restlos umgab. Seine Hände streiften ihre Schultern und zogen an dem Stoff, der unter seinem hektischen Geschick sofort nachgab und glühende Wellen, die seine kleinen Härchen aufstellen ließen, mit sich brachte. Helen die den Stoff der ebenfalls von ihren Schulter fallend spürte und bereits die daraus entstehenden Konsequenzen sah, wehrte sich nun energischer, griff nach einem seiner Handgelenke und versuchte es von sich zu drücken, doch er gab nicht nach.
Im Gegenteil, er handelte immer überstürzter, konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken, worauf sie ihn plötzlich anfuhr und er erschrocken von ihr ließ, sich dabei ihm Stoff ihres Kleides verhedderte und ihn herunter riss, das sie bis zur Taille halb entblößt vor ihm stand.
Als er endlich begriff, ihren entsetzten Gesichtsausdruck, ihre abwehrende Haltung und seinen verursachten Schaden erkannte, wollte er auf sie zu gehen, doch ihr zorniger Blick ließ ihn inne halten. Die Stoffreste schützend um sich wickelnd schrie sie in einer Reihe von Beleidigungen ihren sich aufgestauten Hass heraus.
Die ihn verhöhnende Verzweiflung in sich spürend, die nach diesem Mädchen gierte, aber gleichzeitig die Realität, brutal in ein klares Licht rückte, hechtete er panisch ans andere Ende der Wand und ließ sich dort auf den Boden fallen. Kraftlos und geschockt. Nicht minder in einem Chaos der Gefühle gefangenem Käfig tat Helens es ihm nach, ließ sich auf den Boden fallen und zog schützend die Knie zu sich, die sie im nächsten Moment umschloss. Sie beide sahen sich nun von den gegenüber liegenden Wänden an, während ihrer beider Atem und ihrer beider Herz sich in langsamen Takten wieder beruhigten, fühlten sie nichts außer einer gnadenlosen Leere.

34. Tod

Wochen, Tage, Stunden und Minuten, selbst Sekunden hatten ihren Sinn verloren. Um Aiden herum war es Zeitlos, die Welt grenzenlos und alle Ziele schier unerreichbar weit entfernt.
Einmal glaubte er das Bewusstsein zu verlieren, dann wieder sich zu übergeben. Er würgte,
doch im end Effekt brachte es nichts und er geriet in eine Art schlafende Betäubung. Er sah Bunte Gestalten, verwirrende Formen und merkwürdige Schatten. Durchstreifte Welten, von unglaublichen Ausmaßen und geriet tiefer und tiefer in einen Sog von Leichtigkeit. Er bewegte sich langsam, die Muskeln angespannt und kontrolliert. Er schaute in die Ferne, erblickte jede Lebensform und sah jede Aura in Form von wellenartigen Vibrationen. Er roch, Angst, Mut, Verzweiflung und Trauer die an ihm klebten. Er hörte seinen wilden Herzschlag, spürte die Schläge, die Hast die von ihm ausging. Dann wurde es merkwürdig. Eine Reihe von Stimmen sprachen ihn an. Helen die ihm zuflüsterte sie würde sterben, Sloan der mit hängenden Liedern seine Wut über ihn zum Ausdruck brachte. Lord George der voller Abscheu auf seinen Sohn blickte, seine Mutter die ihn nicht erkannte....es wurden immer mehr, nichts schien in dieser verkehrten Welt ein Ende zu haben. Doch er setzte sich durch, er versuchte es und wehrte sich, rang und schrie, fluchte und bebte bis ihm die Lippen zitterten, die Stimme versagte und seine Beine nachgaben. Mit vergrößerten Pupillen riss er schließlich die Augen auf, sein Körper bebte und er erwachte aus einem Schlaf den er geschlafen hatte, an den er sich nicht erinnerte ihn je angetreten zu haben. Schließlich sah er sich orientierungslos um. Ihm gegenüber saß noch immer Helen, zusammengekauert und doch mit einem Ausdruck von Kälte und sah ihn an. In ihren Augen spiegelte sich seine Naivität und Überheblichkeit wieder, doch so etwas wie Bedauern erkannte er nicht.
« Es... »
« Es tut dir nicht leid. », sagte sie und blickte aus dem Fenster vor dem tausende kleine, sich unterscheidende, vor sich hin glitzernde Schneeflocken zu Boden fielen. Daraufhin blieb er stumm. Was sollte er auch in dieser absurden Situation tun? Denn er wusste er war vollkommen Bewegungsunfähig und sah es als reinstes Wunder an, dass er überhaupt in der Lage war vernünftig zu sprechen. So verharrten sie noch eine Weile ruhig und starrten in beidseitigem, unausgesprochenem Einverständnis aus dem Fenster, in die dunkle, von Schneeüberzogene Welt hinaus.
« Du weißt das ich dich belogen habe? », fragte sie jetzt und wand sich ihm leicht zu.
« Finn Ferguson ? »
Als sie nicht antwortete wagte er es, ihr einen Blick zuzuwerfen, den sie frechweg mit Überlegenheit überspielte.
« Wenn du willst, dass ich gehe, dann sag es mir, ein Wort genügt und ich... »
« Wäre es nicht jetzt passiert, so doch zwangsläufig an einem anderen Tag. Wir können nicht ewig voreinander davon laufen. »
« Warum ist das nötig? Warum sollten wir voreinander fliehen? Ist es noch nachvollziehbar was mit uns geschieht? », fragte er entgeistert und erhob in der Verzweiflung seine Stimme.
« Das weiß ich nicht. », meinte sie, es war beinahe ein Flüstern. « Aber es ist nötig weil...weil unsere Wege die wir zu bewältigen haben, die Kurven die er besitzt, befinden sind in einer Ebene, die falls wir diese Wege kombinieren uns nur Verderben bringt. Wir haben kein gemeinsames Schicksal. »
« Das weißt du nicht. », erwiderte er prompt. Mit so einer Ausrede wollte er sich nicht abspeisen lassen, nicht von ihr. « Du kannst nicht behaupten es ist falsch oder richtig, wie oft haben wir uns deswegen gestritten? Wie oft diskutiert? Warum können wir uns nicht einfach lösen, zusammen sein und die Wege vernichten? »
« Das ist unmöglich. »
« Unmöglich sagst du? », fragte er erregt und formte seine Hand zu einer zitternden Faust « Sag mir, hat dir der Kuss denn nichts bedeutet? Hast du nicht einen Gedanken dabei an mich verschwendet und rein gar nichts gefühlt? »
« Gefühlt? Du bist wahnsinnig, einfach wahnsinnig. », schrie sie fast, erhob sich und versuchte die Fetzten ihres Kleides um sich zu legen. Da ihr das nicht gelang, kehrte sie ihm den Rücken zu. Auch er erhob sich, zog seine Jacke aus und kam ihr in langsamen, fast schleichenden Schritten näher. In der Dunkelheit war ihre nackte Haut ein leuchtender Umriss der ihn zwang vorwärts zu gehen und noch gerade als sie vor Kälte zu zittern begann, legte er ihr seine Jacke um die Schulter, darauf bedacht sie nicht zu berühren. Sie vorsichtig umklammernd nahm sie die Jacke an, wartete bis er ausreichenden Abstand angenommen hatte und drehte sich dann wieder um.
« Warum soll ich wahnsinnig sein, wenn ich dich begehre? »
« Weil... » Zum ersten Mal bekam ihre sonst so sichere Stimme einen wankenden Unterton.
« Sieh dir Finn an, sieh dir an was aus ihm geworden ist, weil er mich liebt. Ein Schatten seiner selbst, gefangen in einem Körper dem er unentwegt selbst Schmerzen zufügt. »
Diese Aussage traf ihn. Wie vom Blitz getroffen senkte er den Kopf und wartete im Schatten der Dunkelheit, bis er sich wieder gefasst hatte.
« Du kannst nichts für Fergusons Handeln, dafür bist weder du noch ich verantwortlich, aber sag mir, hat er sie ermordet? Hat er deine Eltern ermordet und wenn ja, warum... »
« Ja Aiden, das hat er. » Ein ironisches Lächeln, getrübt von Erinnerungen kräuselte sich jetzt auf ihren Lippen, so dass er sie entsetzt anstarrte. « Er hat es getan, in gemeinschaftlicher Arbeit mit Steward Seymour unter dem Befehl seines Vaters. Doch die Umstände, von denen ich dir berichtet habe waren falsch. Ich hatte dich vorher angelogen. »
Er überlegte, versuchte sich an den Tag zu erinnern an dem sie ihm von dem Überfall erzählt hatte, doch bei dem Gedanken wurde ihm schwindelig und er fasste sich an die Stirn. Sie war ungewöhnlich heiß, was an der noch immer schmerzlich in ihm brennenden Situation liegen konnte, wie gesagt konnte, sich keiner anderen Möglichkeit annehmend, lauschte er Helens noch immer geschwächten Stimme.
« Weshalb kann ich meinen Worten keinen Einhalt gebieten ? », fragte sie jetzt offen, worauf er sie verblüfft anschaute.
« Ich weiße es nicht, ehrlich Helen ich kann dir den Grund nicht nennen, doch ebenso kann ich dir nicht beantworten warum du meinen Kuss erwidert hast. »
Seine Worte ungeachtet lassend, fuhr sie fort und sagte: « Ich habe dir erzählt, das ich darauf gewartet habe, das Finn meinem Vater von unserer Verlobung berichtete, doch das ist nicht wahr, es war so hinterhältig von mir zu glauben -»
« Du bist hinterhältig. », fiel er ihr ins Wort, worauf sie einen Ausdruck bekam, als würde sie ihm am liebsten noch einmal ihr Knie in den Magen rammen.
« Wir gingen gemeinsam um meines Vaters Einverständnis zu erlangen. Er rief meine Mutter und ich sah… »
« Er hat es vor deinen Augen getan ? »
« Ich habe einfach da gestanden, zugesehen wie Seymour meine Eltern hinrichtete, das Leben aus ihren Körper schnitt und ihre Augen sich weiteten, während sie nicht realisieren konnten was da mit ihnen geschah. Als Finn mich sah…als er sah was Seymour meinen Eltern angetan hatte…sein Gesicht war damals so blass. Seymour wollte mich ebenfalls umbringen…als Zeugin…doch Finn, er konnte es nicht zulassen und beschützte mich. In diesem Augenblick stürzte mein Bruder in das Geschehen. Er griff Finn an, umklammerte seine Kehle, wobei Seymour – der Mörder meiner Eltern floh. Doch ich hatte Angst, so furchtbare Angst, dass James Finn töten würde, dass ich die Waffe meines Vaters nahm und auf ihn schoss. »
« Du hast... » Seine Stimme versagte kurz, als ihn die schreckliche Erkenntnis heimsuchte, warum sie schon seid ihrem ersten Treffen so verirrt, von innen heraus zerstört und bei weitem so hinterhältig war, wie sie es ebend noch immer war.
« Ich war über und über mit dem Blut meines Bruders, doch Finn war gerettet und das allein war mein Ziel gewesen, bevor ich schließlich ohnmächtig wurde. Als man mich später fand realisierte ich erst was geschehen war. Zu geschockt über die Ereignisse verdrängte ich den Teil meiner blutrünstigen Tat und glaubte Finn wäre der Mörder meiner Familie. So wie es James glaubte. Dabei war ich es die ganze Zeit über selbst gewesen und habe in einer Illusion gelebt, bis die wahre Erinnerung zurück gekommen ist. Ich allein war Schuld, dass meine Eltern starben. Hätte ich Finn niemals geliebt, hätte ich James nicht angeschossen, hätte ich… »
« Helen, du… »Er wollte sagen das sie keine andere Wahl gehabt hatte, doch dies wäre nur eine weitere Lüge in ihrer ohnehin komplizierten Beziehung, die sie ihm so oder so nicht glauben würde.
