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Prolog

Eine Frau mit langen, goldenen Haaren, in ihrem Arm ein kleines Baby.

„Wir können sie nicht weggeben!“, sie hält ein Baby. Es ist erst einige Stunden alt.

Ein Baby mit türkis blauen Augen, Haaren so hell wie die Sonne.

„Wir müssen, wir haben keine andere Wahl.“, der Vater blickt mit schmerzverzerrten Augen auf das Baby nieder. „Sie wird sterben, wenn wir es nicht

tun.“

„Aber sie ist doch noch so klein!“, die Frau will es nicht verstehen, sie kann ihr Kind nicht weggeben, schon gar nicht an Fremde.

„Sie werden sich gut um sie sorgen, unsere Tochter wird den Weg zu uns zurückfinden.“

Sein blick ist ein Versprechen: „Und wenn ich eigenständig dafür sorgen muss!“

Und sie steht auf, blickt ihren Mann an und geht mit erhobenen Hauptes los.

Sobald sie außer Sicht sind, rennen sie. Sie rennen um das Leben ihrer Tochter!

Sie ist erst ein paar Stunden alt.

Kapitel 1

„Kommst du jetzt noch mit zu mir oder nicht?“, genervt verdrehe ich meine Augen. „Lucy ich kann heute nicht, das habe ich dir jetzt schon tausend mal gesagt.“

Ich nehme Lucy immer von der Schule mit nach Hause aber für mehr bin ich nicht bereit. Sie geht mir tierisch auf die Nerven. Ich meine das nicht böse, doch sie hat zur Angewohnheit, nur dann Zeit zu haben, wenn sie etwas möchte.

In diesem Fall muss sie eine Hausarbeit schreiben und benötigt Hilfe. Doch in ihren Augen sieht sie mich ihre Arbeit schreiben, während sie sich auf den nächsten Partyabend vorbereitet.

„Du musst deine Arbeit diesmal allein schreiben, ich bin das Wochenende schon verplant.“

„Du bist so eine kleine Bitch, June!“, wütend steigt sie aus und knallt die Tür von meinem Auto zu. Und genau das meinte ich. Sie ist jetzt wütend, dass sie allein arbeiten muss und heute wohl nicht feiern gehen kann. Meine Arbeit ist schon seit Wochen fertig, am Montag ist schließlich Abgabe.

Doch was erwartet sie? Ich bin nicht ihre Leibeigene und ich schreib schon gar nicht das ganze Wochenende an ihrer Arbeit, während sie ihren Rausch ausschläft.

 

Genervt fahre ich aus ihrer Ausfahrt. Ich ärgere mich, dass ich sie mitgenommen habe, ich hätte wirklich entspannter ins Wochenende starten können.

Und währe das alles nicht schon genug, steht René bei uns im Vorgarten. Lässig lehnt er an seinem Auto und raucht. Als er mich erblickt grinst er höhnisch und schmeißt seine Kippe in die Rosen meiner Mutter.

Ganz toll.

„Was willst du René?“ während ich aussteige kommt er auf mich zu.

Er sieht gut aus, ein Frauenmagnet mit gestylten braunen Haaren und blauen Augen. Man sieht, dass er nichts besseres zu tun hat, als den ganzen Tag zu trainieren.

„Es wartet Arbeit auf dich Mädchen.“, mit Arbeit meint er, seine Drogen abzuholen.

Wäre er nicht so ein guter Freund, hätte ich ihn einfach stehen lassen.

Es ist Freitag um 17 Uhr und er hat nicht mal den Anstand zu warten bis ich was gegessen habe. Zumal ich gerade erst aus der Schule komme und deutlich andere Pläne hatte als mit ihm in die Walachei zu fahren.

„Hör zu René. Ich hab gerade wirklich andere Probleme als mit dir weg zu fahren.“ Genervt hole ich meine Sachen aus meinem Auto. Ich spüre, dass er jetzt ganz dich hinter mir steht.

„Das ist mir herzlich egal Schätzchen, du hast einen Job zu erledigen. Genauso wie ich.“ Sein Atem kitzelt an meinem rechten Ohr. Über meinem ganzen Körper breitet sich eine Gänsehaut aus, seine Hände sind links und rechts neben meinem Kopf am Auto abgestützt „Also steigst du jetzt gefälligst in mein Auto.“

Ruckartig nimmt er von mir Abstand und ich kann wieder normal Atmen. Seine Augen verraten mir, dass es ihm nicht so leicht gefallen ist, wie er vermuten lassen möchte.

Seine Pupillen sind geweitet und sein Blick wild. Es erinnert mich an unsere letzte gemeinsame Nacht, die nicht wirklich ein gutes Ende nahm und zudem auch nie wieder vor gekommen ist.

Ich wende den Blick ab und steige in sein Auto, auf Streit habe ich nicht wirklich Lust und mit ihm zu diskutieren, hat keinen Sinn.

Noch bevor er sich hingesetzt hat, schalte ich das Radio auf Maximum ein und schließe meine Augen. Er kann vergessen, dass ich mich nach dieser Aktion mit ihm unterhalte. Der hat ja wohl den Schuss nicht gehört.

Idiot!

 

Nach einer Weile macht René das Radio leiser. „Hör zu June, es tut mir leid ok?“, genervt öffne ich meine Augen, blicke aus dem Fenster und schließe sie wieder. Wir fahren bestimmt noch eine halbe Stunde. „June bitte.“, nein er kann noch schmoren. Meine innerliche Kriegerin verbietet mir Kleinbei zu geben.

René murmelt etwas, dass wie „Fuck“ klingt und schlägt auf sein Lenkrad, dennoch schaue ich ihn nicht an.

„Dann zieh dich wenigstens schon einmal um. In diesem hässlichen Fummel nützt du mir überhaupt nichts.“ Er schmeißt mir Kleidung auf den Schoß.

„Entschuldige mein Herr und Meister, dass ich für Sie nicht perfekt angezogen bin.“, fauche ich ihn an. „Entschuldige, dass ich gerade erst von der Schule gekommen bin, nichts gegessen habe und auch keine Zeit hatte um mich umziehen!“, wütend mache ich mich daran meinen Blazer auszuziehen. Scheu hatte ich keine, er kennt mich ja nun schon mit weit weniger Kleidung.

„Mann so war das doch nicht gemeint June!“

Ich stoße nur wütend aus und zieh mir mein weißes Top über den Kopf. Was bildet er sich ein!

Außerdem ist mein Kleidungsstil wunderschön! „Sorry, dass ich nicht so rum laufe, wie deine ganzen Schlampen!“

„Verdammt noch mal June!“, wütend brüllt er mich an, „Ich habe gesagt, dass es mir leid tut!“. Wütend äffe ich ihm nach, während ich mir mein neues Top über den Kopf ziehe. Danach tausche ich meine dunklen Sneaker und Jeans gegen extrem hohe Absatzschuhe und eine Shorts.

Ich bin mir ziemlich sicher, wie eine kleine Prostituierte auszusehen. Wobei man bedenkt, dass es genau die richtige Kleidung für dieses Milieu ist.

 

Schweigend fahren wir weiter bis wir in eine abgeranzte und heruntergekommene Gegend nahe Polen angekommen sind. Hier leben nur Menschen, die obdachlos sind oder anschaffen gehen. Hier wimmelt es nur von illegalen Verhaltensweisen.

René parkt sein Auto hinter einer Scheune und sieht mich noch einmal bittend an. Das kann er sowas von vergessen!

Vorsichtig steige ich aus seinem Wagen und begutachte mich in meinem Spiegelbild.

Ich habe eine durchtrainierten Köper, meine Beine scheinen in den Schuhen und der Shorts endlos zu sein. Ich bin überrascht, dass dieses etwas von Hose meinen Arsch bedeckt und meine Brüste nicht aus dem schwarzen Top herausfallen. Aber sie sind nahe dran. Meine langen schwarzen Haare locken sich über meinem Rücken.

„Hier.“ René reicht mir eine schwarze Lederjacke, ich fühle mich gleich ein wenig wohler dabei, nicht soviel nackte Haut zu zeigen.

 

Wir sind in dieser Gegend bekannt. Von daher wundert es mich nicht, dass sich einige Menschen verkriechen und andere offensichtlich ihre Waffen zeigen. Es kam schon öfter zu einem Übergriff von unserer Seite aber heute sind wir allein. Wollen nur unseren Stoff und niemanden zu Brei schlagen, nur weil er nicht pünktlich bezahlt.

Normalerweise bin ich bei den Übergriffen nicht mit dabei. Ich liege dann stundenlang wach und warte bis die Jungs wieder zurück kommen. Ich bin nur hier, wenn ich den Stoff holen soll und René die Umgebung überwacht.

Jap, ich bin die angearschte, falls mal die Polizei auftauchen sollte und ja, wir sind ein eingespieltes Team, welches seit Jahren dealt.

Nur so kann ich mir mein Auto leisten, mir das kaufen was ich möchte und ein wenig unabhängig von meinem Eltern sein.

Sie geben mir wirklich alles und setzen auch alle Hebel im Bewegung, wenn ich etwas benötige aber das reicht hinten und vorn nicht, um die Schule, Auto und Lebensmittel zu bezahlen. Sie wissen von all dem nichts und am Besten bleibt das auch so.

 

Als wir in ein einigermaßen gut bebautes Haus eintreten, wird uns sofort Platz gemacht. Hier drin befindet sich, eine zum Schein erbaute Bar, in der sich sämtliche Drogenbosse und Zuhälter aufhalten.

Die Menschen sind schmierig, heruntergekommen und stinken. Die meisten haben nicht mehr alle Zähne im Mund und vergilbte Finger vom Rauchen.

 

An der Theke steht schon der Kurier bereit und leckt sich über die Lippen als er mich erblickt. Es ist schon echt widerlich und wäre René nicht dabei, wäre ich hier ganz bestimmt nicht sicher. Ich will nicht sagen, dass ich Angst habe aber wir sind nur zu zweit und der Laden hier ist brechend voll.

Ich höre, wie sich diese ekelhaften Männer über mich unterhalten und was sie am liebsten mit mir machen würden und das jagt mir eine Heidenangst ein. Ich hoffe einfach, dass ich hier schnell wieder raus komme.

 

„Wie immer.“, sage ich und packe 500 Euro auf den Tisch. Der Blick des Mannes geht erst zu René, der hinten an der Tür steht und den Raum im Blick hat.

Zögernd greift er nach etwas unter seinem Tisch und ich spanne mich an, schon bereit für einen Angriff.

Er packt ein großes Päckchen mit weißem Inhalt auf den Tisch. „Wer von euch macht heute die Probe?“, widerlich grinsend sieht er mich an. „Niemand, denn wenn das Zeug gepanscht ist, werden wir dich finden.“, freundlich lächelnd, auch wenn mir überhaupt nicht danach ist, sehe ich ihn an. Er schluckt hart, nimmt das Geld und verschwindet in einen Nebenraum.

Ich pack mein Zeug zusammen und sehe zu, dass ich schleunigst aus dem Laden komme. Ich will nur noch weg hier.

 

Erst als wir wieder im Wagen sind, kann ich wieder richtig Atmen. Meine Hände zittern und mir ist ganz und gar nicht wohl.

„Was ist? Du hast das schon gefühlte tausend mal gemacht.“

„Du verstehst es eh nicht, also lass es einfach gut sein René.“, ich drehe mich von ihm weg und schau aus dem Seitenfenster. Er wird es nie verstehen!

Kapitel 2

René setzt mich ohne ein Wort bei meinen Eltern ab und fährt mit quietschenden Reifen davon.

Ich habe endgültig genug von diesem Tag!

Zu Hause gehe ich als allererstes duschen und mach mir etwas zu Essen. Meine Eltern sind momentan auf Reisen und werden vermutlich erst in ein paar Monaten wieder zurück kommen.

Das ist für mich völlig in Ordnung, mit 20 Jahren bin ich alt genug um allein zu Hause zu bleiben. Ich hätte auch gern eine eigene Wohnung aber das Geld ist für mich momentan einfach nicht drin. Und da ich eh die meiste Zeit allein bin, fühlt es sich an, als hätte ich mein eigenes Haus.

Manchmal kann es ganz schön einsam sein aber eigentlich mag ich das ganz gern. Ich muss niemanden Rechenschaft ablegen und kann schalten und walten, wie ich es möchte.

 

Frisch geduscht und satt, gammel ich auf der Couch und will meine Nachrichten checken als ich bemerke, dass mein scheiß Telefon noch im meinem Blazer steckt. Und wo ist der Blazer? Richtig! In René seinem verkackten Wagen.

Genervt stöhne ich auf. Ich überlege ernsthaft, ob ich es einfach dort lasse und ohne Handy klar komme aber wenn mich meine Eltern erreichen möchten, sollte ich schon im Besitz meines Handys sein.

Also bleibt mir nichts anderes übrig als mich noch einmal in meine Klamotten zu zwängen und los zu Laufen. Diesmal trage ich aber wieder meine normale Kleidung und nicht diesen Fummel von René.

In einem dünnen Mantel gehüllt, laufe ich los. Es ist Anfang Oktober und die Abende werden langsam aber sicher frisch.

Ich muss nicht lange zum Clubhaus laufen aber heute scheint irgendetwas anders zu sein. In meinem Nacken breitet sich ein eisiges Kribbeln aus und ich fühle mich beobachtet.

Ich ziehe den Mantel enger um mich und beschleunige meinen Schritt. Die dunklen Straßen im Dorf lassen die Situation nicht wohliger gestalten. Ich hatte mich bisher eigentlich immer sicher gefühlt. Hier im Dorf achtet jeder auf jeden und noch nie wurde hier Gewalt ausgeübt. Es halten eben alle zusammen.

Umso merkwürdiger ist es, als ich einen verspiegelten, schwarzen Rangrover an der nächsten Straßenecke stehen sehe. Ich kenne alle Autos hier in der Umgebung und so einer gehört definitiv nicht hierher. Auch das Nummernschild ist mir fremd.

Natürlich muss jemand Besuch bekommen haben. Vielleicht die alte Sabel, sie bekommt öfter Besuch von ihren vielen Enkelkindern.

Mit soviel Abstand wie möglich, laufe ich an dem Auto vorbei und renne fast die Straße hinunter.

 

Abgehetzt komme ich am Club an.

„June! Was für eine Ehre.“ Joshua lehnt draußen an der schmiedeeisernen Tür. „Ich hab dich schon erwartet.“, grinsend kommt er auf mich zu und umarmt mich. „Was ist mit dir? Du siehst aus wie ein gejagtes Reh.“, er sieht mir prüfend ins Gesicht.

„Nichts, ich mach mir schon wieder Sorgen um nichts. Aber dahinten steht ein komischer Wagen, den ich noch nie gesehen habe.“ „Vielleicht hat die Sabel wieder mal besuch?“ „Hmm, das wird es wohl sein.“

Gemeinsam gehen wir hinein. Es ist ein kleiner Raum der nur für 20 Menschen ausgelegt ist. Es handelt sich um eine umgestaltete Tankstelle, die eigentlich als ein Jugendclub dienen sollte aber hier gibt es schon lange keine Kinder mehr. Nur uns.

Ich bin in der Truppe das Kücken, die anderen Jungen sind zwischen 22 und 30 Jahre alt aber wir sind gemeinsam aufgewachsen. Durch meinen Bruder habe ich schnell Kontakt mit ihnen aufgebaut, der bis heute hält. Es war nicht immer einfach, das einzige Mädchen zu sein aber ich hatte immer starken Rückhalt und dank ihnen, war ich nie ein mobbing Opfer.

Es hat sich niemand getraut mich anzufassen, aus Angst, Bekanntschaft mit meinen Freunden zu machen. Negativ war, dass auch alle Jungs Abstand zu mir gehalten haben.

 

Drinnen sehe ich auch schon den Rest der Truppe und René, der grinsend mein Handy in der Hand hält. Der blöde Idiot scrollt gerade durch meine Nachrichten.

„Geb mir sofort mein Telefon wieder!“, René grinst mich nur an. „Was bekomme ich dafür meine Hübsche?“

„Was hälst du davon, wenn ich dir einen Arschtritt weniger verpasse?“, ich mach mir gar nicht erst die Mühe mich auszuziehen. Mein Bett ruft nach mir.

René dagegen interessiert meine Laune gar nicht erst. „Was hälst du davon, wenn ich einfach dein Handy behalte, wenn du deinen Zuckerarsch nicht zu mir bewegst?“, knurrend gehe ich auf ihn zu. „Du gibst mir sofort mein Handy!“

„Oder ich schreibe diesem kleinen Pisser, der dich `Schatz´ nennt.“, jetzt sieht er gar nicht mehr so erfreut aus.

„René, es geht dich einen Scheißdreck an, wer mich `Schatz´ nennt!“, wütend versuche ich ihm mein Handy zu entreißen aber da hab ich die Rechnung ohne ihn gemacht. Er steht von der Couch auf und hält seine Hand nach oben. Richtig kindisches Verhalten! Außerdem ist er fast zwei Köpfe größer als ich, was es mir schier unmöglich macht, an mein Handy zu kommen.

