1. Kapitel
Der Sprung ins nichts
Ich stehe hier oben an der Brücke. Unter mir ist eine voll befahrene Autobahn.
Ich klettere über das Geländer. Ich bin zwar vorsichtig, aber wild entschlossen. Ich schaue noch einmal nach unten.
Sehe die schnell vorbei fahrende Autos und denke mir >>Wenn ich dass mache bin ich nie wieder da!
Was solls. Ich bin für jeden nur Luft. Es würde eh niemanden interessieren, wenn ich jetzt auf einmal nicht mehr da wäre.
Höchstens meinen Vater. Aber der wäre nicht traurig sondern würde sich freuen. Ich war ihm immer ein Stein im Weg. Er wollte mich damals nie haben. Sein Wunsch war ein Junge, der tut was er sagt und nicht so ein aufmüpfiges Mädchen wie mich.
Ich gehe ein weiteres mal alle Leute hindurch die mich vermissen KÖNNTEN. Meine Mutter. Ja wenn sie noch leben würde, wäre sie es sie, die vor Trauer sterben würde, wenn ich nicht mehr da wäre, aber das ist sie nun mal nicht.
Sie ist tot. Wurde von einem Auto angefahren und ist dann nach einem wochenlangem Kampf im Krankenhaus an ihren schweren Verletzungen gestorben. Sie ist nach einem Streit mit meinem Vater einfach hinausgerannt und wollte über die Straße. Sie hatte dabei vergessen nach links und rechts zu schauen.
Seit dem geht es mir in meiner "Familie", die eigentlich keine mehr ist, da mein Vater alles kaputt gemacht hat, immer schlechter. Mein Vater spielt den großen Herrscher. Ich hatte seit dem Tod von meiner Mutter kein einziges mal mehr eine Freundin getroffen. Er hat mir alles verboten. Ich musste ihm stundenlang helfen.
Da ich auf einem Bauernhof lebe, gibt es genug Arbeit. Es ist logisch, dass wir alle mehr anpacken müssen nachdem meine Mutter gestorben ist. Aber doch nicht in diesem Ausmaß.
Ich brauche doch auch Zeit für mich. Ich bin allein gelassen worden. Ich habe keine Bezugsperson mehr. Meine Mutter tot und dann noch Streit mit meiner besten Freundin, die aufgrund der wenigen Zeit, die ich mit ihr wegen meines Vaters verbringen konnte, die Freundschaft kündigte.
Ich konnte ihr alles erzählen. Ich dachte sie ist eine wahre Freundin, aber da hatte ich mich getäuscht. Sie würde mich nicht wirklich vermissen wenn ich tot bin.
Und so wird es mit den meisten meiner Freunden gehen. Sie werden vielleicht schon ein wenig geschockt über meine Tat sein und ein bisschen traurig. Aber sie werden nach meiner Beerding, wahrscheinlich ziemlich bald in das gewohnte Leben zurückkehren.
Nichts kann mich mehr halten. Ich strecke meine Arme durch und beuge mich nach vorn.
Ich spüre den Wind der mir entgegen weht. Ich fühle das Leben, das ich gleich beenden werde. Und ein bisschen Wind hält mich auch nicht auf. Ich habe mir das hier sehr gründlich überlegt und jetzt ist es soweit.
Nur noch wenige Sekunden.
Ich höre noch einen Schrei im Hintergrund und dann
alles schwarz.
2. Kapitel
Wahre Freundschaft
Ich liege in einem Bett. Es ist weich. Ich spüre warme Sonnenstrahlen, die mir das Gesicht wärmen.
Ich habe keine Ahnung wo ich bin. Ist das der Himmel. bin ich wirklich gesprungen ich weiß nichts mehr.
Aber dann höre ich eine vertraute Stimme. Meine Freundin Bettina mit der ich mich gestritten habe. Langsam öffne ich meine Augen. Zuerst blendet mich das Sonnenlicht. Doch dann erkenne ich wo ich bin.
Ich liege in einem Krankenhausbett.
>>Sie wacht auf!<<
Bettina lächelt mich an. Wow. Wie ich es vermisst habe, dass jemand auf mich gewartet hat. AUF MICH! Das habe ich schon lange nicht mehr erlebt.
>>W.. Wa.. Was ist passiert?<< frage ich total verwirrt.