« Einige Jahre später suchte ich ihn, in mir eine Leere spürend die ich nicht ertragen konnte, wollte ich die Wahrheit erfahren und als ich ihn dann fand, kehrte die Erinnerung zurück und es gab keine Entkommen mehr. »
« Du machst dir etwas vor, es war...du warst... », stammelte er und stoppte sich schließlich selbst.
« Ich bin es noch immer und wenn ich nicht bei Finn bleibe, weiß ich das ich vor Schuld dahinvegetieren würde. Schrecklich, selbst jetzt bleibe ich egoistisch, was bin ich für ein Mensch? »
« Sei still. Du kannst das Geschehen nicht mehr ändern, aber du schuldest diesem Ferguson nichts, rein gar nichts. Er wird dich nur noch immer weiter in diesen Sog von Schuld ziehen, du wirst an ihm zerschellen. »
« Das mag sein, doch anders geht es nicht. », erklärte sie kühl und funkelte ihn aus bösartigen Augen an, so dass er zusammenfuhr.
« Was war mit Seymour? » fragte er darauf knapp.
« Ich habe ihn damals nicht mehr gesehen. Er hatte einen anderen Namen und als ich ihn auf Kincaids ridge erneut begegnete, war sein Erscheinungsbild, seine Stimme und seine ganze Aufmachung so anders als damals… »
« Doch jetzt wo du es erfahren hast, dieses Geheimnis aufgedeckt hast, bitte sag mir, dass du nicht wegen ihm hier bist. »
« Oh doch Aiden, für mich gibt es keinen anderen Beweggrund. », sagte sie, während ihre alte Selbstsicherheit mit jedem Stück der Unterhaltung zurückzukehren schien, wobei diese mehr einem fanatischen Wahnsinn glich.
Bis zu diesem Punkt und nicht weiter, dachte Aiden und versuchte sie erneut zu fassen zu bekommen, doch sie wich gekonnt aus.
« Nun kennst du die bittere Wahrheit. Das ich eine Mörderin, Verräterin bin, die mit ihrem inoffiziellen Verlobten zusammen lebt… »
« Hör auf damit, du elende Hure. », schrie er sie an, worauf sie ihn den Tränen nahe ansah.
« Glaubst du es ist ein Vergnügen dir dabei zuzuhören wie du mir so schreckliche Dinge beichtest, wie du dich diesem Bastard von Ferguson hingibst, mir deine Pläne verrätst? »
Mit Wut in allen Knochen ging er energisch auf sie zu, so dass sie ängstlich vor seiner plötzlichen Reaktion zurück wich, bis weiteres Zurückweichen nicht mehr möglich war.
« Ich will nicht das die Zeit umsonst war, in der ich meinem Vater und Bruder den Rücken gekehrt habe, um dir nachzutrauern. Ich will verdammt noch mal nicht das du leidest und meine Gefühle mit ein paar Worten zu nichte machst und ich will...verdammt noch Mal...nichts von diesem Ferguson hören! », donnerte er, packte sie und küsste sie erneut, dieses mal zärtlich und mit ihren Tränen vermischt.
« Und jetzt sieh mich an, sag mir du empfindest nichts für mich, denn falls dem so ist, werde ich gehen und Ferguson umbringen. »
« Du bist besessen, besessen bist du, hör auf damit mir Angst zu machen. »
« Wenn du doch so voller Schuld bist, so egoistisch, so...hinterhältig und listig, so voller Einsamkeit und Rachegedanken dann bleibt da keinen Platz mehr für Angst. Für nichts mehr und ich weiß genau das da noch was ist, du kannst mir nichts vormachen. Ich brauche dich und das weißt du seid dem Tag an dem wir uns das erste Mal begegnet sind. Unsere Wege mögen auf anderen Ebenen sein, gut, aber das heißt nicht das wir diese nicht verlassen und uns unsere eigenen Pfade suchen können. »
« Ich kann nicht, ich kann nicht... », zitterte sie und sackte zu Boden, worauf er schnell nach ihren Handgelenken griff, diese aber verfehlte.
« Ich will dich nicht gefügig machen, dir etwas aufzwingen aber ich bin noch lange nicht mit dir fertig. »
« Was willst du noch? », fragte sie heiser und sah ihn aus vor Angst geweiteten Augen an. Er aber blieb erbarmungslos, sollte er jetzt Schwäche zeigen, würde er ihr niemals klar machen, was er für sie empfand, genauso wenig wie ihm selbst, da diese Gefühle ihm erst jetzt da er ihr sie entgegen schrie richtig bewusst wurden.
« Zeig mir deine wahren Gefühle, sag mir die Wahrheit ! », sagte er leiser, als er sah wie sie unter seinen Worten zusammen brach. Sich jetzt neben sie hinkniend, nahm er ihre Hände in die seinen und sah ihr offen ins Gesicht.
« Du kannst das nicht länger unterdrücken, weder ersticken, noch vertuschen, es würde immer wieder an deiner harten Schale kratzen, bis du unter der Last zusammenbrichst. Genauso wie jetzt. »
Da Helen wusste das es stumpfsinnig, einfach unmöglich war sich weiter etwas vor zu machen, ließ sie sich zuerst von der Vollkommenheit ihrer Schmerzen trösten, driftete ab und schreckte dann hoch um ein Stück von Aiden weg zu kriechen, der ungläubig über seine eigenen Worte ohne zu zögern von ihr ab ließ.
All die Worte die zwischen ihnen gefallen waren, lagen schwer und zermürbend in dem Raum, in dem sich allmählich eine ruhigere Atmosphäre bildete, die die beiden in ihren Bann zog.
Einander ausweichend wagten sie es nicht sich anzusehen und schon gar nicht sich zu bewegen, aus Angst der andere könnte dies als erstes Zeichen der Schwäche deuten.
« Das ist doch albern. », sagte Aiden plötzlich « Woher dieser Scham ? Diese Zurückhaltung ? Ich mache mir nichts aus Etikette oder Eitelkeit. Ich will offen mit dir umgehen, gleichberechtigt, liebend… doch Helen, wir müssen von hier verschwinden, es gibt so vieles das… »
« Warte noch. » Helen verbarg ihr Gesicht und versuchte sich aufzurichten. Ihr war als hätte jemand auf sie eingeschlagen und ihr ganzer Körper würde von dieser Gewalttat noch immer schmerzen. « Wie soll das funktionieren? Ich kann nicht zurück gehen und Gleichgültigkeit vorheucheln ! »
« Es tut mir leid was mit deinem Kleid passiert ist. », meinte er jetzt und hielt ihr die Hand zur Wiedergutmachung hin. Diese nach anfänglichem Zögern ergreifend, stand sie wieder auf, stützte sich aber noch an der Wand ab und blieb gekrümmt dort stehen.
« Das Kleid ist doch so unwichtig. » Sie kehrte ihm erneut den Rücken zu. « Wie bitte soll ich erkennen was in mir ist? Wie auch nur eine Silbe der dir so wichtigen Wahrheit formen, wenn ich nicht weiß wie? Verstehst du denn nicht das ich keine andere Wahl habe, wo sollte ich denn unter den gegebenen Umständen ein Zuhause finden? »
Ihre Worte in sich aufsaugend, atmete er wütend durch die Nase aus und war schon im Begriff ihr Trost zu spenden, als er einen neuen Gedanken in sich aufblühend die Initiative ergreifen wollte.
« Ich gehe und bringe ihn um. », erklärte er knapp und machte Anstalten zu gehen, als sie sich ihm entschlossen, die Lippen zusammengepresst und mit zitterndem Kinn in den Weg stellte.
« Das wirst du nicht. », befahl sie barsch.
« Du wirst mich an nichts hindern. » Sie an den Schultern packend und zur Seite schiebend, bemerkte er zu spät, wie sie ihn attackierte und schmeckte das Blut in seinem Mund erst als er taumelnd durch ihren Schlag zurück fiel. Unmittelbar darauf, wollte er sie anschreien, doch ihr Körpergewicht das sich auf ihn warf hinderte ihn daran, so dass er lediglich einen erstickenden Ton von sich gab. Aufeinander liegend, sich aus glänzenden, furchtlosen Augen anstarrend trennten sie nur wenige Zentimeter. « Du wirst mir das nicht zerstören, nicht nachdem ich es mir mit so viel Arbeit aufgebaut habe. », zischte sie unter zusammengepressten Zähnen.
« Was ist los mit dir ? Wie willst du mich schon hindern ? Mich erneut schlagen ? Ich hatte von dir mehr Selbstbeherrschung erwartet. Also, wirst du mich an seiner Stelle umbringen ? » Da dieser Aspekt ihm mit jedem Atemzug mehr und mehr als reale Möglichkeit erschien, blickte er entsetzt drein und fühlte, wie sein eigenes Gesicht erblasste. Neue Kraft aufwendend schaffte er es mit seinen Händen ihre Arme zu fassen und drehte sich mit samt ihr, aus einem Bündel von Armen und Beinen, um. Nun dominierend, presste er sie zu Boden, ließ keinen Widerstand ihrerseits durch seine Umklammerung zu und sprach auf sie ein.
« Ich lasse es nicht zu, das du wieder zu ihm gehst. Lass endlich deine Vergangenheit ruhen, es ist schwer und das kann ich aus eigener Erfahrung von mir behaupten, doch du wirst mit mir kommen, ob du willst oder nicht, und wenn das letztere der Fall ist, dann wirst du es akzeptieren müssen und irgendwann verstehen. »
« Glaubst du wirklich ich verstehe das nicht? », schrie sie ihm entgegen und versuchte, ergebnislos sich unter ihm zu winden.
« Dann lass es endlich sein, hör auf dich zu wehren, ansonsten lasse ich nicht von dir ab. »
Seine Worte nur allzu deutlich vernehmend unterließ sie ihren Gegenangriff, blieb schwach und schutzlos unter ihm liegen, während sie seinen schnellen Atem auf ihrer Haut spürte.
« Ich habe mir gesagt, Aiden wenn du dieses eigensinnige Mädchen, jemals wieder findest, dann lass sie nicht mehr gehen, zwing sie notfalls, doch verhindere das sie jemand anderem gehören wird und binde sie mit allem was du hast an dich. Und genau das, werde ich jetzt tun, dein Widerstand ist zwecklos. Du müsstest mich schon töten und ich bezweifle das du dazu in der Lage wärst, denn falls du das tun würdest, kämen sie alle, die Angst und all die anderen verdrängten Gefühle aus dir heraus, was du selbst am aller wenigstens willst. »
« Du sturer Idiot. », flüsterte sie und versuchte seinem eindringlichem Blick auszuweichen. Es gab kein Entkommen, als er plötzlich aus eigenem Drängen von ihr abließ und mit konzentrierter Miene wieder aufstand, blieb sie dagegen reglungslos am Boden liegen. Ihr Blick ruhte auf dem schwarzen Glas des Fensters. Der Schnee hatte sein Treiben gestoppt, der Himmel war immer noch eine einzige düstere Wolke und einzig Aidens leuchtender Blick und seine Silhouette spiegelten sich darin.
