Cover

1. Blame it on the Seventies


Gab es was Schlimmeres, als 12 zu sein im Jahre 1972? Damals glaubte ich’s nicht.

Aber was haben nun die Siebziger damit zu tun? Ist Teenagerleid nicht zeitlos? Ich sage nein, weil ich überzeugt bin, dass MEIN Leid ganz bestimmt mit den Siebzigern zu tun hatte.

In den Fünfzigern und frühen Sechzigern wäre ich bestimmt ein glücklicher, dicker Teenager gewesen, hätte meinen unförmigen Körper in Korsagen zwängen und unter wadenlangen Röcken verstecken können und mit dem ersten Mal mindestens bis zur Volljährigkeit (mit 21) gewartet. Meine Eltern wären mit mir zufrieden gewesen, und die jungen Männer hätten mich meiner Anständigkeit wegen bewundert (das Wort „verklemmt“ gab’s noch nicht) und geheiratet. Leider sollte alles ganz anders kommen! Schuld waren eben doch die Siebziger.

Die Zweifler fordere ich auf, sich die BRAVOs dieser Jahre nochmals anzusehen. Damals gabs zwar noch keine Ganzkörpernacktfotos von Mädchen, ganz zu schweigen von nackten Jungs, die mittlerweile in jeder Girliezeitschrift ihren adoleszenten Penis ins Bild recken. Dafür aber die ersten Oben-ohne-Fotos im Fotoroman, und sie schlugen bei mir ein wie eine
Bombe. Sie weckten Sehnsüchte, die meinem unterentwickelten, babybespeckten, fast noch busenlosen Körper bis dato fremd gewesen waren. Nicht die Sehnsucht nach Sex ist gemeint, davon war ich noch meilenweit entfernt; nein, die PERFECT TEENAGE PRINCESS, bisher eher diffus auf der Festplatte meiner unausgegorenen Wunschvorstellungen abgespeichert, hatte endlich ein Gesicht (Ute Kittelberger, BRAVO-Girl 1972), Klamotten (die obercoolsten, doch davon später mehr) und einen BUSEN! Dieser Busen der „Girls“ (unsere Sprache war in den Siebzigern dermaßen
unkritisch bravoinfiziert, dass wir, ohne es auch nur im geringsten
peinlich zu finden, auch untereinander und über uns selber nur von „girls“ und „boys“ sprachen) aus den Bravo-Fotoromanen setzte Standards, war das Maß aller Dinge, wurde zum lebenslang nie erreichten Ideal. Er war irgendwie groß und doch wieder nicht, verteilte die Masse perfekt auf die zur Verfügung stehende Fläche und wirkte daher nie spitz oder hängend - der ideale Busen für die überwiegend BH-lose, T-Shirt dominierte Teeniemode der Siebziger. So aussehen wie diese Mädchen in den Fotostories, so reden wie sie, und das Große Verbotene tun (was wohl?? Rauchen gehörte auch dazu irgendwie) das wollte ich und doch auch wieder nicht.

2. Die Top Three


Die Jungen aus meiner Klasse hatten da irgendwas falsch verstanden. Masse statt Klasse war’s, wonach sie lechzten. In diesem Sommer 1972 (und das blieb so auch 1973 und 1974, denn meine Leidenszeit begann schließlich gerade erst) saßen sie in unserer Klasse am Heinrich-Heine-Gymnasium in Duisburg-Rheinhausen in der ersten Reihe, die Mädchen mit der Maximal Erreichbaren Oberweite: Claudia T., Gabi B., Lisa M. - und ich. Kurzhaarig (mit Stufenschnitt à la Sweet und Suzi Quattro), obenrum nix, dafür aber Fettschichten an Bauch und Taille, die, hätten sie sich nur ein wenig höher befunden, die Jungs um ihren Verstand gebracht hätten. Bei Claudia, Lisa und Gabi saß natürlich alles an der richtigen Stelle. Selbst ihre üppigen Hintern. Dass sie lange blonde Haare und keine Pickel hatten, versteht sich von selbst. Was half’s, dass ich mir in guten Momenten einzureden versuchte, dass ich eines Tages der Knaller werden würde, nur halt ein bisschen später als die anderen? Dass ich vor dem Spiegel Spuren von zukünftiger Hübschheit in mein Mondgesicht hineinlas? Dass ich mit meinen (leider erst ab Oberschenkelmitte) schlanken Beinen zufrieden war? 1972 sah das keiner außer mir und meiner Mama.

3. Boys, boys, boys (Theorie...)

CT, LM, GB (Gabi, Claudia und Lisa erschienen in meinem Tagebuch aus Geheimhaltungsgründen nur unter ihren Initialen) beneidete ich glühend. Um ihre BHs in riesigen Größen. Um ihre „Tage“, die sie natürlich auch schon hatten. Um ihre liberalen Eltern, die Engtanzpartys und Bravolesen erlaubten. Selbst darum, dass sie auf der Kirmes den Erwachsenentarif zahlen mussten. Die Jungs, mit denen sie „gingen“, natürlich die aus der achten Klasse, waren für mich unerreichbare gottgleiche Wesen. Uwe, der Freund meiner besten Freundin Lisa, verwandelte mich in ein hypnotisiertes Kaninchen. Ich trottete im Park hinter den beiden her und trug seine Handschuhe, während er mit Lisa knutschte. Was half’s, dass sie mir mangelnde Selbstachtung vorwarf? Ich war glücklich, nur in seiner Nähe sein zu dürfen. Hätte damals einer dieser Jungs versucht, mich zu küssen, wäre ich schreiend davongelaufen. Aber nie wieder war ich so hingebungsvoll und doch ganz und gar unschuldig verliebt wie damals mit zwölf.

Unschuldig war ich allerdings nur in der Theorie! Bei mir zu Hause wurde über Sex nicht geredet. Sex war böse. Je böser, je verbotener, desto interessanter. Mein Wissensdurst war grenzenlos. Ihm hielten auch die von meinen Eltern raffiniert ausgedachten Verstecke (das oberste Fach des Wohnzimmerschranks - come on, ist euch nichts Besseres eingefallen?) für die verbotenen Illustrierten - Quick, Neue Revue, Praline - nicht stand. In der Leihbücherei liehen wir uns die Bücher von Johannes Mario Simmel und Willi Heinrich aus und spürten mit feiner Antenne die interessanten „Stellen“ auf. Wären meine Eltern je auf die Idee gekommen, mich aufklären zu wollen, hätte ich ihnen ins Gesicht gelacht. Ich wusste sowieso schon ALLES.

Für meinen Vater war Sex das, was Jungs von Mädchen wollen. Immer und ausschließlich. Aber mein Vater sagte das böse Wort nicht, sondern verwendete hübsche bildhafte Umschreibungen. Jungen wollten Mädchen „an die Wäsche“, sie gingen mit ihnen „in den Clinch“. Mit mir wollte leider gar keiner in den Clinch.

Uwe - siehe oben - war natürlich nicht mein einziger Schwarm! In einen bekannten deutschen Schauspieler war ich so verliebt, dass meine Fantasie wilde Kapriolen schlug. Ich stellte mir vor, in die Schweiz zu fahren (wo er ein Haus besitzen sollte) und ihm im Park vor seinem Haus (in dem er jeden Morgen spazieren zu gehen pflegte, wie eine Zeitschrift berichtet hatte) aufzulauern. Sobald er sich mir näherte, wollte ich eine Fußverletzung simulieren und ihn so dazu zu bringen, mich in sein Haus zu tragen und dort gesund zu pflegen, wobei er sich natürlich unsterblich in mich verlieben würde... Leider wurde dieser kühne Plan nie in die Tat umgesetzt. An dieser Stelle möchte ich nicht versäumen, meinen Klassenkameraden nochmals für die Akribie zu danken, mit der sie jeden noch so kleinen Zeitungsschnipsel über IHN aufstöberten, ausschnitten und mir für mein Album mit in die Schule brachten.

Das waren meine Träume! Die Realität war jedoch brutal und häßlich. Mehrere Episoden aus jener Zeit zeigen, wie schlecht meine Chancen standen, zumindest in die Top Twenty der Schulstars aufzusteigen.

Zunächst einmal war ich grenzenlos naiv. Ich sagte (meistens) die Wahrheit, egal, was ich gefragt wurde. Autorität schüchterte mich ein - so war ich erzogen worden. Als eines Tages Friedhelm aus meiner Klasse (einer der vielen Jungs, den ich bis auf seine fettigen Haare “süß“ fand) mir einen Tampon am blauen Faden vor die Nase hielt und mich fragte, ob ich “das“ verloren hätte, antwortete ich höflich: „Nein, ich brauche das noch nicht.“* Natürlich brüllendes Gelächter bei den anderen.

*Als Fußnote: Sorry, Friedhelm! Aber als ich 1999 die Fotos von unserem 20-jährigen Abitreffen herumzeigte, hielten dich alle für meinen Lehrer....Auch späte Rache ist süß...

Meine Freundin Lisa, die die Jungs, um es mit den Worten meines Vaters zu sagen, „mit der Fliegenklatsche verscheuchen musste“, beschloss, dem Drama ein Ende zu machen und mir endlich ein Erfolgserlebnis zu verschaffen. Seit längerer Zeit traf sie sich an unserem Baggersee mit einer Clique, in der noch Mädchen fehlten. Die Jungs wollten unbedingt ihre Freundinnen kennen lernen. Wie zufällig tauchte ich also am nächsten Tag an der vereinbarten Stelle auf. Langhaarige (also coole!) Jungs mit nackten Oberkörpern in zerfransten Wranglers saßen im Gras und kifften. Der erste, der mich auf meinem Fahrrad sah, breitete die Arme aus...in meinen Ohren summte es...seine grausamen Worte hörte ich wie durch Watte: „Hau bloß ab!“ Wie ich es schaffte, mein Gesicht zu wahren, noch zu murmeln, dass ich nur nach Lisa gesucht hätte, weiß ich heute nicht mehr. Also wieder nix.

Lisas Geduldsfaden war nun endgültig gerissen. Sie nutzte ihre Connections zu den Jungs aus der 8c, und mit Brachialgewalt wurde ich in der großen Pause an den Mann gebracht. Jürgen F. , mit vergleichbarem Loserstatus versehen wie ich, wurde von seinen Freunden zu mir hingeschleppt und brüllte mich an: „Willst du oder willst du nicht?“ Ich wollte, und Jürgen wurde mein erster offizieller Freund. Wir „gingen“ miteinander, und das war wörtlich zu nehmen: Wir gingen zusammen zur Bushaltestelle, wir gingen zusammen über den Schulhof, wir gingen ein- oder zweimal im Park in der Nähe seiner Wohnung spazieren ... und das war’s. Geknutscht hatte ich immer noch nicht.

4. ... und Praxis


Klar war der erste Zungenkuss d a s Thema bei mir und meinen Freundinnen. Eigentlich mehr bei mir - ich versuchte, mich schon im Vorfeld gegen Blamagen und Überraschungen abzusichern, und nervte mit detaillierten Fragen zum Kussvorgang. Wie muss sich die Zunge bewegen? Kreisend oder nur mechanisch vor und zurück? Zähne umschiffen? Wer fängt überhaupt an? Und: Kann ich nicht einfach ihn küssen lassen und dabei still halten?
(Meine favorisierte Vorstellung, aber: Ich wusste eben nicht, wie wundervoll es sein konnte...)

Als es dann wirklich passierte, war es wirklich schön, so schön, wie es eben sein kann, wenn es beim Flaschendrehen passiert.... Ich war schon fünfzehn, und Gaby gab wieder eine ihrer heiß begehrten Partys. Als Idealbedingungen für Parties galten: abgeschiedene Location (Keller, in der Luxusausführung die elterliche Hausbar in rustikaler Eiche), fertig aufgebautes Matratzenlager (oft in hygienisch bedenklichem Zustand, aber wen störte das?), Eltern, die sich nach der Begrüßung auf Nimmerwiedersehen verabschiedeten, natürlich die richtige Musik, aber dazu später mehr... Vor allem aber musste der Schalter für das Deckenlicht von der Tanzfläche aus bequem zu erreichen sein, so dass man es bei den ersten Bluesnummern schnell abschalten konnte. Wir hatten weder Dimmer noch Kerzen, die völlige Dunkelheit war uns gerade recht, und wenn mal jemand beim Chipsholen stolperte und kurz das Licht anmachte, dann wurde er sofort angebrüllt: „Licht aus!“ Noch vor dem Küssen entdeckte ich den Zauber des „Blues“-Tanzens und fand wie alle Teenager großen Gefallen daran. „Zauber“ - was für ein unschuldiges Wort! Nennen wir die Sache beim Namen: Engtanz ist (war?) der ultimative Teeniesex, ohne Risiko, ohne Gefahr von Gesichtsverlust und Blamagen, ohne Sich-Messen-Müssen an den Maßstäben der „Erfahrenen“. Man kommt sich körperlich nahe, obwohl man doch in den anderen gar nicht wirklich verliebt ist, ihn manchmal kaum kennt. Anonymer Direktkontakt unter Missachtung aller Konventionen und Datingregeln in abgedunkelten Räumen - wer immer noch nach den Ursprüngen des Darkrooms forscht, weiß jetzt Bescheid. In meiner grenzenlosen Naivität rätselte ich noch jahrelang daran herum, was mein Tanzpartner wohl Sperriges in seiner Hosentasche verstaut hatte, wies aber nach längerem Nachdenken die Möglichkeit einer Erektion als unrealistisch zurück. Wir hatten schließlich nur getanzt.

Aber dann: Es wurde zum Flaschendrehen aufgerufen. Ich war soo nervös. Die Flasche zeigte auf Andy und mich. Andy - bisher nur ein überaus netter Klassenkamerad, klein, aber hübsch, Bestnoten (er hatte eine Klasse übersprungen, galt aber trotzdem nie als Streber, weil er eben so „in Ordnung“ war)...also schon mal zumindest sympathisch. Und ich! Birgit (nur ganz liebe Freunde nannten mich Biggi), der Klassenclown, unerfahren und dick - eigentlich ein Todesurteil. Als wir vor die Tür gingen, wollte ich einen Witz reißen, das konnte ich gut. Schnell die Peinlichkeit überspielen und wieder hinein zu den anderen. Aber er küsste mich! Und er machte es - zu meinem Erstaunen, denn ihm hatte ich kaum mehr Erfahrung als mir selbst zugetraut - richtig gut! Fand ich zumindest. Er war ganz lieb und zärtlich, und ich glaube, er mochte mich und hatte Spaß daran. Danke, Andy, für meinen schönen ersten Kuss!

5. Lost In Music (Sister Sledge, 1979)

Eigentlich müsste ich jetzt von meinem ersten RICHTIGEN Freund erzählen. Aber alles, was ich erlebte, war in diesen Jahren von Musik begleitet, bestimmt, erfüllt, untermalt, gesteigert, erhöht, angetrieben... Musik war mir nie mehr so wichtig wie damals als Teenager.

Zuerst kamen Bücher (und blieben natürlich). Bis ich 15 war, las ich hemmungslos, was mir in die Hände fiel, ohne Rücksicht auf Qualität oder Altersangemessenheit. Ich stieg dermaßen auf manche Bücher ein, dass ich mich in die männlichen Helden unsterblich verliebte. In dem Maße, wie mein eigenes Leben aufregender wurde, brauchte ich auch die (musikalische) Begleitung; Lesen als Ersatz fürs wahre Leben trat erst mal in den Hintergrund.

