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Umgezogen



Ein Telefonat mit einer Freundin meiner Lebensabschnittsgefährtin:

Sie: „Du bist umgezogen wie ich sehe.“
Ich: „Stimmt, ich hab in der Tat andere Klamotten an als heute morgen noch.“
Sie: „Idiot, du weißt wie ich das meine. In deiner neuen Wohnung brennt jetzt jeden Abend Licht, ich kann das von meinem Schlafzimmer aus sehen.“

Sie hatte Recht. Mir war es wirklich gelungen. Ich bin umgezogen. Aber bis dahin war es ein weiter Weg.

Man macht sich ja gar keine Gedanken, was so alles schief laufen kann beim Wechsel von Wohnung A zu Wohnung B. Das ging bei mir schon bei der Auswahl des neuen Domizils los. Schritt Eins: Tageszeitungen nach passenden Angeboten durchforsten. Schritt Zwei: Angegebene Telefonnummern notieren und anrufen, Termine zur Besichtigung vereinbaren. Schritt Drei: Termine hin und her verschieben, weil dem Vermieter bzw. jetzigen Bewohner etwas dazwischen gekommen ist. Erste Absagen erhalten, weil irgendjemand früher da war.

Soweit alles noch nicht spektakulär. Der Spaß beginnt so richtig, wenn man einen endgültigen Termin abmachen konnte und auch wirklich eine Wohnung in Augenschein nehmen darf.

Ich schätze, ca. 99,9 % aller Menschen, die eine Wohnung vermieten wollen, räumen diese vor der Ankunft des potentiellen Neumieters auf. Meine erste Besichtigung war bei einem Vertreter der 0,1% Gattung. Während ich durch den Unrat watete, der sich auf dem gesamten Teppichboden verteilt hatte, verfolgte mich stets die Angst, dass eine Hand aus dem Dickicht nach mir schnappen könnte und mich mit in die Unterwelt zieht.

Mein Gastgeber (ca. 40, 1,80 groß und auch genauso breit) nahm das aber wohl eher locker, genau wie die eigene Körperhygiene. Es mag sein, das ein solch animalischer Geruch auf eine bestimmte Unterart von Seeottern zur Brunftzeit anziehend wirkt, ich empfand die Düfte eher als abstoßend.

Wohnung Zwei war da schon ansprechender, auch von der Person her, die sie mir präsentierte, war alles bestens. Welcher Mann hat schon ernsthaft etwas gegen eine Dame Mitte 20 im Minirock einzuwenden? Ein paar Einwände hatte ich aber gegen die Behausung, die mir hier feil geboten wurde: Weniger von der Wohnung her, und auch nicht vom Preis – aber die Lage war doch schon – sagen wir – etwas ungünstig. Wobei die Wohnung sicher viele Vorteile hat, wenn man viel unterwegs ist. Ich denke, dann wird man die Nähe des Flughafens und der Autobahn sehr zu schätzen wissen. Und auch für Autisten mit dem Drang, die Lande- und Abflugzeiten möglichst genau zu kennen, ist dies der ideale Platz. Bei dem ohrenbetäubenden Lärm verpasst man bestimmt keinen verzögerten Start mehr, und hat auch immer im Blick, wann die 17.15 Uhr Maschine aus London wirklich landet.

Der dritte Versuch brachte aber endlich eine Wohnung mit akzeptablen Preis, freundlichem Vermieter und akkuratem Zustand. Auch die Lage war ideal für mich. Mit der Kündigung meiner alten Wohnung war also der erste Akt des Dramas „Umzug“ erledigt.