« Ich höre Schritte. », sagte er mehr als verärgert und warf ihr einen seitlichen Blick zu. Sich schützend vor sie stellend und die Hand ruhig an den Griff seines versteckten Dolches legend wartete er leicht gebückt ab. Als die Worte sinngemäß zu ihr vordrangen, versuchte sie die letzten Reste ihres Kleides zu sammeln, wickelte sich in seine Jacke und setzte sich langsam auf, stumm die Tür beobachtend, während auch sie ein wütendes Stimmengewirr vernahm. Es wurde zunehmend lauter. Ein Geräusch das das Aufklatschen eines Körper an eine Wand verdeutliche und immer hektischer werdende Schritte, ließ sie an ein Streitgespräch denken, womit sie gar nicht mal so falsch lag. Darauf bedacht ihn nicht zu berühren stellte Helen sich an Aidens Seite. Die Schritte wurden nun immer lauter und verstummten schließlich unmittelbar vor ihrer Tür. Das letzte Stück gemeinsam gehend, öffnete Aiden diese und zog sie ruckartig auf.

Zum Vorschein kamen ein, aus dem Mund blutender, sich aufrappelnder Adam und ein ausdrucksloser Ferguson der ihn von oben herab anblickte.
« Wie kannst du es wagen » », donnerte Adam Stimme durch den Gang und warf Ferguson die Worte schonungslos an den Kopf. Dieser dagegen, bemerkte die beiden aufdringlichen Gestalten die so plötzlich erschienen waren. Er musterte mit blanken entsetzten Helens zerrissene Kleidung und ihrer beiden erschöpftes Gesicht. Er erbleichte als wäre sein Gesicht aus Schnee.
« Was habt ihr da drin getrieben? », fragte nun Adam, stand auf und nahm damit Ferguson die Frage auf ordinäre Weise aus dem Mund.
« Nichts was von Belangen wäre. », winkte Aiden lässig ab und ging ohne Ferguson auch nur anzusehen zu seinem Bruder. Helen folgte ihm stumm. Aus dem Augenwinkel sah er wie Ferguson sie versuchte zu berühren, sie darauf sichtlich zusammenzuckte und die Situation gekonnte überspielte.
« Geh jetzt, er hat jawohl genug erfahren, ich bringe die Sache wieder in Ordnung, geh endlich. », forderte Helen Ferguson auf, funkelte ihn an und wartete bis er mit erschrockener und leicht wütender Haltung von dannen schritt.
« Miss Kincaid. », murmelte Adam nun und wischte sich das Blut mit dem Ärmel aus dem Mundwinkel.

« Ihr seid doch vollkommen übergeschnappt, ohne Schutz, ohne Einwilligung der Organisation einen Mordanschlag auf Steward Seymour zu planen. »
« Als wenn diese Organisation Finn jemals unterstützt hätte. », erwiderte Helen kühl und tupfte vorsichtig mit einem Tuch über Adams aufgesprungene Lippe.
« Das war Finn? », fragte sie resigniert und nahm das Weinglas an, welches Aiden ihr reichte und führte es seinem älteren Bruder an die Lippen.
« Nachdem du » Sein zorniger Blick fiel auf Aiden « verschwunden warst, habe ich mich ausführlich mit ihm unterhalten. Ich habe von Anfang an geahnt, dass da irgend etwas nicht stimmt. Seine Anwesenheit allein ließ mich stutzig werden. Als ich dann langsam geschlussfolgert habe warum er sich hier aufhält, befanden wir uns schon in einem Streit. » Das Glas fest in die Hand nehmend, schwenkte er es ein wenig hin und her und betrachtete durch die rote Flüssigkeit heraus, die beiden anderen Personen in dem Raum.
« Wo also warst du die ganze Zeit über? », fragte er jetzt an Aiden gewandt, der wie er bemerkte über die Tatsache das Ferguson ebenfalls hinter Seymour her war nicht sonderlich schockiert zu sein schien.
« Ich bin auf Miss Helen gestoßen, wir haben uns...unterhalten. »
« Wie man erkennen kann. », fügte Adam unverschämt hinzu, wagte es der Höfflichkeitswillen aber nicht näher auf Helens äußeres Erscheinen einzugehen, worauf die beiden sich einen Blick zuwarfen, den Helen mit rätselhafter Miene zu Boden wand und Aiden sich einen fixen Punkt suchte.
« Ihr seid mit darin verstrickt, Miss? » Eine Augenbraue in die Höhe gestreckt wand Adam sich dem Mädchen zu.
« In der Tat, doch wenn ihr plant unser Vorhaben zu behindern... »
« Das habe ich nicht. », winkte er ihre Vermutung schnell ab. « Es hat mich lediglich interessiert was Ihr für ein Motiv haben könntet, da Ihr keine Verbindung zu der Organisation besitzt und unseren Informationen nach als vermisst gehandhabt werdet. »
« Vermisst? So ist das. Es ist das Beste was hätte passieren können. », sagte sie jetzt, umklammerte ihren Oberkörper und wand sich dem einzigen kleinen Fenster, in dem recht hell beleuchteten Raum zu, den sie kurzerhand aufgesucht hatten. Eine große Standuhr deutete an das es kurz vor Zwölf Uhr war, spät, aber dennoch nicht zu spät...
« Was ist jetzt? », brachte es Aiden auf den Punkt.
« Er ist noch nicht da, wir glauben.... », aufgrund eines lauten Poltern und Aufstöhnen, Getrampel und einem Fluch hielt er inne. Er wartete bis der die Tür angerempelte Mann ganz herein trat und sich ihnen mit besorgter Miene gegenüberstellte.
« Timothy ? Was ist passiert? », fragte Adam und ein dunkler, bereits wissender Schatten huschte über sein Gesicht. Aiden der diesen nicht zu deuten verstand, beäugte Sir Craig, seinen alten Partner mit überraschter Interesse, drehte sich zu ihm um und vergaß für einen kurzen Augenblick sogar Helen.
« ER ist da, verdammt Adam, er ist da, aber bereits mit Davies in seinem Arbeitszimmer. Wir müssen so schnell wie möglich etwas unternehmen. »
Nach vorne eilend sprang Adam plötzlich auf, hängte sich an Sir Craigs Versen und schrie kurz gebunden zurück: « Ihr bleibt hier bis ich zurück komme oder nach euch schicken lasse. » Dann schloss sich die Tür und jede Verbindung zur Außenwelt war für sie überraschend unerreichbar. So waren sie doch gefangen in ihrem selbst erschaffenen Martyrium der Gefühle. Es nicht wagend sich umzudrehen, kreisten Aidens Gedanken, zwischen dem Drang hinterher zu hechten und dem, Helen hier und jetzt an sich zu reißen und die Chance zu nutzen mit ihr zu fliehen. Beide Möglichkeiten schnell wieder verwerfend, wagte er es letzt endlich doch sich umzudrehen, sah aber nur eine zitternde Gestalt. Seiner Vermutung nach zitterte Helen nicht vor Kälte, es war viel mehr unterdrückte Belustigung, auf die er sie wütend ansprach.
« Belustigung? », fragte sie verwirrt und wand sich zu ihm um, sodass sie sich beide entgegen sahen. « Ich glaube ich werde verrückt und du sprichst von Belustigung. »
Noch bevor er etwas erwidern konnte, ging sie langsam zu dem Schreibtisch, der in der Mitte des Raumes stand und auf dem Adam noch vor ein paar wenigen Augenblicken gesessen hatte. Wie gefesselt beobachtete er jede kleine Bewegung ihrerseits. Die Hände stützend auf die Platte legend, atmete sie tief ein und aus.
« Ich danke dir, dass du nichts näheres zu deinem Bruder gesagt hast, aber Aiden Black ich werde jetzt gehen. »
« Helen. », rief er aufgebracht ihren Namen und stellte sich, noch bevor sie sich überhaupt selbst bewegte, entschieden in ihren eventuellen Fluchtweg. « Ich weiß genau wohin, bzw. zu wem du willst und das lasse ich nicht zu. »
« Was willst du nicht einsehen? Das er und ich eine stärkere Verbindung haben? Oder ist es deine dumme Naivität die nicht erkennen kann, dass es für uns beide keine Zukunft gibt? »
« Deshalb schmeißt du dich an einen Kerl, der deine Familie ermordet, dich dazu missbraucht hat ihm zu helfen und dich immer wieder allein durch seine Anwesenheit quält? »
« Das verstehst du nicht. Ferguson hat sie nicht angerührt, Seymour hat es getan ! », schrie sie ihm entgegen. « Was vorhin passiert ist, hätte nicht geschehen dürfen, nichts davon. » Wütend auf die Tischplatte schlagend funkelte sie ihn an.
« Du bist es die hier nicht versteht. Es war Fergusons Auftrag ! Er wollte sie umbringen, ob er nun selbst Hand anlegt oder nicht. Das einzige was euch verbindet ist eine Schuld aus Blut. Du glaubst nur weil er mit daran beteiligt war könnte er dich verstehen und diese Schuld würde nicht so schwer auf dir lasten. Doch das wird sie so oder so, nur musst du dich doch nicht auch noch damit ständig herumquälen und sie dir vor Augen halten ! »
« Wie könntest du das nachvollziehen ? »
« Willst du hier deine Scherze mit mir treiben? Wenn ja dann ist das ziemlich erbärmlich. Du bist nicht an ihn gebunden, sieh das endlich ein. », sagte er in einem halbwegs normalen Ton, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und stemmte seine Hände in seine Seiten. « Das- »
« Sei endlich still und hör auf mich zu belehren. », brach es nun aus ihr heraus. « Geh endlich zu Seymour, ich sehe doch wie sehr du darauf brennst. »
In der Tat, konnte er keine einzige Minute stillstehen, sah unentwegt auf die Uhr und sprach aufgrund dessen jeden dummen Gedanken der ihm kam aus, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Was er jetzt mehr als alles andere brauchte, war ein kühler Kopf, den er nur bekommen konnte in dem er seinem Verlangen nachgab.
« Was ist mit dir? », fragte er zögernd und wich ihrem Blick aus, der ihn ernst und ungehalten treffen sollte.
« Ich warte auf dich. », versicherte sie ihm, doch er stürmte schon zur Tür, sah noch einmal kurz lächelnd zurück und knallte sie mit einem heftigen Ruck hinter sich zu.

Er rannte in mit einem rauschenden Kopf und Adrenalin durchsetzten Körper geradewegs die Gänge zurück. Sprang mehrere Stufen gleichzeitig hinunter, schlängelte sich an den unterschiedlichsten Leuten vorbei und bemerkte dabei, wie ihn eine schadenfrohe Freude überfiel. Er musste lächeln. Es war verrückt, doch so war es nun einmal. Heimlich hatte es sich angeschlichen und ließ sich nicht mehr abschütteln.
Er hechtete zurück in den Salon, drängelte sich auch dort zwischen den Leuten durch und war froh, als er den Alkohol und Rauch verunreinigten Raum endlich verlassen konnte und in einen Gang, jenseits der Gäste verschwand, geschickt und unbemerkt.