„Das geht mich sehr wohl etwas an“, wütend schaut er auf mich runter.

„Weißt du was René? Behalt das Handy.“, so wichtig war mir mein Handy zum Glück nicht. Ich war nie ein Mensch, der viel Wert auf solche Dinge gelegt hat und deswegen drehe ich mich auf den Absatz um und verlasse den Raum. Soll der doch mit dem Handy und meinen Nachrichten glücklich werden. Soll er doch dem Typen schreiben was er will, er ist mir nicht wichtig!

„June warte!“ Joshua ruft mir hinter her aber das ist mir egal. Ich bin so wütend, dass es mich nicht mehr interessiert. Egal wessen Gefühle ich damit verletze.

 

Diesmal nehme ich einen anderen Weg nach Hause, einen der 20 Minuten länger ist aber als ich zu Hause ankomme, ist die meiste Wut verraucht.

Geschlagen lege ich mich nur noch ins Bett. Blöder René!

 

 

Mitten in der Nacht merke ich, wie sich das Bett auf der einen Seite nach unten bewegt. Ich werde von seinem Duft eingelullt und Kuschel mich an seinen nackten warmen Körper.

„Es tut mir leid. Ich weiß nicht wie oft ich das noch sagen soll.“ Ich Kuschel mich nur noch mehr an den warmen Körper, drücke ihm einen Kuss auf die Brust und schlafe weiter.

 

 

Am nächsten morgen werde ich von der kühlen Seite des Bettes wach. Ich taste noch nach ihm aber ich finde nur mein Handy. Natürlich hat er nicht gewartet. Natürlich macht er am Samstag kein Frühstück. Natürlich habe ich das Gefühl, das alles nur geträumt zu haben.

Aber ich habe nicht geträumt. Zum Beweis liegt mein Telefon an der Stelle, an der er eigentlich liegen sollte.

Traurig drehe ich mich noch einmal um aber es hat keinen Sinn. Es ist erst um 7.30 und ich bin hellwach. Schön, gleich so in den Tag zu starten.

 

Müde und noch in Gedanken von letzter Nacht gehe ich in die Küche und mach mir Kaffee. Ich schnappe mir eine Decke und Kuschel mich damit auf die Couch und blicke in den Garten.

Ich habe wohl als Kind liebend gern am Fenster gesessen und hätte nach draußen gesehen. Deswegen haben meine Eltern einen verglasten Wintergarten bauen lassen und seitdem ich mich erinnern kann, sitze ich hier und blicke nach draußen. Am liebsten habe ich als kleines Kind den Mond beobachtet.

Ich hatte oft Schlafschwierigkeiten und habe dem Mond beim Auf- und Untergehen beobachtet. Als ich älter wurde, hat mir René Gesellschaft geleistet.

Ich weiß nicht wann daraus mehr geworden ist aber es war definitiv keine gute Entscheidung. Keine gute Entscheidung von uns Beiden. Es lief einfach nicht gut und wir verletzen uns beide gegenseitig.

Er schläft weiterhin mit seinen Bitches und ich lasse ihn weiterhin in meinem Bett schlafen, lasse ihn aber nicht an mich heran. Er sagt, er will mehr, will was richtiges mit mir, will an meinem Leben Teil haben. Aber das lasse ich nicht zu, ich kann niemanden an mich heran lassen ohne Angst zu haben, verletzt zu werden. Ich war schon immer gut daran, allein zu sein und mein Leben allein auf die Kette zu bekommen. Ich bin gern allein.

Nur heute nicht. Heute hätte ich ihn gern an meiner Seite. Ich will, dass er neben mir liegt, mich in den Arm nimmt und gemeinsam mit mir aus dem Fenster in den Garten sieht.

Er war der erste Mensch der verstanden hat, dass ich nicht reden möchte. Dass man mir damit hilft, nicht zu reden.

Doch er ist nicht da.

 

 

Ich weiß nicht, wienlange ich so dagesessen habe aber plötzlich taucht Gustav in meinem Blickfeld auf und winkt mir zu.

Mein Kaffe ist kalt als ich ihn auf dem Tisch abstelle und in der Decke gehüllt zur Tür laufe. „Guten Morgen Gustav.“ „Hey June, ich wollte fragen, ob du René gesehen hast?“, ich drehe mich nur um und setze mich wieder auf die Couch. Ich höre wie Gustav seine Schuhe auszieht und die Tür leise schließt.

„Ich denke, dass ist wohl ein `Nein´“ „Da nimmst du richtig an.“

Gustav geht in die Küche, keine Ahnung was er da macht aber es ist mir auch egal. Er gehört auch zu der Clique, ist aber im Gegensatz zu den Anderen weniger brutal und lässt ausnahmsweise auch Gefühle zu.

Er hantiert dort herum und ich versinke wieder in meinen Gedanken. Dies wird ein weiterer schlechter Tag dieser Woche.

 

Ich werde erst wieder aus meinen Gedanken gerissen, als ich einen leckeren Geruch wahrnehme. Ich stehe auf und gehe in die Küche. Dort steht Gustav mit einem Pfannenwender in der Hand und summt vor sich hin. Ab und zu rührt er in dem Topf herum, kostet und rührt wieder.

Süß, wie er dort steht und kocht. Abgesehen davon, dass ich nicht eingekauft habe und eigentlich nichts kochbares da ist.

Gustav ist genauso durchtrainiert wie René, hat aber schon eine Ausbildung gemacht. Ich habe nie gefragt, was er damals gelernt hat aber heute verkauft er genauso Drogen wie der Rest der Gruppe.

Er hat braune lockige Haare, die ihm immer wieder in die Stirn fallen. Ich glaube er kann machen was er will aber die Haare werden ihm immer ins Gesicht fallen.

Auch ist er etwas kleiner als René, er ist nur einen Kopf größer als ich.

„Wie lange willst du mich noch anstarren?“, erschrocken fahre ich zusammen. Dabei war ich doch diejenige, die ihn beobachtet und nicht anders herum.

„Komm setz dich, ich bin fertig.“ Er stellt zwei Teller auf den Tisch und gibt das Essen darauf.

„Ich wusste gar nicht, dass wir noch etwas zu Essen da hatten.“, er zuckt die Schultern.

„Auch mit wenig kann man viel anstellen.“ grinsend setzt er sich hin.

Vorsichtig gehe ich zum Tisch und setzte mich ihm gegenüber. Auf meinem Teller ist Reis mit Hähnchen. Keine Ahnung wo er das her hat.

Das Essen ist wirklich lecker, ich wusste nicht, dass er so gut kochen kann.

„Also was ist mit René?“, fragend sieht er mich an. „Keine Ahnung.“ Ich zucke nur mit den Schultern und sehe auf meinen Teller. „June was war gestern los?“, wieder zucke ich mit den Schultern und Gustav atmen resigniert aus. „Bist du dir sicher, dass du ihn nicht gesehen hast?“ „Er hat mir mein Handy gebracht. Keine Ahnung wo er ist.“ „Also schläft er wieder bei dir?“ „Kann sein.“, ich habe keine Lust mich zu unterhalten. Ich will einfach nur essen und dann wieder in die Luft starren. Mir ist egal was mit ihm ist.

„June, er ist heute morgen nicht zur Schicht erschienen.“ „Ja und? Vielleicht ist er wieder bei irgendwelchen Mädchen.“, er verdreht nur die Augen.

 

„Wenn du es nicht essen willst, dann geb mir deinen Teller. Ich kann nicht sehen, wie du es nur hin und her schiebst.“, genervt nimmt Gustav mir meinen Teller weg.

„Lecker war es trotzdem. Danke Gustav.“, ich sehe ihm noch dabei zu, wie er auch meinen Teller aufisst, danach die Teller weg räumt und den Topf abwäscht. Als er fertig ist, lehnt er sich an die Spüle und sieht mich abwartend an.

„Was erwartest du von mir Gus?“, er zuckt nur die Schultern. „Ich denke es ist an der Zeit, dass du dir deine Haare kämmst und was ordentliches anziehst.“ „Warum?“ „Ich werde dich heute mitnehmen. Ich lasse dich nicht hier wie eine verlorene Witwe, die nichts anderes macht und aus dem Fenster sieht.“, mir egal. Ich steh auf und leg mich wieder auf die Couch.

„Ich habe keine Lust mit dir auf Schicht zu gehen um dir dabei zu zusehen, wie du Drogen an Menschen verkaufst, die schon unten sind.“, statt zu antworten zieht er die Tür hinter sich zu und lässt mich allein. 

 

 

Ein klingeln schreckt mich aus dem Schlaf auf. Verwirrt sehe ich mich um, es ist schon dunkel.

Noch bevor ich mein Handy finden kann hört es auf zu klingeln. Genervt stehe ich auf und suche es. „Das Mistding kann doch nicht weg sein.“, knurre ich und schaue mich um als es wieder anfängt zu klingeln.

Als ich es endlich finde und ran gehe, höre ich Joshuas gehetzte Stimme.

„June bist du zu Hause?“

„Ja warum?“

„Pass auf, du gehst jetzt und schließt alle Fenster und Türen, du gehst nicht nach draußen verstanden?“, verwirrt blicke ich mich um. „Alle meine Türen und Fenster sind zu. Josh was ist los?“

„McCandless hat Robbie Krankenhausreif geschlagen. Bitte geh von den Fenstern weg, mach alles Licht aus.“, mein Handy fällt zu Boden.

McCandless ist ein Zuhälter, einer der, die mich gestern angemacht haben. Einer, der schon mehrmals die Gewalt der Jungs erfahren hat. Der, der junge Frauen vergewaltigt. Der, der niemals wissen dürfte, wo wir wohnen.

Noch ehe ich es mich versehe, renne ich hoch in mein Zimmer und verschanze mich. Ich habe riesige Angst vor diesem Menschen und wer Robbie so zurichten kann, dass selbst er ins Krankenhaus muss, hat jede Berechtigung des Respektes.

Robbie ist so breit wie hoch, durchtrainiert und Nahkampferprobt. Ihn kann man nicht einfach besiegen, dies geht nur, wenn man ihn hinterrücks und auf mieseste Art und Weise angreift. Und McCandless hätte dies niemals allein geschafft. Ich habe keine Ahnung, wie er herausgefunden hat, wo wir leben aber das ist gar kein gutes Zeichen. Weiß er wo wir wohnen, wissen es auch die Anderen. Dann sind wir hier nicht mehr in Sicherheit.

Vielleicht haben die Jungs sich auch vertan und es war jemand anderes, der wütend auf Robbie war. Jemand der noch eine Rechnung mit ihm offen hatte.

Bitte lass es nicht McCandless sein.

Und während ich mich in meine Angst hineinsteigere, höre ich Schritte unten im Flur. Jemand ist fucking noch mal in meinem Haus und ich war so dumm und habe nicht mal ein Messer mit genommen.

Mein Handy klingelt unten, ich habe es liegen gelassen. Egal wer es ist, er geht dran. Ich kann nur ein tiefes Murmeln wahr nehmen, also definitiv ein Mann. Aber was will er hier?

Wenn er eingebrochen wäre, hätte ich es doch gehört. Ich hätte Glas zerspringen hören müssen und die Türen, die alle knarren. Ich hätte etwas hören müssen!

Die Schritte sind jetzt auf der Treppe, jemand kommt die Treppe hoch.

Hastig renne ich zu meinem begehbaren Kleiderschrank, verkrieche mich ganz hinten unter meinen Kleidern. Als Kind habe ich hier eine kleine Nische gefunden, in der ich mich jetzt verstecke. Ich bin dennoch sichtbar für jeden, der die Kleider wegzieht und nach unten blick.

Der Mann scheint sich mit jemandem zu unterhalten. Er ist jetzt an meiner Tür.

Warum ausgerechnet an meiner Tür? Hier gibt es soviel mehr Räume, mit soviel mehr wertvollen Gegenständen. Aber wenn es wirklich McCandless ist, dann währe ich auch auf Rache aus und suche nicht nach Wertgegenständen.

Innerlich bete ich dafür, dass er mich nicht findet, dass er doch wertvolle Dinge mitnimmt und mich hier lässt.

Die Stimme ist jetzt ganz nah und redet weiterhin. Wenn ich doch nur verstehen könnte, was er sagt!

Ruckartig wird die Tür geöffnet und die Kleider weg gezogen. Ich kauer' mich zusammen und beiße mir auf die Lippen bis sie bluten. Vielleicht hat er mich nicht gesehen.

Doch er berührt mich an meiner Schulter und ich fange an zu schreien wie am Spieß.

Er hält mir den Mund zu.

„Shhh, June bitte! JUNE!“, erschrocken dreh ich mich zu dem Mann.

Vor mir steht René. René. Es ist nur René und nicht McCandless.

Ich höre auf zu schreien und er wischt mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich hab nicht einmal bemerkt, dass ich weine.

„Shhh, ist ja gut. Ich bin es.“, langsam komme ich zu atmen und zu klaren Gedanken.

„Komm, wir müssen hier weg.“, langsam stehe ich auf.

Plötzlich holt er aus und schlägt mir ins Gesicht. Mir wird schwarz vor Augen. Ich merke noch, wie ich falle aber nicht, wie ich auf dem Boden aufschlage.

Kapitel 3

Das Erste was ich spüre, sind Kopfschmerzen. Hämmernde Kopfschmerzen. Ich habe das Gefühl, dass mein Kopf zerplatzt.

Das Zweite was ich wahrnehme ist das Brummen. Nicht das Brummen aus meinem Kopf, sondern das von meiner Umgebung.

Dann kam das Ruckeln und die murmelnden Stimmen.

Langsam öffne ich meine Augen. Ich sitze in einem Auto, die Fenster sind schwarz, genauso die Sitze. Ich bin angeschnallt.

Ich versuche die zwei Menschen vor mir zu Fokussieren aber sie verschwimmen immer wieder vor meinem Auge.

Stöhnend fasse ich mir an meinem Kopf, die Stimmen sagen etwas aber ich kann sie immer noch nicht verstehen.

Dann eine Berührung von meiner Linken und ich zucke zusammen. Neben mir sitzt ein Fremder. Er spricht mit mir aber ich verstehe ihn nicht.

Ich versuche immer noch herauszufinden wo ich bin, ich kann weder hören und sehen, und so langsam bekomme ich Panik. Ich fange an zu schnell zu atmen. Mir fällt wieder ein, dass ich mich vor McCandless versteckt habe. Er muss mich gefasst haben.

Kreischend wehre ich mich gegen den Gurt, der mich festhält und gegen den Menschen der neben mir sitzt.

Ein Tuch wird mir auf den Mund gedrückt und es wird wieder alles schwarz um mich.

 

 

Als ich das zweite Mal wach werde, sind meine Hände hinter den Rücken zusammen gebunden und der Gurt um mich noch fester zugezogen. Ich bin in meinen Bewegungen so eingeschränkt, dass ich nur noch meinen Kopf bewegen kann.

Links von mir sitzt der Fremde, er schläft. Er hat aschblondes Haar, eine helle Haut und sieht im Schlaf relativ jung aus. Vielleicht 18 oder 19.

Ich kann wieder richtig sehen und in meinen Ohren klingelt es nicht mehr. Aus dem Radio kommt leise Musik, ansonsten ist da nur noch das Brummen des Autos.

Draußen lässt sich nichts erkennen. Es ist tiefschwarze Nacht, nicht mal einen Stern oder den Mond kann ich sehen. Selbst im Auto ist es relativ dunkel, nur das Touch-Radio spendet Licht.

Von den Menschen die vor mir sitzen, sehe ich nur die Hinterköpfe. Ein brauner Kopf vor mir und ein roter Kopf, der fährt. Zudem ist der Fahrer sehr auf die Straße konzentriert, es sieht aus als wären wir im Nirgendwo.

Eine Straße ohne Randmarkierungen und Felder links und rechts. Nichts was auf Zivilisation vermuten lässt und ein Ende der Straße ist auch nicht in Sicht.

 

Das leise schnarchen neben mir lädt mich dazu ein, die Arme zu bewegen. In dem Versuch meine Hände los zu machen bewege ich sie vorsichtig hin und her. Ich versuche keine Geräusche von mir zu machen, doch meine nackte Haut quietscht leise auf dem Leder.

Natürlich war ich noch in meinen Schlafsachen als ich gefangen genommen wurde. Das bedeutet, ich trage ein uraltes schlabber Shirt von René.

René… Warum hat er mir das angetan? Wieso schlägt er mich nieder? War er so wütend, dass ich mit einem anderen Jungen geschrieben habe? Einen, der dazu noch auf Männer steht und eigentlich nur ein guter Freund in der Schule ist? Was hat ihn bitte dazu veranlasst, mich zu schlagen und am Besten noch zu verkaufen? Was zu Hölle stimmt nicht mit ihm?

 

Leise lasse ich mich zurück sinken und schließe die Augen, während ich weiterhin an meinen Fesseln knibbel. Ich kann meine Hände sehr gut verbiegen und richtig fest bin ich auch nicht verbunden. Falls der Fahrer also nach mir sehen sollte, wird er denken, dass ich noch schlafe. Vielleicht kann ich mich ja befreien und irgendwie fliehen.

Aber was dann? Ich weiß ja noch nicht einmal wo ich bin und wenn ich keine Zivilisation finde, werde ich erfrieren.

In mehreren Minuten muss ich leider einsehen, dass ich mich nicht befreien kann. Die Fesseln sind zu eng an meinen Handgelenken und aus dem fahrenden Auto zu springen ergibt für mich leider auch keinen Sinn mehr.

Ohne das ich es bemerke, stoße ich vor Frust die Luft aus und der Blick des Fahrers geht zu mir.

Wir sehen uns durch den Rückspiegel an.

Er hat giftgrüne Augen, umrandet von vollen schwarzen Wimpern und geschwungenen Augenbrauen. Eine davon zieht er nach oben und ich wende schnell den Blick ab.

Ich versuche aus dem Fenster zu blicken und dabei meine Panik vor diesen Menschen runter zu schlucken.

Es klappt nur semi gut.

Ich konzentriere mich nur noch auf meinen Atem und versuche nicht auszuflippen. Solange mich niemand anfasst, mich nicht schlägt und mich nicht umbringt, muss ich mich beruhigen. Momentan bin ich relativ sicher. Zwei von vier Personen schlafen, einer fährt und der kann mich garantiert nicht umbringen. Ich muss mir überlegen wie ich hier wieder raus komme.

 

Ich überlege fieberhaft nach einer Lösung, als sich der Himmel langsam verfärbt. Die Sonne geht auf. Wie spät ist es dann? Um 6 Uhr oder doch eher 7 Uhr? Warum habe ich mich damit noch nie befasst? Wie naiv bin ich eigentlich durch die Welt gelaufen?

Nichtsdestotrotz werde ich bald sehen wo wir sind. Im Hellen kann ich vermutlich Zivilisation ausmachen und dann hoffentlich fliehen.

Doch nach einer ganzen Weile, als es endlich richtig hell ist, muss ich mir eingestehen, dass es nichts bringt. Ich sehe nur Felder und die Straße auf der wir fahren. Am Horizont kann man einen Wald erahnen, doch sicher bin ich mir nicht. Auch kann ich nicht einschätzen wie weit er noch weg ist.

So stelle ich es mir vor, in der Wüste zu sein. Man sieht am Horizont die ersehnte Hoffnung, doch man kommt nie an.

 

Neben mir regt sich der Blonde und erwacht langsam. Ungeniert sehe ich ihm dabei zu, wie er sich streckt, herzhaft gähnt und die Augen aufmacht. Sein erster Blick geht nach draußen, er runzelt die Stirn und dreht sich dann um.

Er hat dunkelblaue Augen. Eine ungewöhnliche Farbe, ich habe noch nie solche Augen gesehen.

Er blinzelt ein paar mal und zieht seine Brauen zusammen: „Soll ich sie betäuben?“, verwirrt sehe ich ihn an. Seine Stimme ist rau, gar nicht passend für einen jungen Mann.

„Lass sie. Sie verhält sich seit Stunden ruhig.“, der Fahrer hat eine komplett gegensätzliche Stimmd. Seine ist melodisch und weich.

Der Blonde grunzt nur: „Gut aber ich muss pinkeln. Sollten wir nicht eigentlich den Wald hinter uns haben?“ „Ich musste langsamer fahren, in der Nacht gab es viel Wildwechsel. In drei Stunden halten wir im Wald an.“ „Na dann kann ich ja noch eine Runde pennen.“

Der Blonde rutscht im Sitz runter und schließt die Augen wieder. Binnen Minuten grunzt er wieder leise vor sich hin. Der Rote schüttelt nur den Kopf.

Wenn wir bald anhalten, kann es meine Chance sein abzuhauen. Ich kann schnell laufen, mich gut verstecken und vielleicht gibt es dort Förster und Jäger. Meine Chancen auf Flucht scheinen besser zu sein.

 

Der Wald kommt immer näher, während meine Hoffnung immer größer wird. Nahe am Wald sieht man schon die ersten vereinzelten Häuser und die Besiedlung steigt immer mehr an.

Langsam habe ich wirklich Hoffnung, vor allem als der Rotschopf auf eine Tankstelle zuhält und und stehen bleibt.

Der Blonde wartet gar nicht erst und springt aus dem Auto, rennt auf den Eingang zu und verschwindet. Währenddessen blickt der Rote zu den Braunen und sieht ihn an. Eine unangenehme Stille breitet sich aus, als sich der Andere zu ihm dreht und lange ausatmet.

Ich kann ihn nicht erkennen, aber das Gesicht von dem Roten ist weich. Er hat sanfte Augen und Sommersprossen im Gesicht. Der starke Kontrast von den Haaren zu den Augen hätte nicht stärker sein können. Ich wusste gar nicht, dass es Menschen mit solchen Anomalitäten gibt. Aber der Andere hat ja schließlich auch graue Augen.

„Soll ich mit ihr gehen oder gehst du?“, als Antwort schüttelt der Fremde nur seinen Kopf und steigt aus.

Unruhe breitet sich in mir aus, als sich seine Worte in meinem Kopf ankommen.

Wer will wo mit mir hin? Was haben sie vor? Was wollen sie mit mir machen?!

Ich fange an zu zittern und mein Atem wird schneller. Der Fremde öffnet meine Tür und ich versuche mich von der Tür weg zubewegen. Aber ich bin angeschnallt.

Ich komme nicht weit, als sich die Tür öffnet.

Der Rote dreht sich nach hinten und schnallt mich ab. Er ist mir so nahe, dass ich ihn hätte beißen können.

Ich hätte es tun sollen.

„Steig aus.“, befiehlt er mir, während er sich weg drückt.

Vor Angst, vor dem was jetzt kommt, kann ich nur den Kopf schütteln. Ich will nicht, ich will da nicht raus!

„Los jetzt oder ich ziehe dich an deinen Beinen nach draußen“, flüstert er mir leise ins Ohr.

Seine Worte tragen Früchte und ich schwinge langsam erst das eine Bein nach draußen und dann das Andere. Noch bevor ich richtig draußen bin, nimmt mich der Fremde fest an den Oberarm und  schiebt mich nach vorn.

Ich kann gar nicht richtig sehen wo wir lang laufen, ich hab solche Angst, dass ich mich nur auf die Straße konzentriere und versuche nicht zu stolpern. Als er mich von hinten schubst, richte ich meinen Blick auf und laufe schneller.

Wir befinden uns am Rand des Waldes. Hinter der Tankstelle fängt gleich der Wald an, auf den wir drauf zu laufen.

Ich dachte schon, er wird mich in den Wald führen, doch dann zieht er mich plötzlich nach Links in Richtig der Hinterseite der Tankstelle.

Sie ist grau gestrichen und es befinden sich zwei blaue Türen an der Wand. Aus einer von ihnen tritt der Blonde und sieht deutlich erleichterter aus als vorher.

„Hier.“, er nickt dem Fremden zu, wirft ihn den Schlüsse zu und geht.

An der Tür angekommen, schubst mich der Fremde hinein und schließt von außen die Tür.

Schockiert blicke ich mich um. Der hat mich hier doch tatsächlich eingeschlossen. Was fällt dem ein? Will er mich hinerlassen oder was?

Als ich mich umsehe, fällt mir auf, dass ich mich in einer Toilette befinde. Gleich meldet sich auch meine Blase und ich weiß jetzt, warum ich hier bin. Ich soll sie benutzen und damit ich nicht abhaue, hat er mich eingeschlossen.

Clever. Wirklich clever.

Doch wie soll ich bitte die Toilette benutzen? Meine Hände sind am Rücken gefesselt. Den Deckel der Toilette bekomme ich wenigstens noch auf aber dann?

Nervös, von einem Bein auf das andere hüpfend überlege ich fieberhaft was ich jetzt machen kann. Ich muss wirklich, wirklich dringen pullern.

Fluchend bewege ich meine Arme und bekomme so mein T-Shirt hochgezogen. Aber bei der Unterwäsche weiß ich wirklich nicht mehr weiter. Ich versuche sie zu greifen und sie dabei irgendwie nach unten zu bekommen. Verdammt ist das schwierig! Doch irgendwie und ich habe wirklich keine Ahnung wie, bekomme ich sie mit hektischen Bewegungen nach unten.

Ich schaffe es gerade noch rechtzeitig auf die Toilette und sinke kurz in mich zusammen. Der Moment nur für mich allein, lässt mich fast vergessen, wo ich gerade bin.

Doch so schnell wie der Moment gekommen ist, so schnell ist er auch wieder vorbei.

Wie soll ich mich jetzt wieder anziehen?

Irgendwie biege ich mich nach unten, hebe ein Bein und nach ein paar Versuchen habe ich meine Unterwäsche wieder in meinen Händen und zeihe sie hoch. Mein T-Shirt hat sich darin verfangen und schön werde ich wahrscheinlich auch nicht aussehen. Egal.

Ich wasche mir hinter meinem Rücken meine Hände. Einen Spiegel und einen Trockner gibt es natürlich nicht.

Da mir nichts anderes übrig bleibt, trete ich mit nassen Händen gegen die Tür, um zu zeigen, dass ich fertig bin.

Der Schlüssel dreht sich herum und sie wird geöffnet. Kurz bin ich geblendet von der Sonne und dann sehe ich ihn.

Der Fremde, der gar kein Fremder ist. Er ist dieses Arschloch, welches mich geschlagen hat.

 

In einer Kurzschlussreaktion trete ich ihm voller Wucht in seine Weichteile und renne los, während er sich krümmt.

Ich sehe nichts, sonder nur den rettenden Wald vor mir.

In der Hoffnung zu überleben renne ich, ich renne so schnell wie noch nie in meinem Leben. Ungeachtet der Fesseln sammele ich alle meine Reserven und sprinte durch den Wald. Ich weiche Sträuchern, Büschen und umgefallenen Bäumen aus.

In meinen Ohren rauscht das Blut und mein Atem geht rasselnd. Doch hinter mir kann ich Schritte wahrnehmen, die gefährlich nah kommen.

Ich lege noch einen Schritt zu, die Bäume verschwimmen vor meinen Augen und dennoch bin ich nicht schnell genug.

Etwas greift mich am Fuß und ich falle. Ich falle ungeschützt und mit voller Wucht nach vorn.

Der Schmerz, der sich in meinem Kopf ausbreitet ist unbeschreiblich.

 

Röchelnd steht René neben mir und fasst mich an die Arme. Er richtet mich auf.

Er blickt mir ins Gesicht und ich denke, ich sehe Reue.

Seine Hand hebt sich und ich zucke instinktiv zurück. Schmerz breitet sich in seinem Gesicht aus, dennoch wischt er mir etwas meinem.

„Fass mich nicht an.“ Fauch ich ihn an und trete ein Schritt zurück. „Fass mich nie wieder an du widerliches Stück!“, fassungslos sieht er mich an.

„June.“ „Nichts da June!“ Brülle ich und geh noch einen Schritt zurück.

„Na gut, du willst es ja nicht anders.“, wütend sieht er mich an, greift mir in den Nacken und zwingt mich dazu, mich zu bewegen.

Fort ist meine Angst, an dieser Stelle ist rasende Wut gegenüber René.

Wir reden kein Wort, während er mich nach vorn schiebt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich soweit gelaufen bin. Jedoch brauchen wir eine ganze Weile, bis ich das Ende des Waldes ausmachen kann. Wie er sich hier zurecht findet, weiß ich nicht.

Doch am Ende schleift er mich über den Platz zum Auto. Warum niemand eingreift, kann ich genauso wenig verstehen. Wenn ich ein gefesselten Menschen sehe, dann rufe ich doch die Polizei. Aber hier? Niemand scheint sich für unsere Belange zu kümmern.

„Wir werden dir nichts tun, solange du ruhig bist verstanden?“, wir sind vor dem Wagen angekommen und als Antwort spucke ich ihm ins Gesicht. Dieser Wichser soll es nie wieder wagen, mich anzufassen. Der spinnt ja wohl!

René ist jetzt auch wütend, reißt die Tür auf und schubst mich hinein.

Wieder lande ich mit dem Gesicht voraus in dem Wagen. Diesmal lande ich jedoch weich im Schoß des Blonden. Im Versuch von ihm runter zu kommen, rolle ich mich zur Seite und lande unsanft mit dem Rücken auf dem Boden. Nun kann ich mich gar nicht mehr bewegen, eingeklemmt zwischen den Sitzen.

Grinsend sieht der Blonde auf mich nieder. „Kann ich dir eventuell helfen Püppchen?“ „Ich bin nicht dein Püppchen.“, fauche ich und versuche allein nach oben zu kommen. Ohne Erfolg.

Geschlagen blicke ich nach Oben in das Gesicht des Fremden. Er erbarmt sich, mir zu helfen.

Als ich endlich sitze, schnallt er mich an und berührt mich dabei am Gesicht. Zischend atme ich ein, das tat weh.

Sein weißes T-Shirt zieren jetzt rote Blotflecken. Blute ich? Fassungslos blicke ich den Fremden an.

Er guckt nur kurz und holt Taschentücher aus der Seitentür. „Das wird weh tun Mädchen.“

Ich schlucke hart als er mit dem Tuch mein Gesicht abtupft. An manchen Stellen klebt er mir Pflaster auf. Ich muss aussehen, wie eine geflickte Porzellanpuppe.

Als er fertig ist, brennt mein ganzes Gesicht. Jede Bewegung tut weh, selbst zwinkern.

Die Stelle die René getroffen hat puckert unangenehm und fühlt sich heiß an. Vorsichtig lehne ich meinen Kopf an, mir ist plötzlich schlecht und ich muss mehrmals lange durch die Nase atmen, ehe das Gefühl wieder weg geht.

 

Wir fahren bis zum Abend hin durch. Am Fenster ziehen verschiedene Landschaften und Dörfer vorbei. Mal fahren wir einen Berg hinauf, nur um auf der anderen Seite wieder runter zu fahren.

Mein Gesicht, mein ganzer Körper schmerzt. Alles tut mir weh.

Meine Arme sind taub, mein Rücken verklemmt und von meinem Gesicht will ich gar nicht mehr anfangen.

Zwischendurch überkommt mich starker Schwindel und zudem pocht mein Kopf.

Solche Kopfschmerzen habe ich noch nie erlebt.

Auch Übelkeit übermannt mich, doch ich hab wenigstens dies einigermaßen unter Kontrolle.

 

Als wir spät in der Nacht anhalten, erstreckt sich ein riesiges Gebäude über eine karge Landschaft.

Ich kann das Gebäude nicht fokussieren. Es verschwimmt und bewegt sich vor meinen Augen, so als wäre ich betrunken.

Ich muss mehrere Male blinzeln, bekomme es dennoch nicht zu fassen.

Das Haus ist aus roten Ziegelsteinen erbaut und besitzt mehrere Türme. Es scheint auch so, als wären Menschen oben auf dem Dach.

 

Als René mir die Tür aufmacht, brauche ich eine Weile, ehe ich aus dem Wagen steigen kann. Meine Beine, Arme und der untere Rücken sind taub. Dazu noch der Schwindel.

Schlussendlich habe ich große Probleme beim Laufen. Ich schwanke wie ein Seemann auf dem Trockenen, wie eine Betrunkene.

Ich stoße abwechselnd gegen René und den Rothaarigen. Ohne sie, wäre ich schon längst umgefallen.

 

Sie führen mich durch eine große, massive Tür. Ich kann mich nicht mit der Umgebung beschäftigen, doch die Hauptfarben sind rot. Roter Boden, rote Wände, rote Vorhänge. Selbst die Treppe die ich hinaufsteige ist rot.

Oben angekommen ist mir so schlecht, dass ich mich nicht mehr unter Kontrolle habe.

Der nächstbeste Kübel der hier steht, ist meiner.

Groß schwankend und nach mehreren Versuchen nach sie zu greifen, übergebe ich mich in eine riesige, goldene Blumenvase.

René streicht mir sanft über den Rücken, während ich nur noch trocken würgen kann. Völlig entkräftet lasse ich mich auf den Boden fallen.

Sehen kann ich jetzt gar nichts mehr. Mein Kopf ist kurz vor dem Explodieren und statt zwei Füßen, stehen vor mir sechs. Und diese kippen von links nach rechts. Immer wieder in Dauerschleife.

Ich glaube, ich habe noch nie soviel getrunken, um meine Wahrnehmung so zu beschädigen.

 

Schlussendlich nimmt mich René hoch und trägt mich. Wehren kann ich mich nicht. Ich fühle mich völlig hilflos.

René öffnet eine Tür und legt mich auf ein Bett.

Es ist weich und sanft unter mir.

Zu schnell fallen mir meine Augen zu.

Ich bekomme nicht mehr mit, wie René geht und mich in meinem neuen Gefängnis einschließt.

