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Es war Nacht.
Nacht impliziert Stille und bleiche, flackernde Lichter die sich vergebens bemühen der Welt anderes vorzugaukeln. Es war Nacht und niemand konnte das leugnen.
Nacht.

Die Straße die Haley Leighton in dieser Nacht nahm war die gleiche wie jeden Abend und nur die Jahreszeiten versuchten , ihr einen Stempel aufzudrücken: Grauer Asphalt, der überall dort holprig wurde wo sich die Natur ihren Weg aufgebrochen hatte und Unkraut seine grünen Finger dem schmutzigen Himmel entgegen streckte. Niemand würde auf dieser Straße fahren wollen, dem sein Auto am Herzen lag und auch Haley war dankbar für die Sohlen ihrer Schuhe die sie die größten Unebenheiten vergessen ließ. Ihre Füße schmerzten. Ihre Beine schmerzten. Verdammt, der gesamte Körper fühlte sich an als wolle er am liebsten in sich zusammenfallen und nichts als düstere Ruinen eines einstmals schönen Mädchens zurücklassen.
Die Nacht durch die sie sich bewegte, die holprige Straße und die flackernden Lichter taten nichts dazu bei, sie abzulenken oder wach zu halten - Es war ein langer, mühevoller Tag gewesen. Schlecht gelaunte Kunden. Schmierige Kunden. Arschlöcher. Joviale Trottel. Manchmal ein nettes Lächeln von dem man die nächste Stunde zehren konnte, bis die Wirkung verblasste wie bei einem Schmerzmittel, dass nur unterdrückt, nicht bekämpft.
Und genau so bewegte sie sich durch die vertraute Dunkelheit, schien an diesen Ort zu gehören wie die flackernden Lichter und die leichte Brise die versuchte die drückende Hitze des Tages aufzulockern.


Und hier war ich. Sie war nicht mehr als ein Herzschlag unter vielen, eine kleine Flamme in einem Meer aus Kerzen. Nichts unterschied sie von den anderen - daran würden auch die atemberaubenden Beine nichts ändern, die die ansehnliche, aber müde Gestalt, streckten und langsam vorwärts führten. Die langsamen Schritte zeugten davon das sie den Weg kannte, sich vom Trott einfingen liess der sie von diesem Ort zum nächsten führte und ich konnte nur mutmaßen das sie auf dem Weg nach Hause war.

So war das, mit der Nacht.
Während die Huren und Dealer sich bereit machten, den Vergnügungswilligen zu empfangen (auf die eine, wie auf die andere Art), ging der erschöpfte Arbeiter vom Tagwerk geschafft nach Hause, schleppte sich vielleicht noch auf die Couch und danach ins Bett um eine Migräne zu fingieren oder sich einmal über den Partner zu wälzen im trägen Spiel menschlicher Leidenschaft.
Eine Kerze, ein Meer voller Lichter. Meine Aufmerksamkeit schwand.




Ihr Heimweg wäre in anderen Geschichten kurz als "unspektakulär" abgehandelt worden und auch der Leser der nach Anhaltspunkten für das geistige Auge suchte würde kaum etwas finden: Keine rostige, von Autos erleuchtete Brücke streckt sich über einen Fluss dem anderen Ufer entgegen und lädt zu Metaphern über Verbundenheit ein, keine rote Sonne sinkt unheilschwanger hinter den Horizont und taucht die Welt in unwirkliche Farben.
Nachts sind alle Katzen grau, sagt man, und so gestaltete sich ihr Heimweg: Ereignislos.
Die marode Straße schlängelte sich durch Gassen, in denen kein unheilvolles Messer blitzte und die Hausreihe zu der sie führte war schmucklos, aber gepflegt. Keine krähenden Kindermünder die nach Aufmerksamkeit verlangten, nur eine in Selbstgefälligkeit dösende Katze deren gelbe Augen hinter schwarzen Lidern verschwanden.
Haleys Wohnung lag in einem dieser Häuser: eine kleine Wohnung in der dritten Etage. Ursprünglich sollten die Kinder der Eigentümer die Wohnungen übernehmen, die aber hatten sich stattdessen entschieden zu vermieten. Hatten irgendein Strandhaus oder so. Genau konnte sie sich daran nicht erinnern, man sah die Eigentümer selten und auch der Hausmeister lief einem eher sporadisch über den Weg. Gedanken die wie Bilder an ihrem stumpf gewordenen Geist vorbei liefen als sie die Türe zum Haus aufschloss und sich in den Flur schob. Braune Kacheln. Wer kam auf die Idee einen Flur mit braunen Kacheln auszustatten?
Sie nicht. Nein, wenn es nach ihr gegangen wäre - mintgrüne Tapete, Dielenböden. Vielleicht hatte sie keinen Geschmack - manchmal sagte man ihr das nach - aber zumindest half ihr der Gedanke über die Stufen hinweg, bis zur Türschwelle und auch noch hindurch.
Das war der Augenblick, in dem sie die Veränderung bemerkte. Der ganz ureigene Moment der einem Menschen sagt, dass jemand in den eigenen Lebensraum eingedrungen ist - und noch nicht wieder fort ist. Es waren die feinen Härchen auf ihren Armen die sich langsam aufrichtete und sie hielt den Atem an. Nicht instinktiv, aus Absicht. Sie hatte einmal gehört das man so nicht vom eigenen Atmen gestört würde beim lauschen, stattdessen pochte ihr das Herz laut in den Ohren und wollte mit seinem sich rasch steigernden Klopfen Panik schüren.
"Reiss dich zusammen", brummte sie mehr sich selbst als wirklich einem Eindringling zu und tat einen Schritt nach vorne. Waren ihre Schuhe immer so laut auf dem Boden geklungen, oder kam ihr das nur heute so vor?


Ich weiss nicht, was meine Aufmerksamkeit zur Seite riss, welche Aktion im Gefüge dieser Stadt mein Gemüt berührte und wie ein leises Klingen fast unterging im Lärm tausender Menschenleben. Es war ein wenig als stände man an einem Strand, lausche den sich wütend sträubenden Wellen gegen das Land stürmen und versuche all dem Tosen das Anklingen einer Saite zu entnehmen. "Unmöglich" war das Wort das ich suche. Es war unmöglich - aber es erregte meine Aufmerksamkeit. Was für ein irritierender Schwachsinn. Festzuhalten war: Es erregte meine Aufmerksamkeit und ich weiss nicht warum. Es riss mich aus meiner gelangweilten Lethargie und liess die knarrenden Glieder in Bewegung geraten.




Mit dem Klirren und Krachen eines zerbrechenden Tellers, dass auf ihre zu sich selbst gesprochenen Worte folgte, wusste Haley, dass sie nicht die einzige war die erkannt hatte, nicht mehr allein zu sein. Ihre schlanken Finger tasteten in eine Manteltasche hinein und suchten nach etwas, ohne es zu finden. Langsam tastete sie sich nach vorne und wusste nicht, ob sie sich die Schritte nur einbildete oder ob sie tatsächlich da waren. Ihr pochendes Herz hinterließ ein fast schmerzhaftes Ziehen in ihrer Brust, ähnlich wie Sehnsucht, nur als bodenloses Fass an dessen Ende instinktive Panik lauerte. Man musste ihr die Mühe zugute halten, mit der sie sich zusammenhielt. Man musste ihr zugute halten das sie nicht schrie, als tatsächlich jemand um die Ecke trat und die graue Welt aus quadratischen Formen in etwas auflöste das menschliche Gestalt hatte. Sie riss schützend die Hand nach oben, aber was nützte das gegen ein Messer? Eine Pistole? War sich umdrehen und rennen eine Option?
Haley Leighton erfuhr zum ersten Mal in ihrem Leben was es hieß, vor Angst zu erstarren und sie tat es mit der Perfektion die nur ein Mensch an dieser Stelle vollbringen konnte.


Ein wundervolles Stillleben waren sie. Auf ihre primitive Art perfekt. Wie Liebende. Nur das Liebenden diese Ahnung von kommender Grausamkeit fehlte die mich seit je her in ihren Bann zog und mich fast vergessen ließ ... fast vergessen ließ als sich die Szenerie zu voller Pracht entfaltete.




Grobe Hände, wie aus einem Holzblock geschnitzt, umfassten den erstaunlich warmen Stahl einer Waffe. Es lag daran dass seine Hände schwitzten, daran das er zitterte. Sie sah, dass seine Hände und ihr Herz in einem ähnlichen Takt bebten, während sie einen Schritt nach hinten nahm, den Arm der nicht schützend über ihrer Brust lag nach hinten streckte so als hoffte sie die Türklinke wie rettendes Land zu erreichen. "Bleib stehen!" seine Stimme strafte ihn Lügen. Selbst im Halbdunkeln der Wohnung konnte sie erkennen das die groben Züge in keinem Verhältnis zu seinem fast verängstigten Ausdruck standen, aber eine Waffe in der Hand relativiert vieles. Ihre grauen Augen wanderten von der Waffe zu seinem Gesicht, wechselten sich in ihrem Ausdruck zwischen Flehen und Fassungslosigkeit ab. Die Zungenspitze tastete nach vorne, so als wollte sie die Lippen zum Sprechen befeuchten, erreichte ihr Ziel aber nicht. Sie starrte, wie ein Tier das das Unheil auf sich zurasen sah. Mit offenem Mund. Mit den gleichen müden Gliedern wie zuvor die nur von durch die Adern preschendem Adrenalin aufrecht gehalten wurden. "Bleib .. stehen ..." wiederholte er und seine Stimme brach, war auf dem schmalen Grat der Hysterie und Verzweiflung voneinander trennte.
Keiner von Ihnen hatte sich ausgemalt, nun hier zu stehen.

Menschen begehen Fehler. Auch Haley beging so einen Fehler, als sie den Fuß nach vorne schob und die Hand hob. Es schien eine Ewigkeit zu sein, in der sich der Schuss löste, aber in Wirklichkeit war es nur die Dauer eines kurzen Knalls. Sie sah es nicht einmal kommen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.12.2010

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