>> Du wolltest von der Autobahnbrücke springen. Ich bin gerade vorbei gekommen. Ich war total geschockt dich gesehen zu haben. Zuerst habe ich gedacht, dass du so etwas nie machen würdest doch als du dich nach vorne gelehnt hast bin ich so schnell wie möglich zu dir gerannt. Ich habe geschrien, dass du das nicht tun solltest. Du wolltest gerade springen da habe ich dich gerade noch am Ärmel fassen können. Allerdings habe ich dich nicht lange halten können. Doch glücklicherweise ist ein Mann vorbei gekommen, der mir half dich über das Geländer zu ziehen.<<
Da fällt mir erst auf, dass noch ein Mann im Zimmer stand. Bettina hat auf ihn gezeigt als sie mir das erzählt. Dann berichtet sie weiter:
>> Du warst ziemlich fertig. Wahrscheinlich standest du unter Schock, denn du hast auf keine Frage die ich dir gestellt habe geantwortet. Du hast nur so Zeug wie "Ich bin allein" oder so gemurmelt. Der Mann, welcher übrigens Francesco heißt, hat dann vorgeschlagen einen Krankenwagen zu rufen. Die haben dich dann hier her gebracht."
"Wie lange habe ich dann geschlafen?"
"Du bist im Krankenwagen eingeschlafen und gestern hast du dann durchgeschlafen. Also so 2 Tage. Ich war die ganz Zeit bei dir und habe gehofft, dass du so schnell wie möglich wieder aufwachst. Nur dein Vater hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, hier ins Krankenhaus zu dir zu kommen. Ich habe ihn angerufen, dass du im Krankenhaus liegst, aber ihn hat das nicht beeindruckt."
Das mit meinem Vater war mir klar, aber trotzdem bin ich total verwundert, denn mir kommt es vor als wäre ich einfach nur fünf Minuten weggenickt.
"Ich kann es gar nicht fassen, dass du darauf gewartet hast, dass Ich aufwache. Ich meine ich war dir doch nichts mehr wert."
Bettina schaut mich für einen Moment nur an, ohne etwas zu sagen. Als ob sie erst die richtigen Worte suchen müsste.
Doch dann antwortet sie:
"Anfangs war ich echt enttäuscht von dir, dass du nie Zeit für mich hattest. Ich habe es einfach nicht verstanden wie man einfach keine Zeit haben kann. Ich habe damals nicht geahnt wie schlimm deine Situation ist. Erst die letzten Tage bzw. Wochen habe ich mir mehr Gedanken darüber gemacht, weil ich von ein paar Gerüchten gehört hatte, was für ein Tyrann dein Vater ist."
Tja die Gerüchte. Schon seit Wochen merke ich, wie mich die Leute anders ansehen.
Klar habe ich gemerkt, dass Gerüchte im Umlauf sind, aber niemand wollte mir genau sagen, was genau über meinen Vater oder mich erzählt wird.
Aber ich kann mir Vorstellen wer die Gerüchte in Umlauf gebracht hat.
Meine Nachbarn. Die haben meist nichts zu tun und lieben es andere Leute zu beobachten. Sobald sie dann irgendwo etwas aufschnappen, müssen sie es jedem brühwarm erzählen.
"Hörst du mir überhaupt noch zu?"
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen.
Bettina schaut mich mit einem fragenden Gesichtsausdruck an.
"Oh! Entschuldige ich bin in Gedanken versunken. Erzähl mir es bitte doch noch ein mal."
"Kein Problem. Also da waren die Gerüchte. Zuerst konnte ich das nicht so wirklich glauben, denn deine Nachbarn erzählen oft auch einfach nur Mist. Aber als ich so etwas immer wieder hörte und du mit der Zeit blasser dünner und trauriger geworden bist, wurde ich dann doch Misstrauisch. Ich wollte bereits ein paar Tage früher zu dir dann kommen, aber ich habe einfach nicht die richtigen Worte gefunden wie ich dich ansprechen sollte.
Vorgestern also dann, als du springen wolltest, bin ich noch etwas spazieren gegangen um mir die Worte noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Denn ich wollte nicht, dass ich dich noch mehr traurig mache als du es eh schon bist."
Bettina hat sich echt Sorgen um mich gemacht. Schon krass wie viele Mühe sie in die richtigen Worte gesteckt hat, nur um mich nicht zu verletzten. Das habe ich echt nicht erwartet.
"Aber wir dir wirklich alles so zu viel, dass du dort hinunter springen wolltest?"
Da kommen auf einmal wieder die Tränen. Ich drehe den Kopf weg, weil ich nicht möchte, dass Bettina mich so fertig sieht.
Meine Stimmer versagt deshalb bekomme ich nur ein leises "Ja" heraus.
Die Tränen kullern mir die Wangen hinunter. Ich schaue aus dem Fenster. Die Sonne war steht hoch am Himmel. Ein paar Wolken zieren den Himmel. Ich habe direkte Aussicht zum Krankenhauspark, wo ein paar Pfleger mit Patienten auf Holzbänken sitzen.
Bettina sitzt nur neben meinem Bett und streichelt meine Schulter. Sie sagt kein Wort. Und das finde ich auch gut so. Ich will mir jetzt keine Fragen anhören müssen warum ich das getan habe.