Kapitel 4

Ich fühle mich eingehüllt in eine sanfte Umarmung. Mein Rücken schmerzt nicht mehr. Arme und Beine sind nicht mehr taub.

Eine Decke liegt auf mir, sie kuschelt mich ein, gibt mir Wärme.

Ich liege auf Federn. So muss es sich anfühlen, auf Wolken zu schlafen.

Schwerelos.

Breit grinsend öffne ich meine Augen und blicke auf eine weite, unberührte Landschaft.

Grüne Wiese mit Wildblumen, soweit mein Auge reicht. Links grenzt ein dichter Wald.

Das Ende der Wiese verläuft sich im Sand.

Ein wunderschöner weißer Strand mit einem türkisfarbenen Meer.

Sanfte Briesen fegen über die Wiese, Wellen brechen am Strand.

 

Die Umgebung ist so sanft, so ruhig. Sie ist wie aus einem Traum.

 

Erschrocken fahre ich hoch. Ich kenne diese Landschaft nicht. Ich kenne diese Umgebung nicht.

Und als hätte Satan es so gewollt, zerstört er den Frieden.

Glühend heiß fällt es mir wieder ein.

Den Verrat von René.

Die Entführung.

Als ich mir ins Gesicht fasse, spüre ich keinen Schmerz mehr. Auch die Kopfscherzen sind weg.

Wenigstens meine Sachen habe ich noch an.

 

Langsam nehme ich auch die Umgebung auf.

Ich liege in einem Meer aus weißen Decken und Kissen. Links von mir ist eine verglaste Wand, durch welche ich die Landschaft beobachten kann.

Am Fußende, einige Meter entfernt, führen zwei weitere Türen ins Ungewisse. Die Wand ist weiß, die Türen dunkelblau.

An der rechten Wand spiegelt sich das gleiche Thema wieder.

Weiße Wand, eine blaue Tür.

Am Kopfende, also hinter mir, ist die ganze Wand mit Bücherregalen zugestellt.

Bücher, wohin mein Auge reicht.

Alte, neue. Das müssen hunderte von Büchern sein.

Ich schätze die Höhe des Zimmers auf drei Meter und bis zur Tür sind es sicherlich auch noch einmal vier oder fünf Meter.

Soviel Bücher habe ich nur in kleinen Bibliotheken gesehen.

Fasziniert stehe ich auf und streife über die Buchrücken.

Einige sind abgegriffen, andere noch wie neu. Ich erkenne Klassiker wie „Sturmhöhe“ und „Stolz und Vorurteil“, sowie neue Klassiker wie „Harry Potter“ oder die „Tribute von Panem“.

Viele habe ich schon gelesen. Viele sagen mir einfach nichts.

Doch bevor ich mich mehr mit den Büchern beschäftige, suche ich die Türen ab.

An der Wand mit den zwei Türen, komme ich zuerst in ein Ankleidezimmer. Auch in weiß und blau gehalten.

Hier hängen Kleider über Kleider und Schmuck, dessen Wert ich nicht einmal schätzen könnte.

In der hintersten Ecke sehe ich verschiedene Trainingsanzüge, Sporthosen, Jogginghose sowie Tops, T-Shirts, Pullover und Strickjacken.

Alles teuer, alles noch nie getragen.

Ich nehme mir eine schwarze Leggings, ein weites weißes Oberteil und frische Unterwäsche. Diese gibt es in verschiedenen Größen. Selbst die Preisschilder sind noch dran. Der Preis von über hundert Euro für ein Höschen, lässt mich schlecht werden.

Wenigstens sind sie ungetragen.

Die andere Tür führt mich in ein großes Bad.

Links eine gläserne Dusche, in der Mitte eine eingelassene Wanne, rechts Toilette und Waschbecken. Dahinter eine verspiegelte Wand.

 

Bevor ich mich aber der Hygiene widme, inspiziere ich die letzte Tür. Theoretisch ist sie der Ausgang und wie ich schon vermutete, abgeschlossen.

Da hilft kein Rütteln, Treten und Brüllen.

Sie lässt sich nicht öffnen.   

 

Resigniert gehe ich ins Bad. Ich weiß nicht wo ich bin und was ich hier soll. Und vor allem verstehe ich nicht, was René damit zu tun hat.

Doch mit der Einsicht, hier erst einmal nicht heraus zu kommen, lege ich mich in die Wanne.

Verschiedenste Schaumbäder stehen am Rand und ich kippe einfach alles hinein.

Ich lasse das riesige Becken auch komplett mit Wasser füllen, nur um dann in dem Schaum zu versinken.

Ich genieße die Wärme um meinem Körper. Genieße den guten Geruch. Lasse alles von mir ab.

Momentan kann mir nichts gefallen und irgendetwas lässt mich entspannen.

Ich weiß nicht ob es daran liegt, dass ich trotz allem die Hoffnung habe, dass René mich beschützen wird. Oder ob es daran liegt, dass ich die Meisterin der Verdrängung bin.

Oder daran, dass ich hier lebe wie die Made im Speck.

Doch egal was hier gespielt wird. Meine Tür ist abgesperrt. Ich komme hier nicht heraus. Ich werde nichts anderes machen können als zu warten.

So suspekt wie es ist, so surreal mir das vorkommt, so kommt keine Angst hoch.

Ich habe noch nie eine Entführung gesehen, gelesen oder gehört, in der die Entführte so leben kann.

 

Ich grübel noch eine ganze Weile. Versuche die Situation und das Geschehene zu verstehen, doch es will sich einfach nichts aufklären.

Es macht keinen Sinn.

Es will sich einfach nichts in das Andere fügen.

 

Doch am Ende bin ich nicht schlauer. Ich habe nur verschrumpelte Finger und einen schmerzenden Kopf vom Nachdenken.

Ich steige aus der Wanne, nehme die weichsten Handtücher, die ich je angefasst habe, vom Haken neben der Tür.

Eingewickelt stehe ich vor dem Spiegel und kann nicht fassen was ich da sehe.

Große türkisfarbene Augen, umrandet von schwarzen Wimpern starren mich an.

Mein Gesicht sieht aus, wie aus dem Ei gepellt! Nicht eine Schramme ist zu sehen! Nichts von einem blaue Auge oder von den Schnittverletzungen, die ich mir Gestern zugezogen haben muss.

Mein Gesicht sieht aus wie Porzellan.

Fassungslos berühre ich meine Wange, mein Auge, welches mir gestern noch wie die Hölle weh getan hat.

Nichts!

Kein Schmerz, keine Verfärbung, kein Puckern.

Wie ist das möglich?

 

Unsicher trete ich einen Schritt zurück, noch einen und dann renne ich aus der Tür. Nur um dann abrupt stehen zu bleiben.

Auf meinem Bett, auf einem Tablett, steht auf mehreren Tellern angerichtet, Frühstück.

 

Jetzt bekomme ich es doch mit panischer Angst zu tun.

Wie kam jemand hier rein ohne dass ich es bemerkt habe? Wie?

Wer kann rein und rausgehen wie er es will?

 

Verzweifelt, versuche ich es doch noch einmal mit der Tür.

 

Sie ist diesmal nicht verschlossen.

Vorsichtig spähe ich hinaus.

Was ich sehe ist ein roter Teppich, goldene Kronleuchter an der Decke und viele verschiedene Türen. Jede sieht auf ihre eigene Art und Weise anders aus. Doch ich habe gerade keine Zeit zum Begutachten.

Ich renne los. Ich renne aus der Tür raus und den endlos langen Flur entlang. Am Ende biegt er sich nach rechts und ich renne Blind weiter.

Hier gibt es keine Fenster, kein Tageslicht. Nur die Türen und Kronleuchter.

Ich biege mehrere Male links und rechts ab, verfolge den Flur, bis ich eine Treppe entdecke.

Ich bin so schnell, dass ich die Kurve nicht richtig bekomme und fast hinfalle.

Doch ich renne die Treppe nach unten, nehme mehrere Stufen auf einmal.

Die Angst packt mich kalt im Nacken. Wie eine eiskalte Hand, packt sie mich und jagt mir kalte Schauer über den Körper.

Keuchend renne ich den Flur entlang. Er sieht genauso aus, wie der, einen Stockwerk weiter Oben.

Auch er hat verschiedene Kurven und keine Fenster. Es ist erdrückend.

Auf der linken Seite entdecke ich aber eine gläserne Tür. Sie führt nach draußen.

Ich bremse ab und eine Mischung aus keuchen und lachen entrinnt meiner Kehle.

Die Tür geht auf!

 

Vor mir erschreckt sich die scheinbar unberührte Landschaft, die ich auch aus dem Zimmer gesehen hatte.

Keine Zeit zum staunen! Ich renne über die offene Wiese. Von hier bin ich für jeden Sichtbar und kaum kommt mir der Gedanke, da schreit mich auch schon jemand an.

„Stehen bleiben!“, doch ich denke nicht mal daran.

Meine Füße tragen mich wie von allein auf den Wald zu. In meinen Ohren rauscht das Blut und ich bin fast am Wald, als ich gegen etwas unsichtbares Renne.

Ich pralle von einer Wand ab.

In meiner Nase explodiert der Schmerz, noch währen ich nach hinten geschleudert werde und mit dem Rücken in der Wiese lande.

Ich kann nicht einmal durchatmen, da stehen auch schon vier Männer neben mir. Jeder auf einer Seite der Himmelsrichtungen und starren auf mich ab.

Sie tragen Uniformen aus schwarz und je ein Gewehr über die Brust. Grimmig starren sie auf mich herab.

„Aufstehen!“, bellt der Mann rechts neben mir. Aus Angst folge ich seinem Befehl.

Kaum stehe ich, da kesseln sie mich schon ein und bewegen sich wieder auf das Haus zu.

Nein. Kein Haus.

Es ist ein Schloss.

Ein aus roten Backstein erbautes Gebäude mit verschiedenen Türmen steht vor mir. Ich zähle vier Fensterreihen nach oben, ohne die Türme mit zu zählen.

Oben am Ende des Daches patrouillieren Soldaten. Sie sehen genauso aus wie die, die mich gerade wieder zurück bringen.

 

Ich werde durch die roten Gänge geführt, jetzt kann ich die Türen besser begutachten.

Einige sind größer, andere kleiner. Vor manchen hängen auch rote Vorhänge.

Doch am einprägendsten sind die verschiedenen Farben. Jede Tür besitzt eine andere Farbe.

Einige haben Farbverläufe, andere sind schlicht und einfach. Manche besitzen verschiedenste Muster und in einigen sind sogar Anagramme eingeritzt.

Viel schneller als ich vermutete hatte, stehen wir vor einer dunkelblauen Tür mit eingezeichneten Wirbeln.

Einer der Männer öffnet sie und schiebt mich hinein. Ich befinde mich wieder in dem Zimmer, aus dem ich geflüchtet bin.

Hinter mir wird die Tür geschlossen und als ich sie wieder öffne, steht ein Wachmann davor.

Kein entrinnen mehr für mich.

Stöhnend rutsche ich an der Tür herunter. Tränen sammeln sich in meinen Augen.

 

„Ganz schön früh um eine Flucht zu arrangieren.“, erschrocken öffne ich meine Augen.

Ich bin nicht allein, wie ich angenommen hatte.

Auf meinem Bett sitzt René und bedient sich von dem Essen auf meinem Bett. Fassungslos starre ich ihn an.

„Was willst du hier?“, fauche ich ihn an und richte mich auf.

Mit der Gabel fuchteln zeigt er auf mich. „So sehr ich den Anblick genieße, so solltest du dir eventuell mal etwas anziehen.“, grinsend zieht er eine Augenbraue hoch.

Tja und was soll ich sagen? Ich bin in einem Handtuch geflüchtet. Also ich habe es versucht, das Ergebnis kennen wir ja.

Zornig nehme ich mir die Sachen, die ich vorhin geholt hatte und ziehe mich im Bad um.

Meine schwarzen Haare hängen mir in nassen Strähnen über den Rücken. Stirnrunzelnd betrachte ich meine Haare.

Sie sind nicht mehr so schwarz wie gestern. Ich habe meine Haare gefärbt, eigentlich habe ich blonde Haare aber das ist kein Grund dafür, dass sie jetzt wieder fast blond sind.

„Du erklärst mir jetzt sofort, was ihr mit mir gemacht habt! Warum ist mein Gesicht heil? Warum meine Haare blond? Warum bin ich hier! Was mache ich hier! Und wo zum Teufel bin ich gegen gerannt?“, zum Schluss hin, brülle ich René an.

„Tja, wo du gegen gerannt bist, weiß ich leider nicht. Wie kommst du überhaupt darauf?“, fragend sieht René mich an.

„Wie ich darauf komme? Hast du dir mal meine Nase angesehen? Ich muss sie mir gebrochen haben!“, wie zum Beweis fasse ich mir an die Nase und spüre… Nichts!

Da ist nichts!

Erschrocken renne ich ins Bad und drücke meine Nase gegen den Spiegel.

Es ist nichts zu sehen!

„WIE?“, brülle ich und renne wieder zu René. „Ich bin gegen eine Wand gerannt René! Nur so konnten sie mich wieder fangen!“, „Bist du dir da sicher June? Geht es dir gut?“, er steht auf und kommt auf mich zu.

Erschrocken trete ich einen Schritt zurück. Schmerz huscht über sein Gesicht.

„June, es tut mir leid.“, verzweifelt lässt er seine Hände sinken. „Ich hatte keine Wahl verstehst du? Ich musste es tun. Hier sind Mächte im Spiel, die du nicht mal im Ansatz verstehen kannst.“, er fährt sich mit der rechten Hand durch die Haare. „Ich musste es tun.“, flüstert er und sieht aus dem Fenster.

„Tut mir leid, doch ich verstehe nichts! Ich verstehe gar nichts! Doch was ich weiß ist, dass du mich bewusstlos geschlagen hast, mich betäubt und wie der letzte Dreck behandelt hast. Sag mir, behandeln sich so Freunde? Menschen die sich ein Leben lang kennen? Menschen die sich so nah gestanden haben, dass sie auch ohne Worte auskamen?“, brülle ich ihn an. Ich bin so wahnsinnig wütend, dass er die Frechheit besitzt, sich entschuldigen zu wollen.

„Steck dir deine Scheiße sonst wohin René! Für mich bist du gestorben.“, den letzten Rest kann ich nur noch Flüstern.

Mein Herz fühlt sich an, als würde es in tausend Teile zerspringen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich so in einem Menschen täuschen könnte. Dass René dazu in der Lage ist.

 

Doch er dreht sich nur um. Seine Augen sind ohne einen Ausdruck, seine Schultern hängen und er geht.

Er läuft an mir vorbei, geht aus der Tür und schließt mich ein.

 

Mit dem letzten klacken des Schlosses, breche ich zusammen. Ich sinke zu Boden und rolle mich ein.

Schluss mit meinem Leben. Schluss mit meinen Freunden. Schluss mit den Menschen, mit dem ich mein Leben geteilt habe.

Doch was ist mit zu Hause? Wird jemand nach mir suchen oder hat René an alles gedacht?

Meine Eltern sind noch für Monate weg, sie werden nichts merken.

Ich bin nicht mehr Schulpflichtig. Mit meinen 20 Jahren habe ich schon eine Ausbildung und mache meine Abitur freiwillig. Niemand wird mich vermissen, falls ich abgemeldet worden bin.

Und falls meine Eltern anrufen, kennen sie René und vertrauen ihn wie einem weiteren Sohn.

Niemand wird mich vermissen.

Niemand wird mich rausholen.

Entführungen enden entweder mit dem Tod oder die Entführten werden gerettet.

Das mit dem Retten, kann ich vergessen…

 

So liege ich hier auf dem Boden und verabschiede mich in Gedanken von all denen, die ich liebe.

Ich schließe mit meinem Leben ab und hoffe nur noch, dass das Ende schnell und schmerzlos kommen wird.

Ich will nicht sterben!

 

 

Ich versinke in den `was währe wenns´ und nehme erst wieder etwas wahr, als die Sonne über dem Meer untergeht.

Der Himmel verfärbt sich orange-lila und die Sonne taucht langsam im Meer ein.

Ein wunderschönes Spektakel welches mich wieder hoffen lässt.

Ich bin zu jung um zu sterben und ich werde dafür sorgen, dass ich hier heraus komme! Und wenn ich hier alle in Schutt und Asche legen muss! Ich werde hier irgendwie herauskommen!

 

Langsam stehe ich auf, meine Knochen knacken. Doch ich richte mich auf und atme einmal tief durch.

Ich werde das hier überleben!

Dieses Versprechen richte ich an mich und an die untergehende Sonne.

Ich werde mein Leben nicht so beenden!

 

 

Ich beobachte noch die letzten Strahlen der Sonne und gehe dann zur Tür.

Ich klopfe dagegen, in der Hoffnung, der Soldat steht noch davor. René sagte, sie würden mir nichts tun, solange ich ruhig wäre.

„Ich bin bereit mich zu fügen.“, flüstere ich gegen die Tür. Ich wiederhole den Satz immer und immer wieder, bis jemand den Schlüssel und Schloss steckt und sie nach innen hin öffnet.

Vor mir steht mir ein völlig Fremder. Ebenfalls Soldat, jedoch mit einer roten Schärpe statt eines Gewehres.

„Folgen Sie mir, Mylady.“

Seine Stimme ist weich und leise. Er nickt mir einmal zu, dreht sich um und geht den Flur entlang.

Ich mache schnelle Beine um ihn zu folgen.

Er geht durch Gänge, die ich vorher nicht entdeckt hatte und ist schneller, viel schneller als ich an der Treppe und geht nach unten.

Wir gehen noch eine Weile den Flur entlang, bevor er an einer Tür halt macht und sie mir öffnet.

 

Vor mir erstreckt sich ein riesiger Saal, wie aus einem Barockschloss. Riesige Kronleuchter, Böden aus Mamor und verzierte Wände. Eine Seite ist verglast und zeigt den aufgehenden Mond über dem Meer.

An den Wänden hängen viele Gemälde von vielen verschiedenen Menschen. Alle sehen aus, wie aus einem Museum geklaut.

Die Menschen tragen Königsmäntel, Kronen, sitzen auf Pferden oder stehen in gestriegelter Uniform vor einem Schlachtfeld. Die Rahmen sind vergoldet und bestimmt ein Vermögen wert.

In der Mitte des Raumes steht eine lange Tafel, gedeckt mit verschiedenem Essen.

Vor den Fenstern steht eine Wohnlandschaft, die ebenfalls so aussieht, als würde sie aus dem 16. Jahrhundert stammen.

Allein in diesen Raum hätte mein Elternhaus dreimal reingepasst.

Unfassbar, wie groß dieser Raum ist.

 

„Du kannst dich gern setzten.“, erschrocken fahre ich zusammen.

Von der Couch ist ein junger Mann aufgestanden. Er hat gestylte blonde Haare, einen Körper der sogar René blass aussehen lässt, gebräunte Haut und moosgrüne Augen. Er trägt eine helle Hose und ein dunkles Hemd. Lässig steht er neben der Couch und betrachtet mich genauso, wie ich ihn.

Sein Lächeln zeigt weiße, gerade Zähne. Alles in allem, sieht er aus wie aus einem Modellkatalog.

„Was ist? Möchtest du nichts essen?“, seine Stimme ist etwas rauchig und bringt mich wieder aus dem Konzept und wie auf Kommando knurrt mein Magen wie ein Rudel streunender Wölfe.

„D.. Doch.“, stammle ich und bewege mich auf die lange Tafel zu. Ich setze mich auf den ersten schweren Stuhl, der mir zwischen die Finger kommt und kann nur staunen.

Auf dem Tisch stehen verschiedenste Köstlichkeiten. Gebratene Ente, Fisch, verschiedene Suppen, mehr Obst als ich jemals gesehen habe und noch mehr Gemüse.

„Wow, das ist echt viel zu Essen.“, kann ich nur staunen.

„Naja, hier wollen auch eine menge Menschen satt werden.“, sagt der Fremde und setzt sich mir gegenüber.

„Also wohnen hier soviel Menschen, wie es Türen gib?“, frage ich und setzte mich ebenfalls. Vielleicht bekomme ich von ihm Informationen.

„Nein, das währe ja Wahnsinn. Aber viele der Zimmer sind das Jahr über immer belegt. Manche kommen nur zu bestimmten Zeiten, ähnlich wie Wochenendhäuser bezogen werden.“

„Also von wie vielen Menschen sprechen wir hier?“

„Das kann ich nicht sagen aber es sind bestimmt um die 200 Mann. Was möchtest du essen?“, diese Antwort bringt mich aus dem Konzept. Soviel Menschen leben hier? Wer bezahlt das denn alles?

„Wir haben hier Kürbissuppe, Tomatensuppe, Erbsensuppe. Hmm und noch mehr Suppen. Ich denke wir sollten uns etwas beeilen, wenn wir den Trubel entgehen wollen.“

Verwirrt sehe ich ihn an.

„Ich rede von den Anderen, die hier noch leben. Normalerweise dinieren hier alle zusammen. Ich habe schon auf sie gewartet, doch du siehst nicht aus, als würdest du dies wollen.“ Nein das wollte ich wirklich nicht. Ich bin froh, wenn ich niemanden sehen muss, der mit meiner Entführung zu tun hat.

„Nein. Danke. Ich nehme die Kürbissuppe.“

„Gern doch.“, er gibt mir etwas auf den Teller und nimmt sich selbst die Tomatensuppe.

„Wie heißt du eigentlich?“, frage ich zwischen zwei Löffeln. Die Suppe schmeckt wirklich gut.

„Mein Name ist Sebastian und du musst June sein. Ich hab dich heute durch den Garten rennen sehen.“ schmunzelnd sieht er mich an. „Ich hätte nicht gedacht, dass hier jemand mal nur mit einem Handtuch bekleidet, durch die Gegend rennt. Und dann auch noch die Soldaten. Es war eine gute Show.“, er lacht in sich hinein.

„Tja, das kommt davon, wenn man hier nicht freiwillig lebt.“, gifte ich Sebastian an. Was fällt dem eigentlich ein? Und statt erschrocken über diese Nachricht zu sein, lacht er nur noch lauter. Sauer lasse ich den Löffel in die Suppe fallen.

„Sorry, dass ich so lachen muss aber keine Sorge. Früher oder später wirst du es hier lieben. Das verspreche ich dir.“

Und ich verspreche dir, dass ich hier weg bin sobald ich die Möglichkeit dazu habe!Schreie ich ihn in Gedanken an, doch ich bedenke ihn nur mit einem bösen Blick.

„Du solltest etwas essen, die Suppe wird sonst noch kalt.“

Ich schnaube nur und löffle schnell meine Suppe. Sebastian beobachtet mich dabei, wie ich auch noch einen zweiten Teller leere und ihn dann von mir weg schiebe.

„Ich will nach draußen.“, sage ich ruhig und sehe ihm in die Augen.

„Das ist nur in Begleitung möglich.“

„Wie sieht die Begleitung aus, Sebastian?“

„Ich kann dich begleiten.“, grinsend sieht er mich an.

„Und wenn ich ablehne?“

„Dann bekommst du einen Soldaten an die Seite gestellt.“

Nachdenklich sehe ich ihn an. Der Soldat währe sicherlich ruhig, würde mich nicht nerven aber vielleicht bekomme ich von Sebastian Antworten.

Ganz offensichtlich weiß er von meiner Entführung bescheid und ist genau dadurch meine erste Wahl.

„Ok, dann bist du mein Begleiter“, sage ich und stehe auf.

Kapitel 5

Wir verlassen den großen Saal und gehen durch eine Glastür nach draußen.

Ein leichter Wind weht und es ist angenehm warm. Gar nicht typisch für November, denn ich kann es ohne Jacke eine Weile hier aushalten.

Und es riecht gut. Eine Mischung aus Wildblumen und Meerwasser.

„Dieser Ort ist wirklich wunderschön.“, sage ich während ich tief einatme und die Augen schließe.

„Dann komm, es wird noch schöner.“, Sebastian dreht sich um und geht über die Wiese.

 

Am Abend scheint es, als wären die Gräser noch länger. Sie reichen mir nun fast bis zu den Knien und ich bin eigentlich nicht klein.

Sebastian macht den ersten Schritt in die Wiese und die Gräser fangen an zu leuchten.

Staunend bleibe ich stehen und beobachte, wie er sich einen leuchtenden Weg zwischen die Blumen bahnt.

Sämtliche Farben leuchten, wie Knicklichter, in der Wiese und ich traue meinen Augen nicht. Wie ist das denn nur möglich? Wie funktioniert das?

 

Staunend hocke ich mich hin und streiche mit meinen Händen durch die Wiese.

Wie von Zauberhand fängt alles an zu leuchten. Staunend und lachend lehne ich mich nach vorn und raschle mit beiden Händen durch die verschiedenen Gräser.

„Du scheinst dein Spaß zu haben.“, grinsend blickt Sebastian auf mich nieder.

„Wie ist das nur möglich?“, er zuckt nur mit den Schultern.

„Da musst du einen Gärtner fragen. Komm ich will dir noch etwas Anderes zeigen.“, er dreht sich um und geht weiter.

 

Staunend folge ich ihm und drehe mich immer wieder im Kreis. So schnell die Pflanzen auch anfangen zu leuchten, so schnell erblassen sie auch wieder.

Sebastian ist schon etwas weiter weg und ich gebe mir Mühe hinterher zu kommen.

Da wird es mir klar.

Eine Flucht im Dunkeln wird nicht möglich sein. Wenn vor dem Gebäude auch alles leuchtet, sobald man damit in Berührung kommt, dann habe ich keine Chance auf Entkommen.

Das Gelände ist am Tage zu einsehbar und in der Nacht wird einfach alles leuchten.

Ich muss mir schleunigst etwas anderes einfallen lassen.

 

Meine Trauer wird aber unterbrochen, als Sebastian am Strand in den Himmel zeigt.

Tausend und abertausend Sterne stehen am Himmel. Es sieht aus, als würden Millionen Glühwürmer am Himmel schweben. Staunend begutachte ich den Himmel.

„Man sagt, der Himmel lässt jeden Verstorbenen am Himmel erglühen, damit die Hinterbliebenen den rechten Weg finden.“, auch er sieht in den Himmel.

„Das klingt sehr schön.“

„Als Kind habe ich immer hier gesessen und mir Geschichten für die Verstorbenen ausgedacht. Ich wollte nicht, dass man sie vergisst.“, erstaunt blicke ich zu den, mir fremden Mann. Sein Profil wirkt hart aber seine grünen Augen sind weich.

„Kommst du heute noch oft her?“, sein Gesicht verschließt sich, wird hart.

„Nein, das sind Kinderspielchen und ich habe heute sinnvollere Aufgaben zu erledigen.“

„Auch mitten in der Nacht?“

„Ja, auch in der Nacht.“, er dreht sich um und geht wieder in Richtung des Gebäudes.

„Willst du jetzt, dass ich dir folge?“, genervt rufe ich ihm hinterher. Ich will nicht zurück. Ich will wenigstens so tun, als wäre ich hier in Freiheit.

„Wirst du versuchen zu fliehen?“, ich schnaube nur. Das ist wieder sowas von typisch!

„Sehr lustig, wo mich die Pflanzen verraten werden!“, rufe ich und drehe mich zu dem Wasser.

 

Als ich Sebastian nicht mehr hören kann, gehe ich näher zum Wasser.

Kleine Wellen brechen an den weichen Sandstrand und hinterlassen weiße Gischt. Der Wind, der in mein Gesicht bläst, ist lauwarm.

Ich ziehe meine Schuhe aus und vergrabe meine Füße in den von der Sonne erwärmten Sand.

Ich kann mir einreden, dass ich mit meinen Eltern im Urlaub bin. Dass ich irgendwo auf der Welt am Strand stehe und die Ruhe genieße. Dass gleich meine Mutter hinter mir auftaucht und mit mir das Wasser genießt.

Als ich noch eine Zukunft hatte, war ein mein Traum, am Meer zu leben.

Ich wollte eine Familie gründen, eine andere Sprache lernen und Musik machen. Ich wollte Pianistin werden, in den großen Opern spielen und es wäre nicht mal so weit hergeholt gewesen.

Ich trat als Gastpianistin schon oft in den verschiedensten Opern auf, konnte schon mit 4 Jahren meine ersten Stücke spielen.

Meine Eltern haben mich nicht gezwungen. Sie sagten, ich hätte mich einfach an Papas Klavier gesetzt und gespielt.

Ein kleines Mädchen, das keine Ahnung von der Welt hatte, komponierte schon ihre ersten eigenen Stücke.

Papa hat damals eine Kamera aufgestellt, meine Finger aufgenommen und anhand dessen, die Noten aufgeschrieben.

Ich hatte eine Zukunft.

 

Doch jetzt?

Ich sinke auf die Knie, geschlagen von der Tatsache, verraten und belogen worden zu sein. René hat mir innerhalb ein paar Minuten meine ganze Zukunft gestohlen. Er hat mich meiner Freiheit beraubt und will alles mit einer lächerlichen Entschuldigung wieder gut machen.

Wenigstens bin ich nicht in irgendeinem Keller gefesselt, fast am Verhungern und in der Lache meiner eigenen Exkremente.

Eigentlich geht es mir als Entführte ziemlich gut. Viel zu gut. Das Ganze muss doch einen Haken haben. Das kann so nicht mit rechten Dingen zugehen.

Vielleicht schlafe ich auch. Das würde wenigstens die ganzen merkwürdigen Ereignisse erklären.

Doch als ich aufstehe und mich zu dem Gebäude umdrehe, wird es mir bewusst. Ich träume nicht. Das ist alles real und ich muss mich geschickt einfügen um die Schwächen Derer herausfinden, die hier leben. Nur so habe ich eine Chance auf Flucht.

Früher oder später komme ich hier raus!

 

Stöhnend klopfe ich mir den Sand von den Knien und gehe zurück zum Schloss. Ich finde das Wort `Schloss´ trifft es ganz gut.

Im Dunkeln kann man die Gänge der Soldaten und die vielen Türme, besser sehen.

Die Wege oben auf dem Dach werden beleuchtet und die Türme extra angestrahlt.

Es sieht aus wie aus einem Disneyfilm, schade dass es für mich so eine grausame Bedeutung hat.

Ich begebe mich zurück in mein Gefängnis.

 

Langsamer als vorher, bewege ich mich durch die Wiese und streichle über jede Blume und jedes Gras, welches zwischen meine Finger kommt.  

Ich genieße die Ruhe, doch der hellerleuchtete Saal kommt viel zu schnell in mein Blickfeld.

Innen wimmelt es jetzt nur so vor Menschen. Wo ich vorhin allein mit Sebastian saß, sitzen gefühlt hunderte von Menschen. Kleine Kinder rennen mit Fähnchen in den Händen durch die Gegend, Erwachsene lachen und umarmen sich. Jugendliche stehen in kleinen Grüppchen in den Ecken.

Doch plötzlich verändert sich die Situation. Die Kleinen werden zum Tisch gerufen, die Jugendlichen setzten sich steif und das Gemurmel endet abrupt.  

Als sich die Türen auf der linken Seite öffnen erscheint ein Ehepaar. Sie halten sich an den Händen und schreiten auf die Gruppe zu.

Die Frau trägt ein enges, bodenlanges Kleid mit Schleppe. Es glitzert silbern und umschmeichelt ihrer Figur.

Der Mann trägt einen dunklen Anzug mit goldenen Knöpfen.

Beide tragen sehr teure Kleidung, beide sind Blond und beide tragen eine Krone auf den Köpfen.

Sie tragen wahrechte, vergoldete, mit Edelsteinen besetzte Kronen.

In was für ein Spektakel bin ich denn hier gelandet?! Ich wusste nicht einmal, dass es in Deutschland noch königliche Familien gibt. Oder bin ich nicht mehr in Deutschland?

Es wäre ein leichtes für die Männer gewesen, mich über die Grenze zu bringen. Grenzkontrollen sind ja fast ausgestorben.

 

Das Ehepaar sagt etwas zu den Anderen und setzten sich dann an die Stirnseite des Tisches.

An der Tür stehen rechts und links Soldaten und Bedienstete stehen an der Wand.

Wie auf einen stummen Befehl hin, gehen alle gleichzeitig los und gießen Wasser in die Gläser. Manche bekommen Wein, Andere Bier.

Es sieht aus, als wäre eine Großfamilie. Also eine riesige Großfamilie. Zusammengekommen um Zeit miteinander zu verbringen.

Mein Herz fängt an zu schmerzen, wenn ich daran denke, dass ich von meiner Familie weit entfernt bin.

Traurig verlasse ich diese Situation und gehe an der Wand entlang.

 

Plötzlich steht ein Soldat vor mir. Ich habe mich so dermaßen erschreckt, dass ich erst einmal kurz durchatmen muss.

Er schien einfach aus der Erde zu wachsen, nur um dann vor mir aufzutauchen.

„Mylady.“, er verbeugt sich kurz, „Wenn Sie mir bitte folgen würden.“

Seine Stimme ist weich, dennoch schwingt eine Art Befehl mit, als er sich umdreht und auf eine Tür zusteuert.

Er führt mich wieder durch das Schloss und bringt mich zu meiner Tür.

 

 

Der Soldat verschließt die Tür hinter mir, ohne sie ab zu schließen.

In meiner Gefängniszelle leuchten kleine Lämpchen in der Decke und die Bücher werden ebenfalls bestrahlt. Doch die größte Lichtquelle ist der Mond, der in mein Zimmer scheint.

Vor meinem Fenster kann ich auf das Meer hinabsehen. Ich kann die Sterne beobachten, die eigentlich gar nicht zu sehen sein dürften. Der Mond, der so hell strahlt, würde die Sterne erblassen lassen. Und doch kann ich sie sehen, als wäre kein Mond da.