Er verlangsamte seinen Schritt und hielt leise vor sich hinmurmelnd kurz inne, um sich seinem Körper und seinem Verstand bewusst zu werden. Vor ihm ragte der in die Dunkelheit führende Gang aus dem ebenso schwarzen Boden, von dem er sich sicher war das er in Davies, abgeschiedenes Privatzimmer führte. Adam und er hatten von vorne herein einen kurzen Blick auf den Architektonisch festgelegten Plan geworfen, die nötigsten Abzweigungen und wichtigsten Räume kurz besprochen und dann die Karte achtlos beiseite geräumt.
Ein leises Geräusch ließ ihn schlagartig aus dieser Erinnerung erwachen, während er mit angespannter Haltung und erwartungsvoller Mimik lauschte, wurde ihm klar das der Verursacher sich mit ihm in dem Gang befand. Sollte Seymour entkommen sein und nun auf der Flucht im Haus herumirren? Oder war es Adam der zurückgekommen war um ihn zu holen? Diese Spekulationen lösten sich im Bruchteil einer Sekunde auf, als er die so gar nicht vertrauten Umrisse eines aus der Dunkelheit kommenden Mannes wahr nahm und diese aufmerksam beobachtete. Noch während sich die Gestalt näher auf ihn zu bewegte, realisierte er wer da kam, fuhr erschrocken auf und sprang, fast unbewusst, in die Mitte des Ganges. Finn Ferguson sah ihn aus ausdrucksvollen, untypischen Augen unablässig an.
Was in der nächsten Sekunde geschah konnte er nicht sagen, spürte er nur einen Ruck und einen unbändigen Schmerz in seinen Lungen, die nach Luft jappend von Ferugsons Unterarm, der sich gnadenlos in seinen Hals drückte, zerdrückt wurden. Er versuchte sich zu wehren und umfasste verzweifelt dessen Arm, doch er wollte ums verrecken nicht von ihm ablassen. Im Gegenteil, er verstärkte seinen Griff und sah aus rot unterlaufenen Augen zu, wie er sich quälte, während aus seinem Mund das Blut tropfte. Was hatte er getan?
« Was willst du von mir? », ächzte Aiden unter dem Würgeähnlichen Griff Fergusons hervor.
« Lasst meine Verlobte in Ruhe, du hast kein Recht um... » Seinem Arm etwas entspannend, senkte er seinen Blick zur Seite « Du könntest sie nicht verstehen, sie wird immer nach der Einsamkeit gieren. » Ferguson machte einen Schritt zurück und sah ihn schließlich aus der Dunkelheit heraus an. Aiden dagegen hämmerte mit seinen Fäusten gegen die hinter ihm liegende Wand, nutzte den Widerstand, um nach vorne zu springen und fiel über Ferguson her, sodass dieser verblüfft aufstöhnte. Die geballte Faust kurz drohend vor seinem Gesicht stoppend, hauchte er ihn an. « Es geht dich einen Dreck an, wen ich in Ruhe lasse und wen nicht. »
Nach einer kleinen Ewigkeit packte er Fergusons Kragen, zog daran und ließ seinen Blick entgegen seiner Faust eiskalt auf ihn niedersausen. Sie starrten sich über Sekunden hinweg an ohne ein Wort zu sagen.
Anschließend ließ Aiden ihn los, stand auf, zog sich seine Kleidung zurecht und ging in den Gang ohne auf die weiteren Personen zu achten, die jetzt aus dem Dunkeln an ihm vorbeihetzten, geschweige denn, auf den noch immer stummen Ferguson der noch immer an der Wand stand.
Ich hasse ihn, ich verachte ihn, rief er sich ins Gedächtnis zurück und rannte, dass ihm das Herz schwer in der Brust hämmerte durch den finsteren Gang, wie ein letzter Weg hinauf zum Henker und dessen tödliches Beil, lag er lauernd vor ihm. Den Gedanken weitgehend unterdrückend, schaffte er es noch gerade rechtzeitig die angelehnte Tür zu erspähen, aus der ein einziger leuchtende Lichtstrahl fiel, als um ihn herum die Hölle ausbrach.


35. Feuer

Plötzlich blieben seine Beine starr und durch die sperrangelweit geöffnete Tür, sah er das riesige Anwesen, welches hinter Davies eigenem Haus seinen Standpunkt besetzte. Das im nächsten Moment zersplitternde, riesige Fenster durch welches er bis in die Weite der verborgenen Berge und auf das Nachbarhaus hatte sehen konnte, klang laut und unangenehm in seinen Ohren.
Obwohl sein nächster, dumpfer Gedanke ihm lediglich, vermittelte das es Kalt war, blieb er regungslos stehen, während in dem Zimmer, welches vor ihm lag, sich die Gardinen durch eine umgekippte Kerze in Brand setzten.
Davies lag dort, mit blutender Kopfwunde auf dem Teppich, alle Viere von sich gestreckt und mit offenem Mund sah er grotesk, beinahe tot aus.
Adam und Sir Craig, sowie ein ihm unbekannter großer Kerl gleich daneben, hechteten im nächsten Moment den sich aus dem Fenster rettenden Seymour hinterher. Aiden bemerkte nur noch wie sich eine einzelner Splitter aus dem zerbrochenem Glas löste, als auch er, Panik durchflutet, aus dem Feuerumringten Glaskasten sprang. Durch die Hitze die ihn kurzzeitig umhüllte und die er noch spürte, als er im kalten Schnee landete, war ihm als würde seine Haut selbst brennen. Als würde sich seine unbändige Wut, die sich aus all dem Chaos selbst zusammen gesetzt hatte sich nun entladen mit dem Ziel Steward Seymour. Seine Hände formten sich zu Fäusten, sein Herz fing an schmerzhaft zu pochen und seiner Kehle entwich ein krächzendes Geräusch, schon erblickte er Kiba, der aus dem Nirgendwo plötzlich heraus gekrochen war. In Sekundenschnelle rannte Aiden los, ignorierte jegliche Ruf die ihn von allen Seiten warnten und folgte instinktiv dem Flüchtenden.
Fassungslos, getrieben von Wut, rann eine kleine Schweißperle seine Stirn hinunter, doch er folgte nur dem ihn fast wahnsinnig machenden Sicht, die Sicht auf Seymour.
Sein Herz pochte so stark als wolle es sich aus seinem Körper reißen und während sein ganzer Körper zitterte blieb nur sein Blick mit einem bösen Funken darin klar und unbeirrt, als er Adam einholte, der ihn ärgerlich betrachtete.
« Wo ist er? », schrie Aiden.
« Dort hinten, dort hinten. », rief er ihm zurück und beide rannten den kleinen Trampelpfad entlang, den Atem heftig in der Brust spürend der ihnen schmerzenden Hiebe versetzte.
Krampfhaft zogen sich Aidens Muskeln zusammen. Der mit einem mal plätschernde Regen der sie überfiel, hämmerte so laut in seinen Ohren, er meine verrückt zu werden. Daraufhin rutschte er aus, fiel in ein Gemisch aus Schlamm und Schnee und scheuchte mit herumwirbelnden Gesten den ihn beschnüffelnden Kiba von sich. Sein Kopf pochte, sein Herz genauso, die Hitze kam und durchflutete ihn.
Für einen kurzen Augenblick dachte er die Luft würde ihm ausbleiben und sein Geist aussetzten. Es jedoch nur als kleinen Schock betrachtend, rappelte er sich blindlings wieder auf und rannte, ungeachtet auf die schmerzenden Körperteile weiter. Kurz darauf stoppte er und sah die sich entladene Szene vor sich, in der sich auf der schlammigen Straße die verschiedenen Männer hin und her wälzten, erbittert kämpften und um sich schlugen.
Dann ein Schuss, Gerüche fluteten auf ihn ein und die Bewegungen der Männer stoppten abrupt, das Aiden es wagte mit stossweise ihn durchflutender Atmung weiter nach vorne zu treten. Adam stoppte ihn, kampfbereit hatte er seinen Dolch gezogen und hielt ihn nach Luft jappend in der rechten, eine Pistole in der linken Hand, er wusste sofort das sein Bruder nicht geschossen hatte.
Unmittelbar darauf sah er, dass schrecklich dunkle und noch frische Blut den Schnee besudeln. Einer der Männer, er konnte im Augenblick nicht sagen wer, blieb regungslos liegen, ein anderer kämpfte sich aus der Umklammerung eines anderen heraus und rannte davon.
Aiden sprang ihm sofort nach, ungeachtet auf den bereits toten Mann wollte er aufschreien, doch der Wind riss ihm die Worte von den trockenen Lippen und während der Schweiß wie Wasser von seiner Stirn perlte, hätte er schwören können Adam hinter sich zu sehen. Als er sich aber kurz umwand, erkannte er sogleich das sein Bruder zurück gehechtet war. Aufgebracht schrie er Davies Namen und stürmte in die Entgegengesetzte Richtung zu dem kaputten, sich in brand gesetzten Fenster zurück.
Er sah wie dunkle Rauchschwaden aufstiegen und der Geruch von Feuer und Verbranntem in der Luft lag, die angezündeten Gardinen und den bewusstlosen, auf dem Boden verblutenden Davies hatte er vollkommen vergessen.
Doch es war ihm gleichgültig. Seymours Silhouette, als Teufel der in seine Welt zurück flüchten wollte erspähend, hatte er nicht bemerkt, wie er die ganze Zeit über seinen Namen geschrieen hatte. Ein, Zwei Rufe folgten ihm, aber er ließ sie ungeachtet an sich abprallen nur sich und seinen Feind vor Augen. Er rannte, nicht hastig und ungezähmt, sondern ruhig und konzentriert. Mit der Einsicht sich seine Kräfte zu sparen, verlor er ein kurzes Stück Abstand und sah entsetzt mit an wie Seymour sich aufmachte und auf einen Seiteneingang des Hauses zusteuerte.
Die Angst mit der er es jetzt bekam war mit nichts vergleichbar. Ebenfalls die Tür am Seiteneingang aufreißend, sah er sich nervtötender Musik, lautem Gerede und einem Gewirr aus Menschen und Kleidungsstücken entgegengestellt, wogegen die offene Schneelandschaft hinter ihm verschwand. Stickige, verbrauchte Luft fraß sich durch den Raum durch den er sich aufgewühlt kämpfte. Er schaffte es noch ein paar Mal Seymour zwischen den Gästen, als stürmenden Flüchtling zu erkennen, bis dieser gänzlich verloren ging. Gott sei dank ist das Feuer noch nicht bemerkt worden, dachte er und runzelte die Stirn, als er suchend durch die Menge nach weiteren Organisationsmitgliedern Ausschau hielt. Vor allem aber hoffte er noch ein Zeichen Seymours zu finden, leider nur mit sehr mäßigem Erfolg. Statt dessen erkannte er, dass die an den Raum angebrachte Terrasse offen stand. Fackelähnliche Gebilde sorgten dort einen perfekten Blick auf das sich ausbreitende Feuer. Mit dem irrsinnigen Wunsch, niemand dürfte es bemerken, bevor er die Tür geschlossen hatte, kämpfte er sich vor und fiel beinahe in MacKenzies Arme der ihn kräftig an den Schultern fest hielt.