Jetzt ging es nämlich daran, zum Tag X alle meine Habseligkeiten in Kartons zu verstauen, die Möbel abzubauen, meine Helfer bei Laune zu behalten und alles in den eigenen und gemieteten Fahrzeugen zur neuen Bleibe zu transportieren. Auch hierbei können sehr viele sehr schöne Situationen auftreten. Wählen Sie doch einfach Ihren Liebling aus:

a) Der aufdringliche Hausmeister

Etwas was sicherlich jeder schon erlebt hat, der einmal eine schwere Kiste getragen hat: Gefühlt wird diese Kiste immer schwerer in den Händen, wenn man auf der Stelle steht und nicht so Recht voran kommt. So erging es mir im Treppenhaus vor meiner neuen Wohnung bei der ersten Begegnung mit dem Hausmeister der Anlage:

„Ah, sie ziehen jetzt hier ein ja?“

Auch wenn einem eine Antwort wie: „Nein, ich trage einfach gern schwere Kisten durch die Weltgeschichte“ auf der Zunge liegt, man will ja einen guten Eindruck hinterlassen bei seinen neuen Nachbarn und presst daher nur ein leises „JA“ hervor. In meinen Händen war in diesem Fall dabei ein ca. 25 kg schwerer Karton mit Geschirr, den meine Freundin auch wirklich bis oben hin bepackt hatte. Habe Mühe, das Ungetüm zu kontrollieren. Warum hat Gott dem Mensch eigentlich zur zwei Hände mitgegeben? Wahrscheinlich hatte er bei der Schöpfung Umzüge nicht vorgesehen.

Die Konversation mit dem Hauswart war aber hier noch nicht zu ende. Während ich versuchte, aufgrund der Gewichtsbelastung das Gespräch so knapp wie möglich zu halten, setzte er immer wieder neu an. Der Karton wurde schwerer und schwerer...

„Wissen Sie, die Müllabfuhr kommt bei uns immer Freitags. Denken Sie bitte daran, dass Sie alle vier Wochen an der Reihe sind, die Tonnen an die Straße zu fahren.“


„Ja, werde ich machen.“ (Der Karton fühlte sich noch an wie mit 25 kg Geschirr gefüllt.)

„Ich mache da auch immer einen Plan fertig, der hängt unten im Hausflur. Und ich werfe auch jedem einen Plan in den Kasten. Zusammen mit der Hausflurreinigung und Plan zur Schneeräumung.“

„Alles klar.“ (Der Karton hatte inzwischen ein empfundenes Gewicht von 50 kg und drohte unten zu brechen. Versuchte die Sollbruchstelle mit meinem kleinen Finger zu stützen.)

„Wir achten hier im Haus sehr auf Sauberkeit und Ordnung.“

„Das ist zu begrüßen.“ (Fühle mich, als ob ich 100 kg Backsteine in Händen halte. Ziehe das Knie zur Stützung der Last hinzu.)

„Ich kümmere mich auch persönlich um die Pflege der Grünanlagen hier ums Haus. Auch die Fußwege rundherum säubere ich schon seit Jahren und wurde dafür schon mehrfach vom Vermieter gelobt. Zudem erhielt mein Rosenbeet auch einen Preis vom Fachmagazin „Blume heute“ im letzten Jahr.“

„Das ist ja schön.“ Im selben Moment zerbrach der Umzugskarton in meinen Händen und meine Teller und Tassen zerlegten sich in viele Einzelteile, die sich quer über den Hausflur verteilten. Während ich einigermaßen entgeistert den Boden vor mir betrachtete, fügte mein neuer Freund, der Hausmeister, nur noch hinzu:

„Oh, ich sehe, sie haben noch zu tun. Ich gehe dann mal.“

b) Die neugierige Nachbarin

Ebenfalls immer wieder gern genommen: Während man gerade dabei ist, sämtliche Möbel wieder aufzubauen und neu anzuordnen, platzt ungefragt die Nachbarin aus der Wohnung gegenüber durch die offene Korridortür hinein. Per Naturgesetz ist diese Frau alleinstehend, über 50 und trägt einen Blümchenkittel.