Und ich kann auf den Wald und die Wiese hinabsehen.

Dieser Ausblick ist so wunderschön, dass ich mich kurz darin verliere, ehe ich mich auf das Bett setzte.

 

Etwas knistert unter mir und verwundert ziehe ich einen Briefumschlag hervor.

 

June

 

Mehr steht nicht auf dem Umschlag, hinten ist er mit Wachs versiegelt.

Ich kenne die Schrift nicht aber ich habe auch selten einen handgeschriebenen Brief bekommen. Die meisten Briefe, die ich bekommen habe, waren Rechnungen.

Neugierig breche ich das Wachs und hole einen alten Pergamentzettel raus.

 

Liebe June,

 

Ich weiß, dass ich dich verletzt habe. Ich weiß, dass du dich verraten fühlst. Doch bitte hör mir zu.

Ich stehe seit Jahren im Dienste dieser Familie. Ich arbeite für sie und befolge ihre Befehle.

Ich war geschockt, als ich herausfand, dass ich dich herbringen sollte. Doch Befehl ist Befehl.

Ich weiß aber, dass sie dir nichts tun werden.

Du bist keine Gefangene.

Ich weiß nicht, wie ich diese Sache wieder gut machen kann. Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte.

Doch eins weiß ich. Ich würde nie wieder ein Wort mit mir wechseln.

Ich würde mir selbst nicht verzeihen können.

Und glaube mir, ich hasse mich selbst.

Doch wenn ich dich nicht geholt hätte, dann hätten es andere getan.  

Dann wären Männer gekommen, die nicht so zimperlich gewesen wären.

Ich möchte dir keine Angst machen, doch pass trotzt Allem, auf dich auf.

 

Ich verspreche dir, dass du bald einen Sinn erkennen wirst.

Du wirst bald die Gründe für meine Taten erfahren und du wirst dich selbst besser kennen lernen.

Du wirst aufgeklärt werden, du wirst alles verstehen.

Du wirst dich hier wohl fühlen, neue Freunde finden.

 

Bitte lass dich darauf ein, leiste keinen Wiederstand.

 

Bitte verzeih mir.

 

René

 

 

Mit gemischten Gefühlen lese ich den Text ein erstes Mal, ein zweites Mal.

Ich verstehe nichts. Erst habe ich Mitgefühl, dann bin ich sauer und zum Schluss schmeiße ich den Brief durch das Zimmer.

Genervt von mir selber, genervt von René, stehe ich auf und ziehe mich um.

Nachdenklich gehe ich ins Bett und versuche aus René seinen Worten klar zu werden.

Er meint, ich würde mich wohlfühlen, würde Freunde finden. Doch das Einzige was ich will, ist von hier abzuhauen.

Er sagt, ich würde mich selbst besser kennenlernen. Aber sonst geht’s dem gut ja? Ich kenne mich ja wohl am Besten!

 

Wütend grübelnd, sehe ich hinaus aufs Wasser.

 

Irgendwann schlafe ich ein.

Kapitel 6

 

 Für eine Entführte, schlief ich viel zu gut. Ich bin ausgeruht und fühle mich frisch.

So lang habe ich wahrscheinlich schon seit Wochen nicht mehr geschlafen.

Draußen scheint schon die Sonne, langsam kämpft sie sich über die Baumwipfel. Lange Schatten ziehen sich über die Wiese.

 

Ich muss zweimal hinsehen, ehe ich ihn erkenne. Sebastian schlüpft hinter einen der Bäume vor und geht langsam über die Wiese.

Daran ist nichts Besonderes, doch scheint er mit jedem Schritt zu wachsen. Ich reibe mir die Augen und schon ist er wieder ganz normal. Sebastian in seiner ganz normalen Größe.

Komisch. Vielleicht bin ich einfach doch noch müde.

Ich beobachte ihn weiter. Er sieht gut aus.

Er trägt eine Sportjacke und kurze Shorts. Seine Muskeln zeichnen sich deutlich auf der Jacke ab. Auch sind seine Haare zerwuschelt und nicht mehr so gestriegelt wie gestern.

Plötzlich blickt er nach oben und ich habe das Gefühl, dass er zu mir sieht. Sein Mundwinkel zieht sich auf einer Seite nach Oben, so als hätte er mich auf frischer Tat ertappt. Natürlich ist es völliger Quatsch, trotzdem drehe ich mich schnell um.  

 

Da klopft es an meiner Tür, eine kleine Frau betritt den Raum.

In den Händen hat sie ein silbernes Tablett mit einer Tasse darauf.

Sie trägt eine Uniform, ähnlich der, die auch die Soldaten tragen.

Schwarze Jacke und Hose, mit goldenen Knöpfen, um ihre Brust liegt eine rote Schärpe. Ihre braunen Haare sind zu einem strengen Zopf zurückgebunden.

„Guten Morgen, Mylady.“, sagt sie und macht einen Knicks. Sie macht tatsächlich einen Knicks vor mir!

Verwundert kann ich dieser fremden Frau nur zusehen, wie sie das Tablett neben mir auf einen Tisch stellt und mir die Tasse reicht.

Kaffeegeruch steigt mir in die Nase, gierig nehme ich einen Schluck.

„Ich soll sie ankleiden und frisch machen, damit sie heute mit den Eheleuten des Hauses dinieren können.“, ihre Stimme ist samtig.

„Ich kann mich allein anziehen, danke.“, ich habe den Sinn ihres Auftretens immer noch nicht so ganz verstanden.

„Aber eine Dame Ihres Standes braucht sich nicht allein ankleiden.“, wieder knickst sie und verschwindet in meinem Kleiderschrank.

Vorsichtig richte ich mich auf und versuche zu verstehen was diese Frau gesagt hat. Sie verwirrt mich mit all meinen Sinnen.

Zuerst: Sie sieht schon etwas älter aus, ihre junge Stimme passt da nicht ganz dazu. Und dann noch die Worte. Ich bin eine Entführte! Welchen Stand habe ich da schon?

Ich beobachte die Fremde bei ihrem Treiben, während ich meinen Kaffee trinke. Er ist schon leicht geil.

Die Fremde kommt mit einem langen, mitternachtsblauen Kleid heraus, legt es aufs Bett und geht in das Bad. Ich höre das Wasser rauschen, wahrscheinlich füllt sie die Wanne. Neugierig trinke ich den Kaffee aus, stelle die Tasse auf das Tablett und gehe ebenfalls ins Bad.

Da steht die Fremde an der Wanne und gießt gerade eines der Schaumbäder in die Wanne.

Der Geruch von Lavendel umhüllt mich. Es muss Zufall sein, dass sie mein Lieblingsgeruch ausgewählt hat.

„Wenn sie nun hineinsteigen würden.“, sagt sie, während sie den Schaum verteilt.

„Und sie bleiben hier oder wie?“

„Natürlich. Ich werde Ihre Haare bürsten und hochstecken, während sie entspannen.“

Diese Frau ist echt unglaublich. Sie sagt das, als wäre es völlig normal, vor einer Fremden baden zu gehen, nur damit sie einem dann die Haare macht. Wo zum Teufel bin ich nur gelandet?

Sie macht noch einmal eine Geste, damit ich endlich in die Wanne steige.

Ich lasse sie nicht aus den Augen, als ich mich ausziehe und langsam in die Wanne steige. Wenigstens ist sie damit beschäftigt, den Schaum zu verteilen, sodass sie mich nicht ansieht.  

Das Wasser ist perfekt temperiert und der Schaum bedeckt alles, was er bedecken soll. Alles in allem, fühlt es sich wahnsinnig gut an.

„Wie heißen sie eigentlich?“, frage ich die Fremde, als sie sich ein Handtuch schnappt und sich hinter mich setzt.

„Mein Name ist Coriane, Mylady.“

Dieses Mylady geht mir langsam tierisch auf die Nerven.

 

Sie sagt nichts mehr, als sie meine Haare kämmt, meine Kopfhaut massiert und dann anfängt, sie zu bearbeiten. Ich kann mich dabei komplett entspannen.

Coriane ist sehr sanft und summt leise ein Lied, ich fühle mich wie in einem Wellnesstempel.

Umso verwirrter bin ich.

Ich verstehe immer noch nicht den Grund der Entführung, wenn man mich wie eine Königin behandelt. Es ist wirklich sehr merkwürdig.

 

Nachdem sie mich angezogen und geschminkt hat, schiebt sie mich aus meinem Zimmer. Sie übergibt mich einen Soldaten, der mich wiederrum durch die Gänge führt.

Ich kann anhand der Türen sehen, wo wir abbiegen und welche der vielen Treppen wir nehmen. Wenn ich mir das alles genau merken kann, finde ich den Weg nach draußen viel schneller. Vielleicht schaffe ich es doch am Tage zu flüchten, sie brauchen nur Vertrauen in mir zu fassen.

 

Als wir vor der großen Doppeltür ankommen, die, wie ich weiß, zum Saal führt, öffnet der Soldat die Türen.

Er ruft etwas hinein, was ich nicht ganz verstehen kann und gibt mir dann zu verstehen, einzutreten.

Heute sitzen an dem Tisch nicht ganz so viele Menschen. Natürlich sitzen auf der linken Seite des Tisches, die Freaks mit den Kronen. Heute kann ich auch ihre Augenfarben besser erkennen.

Sie hat hellgrüne, fast giftgrüne Augen und er, fast schwarze Augen. Im Licht sehe ich aber, dass seine Augen eher dunkelblau sind, nicht schwarz.

Beide lächeln mich herzlich an, doch ich lass mich nicht täuschen.

Ihnen gegenüber wird ein Stuhl zurückgeschoben, auf den ich mich nun setzte.

Ich schaue nun direkt in die Gesichter der Freaks und wie ich annehme, in die Gesichter meiner Entführer.

Ich habe keinen Zweifel mehr daran, dass sie die Oberhäupter dieses Hauses sind und auch nur sie, für meine Entführung verantwortlich sind.

„Guten Morgen June.“, die Stimme meiner Entführerin klingt melodisch. Wie eine Mutter, die ihr Kind in den Schlaf singt.

Ich nicke nur zurück, was mir ein paar ungläubige Blicke einbringt. Der Gesichtsausdruck der Frau, mir gegenüber, verrutscht aber nicht.

„Ich hoffe du fühlst dich wohl. Bitte lang kräftig zu.“, sie lächelt weiterhin, während ich schon zu einer hitzigen Antwort ansetzte. Eine Bewegung in meinem Blickwinkel lässt mich jedoch innehalten.

René sitzt nicht weit von mir, auf der rechten Seite des Tisches und blickt auf seinen Teller. Dennoch schüttelt er leicht den Kopf.

Er kennt mich, er weiß was nun kommt. Doch sage ich nichts, irgendetwas an der ganzen Szene kommt mir dermaßen falsch vor, dass ich mich nicht traue zu antworten.

 

 

Ich behalte alles im Blick, während die anderen anfangen, sich offen zu unterhalten und zu Essen. Wieder kommt mir der Sinn der Großfamilie, sie lachen alle, unterhalten sich quer über den Tisch und gehen herzlich miteinander um.

Doch beim genaueren Hinsehen fällt mir auf, dass sich einige hasserfüllt ansehen. Gerade die Jugendlichen in meinem Alter, scheinen nicht gerade freundlich untereinander umzugehen. Und diejenigen, die beim König sitzen, tragen ihre Köpfe höher, als sie sollten. Sie scheinen sich besser zu fühlen, erhabener als die Anderen.

Was mir auch auffällt ist, dass Sebastian nahe des Königs sitzt, umgeben von anderen Frauen in meinem Alter. Wundern sollte es mich nicht, doch statt sich mit denen zu beschäftigen, fällt sein Blick immer wieder auf mich. Wieder zeichnet sich das halbe Grinsen auf seinem Gesicht ab, wieder fühle ich mich ertappt.

Schnell nehme ich mir auch etwas zu essen und blicke auf meinen Teller, damit niemand meine roten Wangen sieht.

 

Ich bin froh, dass mich niemand in ein Gespräch verwickeln möchte, dass sich niemand für mich interessiert. Ich kann ganz ungestört etwas essen und die anderen belauschen.

Leider kann ich nichts Hilfreiches erfahren. Sie reden weder über das Schloss, noch über die Eheleute.

Das einzige was ich aufnehme, sind die verschiedenen Tagespläne. Die Jugendliche trainieren wohl irgendwie zusammen. Doch für was sie trainieren, konnte ich nicht herausfinden.

 

Erst als die Freaks fertig sind mit Essen und aufgestanden sind, bewegt sich auch der Rest.

Allesamt Freaks hier!

Selbst René steht auf und läuft einem Ehepaar hinterher. Sie könnten seine Eltern sein, sie haben ebenfalls braune Haare, sind athletisch und haben karamellfarbene Augen. René sieht ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten aus.

Komisch, dass ich René schon fast mein ganzes Leben lang kenne, ich aber nie seine Eltern kennengelernt habe. Ich war auch nie bei ihm zu Hause.

Komisch.

 

„Willst du hier den ganzen Tag sitzen?“, erschrocken fahre ich zusammen. Ich war so in Gedanken bei René, dass ich Sebastian gar nicht bemerkt habe.

Belustigt sieht er auf mich hinab.

„Nein, die Stühle sind zwar bequem aber mein Bett oben ist doch viel gemütlicher.“, gähne ich und strecke mich ausgiebig. Doch Sebastian schmunzelt nur wieder.

„Ich wünsche dir viel Spaß dabei. Genieße dein Bett, solange du noch kannst.“, sagt er und geht weiter. „Was soll das bedeuten Sebastian?“, rufe ich ihm hinterher und stehe schnell auf um zu ihn aufzuschließen.

„Das soll bedeuten, dass auch du bald einen Tagesplan erhalten wirst. Oder dachtest du, du kannst den ganzen Tag rumgammeln?“, „Auf jeden Fall dachte ich, dass ich den ganzen Tag in einem Kerker eingesperrt sein würde um auf mein Ende zu warten.“, zische ich ihn an.

Blitzschnell dreht sich Sebastian zu mir um und fasst mir an den Oberarm. Es ist nicht schmerzhaft, trotzdem hat er einen festen Griff.

„Sag das niemals wieder! Sprich auch gar nicht erst davon!“, zischt er, „An deiner Stelle würde ich ganz leise sein, June.“

Hastig mache ich mich von ihm los, was denkt er sich dabei?!

„Ach ja? Sollte ich den Mund halten? Was werden denn die Anderen machen, wenn sie von meiner Entführung erfahren? Werden sie die Polizei rufen? Oooooh, das wäre aber wirklich schade. Dann hätte ich doch tatsächlich eine Chance, aus diesem Irrenhaus raus zu kommen.“, wütend funkle ich ihn an. Doch zu meinem Erstaunen fängt er nur an zu lachen, klopft mir auf die Schulter und geht.

Verdattert sehe ich ihm hinterher und sehe René an der Wand lehnen. Doch er schüttelt nur wieder mit dem Kopf und folgt Sebastian.

Was haben die hier alle nur?

 

Doch lange rumwundern kann ich nicht.

Wieder kommt ein Soldat und bringt mich in mein Zimmer. Dort wartet auch schon Coriane und legt gerade Kleidung auf mein Bett.

Sie zieht mich aus, lässt mich eine Leggings und Shirt anziehen, Sneakers dazu. Danach kümmert sie sich wieder um meine Haare, bindet sie zu einem Zopf zusammen und schiebt mich aus dem Zimmer.

Dort nimmt mich der Soldat wieder in seine Fittiche und bringt führt mich diesmal mehrere Treppen nach oben. Irgendwann werden aus den normalen Treppen, Wendeltreppen und geht sie bis nach ganz oben.

 

Eine aufwendig verzierte Tür taucht am Ende auf und der Soldat klopft hart dagegen.

Ein kleiner Mann macht sie uns auf. Er hat weiße Haare, schrumpelige Haut und trägt die typische Kleidung eines Bibliothekars.

„Ah, endlich. Komm herein mein Kind.“, freundlich lächelnd, sieht er zu mir auf und öffnet die Tür weiter.

Neugierig gehe ich in den Raum.

Er ist groß, staubig und über und über mit Büchern vollgestopft. Auf dem ersten Blick sieht alles sehr verwahrlost aus, doch ich erkenne einen Sinn dahinter.

Die Zettel, die scheinbar achtlos zwischen den Büchern stecken, sehen aus wie Markierungen. Bücherstapel, die krumm und schief sind, zeigen immer ein Stück des Titels.

Bücher und Briefe die auf dem Boden liegen, sind aufgeschlagen. Damit wird der Mann wahrscheinlich arbeiten.

Wenn ich Arbeiten geschrieben habe, sah es bei mir auch so aus.

Ich habe meine Exzerpte, Exposés und Bücher auf dem Boden verteilt, sodass ich nur einen Blick werfen musste, um zu sehen, was ich nun brauchte.