Aber Vorsicht, ich rede von Mädchenmusik! Wer jetzt erwartet, dass ich vor Pink Floyd, Genesis, Emerson, Lake & Palmer, Peter Frampton, Black Sabbath, AC/DC und Co. auf die Knie sinke und „I’m not worthy“ stammle, der wird enttäuscht werden. Diese und viele andere sind Namen und Musikstücke, mit denen ich gequält wurde. Die mir auf unzähligen Kassetten aufgenommen wurden, mit denen ich mich auseinander zu setzen und zu denen ich einen intelligenten, sachkundigen Kommentar abzugeben hatte. Die mich zur Lügnerin und Heuchlerin machten. Damit ich bei den coolen Jungs Eindruck schinden konnte. Damit ich zu den angesagten Leuten gehören durfte. Nachts im Bett setzte ich mir Kopfhörer auf und wartete auf die versprochenen intensiven Gefühle, die sich insbesondere bei den endlosen Gitarrensoli einstellen sollten. Statt dessen schlief ich ein oder wurde depressiv und fing an zu heulen.

Leider verstand ich zu viel von den Texten. Ein besonders
schwermütiger Song von Deep Purple brachte mich dazu, mich mit meiner angeborenen Sterblichkeit auseinander zu setzen, so dass ich ins Grübeln geriet und die ganze Nacht nicht schlafen konnte.

Na gut, es gab Ausnahmen. Aber das waren immer die Stücke von Genesis und Pink Floyd und Fleetwood Mac und den vielen anderen, die die Jungs zu kommerziell fanden; es war also verboten, die gut zu finden.

Time und Money von Dark Side Of The Moon waren endlich mal eingängig, mit klaren Botschaften - also zu kommerziell. Nur die frühen Pink Floyd konnte man ernst nehmen. Ähnliches galt für Carpet Crawlers von Genesis ... ich konnte machen, was ich wollte, ich hatte halt den falschen Geschmack.

Es gab aber gewisse Stücke, die schon in den Siebzigern Oldies und über jede Kritik erhaben waren. Zufällig waren die oft gleichzeitig unsere Party-Engtanzhits. Hier die Top Twelve Playlist für Rheinhausener Schülerparties im Jahre 1975:

1. BRIDGE OVER TROUBLED WATER von Simon & Garfunkel, zufällig auch von 1972 bis 1976 eines der Top Ten Alben weltweit
2. SAMBA PA -TI von Santana (my favourite)
3. NIGHTS IN WHITE SATIN von The Moody Blues
4. A WHITER SHADE OF PALE von Procol Harum
5. MORNING HAS BROKEN (würg! Kann ich immer noch nicht wieder hören!) von Cat Stevens
6. LOCOMOTIVE BREATH von Jethro Tull (oder war das 1976?)
Und die damals aktuellen Mittsiebziger-Singles
7. SAILING von Rod Stewart
8. I’M NOT IN LOVE von 10cc
9. LADY IN BLACK von Uriah Heep
Und dann zum Headbangen
10. SMOKE ON THE WATER (muss ich sagen von wem?)
11. RADAR LOVE von Golden Earring
und natürlich immer wieder gern genommen, aber besonders von den Kiffern (für die war Jim Morrisons Drogentod das eigentlich Interessante an den Doors) und Schwermütigen, was oft das selbe war:
12. LIGHT MY FIRE und RIDERS ON THE STORM von The Doors.

P.S.: Für die, die jetzt gähnen müssen: Ich sage nicht, dass wir auf Parties besonders selektiv waren!

P.P.S.: Die Beatles und die Stones waren nicht akzeptiert, da sie noch von unseren Eltern gehört wurden ... sie galten irgendwie als spießig und altmodisch, waren also keine „guten“ Oldies!

Fällt irgendwem auf, dass überhaupt keine Discostücke dabei waren? Wo doch die Siebziger heutzutage als Disco-Jahrzehnt verkauft werden? Man denke nur an die Disco-Filme Studio 54 oder Last Days Of Disco, an das Satuday Night Fever - Revival, an die 70er Show auf RTL... natürlich, Disco war lebendig, und wie! Disco war Oberbegriff für das ganze Spaßprogramm: Sexy Klamotten, Schminke, tanzen, flirten, sich amüsieren, oberflächliches Zeug labern (Modegespräche!!). Damals war es ein guilty pleasure, Disco zu mögen. Discochicks galten als oberflächlich und doof. Die Cliquen, zu denen ich später gehörte, sahen aus wie späte 68er, hatten aber wie ich selbst mit Politik und Protestaktionen nichts mehr am Hut. Sie waren bloß noch langhaarige Kopien der 68er in Afghanenmänteln und indischen Hemden und Löcherjeans, die kifften und aus unerfindlichen Gründen an Weltschmerz (und der dazugehörigen Musik) litten. Zu Smokie und Abba zu tanzen und Hermann Hesse zu lesen passte nicht in ihr Weltbild. Für mich wars nicht wirklich schlimm, eher ein bisschen nervig und lästig. Ein Imageproblem halt, aber das bekam ich in den Griff. Ich war schließlich ein Mädchen. Und Mädchen durften von Musik keine Ahnung haben. Außerdem wurde ich langsam niedlich, bekam also mehr Narrenfreiheit zugestanden. Nur Jungen, die Discomusik hörten, waren eigentlich keine. Die waren alle schwul.