« Seymour ist hier irgendwo unter den Leuten. », zischte er ihm zu und erklärte in weiteren, knappen Sätzen die Situation, zu der MacKenzie nicht allzu viel zu ergänzen hatte. Gemeinsam, versuchten sie durch das Gedränge zu gelangen, als Aiden ein anderes bekanntes Gesicht erkannte und ihm trotz der Wärme im Raum, ein kalte Welle überlief. MacKenzie dem das Ganze nicht entging beäugte ihn fragend, sah aber gerade ebend einen ihm bekannten Verbündeten und winkte ihn unter den gegebenen Umständen hektisch zu sich. Worauf ein junger Mann, mit blondem, struppigem Haar und freundlichem Gesicht erschien. Aiden starrte ihn verständnislos an, riss sich wieder von ihm los und verfolgte die ihm tatsächlich Angst einjagende Gestalt, wie diese suchend in die oberen Stockwerke ging. Ein merkwürdiger Stich in seiner Bauchgegend machte sich breit, seine Hände wurden Schweißig und nachdem er fest entschlossen war Schlitzauge zu folgen, hielt ihn Seymour auf, der Anstalten machte durch die anliegende Terrasse in den Garten zu flüchten.
« Da ist er. », rief er entsetzt und ein tiefes Geräusch der Abneigung entwich seiner Kehle, so dass die rings, um ihn stehenden Personen ihn verdutzt anstarrten. Diese ignorierend konnte er nicht verhindern wie Kiba an ihm vorbei lief und zum Angriff überging, wodurch er gezwungener Maßen dem Hund folgte und Seymour gerade ebend noch auf der Terrasse antraf.
Noch ehe er zu Wort kam, griff Kiba haltlos an und grub seine Zähne in das Bein des Mannes, der darauf Schmerzerfüllt aufschrie und nach dem Hund trat, der mit einem Mal getroffen, mitleidserregend aufjaulte und nach hinten geschleudert wurde.
Die Interesse der Gäste die sich auf sie zu übertragen schien, unbeachtet lassend blickte Aiden aus geweiteten Augen, auf die sich empor züngelnden Flammen ,auf der anderen Seite des Hauses und keuchte entsetzt auf.
Seymour dagegen lachte und krümmte sich vor Belustigung, als auch MacKenzie und der fremde Mann auf der Terrasse erschienen, begleitet von ein paar Schaulustigen Gästen, sodass sich das Spektakel, welches das Feuer darstellte, unter den gegebenen Umständen, in Sekundenschnelle bekannt wurde und Schreie erfüllt von Panik die Nacht durchsetzten.
Der beißende Geruch von Rauch lag schwer in der Luft und einzig die Kälte des Schneegestöbers unterband diesen und trug zur Veranschaulichung der Kulisse einen roten, flackernden Schein auf der Oberfläche. Mit einem Schrei fiel Aiden nun Seymour an, wollte sich auf ihn stürzen, als dieser kampferprobt eine Pistole aus seinem Gürtel zog und sie höhnisch zur Schau stellte.
Mehrere Gäste schrieen nun auf, Frauen verließen kreischend den anliegenden Raum, während einzelne Männer sich nach vorne kämpfen wollten, die meisten von ihnen jedoch lauthals flüchteten. MacKenzie und den fremden jungen Mann, die ihm gefolgt waren, im Augenwinkel erstarren sehend, sah er nun in den Lauf einer auf ihn gerichteten Pistole, deren grün-golden verzierter Griff höhnisch aufblitzte. Die Augen zu Schlitzen formend, verspürte er unnatürlicher weise keinen einzigen Funken Angst. Das Gegenteil war sogar der Fall, denn innere Selbstsicherheit und eine unkontrollierte Angriffslust überkam ihn und ließ ihn, schon beinahe den Bastard von Seymour beschimpfen, als mit einem Hechtsprung der junge Mann vor ihn trat und ihn grob zur Seite stieß.
Mit großer Sicherheit hätte Seymour im selben Moment geschossen, wären nicht die zur plötzlichen Unruhe führenden Krachenden und Angsteinflößenden Schüsse im Haus erschollen. Er selbst erstarrte und biss die Zähne fest aufeinander, während der unangenehme Geruch von Schweiß und dem noch immer vor sich hin fackelnde Feuertempel, in Form von Rauch und Stickiger, verbrannter Luft sich über ihn legte.
« Was soll das Idiot? », schrie Aiden den jungen Mann an, taumelte nach hinten und verlor das Gleichgewicht, als er abermals von MacKenzie sicher aufgefangen wurde.
« Es gibt Dinge die kann man erst verstehen nachdem man sie getan hat. Ich kann es nicht zulassen, dass der Sohn von Lord George stirbt. », rief er ihm euphorisch zu, als weitere unbändig laute Schüsse folgten und sie alle überrascht zusammenzuckten.
Ungläubig in den Saal zurück starrend, der jetzt fast Menschenleer war, erkannte er Zwei Unruhe stiftende Männer, die ihre Waffen, höhnisch Grinsend in die Höhe hielten und in die Decke schossen. Das Lächeln verging ihnen sofort, als durch ihre unüberlegte Tat, weitere verdeckte Mitglieder der Organisation sie überfielen und haltlos nacheinander die Kehle durchschnitten. Ein kurzer, unnutziger Kampf. Ihr Blut sickerte langsam über den sauberen Fußboden während ihre Körper, sich dem Willen des Lebens, welches aus ihnen wich, nicht beugen wollend, noch kurz zuckten.
Kiba der laut neben ihm knurrte rief ihn noch rechtzeitig aus seinem plötzlichen Trance ähnlichen Zustand zurück, als ein weiterer verirrter Schuss fiel und er, wie zuvor heftig überrascht zusammenfuhr und erschrocken seine Haltung verstärkte.
Das panische, sich verringerte Geschrei der davonlaufenden Gäste und den scharfen Wind in den Ohren, glaubte er ein weiteres Mal Seymour hätte geschossen, doch als MacKenzie überrascht etwas rief, drehte er sich um und sah gerade noch rechtzeitig, wie sich aus einem, dem Feuer recht nahem Zimmer im oberen Geschoss, vereinzelte Glasscherben lösten und zu Boden fielen. Sein einziger Gedanke galt mit erschreckendem Ergebnis Helen. Nur Seymours erneut übermäßig gekünsteltes Lachen, ließ seine Aufmerksamkeit wieder zurückwandern und eine brodelnde Wut entwickelte sich in seinem Bauch, dass er, hätte MacKenzie ihn nicht aufgehalten, haltlos Seymour attackiert und getötet hätte. Stattdessen aber rief er nun vereinzelte Schimpfwörter, die an dem Mann abprallten, als wären sie gegen eine kalte Mauer geflogen, was den Tatsachen ziemlich nah kam.
« Ist sie dort oben, deine Verlobte ? », rief er entzückt aus, worauf Aiden ihn abermals attackieren wollte und sich von MacKenzie losriss, jedoch in letzter Sekunde von dem ausgestreckten Arm des jungen Mannes aufgehalten wurde.
« Geht hoch und kümmert Euch darum. », sagte er ihm und hielt die Augen geschlossen, als gäbe es für ihn keinen wahnsinnigen, jederzeit Schussbereiten Seymour mit einer Waffe in der Hand, die auf seine Brust gerichtet war. « Ich werde diesen Dreck hier erledigen. »
« George ! », rief ihm nun MacKenzie entsetzt zu, als Aiden einen gewaltigen nieselregen durchsetzter Wind seine Haare in alle Richtungen verstrubbelte und einen Augenblick lang die Zeit wie eingefroren erschien. « Ich werde dem Sohn meines Namensgebers die Treue erweisen. »
« Aber nicht indem du dein Leben opferst. », bellte Aiden zurück, war aber schon auf dem halben Weg, als Seymour, den Finger an den Abzug legend, ihre ihm lächerlich erscheinenden Vorhaben mit einem Augenrollen beobachtete. Er lachte nochmals, kniff ein Auge zu um besser Zielen zu können, als Aiden den stürmisch nach vorne eilenden, dazu hustenden Adam erkannte, der aus der Richtung des Feuer herbeigeeilt kam und Davies Gestalt dabei ächzend auf dem Rücken trug. Sie schlagartig fallend lassend, war er in wenigen Schritten bei ihnen, lenkte nochmals das Geschehen vollkommen auf sich, sodass Seymour überrumpelt aufgrunzte und verwirrt herumwirbelte, unschlüssig wen er jetzt erschießen sollte. Es war schon zu spät. Weiter nach vorne drängend, zog Adam unter seinem Umhang eine schussbereite Waffe hervor und drückte den Abzug, während des Laufens, noch bevor er überhaupt einigermaßen gezielt hatte, er traf.
Sein nach Luft drängendes, angespanntes Gesicht beobachtend, das Dreck und Russ verschmiert voller durch den Schweiß klebender Haare, übermüdet und doch stark wirkte, wanderte sein Blick zu Seymour. Die Aiden erfüllende Erbarmungslosigkeit und Freude spürend, den kalten Wind dankend, der ihm die nassen Haare liebkoste und seinen Blick vom zusammensackenden, röchelnden Seymour, dessen Blut als einzige Kaskade über seinen Körper lief, zum Himmel richtend, waren dort kalte, vor sich hin blinkende Sterne. Daraufhin rannte Aiden los, stürmte, Blut und Dreck absichtlich übersehend zurück in das Haus, im Hinterkopf bereits die schon zuvor entdeckte Person vor sich sehend die, bevor er Seymour nachgejagt in der Menge verschwunden war, Isaac Merryweather - Schlitzauge. Die völlig erstarrte und fassungslose Ansammlung von Organisationsmitgliedern zurück lassend, bemerkte er nur noch, das vor bitterer Rache erfüllte Lachen seines Bruders. Er hechtete die Treppe hoch, in der Hoffnung es noch rechtzeitig zu schaffen.

Ich will nichts sehen, dachte Helen und ließ ihre Augen geschlossen und den Kopf auf die Tischplatte gesenkt. Ihre Hände lagen daneben, zu zitternden Fäusten geballt, überliefen sie regelmäßige Wellen der Erkenntnis und des Erschauerns. Ich will dich nicht sehen, nicht mehr sehen, sagte sie sich, ein ständiges, penetrantes Bild von Aiden vor Augen. In Ihrer Einsamkeit und Quälerei hatte sie nicht einsehen und ebenso nicht zurück schauen wollen. Doch jetzt hatte sie keine Wahl, während ein Gedanke ihr ganzes Wesen beherrschte, stirb nicht, bitte Aiden stirb nicht. Wohl wissend, dass sie durch sich selbst gefangen in diesem Raum, nicht in der Lage war auch nur ohne Anstrengung zu Atmen, hatte sie schon längst, den kommenden Qualm, das Rot leuchtende Licht des wohl näher rückenden Feuers und auch die panischen Schreie der Gäste von unten mitbekommen. Aus einer ihr unergründlichen Sichtweise heraus, war es ihr vollkommen gleichgültig.
Durch einem plötzlichen sich beobachtet gefühlten Impuls schaffte sie es sich aufzurichten. Ihre Augen waren von tiefen Schatten umgeben, als sie den Kopf hob und lange Tränen sich dort herunterschlängelten. Die Person die bis zu diesem Zeitpunkt in der Tür gestanden hatte machte sich nun bemerkbar und ging, sein Floretts lässig auf seine Schulter klopfend in das Zimmer. Beide starrten sich an, doch Helen bewegte sich kein Stückweit als er komplett in den Raum tretend eine Waffe zog und schoss. Die Luft anhaltend, die Tränen versiegend und erbleichend ging der Schuss ins leere, zerschmettert statt ihrer Haut und ihren Knochen die Scheibe des Fensters, das Augenblicklich in Scherben zersplitterte. Einzelnen Bruchstücken flogen nach unten in die tiefe Leere um dort von Aiden gesehen zu werden. Ihr ehemaliger Peiniger - Schlitzauge, sah übel mitgenommen aus, schmiss die Pistole mit einem kraftlosen Wurf in eine Ecke und sprang auf sie, sodass sie vom Moment überwältigt nichts zu ihrer Verteidigung unternehmen konnte.