Ich habe es geliebt, so zu arbeiten.

 

„Wow!“, kommt es mir leise über die Lippen.

„Entschuldige bitte die Unordnung… “, doch ich unterbreche ihn schnell, „Das ist keine Unordnung! Und meine Musiklehrerin sagte immer, man soll sich nicht für sich selbst entschuldigen. Wir sind alle genau so richtig, wie wir sind. Wir sollten uns nicht für etwas entschuldigen, was uns ausmacht.“, lächelnd blicke ich mich in dem Raum um. Er scheint in endlose Weiten zu verschwinden.

„Sie war eine sehr kluge Frau.“, grinsend sehe ich zu dem Mann nach unten.

„Das stimmt. Wenn du mir bitte folgen würdest, June.“, er geht zwischen Regale hindurch und kommt in einer kleinen Nische zum Stehen.  

Hier steht ein großer, schwerer Eichentisch. Halb mit Unterlagen voll, halb frei. Staub liegt auf der Tischlampe.

„Bitte setz dich doch. Wir haben eine Menge zu besprechen.“, da mir der Mann sehr sympathisch scheint, setzte ich mich ohne wiederstand und beschließe ihm erst einmal zuzuhören.

Er selbst setzt sich auf die andere Seite des Tisches, mir gegenüber.

„Möchtest du etwas trinken?“, „Nein danke.“

„Du wunderst dich bestimmt warum du hier bist. Lass es mich dir erklären.

Hier in dem Haus hat jeder Schüler einen eigenen Hauslehrer, der für Stunden- und Tagespläne verantwortlich ist. Natürlich haben die Schüler auch verschiedene Fächer zusammen, allem voran Sport. Doch du wirst nicht so viel Wissen haben, wie die Anderen hier. Das ist ja auch gar nicht möglich.

Also, kurz um. Ich bin dein Hauslehrer.“, zögernd nicke ich. Soweit so gut. Das scheinen die Anderen wohl auch mit `Training´ gemeint zu haben.

„Wir werden heute die Grundstrukturen des Hauses durchgehen. Das wird eine Weile dauern und ich will dich auf keinem Fall überfordern.

Doch als erstes möchtest du sicherlich wissen, was du hier zu suchen hast. Richtig?“, wieder nicke ich.

„Ich weiß von der `Entführung´“, er zeichnet dabei Gänsefüßchen in die Luft. „Doch du sollst dich auf keinen Fall wie eine Entführte fühlen. Sie es eher, als eine neue Erfahrung.“, da musste ich erst einmal kurz lachen, doch sein strenger Blick lässt mich gleich wieder verstummen.

„Das ist momentan schwer zu verstehen, doch mit der Zeit wirst du erkennen, worin der wirkliche Sinn besteht.

Das ist wie mit Herzschmerz, erst später erkennt man, dass dies alles aus einem falschen Blickwinkel betrachtet wurde und man fühlt sich erst später, befreit.

Auch du wirst dich befreit fühlen.

Gib dir und auch dem Haus Zeit, dir deine Vorteile zu zeigen.

Es wird einen Zeitpunkt geben, an dem du erkennen wirst, dass du die richtige Wahl entschieden hast.

Hierzubleiben.“

Er macht eine kurze Pause und ich versuche seine Worte zu verarbeiten. Versuche meine Wut zu unterdrücken.

Der Mann ist nett zu mir, vielleicht wird er zu dem Schlüssel, zum Weg nach draußen.

Er kennt bestimmt jeden Schlupfwinkel und jede geheime Gasse.

„Denk nicht mal an Flucht Mädchen.“, verdutzt sehe ich zu ihm auf.

„In deinem Gesicht kann ich lesen, wie in einem offenen Buch.

Natürlich willst du fliehen, dass ist der normale Menschenverstand.

Doch hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass dir niemand Leid zugetragen hat? Dass du gut behandelt wirst? Dass dir deine Freiheiten gelassen werden?“,

„Welche Freiheiten meinen Sie? Ich bin hier eingesperrt. Kann nicht zu meiner Familie, zu meinen Freunden. Kann nicht in die Schule. Ich bin hier fremd.“, langsam werde ich doch wütend.

„Freunde findet man immer wieder neu. Unterricht werde ich dir geben und zu deiner Familie kannst du immer gehen. Hast du jemals jemanden gefragt? Hast du gefragt, ob du nach draußen gehen darfst? Du kannst dich frei bewegen.“, nachdenklich blickt der Mann mich an.

„Was war mit gestern?“, „Du bist, nur in einem Handtuch bekleidet, nach draußen gerannt. Wie eine Irre hast du ausgesehen.“, aus Scham schlage ich meine Hände vors Gesicht. Wer diese Szene wohl noch alles gesehen hat?

„Na, na. Mach dir mal keine Sorgen. Es war sehr früh am Morgen. Und ich kenne dies nur von den Überwachungskameras. Als Hauslehrer ist es mein Job, über jeder deiner Bewegungen bescheid zu wissen.“, nervös nehme ich die Hände von meinem Gesicht und setze mich auf sie.

„Aber warum ich hier bin, können Sie mir das erklären?“, „Nein, aber mit der Zeit wirst du es verstehen.

Ach ja, mein Name ist übrigens Aldwyn.“

„Freut mich Sie kennen zu lernen, Aldwyn.“, er ist mir trotz allem sympathisch.

 

„Ich denke, ich sollte dir nun die Geschichte, dieses Hauses erzählen...

 

Es gibt eine Legende:

 

Er, der alle Naturgewalten beherrschte und sie, die alle Gefühle der Lebewesen lesen konnte.

Beide waren Gefährten, verbunden fürs Leben.

Sie bekamen ein Baby, welches jedoch durch die geerbte Kraft, verstarb. Man vermutet, dass es zu viel, für das kleine Wesen war.

Doch selbst wenn es überlebt hätte, wäre es zum Tode verurteilt.

Es gab blutige und böse Kriege, viele hatten Angst, dass dieses Baby böses im Sinn habe. Niemand wollte jemanden haben, der alle Magie in sich trägt.

Niemand wollte sich einem so mächtigen Wesen beugen, aus Angst, dass es in seinen jungen Jahren, zur bösen Seite wechselt.

 

Es beherrschten Götter die verschiedenen Welten.

Heute gibt es nur noch diese Welt. Die Welt, der Übernatürlichen.

Er, der die Naturgewalten beherrscht und sie, welche alle Gefühle steuert.

Sie sind heute die Mächtigsten der Übernatürlichen. Nach dem Tot ihres Kindes haben sie sich zurückgezogen.

Sie leben nur noch mit den stärksten Häuser zusammen. Sie sind die Stärksten jeder Rasse. Sie vermehrten sich nur mit den stärksten Wesen dieser Welt, um noch stärkere Nachkömmlinge zu zeugen.

Doch auch auf dieser Welt gibt es die lichte- und die dunkle Seite. Das Ehepaar beherrscht die lichte Seite. Die Seite des Guten…“, gespannt lausche ich dieser Geschichte, die wunderschön und zugleich grausam ist.

Ich lese heute noch gern Fantasy. Ich möchte mich nicht damit geschlagen geben, dass nur wir Menschen auf der Welt leben. Das wäre viel zu einfach.

„Aber Aldwyn. Ich dachte Sie erzählen mir etwas von dem Hause?“, verwundert sehe ich den Mann an.

„Das habe ich. Doch, auch wenn wir davon ausgehen, dass es keine übernatürlichen Kräfte gibt, so lebt hier ein Ehepaar, welches ihr Kind verloren hat. Sie leben mit ihren engsten Freunden zusammen, die die Bezirke des Landes beherrschen.

Das Ehepaar Naheise beherrscht hier das Land. Sie sind König und Königin von Ocesan.“,

„Wow, Moment! Du… Wo? Ocesan? Wo soll das denn bitte sein? Und König? Königin?!“, fassungslos sehe ich Aldwyn an. Will er mich verarschen?

„Ja König und Königin Naheise. Sie sind die Herrschenden über Ocesan. Ein kleines Land, wenn man es so will. Ist das so wichtig? Du hast die Beiden doch schon gesehen.“,

„Ja aber dann habe ich mich heute fast respektlos gegenüber eines Königspaares geäußert.“,

„Mach dir deswegen keine Sorgen, du wusstest es nicht aber ab heute solltest du etwas mehr Respekt an den Tag legen.“, bedeutungsvoll sieht er mich an. „Verstanden?!“

„Ja natürlich.“, ich bin immer noch fassungslos. Was will ein Ehepaar von mir? Was zur Hölle soll ich hier?!

„Ich hoffe bis hierhin konntest du mir folgen?“, wieder nicke ich.

„Die Bezirke sind auf verschiedene Häuser aufgeteilt. In den Häusern leben seit Jahrhunderten die Reichsten und Stärksten des Landes. Stellenwerte werden natürlich weitervererbt.

So wie ich dir die Namen sage, so ist auch die Rangfolge.“, er legt mir eine Übersicht auf den Tisch.

In der Mitte steht eine Krone, sie ist eingekreist. Von der Krone gehen sechs Striche weg. Am Ende steht jeweils ein Symbol und ein Name.

Die sechs Häuser sind wieder eingereist und von dort, von jedem einzelnen Haus gehen noch einmal jeweils vier Striche weg.

„Du siehst hier, im inneren Kreis, die Krone. Repräsentant der Krone. Dann kommt der innere Zirkel, die Mächtigsten nach dem Königshaus. Die Namen stammen noch von der alten Tradition.

Das Haus Ignis. Sie sollen früher das Feuer gebändigt haben. Du erkennst sie an den roten Haaren und grünen Augen.“, „Bei meiner Entführung“, bei dem Wort stöhnt Aldwyn, „war auch ein Mann mit roten Haaren und grünen Augen. War er aus dem Haus?“

„Ja der erste Sohn des Anführers.

Dann kommt das Haus Aqua, die sollen das Wasser gebändigt haben. Sie haben meistens weiße Haare und blaue Augen, ja auch der erste Sohn dieses Hauses war mit bei dir.

Danach das Haus Terra, ehemalige Bändiger der Erde. Braune Haare, braune Augen. Dein Freund René stammt aus diesem Haus.  

Hier das Haus Caeli, ehemalige Bändiger der Luft. Sie haben meistens ganz helle, graue Augen.

Dazu das Haus Animalis, sie sind wirklich spannend. Der Legende nach sollen sie sich in Tiere verwandeln können. Sie haben aber keine äußeren Merkmale, aber Sebastian stammt aus dem Hause.

Zum Schluss kommen noch die Magi, sie sollen Magier sein. Doch auch sie haben kaum äußere Merkmale aber man lernt schnell, wer zu wem gehört.

 

Diese Familien saßen heute Morgen mit am Tisch.

 

Der äußere Kreis besteht dann noch aus...“, hier zeigt er wieder die Gänsefüßchen, „Vampiren, Feen, Gnome, Kobolde, Geistlichen, Riesen, Hexen und immer so weiter. Sie sind eigentlich nicht weiter nennenswert. Sie sind selten hier im Hause. Nur die Abgesandten der Bezirke kommen und erstatten Bericht.

Man erkennt sie an ihrem Körperbau. Das Haus der Riesen beweist sich durch eine enorme Körpergröße. Wogegen die Feen eher klein und schmächtig sind. Aber naja.

Du wirst sie wahrscheinlich nur selten zu Gesicht bekommen.

Bis hierhin alles klar?“, ich nicke.

„Das Haus von Feuer, Erde, Wasser, Luft, Tierwandler und Magier. Simpel.“

„Bitte lern die richtigen Bezeichnungen, manche sind sehr schnell eingeschnappt. Zudem bezieht sich der Name des Hauses auch auf die Nachnamen.“, freundlich lächelt er mich an und reicht mir die Karte.

„Die Bezeichnungen solltest du so schnell wie möglich lernen und auch anwenden, falls sie mit dir Sprechen.

Du erkennst den Rang des jeweiligen Hauses auch an der Sitzordnung. Diejenigen, die nahe am Königspaar sitzt, ist am einflussreichsten.

Jedenfalls machen das die Häuser untereinander. Die Könige ziehen niemanden vor.

Sie sind alle zusammen aufgewachsen und zur Schule gegangen. Sie sind enge Freunde.

 

Dann hüte dich vor dem Wachpersonal. Sie haben immer alles im Überblick, niemand kann das Gelände betreten und verlassen, ohne Aufsehen zu erregen.“, das sagt er mit solch einem Nachdruck, dass ich schlucken muss.

Ein starker Wink mit dem Zaunpfahl, dass ich so schnell nicht abhauen kann.

„Du hast eine eigene Bedienstete, sollte sie negativ auffallen, gib mir Bescheid.

Die Soldaten hast du schon kennengelernt. Einer ist immer in deiner Nähe, zum eigenen Schutz versteht sich.

 

Dann wäre nur noch dein Tagesplan und dann sind wir für heute fertig.

Morgen will ich aber, dass du die Häuser aufsagen kannst.“, wieder nicke ich. Langsam schmerzt mein Kopf von der ganzen Nickerei.

„Also, Mittagessen findet immer unabhängig statt. Es kann sein, dass du auf die anderen Kinder der Häuser triffst aber die Eheleute und Eltern werden höchstwahrscheinlich nicht mit dabei sein.

Mittag findet im kleinen Saal statt. Ein Soldat wird dich schon dahin führen.

Abendbrot ist punkt und damit meine ich PUNKT 19 Uhr im großen Saal.

Gib also deiner Zofe genug Zeit, dich fertig zu machen. Sie wird den Ärger bekommen, nicht du.“

„Verstanden Aldwyn.“

„Gut hast du dann noch Fragen?“, ein Kopfschütteln meinerseits. Ich muss das erst einmal sacken lassen.

Aldwyn steht vom Stuhl auf und geht den Weg zurück zur Tür. Ich folge ihm, die Karte in meiner Hand.

An der Tür steht auch schon ein Soldat, der mir die Tür öffnet und mich nach draußen führt. Mir fällt auf, dass er derselbe Soldat ist, der gestern Nacht aus dem Boden gewachsen ist.

„Mylady, was wollen Sie machen?“, fragt er höflich.

„Ich möchte nach draußen.“

 

 

Kapitel 7

Kapitel 7

 

Der Soldat führt mich durch die endlosen Gänge des Schlosses und führt mich nach draußen.

Von dort aus gehe ich eigenständig über die Wiese, die wieder kürzer ist und lehne mich an einen Baum.

Mit dem Blick aufs Meer, versuche ich, die ganzen Informationen zu verarbeiten.

 

Das Königspaar hat also ein Kind verloren, sie beherrschen dieses Land.

An ihrer Seite haben sie ihre Schulfreunde, die gleichzeitig die Bezirksmeister sind. Die Bezirke beruhen auf einer Legende. Auf Menschen, die immer eine bestimmte Kraft hatten.

Feuer hat rote Haare und grüne Augen. Haus Ignis.

Wasser, helle Haare und blaue Augen. Haus Aqua.

Erde, braune Haare und braune Augen. Haus Terra.

Luft, entweder ganz helle oder graue Augen. Haus Caeli.

Tierwandler, ohne Markenzeichen. Haus Animalis.

Magier, ohne Markenzeichen. Haus Magi.

 

Freaks! Allesamt Freaks in diesem Land!

 

Ich lebe in einem Schloss, soll mich nicht als Entführte fühlen und mit diesem Umstand leben. Soll mich anpassen.

Frustriert lege ich die Karte neben mich und blicke hinauf aufs Wasser.

Der leichte Wind fegt mir durch meine Haare, die wieder hellblond sind. An den Spitzen sind sie fast weiß. Ich habe mir sie genau deswegen gefärbt.

Als kleines Mädchen wurde ich oft deswegen gehänselt. Es hat mir nichts ausgemacht aber es war mir unangenehm.

Es reicht ja nicht, dass meine Haare so komisch sind. Nein! Meine Augen verfärben sich in ihrer Intensität.

Je nach Gefühlslage sind sie heller oder dunkler. Ich habe keine Erklärung dafür, doch wenn ich richtigen Hass auf jemanden habe, dann bekomme ich sogar einen kleinen roten Rand um meine Iris.

Ich wollte einfach nur normal sein und so fing ich an meine Gefühle zu unterdrücken und meine Haare zu färben. René war mir damals eine große Hilfe, er half mir heute noch, wenn meine Augen ihr Eigenleben führen. Jetzt bin ich auf mich allein gestellt.

 

Seitdem ich hier bin, sind meine Haare wieder natürlich und ich habe Mühe meine Emotionen unter Kontrolle zu bekommen.

Das macht mir echt zu schaffen und ich könne Aldwyn fragen, doch ich weiß, dass ich von ihm keine Antwort bekommen werde.

So nervig wie es auch ist, so werde ich mich wohl doch noch gedulden müssen.

 

Und so genieße ich den Wind in meinen Haaren, während meine Gedanken immer mehr in den Hintergrund rücken.