Diese Frau scheint ausschließlich deswegen auf der Welt zu sein, um im Weg zu stehen. Ohne weitere Aufforderung gibt sie launische Kommentare zur Inneneinrichtung ab („oh, wollen Sie diese Gardinen denn wirklich HIER aufhängen?“ oder „Na, das Sofa hat aber auch schon einige Jahre hinter sich, was?“) und treibt so die meist eh schon angespannte Stimmung unter den Beteiligten weiter in Richtung kollektiver Amoklauf.

c) Mein Freund, der Handwerker

Vor dem Umzug habe ich überlegt, zum Transport und Abbau der Möbel einen professionellen Umzugsdienst zu engagieren. Der Bruder meiner Freundin aber meinte, er würde das schon hinbekommen, er habe schließlich auch neulich ein neues Gewürzregal zusammengeklöppelt. So einen Handwerkerfreund hat wohl jeder im Bekanntenkreis. Problem: Er überschätzt sich und seine Fähigkeiten stets um mindestens 100%. Das fällt immer dann auf, wenn das erste Scharnier abgebrochen oder die Arbeitsplatte der Küche mit sehr viel Krafteinsatz in zwei unbrauchbare Einzelteile zerlegt wurde. Der Handwerker geht in diesem Fall natürlich von einem unbedeutenden Zwischenfall aus und erledigt weiter alles was getan werden muss. Am Ende seines Schaffens räumt die restliche Umzugscrew das Trümmerfeld auf und sucht das nächste Möbelhaus zwecks Neuausstattung auf.

Am Ende des Umzugs schwört man sich meist, diese Arie nicht noch einmal mitzumachen und jetzt einfach bis zum Ableben genau hier wohnen zu bleiben. Meist verwässern aber die Erinnerungen nach 5-10 Jahren und der Wunsch nach einer größeren/kleineren/billigeren/schöneren Wohnung wächst. Das Spiel beginnt von vorn und kostet einen erwachsenen Menschen geschätzte 2-5 Jahre Lebenserwartung.

Ich habe aber auch schon von Menschen gehört, die gern umziehen. Meiner Meinung nach können das aber nur Masochisten sein.

Herausforderungen der Menschheit



Der Mensch. Homo sapiens. Krone der Schöpfung. Er bezwang das Feuer und lernte es zu beherrschen. Er bekämpfte wilde Tiere und mache sie sich untertan. Er erfand und entwickelte neue Technologien, die seinen Alltag und seine Evolution beschleunigten. Er trieb sich selbst zu immer neuen geistigen Höchstleistungen und brachte fast jeden Tag Neues, Ungeahntes hervor. Er entdeckte den praktischen Nutzen der Elektrizität und machte so die Nacht zum Tag. Er bereiste die Weltmeere und eroberte den Luftraum, nur um noch weiter hinaus zu gelangen, bis ins Weltall hinein.

Ich bin ein direkter Nachfahre dieser Champions. Aber ich kann das selbst gerade nicht glauben, denn ich stehe mitten in der Augsburger Innenstadt in einer Drogerie und scheitere daran, den richtigen Badreiniger auszuwählen. Solche Probleme hatten die Neandertaler nicht. Die hatten ihre Höhle und ihren Speer, aber kein in „Chamonixweiß 827“ gekacheltes Bad mit freistehender Wanne und Brausekopf „Ultraserie 2500“.

Meine existenziellen Fragen drehen sich jetzt also nicht darum, ob der Säbelzahntiger mich zuerst erwischt oder ich ihn – sondern ob ich den Schaumreiniger mit der Supersauberformel wählen soll oder doch lieber den angenehm duftenden Citrusreiniger mit neuer Rezeptur. Vielleicht ist aber auch die Flasche mit dem Glatzkopf genau die, nach der ich gesucht habe?

Früher war das Leben anders. Überleben oder eben nicht. Heute bin ich mir zwar ziemlich sicher, dass ich auch ohne Badreiniger weiter existieren könnte – aber wer will schon, dass die Nachbarn bei der nächsten Grillfeier die eigenen Waschräume stark verschmutzt vorfinden? Da möchte man dann vor Scham doch auch am liebsten gleich tot unter der Erde liegen.