6. Dance, dance, dance (Chic, 1977)
Die Jungs aus meiner Klasse waren nett, und man konnte mit ihnen viel Spaß haben. Mein Traummann war aber nicht dabei. Mit ihren viel zu kurzen Haaren, ausgelatschten Adidas, kaufhausblauen Jeans und braven Ripprollis über - aber damals übrigens auch unter - karierten Hemden kamen sie für mich nicht mehr in Frage. Alles an ihnen war „spießig“ - ein vernichtendes Urteil, gegen das alle inneren Werte nicht ankamen. Ich ging zu den Samstagnachmittagpartys ins katholische Jugendzentrum St. Peter und tauchte ein in eine fremde und aufregende Welt. Dass die Stars im Jugendzentrum von den Jungs in meiner Klasse als „Prolls“ abqualifiziert wurden (und holla, das war die CREME DE LA CREME der Prolls im Ruhrgebiet, im Nachhinein betrachtet), störte mich nicht. Auf mich wirkten die Accessoires ihres Asi-Looks stilbildend und inspirierten mich zu unerhörten Geschmacklosigkeiten. Ich legte mir zur hautengen Wrangler-Jeans mit Schlag eine ebenso enge und kurze Jeansjacke zu. Neidisch machten mich vor allem die Che-Guevara-Portraits (auch schon wieder so ein sinnentleerter Abklatsch der 68er Mode) auf den Jeansjacken der coolsten Jungen. Den Mädchen machte ich die Plastikhaarbürste in der oberen rechten Tasche ihrer Jeansjacke nach - für meine Klassenkameraden vom Gymnasium der Inbegriff allen Prollseins. Aber ich trug sie mit Stolz. Ich gehörte dazu. Meine langen braunen Haare färbte ich rot und fönte sie rechts und links des Mittelscheitels zu einer wilden Mähne nach außen (Farrah Fawcett ließ grüßen).

Ach ja, hier eine Info für spätere Generationen: Plateauschuhe und Minirock gehörten 1976 bereits der Vergangenheit an - die trug man nur noch bis höchstens 1973, als der Glamrock schon am Abflauen war. Und der Mini kam erst Anfang der Achtziger zurück! Schon mal beim Gucken von Saturday Night Fever ein Mädel im Minirock gesehen? Eben!

Apropos Glamrock: Auf seinem Höhepunkt 1972 hatte ich zwar mit

Ausgehen noch nix am Hut, aber Sweet, Suzi Quatro, Slade und vor allem T.Rex waren Götter. Marc Bolan war natürlich der Coolste (aber der ist ja auch wieder mal jung gestorben), und Hot Love meine erste Single überhaupt. Die haute mich richtig um. Ich konnte fast alles verstehen, aber wir rätselten monatelang herum, was nach „She’s my woman of gold, but she’s not very old, a-ha-ha, but I give her hot love...“ kam. Wir kamen nie darauf und mussten beim Mitsingen improvisieren. Aber es gab dann ja bald die genialen TOP-Schlagertexthefte! (Die BRAVO kam erst später mit Liedtexten und ihren grauenvollen Übersetzungen raus.) Ja, wir mussten die Lyrics noch selbst übersetzen.... Dabei übte ich fleißig den Gebrauch des englisch-deutschen Lexikons.

Eigentlich kam jede Menge nebulöser, bedeutungsferner Quatsch dabei heraus. Damals waren meine Idole aber über jede Kritik erhaben. Ich machte mir einfach meine eigene Interpretation. Dass Sweet und Suzi Quatro imagemäßig schon wieder weit unter T.Rex standen, machte mir nichts aus. „Sweet“ - eigentlich ein typischer Glamrock-Name. Da war noch nix Hartes, Männliches, Rockiges drin. Und wenn man ehrlich ist, sahen Brian Connolly und seine Jungs ja auch aus wie ein Club abgehalfterter Transen. Komplett gescminkt, mit falschen Wimpern und roten Knutschmündern, auf Plateauschuhen, in hautenge Glitteroveralls gezwängt ... das ganze Programm. Ich dagegen sah nur Brians blonde Haare. Wie ein Heiligenschein lagen sie um seinen Kopf, akkurat fransig geschnitten (topmodisch damals: der „Rundschnitt“) und gefönt. „Gepflegt“, hätte meine Mutter gesagt. Im Teenierock gab’s keine verlausten, verfilzten Mähnen wie bei den Hardrockern.. Bei Can the Can, 48 Crash, Hell Raiser und Ballroom Blitz ging bei mir im im Kinderzimmer die Post ab. Ich kannte jedes Wort auswendig. Die Bühnenshow von Sweet beherrschte ich bis ins kleinste Detail - zum Glück guckte ich regelmäßig Ilja Richters Disco und hatte es voll drauf. Oh Momma let me out on Saturday night (gesungen) she said now go out and get her go and hold her tight (gesprochen) I said now momma you don’t understand every time I touch her hand (stetig ansteigende Lautstärke, man näherte sich dem Höhepunkt) it’s like I’m burnin’ in the fires of hell...you never can see what’ll happen to me (hysterisches Kreischen) wouldn’t want you to seeeeee (Lustschrei, Polizeisirene, kurze Pause) she’s a hell raiser, star chaser, trail blazer, nat’ral born raver yeah!yeah!yeah! Watch out! (Stampfen, Trommelwirbel). Dazu ruderte ich wild mit den Armen und riss die Augen auf. Wirklich eine exquisite Performance, besonders, wenn man bedenkt, wie ich damals aussah.