Ihren Hals mit seinen großen Pranken umschlingend, röchelte sie entsetzt auf, während er sie gewaltsam gegen den Schreibtisch drückte, eines ihrer Handgelenke packte und es brutal quetschte. Sie wollte aufschreien, doch der Laut blieb in ihrer Kehle, dass sie statt dessen ächzend, ihre zitternde, freie Hand um seine, sie erwürgenden Arme klammerte und versuchte daran zu rütteln. Ohne den gewünschten Erfolg intensivierte er seinen Druck und ein irrer, fanatischer Ausdruck schlich sich in seine Gesichtszüge ein, der sie innerlich vor Entsetzten aufwühlte. Gerade wollte er sie weiter nach oben drücken, das ihre Füße beinahe den Boden verloren hätten, als ihm plötzlich etwas einfiel und er entzückt mit der Zunge schnalzte.
« Du kleines einfältiges Miststück, dachtest wohl du könntest mich im Wald zurück lassen. », setzte er an und sein ganzer Körper schüttelte sich vor, aufgestauter Wut? Skurriler Erregung oder makaberer Freude?
« Ich war noch nicht fertig mit dir, vorher nicht und jetzt auch nicht. » In ihr Gesicht funkelnd, spuckte er sie an, dass sie vor Ekel die Augen schloss und schmerzhaft einen Ton von sich gab. Vor allem die Tatsache das er lachte, sich gegen sie presste und dabei ihren gesamten Körper benutzen konnte wie er wollte, zerriss sie, das sie nicht einmal mehr die Kraft aufwenden konnte, überhaupt noch zu denken. Als er dann plötzlich von ihrem Hals abließ und sie erschrocken aufhustete und würgte, fackelte er nicht lang und schmiss sie mit unmenschlicher Kraft auf den Boden. Sie stieß hart mit dem Kopf auf festen Untergrund, dass sie dachte ihr Unterkiefer wäre durch die Erschütterung gebrochen. Benommen sah sie aus tränenden Augen auf, doch sie hatte nicht einmal die Zeit, um ihren Schmerz richtig wahrzunehmen, da Schlitzauge sie sogleich am Kragen packte und ihr mehrere Schläge ins Gesicht verpasste.
Schreiend ging sie abermals zu Boden und blieb dort bewusstlos liegen.
In unterwürfiger Position hielt diese Bewusstlosigkeit nur wenige Sekunden, wodurch sie sich nichts sehnlicher wünschte, als sich von dieser nochmals gefangen zu nehmen und sich trösten zu lassen. Jedoch kam Schlitzauge erneut zu ihr und beugte sich mit gehässigem Gesichtsausdruck über sie, was sie halb benommen, halb mit verschwommenem Blick gar nicht richtig wahr nahm. Sein Mund bewegte sich unablässig doch sie verstand kein einziges Wort welches er auf sie niederprasseln ließ und welche von Beschimpfungen und Vergewaltigungen erfüllt waren. Schließlich spürte sie nur noch sein sie zerdrückendes Gewicht auf sich liegend. Sie tauchte für einen kurzen Moment aus der Unterdrückung dieser Situation, der Trance die sie sich geschaffen hatte auf und realisierte, schmerzerfüllt was er da abermals mit ihr plante. Unsäglich den Puls in ihrem ganzen Körper spürend, der in wilden Takten ihre Sinne benebelte, bemerkte sie die kalte Rage, die sie dazu drang sich zu widersetzten.
Sich zwingend hinzusehen, stieß sie ihm ihren Kopf entgegen, sodass beide vor Schmerz aufschrieen, sie jedoch ungehindert an den aufkeimenden Tränen einen ihrer Arme unter seinem Körper hervorholte und ihm hart in die Seite schlug. Zwar blieb der gewünschte Effekt aus, doch da er sich verwirrt über ihr aufbäumte und seinen Angriff schwächer werden ließ, holte sie erneut aus und stieß ihm die Faust in den Bauch, das er dieses mal röchelnd mit offenem Mund auf sie spuckte. Die Situation nutzend zog sie ihr Knie zu sich und rammte es ihm mitten in Genitalien. Die Augen verdrehend, quiekte er und fiel gänzlich von ihr herunter. Gekrümmt blieb auf dem Boden liegen. Verständnislos und eine heftige Übelkeit unterdrückend, hielt Helen sich die Hände vor die Augen, um in eine beruhigende Dunkelheit abzudriften.
Als sie sich kräftig genug fühlte, kämpfte sie sich auf alle Viere hoch, stierte den sich hin und her wankenden Schlitzauge an, rappelte sich vollständig hoch und nahm sein Florett an sich. Es war keine Sekunde zu früh, da er im nächsten Moment, sich mit den Händen abstützend nach oben schnellen wollte.Doch so weit kam es nicht. Mit einem erneuten Schwächeanfall kämpfend, wankte sie, biss aber die Zähne zusammen, schmeckte kurz das Salz ihrer Tränen und rammte ihm dann sein eigenes Schwert in die Seite.
Blut quoll aus seinem Körper, ungläubige und schmerzerfüllte Schreie folgten, als sie glaubte einen Schuss zu hören. Wie in Trance schnell ihren Körper betastend, stellte sie fest das sie nicht schwer verletzt war, schmeckte aber einen widerlichen metallischen Geschmack im Mund und wischte sich dann Schlitzauges Spucke aus dem Gesicht. Anschließend auf alle Viere zurück sinkend, kroch sie so nah an ihn heran wie sie glaubte das es nötig war .Sofort erkannte sie seinen dramatischen, heuchlerischen Blick und hörte stammelnde, von Reue schildernde Wörter, dass ihr schlecht wurde.
Ihr Gesicht wurde dementsprechend in sekundenschnelle unergründlich wie von einer Maske überzogen, in ihren Augen leuchtete das Böse und die Erbarmungslosigkeit, als sie das Schwert in beide Hände nahm und es senkrecht über ihn haltend sagte : « Du warst noch nicht fertig mit mir? Schön, denn jetzt sind wir quitt. Fahr zu Hölle. » Dann stach sie zu, das Blut über den Boden und auf ihre Kleidung spritze und sie in einer Welle der Erschöpfung, ohne das Schwert aus Schlitzauges Körper zu ziehen zusammensackte.
Kurz glaubte sie Aiden erstauntes Gesicht in der Tür zu sehen, doch mit dem Gedanken sie würde nur halluzinieren, schloss sie erschöpft die Augen.

Das Feuer, ungestüm und wild breitete sich aus. Es verschlang und forderte Tribut, äscherte ein und vernichtete hier und da ein Leben. Die Zeit verrann gedankenlos und verschwenderisch und es würde nicht mehr lange dauern bis die Sonne ihre Strahlen über das Land setzten würde und die Dunkelheit, die sowieso durch die Röte der Flammen vernichtet wurde, dem gleichen Schicksal entgegensteuerte.
Helen sah Aiden nur als verschwommene Gestalt, als sie die Augen wieder geöffnet auf dem Boden liegen blieb. Er beugte sich über sie und bettete ihren Kopf zärtlich auf seinem Schoss. Er strich sanft über ihren Haarschopf und flüsterte beruhigende Worte, ohne dabei Schlitzauge zu beachten oder sie auch nur darauf anzusprechen.
« Dummkopf. », nuschelte er und fuhr langsam mit seinen Finger ihre Gesichtszüge nach, beugte dann seinen Kopf zu ihr herunter um festzustellen, das ihr Atem regelmäßig ging und sie nicht weiter verletzt war. Ihr das Blut aus dem Mundwinkel wischend, waren sie sich so nah wie zuvor, doch jegliche Anspannung war von ihnen gewichen und geblieben war lediglich der Wunsch nach Nähe. Helens Augen flatterten. Sie fühlte Aidens heißen Atem auf ihrer Haut und eine beruhigende Atmosphäre die sich bildete, während ihr warm wurde und sie sich schließlich lange aus unbegrenzt weiten Augen ansahen.
« Irgendwann bringt dich dieses Pech das dich verfolgt, noch um. », meinte er jetzt und ein Lächeln huschte über ihrer beider Münder, als er sich ins Gedächtnis zurück rief, dass so eine Situation, Helen so ruhig und zerbrechlich nie da gewesen war. Sie zu beschützen, während sie es zu ließ, sie zu beruhigen und zu umsorgen, ironischer weise empfand er dies als so natürlich. Währenddessen, spürte er die gefährliche Anspannung zurückkehren, da er wusste, das nicht weit von ihnen Adam, MacKenzie und der ominöse George damit beschäftigt waren Seymours Leiche zu beseitigen, als ihm plötzlich seine eigene brisante Situation bewusst wurde. Sich erschrocken umdrehend, sah er wie sich das Feuer immer weiter ausgebreitet hatte und der komplette Gang auf den er durch die geöffnete Tür blicken konnte, schon hell erleuchtet war. Komplett in der Sorge um Helen versunken, hatte er nicht bemerkt, wie es sich so weit vorgearbeitet und sich zu ihnen durchgeschlagen hatte.
Die brutale Hitze auf Haut und Haaren spürend, den penetranten Geruch von Verbranntem in der Nase glaubte er, das Pech hatte sich durch seine und Helens Verbindung vervielfacht. Aiden wollte nicht sterben. Er stand auf, zog Helen hoch und wankte unter ihrem Gewicht, worauf sie sich schüttelnd zusammenriss und ihren eigenen Körper umschlungen hielt, den Blick fest auf Schlitzauge gerichtet.
Ein paar Wörter nuschelnd, wandte sie sich Aiden zu, der sie an den Armen stützend mit ihr hinausstürmte. Sich immer wieder an einzelnen Gegenständen Halt suchend torkelten sie vorwärts. Nichts zurücklassend erreichten sie den Gang und wandten sich prompt nach links, das tödliche Feuer neckisch hinter ihnen. Eine Weile ging dies gut und sie arbeiteten sich kraftaufwendig Stück für Stück vorwärts, bis sie sich an einer Biegung einem erneuten Schwall sich zügelndem Feuer entgegen sahen und Aiden gestresst aufstöhnte.
Abrupt die Richtung wechselnd, flatterten Helens Augen erneut und er sah sich gezwungen sie kurzzeitig auf den Boden zu lassen. Sich an der Wand abstützend, rutschte sie an der Mauer herunter und blieb dort benommen sitzen, das Gesicht fest zwischen die Beine gepresst.
« Geht es wieder? », rief er ihr durch das Lärmen des Feuers entgegen, worauf sie stumm nickte und den Kopf wieder hob. Sie an den Armen wieder hochziehend, unterband er ihr plötzliches Gestammel, von wegen er solle sie da lassen und gab ihr rücksichtslos eine Ohrfeige, sodass sie geschockt verstummte und ihm schwankend folgte.
Ein Blick zurück in das Rot, Orange und verkohlte Schwarz genügte ihm um seinen Schritt zu beschleunigen, während erdrückende Hitzewellen auf sie einfluteten und ihnen schon bald der Schweiß wie Wasser von den Körpern lief. Rote kleine Pünktchen, aufgewirbelt durch zerstörte Fenster, die eisigen Wind und Tröpfchenweise Regen hereinließen, flogen umher, die er achtlos mit der Hand zu vertreiben versuchte. Gemeinsam schafften sie es schließlich zu einer Tür zu gelangen. Diese hektisch öffnend, war das Feuer auch schon in den dahinter gelegenen Raum vorgedrungen, dass ihn die Spannungs- und Hitzegeladenen Luft fast um den Verstand brachte.
Rot glimmender, flackernder Schein, erstickender Rauch und Glutstückchen waren gemeinsam mit den riesigen, Flammen der Hölle das einzige was er sah, während Umrisse von Möbel und Gegenständen gänzlich unter deren tödlicher Hand und unerbittlichem zerstörerischen Drang zunichte gemacht wurden. Wir werden genauso enden, dachte Aiden, schüttelte seinen Kopf und hielt sich an dem Türrahmen fest um nicht ins Wanken zu geraten.
« Wir sind umkreist. », flüsterte Helen nüchtern und er sah das grausame Leuchten dieser Naturgewalt in ihren Augen widerspiegeln.
« Ich holte uns hier raus, ich hole uns hier raus. », rief er ihr entgegen, packte sie an den Schultern und zog sie zu sich, sodass ihr Kopf an seiner Brust ruhte, seine Hand schützend darüber und den Blick eisern nach oben gerichtet. Die Zähne zusammenbeißend, fühlte er wie der unkontrollierte Brand sie mit seiner leidenschaftlichen und impulsiven Fängen langsam erreichte. Seine und Helens Kleidung war bereits angesenkt und er glaubte, das selbst seine Haut anfing sich in der drückenden Hitze aufzulösen. Er musste schlagartig daran denken das dem Feuer eine reinigende Wirkung nachgesagt wurde, fand diesen Gedanken im nächsten Moment aber so lächerlich und erbärmlich, dass er schockiert auflachte, worauf Helen sich aus seinem Griff befreite und ihn aus klaren, grünen Augen anblickte.
Lauthals schreiend trommelte sie mit ihren Fäusten gegen seine Brust, das Feuerinferno rückte näher, während er unerbittlich versuchte einen klaren Gedanken, sprich einen Ausweg zu finden, bemerkte er nicht einmal ihren Ausbruch der Gefühle.
Erst als sie ihm eine gewaltige Ohrfeige verpasste, blickte er herunter und sah das Mädchen schon vor sich, untergehend inmitten von hell erleuchteten Farben des Feuers.
Der schreckliche Schmelzvorgang wollte kein Ende nehmen, worauf Helen die Initiative ergriff, Aiden am angesengten Ärmel packte und ihn in das Zimmer zog. Ausdrucks- und Kompromisslos deutete sie auf das Fenster im Raum, welches den Gifte voll gepumpten Rauch und dessen nicht minder gefährliches Feuer widerspiegelte.
Die Katastrophe mit all ihren Ausmaßen nun mehr als deutlich vor sich sehend, gab es für sie kein Zurück und ihre einzige Chance, war höchstens mitten durch, worauf sie beide, ängstlich und Schicksalsergeben reagierten. Könnten sie doch jeden Augenblick entzweigerissen werden und mit unvorstellbaren Folter dahinraffen.
Es gibt Dinge für die braucht es mehr als nur Vorstellungskraft, dachte Aiden und blickte in die züngelnden, Kaskaden aus Hitze ausstrahlenden Flammen. Dann nahmen sie sich bei den Händen, richteten ihre Blicke stur auf das matt glänzende Fenster und rannten ihrem Schicksal entgegen, während Feuer und Rauch an ihnen vorbeizog, sie einnahm und vielleicht zu Grunde gehen ließ. Als sie schließlich, kühle, um sich peitschende Luft, brennende Wunden und das Klirren, kapputen Glases, welches ihre Haut aufschlitzte, an sich spürten, waren sie schon durch das Fenster gesprungen und fielen nun in die Schwarze Leere. In einen Abgrund des Nichts, aneinander gepresst und schutzlos.

Als sie auf dem Boden auftrafen, zusammengerollt zu einem menschlichen Mündel, dachten sie ihre Knochen würden brechen, da noch lange nach dem Aufprall ihre Muskeln zitterten und ihre Zähne vor Kälte und Schock unaufhörlich aufeinander schlugen.
Der Schnee und das durchgeweichte Gras hatte die Wucht des Aufpralls um einiges abgeschwächt, so dass sie nun vor Kälte frierend, bewegungslos, nebeneinander, auf dem Rücken lagen und hoch zu den sich aus dem zerbrochenem Fenster züngelnden Feuerarmen blickten.
Entgeistert berührte Aiden Helens Körper sachte, stupste sie an und versicherte sich mit einem Blick den sie erwiderte, dass sie beide noch am Leben waren. Am ganzen Körper zitternd und mit hämmernden Puls und glühenden Wangen richtete er sich unter einem dröhnenden Kopf auf, den er schmerzlich umfasste. Mit tränenden Augen, beugte er sich zu Helen herüber, die sich ebenfalls zaghaft aufrichtend, daran machte ihren Körper abzutasten.
« Wir leben. », hauchte sie ungläubig und die beiden fielen in einen aus sie heraus brechenden Gefühlsrausch, der sie wie eine Droge umnebelte und sie nicht mehr voneinander lassen konnten und sich umarmten, bis es sie schmerzte.
Helen schluchzte an seiner Schulter und schloss resigniert die Augen, während Aiden, als hätte er einen langen, qualvollen Weg sicher überstanden, die Augen auf den unnatürlich hell erleuchteten Schnee richtete, dessen Licht und Schatten hin und her flackerte. Schließlich halfen sie einander auf, wischten sich den Schnee und so viel Dreck herunter von den zerrissenen, angesengten und ruinierten Kleidern, wie ging und verfielen in ein peinliches Schweigen. Dieses wurde abrupt von Helen, die Besorgnis erregend scharf die Luft ein sog, zerstört. Der Gefühlsrausch zerschellt wie ein belangloser Spiegel den sie mit voller Wucht mit einem Stein getroffen hatte.
Sie befanden sich an der Ostseite des Hauses, an der ein Gemüse- und Rosengarten angelegt worden war. Eine kleine Holzbank lud dort zum sitzen und ruhen von langen Spaziergängen ein und ein kleiner Pfad führte zu einem neu erbauten Steg, von dem man eine Rundfahrt mit einem Boot über einen ruhigen See machen und die Landschaft genießen konnte. Genau vor dem Eingang dieser beiden Gärten, schoss ein weißer Pavillon, umring von Rosen und ein dazugehöriger Torbogen aus dem Boden, an dem nun, vom Wind leicht hin und her wankend ein erhängter Schatten taumelte. Seine schwarze Silhouette schwankte grotesk mit den leichten Böen, während seine Füße und Arme schwer nach unten hingen und der Kopf leblos, mit geschlossenen Augen auf der Brust ruhte. Das verhängnisvolle Seil war fest verknotet um dessen Hals angebracht.
Mit einem entsetzten Laut, schlug Helen die Hand vor den Mund, wich ein paar Schritte zurück und spürte wie ihr die Tränen in einem einzigen Rinnsal über Wangen und Hand liefen. Aiden wollte sich schützend vor sie stellen, um ihr die Sicht zu rauben, doch entkräftet und wohl mehr als traumatisiert wie sie war, gab sie noch einen erstickenden Ton von sich, wich zitternd und mit wehrenden Gestiken weiter zurück und brach dann zusammen. Mit einem dumpfen Geräusch fiel ihr lebloser Körper zurück in den Schnee, beleuchtet von einem flackernden Licht, sah sie beinahe Tod aus, während ihre Tränen in Form von silbrigen Striemen das einzige erkennbare Lebenszeichen waren. Ungläubig diese Szenerie aus Verlust und Verderben betrachtend, war die Melancholie die diese mit sich brachte, fast ironisch und Aiden wand sich mit einem bitteren Lächeln das sich auf seinen Lippen kräuselte nochmals zu dem Erhängen um. Finn Ferguson, war wahrhaftig verloren und selbst nach seinem Tod, war dieser böse Funken, der ihn als ständiger Begleiter das Leben zur Qual gemacht hatte noch vorhanden und zeichnete sich grausam und unverholen, ja beinahe unschuldig auf seinem blassen, toten Gesicht ab.

36. Im bitter kalten Schneegestöber

Ihr Gesicht war blutleer, ihr Körper schlaff und ebenso das Einzige das sie mit diese Welt verband. Denn ihre Seele, ihr Geist waren abgedriftet, weit entfernt, unsicher ob sie jemals zurück kehren könnten – es wollten? Aiden hätte einen reinen Hass auf sich selbst empfinden sollen, kalt und unerbittlich für seinen Egoismus und Stolz. Er schnaubte verächtlich auf. Wie verkehrt würde sich diese Welt ihm noch entgegen treten, sich noch verändern und sie alle in die Tiefen des Vergessens, der Ignoranz und der Gewalt ziehen?
Das Pferd auf dem er saß, rannte in einem gleichen Rhythmus auf dem Feldweg, rannte das sein Fell vor Schweiß und Erschöpfung glänzte. Es rannte, dass man meinen könnte, es hätte sich von seinem Körper getrennt und allein seine Seele, schnell und anmutig würde ihn und Helen tragen und rannte, dass Aiden es nicht wagte, auch nur einen Blick zurück zu werfen. Glaubte er Ferguson könnte dort stehen und Helen mit sich nehmen wollen? Glaubte er sein Geist würde sie verfolgen, ihnen nachhetzten und versuchen sie einzuholen ? Wahrscheinlich. Mit bebenden Schultern, vor Erschöpfung, Verzweiflung und Angst zog er an dem Halfter, verlangsamte sein Pferd und brachte es langsam zur Ruhe, während ein dutzend Reiter, die ihn beinahe einkreisten es ihm nachtaten.
Helens Körper lag leblos und mit kalter, weißer Haut vor ihm auf dem Sattel. Während des Reitens hatte er sie beide zusammengebunden und sie mit einem Arm umklammert, als wollte er ihr zeigen das es etwas gab an das sie sich halte konnte. Vielleicht war es auch nur, um sich selbst zu zeigen, dass es einen Halt für sie gab, etwas für das es sich lohnte sich daran fest zu halten. Etwas warmes und kräftiges zu spüren, darin zu versinken und zu träumen.
« Alles in Ordnung? », rief ihm Adam von seinem braunem Pferd aus zu und trabte in seine Richtung, seinen ernsten, mehr noch sachlichen Blick auf seinen angespannten Bruder gerichtet. Er schnalzte mit der Zunge, wand nach eingehender Musterung sein Pferd wieder um und ritt an den Anfang ihrer Kolonne, um sie alle, siegreich? Besiegt? Erschöpft? Oder doch nur voll mit Wahnsinn nach Hause zu führen, sollte es so eines überhaupt noch geben.
Als es kurz darauf anfing drohend über ihren Köpfen zu rumoren, dunkle, fast pechschwarze Wolken sich sammelten und einen Regenguss über sie schüttete, war er wahrhaftig davon überzeugt, dass jetzt das Ende der Welt einbrechen und sie mit sich reißen würde. Sich seinen Umhang um ihn und Helen legend, versuchte Aiden sich gegen die sich aufbäumende Naturgewalt aufzulehnen, ließ ungeachtet die Zügel los und überließ es seinem Pferd sich den sichersten Weg zu suchen. Die Überreste des Schnees lösten sich binnen Minuten in einem Gezeitenstrom aus Matsch und Wasser auf und rissen ganze Landschaften unter lautem Getöse mit sich. Einen beschützerischen Impuls folgend, wickelte er seinen Umhang enger um sich und die wankende Person vor sich und war mehr als erleichtert, als sie ihren geplanten Zwischenstopp erreichten.
Unmittelbar darauf verdreifachte sich die Gewalt des Regens und heftige, auf dem Boden zerschellende Regentropfen fielen ungeachtet auf alles Lebende herunter, während Aiden immer wieder das glitschige Seil, welches ihn und Helen verband aus den Fingern rutschte. Das Pferd bäumte sich plötzlich unruhig unter ihnen auf, schabte mit den Hufen und verdrehte Panik erfüllt die Augen, sodass sie leicht gefallen wären, wäre der junge George nicht geistesanwesend von seinem eigenen Tier gesprungen und hätte seines bei den Zügeln gepackt. Worte der Beruhigung flüsternd, redete er auf das schöne Tier ein, tätschelte den klatschnassen Hals und schien sich so gar nichts aus dem Unwetter zu machen, sondern lächelte ihm aufmunternd zu. Das Lächeln etwas überrumpelt erwidernd, wand Aiden sich einem anderen Mann zu, der ihm hilfsbereit einen Dolch gab, damit er die Fesseln durchschneiden konnte. Er wusste das er diese für das nächste Weiterreisen nicht mehr benötigen würde und schluckte über diesen bis zu diesem Zeitpunkt verdrängten Gedanken, der ihm schwer im Magen und dröhnend im Kopf lag.
« Wenn sie an unserem Zwischenhalt nicht wieder zu sich kommt, reisen wir ohne sie weiter, wir können uns nicht leisten ständig darauf Rücksicht zu nehmen. » Hatte sein Bruder nüchtern zu ihm gesagt, sich abrupt umgewand und war mit hängenden Schultern davon geeilt. Er hatte nichts darauf erwidert. Im Grunde hatte Adam recht und auch wenn es ihm selbst schwer fiel, er musste daran glauben das Helen es schaffen würde.
Ihr Puls war regelmäßig, ihre Atmung ging in einem eintönigen Takt normal seinen Gang und selbst wenn ihr Körper schlaff und abwechselnd kalt und warm unter seinen Händen lag, baute er sich eine Mauer der Hoffnung auf, die ihm sagte, dass sie lediglich einen Schock hatte, an die Grenzen ihrer seelischen Fassung gelangt war. Jetzt jedoch, begann diese Mauer zu bröckeln und er fragte sich wie lange sie noch zusammenhalten mochte, da sein Mädchen unter Umständen nicht nur an einem Schock sondern auch an inneren, für ihn unsichtbaren Verletztungen sterben könnte.
Sie sanft in den Armen tragend, setzte sein Herz aus um im nächsten Moment einen Hüpfer zu machen, der dem zerbrechen von Glas recht nah kam. Regen prallte tränenähnlich von ihrem Gesicht ab, blass, voller Kratzer und blauer Flecken glaubte er eine Regung darin gesehen zu haben. Und tatsächlich, im nächsten Moment flatternd ihre Augen. Diese öffnend hustete sie auf und klammerte sich, die Lieder wieder schließend, mit schwachem Griff an ihn.
In der Hütte, die ihnen als nicht zufällig ausgesuchter Rastplatz diente, war es stickig und der Qualm des entfachten Feuers brannte ihm in den Augen, während er mit schon penetranten Vorstellungen weit von dessen züngelnden Flammen und mit übertriebenem Abstand in einer Ecke platz nahm. Er hatte einst seine Mutter durch das Feuer verloren und beinahe Helen, diese Art von Angst, die sich in seiner abweisenden Haltung und der entschlossenen, abstand haltenden Reaktion widerspiegelte, würde ihn bis ans Ende seines Lebens verfolgen, da war er sich zunehmend sicher. Der warme Vorteil dieses Produkts beiseite schiebend, beobachtete er es eindringlich und umklammerte die halb auf ihm sitzende Helen mit geweiteten Augen und festen Griff, sodass sie einen erstickenden Ton von sich gab. Überrascht zu ihr hinunter blickend, hatte sie die Augen geöffnet, krallte sich in sein Hemd und zeigte in ihrem Gesichts nicht als die blutleere Blässe die sie die ganze Zeit über, zu verfolgen schien.
« Ich fühlte nichts. », hauchte sie und wagte nicht zu ihm auf zu sehen, heftete ihren Blick statt dessen an einen undefinierbaren Punkt jenseits aller Materie. Die mit ihnen gereisten Männer der Organisation die sich entgegen ihm, in einem Kreis, um das Feuer gesetzt hatten, lachten plötzlich auf, reichten mehrere Becher und Flaschen mit Flüssigkeiten umher und verloren sich in verstrickten Unterhaltungen. Einzig George, blickte ihm stumm entgegen, verzog seinen Mund und nickte ihm zu, was er unter gegebenen Umständen nur allzu gern erwiderte.
« Ich werde für uns beide fühlen. », flüsterte er ihr sanft ins Ohr und presste sie fest an sich. Er tat ihr weh, doch es war ihm egal, wollte er sie jetzt und hier nicht mehr gehen lassen, beschützen und besitzen.
Später an diesem Tag war ihm als hätte er die Stunden in einer Art Trance verbracht, Helen hin und her gewiegt, ihr zugeflüstert und ihr immer wieder mit einem Tuch die Schweißnasse Stirn abgewischt. Ihr ganzer Körper zitterte in taktähnlichen Abläufen und ihre Augen glitzerten vor Fieber, sie waren dunkel und tief, wie er es noch nie an ihr gesehen hatte.
« Du scheinst mich zu verfolgen. » Ein ironischer Funken, die erste Regung, die er an ihr erkannte, machte sich in ihrem Gesicht deutlich.
« Ich werde immer besser darin. », sagte er und fasste ihre Worte als Kompliment auf, fuhr aber ernst fort. « Ich weiß das du...nicht...also ich...ich habe entschieden, ich lasse es nicht zu das man dir weiterhin weh tut, hörst du... »
« Das wirst du nicht verhindern können. », meinte sie und wand ihr Gesicht ab.
« Ich kann es versuchen. »
« Versuchen...das habe ich nicht verdient !. », rief sie aufgebracht, wodurch die gesamte Runde verdutzt zu ihnen rüber starrte.
« Was wollt ihr? », keifte Aiden sie angriffslustig an und ballte seine freie Hand zu einer Faust, bis sich die Blicke wieder abwandten.
Herumzappelnd versuchte Helen sich aus seinem Griff zu wenden, doch er packte sie jetzt fest an den Schultern und schüttelte sie sanft.
« Du wirst! Du wirst mit mir kommen, du wirst alles vergessen was bis jetzt passiert ist und du wirst glücklich. »
« Wie soll das gehen? Wie nach all dem was...oh gott.. », stammelte sie und rief sich plötzlich die vergangenen, verdrängten Bilder ins Gedächtnis zurück. Geschockt zitterte sie auf, blickte verständnislos auf ihre zerkratzen Hände und schlug sie sich schließlich ungläubig vor den Mund. Tränen rannten ihr über das Gesicht und Aiden glaubte das sie erneut zusammenbrechen würde. Er legte ihr seinen seinen Umhang um die Schultern, zwang sie zum Aufstehen und ging mit ihr auf dem schnellsten Weg hinaus, die erstaunten Blicke der Männer stechend im Rücken spürend.
Der Regen hatte sich wie auch schon in den letzten Tagen wieder in ein Schneegestöber verwandelt und er ließ augenblicklich von ihr ab, als die Tür der Hütte geschlossen war. Er schubste sie dann aufgebracht nach hinten, sodass sie torkelnd rücklings in den Schnee fiel und von dort auf allen Vieren zu ihm hochblickte.
« Seymour ist tot, dein verdammter Ferguson ist tot, dutzende andere Menschen sind tot, doch wir, Helen und jetzt hör mir gut zu, wir leben ! Begreif das endlich. », schrie er sie wutentbrand an und beobachtete wie sie durch die Eiseskälte fröstelnd ihren Körper umschlang.
« Glaubst du das weiß ich nicht? », schrie sie ihm unter großem Kraftaufwand zurück und stemmte sich auf die Knie.
« Warum benimmst du dich dann wie ein Idiot? », verlangte er zu wissen und ging einen Schritt auf sie zu. « Jetzt lass es einfach zu, lass zu, dass ich dich mit mir nehme, lass zu, dass ich dich liebe und lass verdammt noch mal zu das du dir selbst vergibst. Glaubst du etwa Ferguson hätte sich umgebracht, wenn er nicht gewusst hätte das du so weit bist? »
« So weit bist? », flüsterte sie und fühlte sich leer und bemerkte schon gar nicht mehr, wie die Tränen ihre Wangen benetzten und der Schneewind unerbittlich kalt an ihrem Leben zog.
« Er wusste genau, dass du dich nicht weiter quälen kannst, wusste genau das seine und auch deine Schuld bezahlt war. Er war doch nur auf eins aus, endlich Vergebung zu bekommen und sich dann zu töten! »
« Das ist nicht wahr. », schrie sie ihm unter Schock zu und starrte verständnislos auf den schlammigen Boden.
« Es ist wahr! », donnerte er zurück. « Es ist vorbei, es ist endlich vorbei, vergiss die Vergangenheit und widersprich mir nicht, sonst tue ich uns beiden noch etwas an. Du stures Weib. » Sich zerstreut die Haare zerwühlend, kniete er sich zu ihr herunter, fasste sie erneut an den Schultern und hielt ihrem Blick stand. Entschlossen und ausweglos. Er spürte, wie sich sein Gesicht verhärtete, wogegen seine Augen ebenso sehr glänzten, wie Helens. Im nächsten Moment drückte er sie so gebieterisch an sich, dass sie gemeinsam umschlungen nach hinten weg fielen.
Auf ihr liegend, stammelte er noch ein paar Worte, dann küsste er sie heftig und widerstandslos bis er Blut schmeckte und sie sich anschließend aus Zentimeter Entfernung funkelnd ansahen.
Der Schnee breitete bereits seine Arme über ihre Körper aus, sodass sie wie festgefroren nach einiger Zeit ächzend aufstanden und Helen vornüber, mit vor Fieber heißem Körper in seine Arme fiel. Vollkommen bewegungslos und ergeben leistete sie keinen Widerstand und ließ sich treiben. Zwischen Traum und Realität gefangen, gab es keinen Ausweg, für nichts und für niemanden, was sie erst in diesem Augenblick realisierte, es tatsächlich verstand. Die Welt war grenzenlos, das Schicksal unbezwingbar und ihr Leid in seiner Vollkommenheit tröstlich. So standen ihnen die Mysterien der unbegrenzten Möglichkeiten, ihrer Sehnsüchte und der nüchternen Wahrheit im Grunde ihrer Seelen offen.
Es heulte ein Wolf, der Wind pfiff sein vor Kummer durchtränktes Lied und Aiden verlor sich in den grünen Augen seiner Liebsten. Grün wie ein Moor, grün wie das süße Gras in den Sommertagen und grün wie ein funkelnder Smaragd – doch mit dem bösen und ebenso warmen Funken einer Frau, seiner Frau. Grün war für ihn die schönste Farbe der Welt.


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Tag der Veröffentlichung: 23.11.2008

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