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Lukas´Aufgabe


Lukas´ Aufgabe
Es war still an diesem Abend. Still, dunkel und kalt. Nur die zahlreichen Weihnachtsdekorationen an den Fenstern verbreiteten ein sanftes Licht. Der Glockenklang vom Kirchturm, anlässlich des Heiligen Abends, war schon längst verklungen und die Menschen waren alle von der Messe zurück in ihre Häuser gekehrt, um Weihnachten zu feiern! Weihnachten - das Fest der Liebe. Leider hatten die Menschen in der heutigen Zeit vergessen, was genau sie eigentlich zelebrieren sollten. Lukas seufzte leise während er lautlos durch die Straßen ging. Ihm war vor ein paar Tagen aufgetragen worden, einigen Menschen den Sinn von Weihnachten zurückzubringen und ihnen Besinnlichkeit und Liebe zu schenken. In einer Zeit wie heute, die bestimmt wurde von Stress, Hektik und Zeitmangel keine leichte Aufgabe, das war ihm sofort bewusst gewesen als „der Boss“ ihn und einige andere dazu auserwählt hatte. Doch *Nein sagen* kam da oben nicht in Frage und ein Versuch war es allemal wert. Außerdem hatte er heute ja genug Sternenstaub eingepackt, das sollte reichen um zumindest dem ein oder anderen zumindest ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.
Lukas war eingeteilt worden für eine kleine Siedlung, eine sogenannte Sackgasse mit ein paar Wohnhäusern, wo die Menschen nicht unterschiedlicher hätten sein können. Hier kannte sich zwar jeder und nickte sich zu, aber das war es auch schon. Nächstenliebe oder gar Freundschaft suchte man hier leider vergeblich…
Ein großer Tannenbaum am Ende der Sackgasse war von Familie Tappert geschmückt worden. Die Lichter des Baumes ließen die bunten Kugeln daran, in voller Pracht um die Wette glänzen. Auch ihre Fenster hatten sie alle weihnachtlich geschmückt. Alles sah sehr friedvoll, gemütlich und heimelig aus, fand Lukas. Das Haus der Tapperts war das größte hier - beinahe ein wenig prunkvoll sah es aus zwischen all den anderen Häusern. Herr Tappert war ein wohlverdienender Bankier, während seine Frau daheim blieb und sich um das Haus und die 3 Kinder kümmerte. Lukas schlich sich ans Fenster um einen Blick auf die Familie zu werfen, die im Wohnzimmer saß. Doch das was er sah, war nicht das was nach außen hin vermittelt werden sollte… Die Kinder hatten ihre zahlreichen Geschenke ausgepackt und stritten wütend miteinander weil sie, ihrer Meinung nach, nicht genug bekommen hatten. Sie gönnten sich untereinander die Geschenke nicht und waren mürrisch und gemein. Frau Tappert saß schimpfend und betrübt mit einer fast leeren Weinflasche am Wohnzimmertisch und war sichtlich betrunken, während der Hausherr am PC saß und sich nicht für das interessierte, was um ihn herum passierte. „Na fröhliche Weihnachten“ flüsterte Lukas leise. Er holte ein wenig Sternenstaub aus seinem Beutel und blies es auf das Haus, bevor er ein leises Gebet sprach und sich dann auf zum nächsten Haus machte. Er brauchte nicht länger am Fenster zu stehen um zu wissen, dass die Familie gleich für einen kurzen Augenblick etwas unerklärliche Wärme in ihren Herzen spüren würde, was ihnen zwar etwas unbehaglich wäre, aber sie würden es friedvoll annehmen: Besinnung!
Frau Anger, eine 74 Jährige leicht ergraute Dame wohnte seit ca. 9 Monaten alleine in ihrem großen Haus, direkt neben den Tapperts. Ihr Mann war im Frühling an seinem Krebsleiden gestorben. Ihre Fenster waren überhaupt nicht geschmückt und Lukas wusste das sie heute auch nicht in der Messe gewesen war. Sie war immer noch wütend auf seinen Boss. Sie glaubte das er ihr den Mann einfach weggenommen hatte um sie zu quälen und konnte ihm nicht verzeihen. Seit 9 Monaten war sie verbittert und hatte niemanden mehr an sich herangelassen. Am Anfang hatten es noch Freunde und Verwandte versucht, aber irgendwann hatten sie aufgegeben. Es war eben lästig und unangenehm jemanden zu besuchen, der traurig und verbittert war. Selbst ihre Kinder hatten sich mehr oder weniger abgewandt und es sich heute nur einen Telefonanruf am Nachmittag kosten lassen, um ihrer Mutter ein frohes Weihnachtsfest zu wünschen. Wie makaber! Lukas wurde sehr traurig, als er darüber nachdachte, wie die Menschen manchmal miteinander umgingen. Ein Blick durch das Fenster von Frau Anger bestätigte seine Ahnung. Sie saß allein, ganz in schwarz gekleidet vor ihrem Kamin im Schaukelstuhl und starrte traurig in die knisternden Flammen. Ein paar glitzernden Spuren in ihrem Gesicht verrieten ihm, das sie weinte. Lukas hätte kein Engel sein müssen um zu erkennen, dass sie an ihren verstorbenen Mann dachte. Der Sternenstaub den Lukas hier auf das Haus blies rieselte langsam an den Wänden herunter und noch während er das leise Gebet sprach, stand Gerti Anger mit einem Lächeln auf den Lippen auf, wischte ihre Tränen ab und schaute zum Fenster hinaus und durch Lukas hindurch. Er kannte das Gefühl welches sie jetzt in sich trug ganz genau: Vergebung!
Lächelnd überquerte er die Straße um bei Anna und Bernd vorbeizuschauen. Sie waren erst vor kurzem in diese Siedlung gezogen und waren noch dabei sich häuslich einzurichten. Die Gardinen am Fenster fehlten noch, aber das hatte sie nicht daran gehindert den Weihnachtsschmuck in die Fenster zu hängen. Leuchtende Sterne inmitten eines aufgesprühten Schneemusters spiegelten sich darin. Lukas brauchte gar nicht ganz nah ans Fenster zu gehen. Er sah die beiden schon von weitem. Anna war heute den ganzen Tag schon unheimlich nervös gewesen, bei der Messe war ihm das ganz besonders deutlich aufgefallen. Sie konnte sich kaum konzentrieren und ihre Hand hatte sich schützend um ihren Bauch gelegt. Lukas wusste warum und lächelnd blies er hier ein ganz kleines bisschen von seinem Sternenstaub in ihre Richtung. Mit dem Lächeln im Gesicht und den Worten „Seid gesegnet“ ging er schnell weiter, schließlich gehörte es sich nicht einem so intimem Gespräch zu lauschen. Bernd würde gleich eines der schönsten Geschenke bekommen die eine Frau einem Mann machen konnte: Die Nachricht das sie ein Kind von ihm unter ihrem Herzen trug. Liebe!

Ein ganz anderes Bild dagegen bot sich ihm im Nachbarhaus. Svenja und Arne waren fast im gleichen Alter wie Bernd und Anna. Doch ihr Glück stand seit einiger Zeit auf der Kippe und sie wussten nicht wie sie damit umgehen musste. Svenja war seit Monaten traurig und keiner kannte den Grund dafür. Selbst Lukas fiel es schwer, ihre Situation in Worte zu fassen. Sie war unglücklich mit allen was sie tat. Es fiel ihr zunehmend schwerer, mit beiden Beinen fest im Leben zu stehen. Svenja war depressiv und genau so sah sie auch aus, als Lukas einen Blick durch ihr Fenster warf. Weinend saß sie auf dem Sofa und starrte ins Leere. Sie hatte ihre Beine umschlungen und wiegte sich leicht hin und her. Wenn man sie jetzt fragen würde, was los wäre, sie würde keine Antwort geben können. Sie wusste ja selber nicht genau was das Problem ist. Arne saß hilflos auf einem der Sessel und fragte sich immer und immer wieder was er falsch gemacht hatte. Aber auch er würde keine Antwort finden, die ihn befriedigen konnte. Die einzige Chance für beide, wäre das Svenja eine Therapie machen würde. Doch noch war sie nicht soweit, sich das einzugestehen. Lukas hoffte das er sie mit seinem Gebet erreichen würde, aber sicher war er sich auch nicht. Diese Krankheit war keine sichtbare Verletzung wo man ein Pflaster drauf kleben konnte und alles wäre gut…Nein hier musste die Seele geheilt werden und das konnte Lukas noch nicht wie er glaubte. Er würde seinem Boss später davon erzählen, vielleicht hatte der ja eine Idee?! Und so blies er selber fast ein wenig deprimiert den Sternenstaub in Svenjas Richtung, während er sie in sein Gebet einschloss und ihr alle Kraft der Welt wünschte. „Depressionen sind kein Grund um traurig zu sein“ murmelte er das Zitat was er neulich aufgeschnappt hatte, noch während er sich umdrehte und auf das Haus von Friedhelm Bertram zu lief.
Hier wagte sich sonst niemand her. Friedhelm Bertram war dafür bekannt seine Mitmenschen zu quälen und demütigen so gut es ihm möglich war. Genau deswegen war er der wohl einsamste Mensch den Lukas kannte. Selbst Frau Anger hatte mehr soziale Kontakte als Fietje -wie ihn seine früheren Freunde immer genannt hatten. Doch mit seiner gemeinem Art hatte er sie alle aus seinem Leben verjagt. Niemand besuchte ihn mehr. Alle mieden ihn und selbst der Postbote lieferte seine Post dort so schnell es ging ab und machte sich dann genauso schnell wieder aus dem Staub. Viele hatten Angst vor den wüsten Beschimpfungen die einen an den Kopf geschmissen wurden, wenn man auf Friedhelm Bertram traf. Irgendwann war irgendetwas in seinem Leben schief gelaufen und er war zum Schrecken seiner Mitmenschen geworden. Keiner konnte ihm mehr etwas recht machen oder gar Gutes tun. Er blockte alles ab und beleidigte jeden wo er nur konnte. Die Nachbarn schnitten ihn, wo es nur ging und im Supermarkt des Dorfes hatte er es sogar so weit getrieben, das man ihm dort Hausverbot erteilte. Das er sich selber damit am meisten schadete, hatte er nie eingesehen. Lukas spähte vorsichtig durch das Fenster und sah Friedhelm Bertram grimmig vor dem Fernseher sitzen. In seinem Haus war alles unordentlich und Weihnachtsdeko war nirgendwo zu finden. Seine Miene war kaum lesbar, aber Lukas glaubte einen Hauch von Unzufriedenheit zu erkennen. Friedhelm Bertram war jetzt 79 Jahre alt und hatte nichts und niemanden mehr in seinem Leben. Gerade an Weihnachten musste das eine bittere Erkenntnis sein. Vielleicht war seine Zeit hier auf Erden schlicht und einfach abgelaufen und er musste einer neue Sphäre entgegenreisen, um die Liebe zu empfangen und auch senden zu dürfen, wie es jeder von uns tun sollte. Lukas blies vorsichtig ein kleines bisschen Sternenstaub in die Luft und flüsterte „Der Herr sei mit Dir“ Dann ging er mit gesenktem Kopf weiter…
Das Haus der Familie Kantek hatte er sich bis zum Schluss aufbewahrt. Lukas wusste das er hier das finden würde, wonach er sich selber sehnte und es sich für viele andere Menschen auch wünschte. Hier wurde noch Weihnachten mit Freude gefeiert. Hier würde er Dankbarkeit finden. Dankbarkeit und Liebe. So war es auch. Gemeinsam saß die Familie am großen Tisch im Eßzimmer zusammen. Hier waren mehrere Generationen zu finden. Kinder, Enkelkinder und Großeltern waren hier zusammen, um gemeinsam den Heiligen Abend zu verbringen. Sogar die Urgroßeltern waren da. Welch ein schönes Bild. Hier wurden nicht die Geschenke in den Mittelpunkt gestellt sondern die Gemeinschaft. Natürlich hatte man auch hier ein paar Kleinigkeiten für die Kinder besorgt, aber wichtiger war es ihnen allen, Zeit miteinander zu verbringen. Sie hatten gerade das Tischgebet beendet und würden jetzt gemeinsam essen. Ein Mahl was alle Frauen zusammen gekocht hatten, damit nicht die Arbeit an einer einzelnen Person hängen blieb. Danach würde der Vater und Hausherr eine alte Weihnachtsgeschichte vorlesen, wo alle mit leuchtenden Augen zuhören würden. Sie würden traditionell Weihnachtslieder singen und die Kinder konnten ihre Geschenke auspacken. „Weihnachtslieder“ Lukas seufzte leise und dachte mit Grauen an die Cd´s die man heutzutage stattdessen lieber abspielte. Schade das so vielen Menschen nicht einmal mehr das Weihnachtsfest dazu animieren konnte etwas näher zusammen zu rücken. Er wandte sich vom Fenster der Kantkes ab und sparte sich den Sternenstaub auf, denn diese Familie würde es nicht brauchen. Sie trugen die Liebe im Herzen und das war alles, was man brauchte um glücklich zu sein. So beschloss Lukas den Rest des Sternenstaubes hoch hinaus in die Luft zu blasen und ihn in Schneeflocken zurück auf die Erde fallen zu lassen. So hatten alle Häuser hier noch einmal die Gelegenheit etwas davon abzubekommen…
Die Kanteks waren die ersten, die die Schneeflocken bemerkten und die Freude stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Gemeinsam beschlossen sie raus zu gehen und den Schnee willkommen zu heißen. Verschneite Weihnachten waren schon was besonderes.... Es war die Ur-Oma die den Stein ins Rollen brachte und ihre Idee Gerti Anger doch zum Kaffee rüberzuholen und gemeinsam mit ihr den Rest des Abends zu verbringen. Opa Kantek ging rüber zu seinem früheren Freund Friedhelm Bertram, klingelte und legte ihm ein kleines Päckchen vor die Tür, bevor er schnell den Rückzug antrat. Mutiger war er nicht, denn er wusste das Fietje sich verändert hatte. Doch tief in seinem Herzen würde er sich sicherlich freuen das jemand an ihn gedacht hatte. Davon war Kurt Kantek überzeugt als er durch die Schneeflocken zurück zu seiner Familie lief die gerade freudig Gerti Anger begrüßte. Sie hatte zwar zögerlich, aber tatsächlich zugesagt, den Rest des Abends mit den Kanteks zu verbringen...
Anna und Bernd dagegen fühlten eine innige Wärme in ihren Herzen und beschlossen, das es jetzt an der Zeit wäre, die Nachbarn kennenzulernen. Sie klingelten mit einem Teller voll Weihnachtsgebäck bei Svenja und Arne und wurden freudig rein gelassen. Arne war froh über die Ablenkung und auch Svenja schien nichts dagegen zu haben. Im Gegenteil sie vergaß sogar für ein paar Stunden ihre Traurigkeit und somit hatte der unerwartete Besuch etwas wunderbares für sie alle.
Nur Familie Tappert saß zwar allein, aber gemeinsam in ihrem großen Wohnzimmer. Die Gemüter hatten sich beruhigt. Der PC war aus und Frau Tappert hatte sich hochgerappelt. Zusammen saßen sie über einem Gesellschaftsspiel, das eines der Kinder geschenkt bekommen hatte. Es sah so aus als ob sie alle große Freude daran hatten…
„Geht doch!“ sagte Lukas zufrieden und bahnte sich einen Weg durch die Schneeflocken nach oben, um dort gemeinsam mit den anderen Engeln Weihnachten zu feiern…SEIN ganz persönliches Weihnachten…

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Tag der Veröffentlichung: 14.12.2012

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