Mein Sonntagmittag



„Ich möchte, dass wir auch mal wieder etwas zusammen unternehmen“ - wenn man als Mann diesen Satz vernimmt, und dazu noch aus dem Mund seiner Lebensabschnittsgefährtin, dann weiß man, es wird Zeit sich um die eigene Beziehung zu kümmern, außer man ist scharf darauf in naher Zukunft seine Klamotten im Garten verstreut aufzufinden.

Daher bleibt dem Mann in dieser Situation nur noch ein Satz: „Was möchtest du denn gerne machen Schatz?“ In einer perfekten Welt würde sie jetzt sagen: „Lass uns zwei Karten für das Bundesligaspiel an der Tageskasse holen“ - aber die Welt ist nicht perfekt. In einer schönen Welt würde sie sagen: „Komm, wir gehen in den Park, da kannst du dich auf eine Decke legen und schlafen und ich lese etwas“ - aber die Welt ist nicht schön. Stattdessen vernehme ich: „Es sind doch Literaturtage in der Stadt. Auf der alten Freilichtbühne lesen heute junge Autoren aus ihren Werken vor.“

Was tut man nicht alles für seine Angebetete. Außerdem kann ich da vielleicht auch eine Mütze voll Schlaf nehmen wenn ich es geschickt anstelle. Die alte Freilichtbühne liegt in einem Kurpark unweit unserer Wohnung, aber als wir dort ankommen ist noch keine Menschenseele in Sicht. Kein Wunder, in dieses zugewachsene Naturparadies haben sich wohl auch schon lang keine Menschen mehr getraut. Ich wünsche mir ein Buschmesser herbei, um uns einen Weg zu bahnen.

Die Freilichtbühne sieht auch nicht viel besser aus. Unweigerlich muss ich an die immer mal wieder im Fernsehen und in der Zeitung auftauchenden Berichte denken, dass den Städten das Geld fehlt, um sich um ihre kulturellen Anlagen zu kümmern. Dies wäre ein idealer Schauplatz um dieses Dilemma zu verdeutlichen.

Fragend schaue ich meine Liebste an: „Meinst du wirklich, dass wir hier richtig sind?“ „So stand es in der Zeitung“ entgegnet sie mir, als ein kleiner Trupp Menschen ebenfalls auf die Szenerie zusteuert. „Ah hallo, wer sind denn sie?“ hallt es uns entgegen. „Gäste“ antworte ich knapp. „Ah ja, schönen guten Tag, es geht gleich los, es sind nur noch nicht alle Autoren da.

Nun gut, der Termin für diese Veranstaltung steht auch erst seit 2 Monaten fest, da wäre es natürlich absolut vermessen zu erwarten, dass 40 Minuten vor Beginn alles fertig organisiert ist. Aber das man mir sofort einen Karton mit Gläsern in die Hand drückt finde ich dann doch sehr ungewöhnlich.

Eintritt soll die Chose ja auch noch kosten. Also steuere ich auf den Kassenwart zu, nachdem er sich am Eingang häuslich eingerichtet hat. „Zweimal bitte“ - eine routinierte Gesprächseröffnung, die ich schon an diversen Kassenhäuschen perfektioniert habe. Dennoch entwickelt sich das hier noch etwas anders als sonst üblich.

Schritt 1: Der Kassierer vergewissert sich noch einmal kurz. „Ewald, 8 Euro pro Person oder?“ „Ja, genau.“

Schritt 2: Ich lege 20 Euro auf den Tisch und erwarte meine 4 Euro Wechselgeld.

Schritt 3: Ich erhalte 4 Euro zurück. Eigentlicher Abschluss der Transaktion.

Schritt 4: Kassierer kramt weiter in seiner Box und beginnt damit, Unmengen von Kleingeld vor mir auszubreiten.

