In der kunterbunt glitzernden Sternstaubgalaxie lebte einst die Windrosenprinzessin auf einem wunderschönen Planeten, der so klein war, dass man ihn an nur einem einzigen Tag zu Fuß gehend umrunden konnte. So konnte die Windrosenprinzessin, solange sie das wollte, den Tag in der hellen und warmen Mittagssonne zubringen und die Schönheit ihrer kleinen Welt bestaunen, denn die Sonne hielt stets mit ihr Schritt. Doch genauso gut konnte sie auch die Nacht über, die kunterbunten Sterne der Sternstaubgalaxie bewundern. Sie musste dann nur warten, bis sich die Sonne auf der entgegengesetzten Planetenseite befand; und dann konnte sie, wenn sie der Laufrichtung der Sonne folgte, solange durch die Nacht wandern, wie sie mochte. Sehr oft aber saß sie ganz einfach den ganzen Tag am Teich der tausend Träume und ließ ihre Füßchen in dem warmen, tiefschwarzen Gewässer, in dem sich bei Tag die wandernden Wolken des Himmels und bei Nacht die bunten Sterne widerspiegelten, baumeln und hing dort versonnen ihren Gedanken nach.
Einmal aber geschah es, dass sie ihre Glöckchenkette, die sie immer um die Fessel ihres Fußes trug, verlor, als sie gerade mal wieder die Beine im Teich baumeln ließ. Darüber wurde sie dann sehr traurig, denn der Teich war viel zu tief und auch zu dunkel, als dass sie nach dem Fußkettchen hätte tauchen können. Schließlich fing sie gar an zu weinen und leise zu schluchzen. Der freundliche Frosch, der am Teich der tausend Träume wohnte, hörte dies und schwamm darum auf die Windrosenprinzessin zu. „Warum weinst du denn nur so?“, fragte er besorgt. Die Windrosenprinzessin antwortete: „Ach, es ist nicht so schlimm, freundlicher Frosch. Ich habe nur meine Glöckchenkette verloren und kann nicht nach ihr tauchen, denn der Teich ist für mich zu tief und zu dunkel“. „Für mich ist der Teich nicht zu tief und auch nicht zu dunkel“, entgegnete der freundliche Frosch und bot der Windrosenprinzessin an, nach dem Kettchen zu suchen.
Lange tauchte der freundliche Frosch am Grunde des Teiches hin und her. Doch er konnte das Fußkettchen der Prinzessin nirgends entdecken. Gerade aber als er die Suche aufgeben wollte, da sah er im Maul der riesigen Traumperlenmuschel, die am Grund des Teiches wohnte, etwas Glänzendes schimmern. So schwamm der freundliche Frosch zu ihr hin und fragte sie: „Sagt, Frau Traumperlenmuschel, ist das in euerem Mund die Glockenkette der Windrosenprinzessin?“ „Ja“, antwortete die Traumperlenmuschel, „Sie ist mir direkt in meinen Mund gefallen“. Daraufhin fragte der freundliche Frosch, ob er die Kette an sich nehmen dürfe, um sie der traurigen Windrosenprinzessin zurückzubringen, doch die Traumperlenmuschel wollte die Kette nicht so einfach hergeben, sondern nur im Tausch gegen die Traumperle, die sie beim Spielen verloren hatte. „Wo habt ihr denn eure Traumperle verloren?“, fragte der freundliche Frosch. „Ich weiß es leider nicht genau“, antwortete die Traumperlenmuschel: „Ich habe mit der Perle gespielt. Ich warf sie immer höher und höher. Irgendwann hab ich sie dann so hoch geworfen, dass sie über die Wasseroberfläche hinausgeflogen ist. Seither habe ich sie nicht mehr gesehen und mache mir große Sorgen, denn die Perle ist keine gewöhnliche Perle. Ich habe in ihr die Alpträume eingeschlossen, damit sie niemanden plagen können. Doch wenn die Perle zerbricht, dann werden die Alpträume daraus entfliehen. Darum ist es sehr wichtig, dass ich sie unversehrt wieder zurückbekomme. Doch ich kann dieses Gewässer nicht verlassen. Daher bitte doch die Windrosenprinzessin, nach der Perle zu suchen. Im Tausch will ich ihr dann ihre Kette zurückgeben.“ Der Frosch antwortete: „Ich werde sie darum bitten“ und schwamm dann wieder zur Oberfläche des Teiches um der Windrosenprinzessin die Situation zu erklären.
Die Windrosenprinzessin zeigte sich sehr über den Verlust der Traumperlenmuschel besorgt und begab sich alsbald auf die Suche. An vielen Tagen lief sie über ihren kleinen Planeten hin und her und suchte überall nach der Traumperle; doch so sehr sie auch suchte, sie konnte sie nirgends finden. Müde geworden legte sie sich auf die kleine Rosenwiese und wartete auf den Einbruch der Nacht.
Die Sonne versank hinter dem Horizont und die kleine Welt der Windrosenprinzessin wurde in das dunkle Licht der Nacht getaucht. Am Himmel begannen die Sterne bunt zu glitzern. Über die Schönheit dieser bunten Sterne war die Windrosenprinzessin immer wieder erstaunt, und fragte sich, weil sie nicht wusste, dass die Sterne weit entfernte Sonnen waren, woraus die Sterne wohl gemacht seien, ja ob es gar Perlen seien und ob sich nicht vielleicht auch die Traumperle dort oben am Nachthimmel verborgen hielt? Über diesen Überlegungen schlief sie ein und erwachte in einem Traum wieder.
Auch in ihrem Traum befand sie sich noch auf der Rosenwiese, auf der sie eingeschlafen war. Eigentlich sah alles völlig unverändert aus. Dass sie sich dennoch in einem Traum befand wurde ihr erst dadurch bewusst, als sie bemerkte, dass die physikalischen Gesetze plötzlich keine Gültigkeit mehr besaßen und auch sonst nichts mehr den bekannten Gesetzen ihrer bekannten Welt folgte. Die Rosen der Wiese beispielsweise sangen im warmen Wind der Nacht ein leises, aber dennoch gut vernehmliches Lied:
Wie kleine Perlen sind die Sterne
Du glaubst: Sie wohnen in der Ferne?
Doch nein! Sie sind zum Greifen nah,
Denn nur für Dich sind Sterne da.
Steh auf! Bleib nicht am Boden liegen.
Denn Du kannst zu den Sternen fliegen.
Die Arme gleichen Vogelschwingen,
Die Dich hoch in die Lüfte bringen.
Lass Dich vom Windhauch einfach tragen!
Wohin? Die Strömung wird’s Dir sagen.
Da erhob sich die Windrosenprinzessin, dem Ratschlag der Rosen folgend. Sie schlug kräftig mit ihren Armen und schon befand sie sich, einem Vogel gleich, hoch über der Erde in den Wolken und flog den Sternen entgegen. Sie sauste mit der Geschwindigkeit der Gedanken, die so viel schneller ist als die des Lichts, durch die bunte Sternstaubgalaxie hin und her und erfreute sich an der Schönheit ihres Universums. Vielen Sternen stattete sie einen kurzen Besuch ab und unterhielt sich ein wenig mit ihnen, denn Sterne haben viel zu erzählen, weil sie schon so viel gesehen haben. Einer dieser Sterne erzählte ihr, dass er erst kürzlich etwas Sonderbares gesehen hätte: Ein neuer kleiner Stern, der irisierend wie eine Seifenblase leuchtet, sei kürzlich der Welt, die die Windrosenprinzessin ihr Zuhause nenne, entsprungen. Die Windrosenprinzessin fragte den Stern, ob der denn wisse, wo dieser neue Stern jetzt sei, woraufhin der Stern in die Richtung wies, in der er jenen neuen Stern zuletzt gesehen hatte. Die Windrosenprinzessin folgte dieser Richtung und fand auch schon nach kurzer Zeit die regenbogenfarbene Traumperle. Sie ergriff sie mit ihrer Hand und flog gemeinsam mit ihr eilig zurück nach Hause. Doch die Geschwindigkeit, mit der sie nach Hause eilte, war zu hoch, so dass die Windrosenprinzessin unsanft auf der Rosenwiese landete und die Perle in zwei Hälften zersprang.
Die Windrosenprinzessin erwachte und wunderte sich über diesen sonderbaren Traum. Dann jedoch sah sie in ihre Hand und bemerkte, dass sie tatsächlich die Traumperle in ihren Händen hielt. Sie war, genau wie in ihrem Traum, in zwei Hälften zerfallen. Inmitten dieser beiden Hälften befand sich ein kleiner schwarzer Schmetterling, der lange Zeit in der Traumperle eingeschlossen war und dort von den Alpträumen, die ebenfalls in der Traumperle gefangen waren, gequält wurde. Die Windrosenprinzessin setzte den schwarzen Schmetterling behutsam auf ihre Schulter und gab dem schwachen und mageren Schmetterling ein paar Rosenblätter zu fressen. Dann begab sie sich zum Teich der tausend Träume und reichte dem freundlichen Frosch die zerbrochene Traumperle, damit dieser sie der Traumperlenmuschel bringe.
Der Frosch tauchte zum Grund des Teiches und gab die Traumperle der Traumperlenmuschel, die sich sehr besorgt darüber zeigte, dass nun all die Alpträume, die sie darin eingefangen hatte, entflohen waren. Nichtsdestotrotz hielt sie Wort und gab dem Frosch die Glöckchenkette der Windrosenprinzessin. Dieser schwamm damit zurück an die Oberfläche des Teiches und reichte sie der Windrosenprinzessin, die sie dankbar wieder um die Fessel ihres Fußes legte. Sie verabschiedete sich vom freundlichen Frosch und ging mit dem schwarzen Schmetterling, der noch immer auf ihrer Schulter saß, lange durch die Mittagssonne spazieren, so dass dieser Kraft aus dem warmen Licht der Sonne schöpfen konnte.
Der Schmetterling wuchs durch die Fürsorge, die ihm die Windrosenprinzessin zu Teil werden ließ, heran. Seine schwachen schwarzen Flügel wurden größer und stärker und Farbe kehrte in sie zurück, denn die Flügel hatten ihren einstigen Glanz verloren, weil der Schmetterling so lange in der Dunkelheit der Alpträume gefangen lag.
So ging einige Zeit dahin und es war eine glückliche Zeit, nicht nur für die Windrosenprinzessin, sondern auch für den Schmetterling. Eines Tages aber geschah ein Unglück. Ein riesiger Asteroid lag schon seit langer Zeit auf Kollisionskurs mit der kleinen Welt der Windrosenprinzessin. Nun war er so nahe gekommen, dass das Unvermeidliche unausweichlich wurde. Der Asteroid prallte mit voller Wucht mit der kleinen Welt zusammen und diese zersprang in einer Explosion in unzählige kleine Stücke, die richtungslos in die unendlichen Weiten des Alls geschleudert wurden. Der Windrosenprinzessin aber war es gelungen, sich an einem Trümmerteil festzuhalten. Doch dieses Bruchstück wurde in den kalten und dunklen Teil des Universums getrieben, weit jenseits der glühenden Sterne. Irgendwann würde sie dort dann bitterlich erfrieren müssen.
Der Schmetterling wurde durch die Wucht des Aufpralls, der die kleine Welt der Windrosenprinzessin zerstört hatte, in die entgegengesetzte Richtung geschleudert. Doch er wollte ohne die Windrosenprinzessin nicht mehr sein. Daher breitete er seine bunten Flügel aus und flog durch die unendliche Weite des Alls, um nach seiner Prinzessin zu suchen. Doch wahrscheinlich hätte er sie nie wieder gefunden, wenn da nicht das Glöckchenband der Windrosenprinzessin gewesen wäre. So aber musste der Schmetterling nur dem Klang der Glöckchen folgen, den diese erzeugten, während die Windrosenprinzessin in Richtung des kalten und schwarzen Teils des Universums stürzte. Bald schon konnte er sie sehen und schließlich war er ihr so nahe, um sie mit seinen Beinen greifen zu können. Behutsam flog er gemeinsam mit ihr in Richtung der Sterne…
Auch heute noch reisen sie durch das kunterbunte Meer der Sterne der Sternstaubgalaxie, in dem es unendlich viele Abenteuer zu erleben gibt.
Texte: Boris Wommer
Bildmaterialien: Boris Wommer
Tag der Veröffentlichung: 13.03.2012
Alle Rechte vorbehalten