Ich höre dem Meer zu, wie es rauscht und der Wind seine kleinen Geschichten erzählt. Wie er die Blätterkronen über mir zum rascheln bringt und die Wellen mal stärker und schwächer werden.

Ich sehe der Sonne dabei zu, wie sie über den Horizont wandert.

 

Irgendwann nähern sich mir Schritte und René lässt sich neben mir nieder. Neugierig sieht er sich das Schaubild von Aldwyn an.

„Du hast also schon Unterricht.“, neugierig und auch vorsichtig sieht er mich an.

„Aldwyn hat mir heute die Strukturen des Hauses nähergebracht. Des Schlosses.“, meine Stimme trifft nur vor Sarkasmus. „Ich hätte dich nie als einen Freak bezeichnet, doch ich hätte das schon viel früher machen sollen.“, giftig sehe ich meinen ehemaligen Freund an. Etwas wie Reue zeigt sich in seinem Blick, doch der Moment ist so kurz, dass ich mir dabei nicht sicher sein kann.

„Du wirst noch viel mehr lernen als die Strukturen und wenn du Hilfe brauchst, kannst du mich immer fragen.“, „Ich brauche deine Hilfe nicht René.“, wütend stehe ich auf.

Ich weiß nicht was sich dieser Mensch erhofft. Ich kann ihm nicht verzeihen, wie er mit mir umgegangen ist, dass er mich geschlagen und emotional so verletzt hat.

Er hat mich aus mein Leben gerissen. Ich hätte ihm sowas nie zugetraut.

Wütend reiße ich ihm meine Materialien aus der Hand und wende mich zum Gehen als er mir hinterherruft.

„Wir haben heute Abend immer noch einen Job.“, er sagt das so beiläufig, dass mir der Sinn dahinter erst zu spät einfällt. Als ich mich umdrehe um zu fragen, ob es sein ernst ist, sitzt er nicht mehr im Gras.

Ich kann ihn nirgends mehr sehen.

So absurd das auch ist, er muss in den Wald gegangen sein. Vielleicht versteckt er sich ja auch um mir einen Streich zu spielen.  

Als ich mich wieder zum Schloss drehe, kommt mir Sebastian entgegen.

Seine dunklen Augen scheinen in der untergehenden Sonne zu leuchten, sein Gang ist selbstsicher. „Ich wollte dich abholen.“, verwirrt sehe ich den Fremden an. „Für was abholen?“, neugierig laufe ich ihm entgegen.

„Zum Abendessen, du musst dich noch umziehen und Aldwyn hat mich gebeten, dich abzuholen.“, er zuckt nur mit den Achseln und schaut auf mich runter.

„Wieso, wie spät ist es denn? Ich habe ja keine Uhr, geschweige denn ein Handy.“, Bitterkeit liegt in meiner Stimme. Wenigstens eine Uhr wäre ja schön gewesen.

„Frag einfach Aldwyn morgen mal und dann solltest du eine Uhr bekommen.“, schweigend gehen wir auf eine Tür im Mauerwerk zu.

 

„Weißt du wie du in dein Zimmer kommst?“, freundlich lächelt mich Sebastian an. „Hmm nein, ich verliere immer wieder die Orientierung. Es ist ja schließlich auch so groß hier.“, dass ich mir mittlerweile den Weg fast merken kann, sage ich ihm nicht. Sollen sie ruhig alle denken, ich hätte keine Orientierung. Das kann für mich nur vom Nutzen sein.

Sebastian nickt nur und führt mich durch die Gänge, er nimmt absichtlich einen Umweg. Statt geradeaus auf die Treppe zu zugehen, geht er den Gang nach links und biegt immer wieder unnötiger Weise ab, aber ich werde mich nicht beschweren.

Als wir an eine fast schwarze Tür aus Ebenholz ankommen, weiß ich wieder wo wir sind. Wir müssten jetzt gleich an meiner Tür ankommen. Und tatsächlich sehe ich meine, mir mittlerweile vertraute, Tür.

„Danke, dass du mich her gebracht hast Sebastian.“, ein falsches Lächeln liegt mir auf den Lippen, doch er scheint es nicht zu merken. Grinsend verabschiedet er sich und geht in die Richtung, aus der wir gekommen sind.

 

Als ich in mein Zimmer eintrete ist Coriane schon da und hat ein mitternachtsblaues, weites Kleid auf mein Bett gelegt und scheint auf mich zu warten.

Mir fällt jetzt sofort auf, dass sie zum Haus Terra gehören muss, da sie braune Haare und Augen hat. Doch im Gegensatz zu den Augen von René sind ihre in der Farbe von dunklem Lehm.

Doch warum arbeitet sie als Zofe? Ich muss sie das unbedingt mal fragen.

„Ich habe schon auf Sie gewartet, Mylady.“, sie verbeugt sich kurz und weist mich dann an, mich an einen Tisch zu setzten.

Dieser war heute Morgen ganz bestimmt noch nicht da. Er ist weiß, ein Spiegel steht in der Mitte und rund herum stehen verschiedene Töpfchen und Tiegelchen. Auf gut Deutsch, ein Schminktisch ziert jetzt mein Zimmer.

 

Mein Spiegelbild zeigt mein ebenmäßiges, helles Gesicht. Meine türkisfarbenen Augen schienen zu leuchten, doch wenn man genau hinsieht, sieht man einen minimalen roten Rand und einen dunkelblauen Schimmer, der wie Wasser herumwabert.  

Der rote Rand entsteht aus meinen Hass zu den ganzen Menschen hier und das blau zeigt meine Trauer, die ich nicht unterdrücken kann. Aber ansonsten habe ich sie gut im Griff. Ich habe meine Gefühle im Griff. Unterdrücke sie gut.

 

Coriane macht sich an meinen Haaren zu schaffen, zupft kleine Blätter hinaus und fängt an sie zu flechten. Nach und nach steckt sie meine Haare hoch und fängt an mich zu schminken.

Als sie mit mir fertig ist, strahlt mein Gesicht in einer gesunden Farbe und ein kleiner schwarzer Strick ziert mein oberes Augenlid, was meine Augen nur noch heller scheinen lässt.

Danach ziehe ich das blaue Kleid an und muss gestehen, dass es mir sehr gut gefällt. Es ist unter der Brust sehr eng und wird ab den Hüften breiter. Es ist kein Petticoat nötig um es aufzubauschen. Der Stoff ist so gut zugeschnitten, dass er von alleinsteht.

Das Kleid fühlt sich samtig an, liegt ganz weich auf meiner Haut und im Licht schimmert es leicht golden.

„Das Kleid ist wunderschön.“, verträumt streiche ich über den Stoff. „Wenn Ihnen der Schnitt und Stoff gefällt, nähe ich Ihnen mehr Kleider in dieser Art.“, lächelnd sieht mich Coriane an.

„Du hast dieses Kleid genäht?“ erstaunt sehe ich sie an. „Du nähst alle meine Kleider Coriane?“, sie nickt nur. Ab jetzt muss ich wirklich aufpassen was ich mit den Kleidern mache. „Ich werde mich nie wieder in den Rasen setzten, das verspreche ich dir!“, „Aber nein Mylady. Sie dürfen alles mit den Kleidern machen, was Sie wollen.“

„Vergiss es Coriane, ab jetzt werde ich besser auf meine Kleider achten.“, und damit klopft es auch schon an meiner Tür.

 

Wie zu erwarten war, steht ein Soldat vor meiner Tür. Diesmal ein anderer als heute Morgen. Er hat ganz grelle lilafarbene Augen und eine lange Narbe, die unter seinem linken Auge anfängt und hinter seinem Ohr aufhört.

„Hier entlang, Mylady.“, er dreht sich um und ich mache mich schnell daran, meine Pumps anzuziehen und ihm zu folgen.

Er hat einen schnellen Schritt und ich habe Mühe, ihm zu folgen. Somit kommen wir auch viel zu schnell am Saal an und ich werde ganz plötzlich, sehr nervös.  

 

Drinnen rennen zwei kleine Mädchen an mir vorbei. Sie haben beide helle Haare und sehen aus wie kleine Feen. Sie tragen rosa Tüllkleider, die glitzern, kleine Flügel auf dem Rücken und wedeln mit bunten Stäben umher.

Lächelnd sehe ich den Beiden hinterher und merke nicht, dass sich Sebastian genähert hat.

„Hallo Fremde.“, grinsend sieht er mich an. Er sieht wirklich gut aus. Seine blonden Haare sind in einer 50-Jahre Frisur geföhnt, er trägt einen dunkel blauen Sakko mit einem cremefarbenen Hemd und Hose. Es steht ihm verboten gut und dazu noch das Lächeln lässt jedes Mädchen schmelzen. Nur nicht mich.

Wenn wir uns unter anderen Umständen kennen gelernt hätten, wäre da ganz sicher etwas gelaufen, doch so sehe ich ihn nur als Mitglieder dieser Freaks. Auch er weiß, dass ich entführt worden bin und unternimmt nichts dagegen.

„Sebastian.“, erwidere ich nur und sehe mich in dem Raum um.

Um die Couch stehen verschiedene Jugendliche in meinem Alter und an dem Tisch sitzen schon ein paar Erwachsene. Einige Mütter spielen zusammen mit ihren Kindern und andere unterhalten sich.

„Wie es aussieht, ist sie heute mal nicht zu spät gekommen.“, ein Mädchen kommt auf Sebastian und mich zu. Sie hat rote, wellige Haare, grüne Augen und sieht verdammt heiß aus. Sie ist schlank, durchtrainiert und trägt ein enges, grünes Kleid. Die Farbe scheint sich mit ihren langen Haaren zu beißen, doch genau deswegen sieht es unfassbar gut an ihr aus.

Auf ihren hohen Schuhen ist sie fast so groß wie Sebastian. Doch so schön wie sie ist, so falsch scheint sie mir zu sein. Auch als sie anfängt falsch zu lachen, kocht heiße Wut in mir auf.

Ich weiß jetzt schon, dass wir nie Freunde werden und als sie sich an Sebastian schmiegt, ist sowieso alles vorbei.

„Ja wie es aussieht bin ich pünktlich.“, gifte ich genauso falsch lächelnd zurück und entferne mich von dem Paar. Im Rücken höre ich noch ihr Lachen.

Ich gehe auf den Tisch zu und setzte mich genervt auf denselben Platz von heute Morgen. Auf dem Tisch stehen schon viele verschiedene Töpfe und Schüsseln, viele Gerüche schweben umher und ich bekomme riesen Hunger. Das sieht und riecht alles so lecker, dass ich mich richtig freue, dass sich nach und nach Menschen an den Tisch setzten.

Im Kopf schreibe ich ihnen allen Häusern zu und überlege, was sie so besonders macht. Anscheinend gibt es hier zwar die Häuser aber Abstufungen in der Rangfolge. Ich muss mit Aldwyn darüber reden.

Komischerweise, setzen sich heute alle anders hin. Rechts von mir setzt sich Sebastian, rechts daneben setzt sich das giftige Weib und daneben ein Mädchen mit fast weißen Haaren und blauen Augen. Ihre Augen stehen in so einem harten Kontrast zu ihren Haaren, dass ich mich unwillkürlich frage, ob hier alle Kontaktlinsen tragen. Dabei weiß ich aber, wie absurd meine eigenen Augen sind.  

Links von mir setzt sich René, daneben der Typ mit den roten Haaren und daneben der mit den hellen Haaren. Alle drei stammen aus dem Entführerauto. Danach kommen noch weitere Jugendliche, doch mit ihnen werde ich mich eh nicht beschäftigen können, da sie zu weit weg sitzen.

Ich weiß nicht, was ich von der neuen Sitzordnung halten soll. Es ist mir irgendwie unangenehm, auch weil meine Entführer so nahe sitzen.

Heute werde ich nicht vor mich hinstarren können. Prompt fängt die Rote an zu plappern.

„Ich bin ja sooo gespannt, was Elain heute trägt, du nicht auch Lucinda?“, sie spricht in meinen Ohren viel zu hoch und sie zieht auch die Wörter unnötig in die Länge.

Lucinda antwortet ihr, wie gespannt sie doch sei und ab da an blende ich die Unterhaltung aus. René hat sich mir zugewandt.

„Ich hole dich später zu 22 Uhr ab. Du weißt noch wo wir hingehen?“, „Natürlich.“, ich nicke ihm zu. Da mischt sich Sebastian in unser Gespräch ein. „Wo wollt ihr denn hin?“, genervt antwortet René: „Wir haben noch einen Job zu erledigen, das ist schon länger geplant.“, ja es ist tatsächlich schon eine lange Zeit in Planung gewesen. Doch hätte ich nicht gedacht, dass wir es immer noch durchziehen.

Wir wollen heute Abend zu einem Club, indem der Chef unsere Drogen kauft. Er selber vertickt diesen weiter an seine Kunden um noch mehr „Spaß“ zu verteilen. Ich hasse diesen Mann aber seine Freundin ist ganz nett. Ich bin der Part, der die Frauen beschäftigt, während sich die Männer um das Geschäft kümmern.

Eigentlich freue ich mich schon auf den Abend aber so wie Sebastian schaut, wird das wohl eher problematisch.

„Du willst sie hier raus lassen?“, nervös blicke ich zwischen den Jungs hin und her. Dagegen lehnt sich Chris nur lässig zurück und beobachtet entspannt das Geschehen.

„Sebastian, das geht dich einen Scheißdreck an, was wir machen. Misch dich nicht in Angelegenheiten ein, die dich nichts angehen.“ „Mich geht das Ganze sehr wohl etwas an. Oder hast du deine Befehle schon vergessen?“ „Zufälligerweise, habe ich sie nicht vergessen, dennoch ist es kein Grund sie hier einzusperren.“, René wird lauter, lehnt sich mittlerweile schon über den Tisch. Ich bin heilfroh, dass der Tisch so breit ist, dass sie sich nicht berühren können, auch wenn sie es darauf anlegen.

Chris grinst derweil nur breit und lacht in sich hinein. „Das wird lustig“, formt er mit den Lippen und ich kann nur fassungslos den Kopf schütteln.

„Wir sperren sie hier nicht ein! Sie kann sich frei bewegen, kann nach draußen gehen und machen was sie möchte.“, zischt Sebastian „Ach ja? Dann kann ich sie heute ja mitnehmen.“, grinsend und siegessicher, sieht René Sebastian an.

„Und was ist, wenn sie abhaut?“, Sebastian lässt nicht locker. Doch René verdreht nur genervt die Augen. Ich kenne ihn zu gut. Er wird nicht nachgeben und erstrecht nicht auf Sebastian hören.

„Das wird sie nicht.“, dass er mir so vertraut, versetzt mir einen Stich. Es war mein Vorhaben abzuhauen, sobald er mich allein lässt. „Außerdem bin ich ja auch noch dabei.“, grinst nun Chris und wackelt mit den Augenbrauen.

„Ein sehr schwacher Trost, Chris.“, giftet Sebastian. „Ach du bist ja nur sauer, weil du nicht mit dabei sein wirst.“, grinst Chris und Sebastian holt nur wütend Luft. Doch zu einer Antwort kann er nicht mehr ansetzten.

In dem Moment setzt sich das Ehepaar an den Tisch und der Mann räuspert sich sehr laut.

Wir haben nicht mitbekommen, dass die Oberhäupter eingetreten sind. Haben nicht mitbekommen, dass es still in dem Raum wurde. Haben nicht mitbekommen, dass uns alle anstarren.

Ich merke, wie ich rot werde und starre schnell auf meinen Teller.

Meine Gläser sind schon mit Wasser und Wein gefüllt. Die Anderen haben sogar schon Essen auf den Tellern. Wie lang ist das Ehepaar schon hier?

Nervös rutsche ich auf meinen Stuhl hin und her und wünschte mir nichts mehr, als im Erdboden zu versinken.

Doch die angespannte Stimmung kippt schnell wieder und alle fangen an zu essen und zu reden. Der Raum wird von Gemurmel und Lachen erfüllt und ich wende mich ebenfalls dem Essen zu.

René und Sebastian streiten sich derweil weiterhin und ich bekomme das Gefühl, dass Sebastian irgendeinen komischen Besitzanspruch auf mich ausüben möchte.

Ein Lichtblick dieses Essens ist Chris, der immer wieder lustige Gesten macht, wenn Sebastian spricht oder die Rothaarige irgendwelche Bemerkungen macht.

Als sie anfängt zu schmollen, weil Sebastian sie nicht beachtet und Chris dazu nur ein weinendes Baby nachmacht, muss ich so heftig lachen, dass ich von Einigen komisch angesehen werde. Ich bin selbst überrascht in dieser Situation lachen zu können.

 

So verläuft das Essen weiter, bis das Ehepaar aufsteht und sich danach die Gesellschaft anfängt, sich aufzulösen.

„Sebastian, du kannst noch weiterhin mit mir diskutieren aber ich gehe mit June weg.“, damit steht René auf und verlässt den Raum. Ich mache es ihm nach, bevor Sebastian noch etwas zu mir sagen kann.  

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Tag der Veröffentlichung: 28.11.2018

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