Mir fehlt die Kraft dazu.
Ich bin müde, obwohl ich jetzt 2 Tage geschlafen habe. Ich merke wie mir langsam die Augen zu fallen und ich sie auch mit der größten Mühe nicht offen halten kann.
Ich schlafe mit Sonnenstrahlen im Gesicht und einer Freundin am Bett, die mir die Schulter streichelt, ein.
Diesmal schlafe ich richtig und träume.
Ich sitze in einer Blase und beobachte mich selbst. Ich wünsche mich zu den schönsten Erlebnissen in meinem Leben.
Ich sehe wie ich mit meiner Mutter spazieren gehe und wie wir ihren letzten Geburtstag feierten.
Ich beobachte wie alle Freunde und Verwandte meiner Mutter und ich am Tisch eines Restaurants sitzen.
Wir essen etwas Asiatisches. Meine Mutter liebte Reis und die scharfe Thailändische Küche.
Ich beobachte und merke, dass das, obwohl alle so fröhlich lachen und Spaß haben, alles einen traurigen Hintergrund hat.
Ich kann so etwas schließlich nie wieder im richtigen Leben erleben, weil meine Mutter nicht mehr hier ist.
Doch dann höre ich wie im Hintergrund eine Tür knallt und jemand sauer meinen Namen ruft.
Da merke ich, dass das nicht im Traum sondern in der Wirklichkeit passiert.
Ich öffne die Augen und sehe wie mein Vater vor meinem Bett steht.
Er hat beide Arme in die Hüfte gestellt und schaut mich wütend an.
"Was glaubst du eigentlich? Du meinst du könntest dich ein wenig krank stellen oder so tun als würdest du in Ohnmacht fallen, um hier den ganzen Tag zu faulenzen und nichts zu tun!"
"Aber ich tue nicht so. Mir geht es wirklich scheiße"
"Ach! Red doch keinen Stuß! Natürlich tust du nur so!"
Er glaubt mir nicht wie immer. Egal was ich jetzt sagen würde er würde mir nicht glauben oder mir sofort das Wort im Munde umdrehen. Deshalb schweige ich.
"Bist du jetzt stumm oder was? Du sollst jetzt aufstehen und mit mir nach Hause kommen und zwar SOFORT!"
"Aber...."
"Nichts aber"
Mein Vater zerrt mich am Arm, doch dann öffnet sich die Tür und ein Arzt betritt das Zimmer.
"Was machen sie denn da? Lassen sie sofort das Mädchen los!"
"Das ist meine Tochter und die nehme ich jetzt mit"
"Das werden sie nicht. Sie ist geschwächt und braucht Ruhe. Verstehen sie nicht!?"
"Die spielt euch doch allen nur was vor, um sich vor der Arbeit zu drücken."
"Wenn Sie nicht sofort das Mädchen in Ruhe lassen, dann muss ich sie des Hauses verweisen. Verstanden?"
Ich beobachte das Wortgefecht wie ein Tennismatch, welches immer hin und her geht.
"Ach macht doch alle was ihr wollt. Und du kleines Fräulein brauchst dich zu Hause nicht mehr blicken lassen"
Wütend stürmt er aus dem Krankenhauszimmer und knallt die Tür so heftig zu, dass der Tisch neben meinem Bett leicht wackelt.
"Alles in Ordnung?"
Kann man das in Ordnung nennen. Ich bin gerade von zu Hause heraus geflogen. Zwar geht es mir zu Hause nicht sonderlich gut, aber besser als auf der Strasse zu sitzen.
"Ich lass dich jetzt besser in Ruhe, oder?"
"Ja"
Allein sein. Vor ein paar Tagen hatte ich das gehasst und jetzt bin ich froh darüber, weil ich es nicht gewohnt bin mit so vielen verschiedenen Personen zu reden.
Ich denke darüber nach bei wem ich bleiben kann. Schließlich habe ich schon Ewigkeiten nichts mehr mit einer Schulfreundin unternommen. Und jetzt einfach fragen, ob ich bei ihr einziehen kann. Das kommt doch echt blöd.
Vielleicht rede ich mit Bettina mal über diese Situation.
Eine Krankenschwester hat mir gesagt, dass sie gegangen war, weil sie wieder nach Hause und in die Schule musste, aber am Nachmittag wieder kommen wolle.
Ich werde bestimmt bald eine Lösung finden. Hoffe ich zumindest.
3. Kapitel
Psychisch krank?!
"Hey"
Bettina lächelt mich an, während ich langsam meine Augen öffne.
"Wie kann man nur so lange schlafen? Es ist mittlerweile sieben Uhr abends.
