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1. Nur ein Traum...




Es war ein Morgen wie jeder andere. Schnee glitzerte auf den Bäumen, die Straßen waren wieder einmal nicht geräumt worden und der Bus verspätete sich ebenfalls. Myra fror sich beinahe die Finger ab, während sie allein darauf wartete, dass der Schulbus endlich um die Ecke gebogen kam. Erst ganze fünf Minuten später, als sie schon glaubte erfrieren zu müssen, bog er um die Ecke und kam beinahe schlitternd zum Stehen.
Kaum waren die Türen aufgegangen, sprang sie auch schon hinein und kaufte sich eine Fahrkarte. Auf einen Sitzplatz brauchte sie auch an diesem Morgen nicht zu hoffen, da sie die letzte Haltestelle vor der Schule hatte. Ein leises Seufzen entfloh ihren Lippen und sie klammerte sich mit ihren eiskalten Fingern an eine der ebenfalls kalten Stangen, während der Bus langsam anfuhr. In Gedanken bereitete sie sich schon auf zwei Stunden Langeweile in Mathe und einem viel zu lang dauernden Nachmittag vor. Was wirklich auf sie wartete, wusste sie zu dem Zeitpunkt noch nicht.

„Leute… LEUTE!“, rief die Lehrerin in die plappernde Menge der Schüler und schien beinahe vor einem Wutausbruch zu sein. In der letzten Reihe verdrehte die Rothaarige nur die Augen. Zwei Stunden Mathe waren schon schlimm genug gewesen, aber jetzt auch noch Vertretung bei ihrer allseits verhassten Sozialkundelehrerin zu haben, war der reinste Horror. Von der Seite hörte sie, wie ihre Banknachbarin irgendetwas von ‚Hexe‘ murmelte und sie nickte mechanisch. Ihr Blick war nach draußen auf die herabfallenden Schneeflocken gerichtet. Wann konnten nur endlich Ferien sein? Keine Lehrer, keine Hausaufgaben, keine verpatzten Exen oder Schulaufgaben… Einfach nur Ausschlafen, mit Freunden etwas ausmachen und dergleichen. Mit einem leisen Seufzen schüttelte sie den Kopf und wandte ihn schließlich gezwungenermaßen nach vorne auf ihre Lehrerin, die versuchte ihnen irgendetwas über die Politik beizubringen.
Glücklicherweise unterbrach sie in diesem Moment eine durchgehend schrille Sirene. Es war allerdings nicht die Schulglocke, sondern der Feueralarm. Jetzt fiel Myra auch wieder ein, dass ihre Klassenleiterin vor ein paar Tagen etwas von einem Probe-Feuerwehralarm erzählt hatte. „Alle nehmen sich ihre Jacken und verlassen in Zweierreihen das Klassenzimmer! Lasst alles einfach liegen und macht bitte keine Hektik beim Runtergehen!“, rief die Sozialkundelehrerin in den Raum, was allerdings ziemlich überflüssig war. Die Schüler hatten sich schon von allein in Zweiergruppen zusammengefunden und hintereinander aufgestellt. Myra reihte sich ganz zum Schluss in die Schlange ein. Dabei fiel ihr Blick auf ihren Nebenmann und ihr stockte beinahe der Atem, als sie erkannte, wer neben ihr stand. Wieso musste sie ausgerechnet mit ihrem Schwarm nach draußen gehen? Zwar versuchte sie schon seit Anfang des Jahres irgendwie an ihn heran zu kommen, aber andererseits war sie sich absolut unsicher, ob er sie genauso mochte, wie sie ihn. Fast schon hastig wandte sie den Blick von Dan ab und richtete ihn auf eine Freundin aus ihrer Clique, welche weiter vorn neben einem Jungen aus der vorderen Reihe stand.
Währenddessen hatte ihre Lehrerin angefangen sie alle aus dem Klassenzimmer zu scheuchen und in Richtung Treppe zu treiben, die sie schließlich in die Aula führte. Dort waren schon etliche andere Schüler, die sich auf die Tür zu bewegten, welche auf den Pausenhof in Richtung Sportplatz führte. Dort würden sich alle Klassen versammeln und durchgezählt werden. Myra war das im Moment total egal. Ihr Herz zog die gesamte Aufmerksamkeit auf sich und für sie fühlte es sich beinahe so an, als ob es aus ihr heraus und zu Dan hüpfen wollte. Dennoch hielt sie den Blick eisern auf Nora und ihre anderen Freundinnen gerichtet. In letzter Zeit traute sich die Rothaarige nicht einmal mehr in seine Richtung zu blicken, da sie teilweise das Gefühl hatte, dass sie anfing ihn anzustarren. Es war schon komisch und sie wusste noch immer nicht, was in ihr eigentlich vor sich ging.
Ein lautes Kreischen lenkte sie von ihren Gedanken ab und sie sah sich irritiert um. Inzwischen waren sie alle auf dem Sportplatz angekommen, doch alle Blicke richteten sich zurück zur Schule. Vermutend, dass vielleicht doch ein Feuer ausgebrochen war, wandte sich Myra schließlich ebenfalls um. Das was sie allerdings sah, verschlug ihr die Worte. Bevor sie sie wiederfinden konnte, sah sie nur noch ein grelles Licht und sie spürte, wie eine enorme Druckwelle sie zu Boden warf. Noch bevor sie aufkam, verlor sie aber auch schon ihr Bewusstsein.