Schritt 5: Ich schaue verwirrt.

Schritt 6: Ich schreite verbal ein. „Ich wollte doch zwei Eintrittskarten, das ist doch schon richtig so.“

Schritt 7: Kassierer schaut verwirrt.

Schritt 8: Nochmalige Rückversicherung. „8 Euro pro Person Ewald?“ „Ja, genau.“

Schritt 9: Endgültiger Abschluss des Geschäfts. Zwei Karten für insgesamt 16 Euro wechseln den Besitzer.

Leicht irritiert suchen wir uns einen Sitzplatz. Nach und nach strömen auch weitere Gäste und wohl auch einige der Autoren heran. Derweil bekomme ich eine trockene Kehle. Daher mache ich mich erneut zu meinem Freund, dem Kassierer, auf, um nach Getränken zu fragen.

„Oh ja, wir haben beide Sorten von Getränken da. Rot- und Weißwein.“

„Ähm, naja, hätten Sie vielleicht auch ein Wasser?“

„WAS-SER? OH!“

Das sollte wohl nein heißen. Ich beschließe, diese Episode zu verdrängen und mich wieder zu setzen. Neben uns haben eine junge Dame und ein junger Herr asiatischer Herkunft Platz genommen, die allein von ihrer Ausrüstung her das komplette chinesische Staatsorchester bilden könnten. Ich entschließe mich zu einer spontanen Konversation mit den beiden:

„Machen Sie hier gleich Musik?“ Nur fragende Gesichter als Antwort. „Hum, do you play music here?“ Die Mimik ändert sich nicht. Ich versuche, meine Frage mit Händen und Füßen verständlich zu machen, doch die Gesichter der beiden verfinstern sich nur weiter. Womöglich habe ich aus Versehen eine Geste erwischt, die in ihrem heimischen Kulturkreis so etwas wie „Hühnerficker“ bedeutet. Komme zu dem Schluss, das es besser ist, meinen Kommunikations­versuch hier ad acta zu legen.

Währenddessen ergreift vorn einer der Herren das Wort. Er stellt sich als Vorsitzender des veranstaltenden Vereins vor, begrüßt die Gäste und die Autoren. Zumindest diejenigen, die anwesend sind.

„Seit rund 15 Jahren veranstalten wir nun unsere Literaturtage, aber es ist uns bisher noch nie passiert, dass gleich drei der eingeladenen Autoren absagen mussten. Kandidat Nummer Eins zieht gerade um, Kandidatin Zwei feiert lieber Geburtstag bei ihrem Nachbarn und Kandidat Drei hat heute Waschtag. Dennoch hoffe ich, dass Ihnen die Beiträge der verbliebenen Autorinnen und Autoren gefallen werden.“

Er bittet nun den ersten Dilenquenten nach vorn, der auch gleich ohne Umschweife mit seiner Geschichte beginnt. „Ich fühle mich, wie ein Wassertropfen, stetig höhle ich den dunklen Stein der Welt aus, ich spüre ihre Kälte an mir, wünschte ich könnte ein Sonnenstrahl sein...“ Fühle mich an Loriots' „Trübtauber Hain am Musenginst, Krawehl, Krawehl!“ erinnert.

Normalerweise schaue ich immer etwas fern um besser einschlafen zu können. Das hier ist besser. Innerhalb weniger Minuten bin ich eingenickt. Und noch besser: Meine Freundin scheint es nicht zu merken. Oder sie ist auch eingeschlafen, das weiß ich nicht. Aber immerhin wache ich genau dann passend auf, wenn geklatscht wird. So mache ich wohl auch auf die anderen Zuhörer den Eindruck eines interessierten Gastes, der die Augen schließt, um sich ganz auf die Texte konzentrieren zu können.

Dabei bin ich ein unkonzentrierter Gast, der die Augen schließt um zu schlafen und um im Traum die aktuelle Bundesligatabelle durchzugehen.

Irgendwann brandet noch einmal großer Applaus auf, jemand hat wohl einen Preis bekommen. Ich klatsche eifrig mit. Der Ausgezeichnete war auch von Anfang an mein Favorit. Die Veranstaltung löst sich langsam auf, und auch wir machen uns wieder auf den Heimweg. „Na, hat es dir gefallen?“ fragt meine Freundin.

„Ja“ sage ich zustimmend und denke mir „ein wenig geschlafen und zudem noch meine beziehungstechnischen Verpflichtungen erfüllt. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.“

Alles in allem also ein schöner Sonntagmittag.

König Kartoffelkopf



Auf seinem Heimweg von der Arbeit nahm Werner häufig eine Abkürzung durch den Stadtpark, wenn er zu Fuß unterwegs war. Seine Wohnung lag nicht weit entfernt und so hatte er wenigstens etwas Bewegung, wo er doch schon fast komplett auf sonstige sportliche Aktivitäten verzichtete.

Vor einiger Zeit hatte die Stadt ein kleines Podest und einige Sitzbänke davor im Park hergerichtet, um hier wichtige Persönlichkeiten große Reden schwingen zu lassen. Außerhalb von offiziellen Anlässen stand es aber auch jedem Bürger frei, hier öffentlich seine Meinung preis zugeben. Eine Art „Speaker's Corner“ also. Im Normalfall sprach hier zwar ab und an jemand zu den Menschen, wenn er hier vorbeiging, aber fast niemand hörte zu.

An diesem Tag war dies anders. Eine große Menschenmenge hatte sich vor der kleinen Bühne versammelt und lauschte andächtig den Worten des Sprechers darauf. Von Neugier geplagt entschloss er sich, ebenfalls zuzuhören.

„Liebe Mitmenschen! Das Ende der Welt ist nah! Und unsere bisherigen Führer sind nicht in der Lage, das Unheil abzuwenden. Schaut sie euch doch nur an! Statt etwas zu bewegen, faseln sie den lieben langen Tag über Spargel, Urlaubsreisen oder die Wassertemperatur in Ascona!“ Die Menschen jubelten dem Redner zu. Eine Portion Populismus hat noch nie geschadet, dachte Werner und grinste.

Der Redner ließ den Jubel verstummen und setzte dann zur Fortsetzung an. Er trug ein wallendes, weißes Gewand, einen langen gräulichen Bart und wirkte auch in seiner Mimik und Gestik wie ein Prediger aus einem alten Bibelfilm.

„Wir dürfen uns nicht länger ziellos führen lassen, so wie es bisher geschehen ist! Keiner, und ich wiederhole es noch einmal, wirklich K-E-I-N-E-R, hatte bisher eine Antwort auf die Fragen dieser Welt. Egal, welcher Regierung oder welchem Glauben die Menschheit bisher nachgelaufen ist, es endete stets im Unheil. Es ist Zeit für einen Wechsel!“ Wieder brach großer Jubel unter den Anwesenden aus, und immer mehr Menschen strömten heran.

„Das ist es was wir brauchen liebe Leute! Den Wechsel! Weg von Demokratie, Kommunismus, Diktatur – weg von Christentum, Buddhismus und Islam. Hin zu einer ganzheitlichen Führung unter unserem neuen König – König Kartoffelkopf!“

Viele der Anwesenden jubelten laut nach diesen Worten. Werner hingegen stutze. „Hat er das gerade wirklich gesagt?“ ging ihm noch durch den Kopf, als der Prediger auch letzte Zweifel beseitigte:

„Die wahren Herrscher dieser Welt sollten die Kartoffeln sein! Von Ihnen ging noch nie ein Krieg aus! Sie liebten stets den Frieden und die Freiheit im Einklang mit der Natur! Sie sind der Weg!“

Unter großen Beifall ging so seine Rede zu Ende – Werner schüttelte sich danach erst einmal einen Moment. „Was war das denn jetzt?“ stand praktisch in riesengroßen Leuchtbuchstaben auf seiner Stirn.

Eine junge Frau kam lächelnd auf ihn zu. „Na, hat dir die Rede von Prediger Huppert gefallen?“ fragte sie Werner direkt. „Hmm, ja, wie soll ich sagen“ stotterte er, während er dachte „wie soll ich dir jetzt freundlich aber bestimmt sagen dass das totaler Hirnschiss war?“

Doch die junge Frau ließ ihn erst gar nicht weiter zu Wort kommen. „Wir sind die Kartoffelianer“ sagte sie, „und mein Name ist Sabrina. Wir sind davon überzeugt, dass die Kartoffel Ursprung allen Lebens ist und auch der Mensch aus einer Kartoffel entstand und nach seinem Tod auch wieder eine wird.“

„Aha“ meinte Werner skeptisch. Dabei suchte er im Augenwinkel nach einem Notausgang aus diesem Gespräch und/oder einer versteckten Kamera.


„Wir sind überzeugt davon, dass wir von Kartoffeln regiert werden sollten.“

„Werden wir das nicht eh schon?“ Leider war nie jemand aus seinem Bekanntenkreis in der Nähe, wenn Werner einmal einen guten politischen Witz machte.

„Nein, nein, du verstehst nicht“ meinte Sabrina, „wir brauchen den Wandel. Hin zur Kartoffel. Hin zu König Kartoffelkopf!“

Kopfschüttelnd verließ Werner die Szenerie, allerdings nicht ohne noch ein zünftiges „Spinner“ zu zischen.

Doch schon wenige Wochen später waren die Zeitungen und Nachrichtensendungen voll von dieser neuen Bewegung, die immer mehr Menschen in ihren Bann zog. Eine Zeitung, die sich Werner gekauft hatte, druckte sogar die Gebote dieser wunderlichen Vereinigung ab:

1. Du sollst alle Kartoffeln lieben und ehren und nicht verzehren.
2. Dein einziger Herr ist König Kartoffelkopf.
3. Setze dich für ein Ende der frevelhaften Kartoffelhaltung ein.
4. Dein Anfang und dein Ende ist die Kartoffel.
5. Liebe deine Mitkartoffeln!
6. Strafe all diejenigen, die nicht an die Kartoffel glauben wollen.
7. Dein gesamter weltlicher Besitz ist wertlos. Überschreibe ihn der Kartoffelkirche.

Wütend warf Werner die Zeitung weit von sich und schaltete den Fernseher ein. Aber auch dort gab es kein Entrinnen: Der Prediger Huppert, den Werner noch vor kurzem im Park gesehen hatte, wurde in eine Talkshow eingeladen.

„Herr Huppert, wie stehen sie zu den Vorwürfen, ihre Vereinigung sei eine sektenähnliche Organisation, die die Weltherrschaft an sich reißen will?“

Huppert lächelte überlegen. „Ach wissen Sie, mit diesen Anschuldigungen lebe ich, seitdem mich der heilige Kartoffelkopf erleuchtet hat. Letztendlich ist es doch so, jeder Mensch glaubt an irgendwas. Da ist es doch eigentlich egal, ob das jetzt Gott, Allah, Buddha, Thetan oder König Kartoffelkopf ist oder? Das Leben der Menschen wird sich durch unsere Bewegung nur verbessern, nicht verschlechtern. Das verspreche ich Ihnen hier in die Hand.“

Werner konnte das nicht mehr mit ansehen. Er schaltete den Fernseher aus und schaute aus dem Fenster, wo er gerade eine jubelnde Menge zu einer Kartoffelmesse ziehen sah. „Man muss es nur gut verpacken,“ dachte Werner „dann glauben die Menschen auch den letzten Mist.“

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Tag der Veröffentlichung: 02.01.2009

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