Das frage ich mich mittlerweile auch´. Ich meine ich rede ein paar Minuten oder manchmal auch eine Stunde mit Bettina, Ärzten oder Krankenschwestern und dann schlafe ich wieder für Ewigkeiten.
Jetzt aber fühle ich mich gar nicht mehr müde. Ich bin hellwach. Die letzten Male, als ich aufgewacht bin, war ich total müde. Und Jetzt?! Ich könnte Berge versetzen.
"Vor zwei Stunden war eine Psychologin hier. Sie meinte, ich sollte Bescheid sagen, sobald du aufwachst"
Eine Psychologin?
Ehrlich gesagt habe ich jetzt keinen Bock mit so eine Rau zu reden. Ich will jetzt lieber rausgehen und mich auspowern.
Aber um das Gespräch mit der Psychogin werde ich nicht herumkommen. Ich kann die Sorgen der Ärzte ja irgendwie verstehen, schließlich wollte ich von einer Brücke springen und mich umbringen.
Allerdings bin ich jetzt von dieser Entscheidung nicht mehr so überzeugt.
"Sag ihr bitte Bescheid, dass ich wach bin."
"OK"
Bettina geht aus dem Zimmer und schließt die Tür.
Ich frage mich wie die Psychologin drauf ist. Vielleicht ist es so eine hochnäsige Schnäpfe mit Brille, die mich direkt in die Schublade der Verrückten oder der verwöhnten kleinen Göre, die mal nicht bekommen hat was sie wollte. Das hoffe ich allerdings nicht.
Ich höre Schritte auf dem Gang, dann wird die Tür geöffnet. Es ist Bettine.
"Sie kommt in einer halben Stunde. Und du sollst bitte nicht mehr einschlafen. Das sollte ich dir ausrichten"
"Keine Angst. Ich bin wach wie noch nie"
Ich schlage die Decke zurück und springe aus dem Bett um es Bettina zu beweisen.
Erst jetzt bemerke ich, dass ich immer noch die Sachen von dem Tag anhabe, an dem ich von der Brücke springen wollte.
"Schau mal. Ich habe dir Sachen von dir zu Hause mitgebracht"
Sie hält mir eine große Reisetasche hin in der sich ein paar bequemen Klamotten, Zahnbürste etc befindet.
"Dein Vater war nicht zu Hause oder zumindest nicht in meiner Sichtweite zudem war die Haustür offen, dann bin ich einfach rein und habe ein paar Sachen gepackt. Auf jeden Fall hat er mich, das glaube ich zumindest, nicht bemerkt."
"Danke!"
Ich nahm meiner Freundin die Tasche ab und verschwand im Nebenzimmer, wo es eine Dusche und eine Toilette mit Waschbecken gab.
Eine viertel Stunde später kam ich dann mit frischer Kleidung und geduscht ins Krankenhauszimmer. Das Gefühl war toll frische Sachen anzuhaben und vor allem bequeme!
Zehn Minuten später klopft es an der Tür. Es ist die Psychologin die gerade zur Tür herein kommt.
"Ich glaube es wäre besser wenn ich jetzt gehe", sagte Bettina und verließ dann das Zimmer.
"Hallo", sagte ich zur Psychologin
"Hey, meine Name ist Michaela Bauer. Und du musst Franziska sein."
Ihr erster Eindruck war ganz nett. Sie sieht nicht so psychologen-mäßig aus, sondern eher wie eine ältere Freundin oder eine größere Schwester.
Aber wahrscheinlich will sie nur diesen Endruck erwecken, damit man sich ihr anvertraut und ihr alles erzählt.
Sie hat lange braune Haare und ein schmales Gesicht. Im Grunde ist sie eigentlich ganz hübsch.
"Und wie geht es dir momentan?"
Was für eine Frage. Solche Fragen sind sinnlos und nerven ungemein.
"Wissen sie was. Sie können gleich wieder gehen, weil ich keinen Bock auf so ein Psychologen-Gequatsche Lust habe."
"Aber ich will doch nur..."
"Nichts aber. Ich weiß schon was sie wollen. Auf mich einreden und blöde Fragen stellen. So was kenne ich schon."
Michaela, die Psychologin schaut mich nur verdutzt an. Sie hat offenbar nicht mit so einer Reaktion gerechnet.
Sie hat wohl eher so ein kleines trauriges Mädchen mit psychischen Problemen erwartet.
Ich hab kein psychisches Problem!
"Wir wollen dir alle doch nur helfen."
Helfen?! MIR?! Die haben doch keine Ahnung.
"Am besten wäre es wenn sie sofort gehen würden ändern werden sie auf jeden Fall hier bei mir nichts."
"Ich glaube für dich ist es schwierig zu verstehen, dass du ein Problem hast. Ich würde vorschlagen, dass ich jetzt gehe und du mal darüber nachdenkst, was ich deiner Meinung machen sollte. Ok? Ich hoffe wir könne morgen vernünftig miteinander reden."
Sie steht auf und schenkt mir noch ein mitleidiges Lächeln bevor sie die Tür öffnet und das Zimmer verlässt.
Kurz darauf wird wieder die Tür wieder geöffnet. Es ist Bettina die herein kommt.
"Das ging aber schnell!"
"Ja, schon"
"Ich geh jetzt dann mal. Muss schließlich auch mal wieder nach Hause.
Bis dann"
"Ok, tschüss"
Bettina geht und ich bin allein. Ich lege mich aufs Bett und starre die Decke an.
Was kann ich jetzt tun? Mir ist total langweilig.
Ich könnte nach draußen gehen und mir irgendwo etwas richtiges zu Essen holen.
Krankenhausessen ist nämlich nicht so mein Ding.
Ich stehe auf und ziehe meine Schuhe an, werfe mir eine Jacke über und verlasse das Zimmer.
Ich sehe irgendwie total gammelig aus, da ich noch von vorhin die Jogginghose und das große T-shirt anhabe. Aber das ist mir egal.
Ich sage noch schnell am Empfang oder wie das beim Krankenhaus eben heißt Bescheid, dass ich für eine Stunde hinaus gehe.
Ich suche vergeblich eine Pommesbude oder ähnliches. Erst nach ewigem Suchen sehe ich einen Dönerladen.
Doch erst jetzt fällt mir ein, dass ich eigentlich Geld hätte mitnehmen sollen. Ich krame in meiner Jacke, denn oft verbirgt sich dort mal ein 5-Euro-Schein. und ich habe Glück. Vier Euro sind noch drin.
Mein erster Bissen vom Döner ist ein Genuss. Ich glaube ich habe noch nie etwas so genossen.
Jetzt erst fällt mir auf wie ich gutes Essen vermisst habe.
Zu Hause gab es bei uns meist nichts besonderes. Mal hier ein paar Nudeln, aber das war es schon. Hauptsache es macht satt.
4. Kapitel
Freunde oder etwa doch nicht?
Den ganzen nächsten Tag warte ich vergeblich auf Bettina. Offenbar hatte sie keine Zeit.
Ich verbrachte den Tag damit an die Decke zu starren und zu überlegen zu wem ich gehen kann wenn ich hier heraus komme.
Mir fiel niemand ein zu dem ich ziehen könnte. Verwandte hatte ich so gut wie keine. Und die wenigen die ich hatte wohnen sehr weit weg. Zusätzlich habe ich keinen Kontakt zu Ihnen. Dieser ist schon vor Jahren aufgrund eines Streites abgebrochen.
Bettina war meine einzige Chance. Ich hoffe sie versteht das. Ansonsten wüsste ich echt keinen Ausweg mehr.
Ich sitze hier vor dem Krankenhaus auf einer Parkbank. Und jetzt wo ich so über mein momentanes Leben nachdenke, kommt mir es einfach nur sinnlos vor. I werde auf einmal ganz traurig, meine Augen fangen zu tränen an und langsam merke ich, wie die erste salzige Träne meine Wangen hinunter läuft.
Auf einmal kommt alles wieder hoch.
Ich sitze hier noch eine Weile. Ich glaube lang war es nicht, aber mir kommen solche Situationen immer wie Ewigkeiten vor.
Am nächsten Tag ruf ich Bettina an. Ich möchte heute einfach rauskommen und irgendetwas aufregendes Erleben. Zu Hause geht bei ihr niemand hin. Also probiere ich es auf ihrem Handy. Ein paar Mal klingelt es. Dann höre ich auf einmal Stimmen. Aber niemand meldet sich mit einem Namen.
Ich habe das Gefühl, dass Bettina nur aus Versehen auf den "Abheben-Knopf" gekommen ist.
Zum Beispiel wenn sie es in einer engen Hosentasche trägt. Und gehört hat sie es wahrscheinlich nicht, weil es auf "Stumm" geschaltet war.
Ich wollte bereits auflegen, als ich auf einmal meinen Namen hörte.
"Und gehst du wieder zu Franziska, dem Emo, ins Krankenhaus?" sagt eine für mich fremde Stimme.
Darauf höre ich Bettina entsetzt antworten:
"Was soll ich den bei der? Ich war die letzten Tage nur bei ihr, damit sie nicht irgendwo wieder runterspringt oder so. Die meint im Ernst wir wären wieder Freunde. Aber jetzt scheint sie ziemlich über die Sache hinweg zu sein, von dem her brauche ich da nicht mehr aufkreuzen."
"Da hast du Recht. Sie ist ja selber Schuld wenn die sich so distanziert hat. Jetzt kann sie auch fernbleiben und dich in Ruhe lassen"
Ich lege auf und schmeiße das Handy sauer in eine Ecke. Ich würde am liebsten schreien um mich irgendwie abzureagieren.
Die hat mir tatsächlich alles nur vorgespielt. Absolut alles. Ich kann es nicht fassen. Das macht mich stinksauer. Ich renne aus dem Zimmer, aus dem Krankenhaus, bis ich komplett allein irgendwo im nirgendwo stehe und ich nicht mehr rennen kann.
Ich schreie alle Wut hinaus.
Ich lasse mich auf den Boden sinken. Mein Gesicht vergrabe ich in meinen Händen und dann heule ich.
Wieder einmal eine Ewigkeit.
Immer wieder lasse ich eine Schrei los, um mich in irgendeiner Form abzureagieren.
Allerdings hilft das nichts.
Ich überlege, wo Bettina sein kann. Ich muss sie zur Rede stellen.
Ich denke darüber nach was für Geräusche im Hintergrund waren. Da war ein Quitschen und eine Lautsprecheransage. Das könnte ein Bahnhof gewesen sein.
Ja das ist es. Früher waren wir oft an dem kleine Bahnhof bei uns in der Nähe. Wir liebten es andere Leute zu beobachten.
Ich mache mich sofort auf den Weg. Mein Problem ist nur: Ich habe keine Ahnung, wo ich bin.
Ich laufe in die Richtung, von der ich vermute, dass ich gekommen bin. Nach kurzer Zeit entdecke ich ein paar Häuser und sehe auch das Krankenhaus. Ab jetzt weiß ich wo ich lang muss.
5. Kapitel
Ein Schlag ins Gesicht
Ich entdecke Bettina wie sie auf einer Bank am Bahngleis. Ich will warten, bis die Andere, die neben ihr sitzt, geht.
Und das dauert auch nicht allzu lange. Kurze Zeit später umarmen sie sich und die Freundin geht.
Bettina bleibt noch sitzen. Ich warte noch einen Moment bis die Andere um die Ecke verschwunden ist und laufe dann zu Bettina.
"Was soll das eigentlich?"
"HALLO erstmal und was soll eigentlich was? Was ist denn los mit dir?"
"Du kümmerst dich nur kurz um mich um dein Gewissen zu beruhigen"
"Was laberst du?"
"Ich hab vorhin bei dir angerufen. Du bist ausversehen oder so auf abheben gekommen und da hab ich gehört wie du das gesagt hast!"
"Und ?! Bist du jetzt verletzt. Das tut mir aber für dich Leid." antwortet sie mir ironisch
"Wieso machst du so was?"
"So halt, es macht mir Spaß dich zu verarschen. Ganz einfach!"
Das hat gesessen. Und um vor ihr nicht heulen zu müssen stampfe ich wütend davon.
"OHH... du armes Ding. Springst du jetzt wieder von einer Brücke?"
Das gab mir den Rest. Ich ging zu ihr zurück und holte aus. Meine Hand landete mitten auf ihrer Backe.
"Ey..."
Dann machte ich eine Schritt zurück holt mit meinem Fuß aus und knallte ihn mit voller Wucht in ihr Gesicht.
Ich konnte es förmlich hören, wie ein paar Zähne ihren Halt verloren und nun locker in ihrem Mund im eigenen Blut schwimmen. Ihre Nase verlier Blut. Sie hält ihre Hand vors Gesicht um sich zu schützen, als ich zu einem weiteren Schlag aushole. Der geht ihr voll in den Bauch.
Sie krümmt sich vor Schmerz und fällt von der Bank auf den Boden.
Das Gefühl so über ihr zu stehen ist einfach super. Ich genieße diesen Moment, so wie sie hier liegt und ganz leise wimmert. Ihre ganzes Gesicht ist Blutverschmiert, da zu dem Blut jetzt auch noch Tränen ihr Gesicht hinunter liefen.
Ich merke wie ein paar Leute herschauen und dann auf uns zukommen.
So schön das Gefühl auch sein mag, hier über Bettina zu stehen, sollte ich jetzt doch lieber verschwinden.
Ich renne los. Keiner Macht der Leute will mich aufhalten. Alle rennen sie jetzt zu Bettina, die blutend am Boden liegt und vor sich hin wimmert
Ich renne wieder bis ich nicht mehr kann und nicht mehr weiß, wo ich bin. Ich lege mich auf eine Wiese und weine, weil mich alles so fertig macht.
Das mit den Schlägen wird bestimmt noch Folgen haben. Dann wird die nächste Psychologin kommen und dann wieder dasselbe.
Ich bin hier in einem ewigen Kreislauf. Was soll ich nur machen?
Erst mal brauch ich eine Bleibe. Momentan ist noch Sommer da könnte ich zelten.
Aber ich brauche Essen oder auch eine Dusche. Verdammt!
Irgendwie wünsche ich mir gerade, dass Bettina mich nie gerettet hätte. Ich meine, es ist alles nur noch Schlimmer geworden.
Ich stehe auf und laufe einfach vor mich hin. Ich denke über gar nichts nach, denn es bringt schließlich nichts. Ich beobachte einfach die Umgebung, die ganz langsam vorbei zieht.
Nach einer Weile komme ich an die Brücke, von der ich springen wollte. Ich setze mich hin und lehne mich mit dem Rücken an das Geländer.
Es fängt an zu Regen. Nur ganz leicht. Es dämmert und ich merke wie müde ich durch das ganze Gelaufe geworden bin. Ich merke nur noch wie der Regen stärker wird, meine Augen nach und nach zufallen und ich langsam wegnicke.
6. Kapitel
Schneewittchen ist schließlich auch wieder aufgewacht
"Hey... Ich hab sie gefunden.!"
Irgendeine Stimme, die vielleicht irgendwo schon gehört habe, aber momentan nicht zuordnen kann, weckt mich.
Ich öffne die Augen und sehe den Mann, der mich zusammen mit Bettina gerettet hat. Er ist jünger, als ich ihn in Erinnerung habe.
Dann kommt ein zweiter in Rettungsdienstuniform angelaufen und geht vor mir in die Hocke, bevor er mich besorgt anschaut.
"Was machst du hier. Wir haben die ganze Nacht nach dir gesucht."
"Oh"
"Wir haben uns alle totale Sorgen gemacht. Besonders als die Polizei auftauchte und von einem Angriff auf ein Mädchen berichtet hat, was laut der Aussage des Mädchens du warst."
"ähm"
Ok soll ich jetzt alles erzählen oder doch lieber die Klappe halten? Ich weiß es nicht.
"Jetzt versuch erst einmal aufzustehen. Dann fahren wir zurück ins Krankenhaus, damit du dich erholen kannst. Dir muss bestimmt kalt sein. Es hat schließlich die ganze Nacht geregnet."
Es stimmt. Ich bin total nass und friere wahnsinnig. Also stehe ich auf und folge den Männern zum Krankenwagen und wir fahren zurück.
In meinem Zimmer angekommen, wartet dort auch schon eine Polizistin auf mich. Sie begrüßt mich mit einem festen Händedruck.
Der Notarzt, welcher mich noch bis in mein Zimmer begleitet hat, verschwindet wieder.
"Geht es dir gut?"
"Passt schon. Ich glaube ich kriege nur eine Grippe, weil ich die ganze Nacht draußen im Regen lag."
"Ich muss mit dir reden. Gestern wurde am Bahnsteig jemand zusammengeschlagen. Laut des Opfers und einer weiteren Zeugenaussage sollst du das gewesen sein. Möchtest du dich dazu äußern?"
Musste das unbedingt jetzt sein. Ich setzte mich auf mein Bett und überlegte, ob ich jetzt einfach umkippen sollte, dann könnte ich mich kurzzeitig dem Gespräch entziehen. Stattdessen bleibe ich still sitzen und starre vor mich hin. Ich habe keine Ahnung, was ich antworten soll. Ich fühle mich wie als hätte meine Mutter wieder heraus bekommen, dass ich genascht habe und nun als kleines Kind vor ihr stehe und sie mich streng ansieht.
"Du musst mir nicht antworten, aber es würde uns ungemein helfen, wenn du es doch tätest. Zudem könnte sich dein Strafmaß mildern, wenn du es warst."
Die Polizistin sieht mich ganz genau an.
Ich halte es hier nicht mehr lange aus. Sie soll jetzt sofort gehen. Ich will meine Ruhe. Ich brauche niemanden, der mir ein schlechtes Gewissen einredet. Das werde ich sowieso nicht bekommen. Denn Bettina hatte das verdient. So wie die sich verhalten hat. Hoffentlich bekommt sie Narben oder ähnliches. Ich bin auf eine merkwürdige Art und Weise stolz auf mich.
"Ein Grinsen ist keine Antwort"
Sofort senken sich meine Mundwinkel wieder.
"Du wirst wohl auch die nächsten zwei Stunden nichts sagen, oder?"
Schweigen.
"Dann werde ich wohl jetzt besser gehen. Wir sprechen uns aber noch!"
Noch einen Moment steht die Polizistin da und mustert mich und dann verlässt sie den Raum.
Jetzt bin ich wieder allein. Ich lege mich aufs Bett und starre wieder einmal die Decke an.
Auf einmal laufen mir wieder Tränen die Wangen hinunter. Einfach so. Ich kann nicht genau sagen warum. Vielleicht liegt es daran, dass ich hier nun allein bin oder dass ich immer mehr Ärger am Hals habe. Aber das wahrscheinlichste ist wohl, dass ich keinen Lebenssinn mehr finde. Kein einzigen Ansporn für den es sich zu leben lohnt.
Ich schließe die Augen. Vor meinem inneren Auge versuche ich mich an schöne Zeiten mit meiner Mutter zu erinnern. Doch so sehr ich mich auch anstrenge, finde ich keine einzige schöne mehr. Immer sehe ich sie nur wie sie im Sarg liegt, ihr schönsten Kleider anhat und aussieht, als würde sie nur schlafen.
"So wie Schneewittchen", habe ich mir immer eingeredet. Denn Schneewittchen ist wieder aufgewacht. Ich habe bis zur letzten Minute darauf gewartet, dass meine Mutter auch die Augen öffnet, mich liebevoll anlächelt und aus dem Sarg steigt, um mich an die Hand zu nehmen und spazieren zu gehen.
Doch das tat sie nicht. Ihre Augen blieben geschlossen und sie bewegte sich auch nicht. Nur für einen kleinen Augenblick, dachte ich, dass meine Mutter ihren Mund zu einem Lächeln verzog.
Das machte mir Hoffnung weiterzuleben und nicht aufzugeben.
Als Kind hat mir ein Lächeln gereicht um neuen Mut zu schaffen. In den Tagen und Wochen danach erinnerte ich mich immer wieder an das Lächeln, um nicht aufzugeben. Heute ist es anders. Man kann den Leuten nicht mehr trauen. Ein richtiges Lächeln wird leider viel zu oft mit einem falschen verwechselt.
7. Kapitel
Der verhängnisvoller Streit
(10 Jahre zuvor)
“Was soll das?”
“Wie was soll das?”
“Jetzt tu doch nicht so. Du weißt genau wovon ich rede!”
Meine Mutter und mein Vater streiten. Wieder einmal.
Das ist das zweite Mal diese Woche.
Ich kann so was nicht hören. Am liebsten würde mir die Ohren zuhalten und schreien, damit ich kein Wort hören kann und nichts weiß.
Aber ich sitze oben im Gang ganz hinten und bin still wie eine Maus. Meine Eltern wissen gar nicht, dass ich da bin. Ich sollte bei einer Nachbarin in der Küche sitzen und spielen. Ich bin aber weggelaufen, weil ich Angst um meine Mutter habe.
In der letzten Zeit macht mein Vater mir nämlich immer mehr Angst. Ich muss meine Mutter beschützen. Auch wenn ich nichts machen kann. Ich will einfach immer in ihrer Nähe sein um zu helfen. Deshalb habe ich mich auch gar nicht auf meinen ersten Schultag vor einigen Wochen gefreut, denn in dieser Zeit bin ich nicht bei mama.
Plötzlich höre ich eine Tür knallen. Ich stehe auf und laufe leise in mein Zimmer zu meinem Fenster.
Und dort sehe ich wie Mutter auf die Straße zuläuft.
Sie schaut nach keinem Auto sondern läuft einfach los. Und dann sehe ich wie ein Wagen um die Ecke schnellt.
Ich renne aus meinem Zimmer, die Treppen hinunter und zur Haustüre heraus. Ein Knall
Ich muss zu meiner Mutter. Ich muss ihr helfen. ich laufe zur Straße und sehe wie jemand dort auf dem Boden liegt. Ganz rot...
Es herrscht Ruhe. Als hätte die Welt aufgehört zu leben. Kein Vogel zwitschert und keine Hunde bellen. Ganz langsam laufe ich auf die Straße zu.
Ich sehe immer nur die rote Pfütze. Und jetzt wo ich vor dieser roten Pfütze stehe, will ich den Blick nicht auf die Ursache der Pfütze richten. Und doch wandert mein Blick.
Kapitel 8
Erinnerung
Ich schnelle aus dem Bett hoch. Ich habe schlecht geträumt. Sehr schlecht.
Es war schrecklich. Da war ein Unfall. Und diese Verletzte. ich bin aufgewacht bevor ich ihr Gesicht gesehen habe.
Aber wieso träume ich so etwas?
Doch jetzt fällt es mir ein. Ich kenne zwar die Geschichte wie meine Mutter gestorben ist und eigentlich war ich ja selbst auch dabei. Doch ich habe mich nie erinnern können. So als wäre vergessen worden, diese Informationen abzuspeichern.
Doch jetzt habe ich wieder diese Erinnerung. Nach fast 10 Jahren.
Ich bin geschockt.
Mir wird schlecht. Diese ganze Situation noch einmal zu erleben ist absolut schrecklich. Kein Wunder warum ich diese jahrelang unbewusst verdrängt habe.
FORTSETZUNG FOLGT
Tag der Veröffentlichung: 12.07.2011
Alle Rechte vorbehalten