Grelles Licht, eine niederschmetternde Druckwelle. Damit hörte ihr Traum auf, als sie schließlich aufwachte. Irgendwie kam ihr alles mehr als unnormal vor und sie unterdrückte ein Gähnen. Langsam schlug sie die Augen auf und blinzelte ein paar Mal verschlafen. Leicht verwirrt blickte sie um sich, bevor sie leichte Panik befiel. Hastig setzte Myra sich auf und rieb sich die Augen. Noch einmal blickte sie um sich und aus ihrer leichten Panik wurde zunehmend echte Panik. „Was zum…?“ fragte sie in den Raum hinein, erhielt allerdings keine Antwort. Was war hier nur los? Wieso herrschte, obwohl sie ihre Augen weit offen hatte, absolute Dunkelheit?
„Hey… keine Panik, es ist alles in Ordnung“, kam von irgendwoher eine Stimme und sie zuckte zusammen. Zwar kam sie Myra vertraut vor, aber im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie sie einordnen sollte. Schließlich dämmerte ihr, wem sie gehörte, aber ruhiger wurde sie nicht wirklich. „Dan…?“, fragte sie in die Dunkelheit hinein, bekam aber keine Antwort. Verwirrt runzelte sie die Stirn, bevor wieder die Stimme zu ihr durchdrang. „Ja, das ist mein Name…“, kam die Antwort leicht irritiert. Unpraktischerweise begann langsam ihr Magen zu kribbeln. Allerdings ignorierte sie dieses flaue Gefühl und versuchte sich stattdessen zu beruhigen.
„Was ist passiert?“, fragte sie den Jungen und blickte versuchsweise nach rechts. Noch immer verdeckte eine durchdringende Schwärze ihr Blickfeld und sie bekam doch leichte Angst, dass dies für immer bleiben würde. „Erinnerst du dich noch an den Feuerwehralarm in der Schule? Kurz nachdem alle Schüler und Lehrer auf dem Sportplatz waren, ist ein Meteorit in die Schule gestürzt. Dadurch hat es einen Lichtblitz mit einer nachfolgenden Druckwelle gegeben, dass die meisten ohnmächtig geworden sind. Bisher weiß noch niemand, wie sie dieses Ding übersehen haben können…“, erklärte er ihr, stockte aber kurz in der Erklärung. „Und danach…?“, hakte Myra vorsichtig nach, bekam jetzt allerdings eine andere Art von Flaue in ihrem Magen. Währenddessen hörte sie, wie Dan einmal durchatmete, bevor er weitersprach. „Zwar versuchen sowohl Polizei, als auch Feuerwehrleute, Wissenschaftler und Ärzte die Ursachen rauszubekommen, aber bisher weiß niemand…“, fing er an ihr zu erklären, stockte aber kurz, bevor er doch noch weiter sprach. „Wieso fast die Hälfte aller Menschen umgekommen ist.“
Kurze Zeit herrschte Stille im Raum, während Myras Mund sich wie ausgetrocknet anfühlte. „Die Hälfte aller Menschen…? Auf der ganzen Welt?“, fragte sie leise und leicht krächzend nach, als ihre Stimme wieder ihren Dienst tat, allerdings bekam sie nicht gleich eine Antwort. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit vernahm sie gerade noch ein leises ‚Ja‘.
„Das… kann nicht sein“, murmelte sie und zog langsam ihre Beine an sich, um sie mit den Armen umschlingen zu können. „Das ist bestimmt ein Traum… Ja, es kann nur ein Traum sein“, kamen weiter leise Worte über ihre Lippen, aber irgendwie ahnte sie schon jetzt, dass das hier wirklich die Realität war. Dans Worte bestätigten ihre Vorahnung nur noch. „Ich enttäusche dich ja nur ungern, aber das hier ist kein Traum. Selbst in den Nachrichten kommt es die ganze Zeit…“, drangen die Worte an ihr Ohr. Ein leiser Seufzer entfuhr ihr und sie schloss wieder die Augen.
Kurz darauf hörte sie, wie die Stimme eines Nachrichtensprechers erklang:

„Meine Damen und Herren, hier berichten wir Ihnen wieder von den neuesten Nachrichten aus aller Welt.
Vor drei Tagen ist in die Gesamtschule Dellingen während eines Probealarms ein Meteorit eingeschlagen. Obwohl der Gesteinsbrocken aus dem All einen Durchmesser von nur 3 Meter hatte, waren die Folgen verheerend. Weltweit sind mehrere Million Menschen aus noch immer unbekannten Gründen gestorben. Genaue Todesopferzahlen sind bisher noch nicht ermittelt worden. Man geht davon aus, dass mehr als die Hälfte der Menschen dieses Ereignis nicht überlebt haben.
Verwunderlicherweise sind die Schüler, die sich zum Zeitpunkt des Einschlages auf dem Sportplatz befanden, beinahe unbeschadet geblieben. Bisher konnte nur eine vorübergehende Blindheit bei einigen Betroffenen diagnostiziert werden, wobei es aber auch hier einzelne Todesfälle gab. Die Mehrheit der Schüler befindet sich derzeit noch immer im Koma.
Forscher versuchen währenddessen herauszufinden, welche Wirkung der Meteorit noch haben kann und weshalb solch verheerende Folgen überhaupt möglich waren. Sobald uns Ergebnisse dieser Untersuchungen vorliegen, berichten wir Ihnen mehr.
Nun das Wetter…“



Mit diesen Worten verstummte die Stimme des Nachrichten Sprechers. Myra hatte in dieser Zeit kein Wort gesagt, sondern versuchte weiterhin zu realisieren, dass das alles Wirklichkeit war. Allerdings schob sich noch ein weiterer Gedanke dazwischen. Was war mit Nora und ihren anderen Freunden? Wie ging es überhaupt ihrer Familie? Und was würde jetzt geschehen? Sie ahnte schon jetzt, dass nichts mehr so sein würde, wie es einmal war.
„Was ist danach noch passiert…?“, fragte sie Dan leise. Zwar wollte sie es eigentlich nicht hören, aber in Unwissenheit leben konnte sie dann auch wieder nicht.
„Nun… Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht so genau. Ich kann mich noch an dieses grelle Licht beim Aufschlag erinnern und ich habe gesehen, wie du ohnmächtig geworden bist, bevor ich selber es ebenfalls wurde. Danach bin ich in einem Krankenhausbett aufgewacht und mir hat ein Arzt erklärt, dass ich die nächsten Tage womöglich etwas Übelkeit verspüren könnte. Nachdem ich endlich wieder sehen konnte, bin ich durch die Gänge gegangen und habe versucht herauszufinden, ob es von uns noch Überlebende gab. Eleonora und Rachel habe ich gefunden, allerdings liegen sie noch immer im Koma… Dann dich… und noch vier andere aus unserer Klasse… Der Rest…“, erzählte er, verstummte zum Schluss hin aber. Myra konnte sich aber vorstellen, was er mit ‚der Rest‘ andeuten wollte. Eine Trauer fing an sie zu durchströmen, aber auch Erleichterung, dass Nora und Rachel noch lebten.
Ein Seufzer entglitt ihr und sie schüttelte langsam den Kopf. Schließlich ließ sie sich wieder in die Kissen sinken. „Selbst wenn es ein Traum wäre… Langsam wird er zum Albtraum…“

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Tag der Veröffentlichung: 24.02.2012

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