Bei uns waren Boots (zum Schnüren, so ähnlich wie Doc Martens Boots) angesagt, die im Sommer, wenn’s ganz heiß war, gegen Clogs oder Jesuslatschen (ich zog immer die Zehen ein, damit keiner meine hässlichen Füße sah) getauscht wurden. Unter der Jacke (wurde nur im Notfall ausgezogen) gab’s kurze (aber nicht bauchfreie!) T-Shirts, teils mit Blusen darüber, und wer sich’s leisten konnte, verzichtete auch auf den BH. War dies vielleicht auch so ein Relikt aus dem Zeitalter der feministischen BH-Verbrennungen? Für viele Teenies war’s die Stunde der Wahrheit - bei uns gab’s weder Busen-OPs noch Push-Ups.

Ich war also richtig schick und konnte endlich tanzen - nicht nur im heimischen Wohnzimmer, sondern öffentlich! Mit 16 hatte ich mein Coming out und sollte bis heute nicht mehr runterkommen von dem Discotrip. Los ging’s - siehe oben - Samstags im Jugendzentrum. Ja, Teenies von heute, lacht nur! Diese Tanznachmittage waren Testlauf und Vorstufe zur aktiven Discophase zugleich, unverzichtbar zum Einüben von Discofoxschritten und Flirttricks und auch einiger weniger harmlosen Vergnügungen. Garantierte Elternbilligung inbegriffen. Denn was sollte schon nachmittags in einem KIRCHLICHEN Jugendzentrum passieren? Teestubenbesucher jener Jahre, ihr wisst Bescheid!

Schon beim Eintreten haute es mich einfach um. MEINE Musik, die ich bisher nur im stillen Kämmerlein gehört hatte! Kein Rockgeschrammel! Im Blitzlichtgewitter sah ich coole Typen, die am Rand der Tanzfläche herumhingen und den discofoxtanzenden Mädchen auf Hintern und Busen starrten. Man darf es eigentlich nicht laut sagen, aber Bonnie Tylers Lost In France wurde meine Einstiegsdroge. Die lange Zeit der Dürre war vorbei, die vielen Monate der Vorbereitung zahlten sich endlich aus. Rückblickend muss ich leider zugeben, dass keine noch so tolle Clubnacht später ähnliche Adrenalinstöße in mir hervrorief wie diese armselige Vorstadtveranstaltung. Ist das nun Disco? Also ein reines Siebzigerphänomen? Oder ist es immer so, wenn junge Mädchen die Bühne des Lebens betreten?


7. Don’t leave me this way (Thelma Houston, 1977)


Im Jugendzentrum tanzte ich nur einen Sommer. Dies aber ausgiebig! Zu Abba und Smokie passte Discofox am besten. Ausnahme war Dancing Queen (hohes Identifikationspotenzial!); dazu tanzte ich allein im Scheinwerferlicht. David Dundas’ Jeans On lässt mich heute noch an heiße Sommernachmittage am Baggersee denken. In den Tanzrausch trieben uns anno 1976 weiterhin: Tina Charles’ hysterische Stimme und hohe Triller bei I Love To Love, der stampfende Urwaldbeat von In Zaire, die unglaublichen Höhen des Sängers von Electric Light Orchestra bei Livin’ Thing, das absolut heitere und unbeschwerte Sommerfeeling von Let Your Love Flow (besser bekannt als Ein Bett im Kornfeld) und im Gegensatz dazu Donna Summers monotones Stöhnen auf Love To Love You Baby. Dazu muss man sagen, dass wir die Story von den angeblich echten 27 Orgasmen während der siebenminütigen Long Version wirklich glaubten. Auch wenn der Song nicht wirklich tanzbar war (zu unberechenbar), versuchten wir uns daran und hörten gleichzeitig genau hin. Die Spannung war ganz geschickt aufgebaut: Nach Donnas schon vor Lust halb ersticktem OH! Love to love you Baby... kam erst mal eine längere Pause. Keine Musik. Und noch ganz leise, von weit weg aus dem Off, kam das erste Orgasmus-OH, das sich langsam steigerte und immer lauter und ekstatischer wurde, bis nach dem letzten Schrei die Discomusik wieder einsetzte. Ja, Donna wusste, wie man Teenagerfantasien anheizt. Britney go home! Mach lieber Werbung für Pepsi und Barbiepuppen.

Irgendwann hatte es ein Ende mit der Tanzerei. Man wurde schließlich älter, und Jugenzentrum war was für Vierzehnjährige. Dachten jedenfalls die Jungs aus der Clique. Und die bestimmten, was angesagt war und was nicht. Welche Musik man gut zu finden hatte. Wo man hinging. Wo man sich andererseits wiederum nie und unter gar keinen Umständen blicken lassen durfte. Wie man aussehen und sich geben musste, um das Gütesiegel „gute Perle“ (unerträglicher Siebziger-Jahre-Ruhrgebiets-Cliquenjargon) verpasst zu kriegen und damit in die Gruppe der Supergirls aufzusteigen, die von Pit dem Göttlichen erwählt wurden. Aber ich greife vor. Noch bin ich nicht so weit. Noch kenne ich DIE CLIQUE gar nicht. Ich hing im luftleeren Raum und spürte, dass die Zeit für Veränderungen reif war. Ich hatte immer noch keinen Freund gehabt.

Eines langweiligen Nachmittags ging ich mit einem Klassenkameraden (Klösi?) in die Teestube der evangelischen Kirche. Gibt es überhaupt noch Teestuben? Was sind heute die Orte der Initiation junger Menschen? Vielleicht MacDonald’s oder Burger King - Filialen? Wie traurig! Die Jungs von heute haben’s schwer. Nie konnte man einem Mädchen erfolgreicher die Sinne vernebeln als in der guten alten Teestube. Allein schon der totale Ausschluss des Tageslichts versetzte dich in romantische Stimmung. Wabernde Rauchschwaden, erzeugt durch unzählige vor sich hin qualmende Zigaretten und Räucherstäbchen, sorgten für die nötige Weichzeichnung und und verstellten den klaren Blick auf Pubertätsakne und fettige Haare. Die auf den
Matratzen herumlümmelnden Jungs sahen irgendwie alle gut aus. Und noch viel besser: Sie fanden, dass ICH gut aussah. So was hatte ich noch nicht erlebt. Ich kam, sah und siegte. Nach 5 Minuten war Klösi vergessen, und ich war umlagert. An jenem Abend konnte ich sie alle haben. Auch die ganz Wilden. Vor denen hatte ich aber noch Angst! Also wurde Peter mein erster richtiger Freund. Hübsch, natürlich langhaarig, nett, bescheiden und nicht allzu schlau. Ich GING mit jemandem. Das war so cool! Und dauerte tatsächlich ein paar Monate - bis er mit mir Schluss machte. Wegen so einer potthässlichen Älteren, die mit ihm ins Bett ging. Der Liebeskummer erwischte mich so richtig. Traf mich völlig unvorbereitet; schließlich hatte ich mich ihm immer überlegen gefühlt! Und so verliebt war ich doch gar nicht in ihn gewesen! Als er es mir sagte („hab’ keinen Bock mehr“), knickten mir die Knie weg und ich musste mich hinsetzen. Bettelte ihn in totaler Selbsterniedrigung an, es sich noch mal zu überlegen. Danach heulte ich jeden Abend. Schwelgte im Leid. Hörte Don’t leave me this way rauf und runter. Verinnerlichte jede einzelne Zeile. Und verknallte mich nach drei Wochen in den Nächsten. Teenagerliebe!

8. Street Life (Crusaders, 1979)


Leider war ab 1978 Schluss mit lustig. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ließen grüßen. Erinnert sich noch jemand an die Szene, in der Christiane F. die prolligen Alks hinter sich ließ und die Kifferclique entdeckte?

Genauso ging’s mir. Mit dem Unterschied, dass ich mit den Drogen nichts am Hut hatte. Ich wollte Pit, so wie eigentlich alle Mädchen damals in Rheinhausen. Keine kannte ich, die nicht allzu gern ihren Typen für Pit sitzen gelassen hätte - sofern er sie überhaupt bemerkte. Pits totale Gleichgültigkeit war echt und wirkte gerade deswegen überaus aufreizend. Was machte es schon, dass die Meisterschaft des Durchanderehindurchsehens hauptsächlich seinem exzessiven Marihuanakonsum geschuldet war? Es reichte schon, dass er mal mildes Interesse signalisierte, und schon kamen sie schwanzwedelnd und hechelnd angelaufen. Dass ich mich über diese ganzen Hühner lustig machte, nutzte mir auch nichts. Als ich an der Reihe war, ging’s mir genau so. Eigentlich kränkte mich das am meisten, nachdem es mit Pit vorbei war: Dass ich, die ich mich geistreicher, intelligenter, witziger, ja sogar hübscher dünkte als die anderen, für Pit nur eine unter vielen war. Mit knapper Not schaffte ich die Standard-Laufzeit von 4 Wochen,
bevor ich abserviert wurde. Allen, die jung oder dumm genug sind, auf Männer mit geheimnisvoller Ausstrahlung reinzufallen, sage ich: Lernt aus meinen Fehlern! Typen mit diesem transzendentalen Blick sind meistens bekifft oder einfach phlegmatisch. Ihre Wortkargheit verdeckt nur, dass sie nichts zu sagen haben. Wirken sie gleichgültig, dann sind sie es meistens auch (und nicht etwa nur unsicher). Auch Miranda aus Sex and the City musste die bittere Wahrheit schlucken: „Er steht einfach nicht auf dich.“
(O-Ton Samantha). Bin ich heute schlauer? Eher nicht. Ich vergaß allerdings zu erwähnen, dass Pit aussah wie Peter Frampton in jungen Jahren,. Oder wie Jim Morrison in blond. Dass er 1,90 groß war und Teile davon (seine langen Beine samt knackigem Brötchenpopo) in knallengen ausgewaschenen flickenbesetzten Jeans steckten. Dass er im Sommer sein weißes T-Shirt auch mal wegließ. Dass er weiche Lippen hatte (konnte man schon sehen, ohne ihn geküsst zu haben). Er war unser aller blondgelockter Engel* und the leader of the pack, der Anführer meiner neuen Clique. Wir hätten uns aber ohne Übertreibung auch „Pits Fanclub“ nennen können.

Als Fußnote: Ich konnte mich nicht überwinden, die traurige Realität in meine schönen Jugenderinnerungen eindringen zu lassen. Aber Pit steht heute als Junkie am Duisburger Hauptbahnhof. Eine Freundin von früher hat beobachtet, wie er einige der vor einem Geschäft ausgestellten Gartengeräte mitgehen ließ. Von seiner Schönheit ist nichts mehr übrig.

Meine Eltern waren entsetzt, wie die fast aller Mädchen, die dazugehörten. Selbstverständlich hatten meine neuen Freunde samt und sonders Hausverbot. Dass wir uns allnachmittäglich auf den Spielplätzen der Krupparbeitersiedlung herumtrieben, machte die Sache auch nicht besser. Nur wenige Jungs aus der Clique hatten ein eigenes Zimmer oder Wohnungen, die groß genug gewesen wären, um als Treffpunkt in Frage zu kommen. Im Winter gingen wir in die Teestuben des EK oder in den „Tempel“ oder hingen in Kneipen oder auf dem Spielplatz rum. Nur Pits engste Freunde samt „Perlen“ durften bisweilen der Kälte entfliehen und mit ihm und Lisa (ja, meine beste Freundin hatte sich Pit geangelt, und natürlich war er unsterblich in sie verliebt!) das Matratzenlager seines Kellers teilen. Immerhin war ich jetzt mit Uwe, Pits bestem Freund, zusammen. Auch blond, fast genauso groß, lieb, ruhig und Wachs in meinen Händen. Durch ihn und Lisa gehörte ich also immerhin zu Pits unmittelbarer Entourage. Im Halbdunkel qualmten wir, was das Zeug hielt, knutschten rum und hörten Genesis und Pink Floyd rauf und runter. Die Jungs waren eigentlich immer zugedröhnt und philosphierten mehr oder weniger sinnfrei über die Bedeutung der Texte. Überhaupt drehten sich alle Gespräche nur um die jeweils neue „Scheibe“, die „Karre“ (das Moped natürlich), das Kiffen und wer gerade dabei erwischt worden war, und vielleicht noch die geplante Interrailreise nach Marokko. Zur Schule ging sowieso keiner mehr von den Jungs, die war also kein Thema.

Warum tat ich mir das alles an? Das Ganze hört sich doch recht trübselig an. Im Nachhinein fällt mir auf, wie wenig in der Clique gelacht oder gekichert wurde. Richtigen Spaß hatte ich viel eher mit Freundinnen und Klassenkameraden. Babschi, Lisa, Klösi, Andy, Armin, Luigi, der eigentlich Bernd hieß, später Wolle und Friedhelm ..... Nicht umsonst fällt mir bei ihnen nur der Spaß ein, den wir zusammen hatten: konspirative Treffen auf dem Klo und im Raucherraum unserer Schule (während des Unterrichts, versteht sich), endlose Sommernachmittage am „Töpper“ (unserem Rheinhausener Baggersee), unsere Wandertage (einer davon ausgerechnet am WM-Endspieltag 1974, mit dem Radio am Ohr), die Spiele des OSC Rheinhausen in der überfüllten und tobenden Rheinhausenhalle, die Fahrradtour nach Düsseldorf zum Spiel Fortuna gegen Bayern, die Abifahrt auf dem Traktor (Luigi mit BH, bauchtanzend...), und natürlich die vielen, vielen Feten (kein neumodisches Wort würde in diesen bier- und persicoseligen, headbangenden, rock’n’rollenden Kontext passen). Wir kriegten Lachkrämpfe, bis wir Tränen in den Augen hatten und uns den Bauch hielten.

Eigentlich führte ich also ein Doppelleben. Die Clique
brauchte ich als Gegenentwurf zu meiner stinknormalen Kleinstadtexistenz. Den Klassenclown hatte ich lange genug gegeben. Der Flirt mit dem Underground befriedigte meine Eitelkeit, war PR in eigener Sache, brachte den erhofften Imagewechsel. Man vergesse nicht, dass der Zeitgeist der Endsiebziger No Future hieß und Düsternis Programm war. Düster wie die Stimmung in der Clique (wenn die Jungs nicht stoned waren), unsere schwarzen Lederhosen, der Kajalbalken im bleichen Gesicht, die Ringe unter den Augen, die Beleuchtung in der Disco und Bowies „It’s too late“. Ich hatte die Message verstanden, kopierte stilsicher Nina Hagen und Debbie Harry und malte mir Augen und Lippen schwarz an (blass war ich sowieso). Wer immer mich in jener Zeit die Szene betreten sah, hätte kaum vermutet, dass es mich einige Mühe kostete, so kaputt auszusehen. Gleichzeitig schaffte ich das Lachen in der Öffentlichkeit ab. Fand mich cool, unnahbar und sehr erwachsen. Es dauerte nicht sehr lange, und ich war von meiner eigenen Show unendlich gelangweilt. Draußen wartete die große Welt auf mich, und ich hing immer noch in Rheinhausen rum. Als ich 1979 mein Abi in der Tasche hatte und zum Studium nach Kiel ging, war es auch höchste Zeit. Neonhell standen die Achtziger am Horizont und warfen ihren kalten Glanz voraus. Der Spaß konnte beginnen.

Aber das ist eine andere Geschichte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /