Cover

Ich wart´auf Dich am Himmelstor

Heute Abend steigt die große Party. Ella wird 18. Endlich! Ella ist meine kleine Schwester und seit Ewigkeiten fiebern wir diesem Ereignis entgegen. Mama ist zuhause schon fleißig am vorbereiten und wir beide sind gerade auf dem Weg, um die letzten Einkäufe zu erledigen. Ella möchte das es perfekt wird. Sie sitzt völlig aufgekratzt neben mir und ihre Euphorie ist ansteckend. Ihr Augenmerk liegt vor allem darauf, heute Abend ihren aktuellen Schwarm Markus, der auch auf der Gästeliste steht, zu bezirzen und ich bin fast sicher das sich ihre Mühe diesbezüglich  auszahlen wird.  Wir lachen und albern herum, während ich meinen  Wagen durch unser kleines Dorf lenke. Wenn wir nicht die schweren Getränkekisten besorgen müssten, hätten wir den relativ kurzen Weg auch mit dem Fahrrad fahren können. Doch so wie ich uns kenne, hätte wir dann trotzdem einen guten Grund gefunden, warum wir doch lieber mit dem Auto gefahren wären.

Ich muss an meinen eigenen 18. Geburtstag  vor drei Jahren denken. Es war eine wirklich gelungene Feier, und wehmütig denke ich daran, wie schnell doch die Zeit vergeht. Jetzt sind wir schon erwachsen und stehen mit beiden Beinen mitten im Leben. Auch ich bin frisch verliebt, habe meine Ausbildung abgeschlossen und stecke schon voll im Berufsleben.  Ella steht direkt vor ihrem Abi, das sie wahrscheinlich erfolgreich bestehen wird, um dann ihren Traum vom Medizinstudium leben zu können. Zur Zeit läuft es bei uns beiden richtig gut und wir haben allen Grund mal wirklich glücklich und zufrieden zu sein.

 Das Wetter spielt heute allerdings nicht ganz mit, es ist trüb und nur vereinzelt lässt die Sonne den ein oder anderen Strahl zu uns durchblicken. Dafür leuchtet ein farbenfroher Regenbogen am Himmel und ich glaube fast, das er heute sogar richtig glitzert. Die Farben sind so intensiv und ziehen mich magisch an. Ich spüre förmlich wie sie sich ein Lächeln auf meine Lippen legt. Zumindest kommt es mir so vor, während ich mich dazu verleiten lasse, dem Regenbogen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als die Straße auf der ich fahre.

Es war wirklich nur ein ganz kurzer Augenblick,  doch dann werde ich durch einen markerschütternden Schrei meiner Schwester und dem Ruckeln des Wagens abrupt wieder in die Realität befördert. Wir befinden uns nicht mehr auf der Fahrbahn. Intuitiv und voller Panik drücke ich auf die Bremse und gleichzeitig auf allem was sich zu meinen Füßen befindet. Ich reiße das Steuer herum doch es ist zu spät. Ein entsetzliches Kreischen von Metall übertönt das Schreien meiner Schwester. Glas zerspringt, irgendwas trifft mich mit voller Wucht an den Kopf und dann ist plötzlich alles ganz ruhig und schwarz…

Ich sehe die alte Frau Elbers schreiend aus ihrem Haus laufen – direkt auf mein kleines rotes Auto zu, das völlig zerstört an ihrer Hauswand zu ruhen scheint. Menschen aus allen Richtungen rennen zu uns herüber. Man versucht die Türen zu öffnen, aber es gelingt scheinbar nicht. Ich höre Wortfetzen „Das sind die Brenner Schwestern“ … „Wir brauchen einen Krankenwagen“ …“Einer muss die Eltern verständigen“  Ich will ihnen sagen das alles gut ist und wir unversehrt sind. Ich winke ihnen zu, aber sie sehen mich nicht. Sie sind so weit weg… Ich bin so weit weg… Ich bin verwirrt von dem hellen Licht das sich über meinem Kopf befindet und zaghaft an meinem Körper zieht. Aber ich bin auch neugierig und blicke immer wieder nach oben, doch ich kann nichts erkennen, außer diesem Licht, das aus vielen tausenden Glitzerpartikeln zu bestehen scheint.

Ich versuche zu blinzeln und schaue wieder zu den Menschen die sich um uns herum versammelt haben. Sie haben es geschafft wenigstens die Tür der Beifahrerseite zu öffnen und ziehen dort einen leblosen Körper heraus. Ich muss mich runter beugen um zu sehen wer es ist. „Ella!!!!“ Sie ist blutverschmiert und scheint ohnmächtig zu sein. Ich will schreien und ihr zur Hilfe kommen, aber es ist unmöglich. Ich bin hilflos und kann nicht zu ihr durchdringen. Dieses Licht über mir zieht mich immer weiter von ihr weg und ich habe kaum noch Kraft mich dagegen zu wehren. Doch das brauche ich auch nicht, denn auf einmal steht sie neben mir, zupft an meinem Ärmel und lächelt mich an. Ich bin so dankbar sievöllig unversehrt zu sehen aber auch irritiert, weil sie doch gerade noch blutverschmiert war. Sie scheint fast zu leuchten und sie sieht so glücklich aus. Wie kann das sein? Ich blicke runter und sehe ihren ramponierten Körper immer noch da liegen. Ein Notarzt ist mittlerweile da und beugt sich über sie, aber ich verstehe das alles nicht. „ Maja,  komm mit, ich will Dir was zeigen“ flüstert sie mir zu und zieht mich ein Stückchen weiter weg. Doch ich kann meinen Blick nicht abwenden von dem was unter uns passiert. Auch die Feuerwehr ist jetzt da und sie haben die Fahrertür mit einer riesigen Schere geöffnet. Als sie einen weiteren Körper aus dem Auto ziehen, trifft mich die harte Erkenntnis,  das es mein eigener ist. Ich möchte weinen, möchte schreien,  aber es funktioniert nicht. Stattdessen fliegen auf einmal kleine goldene Schmetterlinge um mich herum und stehlen  meine ganze Aufmerksamkeit. Ich kann gar nicht anders als ihnen hinterher zu blicken. Tief in mir regt sich der Wunsch ihnen zu folgen und ich gehe einen Schritt vorwärts. Ella lächelt und nimmt meine Hand. Mit der anderen Hand deutet sie in die Richtung in der sie davonfliegen. Mein Atem stockt und ich sehe den wohl schönsten Regenbogen vor mir den ich je gesehen habe. Er ist so farbenintensiv  und er glitzert! Genau wie der, den ich kurz vor unserem Unfall gesehen habe. Doch irgendetwas ist anders an ihm. Er ist so nah und es ist auch  kein richtiger Bogen. Je näher ich ihm komme, desto besser erkenne ich, was es wirklich ist. Es ist eine Treppe. Eine farbenprächtige glitzernde Treppe! Sofort verspüre ich einen unheimlichen Drang sie zu betreten . Ella hat es schon getan. Übermütig hüpft sie von einer Stufe auf die andere. Sie ist umhüllt von kleinen Glitzerpartikeln und sieht sehr glücklich aus. „ Maja, los beeil Dich wir müssen weiter nach oben – guck wie schön es dort ist!“  Sie zieht an meiner Hand und ich gebe nach. Ich stehe jetzt auf der ersten Stufe von dem Regenbogen und es fühlt sich wunderbar an. So leicht und so frei. Ich schaue nach oben und versuche das Ende auszumachen. Es ist noch ein ganzes Stück entfernt aber ich erkenne ein großes goldenes Tor. Ich spüre das ich dorthin muss. Etwas warmes wohliges hat mich gefangen genommen und ummantelt mich vollkommen. Eine leise Melodie nimmt den Platz in meinem Kopf ein und ich brauche einen Moment um zu begreifen, dass es Ella ist die singt. Ihre Stimme ist so warm und voller Liebe, aber auch so anders, als ob sie schon ganz weit weg ist. Erschrocken stelle ich fest das sie schon ein paar Stufen voran gegangen ist. Ich bin mir nicht sicher ob ich vor oder zurückgehen soll. Einerseits möchte ich gerne nach oben gehen und dieses Tor öffnen um zu schauen was sich dort verbirgt, aber andererseits bin ich auch noch nicht ganz bereit mein Leben hinter mir zulassen. „Maja!“ Ella´s Stimme ist jetzt wieder ganz nah und sie sieht mich liebevoll an „ Nimm Dir noch etwas Zeit, ich warte oben auf Dich, am Himmelstor.“ Kaum hat sie die Worte ausgesprochen dreht sie sich wieder um und läuft die Stufen hoch. Mir kommt es fast so vor, als ob sie schwebt. Sie dreht sich nicht noch einmal zu mir um und irgendwann ist sie nur noch ein kleiner Schatten.

Ich bin ganz alleine auf der Regenbogentreppe, ab und zu fliegt ein goldener Schmetterling an mir vorbei. Das warme Licht von oben scheint  mich immer heller und fordernder zu umhüllen und meine Kraft, mich dagegen zu wehren, ist fast erschöpft. Fast sehne ich mich danach einfach loszulassen. Ich nehme mir noch einen Augenblick Zeit um tief durchzuatmen. Dann drehe ich mich wieder um, den Blick nach oben gerichtet und setze einen Fuß auf die nächste Stufe.

Wieder ist es ein markerschütternder Schrei der mich zurückholt. Diesmal kommt er von ganz unten und ich weiß sofort wer da schreit. Es ist unsere Mutter, sie schreit und weint wie von Sinnen. Sie trommelt mit ihren Fäusten auf die Brust eines Sanitäters ein, der sie daran hindern will näher an uns heranzukommen. Es ist schrecklich sie so verzweifelt zu sehen. Ich fange an zu weinen. Ich will noch nicht gehen, aber ich vermisse Ella schon jetzt.

Ein schmerzendes Ziehen geht  durch meinen Körper. Zuerst beinahe zaghaft und dann peitscht er mit einer solchen Wucht in mich hinein, das es mich fast von den Füßen haut. In meinem Kopf tanzen lauter kleiner Sterne, es piept unangenehm und eine bleiernde Schwärze versucht in mich hinein  zu dringen. Ich versuche den Schmerz abzuwehren. Für einen kurzen Augenblick gelingt mir das auch und genau diese Sekunde nutze ich, um die Regenbogentreppe zum Himmel hinaufzurennen…

Ella hat ihr Versprechen tatsächlich gehalten und wartet vor dem großen Tor auf mich. Sie sitzt auf einer weißen, zur Bank geformten, Wolke und ist umringt von diesen vielen goldenen Schmetterlingen, die uns vorangeflogen sind. Sie springt auf, als sie mich sieht, nimmt meine Hand und führt uns beide voller Vorfreude  direkt vor das goldene Tor. Ich sehe wie sich das Tor langsam öffnet, aber ich wende sofort den Blick ab und versuche auch Ella davon abzuhalten hineinzublicken. Ich weiß, sobald wir sehen was sich dahinter verbirgt, haben wir keine Chance mehr, vielleicht doch noch den anderen Weg zu gehen. Ella sieht mich verstört an und wirkt beinahe böse. Eindringlich erwidere ich ihren Blick und flüstere „Ella, Mama wartet dort unten auf uns, hörst Du ihre verzweifelten Schreie nicht? Wenn wir jetzt durch dieses Tor gehen ist alles vorbei. Wir sind jung und haben doch noch viel vor im Leben. Denk nur an die Party und an Markus! Irgendwann kommen wir wieder, aber  nicht jetzt“  Meine Worte zeigen Wirkung und Ellas Wiederstand bricht, sie wirft einen sehnsüchtigen Blick nach unten und in dem Moment gebe ich ihr einen kräftigen Schubs der uns beide die Himmelstreppe wieder hinabstürzen lässt.

Der Schmerz der mich unten erwartet ist kaum auszuhalten, aber das Gesicht meiner Mutter und das leise Stöhnen aus Ellas Richtung zeigen mir, dass es die richtige Entscheidung war, doch noch ein bisschen Zeit auf dieser Erde zu verbringen ….

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.10.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /