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Ich räkele mich schläfrig auf dem Sessel und blinzele eigentlich eher zufällig, ganz kurz, mit einem halben Auge, zum Sofa. Das steht im hellen Sonnenlicht. Eingesäumt von Grünpflanzen, steht dort das herrlich weiche, gemütliche Sofa, auf dem Frauchen schon mal so rumliegt. Winzige Staubteilchen tanzen über dem Sofa in der Luft umher. Es sieht warm und weich aus, dort drüben. Ich stelle mir die Sonne auf meinem Fell vor, dieses angenehme Prickeln auf dem Rücken. Oder auf dem Bauch, wenn ich mich auf den Rücken rolle und alle Viere ausstrecke.
Frauchen hat mir streng verboten, ihr Sofa anzufassen. Sie wird immer ganz energisch und ruft Sachen wie „Lass das“, oder „Das ist mein Sofa, geh runter da!“, wenn ich Ihrem Sofa zu nahe komme. Zum schlafen darf ich sogar zu ihr ins Bett kommen, aber das mit dem Sofa ist wohl eine andere Sache.
Allerdings sind Sofa und ich gerade allein in der Wohnung. Ganz allein. Keiner würde was merken. Oder doch?
Vom Sessel zum Sofa ist es nur ein kleiner Sprung, kein Problem für mich. Ich sitze mitten auf dem Sofa und rutsche ein wenig hin und her mit meinem Po. Fühlt sich weich und gemütlich an. Genau so hatte ich mir das vorgestellt. Ganz behutsam drücke ich eine kleine Delle neben meinen Sitzplatz. Ist schon ein komisches Gefühl, in so ein Sofa zu drücken. Ich lege ich mich hin und bin schon wieder müde.
Aus dem Sofa steigt mir ein Duft in die Nase, der mich auf eigenartige Weise an Futter erinnert. Ich bekomme Hunger. Es riecht nach Draußen, nach Futter, nach Jagd, nach ... Beute? Begierig atme ich mehr davon ein und schließe die Augen. Ich liege plötzlich flach und eng an den Boden gepresst im Gras. Alle Sinne sind angespannt auf einen kleinen, schwarzen Vogel vor mir gerichtet. Der Vogel sucht unbekümmert nach Futter. Ich bin aufgeregt, das Herz klopft mir bis in die Ohren. Ständig muss ich schlucken, bloß jetzt nicht durch eine falsche Bewegung in letzter Sekunde alles vermasseln! Ich MUSS diesen Vogel fangen! Als hängt mein Leben davon ab, diesen einen Vogel zu bekommen, bereite ich mich auf den Sprung vor. Langsam, ganz langsam, kralle ich meine Hinterbeine ins Erdreich und spanne meine Muskeln an, bereit für den alles entscheidenden Sprung. Dann stoße ich mich ab. Schon im Flug strecke ich die Vorderbeine mit weit ausgefahrenen Krallen aus. Jahaa, ich krieg ihn! Der Vogel sieht mich aus dem Augenwinkel heraus und setzt panisch zu einem Fluchtversuch an. Erfolglos, denn ich rase mit Schallgeschwindigkeit, während meine Beute durch Gelee watet. Mit einer kleinen, tausendmal eingeübten Bewegung meines Schwanzes, korrigiere ich die Flugbahn. Der Sprung endet genau über dem Vogel. Meine Fänge nageln ihn am Boden fest. Dort, wo meine Krallen Gefieder und Haut durchstoßen, bilden sich winzige Krater mit blutigem Grund. Mit wildem Fauchen schreie ich meinem vor Entsetzten und Todesangst starren Opfer Angriffslust und Gefährlichkeit entgegen. Überwältigt davon, in einem Kampf auf Leben und Tod wieder einmal Sieger zu sein, genieße ich das berauschende Gefühl von Stärke und Macht. Der Geruch von Angst und Blut macht mich rasend. Mit entblößten Fangzähnen werde ich meine Beute im nächsten Moment mühelos in Fetzen reißen.
In einem verzweifelten Aufbäumen versucht der Vogel sich zappelnd zu befreien. Er hat keine Chance, meine Krallen bohren sich noch fester in seinen Körper. Ich schließe die Augen und beiße, so fest ich kann, zu.
Ich reiße und beiße, fetze und breche wie von Sinnen, bis von dem kleinen Körper unter mir nur noch ein Haufen zerfetzter Lederstücke übrig ist.
Lederstücke? Vögel haben doch Federn?
Verwirrt und ungläubig starre ich auf das zerfetzte Sofa. Es ist an mehreren Stellen aufgerissen und überall quillt Füllmaterial aus seinem Bauch.
Meine Schläfen pochen, Panik befällt mich. Ich fühle wie Hitze und Schweiß in mir aufsteigen und bekomme feuchte Pfoten. Ich habe Angst und fühle mich irgendwie beobachtet. Das Sofa ist kaputt! Nicht irgendein Sofa, nein! Das Eine, das Wichtige, das Lieblingssofa von Frauchen!
In diesem Moment höre ich ein Fahrrad vor der Haustür.
Weg, nur weg! Aber wohin ? Als die Haustür aufgeht, stürme ich kopflos zwischen zwei Beinen hindurch ins Freie. Ich renne und renne, will möglichst weit weg.
Weg vom Sofa, das ich trotz Verbot kaputt gemacht habe. Weg von meinem Zuhause, wo ich bestimmt nicht mehr bleiben darf. Ich renne über die Straße, ich renne über Felder und Wiesen. Meine Lunge brennt und mein Atem rasselt, schließlich bekomme ich noch heftige Seitenstiche. Irgendwann kann ich einfach nicht weiter, bleibe erschöpft stehen, atemlos und mit zitternden Beinen.
Ich weiß nicht wo ich bin, die Gegend ist mir völlig fremd.
Wenn ich nach oben schaue, sehe ich die Wipfel großer Bäume. Es wird kälter. Ich friere. Und ich habe Hunger. Langsam fällt die Anspannung von mir ab und ich kann wieder klare Gedanken fassen. Ich bin eine Hauskatze, bin weit weg von Zuhause und will zurück!
„Geht nicht“, sage ich mir, „Du hasst Scheiße gebaut und wenn du jetzt zurückgehst, gibt es richtig Ärger.“
Traurig und mit hängendem Kopf trotte ich weiter in den Wald. Ich kann nicht nach Hause zurück und alles nur wegen dem ollen Sofa.
Allerdings, falls ich erst Morgen früh wiederkomme und sich inzwischen alle Sorgen um mich machen, das wäre natürlich was anderes, das könnte gehen. Zuerst finde ich die Idee ziemlich bescheuert, dann ist sie gar nicht mehr so schlecht. Schließlich bin ich mir sicher, das ich aus der Sache gar nicht anders herauskommen kann. OK, ich muss eine Nacht draußen schlafen, das ist für einen Kerl, wie ich es bin, kein Problem. Genialer Plan, allerdings war da noch die Sache mit dem Hunger, der sich inzwischen deutlicher meldet als eben noch. Heftig erinnert er mich an die Tatsache, das regelmäßige Fütterungen überaus angenehm sind und mit der Zeit erst wieder auffallen, wenn sie eben ausbleiben.
Schlechtgelaunt, müde und hungrig rolle ich mich unter einem Busch zusammen und schlafe bald darauf ein.
Ich träume von einem vollen Futternapf, einem warmen Ofen und einem weichen Schlafplatz auf ... einem Sofa.


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Tag der Veröffentlichung: 08.09.2011

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