"Die Akte Volatair"
1. Kapitel " Valentin, oh Valentin!"
Elegant ließ ich mich in den alten Sessel fallen. Staubteilchen tanzten wild umher, geführt auf einem Strahl der wärmenden Mittagssonne, die durch einen kleinen Spalt eines Vorhanges ins Zimmer fiel. Hübsch waren sie ja schon, die dunkelroten Stoffvorhänge. Sie mochten wahrscheinlich aus Baumwolle sein, fester dicht gewebter Baumwolle natürlich. An einem anderen Fenster stand ein Gästebett, bezogen mit einem weißen Baumwollaken und creme-farbener Baumwoll-Bettwäsche. Einladend, aber dennoch schlicht, ohne Schnörkel. Nach einigen nachdenklichen Sekunden fand ich wieder zu mir.
Es war Jahre her, seit ich das letzte Mal in diesem Sessel saß. Es waren genau 15 Jahre, in denen ich keinen Fuß mehr auf Hillsbury Yard setzte. Zu groß war der Respekt vor dem, was hier geschah.
Viele Jahre zuvor war ich ihm noch verfallen. Prüfend warf ich einen Blick auf meine Fingernägel. Herrgott, sie hatten schon bessere Tage gesehen.. Das dunkelbraun, es glänzte einst ganz wundervoll, blätterte schon wieder ab. Ich bequatschte mich förmlich selbst nach einer Dienerin zu rufen, die meine Nägel wieder in Ordnung bringen würde. Was, wenn Valentin mich so sehen würde? Er legte sehr großen Wert auf das perfekte Äußere einer Frau. Und wieder schwelgte ich in der Vergangenheit..
Ein unglückliches junges Ding war ich damals. Nicht unerfahren, nur unglücklich und manchmal etwas eigenartig im Wesen. Nachdenklich ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen in dem ich saß und spielte gedankenverloren mit einer Locke, die sich aus meinem Zopf löste..
Meine langen schwarzen Haare trug ich schon damals zu einem wuscheligen Zopf zusammen gebunden. Valentin Volatair faszinierte mich von Anfang an mit seinem umwerfenden Charme, dem Charme, den eigentlich ausnahmlos nur Vampire besitzen.
Es war ein leichtes für ihn, mich für seine Welt und die Sicht der Dinge zu begeistern.
Ein leises unmutiges Seufzen kam über meine Lippen, dann nippte ich an meinem Kir Royal.
Ich hatte Reichtum. Reichtum, von unheimlicher Größe. Manchmal kam ich gar nicht zurecht mit so vielen Angestellten, die mir ständig hinterher liefen und mich abstruse Dinge fragten wie "Kann ich ihnen helfen, Miss?". Trotzig ahmte ich den Tonfall nach, diesen grässlichen freundlichen Tonfall, und zog Grimassen.
Die Tür ging auf und mein genervter Blick wich einem überlegenem.
"Volatair, Volatair! Da seid ihr ja endlich. Ganz schrecklich langweilg ist mir hier.". Ich stand vornehm auf und begrüßte den Mann, der mich zu dem machte, was ich heute war. Ein Vampir. Nicht irgendeiner versteht sich. Wir besaßen die Gabe, am Tag umher zu streifen, gänzlich untypisch für welche wie uns.
"Viktoria..", Volatair machte eine vornehme Verbeugung und grinste mich hämisch an. Wenn er nicht allzu dumm gewesen wäre, hätte ich ihn anders begrüßt. Ich riss mich zusammen, er sollte nichts von dem was ich fühlte spüren.
"Valentin, mein Guter. Was ist denn los, daß du mich aus meinem Urlaub holst? Ich kann dir sagen, Kutschfahrten durch Bukarest sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren..", überheblich rollte ich mit den Augen, da spürte ich seine Hand auf meinem Po.
"Schatz, sei nicht so. Du weisst doch, alles was dir geblieben ist, sind Kutschen und ein kleines Häuschen. Ich hätte es dir wesentlich angenehmer gestalten können!", Valentin zog mich fröhlich an sich heran und lachte, als gäbe es kein Morgen.
Ach, wie ich seine Art hasste. Doch irgend etwas funkelte da in seinen Augen, die so viel zu erzählen vermochten. Jahrhunderte hatten sie gesehen, Welten durchstriffen. Manchmal beneidete ich ihn um diese Erfahrungen. Liebevoll gab mir Valentin einen Kuss, nur auf die Wange. Unterlegenheit wollte er nicht zeigen.
Bei der Gelegenheit streifte sein Atem mein Ohr. "Viktoria Volatair, ich habe dich hierher geholt, weil ich dich liebe. Das weisst du doch..", flüsterte mir Valentin sachte ins Ohr, während ich prüfend an meiner Frisur nestelte und mein Kleid glatt strich.
Da stand er nun vor mir. In schwarzen Reiterhosen, einem legér in die Hose gestecktem Hemd in blass-grün und die zarten, aber kräftigen weißen Hände in die Hüften gestemmt. Seine dunkelbraunen Haare saßen immer perfekt, nur eine kleine Strähne des mittellangen Haars fiel gelegentlich in sein hübsches Gesicht. Er war schon ein sehr adretter Mann, doch Valentin konnte auch verflucht gerissen sein. Würde man nicht wissen, wie alt er tatsächlich war, würde man ihn auf Anfang vierzig schätzen, diesen kräftigen Mann von dennoch hagerer Gestalt und dieser ordentlichen Portion Anmut im Gesicht.
"Valentin, darum hast du mich geholt?", ich schüttelte den Kopf und suchte meinen Kir Royal, den ich irgendwo abgestellt hatte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich Valentin die Gerte nahm, die er zuvor an eine Wand gelehnt hatte.
"Wollen wir ausreiten? Es ist doch so schön heute, nicht wahr?", grinste er mich keck an und schlug auffordernd die Hacken seiner Reitstiefel zusammen.
Einen Moment lang dachte ich, alles sei so schön wie früher.
Früher, das war eine Zeit, in der ich dachte, Valentin würde nur mich lieben.
Wir haben damals eine der prunkvollsten Hochzeiten der Geschichte gefeiert.
Was waren dort für Massen gewesen? Vampire aus aller Herren Länder. Vornehme, sehr Reiche, aber auch ihr gesamtes Fußvolk kam um mich in diesem Kleid zu sehen. Mein Gatte sparte nicht sehr gern, aus diesem Grunde war es aus handgewebter creme-farbener Seide mit Diamanten besetzter Schleppe. Ganze 36 Meter war sie lang , getragen von 14 Jungfrauen. Viktor Volatair, Valentins älterer Bruder (und Anführer einer beachtlichen Vereinigung für schwerreiche Business-Vampire in den New York) hatte sie einfliegen lassen.
Während wie den etwa einen Kilometer langen roten Teppich entlang gingen, wurde von einem Orchester Mozart gespielt. Wir waren so glücklich...
"Hey, Viktoria, wo bist du nur wieder mit deinen Gedanken? Na gut, ich gehe heute wohl mal wieder alleine ausreiten, was?", ich erschrak mich, als Valentin mich kurz am Arm rüttelte.
"Was? Oh nein, warte, ich komme mit dir!". Hastig zog ich meine Jacke wieder an und ließ den Kir Royal auf dem Beistelltischchen stehen.
Ich wollte eigentlich kühler reagieren, ging es doch hier um Geschäfte. nein, eigentlich ging es um die Liebe. Ganz leise seufzte ich vor mich hin, als Valentin elegant wie immer auf sein Pferd stieg und ihm die Sporen gab. Er lächelte mich an und machte eine Handbewegung, die mich aufforderte, auf mein Pferd zu steigen.
Allerdings fühlte ich mich in diesem Moment eher, als würden mit mir die Pferde durchgehen. Sanft und scheu lächelte ich zurück und stieg in den Damensattel. Ich konnte mich immer noch nicht an diese scheußlichen Dinger gewöhnen. Aber es war eben nicht die feine Etikette einer Dame auf einem Herrensattel zu reiten.
Wir ritten wild durch die schier endlosen Felder, die vor uns lagen, kicherten wie zwei kleine Kinder und warfen uns immer wieder verliebte Blicke zu. Manchmal ermahnte ich mich selber, ein wenig vorsichtiger zu sein. Schließlich, ach, ich wollte einfach nur die Zeit genießen.
Nach einer Weile kamen wir an eine Lichtung, an der ein Hochsitz stand. Auch diesen Hochsitz hatte ich nur allzu gut in meinem Gedächnis behalten. Hier hatten Valentin und ich uns das erste Mal geküsst.
Die Pferde bleiben stehen und wir stiegen ab. Erst jetzt sah man, daß dort neben dem Hochsitz im Gras eine Decke lag. Auf dieser Decke stand ein Korb, scheinbar gefüllt mit Essbarem.
Valentin setzte sich hin und bat mich zu ihm. "Wir haben etwas zu bereden, Viktoria!", sagte er leise aber streng und blickte mich vorwurfsvoll an.
Als ich neben ihm saß, spürte ich seinen Herzschlag, so nah war ich ihm. Mein Atem ging schneller, ich sehnte mich nach einem Kuss oder gar einem Biss von diesem Mann, der eigentlich mein Ehemann war.
"Verzeih´ , aber.. was gibt es da zu bereden? Wo ist denn eigentlich dieses Püppchen, wie hieß sie gleich? Laut unserem Vertrag hat Mortimer nicht das Recht, mir die Länderreien zu nehmen. Außerdem hast du die ganzen Papiere nicht einmal unterschrieben. Was willst du?", giftig zischte ich ihn an. Ja, dieses "Püppchen" wie ich sie immer nannte, hatte meinem Ehemann Valentin Volatair den Kopf verdreht.
"Ich mag die Papiere nicht unterschreiben. Ich dachte..also.. ich hatte dich geholt, weil..", er stammelte vor sich hin, als ob er nicht wüsste, wie ihm geschah.
"Ich hatte dich geholt, weil? Also bitte Valentin Volatair! Drück´ dich etwas klarer aus. Ich habe nicht ewig Zeit!", wieder zischte ich, während ich ein paar Weintrauben aus dem Korb nahm und sie mir in den Mund steckte. Etwas frisches Blut wäre mir wirklich lieber gewesen.
Nervös rutschte ich hin und her. Valentin schnippste einmal und wie aus dem Nichts kam einer seiner Bediensteten zu uns, er hatte einen jungen Burschen am Kragen gepackt, warf ihn vor meine Füße und verschwand eben so schnell, wie er gekommen war. Der junge Mann wimmerte und war völlig verängstigt. Stumm blickte ich ihn an, der Hunger siegte aber schließlich. Gezielt griff ich nach seinem linken Arm und biss dem Burschen in die Pulsader. Warmes junges Blut sprudelte beinahe unaufhörlich in meinen Mund. Man kann gar nicht glauben, wie ausgehungert ich war!
Gierig saugte ich an der Wunde, ungeachtet meinem immer noch wimmernden Opfer. Nach einer Weile blickte ich verstohlen zu Valentin. Er wusste genau, was ich begehrte. Wie schon so oft, las er meine Gedanken und versuchte mir meine Wünsche von den Augen abzulesen. Mein süßer Valentin Volatair...
2. Kapitel "Geschäfte mit den Verdammten"
Nach diesem schönen Nachmittag kehrten wir wieder in Hillsbury Yard ein.
Gut gesättigt ( Valentin hatte seinen Hunger ebenfalls an dem Jüngling gestillt), machten wir uns auf den Weg zu seinem Büro. Aus einem anderen Grund wäre ich niemals zurück gekehrt als den Geschäften wegen. Jedenfalls versuchte ich mir das ständig einzureden. Meine Gefühle für Valentin waren immer noch so stark wie am Anfang.
Valentin blätterte, inzwischen in Büro angekommen, in einem dicken Aktenordner, der zuvor völlig verstaubt in der Ecke stand. Auch in diesem Raum war noch alles so wie es früher einmal war.
Baumwollvorhänge in dunkelgrün, schwere Ledermöbel und sein geliebter Mahaghoni-Schreibtisch, auf dem erstaunlicher Weise noch immer ein Foto von uns beiden stand. Auf diesem Bild, ich warf hastig einen Blick dorthin, waren wir in den Flitterwochen und ich mit unserem Sohn Eleonor Etiénne in glücklichen Umständen.
Es gab damals einen Streit zwischen uns, weil Valentin, wie alle seine männlichen Verwandten, einen Namen mit 'V ' am Anfang für seinen erstgeborenen Sohn haben wollte. Ich musste schmunzeln, es war so lächerlich gewesen und hatte uns doch die Flitterwochen vermasselt.
Hörbar kicherte ich. "Was ist?", fragte mich Valentin und blickte kurz hoch über seine Lesebrille, während er in dem dicken Ordner immer noch nach Unterlagen suchte. Verstohlen tippte ich mit meinen Schuhspitzen auf dem Fischgrätparkett herum. "Nichts. Ich.. ich musste daran denken, wie wir uns gestritten haben, damals in Südafrika. Weisst du noch?", antwortete ich.
"Ja..", Valentin klappte den Ordner zu, stellte ihn auf den Schreibtisch und sah ein wenig hilflos zu mir herüber. Als wollte er etwas sagen, öffnete er den Mund, aber es kam nicht ein Wort über seine toten Lippen.
Um die Stille zu durchbrechen, ging ich zum Plattenspieler und schaltete ihn ein. Leise erklang eine weibliche Stimme. Ich kannte die Platte nicht, aber Valentin hatte einen ausgezeichneten Geschmack, was Musik anbelangte.
"Véra Moriall. Eine schöne Stimme, stimmt´s?", leisen Schrittes kam er auf mich zu. Er setzte die Lesebrille ab, meine Güte, er wirkte so anständig damit.
"Möchtest du tanzen?", fragte er weiter und stand nun fordernd vor mir. Ich blickte in seine grünen Augen. Unter seiner rechten Pupille war ein kleiner schwarzer Fleck. Seine dichten dunklen Wimpern zitterten ein klein wenig und ich wollte einfach nur noch in mich zusammen sacken. Zaghaft schnupperte ich an ihm, er roch nach seinem Parfüm, eine Mischung aus Patchouli, Leder und frischem Gras. Wenn die Geschäfte nicht so wichtig gewesen wären, ich hätte mich sofort in seine Arme fallen lassen.
"Valentin, bitte nicht. Du weisst, es ist wichtig, daß wir uns ein wenig um diese Angelegenheiten kümmern.", entgegnete ich und wich einen Schritt zurück. "Die VMB haben viele deiner Ländereien verkauft, die eigentlich, laut Vertrag, mir gehören. Hast du gefunden, nach was du gesucht hast? Mortimer sagte mir, du hättest die Unterlagen hier?", sprach ich weiter und benetzte meine ausgetrockneten Lippen.
Valentin hingegen hatte sich keinen Milimeter von der Stelle gerührt und blickte mich genervt seufzend an.
"Viktoria, nun lass doch bitte diese Dinge für einen Moment ruhen, ja Schatz? Ich möchte mit dir die Zeit genießen, wer weiß, wann sie vorbei ist!". Irgendwie wirkte er hektisch und schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch.
"Du hast mich doch verlassen!", brüllte ich ihn plötzlich an und stampfte mit dem Fuss auf wie ein Kind. Ich war wütend und mir schossen Tränen in die stahlblauen Augen.
Während ich einen weiteren Schritt nach hinten ging spürte ich, wie die Wimperntusche auf meine Wangen lief. Es war eigentlich nicht meine Art, so unbeherrscht loszupoltern, doch der Schmerz saß tiefer als ich zugeben wollte.
"Liebling, ich.. ich habe sie verlassen. Hast du meine Briefe nicht bekommen?". Ich schüttelte den Kopf und blickte zu den dunkelgrünen Vorhängen.
"Sie war nur eine Affäre, ich hätte das niemals tun sollen, Viktoria. Ich..es tut mir so unendlich leid!", sprach er leise weiter.
Als ob nichts geschehen wäre, wollte Valentin anscheinend weiter machen. Wir führten eine vorbildliche Ehe. Auch wenn viele nicht wissen, wie eine Vampir-Ehe aussieht, so kann man doch guten Gewissens sagen, daß sie nicht anders verläuft als eine Ehe zwischen zwei Sterblichen. Valentin und ich hatten viele Ländereien, er arbeitete mit seinem Bruder Viktor und einem anderen Vampir namens Mortimer Gremboy aus Rumänien in einer Vereinigung zusammen, die sich VMB (Vast Majority Business) nannte und sich hauptsächlich um Immobilien und Länderreien kümmerte, die anderen wohlhabenden Vampiren gehörten.
Sie kauften und verkauften diese Dinge oder verwalteten sie.
So kamen wir innerhalb kürzester Zeit zu immensem Reichtum. Valentin hatte viele Burgen und zig tausende Hektar Land gekauft. Auf Hillsbury Yard in den Westkarpaten hatten wir uns dann endgültig niedergelassen, unser Sohn war schließlich kurz vor der Niederkunft.
Ich fühlte mich hier immer sehr wohl. Valentin hatte hier seine Pferdezucht weiterführen können und ich hatte genug Platz, um mich architektisch auszuleben.
Wilde Rosen blühten überall und die Luft roch stets nach längst vergangenen Zeiten.
Bei diesen Gedanken an unsere schöne Zeit liefen mir erneut die Tränen über mein Gesicht. Ich spürte, wie heiss es war, die Tränen löschten das Feuer auf meinen Wangen, welches dieser törichte Vampir hinterließ.
Schützend zog ich meinen Schal über die Schultern und rieb mir die Arme.
Diese, sich nach Liebe zu verzehrende Stimme tönte noch immer aus dem Plattenspieler und ich zwang mich, schnell aus dem Fenster zu blicken.
Verzweifelt kramte ich in meinem Kopf nach den Vorsätzen, ihm dieses eine Mal nicht zu verfallen. Doch Liebe konnte man noch nie unterdrücken und so ließ ich die Tränen einfach ungeniert weiterlaufen.
Leise schluchzend hielt ich mich an mir selber fest. Meine Fingernägel krallten sich in meine Oberarme.
"Liebling.", Valentin seufzte als er leisen Schrittes auf mich zukam. "Weine bitte nicht. Ich habe einen Riesenfehler gemacht. Aber, es war ganz anders, als du es vielleicht vermutest.".
Ich musste an Eleonor denken. Unser Sohn war inzwischen ein stattlicher junger Mann geworden. Nach seinem Studium für Sprachen und Wirtschaft in Harvard, ging er für einige Zeit ins Ausland um dort seine eigenen Geschäfte auszubauen. Valentin hatte sich so sehr gewüscht, sein Sohn, den er liebte wie nichts anderes, würde in seine Fußstapfen treten und die VMB weiterführen.
Traurig kniff ich die Augen zusammen, biss mir auf die Unterlippe und drehte mich schließlich zu Valentin um, der noch immer hilflos vor mir stand.
Da mir nichts einfiel, was ich hätte sagen können, stieß ich ihn zur Seite und rannte schnurstraks aus dem Büro. Auf der Treppe hörte ich ihn noch rufen, aber er kam nicht hinterher. Eilig rannte ich zur Tür und ließ sie ins Schloss fallen.
Es fing an zu regnen und ich stieg in mein Auto ein. Ich wollte nicht noch einmal mit der Kutsche fahren und den Bentley hatte mir Valentin zu unserem 150. Hochzeitstag geschenkt. Also, warum sollte ich nicht damit fahren?
Leise brummend sprang der Wagen an, auch nach den ganzen Jahren als Garagenfahrzeug schnurrte er wie ein Kätzchen.
Ich atmete einmal tief durch und trat dann entschlossen auf das Gaspedal. Quietschend drehten sich die Reifen und hinterließen auf dem weißen Kies eine dichte Staubwolke.
Im Rückspiegel sah ich noch, wie Valentin aus dem Haus stürzte, seine Jacke in den Dreck warf und etwas brüllte. Ich fuhr unbehelligt davon.
"Mr. Gremboy, meinen Sie wirklich, wir könnten das regeln? Da gibt es dieses Dokument, warten Sie, Mr. Volatair hat es.", Sigor Brawic zog seine Brille tiefer ins Gesicht, schaute dann kurz über den Rand seines Ordners zu Valentin.
"Nein, Mr. Brawic, das Dokument ist spurlos verschwunden. Ich glaube, meine Frau Viktoria hat es bei einem ihrer Besuche mitgehen lassen.", log Valentin geschickt, "Es stand schließlich darin, daß ihr diese Ländereien gehören.", genervt rieb sich Valentin die Augen, sein Sitznachbar Gremboy paffte derweil eine dicke Havanna und blies den Rauch durch das ganze Zimmer.
"Ach iwo, ich denke, die Kleine ist gerissen, aber das traue ich ihr nicht zu, pardon!", Gremboy lehnte sich hustend und röchelnd in den Ledersessel zurück, zog erneut an der Zigarre und schüttelte den Kopf. "Was hätte sie denn davon? Ich meine, Valentin, sagen Sie doch bitte auch einmal was!", die Augen verdrehend seufzte Valentin, als ihn Gremboy fordernd ansah.
Erwartend und prüfend blickte Sigor Brawic mit seinen scharfen hellblauen Augen zu Valentin und tippte mit seinem Zeigefinger auf der Tischplatte herum. Die Tür wurde aufgestoßen und das knarrende Geräusch unterbrach jäh die Diskussion der drei alten Vampire.
"Meine Herren. Ich begrüße sie höflichst!", ein weiterer Vampir mit grauen Schläfen und einem kleinen Leberfleck unter seinem rechten Mundwinkel betrat den Raum und ließ sich mit Schwung in einem der freien Ledersessel fallen.
"Was wollen Sie hier, Magnus?", Brawic und Gremboy sprachen fast zeitgleich und die Mienen der Herren verdunkelten sich zusehends.
Magnus Tatesbury, seines Zeichens Engländer und einer der mächtigsten Vampire im britischen Königreich staunte sichtlich, so forsch begrüßt zu werden.
"Oh wie unhöflich. Ich vertrete heute die Rechte und Angelegenheiten zur Länderreien-Vergabe von Viktor Volatair, falls gestattet. Hier ist die Vollmacht!", ein weißer Zettel mit wirren Zeichen landete vor Sigor Brawic´s Bauch, der ein klein wenig auf dem alten Tisch auflag.
"Das heisst gar nichts, Magnus! Sie wurden doch ausgeschlossen. Sie können hier doch nicht einfach...", Brawic fing ganz furchtbar an zu husten. Das bellende Geräusch klang besorgniserregend und Valentin stand auf um dem Altvampir auf den Rücken zu klopfen.
"Verdammt Gremboy, machen Sie endlich dieses stinkende Ding aus! Ich vertrage den Rauch nicht! Das wissen Sie doch seit mindestens 480 Jahren!", sprach Brawic immer noch hustend weiter und sah drohend zu dem erschrockenen Gremboy, der die Zigarre schnell in einem silbernen Aschenbecher ausdrückte und sich leise entschuldigte.
"Sie mit ihren Statussymbolen!", auch Valentin reagierte genervt, doch zurückhaltend leise. Er dachte eigentlich nicht mehr vollständig an die Geschäfte, vielmehr an die Abreise seiner wunderschönen Frau Viktoria. Diese überstürtzte Handlung ihrerseits brach dem Vampir das Herz, doch er musste sich heute zusammen reissen. Keiner der hier anwesenden Vampir dufte erfahren, was in der Zwischenzeit geschah...
Vorsichtig schloss ich die Tür meiner Villa auf. Hier in Hannover fühlte ich mich sicher. Keiner der VMB würde mich hier suchen oder gar vermuten. Nicht einmal Valentin hatte ich von dem Kauf dieser 14 Zimmer- Immobilie erzählt.
Ich brauchte Abstand von allem. Nachdem ich mich zu oft in Valentin´s Geschäfte eingemischt hatte, verstand ich immer mehr vom Kauf und Verkauf der Immobilien und Länderreien. Meinem Mann gefiel das zwar, aber die anderen Vampire waren darüber mehr als verärgert.
Einen Stapel Akten legte ich ächzend auf den kleinen Tisch neben meiner Haustür, den anderen nahm ich mit in die Küche. Sorgfältig legte ich die Papiere und Ordner auf den großen Tisch, er war aus schwerem Eichenholz gefertigt und hatte mit Sicherheit seine 250 Jahre auf dem Buckel. Aber er passte zu den mit weißem Samt bezogenen Stühlen, die ich vor Jahren restauriert hatte.
