1. AMBROSIUS
„Es muss geregnet haben, heute Nacht“, sagte Ambrosius zu seiner Gattin, als er am Frühstückstisch sitzend nach einem kräftigen Biss in eine Marmeladensemmel einen Blick auf das gegenüberliegende Hausdach warf. Jedoch, das Dach sah nicht anders aus als sonst und auch der Himmel darüber war blau wie an den Tagen zuvor. Kein Wölkchen, welches den Verdacht aufkommen ließe, es könnte die nächsten Tage regnen.
„Es hat aber nicht geregnet, das hätte ich hören müssen,“ antwortete brummig seine Gattin.
„Wie kannst du hören, ob es regnet, wenn du schläfst oder schläfst du nicht in der Nacht.
„Natürlich schlafe ich in der Nacht, aber wenn es geregnet hätte, wäre ich bestimmt aufgewacht!“
„Vielleicht hat es aber leise geregnet, so dass du es nicht gehört hast und nicht wach geworden bist.“Schmarrn, dass du schläfst wie ein Murmeltier, das weiß ich, dass ich aber nicht schlafen kann bei dem Wetter, das weißt du natürlich nicht.“
„Dann hat es halt nicht geregnet, „ gab Ambrosius zu,“ auch wenn es so aussieht, als ob es geregnet hat.“
Seine Fanni gab darauf keine Antwort mehr. Sie war mit den Gedanken schon wieder bei der bevorstehenden Hausarbeit. Ambrosius sah zum Fenster, wo seine Grünpflanzen standen und dann huschten seine Augen über den Teil des Balkons, den er vom Tisch sehen konnte. Da draußen gediehen seine Tomaten und Kräuter. Er hätte lieber einen Schrebergarten gehabt, in dem er nach Herzenslust werkeln hätte können, doch dafür blieb ihm zu wenig Zeit nach der Arbeit. So mussten das Fensterbrett und der Balkon dafür herhalten, dass er seinem Hobby frönen konnte. Obwohl die Fanny, seine treue Gattin, auch ihren Nutzen davon hatte, kräftig rote Tomaten und frische Kräuter vom Balkon ernten zu können, nannte sie es doch manchmal eine Spinnerei, was ihr Gatte da vollbrachte. Auch Blumen und Paprika wuchsen auf wenigen Quadratmetern und mit dem Hinweis, dass Pflanzen eben ihren Platz brauchten, widersetzte sich Ambrosius allen Versuchen seiner Frau, auf dem Balkon Platz und Ordnung zu schaffen. Sie wollte viel lieber einen bequemen Liegestuhl da draußen haben, auf dem sie in ihren wenigen Mußestunden Zeitung oder Illustrierte lesen konnte.
Ambrosius kannte seine Pflanzen und Kräuter, hegte und pflegte sie, er kannte auch die Gewächse in der Wohnung, wusste ihre Namen und ihre Eigenarten. Manche von ihnen brauchten viel Wasser, andere wieder weniger, manche bevorzugten einen sonnigen Standplatz, andere standen lieber im Schatten. Wenn er abends von der Arbeit kam, galt seine Aufmerksamkeit den Pflanzen und er sah jede Veränderung an ihnen. War es ein neues Blatt oder eine Knospe, so freute er sich, sah er jedoch ein Blatt welk werden, geriet er ins Grübeln, warum eine Pflanze, die er hegte und pflegte, ein welkes Blatt bekam. Gelegentlich verschob seine Fanni beim Saubermachen einige Töpfe und wenn er es später entdeckte, murrte er. Wenn der Winter bevorstand, brachte er seine Pflanzen in die Wohnung und der Balkon wurde leer. Die abgeernteten Tomaten- und Paprikastauden verschwanden in der Biotonne. Erst im Frühjahr begann er schließlich von Neuem, aus Samen kräftige Jungpflanzen zu ziehen und er freute sich jedes Jahr, wenn alles gedieh. Seine Gattin sah ihm dabei zu und seufzte über solch eifrige Verrücktheit.
2. FÖHN
„Wir haben Föhn“ murmelte Ambrosius schon am Morgen, als er beim Blumengießen einen Blick aus dem Fenster warf und dabei die weiter entfernt liegenden Türme und Dächer ganz nah vor sich sah. Er war aber gar nicht grantig über den Föhn, den der trieb ihn an, beschwingte sein bisweilen träges Dasein und er konnte nicht still sitzen.
„Das weiß ich schon längst, dass wir Föhn haben“, murrte seine Fanni aus der Küche, wo sie das Frühstück bereitete, „ich hab ja auch die ganze Nacht Kopfweh gehabt.“
„Ja, Ja, ich sag schon nichts mehr“ raunzte Ambrosius, weil er erstens nicht mit ihr streiten wollte und zweitens sich nicht von einer zum Grant aufgelegten Gattin den Tag verderben lassen wollte. Der Himmel zeigte sein herrlichstes Blau, garniert mit einigen weißen Wölkchen. Ambrosius genoss die Stimmung an diesem Sonntagmorgen, er atmete all dies tief ein, die grüne Pracht seiner Pflanzen, die rankten und blühten und zudem eine bunte Palette von Grün offenbarten. Die Tür des Balkons stand offen, kein Laut vom Verkehr drang zu ihm herauf, kein Gebrodel von Stimmen in Sprachen, die er nicht verstand, und kein Kindergeschrei störte die Idylle des Sonntagmorgens. In der Nähe in irgendeinem Baum gurrte eine Taube und von einer Kirche schlug eine Glocke zur vollen Stunde. Er wurde dadurch an seine Kindheit erinnert, als er noch mit seinen Eltern jeden Sonntagmorgen zur Kirche ging und er stellte sich die Frage, warum alles in den Jahren vergangen und anders geworden ist. Sind die Menschen mit der Zeit anders geworden oder ist die Zeit mit den Menschen anders geworden.
Aber Glocke hin, Menschen her, nun wird gefrühstückt. Seine Gattin hatte den Tisch gedeckt und Ambrosius, einen freudig-liebevollen Blick auf seine Pflanzen werfend, setzte sich, bevor Fanni ein Wort in ihrer, durch die Föhnlaune, grantigen Art, etwas sagen konnte. Ambrosius sinnierte am tisch weiter, die Pflanzen waren der Hauptgrund für seine Grübelei. Der Mensch, überlegte er und meinte mehr sich selbst, kann Pflanzen zu Wunderwerken wachsen lassen. Dazu braucht es nicht einmal viel, nur ein bisschen Liebe, wasser und Dünger. Und was macht der Mensch und hiervon schloss er sich aus, was macht er in seiner Habgier, seinem Streben nach
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 08.04.2009
ISBN: 978-3-7309-5451-5
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