Das Telefon klingelte und ich wunderte mich, wer mich hier erreichen wollte. Eigentlich dürfte niemand wissen, wo ich bin.
"Ha..hallo?", ich sprach so leise, daß ich mich selbst kaum verstand.
Klack! Am anderen Ende der Leitung wurde aufgelegt.
Verwirrt und irgendwie verärgert ließ ich den Hörer auf die Gabel gleiten und blickte zur Küchenuhr, die genau 23:29 Uhr anzeigte.
Etwa zehn Minuten später, die Kaffeemaschine röchelte dampfend vor sich hin, sehnte ich mich nach einer gemütlichen Ecke, in der ich die Strapazen der langen Reise ablegen konnte wie meinen Mantel an der Garderobe, die neben meiner Wohnungstür stand. Das einladende Jugendstil-Sofa im Wohnbereich schien mir als wirklich gut geeignet und ich ließ mich hineinfallen.
"Sagen Sie mal Volatair, wo ist eigentlich Ihre bezaubernde Gattin Viktoria? Oder hat sie die Scheidung eingereicht, hm?", Brawic grinste wie ein frecher kleiner Junge und blickte zu Valentin, der noch immer mit seinen Gedanken woanders war. Auch Gremboy fing leise an zu glucksen und Magnus Tatesbury prustete lauthals los, so daß er sich fast an seinem englischen Tee verschluckte, den er dampfend zum Mund führte.
"Hören Sie schon auf, Brawic. Viktoria braucht ein wenig Ruhe im Moment. Ich arbeite zuviel, sagt sie. Sie ist aufs Land gefahren."
"Nein, ist sie nicht! Sie befindet sich gerade in Deutschland, mein Bester!", Gremboy blickte nun sehr ernst und schüttelte leicht seinen verschwitzen Kopf.
Valentin konnte es nicht glauben, war sich aber bewusst, daß Mortimer Gremboy die Gabe besaß, andere Vampire und auch Menschen zu orten. Ganz gleich, wo sie sich aufhielten, er fand sie immer und hatte jahrelang beim britischen Geheimdienst gearbeitet. Dort hatte Gremboy auch Tatesbury kennengelernt.
Aber wieso sollte sich Viktoria in Deutschland aufhalten?, fragte sich Valentin und verschränkte abweisend die Arme vor seiner Brust.
Sein Atem ging schneller, er wusste, Gremboy würde ihn nicht belügen.
Wütend stand er auf und verließ den kleinen Raum, der alleine mit dem Tisch fast gänzlich ausgefüllt war. Er hatte genug von dem Qualm der Zigarre, der noch immer in der Luft lag und ihm schier die Lungen zuschnürte. Und er hatte wahrlich genug von den abenteuerlichen Verdächtigungen, die seine Mitstreiter an den Tag legten.
"Viktoria in Deutschland! Pah!", wütend schlug er die Tür hinter sich zu und verließ das Gebäude, welches um 1500 erbaut wurde, durch den großen Empfangssaal. Seine Lederschuhe hinterließen bei jedem Schritt einen Hall in dem Saal, welcher ihn irgendwie wieder beruhigte.
Das große Holztor fiel krachend ins Schloss und Valentin betätigte den Knopf seiner Zentralveriegelung. Es piepste zweimal und die Wagentüren öffneten sich schwerfällig. Stöhnend ließ sich Valentin in die weichen Ledersitze fallen und zog mit Schwung die Tür zu. Ein paar kleine Momente lang blickte er auf das Lenkrad, dann zum Radio. Schließlich schaltete er es ein und der Wagen wurde von Brahms erhellt.
Hektisch strich er sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und legte den Rückwärtsgang ein.
Er war auf dem Weg nach Hause, Hillsbury Yard. Sein Atem war ruhiger geworden, nicht aber seine wirren Gedanken um Viktoria. Seine hübsche Frau Viktoria..
Geistesabwesend rührte ich mit meinem Teelöffel im Kaffee. Ich trank ihn niemals mit Zucker, aber heute tat ich zwei Würfel davon rein. Spätestens in drei Tagen würde UPS die Akten abholen und in die Schweiz befördern. Ich war mir sehr sicher, niemand würde sie dort finden. Mein Plan schien bis jetzt aufgegangen zu sein und ich hoffte, es würde weiterhin so gut für mich laufen.
Wenn ja, dann wäre ich bald schon Besitzerin ganzer Länder. Ich hatte Valentin nie etwas von meinen Plänen erzählt. Er hätte es nie zugelassen und schon gar nicht geduldet, daß seine Frau ihm die Geschäfte abspenstig macht.
Doch genau da wollte ich ihn treffen! Er tat mir fast schon ein wenig leid, wenn ich daran dachte, wie er mich mit seinen liebevollen Augen anblicken würde. Ich schüttelte den schwarzhaarigen Kopf, der trotz seiner 427 Jahre aussah, wie der einer jungen Frau Anfang zwanzig vielleicht.
Meine vollen, alt-rosé farbenen Lippen spitzten sich. Valentin Volatair, dachte ich bei mir, ich werde dich ebenso verletzen, wie du mich. Genauso, wie du es getan hast, als du mit dieser jungen Frau im Arm sturzbetrunken und glücklich die Stufen unseres Hauses hinaufgingst. Du hast dich an ihr gestützt, ihr kleine Küsse auf den Hals gegeben, was sie dazu animierte, ihren blonden Lockenkopf in den Nacken zu werfen und zu kichern wie ein kleines Kind.
Nur eine Affäre, hast du sie genannt. Ich habe sie verfolgt, sie gequält. Bis zu ihrem jämmerlichen Tode. Bis heute hast du keinen blassen Schimmer, wer es getan hat. Ich grinste hämisch über meinen Plan von damals. Er ging voll und ganz auf.
Nur du standest auf ihrer Beerdigung, niemand sonst. Alle haben Polly Brawic gehasst, ihr Vater Sigor vielleicht ausgenommen.
Polly Brawic war eine lebendige junge Frau aus sehr gutem Hause. Ihre Mutter studierte in Oxford, ihr Vater war einer der Obermänner, die die VMB anführten. Ihr Blut war so rein und süß, wie der Saft einer reifen Erdbeere. Ihre langen lockigen Haare trug sie immer offen, ihre schlanken weißen Beine schlichen meist katzenartig umher, Schuhgröße 38.
Polly war kaum größer als ich, aber ich konnte sehen, wie ihr die Männer hinterherstarrten, wenn ihre vollen Brüste auf und ab wippten, bei jedem noch so kleinen Schritt.
Vielleicht wurde sie deshalb so gehasst. Ihr Vater nannte sie einmal "Der Teufel mit Engelshaar". Jedem Mann dem sie begegnete, verdrehte sie den Kopf. Sie spielte Spielchen mit ihnen, wenn ihr danach war. Genauso wie mit Valentin. Sorgenvoll blickte ich zu Boden.
Ihre Mutter, lange Jahre zuvor gestorben, verhätschelte Polly bis ins kleinste Detail. Es gab nichts, was sie nicht bekam, wenn sie es nur wollte. Und wenn es eben der Mann einer anderen Frau war..
Dafür musste sie sterben! Sie hatte sich mit der falschen Ehefrau angelegt und es sollte auch ein für alle Mal ihr letztes Spielchen bleiben.
Wütend und verletzt schüttelte ich mich und trank hastig meinen Kaffee aus. Mein schwermütiger Gang führte mich in mein Büro, wo ich den Aktenstapel vor mir liegen sah. Ich wusste noch nicht genau wie, aber mir würde schon noch die passende Möglichkeit einfallen, die Papiere zu "bearbeiten", wie ich es liebevoll nannte.
Nein, Viktoria Volatair würde man nicht einfach so betrügen und belügen. Und sei das Lächeln meines Gatten noch so herzzerreißend!
Valentin´s schwarzer Mercedes stoppte vor Hillsbury Yard. Der Regen hörte allmählich auf die Erde aufzuweichen.
Seit Wochen goss es wie aus Kübeln, die Pferde mussten unbedingt wieder auf die Weide, dachte sich Valentin, als er die Treppenstufen hinaufging.
Entschlossen drehte er an dem großen Türknauf und öffnete die schwere, knarrende Tür zu seinem Zuhause.
Manchmal dachte er sich, in einer stillen Minute, wie es wohl wäre, wenn Viktoria noch hier wäre. Valentin konnte nicht einmal die Frage nach dem Warum beantworten, die sie ihm so oft schon gestellt hatte.
Seine dünnen, ja, fast zerbrechlichen Finger drückten auf den Knopf der Stereoanlage. Überwältigend erklangen die Töne von Tschaikowski mit seinem "Schwanensee", ein kaum merkbares Lächeln huschte über das Gesicht des Vampirs. Er dachte daran, wie seine geliebte Frau stets anfing zu weinen, wenn sie dieses Lied hörte. Meist stürzte sie in sein Büro, um ihn zu spüren, seine Nähe und seine starken Arme.
Viktoria musste die CD eingelegt haben, dachte er sich. Valentin hörte nie Tschaikowski, nur Brahms, vielleicht ein wenig Beethoven.
Eiligen Schrittes ging er die Stufen zum Salon hinauf.
Was viele als 'unmögliche Architektur' betitelten, war für ihn einfach grandios. Beim Ausbau von Hillsbury verlegte er den Salon, der für gewöhlich partérre lag, in den ersten Stock.
Die Tür zum Salon stand auf, vielleicht das Dienstmädchen?, dachte Valentin und ging ein wenig vorsichtiger hinein.
Genussvoll sog er die Luft ein, die in dem alten Raum lag. Parkettboden, über 325 Jahre alt, die schönen Lederstühle an einem rustikalen Eichentisch mit feinem Goldrand und so einen winzigen, kaum spürbaren Hauch Parfüm. Er liebte diesen Raum und seinen ganz eigenen Geruch sehr.
Jeden Samstag Abend hatten er und Viktoria hier ein kleines Orchester auftreten lassen. Nur für sie selbst, die ganze Nacht lang. Nur zum Spaß.
Valentin bemerkte kaum, daß ihm sein Gehirn einen Streich spielte, als er sie erblickte..
Zaghaft schaute er zum Kamin, wo Viktoria bereits auf ihn wartete.
"Möchten sie tanzen, Monsoir Volatair?", sie kicherte so schön und machte einen vornehmen Knicks. Ihr cremefarbener Seidenrock fiel über ihre kleinen Füße, an denen sie selten Schuhe trug. Viktoria liebte es, barfuss durchs Haus oder die Wiesen zu rennen. Ihre Brüste hoben sich leicht, wenn sie sprach, obwohl sie in dieser fest geschnürten, weißen Korsage steckten. Ihr Parfüm, Chanel war es, erfüllte den Raum und Valentin konnte sein Glück kaum in Worte fassen. Ihre langen schwarzen Haare keck hochgesteckt, die Lippen nur schwach betont mit altrosé farbenen Lippenstift, die dichten schwarzen Wimpern. Er sah sie direkt vor sich.
Ja, Valentin wusste genau, sie war glücklich. Er war sich stets sicher, ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen zu können. Er schloss die Augen und konnte seine junge Gattin sehen, wie sie sich mit ihm drehte, lachte und Bauchkribbeln hatte. Er konnte das leise Knistern ihres Seidenrockes und ihrer Korsage hören, wenn er sie fest umschlungen im Arm hielt. Und dann wieder Chanelduft...
"Valentin, ich liebe dich so sehr!", sprach sie dann, strich über sein dunkelbraunes Haar und lachte fröhlich weiter, so daß man ihre perlweißen Eckzähne blitzen sah. In diesen kleinen Momenten war Valentin Volatair einer der glücklichsten Männer auf dieser Erde. Jeder beneidete ihn um seine Frau und das schier endlose Glück, mit welchem sie gesegnet waren. Alles schien friedlich und sorglos.
Gerade wollte Valentin nach seiner Frau greifen, doch er griff ins Leere. Viktoria hatte ihn verlassen. Nur die schönen Erinnerungen ließ sie hier, im Salon, im ganzen Haus, welches so furchtbar leblos wirkte, nachdem sie gegangen war. Einzig ihr Parfüm lag noch in der erkalteten Luft. Er fragte sich kopfschüttelnd, wieso er sie damals betrog, mit Polly Brawic. Es schien ihm, als ob er eigentlich alles gehabt hätte und dennoch war da dieser Reiz. Polly war zum Teil sterblich und zum Teil Vampir, lebte aber wie ein normaler Mensch. Vielleicht war es das Unbekannte, was Valentin so reizte.
Aber dennoch ärgerte er sich maßlos über den Fehler, den er beging. Vorallem aber über den Verrat an seiner wunderschönen Frau, die er eigentlich noch immer liebte wie nichts anderes auf dieser Erde. Wenn sie doch nur hier wäre, dachte er sich und seufzte leise vor sich hin.
Valentin ging zum Kamin und zündete ein Feuer an. Es war Samstag Abend und er beschloss, das Orchester anzurufen, nur zum Spaß. Nur für ihn..
3. Kapitel " Die Akte Viktoria"
Prüfend warf Sigor Brawic einen Blick auf einen Stapel Papier, den Gremboy ihm vorlegte. "Was zur Hölle ist das, Gremboy? Was soll ich denn damit? Sind sie des Lesens nicht fähig?", er raunte, denn Gremboy gehörte zu der Sorte "Mitarbeiter des Monats".
Immer pünktlich auf die Sekunde, akkurat gekleidet und grundsätzlich der erste, der sich ein wenig unterwürfig an Brawic´s Position heranschlich.
Mortimer Gremboy war ausnahmslos ein Heuchler wie er im Buche stand. Er hatte gerade seinen 1012. Geburtstag gefeiert und wenn er grinste, sah man ihm die Zeichen der Zeit zuerst an seinen gelbstichigen Eckzähnen an. Seine gestärkten Oberhemden spannten grundsätzlich an seinem Bauch und seine Cordhosen saßen schlecht. Er entsprach schon lange nicht mehr dem Bild eines Schönlings und auch seine Frau hatte sich schon vor Jahrhunderten einem anderen, viel jüngeren Vampir, zugewandt. Seitdem war die VMB sein ganzer Lebensinhalt.
"Na lesen Sie doch mal! Sie werden staunen, was ich an diesem Wochenende herausgefunden habe! Volatair's Frau hat nicht nur die eine Akte, nein, sie hat hunderte davon mitgehen lassen und hält sich gerade in Deutschland auf.", erzählte er und goss sich frisches Blut in ein Kristallglas, welches bestimmt schon tagelang auf dem Tisch stand.
"Und wo ist Volatair gerade? Ich vermisse ihn. Ausgerechnet heute..verdammt!", grummelte Brawic, blickte kurz angwidert auf Gremboy´s altes Glas und setzte seine Lesebrille auf. Gremboy zuckte mit den Achseln.
Er konnte zwar spüren, daß Valentin im Land war, aber er spürte auch unsagbaren Schmerz, den sein Kompagnon scheinbar durchlebte.
"Viktoria? Hier ist Valentin. Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, dir das Orchester anzusehen. Es wird jeden Moment eintreffen und es wäre mir eine Ehre, wenn du an diesem Abend an meiner Seite wärst. Sagen wir, 20 Uhr? Ich freue mich. Bis bald!".
Ich hörte meine Mailbox ab und war erstaunt.
Aber ich hatte nichts anderes vor, also zog ich mich in mein Badezimmer zurück und machte mich ausgehfein.
Eine Stunde später stand ich vor Hillsbury Yard und blickte stumm und ein wenig lächelnd auf die Eingangstür. Promt ging sie auf, ich vernahm den "Blumenwalzer" von Tschaikowski und sah, wie ein fröhlicher Valentin in der Tür stand.
"Viktoria, mein Herz!", er winkte herüber und sah einmal mehr unwiderstehlich aus. Galant stieg ich aus dem Bentley und ging auf ihn zu.
"Viktoria, Schatz. Schön, daß du hier bist! Hör´mal, Tschaikowski!", als wollte mir Valentin stolz präsentieren, daß das Orchester auch andere Dinge außer Brahms spielen konnte. Ich kicherte und reichte ihm meine Hand, die in einem Samthandschuh steckte.
"Wie, Sie können mir nicht sagen wo er steckt? Gremboy, sie wollen mich wohl veräppeln! Ach, ich vergaß´, nur junge attraktive Damen können präzise von Ihnen geortet werden. Pardon!", Brawic raunte nicht mehr, er war ungehalten und seine grauen halblangen Haare wirbelten um seine verschwitzte Stirn.
"Nein Sir, ich kann ihn zwar orten, aber nicht so exakt, wie Sie es gerne hätten, Mr. Brawic. Er ist noch hier im Land und ich vermute, er wird zuhause sein!", antwortete der Vampir und schüttelte seinen Kopf.
"Ach, gehen Sie mir aus den Augen, sie Idiot!", bekam er ruppig zur Antwort und stand sogleich auf um den Raum zu verlassen.
Stöhnend ließ sich Sigor Brawic in seinen schweren Ledersessel fallen und blickte auf den Stapel Papiere, die der andere Vampir ihm vorhin auf den Tisch legte.
Darauf stand mit Schreibmaschine geschrieben: "Die Akte Viktoria Volatair"
Ohne weiter zu überlegen, blätterte er durch und blieb auf einer Seite hängen, die genau beschrieb, welche Akten aus dem Gebäude der VMB und Hillsbury Yard verschwunden waren.
Und tatsächlich! Die Liste umfasste mit Sicherheit um die hundert Unterlagen und Ordner. Brawic schlug wütend mit der Faust auf den Tisch, eine Kaffeetasse wackelte und fiel schließlich vom Rad des Tisches auf den Marmorboden. Verärgert griff er zum Telefonhörer und wählte Valentin´s Nummer. Nach einigen erfolglosen Versuchen, hatte er es zumindest geschafft, die Mailbox zu erreichen.
"Möchtest du ein Glas Champagner, meine Hübsche?", Valentin hatte sich wirklich viel Mühe gegeben, die Stimmung zwischen uns wieder herzustellen. Doch er schien nicht recht bei der Sache, denn er schaute ständig auf sein Telefon, was er zwar auf lautlos gestellt hatte, aber irgendwie wirkte Valentin hektisch.
Schließlich nahm er das Handy und legte es in eine Schublade an seinem Sekretär, der eigentlich nur zur Zierde im Salon stand.
Schmollend blickte ich ihn an.
"Ach, es ist nichts, mein Herz. Nur geschäftlich, ich hätte heute auf einer Konferenz sein sollen.", ich spürte, daß er die Wahrheit sagte und schmunzelte.
"Ich frage mich, ob schon jemand bemerkt hat, daß die ganzen Akten fehlen, mein Liebling.", sprach ich so leise vor mich hin, daß ich sicher sein konnte, mein Gemahl würde mich akustisch nicht verstehen.
Valentin sah nur kurz auf, schenkte dann aber den Champagner ein.
Er hätte mich vermutlich in der Luft zerrissen, hätte er von meinen Plänen erfahren. Nein, nicht jetzt, dachte ich mir im Stillen und nahm einen ordentlichen Schluck aus meinem Glas.
In der Zwischenzeit alarmierte Sigor Brawic die restlichen Mitglieder der VMB. Er röchelte hörbar, so, wie er es immer tat, wenn er aufgeregt war. Wenn die Akten in die falschen Hände geraten würden, hätte das unweigerlich Konsequenzen, die selbst er kaum abzuschätzen vermochte. Das ganze Geschäft könnte im schlimmsten Fall buchstäblich den Bach hinunter gehen!
Vor Aufregung verwählte er sich ständig, der alte Vampir, dem nun der Schweiß auf der Stirn stand.
Unwissend über Brawic´s Aktivitäten zog mich Valentin nah an sich heran. Ich konnte seinen flüchtigen Atem auf meiner schneeweißen Haut spüren und ich hatte Mühe, mich nicht komplett in ihm zu verlieren. Ich stellte das Glas mit dem Champagner auf einen der kleinen Marmortische, die neben dem Sekretär standen.
Valentin´s Hände strichen vorsichtig über meine Brüste, seine kalten Lippen suchten meinen Puls und ich bot ihm fordernd meinen Hals dar. Fast schon ein wenig gierig und unbeherrscht biss er in meine pochende Halsschlagader. Mein leises Stöhnen animierte ihn dazu, ein klein wenig wilder zu werden. Immer wieder flüsterte er mir zwischen den Bissen ins Ohr, wie sehr er mich liebte.
Ich glaubte Valentin jedes Wort, ich war mir zu hundert Prozent sicher, er würde es diesmal ernst meinen.
Eigentlich hatte ich seine Nähe unsagbar vermisst und hatte auch nicht im geringsten vor, mich zu wehren.
Wir sanken auf den großen Teppich, der vor dem knisternden Kamin lag. Das Orchester hatte längst abgebaut und war gegangen.
Ich wurde bald wahnsinnig, als ich den Duft meines Geliebten einsog, als wäre es purer Lebensaft. Valentin´s leisem, heiseren Stöhnen war einem gierigen Fauchen und Knurren gewichen. Seine Haut wurde so kalt, daß sie zu brennen schien, wenn man sie berührte.
Vormals schlanke, aber kräftige Hände wurden zu furchterregenden Klauen mit scharfen Nägeln wie Rasiermesser und seine Augen verfärbten sich schwarz wie die Nacht, die über uns hereinbrach. Valentin hielt mich mit unzähmbarer Kraft fest, so daß ich ihm unter keinen Umständen entkommen konnte. Doch ich hatte nicht vor, mich aus seiner animalischen Umarmung zu reißen. Wie ein wildes Tier biss er mich immer und immer wieder in den Hals oder meine Oberschenkel. Ein kaum erkennbares, zufriedenes Lächeln zierte mein Gesicht..
Sigor Brawic hatte endlich den Mann am anderen Ende der Leitung, den er so dringend anrufen wollte.
"Valentin ist bei ihr, Tatesbury! Was sollen wir jetzt tun, verdammt?", schimpfte er zornig und aufgeregt stotternd in den Hörer, ungeachtet seines Speichels, der mit jedem aufgebrachtem Wort aus seinen Mundwinkeln tropfte.
"Wie konnte das passieren? Hat er ihr etwas gesagt, Mr. Brawic? Könnten wir noch eingreifen? Hören Sie, ich bin gerade in London, könnte aber sofort in den nächsten Flieger steigen um Ihnen zu helfen!", bot der vornehme Tatesbury höflich, aber dennoch ein klein wenig panisch an. Er bemühte sich, das leise beben seiner angsterfüllten Stimme zu unterdrücken. Doch Brawic bemerkte es sofort und reagierte noch wütender.
"Tun Sie das, verflixt! Viktoria könnte schon zuviel wissen und ich habe nicht mehr viel Zeit, Sie wissen ja Tatesbury. Nicht mehr lange und ich bin auf den Schlüssel angewiesen. Herrgott, ich hätte mich niemals auf diesen Deal einlassen dürfen! Kommen Sie jetzt her!", antwortete Sigor Brawic und knallte den Hörer auf die Gabel seines altertümlichen Telefons und wischte sich anschließend mit seinem schon recht befleckten, weißen Stofftaschentuch die Mundwinkel trocken. Ängstlich starrte er auf die verwitterte Wählscheibe des Telefons und stand schließlich auf, um sich eine heisse Tasse Tee einzuschenken. Brawic grübelte nun immer mehr und starrte aufdringlich in den Dampf, der aus seiner Tasse empor stieg. Was wäre, wenn Samuel alles verraten würde? Samuel... Lange hatte er diesen Namen nicht mehr in den Mund genommen. Ein leichter Schauer durchfuhr Brawic und er schüttelte sich plötzlich. Nein, so weit darf es niemals kommen! Nicht bevor ich den Schlüssel habe!, dachte er bei sich und verließ das Büro, wie er es liebevoll nannte.
Krachend fiel die Tür ins Schloss und hinterließ tausend kleine Staubteilchen, die wirr im Raum zu tanzen begannen...
Tag der Veröffentlichung: 22.12.2008
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle, die an die Liebe glauben. Für alle, die an sich und ihre Träume glauben. Und an alle, die wissen, daß es mehr gibt, als man ahnt und sieht...